Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Einunddreißigstes Kapitel.
Schluß.

Einige milde Tage der ersten Hälfte des Februar-Monats hatten die winterlichen Fesseln des Missouri gesprengt; die Eismassen waren in Bewegung gesetzt worden, und wenn auch sogleich wieder heftige Kälte nachfolgte, so genügte diese doch nicht mehr, den Schollen, die von der heftigen Strömung des majestätischen Flusses in beständiger kreisender Bewegung erhalten wurden, ein nachdrückliches »Halt« zu gebieten.

Auf dem stillen Wasser in den Biegungen, zwischen den rastenden Schollen bildeten sich freilich sehr schnell wieder verbindende Eiskrusten, sie wurden aber nicht lange genug ungestört gelassen, um so sehr an Stärke und Tragfähigkeit zu gewinnen, daß sie als der erste Aufgang zu einer neuen Überbrückung hätten dienen können. Es brauchten sich nur einige Schollen, im Vorbeischwimmen, von leichteren und schnelleren Gefährten gedrängt, zu überschlagen, so geriet der ganze Zug in Unordnung, die an den Seiten schwimmenden Eisblöcke wichen aus ihrer Bahn und mit unwiderstehlicher Gewalt in die stillen Einbuchtungen hinein, und krachend und knirschend schob sich das kaum zu einer festen Lage gelangte Eis übereinander, dem Frost es anheimstellend, einen neuen Versuch des Zusammenschmiedens der beweglichen Masse zu unternehmen.

Der Missouri selbst sah zu dieser Zeit aus, als wenn ihm ein prachtvoller Schmuck angelegt worden wäre. Sein Wasser erschien zwar noch gelber und trüber, gegen die blendend weißen, von einer Schneelage bedeckten Eisfelder, die nicht gerade einige Male untergetaucht waren und im Umwälzen den Schnee von sich abgewaschen hatten, dafür war aber auch nur sehr wenig vom Wasser selbst zu sehen, und wo es kleine Zwischenräume zwischen Schollen und Blöcken ausfüllte, da schäumte und wirbelte es so wild durcheinander, als sei es förmlich in Wut geraten über die schweren Lasten, die es zu tragen hatte.

Ja, die Lasten waren schwer, unermeßlich schwer, aber die Wogen des Missouri sprangen mit um, als seien es nur Schneeflocken gewesen. Hierhin und dorthin warf er die Schollen, daß es krachte und zischte. Bald rieb er die Blöcke wie Mühlsteine aneinander, bald türmte er sie übereinander auf, bis sie durch die eigene Schwere wieder in die Tiefe hinabgeschleudert wurden; und wenn sich endlich sogar einige Treibholzstämme zwischen ihnen befanden, dann zeigte er so recht, welche unwiderstehliche Kraft in ihm wohnte.

Gleichviel, ob hundertjährige Stämme oder schlanke Schößlinge, er spielte damit, wie mit ebenso vielen Strohhalmen. Hinauf auf die Oberfläche der sich wälzenden Masse warf er sie, wo sie so oft meilenweit, wie kolossale hundertbeinige Spinnen, herumtanzten, bis der bewegliche Boden sich endlich wieder unter ihnen öffnete und sie dann ohne Gnade und Barmherzigkeit in die schauerliche Tiefe hinabgezogen wurden.

Mit scheinbarem Widerstreben folgten die Bäume dem mächtigen Drucke; trotz heftigen Zuckens und Schwingens sanken sie tiefer und tiefer, und wenn dann nur noch einige Zweige über der Oberfläche emporragten, dann hätte man sich zum Mitleid können bewegen lassen, so viel Ähnlichkeit trugen sie mit lebendigen Geschöpfen, die sich gegen das unabwendbare Verderben sträubten und, Hilfe und Rettung erflehend, ihre Arme gen Himmel reckten.

