Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Lieben Freunde! sprach endlich Heinrich, indem er sich im Vorlesen dieser Geschichte unterbrach, es ist mir ganz sonderbar zu Muthe!

Es ist ein tolles Mährchen, versetzte Rudolph, Mathildens Bruder, ein Mährchen, das an Unwahrscheinlichkeit selbst ein Mährchen übertrifft; es scheint mir, als ob die Dichter neuerer Zeit allem Menschlichen und Verständigen den Krieg erklärt hätten. Alles soll Ironie sein, und über aller Ironie werden solche Gedichte selbst eine Art von Ironie auf die Dichtkunst. Ich berufe mich auf das Urtheil unsrer Freundinnen. Stimmen sie mir nicht bei, schöne Lina?

Das weiß Gott, versetzte das erröthende Mädchen, welches still und wie leblos seit einiger Zeit dagesessen hatte, mich hat diese Geschichte sehr ergriffen. Sie ist mir so sehr bekannt, als müßte ich schon oft von ihr gehört haben.

Das ist leicht möglich, versetzte Rudolph; denn das Gebiet der Kindermährchen ist das wahre Jagdrevier dieser Poeten; und so geschieht es, daß wir den einheimischen Sperling, vom nächsten Dache weggefangen, wunderlich verstutzt, mit aufgeleimtem rothen Tuchkamme, wieder für unser baares Geld als ein fremdes Wunderhähnchen vom nächsten Charlatan vorgezeigt bekommen. Welche alte Kinderwärterin wüßte nicht vom Blaubart, vom Rübezahl, und anderen wunderbaren Dingen herzlich und kindlich, ja, selbst einfach und verständig zu erzählen; und dennoch ereignete sich erst vor einigen Jahren das Unheil, daß viele dieser Kindermährchen toll wurden, und der Kinderstube entsprungen, in dem Irrenhause der Tageliteratur sich wüst und wirr herumtrieben.

Diese Verunstaltung unserer einfachen, klaren Volksmährchen hat nur allein ihren Grund in der Gemüthszerrissenheit dieser neuromantischen Dichter. Sie haben den Glauben und sich selbst verloren, und stürmen nun wie Verzweifelnde gegen das Eden ihrer Kindheit an, um das schändlich Preisgegebene wieder zu erringen. Aber in ihrem convexen Auge können sich die Gestalten der alten Wunderwelt nur als Fratzen wieder abspiegeln.

Ob dein Eifer gerecht ist, oder nicht, will ich nicht beurtheilen, entgegnete Heinrich; so viel aber ist gewiß, daß ich zum Theil diese Geschichte selbst mit erlebt habe.

Die Gesellschaft sah ihn mit großen Augen an. Er aber begann von neuem vorzulesen:

Ueber das gebirgige Armenien herunter gelangten Georg Venlot und Doctor Voland endlich nach Persien.

Einen ungemeinen Einfluß hatte die lange Reise auf Georg geäußert. Männlicher war sein Geist, kräftiger sein Leib geworden.

Sein Reisegefährte hatte durch seinen kecken Geist nach und nach eine gewisse Herrschaft über ihn sich zu verschaffen gewußt.

Dieses Verhältniß war für Georg, in so fern sein Verstand sich immermehr an dem Scharfsinne seines Reisegenossen entwickelte, eben so vortheilhaft, als es in anderer Rücksicht für das kindliche Empfinden seines Gemüths nachtheilig war; denn die Kälte seines Freundes, womit er alles, was der Mensch fromm zu verehren geneigt ist, auf den Kopf stellte, zerstreute vor Georgs Augen den lieblichen Zaubernebel, welcher ihm, sonst das Unheilige, das Gemeine bedeckend, nur Alles gut, hoch und edel erscheinen ließ, und eben dadurch sein Herz zu den erhabensten Gefühlen tüchtig gemacht hatte; und gab ihm dafür Zweifel, und Unruhe, Steine statt Brod.

In tiefem Schweigen sprengten die beiden Reisenden auf ihren schwarzen Rossen über das Hügelland hinunter in eine weite, schöne, grüne Ebene.

