Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Wer einmal in Berlin ist, darf es nicht versäumen, die einzigen Denkmäler an den Befreiungskrieg – die Bildsäulen Scharnhorsts, Bülows und gegenüber das Standbild Blüchers anzusehen.

Man kommt fürwahr in Verlegenheit, was man an diesen herrlichen Gebilden der Bildhauerkunst mehr bewundern soll, ob die königliche Großherzigkeit, welche so hoch Preußens Helden zu ehren suchte, ob den Meister, welcher sie schuf, ob die Helden selbst, welche in ihnen gefeiert sind? –

Vor Blüchers eherner Bildsäule befand sich Georg schon seit einer Stunde. Er war diese ganze Zeit über um das prächtige Kunstdenkmal wie ein Böttcher um sein Faß herumgestiegen; jetzt aber stand er schon seit geraumer Zeit still und hielt sein Auge auf das umgeworfene und zersprungene Geschütz, worauf der eherne Feldherr seinen linken Fuß gesetzt hat, länger hingeheftet, als man hätte erwarten mögen.

Georg gehörte, wie der günstige Leser bereits schon vor längerer Zeit bemerkt haben wird, zu denjenigen Leuten, welche bei irgend einem Gegenstande allgemeiner Meinung zuweilen so lange den Kopf hin und her neigen, bis ihn irgend eine unvorhergesehene Ohrfeige wieder ins Gleichgewicht bringt.

Man kann diese Leute um so leichter aus Tausenden herausfinden, je mehr die ganze Menge für einen Gegenstand zugleich sich begeistert zeigt. Man kennt diese Menschenart alsbald an einem gewissen schalkischen Lächeln, das aber fast immer zugleich freundlich sich ausnimmt, und ihr wohl ansteht. Ja, diese Leute lassen sich bei dem vielstimmigen Ausrufe: »Prächtig! Göttlich! Bravo! Hurrah! Vivat!« und dergleichen Begeisterungsaccenten mehr, an jenem verdächtigen: »Hm! Hm!« – das beinahe wie ein heimliches Husten klingt, heraushorchen, wie falschklingende Saiten mitten aus den andern Tönen. – Wenigstens hörte Schreiber dieses Kennzeichen Uebelwilliger von einem Polizeidirector für untrüglich erklären.

Georg aber hatte außer diesem berüchtigten: »Hm! Hm!« noch eine andere Untugend, welche er bis zu seinem seeligen Ende sich nie so recht abgewöhnen konnte! – Es war nämlich in seinem Gedächtnisse eine Menge von Versen und abgerissenen Gedanken gleich einzelnen Ausreißern, welche bei einem großen Heerdurchzuge in einem Flecken zurückbleiben und sich dort auf einige Zeit versteckt halten, auch beim Durchlesen aller der verschiedenen Bücher, in seinem Gedächtnisse sitzen geblieben. Bei vorkommender Gelegenheit, oder wenn es ihm sonst belieben mochte, kamen diese Gedanken aber, wie Minerva aus Zeus Haupte, mit Ober- und Untergewehr hervorgesprungen.

Georg ließ eben jetzt, wie er so hier stand vor dem Meisterwerke Rauchs, und das zersprungene Geschütz ansah, nicht nur seinen Kopf herüber und hinüber schwanken, sondern auch bereits schon das confiscirte: »Hm! Hm!« hören. Endlich begann er mit sich selbst zu sprechen: Oft in stiller Winternacht erzählte man sich daheim bei mir von singenden Blutstropfen, die im Grase liegen. Es ist ein altes Mährchen, und das wird immer wieder neu und ich weiß von einem Herzen in Deutschland, das noch heute blutet, von einem glühend heißen Dolchstoße! – Und ich kenne eine Geschichte von einem alten Manne, der auf Böhmens Bergen steht, auf die Straße hinausschaut, und das Haupt lange schüttelt, als ließe man ihn einen harten Gang gehen; – eine traurige Geschichte von Leuten, die aus seinem Becher getrunken, und aus seiner Schüssel gegessen. und ihn doch – –

Während Georg hier stand, waren schon seit einiger Zeit vom Wachtgebäude her mehrere Lorgnetten und Operngucker auf ihn verhängnißvoll gerichtet. Jetzt wurde er mitten im Flusse seiner Rede von einer Nachtwächtersschnarre unterbrochen, mit den Worten: man hält wohl hier dem großen Blücher eine Standrede? –

Georg hatte bei dieser Anschnarrung den Kopf gewendet, und sah einen alten Soldaten mit einem schneeweißen Waterlooschnurrbarte, über welchem ein unheilkündender Nasencomet feuerroth herunterdrohte, hinter sich stehen, hinlänglich gerade und steif, um weiland Ziethens Haarzopf zu symbolisiren.