Andere Bäume tauchten auf; andere Eisblöcke stürmten auf sie ein; mächtige Stämme und Äste knickten und zersplitterten wie dürre Reiser; auf den äußersten Rändern der größeren Schollen bildeten sich durch den beständigen Zusammenstoß regelmäßige Wälle von zerriebenen Eiskristallen; wo aber in den Biegungen des Flußbettes der Hauptkanal der Strömung gerade gegen das eine oder das andere Ufer prallte, da gewann es den Anschein, als ob der Missouri die seinen Lauf hemmenden natürlichen Erdwälle mittels seiner wuchtigen Eisladungen habe zertrümmern wollen. –

Der Eisgang mit seinem drohenden Poltern, Brausen und Rauschen nahm sich in der Tat prachtvoll aus, doch von keiner Stelle aus so schön, wie von dem freien Platz vor Newforts FarmS. Möllhausen, Der Halbindianer., ungefähr sechs englische Meilen südlich von der Stadt Kansas gelegen, und zwar in den späten Nachmittagsstunden eines kalten und trüben Februartages, als das Tageslicht eben zu schwinden anfing.

Der eigentümliche Kontrast zwischen dem Strom selbst und seiner Einfassung trug nicht wenig dazu bei, den Reiz des ganzen Bildes noch zu erhöhen; denn wenn auf der einen Seite die Natur sich in ihrer wildesten Aufregung zeigte, so lag auf der andern Seite wieder eine Szene erhabener, feierlicher Ruhe, so erhaben und feierlich, wie sich eine Szene nur immer unter einer tiefen gleichmäßigen Schneedecke ausnehmen kann.

Es hatte angefangen zu schneien, doch fielen die Flocken noch nicht so dicht, daß man den Missouri nicht zu überblicken vermocht hätte, oder daß sogar die einladenden massigen Rauchsäulen, die den Schornsteinen der abwärts liegenden Hütten und Häuser lustig entstiegen, durch sie verschleiert worden wären.

Außer einigen Hunden, die, auf einem Haufen dürrer Blätter liegend, durchaus nicht abgeneigt schienen, sich ruhig einschneien zu lassen, war kein lebendes Wesen in der Umgebung der Wohnungen der Menschen sichtbar. Jeder hatte sein Tagewerk vollbracht; Pferde und Rinder standen vor vollen Raufen, Hühner und Tauben hatten schon auf ihren Gerüsten die Köpfe tief eingezogen oder unter die Flügel gesteckt, das erforderliche Brennholz war vor den entsprechenden Kaminen aufgetürmt worden, so daß eigentlich niemand mehr einen Grund hatte, sich an diesem Abende noch einmal, wenn auch nur auf kurze Zeit, der behaglichen Winterruhe zu entschlagen.

Da öffnete sich plötzlich die Tür des Herrenhauses, und zwei alte runzelige Negerphysiognomien wurden sichtbar, die sich unter der grauen Wolle auf ihren Häuptern ausnahmen, als hätten sie eng anschließende Mützen von blauem Astrachanpelz über die Ohren gestreift.

Die Kälte schien ihren blauschwarzen, durch den Einfluß der scharfen Luft grau angelaufenen Gesichtern sehr empfindlich zu sein, denn als sie die Straße hinaufspähten, von woher gewöhnlich die besuchenden Fremden auf der Farm eintrafen, liefen ihnen die hellen Tränen über die vorspringenden Backenknochen, während sie die polsterähnlich aufgeworfenen Lippen nach besten Kräften einzogen und zwischen die Zähne klemmten.

Nachdem sie ungefähr eine Minute lang um die Ecke geschaut und sich mehrere Male in die dürren, knochigen Hände gehaucht hatten, nahm der eine von ihnen das Wort.