Ueppige Blumen blühten rings umher, in langen Reihen prangten die Pomeranzen- und Limonienbäume in saftiger Laubesgrüne. Schwärme von Bienen summten honigsammelnd durch die blühenden Stauden und Hecken, und unzählige Schwärme zahmer Amseln hielten ihre Gesänge in diesen Revieren.

Gefällt es dir hier, Georg? fragte endlich der Doctor; hörst du, wie diese Vögel uns flehend ansingen, sie zu braten und zu verspeisen. Selbst die saftigen Granaten wollen ein gutes Wort bei uns einlegen, sie zu vermenschlichen. Sucht doch Alles in der Welt eben so gut, wie eine heirathslustige Dirne, ein honettes Unterkommen!

Man könnte hier, man wüßte nicht wie, ein Dichter werden; und schon fühle ich über mich eine gewisse Begeisterung kommen!

Wirst du ein Dichter, versetzte Georg, so will ich ein Narr sein!

Du bist einer, entgegnete Voland; denn wirklich habe ich mich endlich bekehrt; das Lyrisch-didaktische sagt mir zu; ich habe eben ein herzinniges Lied gemacht!

So werde ich irre an dir! rief Georg; wirst du mir es vergönnen, dich als Dichter zu bewundern?

Ich fühle, erwiederte Voland, schon in allen meinen Gliedern die Dichtereitelkeit jucken, heraus muß es, wie der Korkstöpsel vor der fixen Luft; denn das Zerplatzen ist kein Spas.

Er hob sich im Sattel aufrecht empor, und begann vorzutragen:

Es wuchs des Wurmes Keim
In Gährung und in Leim;
Bis ein Lebend'ges wabbelt,.
Im Sonnenscheine krabbelt.

Wenn es nun recht im Gang,
Fühlt es den Sehnsuchtsdrang,
Nach Oben und nach Unten,
Bis Liebchen es gefunden.

Die Augen thät's verdreh'n!,
Und in den Himmel seh'n;
Der Gotteshuld gewärtig
Wird neues Leben fertig.

Doch giebt's nicht nur ein Frei'n;
Auch will gestorben sein;
Es hofft zum bessern Leben
So engelhaft zu schweben.

Doch wie ein lust'ger Schmaus,
Ist auch mein Liedchen aus,
Wie des Natur uns lehret,
Wird Wurm vom Wurm verzehret.

Du bist ein Lästerer! rief Georg; und dein Lied ist abscheulich.

Bedanke mich für gnädige Recension! versetzte lachend der Doctor.

Georg blickte forschend nach der Ferne hin; endlich fragte er: zeigen sich nicht dort Kuppeln von Moscheen mit unzählichen Minarets? –

Es ist Schiras, versetzte der Doctor, wo der Dichter Hafiz einst geschmachtet, geliebt und prächtig genossen hat.

Bald zogen Schaaren von Reitern, bald Caravanen mit schwerbeladenen Kameelen, bald betende Derwische an ihnen vorüber.

An einer Menge großer, lieblich verzierter, blühender Gärten vorbei, gelangten sie endlich in der Stadt, und in der besten Karawanserei darinnen an.

Ein gesprächiger Aufwärter hatte bald ihre Pferde versorgt, und brachte ihnen nunmehr in ihr Gemach Teppiche, Zuckerkuchen, Kaffee und Tabackspfeifen, und hockte sich zu ihnen wie ein Kameel auf seine Fersen hin.

Ya! Ali, sagte der Doctor vor sich hin.

Das ist sehr brav von euch, begann munter der Perser, daß ihr nicht zu dem verfluchten Omar gehört; euch soll kein persischer Löwe ein Leid zufügen! – Wißt ihr was Neues? –

Das wollen wir von euch wissen, versetzte Georg.

Oh! bei uns giebt es in diesen Tagen viel zu laufen, zu hören, zu rennen, zu sehen! Ya, Ali! ihr seid Kinder des Tags, daß ihr zu dieser Zeit nach Schiras kommt! Die Weisheit unsers Königs gedenkt die schönste seiner Töchter, sein Busenkind, zu verfreien.