Um Georgs Mund zuckte ein Lächeln – es wird ihm theuer zu stehen kommen! – Der freundliche Leser möchte ihm gewiß den Mund zuhalten, wenn er ihn jetzt also sprechen hört:

Wackerer Befreiungsmann – denn das eiserne Kreuz, welches Sie an der Brust und Deutschland auf dem Rücken tragen, kenne ich wohl – Sie wollen mir und meiner Rede ein paar lebendige Ohren leihen, statt daß ich bis jetzt, wie die Weltgeschichte, nur mit metallenen zu thun hatte?

Theuerster Freund, Sie machen mich sehr glücklich; denn selten gelingt es unsereinem, Gedanken an den Mann zu bringen. Ich bin nicht wie jener mit seinem Schnupftabacke im enghalsigen Fläschchen, woraus er mir selbst eine Prise zuweilen sich aufschüttete, eben so mit meiner Meinung zur Ungebühr zurückhaltend, zumal gegen gediente Leute, welche Ideen zu schätzen wissen.

Aus dem Gewitter, welches im Gesichte des Alten brannte, zuckte noch einmal ein heller, freundlicher Sonnenblick. Georg fuhr nun ruhig fort: Sehen Sie, mein Herr! dort oben das gewaltsam zertriebene und gewissermaaßen mit Füßen getretene Geschütz? – Es erinnert mich auch an ein gewaltsam Zerrissenes – nicht sowohl an Polen und Sachsen, als vielmehr an eine weiße Heerde – Schaafe waren es gerade nicht – welche man nach geschehener Justifizirung der störrigen Leithammel Stück für Stück abzählte und trotz allem Blöcken die eine Hälfte von der andern hinweg, und in einen neuen Stall eintrieb. Daran denke ich, mein Herr! – und dann an ein Lied, welches ich irgendwo gehört habe, und hierauf einigen Bezug hat.

Der schnurrbärtige Horcher machte höchst verdächtige Augen und sagte: dieses Lied – Gott soll mich – muß scharmant sein!

Wäre auch Georg auf einer Pulvermine gestanden und hätte dieses Lied selbst einer Lunte gleich, sobald es ausgesprochen würd, gezündet; er hätte dennoch nach Gebühr vorgetragen.

Er lächelte nicht mehr und sprach in seiner Weise:

Erschossen liegen bei Namur im Sand
Wohl wackere Leut' aus Sachsenland.

Sie wollten nicht weichen vom Sachsenpanier,
Erschossen liegen die Braven hier.

Und gingen die Andern in's himmlische Haus;
Der Eine steigt Nächtens vom Grab heraus.

Er sitzt auf dem Hügel in tiefem Schmerz,
von Kugeln das treue Herz.

Er singet mit knöchernem Todtengesicht:
Ich fürchtete eure Kugeln nicht!

Dem Sachsenkönige galt mein Eid;
Ihn hab' ich gehalten zu aller Zeit.

O, Vaterland, daß du zerrissen bist!
Wie könnt' ich noch schlafen zu dieser Frist?

Die Trommel schlug ich in mancher Schlacht,
Dürft' ich sie rühren in solcher Nacht!

Mußte denn Alles brechen entzwei,
Mit dem deutschen Reiche die deutsche Treu?

So singet Nächtens auf Namur's Sand
Der todte Tambour vom Sachsenland.

Nachdem sich also Georg sein Herz erleichtert hatte, wandte er sich um – denn er hatte gewissermaaßen dieses Lied zu der ehernen Statue emporgesprochen, – um in das Gesicht des Befreiungsmannes zu blicken. Das schlug ihm fehl; denn dieser war nicht mehr zu sehen; dafür aber guckten ihm ein Doggengesicht mit herabhängenden Mundlefzen und grimmig umrunzelten Augen – und eine freundliche, stumpfe Bolognesernase – beiderseits beinahe menschlich anzusehen – über seine Schultern herein.

Georg erschrack über diesen Spuck nicht wenig, faßte sich aber bald, wie er bemerkte, daß diese Gesichter zwei Polizeisoldaten angehörten, welche jetzt zugleich, der eine in tiefstem Basse – der andere in der höchsten Fistel, ihn anschrieen: Er ist unser Arrestant! –

Georg brach in ein lautes Lachen aus und sagte: meine Verehrtesten! womit bin ich denn bis jetzt einer wohllöblichen Polizei lästig geworden? – Man komme mit! – rief der Baß. Mach Er keine Umstände, bester Freund! schrillte die Fistel.

Wohlan! entgegnete Georg, wenn ihr Er's denn kein Mitleid mit einem armen, vom Lachkrampfe behafteten, Menschen haben wollt, so führt mich zum Verhöre! –

Georg schlenderte behaglich zwischen den Beiden, welche das Straßenpflaster taktmäßig feststampften, zum freundlichen Polizeigebäude hin; wo er denn glücklich ankam und eine unverdiente artige Behandlung und zugleich das alte eiserne Kreuz als seinen Angeber vorfand.