»Sambo,« begann er in etwas herablassendem Tone, »Sambo, mein Junge, was ist deine Ansicht über das Klima?«

»Hm, Ansicht über das Klima?« entgegnete der Angeredete, seine großen, hervorquellenden Augen prüfend zu dem trüben, einfarbigen Firmament aufschlagend, so daß die schwarzen Pupillen fast ganz von den oberen Lidern bedeckt wurden. »Ansicht über das Klima?« wiederholte er sinnend; »nun, ich denke, es wird schneien, das ist meine Ansicht.«

Washington warf einen geringschätzigen Blick auf seinen Gefährten, »du bleibst ein Knabe, und wenn du hundert Jahre alt wirst«, sagte er, indem er die Schultern zuckte; »erstens kann es nicht mehr zu schneien beginnen, weil es schon schneit, und zweitens wünsche ich deine Ansicht über das Klima im allgemeinen kennen zu lernen.«

Sambo sandte abermals einen Blick zum Himmel empor, hauchte sich in die Fäuste, die er dann, nicht ohne Mühe, in die Taschen seiner Beinkleider zwängte, worauf er, das eine Auge schließend und den ganzen Ausdruck in das andere, nur leise zusammengekniffene legend, mit schlauem Lächeln seinen Kameraden von der Seite anschaute.

»Über das Klima im allgemeinen?« fragte er zurück, »nun, ich denke, es ist ziemlich kalt hier.«

»Ganz meine Ansicht«, versetzte Washington nickend. »Was ist aber deine Ansicht über das Eis da drüben im Strome?« fragte er sogleich weiter.

Sambo kniff wieder das linke Auge zu, und indem er in ein herzliches Lachen ausbrach, antwortete er: »Ich denke, das ist ziemlich viel Eis!«

»Miß Schneeball, deine Gemahlin würde eine viel treffendere Antwort gegeben haben, trotzdem sie viel jünger ist als du«, versetzte Washington mit einem Anstrich von ungeheurem Selbstbewußtsein, seine in Tränen schwimmenden Augen schließend.

»Nur ein paar Jährchen«, entgegnete Sambo, und sein Gesicht strahlte bei der Erwähnung seiner Ehehälfte vor Entzücken; »beide von uns arbeiten auf die Siebenzig los, wenn ich nicht irre.«

»Noch Kinder«, sagte Washington, seine Füße trotz der Kälte weit auseinanderspreizend, mit unnachahmlicher Erhabenheit den Kopf zurückwerfend und die Arme über die herausgedrückte breite Brust kreuzend; »in der Tat, Kinder; haben kaum die Fünfzig hinter sich. Höre, mein Junge, es ist nicht zu verlangen, daß du alles wissen sollst, ich will dir daher meine eigene Ansicht über das Eis mitteilen: Ich denke, die Schiffe, die das Eis nach New Orleans bringen, machen auch in diesem Jahre wieder schlechte Geschäfte, indem dort jeder so viel Eis auffischen und in seinen Keller bringen kann, wie ihm beliebt, ohne auch nur einen Cent dafür zu zahlen.«

»Bei Gorge! daran habe ich noch kein einziges Mal gedacht«, versetzte Sambo verwunderungsvoll. »Merkwürdig, sehr merkwürdig,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »wir sind in der Louisiana so alt geworden, und dennoch haben wir nicht erlebt, daß der Mississippi so viel Eis herunterbrachte. Die Zeiten müssen sich geändert haben; wie denkst du darüber?«

Washington sann eine Weile nach; offenbar war es auch ihm unerklärlich, daß er in New Orleans nie einen derartigen Eisgang beobachtet hatte, trotzdem das Wasser des Missouri, wie er sehr wohl wußte, nach dem Golf von Mexiko hinunterströmte. Denn daß die mächtigen Blöcke und Schollen auf ihrer langen Reise nach der heißen Zone allmählich schwinden müßten, war ihm nicht eingefallen. Auch er hielt die Winter, die er nunmehr schon im Norden verlebt hatte, für ungewöhnlich strenge und grübelte nur darüber nach, auf welche Weise er seinen Gefährten den Grund dafür am besten und verständlichsten auseinandersetzen könne.

Seine selbstbewußte Haltung ging dabei allerdings verloren, denn er zog mechanisch seine Füße zusammen und schob seine Hände, nachdem er einige Male hineingehaucht, wie sein Kamerad, gemächlich in die Taschen.