Wie Viele bewerben sich um ihre Hand! Armenische, türkische, arabische Prinzen, ja! Fürsten aus allen Weltgegenden sind hierher gekommen, um diese Rose in ihre Heimath überzupflanzen.

Denkt nun, welches Licht der Weisheit das Haupt unseres Königs überstrahlt hat! Um Keinem von diesen Fürsten wehe zu thun, und dennoch dem Fürsten Oalla, dem Khan von Kurdistan, welchem er vor allem deswegen wohl will, weil er der trefflichste Roßtummler und Speerwerfer ist, seine Tochter gewinnen zu lassen, hat er einen Ferman ausgehen lassen: daß derjenige, welcher auf des Königs wildestem Rosse dreimal im Kreise umherreite, indem er ein vorgestecktes Ziel mit dem geschleuderten Wurfspieße treffe, sein Eidam werden solle. Nun merkt euch, der König hat ein edles Roß, welches aber, außer dem Khan von Kurdistan, Niemand bändigen und reiten kann, und daß Niemand, außer ihm, bessere Speerwürfe jemals vollbracht hat; und nun rathet einmal, wer mit dem weißbestäubten Barte glücklich Schiras gazellenäugige, rosenwangige, und schneeüberleuchtete Fürstin als seine Braut heimführen wird?

Morgen aber ist der Tag des großen Wettkampfes! Das wird eine Herrlichkeit sein!

Freund, sprach der Doctor zu Georg, hier ist Gelegenheit, unser Tagebuch mit dem schönsten Abenteuer, welches nur je einem irrenden Ritter widerfahren konnte, zu bereichern! – Du mußt dem edlen Khan von Kurdistan die Braut abgewinnen!

Das will ich und kann ich nicht! versetzte Georg; wie sollte ich mir selbst und meiner Liebe je untreu werden? Hättest du je Aquilina gesehen, du würdest von einem solchen Antrage geschwiegen haben.

»Nun,« antwortete der Doctor, »ist doch das Kind gleich außer sich! und übrigens dürfte eine wirkliche Prinzessin, zumal wenn sie schön ist, immer noch annehmbarer sein, als eine Traumprinzessin; so wie eine gebratene Taube, welche ich vor mir wahrhaftig auf dem Teller liegen habe, mir wenigstens lieber ist, als eine, von welcher ich träume, und an deren Brust die Devise: »friß mich nur nicht!« meinen Hunger nicht stillt. Uebrigens ist es ärgerlich, daß jeder Mensch, in einer Hinsicht wenigstens, seinen Antheil Wahnwitz hat, selbst den verständigsten nicht ausgenommen! Daß du aber deine Narrheit an einem Stückchen Metall und Stein, wie dein Ring ist, auslassest, wird mich ewig kränken. Wenigstens hätte ich schon längst versucht, was denn eigentlich dahintersteckt. So eine ungewisse Lage ist das Langweiligste, was ich kenne! Schlimmsten Falles aber würde sich das hübsche Gespenst, nach deinem eigenen Vorgeben, in ein niedliches Menschenkind verwandeln, mit welchem sich eher ein verständiges Wort reden ließe. Georg! wir wollen uns darüber nicht zanken, aber dieses Abenteuer laß nicht hingehen; nur des Spaßes halber nicht. Ich weiß, daß dir in solchen Künsten, wie Reiten, Schießen, Schleudern, Fechten und was dem mehr ist. Niemand gleich kommt. Denkst du denn, der König würde dir, dem Fremden, seine Tochter zum Weibe lassen? – Wenn du obsiegst, so gilt es nur ein Wort und wir gehen wieder, wohin uns eben der Sinn steht!« –

Wie soll ich mich dem Könige vorstellen? und wird er mir die Mitbewerbung um seiner Tochter Hand gestatten? versetzte Georg.

Laß dieses meine Sorge sein, bedenklicher Mensch, entgegnete Voland; morgen früh gehe ich als dein Gesandter zu ihm und das Uebrige wird sich geben.