Da er sich durchaus mit keinem Passe als einen ehrlichen, brauchbaren Menschen ausweisen konnte, so verdankte er es allein seiner Aufwartung bei Hegel, – von welcher die thätige Polizei bereits benachrichtiget war, und dann der Artigkeit des Polizeidirectors, welcher ihn aus seinem Mährchen: »Die Fee Aquilina« als einen höchst unschuldigen, loyalen Dichterling bereits früher kennen gelernt hatte, – daß er dem Kerker entrann, und nur mittelst Schubpasses in seine Heimath spedirt werden sollte.

Georg bedankte sich für den milden Bescheid; die Dogge erhielt den Königl. Preuß. Schubpaß ausgehändiget, und nahm zugleich den ziemlich munteren Schubpäßler, in Gemeinschaft mit dem Bologneser in die Mitte. Gravitätisch ging es die Straße hinab auf das Brandenburger Thor zu – eine Menge hoffnungsvoller kleiner Berliner um sie herum, wie eine Heerde Krähe um einen Habicht. Selbst ein alter ruhiger Bürger, an welchem Arrestant vorüberzog, sagte bedenklich: »wieder so Einer! – Alles nach Köpenik; und wieder nichts geköpft!« –

Als Georg mit seinen Begleitern an das Thor kam, knurrte die Dogge höhnisch genug: weiß Er kein Verschen nicht dort auf die Victorie, die auch in Paris war? – Hä? –

O ja! sagte Georg, that seinen Mantel um, und war – verschwunden.

»Halt!« schrieen die Beiden, und rannten mit den Köpfen gleich zwei stößigen Böcken so hart gegen einander, als gälte es Hirnschädel zu zerbrechen. Sie prallten zurück, stierten sich mit thränenden Augen an, bis der Bologneser in die Worte stöhnend ausbrach: aber, Bruder Pommer, was war das? »Das war der Deuwel!« brummte die Dogge. Es giebt ja gar keinen nicht; besinne dich nur, Bruder Pommer! »Wieder wahr! – aber wo steckt man denn sonst. Gott sei bei uns?« Ich weiß nicht! »Ich auch nicht,« brummte der Halbriese; da ist nun der verdammte Schubpaß; was macht man mit dem? Bin ich doch neugierig, meinte der Kleine, was man zu dieser außerordentlichen – ja, erschrecklichen Begebenheit – sagen wird? »Sagen? brummte der Große – nichts! – was nicht in der Rubrik, und mithin außer Ordnung steht, ist gar nicht wahr!« – Doch! Doch! winselte der Kleine, nahm den Schubpaß nachdenkend in die Hand und hielt ihn der Dogge vor die Augen als eine flügge geworden Anweisung zu einer Königl. Preuß. Nase.

Also knarrte und rumpelte das bestürzte Paar gleich zwei Rädern, welche um die unbetheerte Achse am Kothwagen laufen, die wohlgepflasterte Straße hinauf, um höhern Ortes diese Begebenheit schuldigst anzuzeigen. – Daß in Berlin nur wenige Leute an die Wahrheit dieses Vorfalles glauben, ist gewiß. Diejenigen aber, welche in irgend einer Schnapsschenke etwa Gelegenheit hatten, den ehrlichen Pommer zu sehen und zu hören, wenn er auf diese Geschichte kam – was aber selten der Fall war – und die tausendfachen Betheuerungen derselben, welche in Bomben und Granaten von seinem Munde stoben, zu vernehmen, sind gewiß von der Wahrheit dieser Erzählung eben so gut überzeugt, wie der Aufzeichner dieser Geschichte selbst, welcher den alten Cerberus mit zwei Pfunden vom Beliebten zum Erzählen brachte; denn nur sehr ungern geht er daran, über diese Affaire – so nennt er diese Begebenheit – sich auszulassen. – Der damalige Gefährte des Pommers, der sogenannte Bologneser, ist aber überhaupt zu klug, als daß er von Polizeiangelegenheiten anders, als mit Achselzucken sprechen sollte. Schade, daß der Waterlooschnurrbart mit dem Leipziger Freudenfeuer darüber nur jenseits, wo die Allwissenheit keine Gedankenabhorcher mehr gebraucht, gesucht werden muß!

Der freundliche Leser wird hieraus sehen, welche große, vielleicht undankbare Mühe, gegenwärtiger Lebensbeschreiber hatte, die allerwärts zerstreuten, oft kaum zugänglichen Zeugen, zu einer Beweisführung zum ewigen Gedächtnisse abzuhören; und wie oft er zum Magnetismus und der Hellseherei seine Zuflucht – mit Aufopferung seiner Gesundheit nehmen mußte! –


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