»Sambo, mein Junge,« hob er an, »der Winter ist einfach nur deshalb so streng geworden, weil wir so weit gegen Mitternacht gezogen sind.«

»Ganz wie ich selbst dachte: weil wir gegen Mitternacht gezogen sind«, pflichtete Sambo bei, und einen Schritt zurücktretend, traf er Anstalt, sich nach der warmen Küche zu seiner Gattin, der berühmten Künstlerin Miß Schneeball, zu begeben.

»Ich denke, sie kommen nicht,« sagte er zähneklappernd, »es beginnt schon zu dunkeln, wären sonst gewiß schon hier; hu, Washington, sieh die Schneeflocken, wie sie schneller und dichter fallen, komm und schließe die Tür, es zieht; wir sind nicht mehr jung und Rheumatismus soll eine böse Krankheit sein.«

»Sie müssen kommen,« entgegnete Washington bestimmt, »es ist ein großer Tag heute, und Massa Lefèvre hat's versprochen. Er und der indianische Gentleman sagen stets die Wahrheit. Warte noch zwei und eine halbe Minute, und dann gehe ich mit.«

Sambo gehorchte, um aber die Kälte von sich abzuhalten, sprang er lustig von dem einen Fuß auf den andern, wobei er im Takt sang:

»Weit, weit in Alabama,
Mein guter Herr hieß Diel,
Besaß 'ne schöne gelbe Maid,
Man nannt' sie Lucy Niel.«Way down in Alabama,
My Massa's name was Deal,
He had a beauty yellow girl,
Her name was Lucy Neal.

Als Sambo aber so weit gekommen war, konnte Washington nicht länger widerstehen; auch er begann trotz seines hohen Alters in tanzender Weise den Takt mit den Füßen zu schlagen und fiel zugleich kunstgerecht in den Chor ein:

»Oh, Lucy, Lucy Niel,
Oh, arme Lucy Niel,
Wenn du jetzt lägst an meiner Brust,
Welch himmlisches Gefühl!«O, Lucy, Lucy Neal,
O, my poor Lucy Neal,
If you were only by my side,
How happy I should feel.

»Nichts zu sehen?« fragte Sambo.

»Nichts zu sehen!« entgegnete Washington, und ersterer begann wieder:

»Miß Lucy brach im Baumwollfeld
Die Samen von dem Stiel;
Und grade da verliebt' ich mich
In meine Lucy Niel.«Miss Lucy picked the cotton up
There in the cotton-field,
There was it where I fell in love
With my poor Lucy Neal.

Worauf beide mit dem wehmütigsten Ausdruck wieder den Chor ausführten:

»Oh, Lucy, Lucy Niel,
Oh, arme Lucy Niel,
Wenn du jetzt lägst an meiner Brust,
Welch himmlisches Gefühl!«

»Noch nichts zu sehen, Washington?«

»Noch immer nichts, mein Junge!«

»Wohlan:

»Ich wurd' verkauft, dieweil es hieß,
Ich hätt' gestohlen viel,
Das war die Ursach', daß ich schied
Von meiner Lucy Niel.«My massa sold me for he thought,
That I sometimes did steal,
That was the reason that I partet,
From my poor Lucy Neal.

»Washington!« rief eine silberhelle Frauenstimme aus einer der hinteren Stuben.

»Missis!« antworteten beide Neger zugleich.

»Noch nichts zu sehen?!«

»Nichts zu sehen als lauter Schnee, Missis«, hieß es zurück.

»Nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht erkältet!«

»Keine Gefahr, Missis! Junges Blut in alten Negern!«

Die Tür schloß sich wieder, Washington und Sambo schauten sich gegenseitig triumphierend an, indem jeder sich einbildete, daß die Teilnahme der Dame nur ihm allein gegolten habe, und sie standen eben im Begriff, diesen Punkt noch genauer zu erörtern, als ein klingendes Geräusch sie veranlaßte, ihre Köpfe aus der Tür zu stecken, wo sie sogleich durch die wirbelnden Schneeflocken und die Dämmerung hindurch zwei Reiter erkannten, denen ein großer, mit vier Pferden bespannter Schlitten nachfolgte.

»Sambo, spring hinein und sage, sie kommen!« befahl Washington mit einer Geberde, die keinen Widerspruch duldete.

