Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Von einem Knaben des Weinschenken ließ sich Georg zur Wohnung des Philosophen geleiten.
Der Diener, welcher ihn anmeldete, öffnete ihm sogleich eine Thüre, und schüchtern trat er in das Zimmer hinein.
Der Professor saß am Fenster, rings umstellt von Büchern jeglichen Formates, und war über ein Blatt Papier, auf welches er mit einer Bleifeder zu schreiben schien, sinnend gebückt, wie Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt.
Nach einer ziemlichen Frist fragte Professor Hegel, ohne aufzublicken: »Sie sind?«
Georg Venlot, ein Privatgelehrter.
»Sie wünschen?«
Ruhe! – Nicht der Erde, nicht dem Himmel, nicht mir selbst angehörend, irre ich umher in der Welt, um in das Land der Glückseeligkeit, in welchem ich einst Alles gefunden habe, wieder einzugehen. Vergebens war bis jetzt mein Bemühen, mein Beten, mein Hoffen. Der Verzweiflung war ich nahe, als ein glücklicher Zufall Ihren allverehrten Nahmen in mein Ohr tönen ließ. Ich hielt es für eine Weisung des Himmels, mich an Sie zu wenden.
Der Professor stand vor ihm und schaute ihn an mit seinen klaren Augen, »vor welchen die ganze Welt durchsichtig liegt«; und sprach nach einer Weile: »ich verstehe Sie noch nicht, wollen Sie sich bestimmter ausdrücken?«
Georg seufzte und antwortete beklommen:
Sie werden mich gewiß für sinnlos halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich einst die herrliche Aquilina oder Maria, ja fürwahr die Idee des Erhabensten und Schönsten wahrhaft erschaut, und in ewiger Liebe und Inbrunst mich mit ihr vereinigt hatte, bis ich sie durch meine vielfache Schuld vielleicht auf immer verloren habe. Werden Sie mein Retter; zeigen Sie mir den Weg zu Ihr zurück.
Der Professor sann und entgegnete nicht ohne ein gewisses Mitleid, welches auf seinem Gesichte und in seinen Worten lag:
»Was Sie begehren, suchen Sie vergeblich! – Die geistige Wirklichkeit hat sich Ihnen in die Aeußerlichkeit des gemeinen Naturdaseins umgesetzt. Zerbrechen Sie die Schale der schlechten Endlichkeit; denn nur aus der Vernichtung derselben hebt sich der Kern empor, aus welchem die wahre Wirklichkeit sich entfalten muß. Schauen Sie mit dem Geiste das, was als die eigentliche Wesenheit des Geistes sich nur im reinen Gedanken als eigentlich Wirkliches fassen läßt.«
Georg erwiederte: o nein! Es hat sich mir ja jenes himmlische Weib in unermeßlicher Schönheit nach Außen hin geoffenbaret, mich zu sich gezogen und eigen gemacht! –
»Also ein Kunstideal!« versetzte der Professor, und fuhr mit der Hand über die gedankenschwere Stirne. »Sprengen Sie getrost die Hülle der durch die Phantasie geschaffenen Endlichkeit der Idee; denn nur aus der Vernichtung des Endlichen steigt der Phönix unendlicher Wahrheit, aus sich selbst wiedergeboren, strahlenhell empor! Nur im unbedingten Sein vermag der Geist sich selbst zu erfassen.« –
Also gäbe es nichts Großes und Heiliges außer mir selbst? versetzte Georg sehr bewegt; also wäre selbst jeglicher Religionsglaube eine Täuschung? Er war bei diesen seinen Worten todtenbleich geworden.
»Verstehen Sie mich recht!« entgegnete der Professor. »Nur der Gedanke, welcher sich im Kampfe der Weltgeschichte, als ihre Grundwahrheit zum wahren unbedingten Sein emporringt, befreit den Geist zu sich selbst. Die Seeligkeit des Glaubens aber ist nur der Embryo, aus welchem sich die Seeligkeit des Wissens entwickeln muß. Sie sind, wie überhaupt unsere ganze Zeit, mit dem Glauben zerfallen; wagen Sie daher den letzten Schritt zur gänzlichen Selbstbefreiung!«
Wie aufgelöst in sich selbst stand Georg, bis er in die Worte ausbrach: o diese schreckliche Einsamkeit und Allgenügsamkeit. Mein Herz bedarf mehr! Glaube und Wahrheit, warum sollen sie sich feindseelig gegenüberstehen? –
Der Professor zuckte mit den Schultern und ließ sich wieder auf seinen Sessel nieder.
Mein Vater war ein guter Mann, begann nach kurzem Sinnen, und wie im Traume Georg zu sprechen, und ich erinnere mich, daß er eine gute Violine hatte, auf welcher er wohl zu spielen verstand. Wie ein Kind ist – ich hätte gar so gerne gewußt, wo die Harmonie im Instrumente – und es war ein tüchtiges Werk – endlich verborgen sein müßte. Zu gelegener Zeit war ich mit einem Messer darüber her und zerschnitt sie in kleine Stückchen; – die Harmonie aber ließ sich so eigentlich nicht finden. Ich war endlich überzeugt, daß sie endlich blos in meiner Vorstellung existirte; mein Vater aber war damit nicht zufrieden, denn, wie schon gesagt, er wußte den Violinbogen tüchtig zu gebrauchen.
Georg hätte noch lange zu erzählen gehabt; aber da er bemerkte, daß sein Verweilen mißfälliger, als sein Weggehen sein dürfte, so empfahl er sich so höflich, als er nur immer konnte.