So schien Alles abgemacht und Georg war, durch einen gewissen Hang zu Abenteuern, welchen der Doctor aufzureizen und zu leiten wußte, hingerissen; durch eine rücksichtslose Herzensgüte, welche zumal Bekannten und Freunden nicht gern zuwider sein mochte und durch eine unbedingte Dankbarkeit, welche er der wahrhaft fürstlichen und zugleich höchst zarten Großmuth seines Gefährten schuldig zu sein glaubte, zu jedem Gegendienste bestimmt; jetzt nur ein Vasall, ein Werkzeug dieses zweideutigen Menschen. Während sich Beide heimlich über ihren Plan besprochen hatten, war der alte Perser wieder abgetreten. Jetzt bekamen sie neue Gesellschaft. Ein kleiner, gelber, kahlköpfiger Derwisch kam herein. Nachdem er viele unverständliche Worte vor sich hergemurmelt hatte, trat er dicht vor dem Doctor Voland hin und sprach: »Ali befiehlt dir durch mich, seinen Knecht, mir sogleich die Summe von tausend Tomans auszuzahlen! Darum ist es jetzt Zeit für dich, die Schnuren deines Beutels zu ziehen und freigebig zu sein! Hädsch! Hädsch!« – Ein dort gebrauchlicher Laut, durch dessen widerliche und fortwährende Wiederholung diese Leute sich das geforderte Almosen zu erpressen wissen.

Und wenn ich dir nun nichts geben mag, versetzte der Doctor. »So bleibe ich hier so lange, bis du dennoch tausend Tomans mir bezahlst.« So bleibe, verrücktes Unthier, rief der Doctor, bis zum jüngsten Tage. –

Alsbald hockte der Derwisch an der Thüre sich nieder auf seine Fersen und begann mit häßlicher Stimme in Einem fort das: »Hädsch! Hädsch!« abzuschreien.

Vergeblich bot ihm Georg nach einer Weile seinen Geldbeutel an; der Derwisch aber zeigte auf den Doctor, welcher, ruhig seine Pfeife schmauchend, ihm gegenüber saß, und schrie ohne abzusetzen in Einem fort mit kreischender Stimme seinen widerlichen Laut.

Voland! sprach Georg, indem er sich auf das Lager streckte, schaffe das Ungethüm fort; ich möchte gern ein wenig schlafen.

Laß ihn doch! entgegnete dieser; mich hat lange Zeit nichts so, wie diese Creatur, erquickt! dieses Ebenbild Gottes! Willst du aber schlafen, so drücke die Augen zu, der Kerl soll aufhören zu schreien! Sogleich reckte auch Voland seine Pfeifenspitze hinüber zum Derwisch, machte ihm ein Zeichen vor dem Munde und sprach:

Reiß das Maul nur hin und her,
Schalls und Unsinns sei es leer!

Wüthend geberdete sich der Derwisch, wie sehr er aber auch seinen Mund aufreißen mochte, so konnte er doch keinen Laut mehr von sich geben.

Georg lachte und sagte: »Doctor! mit diesem Kunststücke könntest du dich bei manchem Cabinette empfehlen; du bist ein geborner Minister, wenn du die Schreier im Volke stets so zur Ruhe bringen könntest! – Man sollte aber einen solchen Derwisch nach Deutschland schicken und sein Lebelang durch alle Städte, Dörfer und Weiler: Einheit! Einheit! schreien lassen; vielleicht brächte die Unvernunft die Leute zur Vernunft!

»Das wäre zum Ueberfluß,« versetzte Voland; »denn wär's mit Schreien abgethan, so hätte es dort nicht daran gefehlt.«

Nach einer Weile schlief Georg endlich ein. Wie er aber um Mitternacht einmal wieder erwachte und die Augen aufschlug, sah er immer noch den Derwisch an der Thüre kauern, einem chinesischen Pagodenbilde gleich, mit dem Kopfe beständig wackelnd und die Augen verdrehend und mit grimmig höhnendem Gesichte Voland ihm immer noch gegenübersitzend.


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