Sambo sprang, so gut seine alten Glieder eben noch zu springen vermochten, nach der Tür hin, aus der die Frau des Hauses kurz vorher mit ihnen gesprochen, und rief mit freudiger Aufregung hinein: »Sie kommen!« worauf er die Tür wieder leise herandrückte.

Eine Bewegung entstand in dem Gemach, ehe aber noch jemand heraustrat, rief Washington nach rückwärts: »Sie kommen alle«, was Sambo wie eine Art von Echo sogleich in seiner früheren Weise nach der Stube hineinrapportierte.

»Ein ganzer Schlitten voll!« rief Washington.

»Ein ganzer Schlitten voll!« wiederholte Sambo durch die Türspalte.

»Und die Pferde schäumen mächtig!«

»Und die Pferde schäumen mächtig!« klang das Echo.

»Und Massa Lefèvre reitet an der Spitze!«

»Und Massa Lefèvre reitet an der Spitze!«

»Und die anderen folgen!« rief Washington, indem er die Hand an den Mund legte, um die wichtige Nachricht recht laut und deutlich an Sambo gelangen zu lassen.

»Und die anderen –« weiter kam der diensteifrige Sambo nicht, denn die ganze Gesellschaft, die schöne junge Frau des Halbindianers an der Spitze, drängte sich ihm aus der Stube entgegen und erfüllte in der nächsten Minute die ganze Hausflur mit regem Leben.

»Sacré tonnerre, meine Tochter!« rief eine fröhliche Stimme aus dem Schneegestöber der jungen Frau entgegen, als diese sich aus der Tür neigte, um einen Blick auf die Ankommenden zu erhaschen; »ist kein Wetter für Euch, den Leuten entgegenzueilen. Werdet Euch den Schnupfen holen!«

»Grüß Euch Gott, Vater Lefèvre!« rief die junge Frau dem Trapper statt aller Antwort zu, »grüß Euch Gott, bringt Ihr alle?«

»Sapristi! Alle, groß und klein; hätte sie alle gebracht, und wäre ich genötigt gewesen, die ganze alte Schmiede auf den Schlitten zu laden!«

In diesem Augenblick fuhr der Schlitten vor, und indem die in diesem verpackten Leute von den hinzuspringenden Männern und schwarzen Dienern aus Pelzen und Decken herausgewickelt wurden, folgte eine gewaltige Reihe von gegenseitigen Begrüßungen, Erkundigungen und freudigen Ausrufen. Innigste und aufrichtigste Freude erfüllte alle, und das Wiedersehen wurde von allen Seiten als ein frohes und ungewöhnliches Fest betrachtet.

Franziska Newfort, die sich scheute, in den Schnee hinauszuwaten, weil sie von ihrem Gatten, ihrem Vater und ihrem Schwiegervater zurückgedrängt worden war, stand in der Haustür, um die Ankommenden, indem sie eintraten, einzeln zu bewillkommnen.

»Guten Abend, Mrs. Bigelow!« rief sie aus, als eine rührige Frauengestalt die sie verhüllende Decke zurückwarf und beide Arme um ihren Hals schlang.

»Guten Abend, Elisa!« fuhr sie fort, die eine freie Hand einem blühenden achtzehnjährigen Mädchen, das seiner Mutter auf dem Fuße nachfolgte, entgegenstreckend.

»Gleich, gleich, Meister Bigelow!« rief sie sodann dem ehrenwerten Schmied zu, der, zwischen dem alten Andree und dem vormaligen Pflanzer dahinschreitend, sich an die junge Frau heranzudrängen suchte; »gleich, Meister Bigelow, stehe ich zu Euren Diensten, laßt mich nur zuerst die lieben Gesichter hier ordentlich betrachten; Eure Gattin ist noch immer unverändert, wie Shakespeare sagt,« fügte sie mit einem fröhlichen Lachen hinzu, »und Elisa, Eure Tochter, wird mit jedem Tage schöner und blühender.«

»Elisa, die Tochter, muß noch viel schöner und blühender werden, wenn sie nur halb so schön und blühend sein soll, wie Elisa, die Mutter, in ihren jüngeren Jahren gewesen, wie Shakespeare gewiß gesagt haben würde, wenn er beide gesehen hätte«, antwortete Meister Bigelow, der endlich einer Hand der jungen Frau habhaft geworden war und sie herzhaft zwischen seinen beiden harten Fäusten drückte.

