Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Die räthselhafte, donnernde Musik schwieg und ein Riesenjüngling mit einem ungeheueren Waldhorne unter dem Arme schritt herein.

Roth und freundlich war sein Gesicht anzusehen. Die großen, hellen, blauen Augen und das reiche, gelbe Haar, welches ungelockt um seinen Nacken herunterhing, ließen den Nordmann nicht in ihm verkennen.

Ein schwarzes Barett auf dem Haupte, ein großes Bärenfell leicht umgeschlagen, daß die röthlich weiße Brust unbedeckt blieb, übrigens aber in wollenem, ungefärbtem Gewande, stand er stattlich da vor den Beiden.

Nun Mutter Hertha, redete er mit heller, klangreicher Stimme die Greisin an, hat dich meine Musik vom Schlafe aufgeweckt, da du so ernst mich ansiehst?

Herzlich schüttelte er ihre Hand mit diesen Worten, dann aber wendete er sich zu Georg mit den Worten: Und wie kommst denn du, neudeutscher Milchbart in dieses Revier? Es ist mir lieb, daß ich hier Gesellschaft treffe; denn immer draußen in die Nacht einsam hinein zu blasen, wird am Ende ein verteufelt langweiliger Spaß; doch bleibt es ein kräftiges, freudiges Schwimmen und Turnen über Berg und Meer hinüber.

Er rückte sich den stärksten Stuhl zurecht an der Stahltafel, und hieß die Beiden zu sich setzen.

Mutter! fuhr der riesige Waldhornist fort, ich habe bei meiner Fahrt an mich und dich gedacht.

Mit dieser Rede brachte er unter seinem Bärenfelle einen mächtigen Tornister hervor, und fuhr wohlgelaunt fort, während er auspackte: hier ist ein Fäßchen Jamaika-Rum, aus der Nordsee eben aufgefischt – und hier ein geräuchertes Schwein und eingepökelte Gänse aus Mecklenburg. Punktum!

Nun, Altmutter! mache auch ein Feuer und koche einen braven Punsch! Zucker wird der Afrikaner noch hier haben.

Bist du doch immer der alte lustige Knabe, versetzte die Greisin, – wie vor tausend Jahren, so heute.

Nun Jungherr! sprach der muntere Nordmann zu Georg, was machst du so große Augen? – Dir kommt es wohl hier oben etwas verwunderlich vor? Tausend Donner! ich will nicht glauben, daß du so ein geheimer Schnüffelhund bist, sonst wollte ich –; doch nein! fuhr er sich begütigend fort, ein solches ehrliches Gesicht gehört nur einem braven Jungen an. Nimm mir es nicht übel, aber neugierig wäre ich doch, zu wissen: was du hier bei der alten Mutter zu schaffen hast? –

Ich suche das Land der Aquilina – die allschöne Fee, welcher ich mich geweiht habe! versetzte Georg.

Zu Ihr willst du? entgegnete der Nordmann; es ist schon lange her, daß ich Sie nicht gesehen habe! Aber minnest du Sie so recht treu von ganzer Seele, so muß es dir gelingen, die Braut dir zu erstreiten; denn ächtem frommen Minnethume ist das Unglaubliche möglich. – Ich würde dich gern zu Ihr geleiten, wenn mein Weg je zu ihrem Schlosse führen sollte.

Die alte Mutter brachte jetzt zwei große silberne Becher und einen gewaltigen Punschnapf herbeigetragen. Lieblich duftete das edle Nordlandsgetränke durch das Gemach.

Der Nordmann kostete, nickte mit dem Kopfe und rief: sehr gut! ganz gut! Mutter, ich sage es ja immer, daß du dich darauf verstehst! Er schenkte ein; dann hob er seinen dampfenden Becher und rief:

Das herrliche Kleinod Europa's, der Brunnen, aus welchem sich die Zeit verjüngt hat, das Heldenland, das Land der Deutschen, das immer hochherzig und tapfer, immer unglücklich durch innere Zerspaltung, mit Ruhm und Blut bedeckt, nun dort liegt, hingeworfen wie ein edles, aber zerbrochenes Gefäß, dieses Land eines Volkes, mit dem ich in so manche Schlacht gezogen bin, mit dem ich einst die Welt erstürmt habe, soll von Neuem leben! –

Wunderbar bewegt war der Nordmann bei diesen Worten; Thränen fielen in seinen Becher; er leerte ihn hastig, stand auf und schritt einigemal heftig auf und ab; dann nahm er sein mächtiges Waldhorn, öffnete das Thor, und blies hinaus mit seinen Donnertönen die Melodie des Liedes: »Eine feste Burg ist unser Gott etc.«

Die ganze Halle erbebte; die Wände krachten vor den erschütternden Tönen. Heftig fiel ihm die alte Mutter in die Arme und rief, ich bitte dich, Sohn, laß ab! sonst stürzt uns das Stahlhaus über den Kopf zusammen.