»Er bleibt ein alter verliebter Bursche, solange er lebt«, fügte Mrs. Bigelow entschuldigend hinzu, indem sie einen überaus zärtlichen Blick auf ihren lustigen Gatten warf.

»Hinein, hinein! Immer vorwärts, oder wollen wir uns alle den Rheumatismus holen?« rief jetzt Andree in seinem noch immer sehr mangelhaften Englisch aus, wobei er die vier jüngeren Kinder des Schmiedemeisters an sich vorbeischob und dann die Damen aufforderte, zu folgen.

Der Zug setzte sich sogleich in Bewegung, aber freilich sehr langsam, weil jeder der Hausbewohner einen der Freunde in Anspruch genommen und sich mit ihm in eine lebhafte Unterhaltung vertieft hatte.

Washington und Sambo beschlossen den Zug. Die beiden alten Knaben strahlten vor Entzücken, denn Meister Bigelow und seine ganze Familie hatten ihnen die Hand geschüttelt, sich auf das schmeichelhafteste über ihr munteres Aussehen ausgesprochen und sich sehr angelegentlich nach Miß Schneeball und allen Kindern und Kindeskindern erkundigt.

»Hast du gehört?« fragte Sambo, seinen Mund Washingtons Ohr nähernd.

»Ich höre immer alles«, versetzte der Angeredete pathetisch.

»Ich meine aber, daß Massa Andree dieselben Ansichten über Rheumatismus hegt, wie ich; wolltest mir nicht glauben, als ich sagte, Rheumatismus sei eine böse Krankheit.«

»Etwas, das jedes Kind weiß«, versetzte Washington, den Kopf emporwerfend.

In diesem Augenblick erhellten sich die Züge der beiden Neger noch mehr, ihre Mundwinkel zogen sich fast zu den Ohren hinüber, und wenn sie auch ihre Köpfe noch immer geradeaus hielten, so drehten sie doch wie auf Kommando ihre dicken Augäpfel so weit nach der rechten Seite hinüber, daß die schwarzen Pupillen fast ganz verschwanden, wobei sie sich gegenseitig mit den gekrümmten Ellenbogen heftig anstießen.

Auf der linken Seite der Flur, vor der hintersten Tür, war nämlich der Zug ins Stocken geraten, indem die Hausbewohner ihre Gäste zum Eintreten nötigten. Während nun die Aufmerksamkeit aller auf den einen Punkt gerichtet war, hatte sich die gegenüberliegende Tür leise geöffnet, und in ihr erschien, zu Washingtons und Sambos größtem Ergötzen, die von Neugierde getriebene Miß Schneeball in höchsteigener Person.

Ihr Haupt bedeckte, so daß von der Wolle nicht die Probe hervorlugte, ein mächtiger Turban, den sie von einem großen feuerfarbig und gelbgeblümten baumwollenen Tuch hergestellt hatte. Ein Tuch von derselben Farbe umgab ihre Brust und Schultern, an das sich eine Schürze von tadelloser Weiße anschloß. In die Bänder der Schürze war der Griff eines mächtigen blitzenden Vorlegemessers geklemmt worden, so daß die Klinge wie ein kurzes römisches Schwert vor ihr niederhing, während ihre rechte Hand mit scherzhaftem Drohen eine noch mit Mehlteig geschmückte Kelle ihrem Gatten und Washington entgegenschwang.

Ihre schwarzen gerunzelten Züge schwammen in Glückseligkeit und erhielten einen um so freundlicheren Ausdruck, weil sie, wahrscheinlich in der Eile, die Fremden zu betrachten, mit der mehligen Hand ihrem Gesicht zu nahe gekommen war und die eine Wange zur Hälfte weiß gefärbt hatte.

Als die ganze Gesellschaft eingetreten war, und Washington, rückwärts schauend, ihr noch einen Kuß zuwarf, drohte sie noch einmal schäkernd mit der Kelle, worauf sie die Tür wieder leise zuschob. Sambo aber fand noch gerade Gelegenheit, seinem Freunde Washington, für die seiner geliebten Miß Schneeball erzeigte Höflichkeit, in einer kleinen Anwandlung von Eifersucht in die Rippen zu stoßen und ihm triumphierend zuzuflüstern:

»Eine prachtvolle Dame, die Miß Schneeball, ich hoffe, sie wird mit ihrer Kunst heute Ehre einlegen.«

Washington nickte herablassend, und mit bescheidenem Wesen begaben auch sie sich dann zu den Herrschaften in das Gemach, um der etwa an sie ergehenden Befehle zu harren.

Nach Verlauf einer halben Stunde wurde die zahlreiche und geräuschvolle Gesellschaft um noch zwei Mitglieder vermehrt.

Lefèvre und sein unzertrennlicher Freund Wabasch traten nämlich ein. Ersterer hatte zur Feier des Tages sein Lederhemd mit einem sonntäglichen Rock vertauscht, letzterer dagegen, getreu der indianischen Sitte, sein Gesicht hochrot gefärbt, eine dunkelgrüne Decke um seine Schultern geschlungen und einen Busch Eulenfedern auf sein Haupt befestigt.

Sie wurden von allen Seiten wie Mitglieder der Familie bewillkommnet. Franziska schob dem alten Jäger sogleich einen bequemen Stuhl vor das hellflackernde Kaminfeuer, auf den er sich niederließ, wie jemand, der an dergleichen Aufmerksamkeiten schon seit langer Zeit gewöhnt ist, worauf er mit einem wohlwollenden Sacré tonnerre einen kleinen dreijährigen Knaben und ein zweijähriges Mädchen, beide mit blauen Augen und schwarzen Haaren, die sich frohlockend an ihn herandrängten, auf seine Knie hob. Wabasch dagegen verschmähte mit stoischer Ruhe den Stuhl, den Washington ihm, als einem »perfekten indianischen Gentleman«, mit einer höflichen Verbeugung anbot, und kauerte sich vor das Feuer auf den Teppich nieder, um seinem roten steinernen Pfeifenkopf mit dem langen phantastisch geschmückten Rohr die entsprechenden süßen Dampfwolken zu entlocken.

Des Halbindianers Frage, warum er seine Frau nicht mitgebracht habe, beantwortete Wabasch nur mit einem kurzen Kopfschütteln und der Bemerkung, daß sie sich da befinde, wohin sie gehöre; worauf Lefèvre beim heiligen Napoleon beschwor, daß alles Zureden an der Starrköpfigkeit des »Bären« scheitern würde, obwohl er überzeugt sei, daß die »Bärin« von Herzen gern einen Blick in die fröhliche Versammlung werfen möchte.

Der Halfbreed entfernte sich darauf schweigend, kehrte aber sehr bald mit Wabaschs Gattin zurück, die, eine solche Einladung vorhersehend, sich nicht weniger phantastisch als ihr gestrenger Herr geschmückt hatte.

Bescheiden kauerte sie sich an Wabaschs Seite nieder. Dieser aber beachtete sie nicht weiter, als daß er sie hin und wieder aufforderte, die niederbrennenden Holzscheite aufzutürmen.

Man war indessen schon zu sehr an die Eigentümlichkeiten des Indianers gewöhnt, als daß dergleichen hätte noch auffallen können. Es herrschte überhaupt unter allen Anwesenden eine solche ungebundene Heiterkeit, daß sogar der ernste Omaha aufzutauen begann und sich herbeiließ, kleine Neckereien an die Kinder zu spenden, die sich zuweilen heimlich an ihn heranschlichen und ihn an seinem Federbusch zupften.