Der Waldhornist setzte ab, wandte sich mit gerührtem und lächelndem Gesichte zurück in die Halle und sagte wie für sich: ich bin am Ende doch nur ein weichherziger, und dann zuweilen auch ein rauher und toller Narr! –

Georg war von den Tönen betäubt zu Boden gesunken. Junge! sprach der Nordmann, indem er ihn emporrichtete, deine Vorfahren hatten mehr Mark in ihren Gebeinen!

Herr! entgegnete Georg, den Händedruck des Recken kräftig erwiedernd: wenn du aber auch einen Windesbraus hineinbläsest in das Horn, so muß in solcher Nähe, wenn selbst Eisenbalken zerbersten möchten, ein jeder Erdenmensch betäubt werden. Dieses Waldhorn muß übrigens ein tüchtiger Meister verfertiget haben.

Ich habe es mir, versetzte der Recke, in Neukirchen von Zöbisch und Schuster bauen lassen. Sie arbeiteten über Jahresfrist daran; ich bin aber nunmehr auch ziemlich damit zufrieden. Das Mundstück sitzt mir nur etwas unbequem. Komm, braver Kumpan, und laß uns noch eins trinken! –

Ich trinke nicht gern Punsch, erwiederte Georg.

Wein, wenn man ihn haben kann, entgegnete der Nordmann, hat freilich ein besseres und ächteres Feuer; – aber wenn man von der Kälte draußen herein kommt, so ist auch dieses Getränke nicht zu verachten. Da, iß etwas Schinken dazu! –

Mutter! rief er zur Alten, welche wieder im Buche las, ist noch Etwas von Xeres da?

Bist du noch nicht zufrieden, wilder Geselle? erwiederte sie nicht übelgelaunt, und brachte einen verschlossenen Krug und andere Trinkbecher. Der Nordmann schenkte ein; – es war der trefflichste alte Xereswein! –

Der Nordmann trank sehr, und ein röthliches Feuer begann in seinen Augen zu schimmern. Nach einiger Zeit verfiel er aber in ein trübes Nachsinnen. Man merkte es ihm an, daß ein heimliches Leid in ihm sich regte.

Endlich schaute er Georg an mit einem langen, fragendem Blicke, und sprach nach einer Weile: glaubst du nicht auch, daß der deutsche Adler wieder verjüngt von seinem Horste emporsteigen wird?

Glaubst du nicht auch, daß der alte Ritter mit der waffengestählten Hand wieder am jungen Freiheitsmorgen in Reihe und Glied in die Weltgeschichte hineintreten wird? – Empor! empor, Scheinleiche! –

So schrie der Riesensohn und schlug mit der Faust auf die Tischplatte, daß Funken davon hinwegstoben.

Kind! Kind! rief die alte Mutter vom Herde her, hast du wieder deine alte Wuth? Aenderst doch nichts! – deine Zeit ist aus.

Der Nordmann stürzte mit seinem schweren Haupte nieder auf die sehnigen, übereinander gelegten Arme, und schwieg.

Georgs Herz blutete. Ein altes Weh – die Vaterlandsliebe überfiel ihn.

Der Nordmann aber hob das trübgewordene Gesicht wieder empor und erzählte in scheinbar gleichgültigem Tone: »in den caucasischen Gebirgen sah ich vor Kurzem zwei mordschnaubende Wölfe und ein bebendes Schaaf in ihrer Mitte. Die Todesangst ließ das duldende Thier ruhig zwischen den Würgern einhertrotten. Es getraute sich nicht einmal zu blöcken. In heimlicher Felsenschlucht hielten die Wölfe mit Rennen und Treiben ein. Du willst das Ende von der Fabel wissen? – Ach mein Deutschland! mein Deutschland!«

Kind! Kind! rief die alte Mutter vom Herde her, sei ruhig! was geschehen soll, geschieht. Fiel doch auch der hörnene Siegfried am Brunnen und konntest den Mordstich nicht aufhalten.

Der Nordmann schwieg, aber in seiner Brust arbeitete es hörbar.

Trink Söhnchen! ermunterte die alte Mutter, und erzähle von anderen Geschichten – etwas von der Hunnenschlacht bei Merseburg.

Seine Augen blitzten in schlachtlustigem Feuer. Der wilde Sohn setzte sich aufrecht empor und ballte die Faust. Er trank und erzählte, trank wieder und sagte von Heinrich dem Finkler und seinen Mannen! –

Aber auch Georg trank und erzählte, und sang alte Lieder.

Bruder, sprach endlich der Nordmann, schildere mir einmal, was die Leute, welche von der Nordsee bis zum Rheine wohnen, dazu sagen, daß ihre Herrlichkeit so ganz dahin ist, aber gleichnißweise, wie die Väter zu sagen gewohnt waren.

Georg sann und sprach in gemessenem Tone:

Es steht schlimm mit alten Leuten.
Wo bist du, mein Eduard?
Wo bist du, mein trauter Uli?
Ich sitz' hier so ganz allein.
Meine Augen sind erblindet,
Sehe nicht, ob's Tag, ob's Nacht ist.
Es steht arg mit alten Leuten.
Taucht nicht eine fremde Hand
Meine in das heil'ge Wasser,
So steh' in geweihter Kirche
Ungeweihet ich allein.
Eduard, stelle dich zur Rechten,
Uli, stell' dich mir zur Linken!
Höret mich ihr theuren Söhne!
Immer ärger wird die Welt,
Und das alte Heil geht unter.
Theure Söhne, liebe Kinder!
Herzlich sehn' ich mich zu scheiden.
Habe mich in diesen Tagen
Bitterlich und hart betrübt.
Ihr schweigt stille?
Es hat mich zu Tod gefressen
Hier in meiner alten Brust,
Daß das alte deutsche Reich
Ist zerschnitten wie ein Band,
Ist zerbrochen wie ein Stab?
Es steht arg mit alten Leuten,
Haben wunderliche Grillen.
Uli kniee zu meiner Rechten,
Eduard zu meiner Linken.
Draußen ist der Lenz gegangen,
Herbstwind fahret durch die Bäume
Und sagt an die Sterbezeit.
Warum weint ihr?

O, vergönnt mir doch den Schlaf
Und die kühle liebe Ruhe.
Geb' dir Gott, mein herzig Kind,
Eduard, Eduard, viele Gnade!
Du bist sanft wie eine Taube,
Ein unschuldig reines Lamm;
Gebe Gott dir allen Seegen!
Du warst mir in meinem Alter
Eine Blume aus dem Frühling;
Gott bescheer' dir schöne Tage,
Bess're Zeiten, als die meinen.
Und mein Uli? Weine nicht,
Du viel kecker Herzensknabe,
Du viel wackrer junger Held!
Du warst mir ein starker Stab
In den schwachen, alten Tagen;
Gott geb' dir sein größtes Heil –
Auf dem Blachfeld – schönen Tod! –

Also sprach der alte Held,
Neigt' das Haupt nur ein klein wenig,
Und der wackre Degen war
Heimgegangen zu den Vätern.

Der Nordmann war während dieser Erzählung bald aufgestanden, bald hatte er sich wieder gesetzt; aber immer schaute er unverwandten Blicks Georg an. Als aber dieser mit dieser Kunde zu Ende gekommen war, rief er: es klang in dieser Weise etwas Fremdes an, aber wenn Allen da drunten es also um das Herz ist, so will ich mich besserer Zeiten getrösten.

Auf einmal hörte man jetzt vor dem Saale ein Roß hell aufwiehern.

Ah, mein Nebelroß will weiter! sagte der Nordmann, wickelte sich in sein Bärenfell, ergriff das Waldhorn, schüttelte Georg die Hand und sprach: fahre wohl! – Ich werde mich noch oft an dich erinnern! –

Lebe wohl, Mutter! rief er dem Weibe, welches im Buche las, noch unter der Thüre zu. Es hob den Kopf empor, und rief ihm nach: Kind! Kind! nicht zu wild, und schone mir die Schiffe und die Häuser! –

Aber noch ehe die Alte ihre Warnung beendet hatte, hörte man ihn schon draußen auf seinem schnaubenden Rosse hinüberreiten. Das Waldhorn begann wiederum zu klingen, und aus der Ferne tönten noch lange allmälig verhallend die heimlichen Donnerklänge herüber.

In der wunderbarsten Stimmung befand sich nun Georg wiederum mit der alten Einsiedlerin allein.

Wie so unerklärlich hatte sich bis jetzt sein Schicksal entwickelt; und dennoch hatte er immer noch kein Wesen gefunden, welches ihm sichere Kunde von dem Lande der Herrlichen hätte geben können! –

Ermüdet saß er an der Tafel. Er legte sein müdes Haupt auf seine Arme. Liebliche Traumbilder gaukelten vor seinen Sinnen, bis ihn ein recht wohlthuender Schlaf umfing.


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