Washington und Sambo schienen förmlich verjüngt zu sein, so sehr beeilten sie sich, es den Herrschaften an nichts fehlen zu lassen. Dabei vermieden sie aber sehr sorgfältig, beide zugleich die Stube zu verlassen. Nur abwechselnd begaben sie sich nach der Küche, um Miß Schneeball von allem in Kenntnis zu setzen, was bei den Herrschaften vorging, währenddem dann der Zurückbleibende um so aufmerksamer auf die allgemeine Unterhaltung lauschte, um im Hinterbringen von »wichtigen Neuigkeiten« (denn was die Verhältnisse der Familie Newfort betraf, war in den Augen dieser treuen Menschen ja das Wichtigste auf der ganzen Welt) den Kameraden wenn möglich noch zu übertreffen.

Als aber nach Beendigung der üppigen Abendmahlzeit der alte Newfort die Gläser noch einmal füllen ließ und sich anschickte, in wohlgefügter Rede die Wichtigkeit des Tages besonders hervorzuheben, da wichen Washington und Sambo nicht von der Stelle. Sie mußten beide hören, um sich gegenseitig in ihrem Vortrag bei Miß Schneeball ergänzen und das Gehörte recht wortgetreu wiedergeben zu können. –

Nachdem Newfort also mit wenigen, aber herzlichen Worten den Zweck der Zusammenkunft erläutert und von allen Seiten beleuchtet hatte, forderte er Franziska, die junge Gebieterin des Hauses, auf, zur Feier des Tages den letzten Brief ihres Bruders in Kalifornien vorzulesen.

Roberts Brief war nämlich schon vor mehreren Tagen zusammen mit einem Schreiben Sidneys an seine Eltern auf der Farm eingetroffen. Aus beiden ging hervor, daß in der nächsten Zeit auf Sanchez' Rancho im San Bernardinotal eine Doppelhochzeit gefeiert werden solle, und zwar schon so bald, daß es von seiten des unermüdlichen Lefèvre die größte Eile erforderte, den ehrenwerten Meister Bigelow und seine ganze Familie zu dem bestimmten Tage herbeizuschaffen.

Auf Newforts Aufforderung entfaltete Franziska daher den bezeichneten Brief, und während die Blicke aller Anwesenden an ihrem Munde hingen, trug sie die Worte ihres Bruders mit dem eigentümlich innigen Ausdruck vor, der so sehr ihrem ganzen Charakter entsprach.

siehe Bildunterschrift

Roberts Nachrichten betrafen ebensowohl seinen unzertrennlichen Freund Sidney wie ihn selbst und flossen über von Glück und freudiger Zuversicht. Welchen Eindruck sie aber auf alle Zuhörer machten, das stand klar und deutlich auf ihren Zügen geschrieben.

Hier falteten sich zwei Hände, während ein leises »Gott sei Dank!« unbewußt über die Lippen glitt; dort rannen Freudentränen über die Wangen einer besorgten Mutter; graue Häupter neigten sich in behaglich zustimmender Weise, während der Indianer seine Pfeife weiter zu rauchen vergaß und die beiden alten Neger im Übermaß ihres Entzückens sich bei jedem neuen Satz gegenseitig mit den Ellenbogen in die Rippen fuhren.

»– – – Ich sehe Euch alle in Gedanken, Euch und die liebe Familie Bigelow, wie Ihr an unserm Ehrentage auf der Farm versammelt seid und meinen Brief noch einmal hervorholt«, las Franziska, während Lefèvre vor sich hinmurmelte: »Beim heiligen Napoleon! der Junge hat recht.« »Ich vernehme im Geist die Segenswünsche, die Ihr uns und unseren holden Bräuten sendet, und an die sich die Hoffnung knüpft, bald wieder mit uns vereinigt zu sein.

»Die Zeit des Wiedersehens ist nicht mehr fern. Sobald die Frühjahrsstürme ausgetobt haben, treten wir unsere Reise auf dem Wasserwege an, und in der vierten Woche nach unserm Aufbruch sind wir bei Euch. – Unsere Pläne für die Zukunft sind gefaßt; Sidney beabsichtigt sich in der Nähe von seines Vaters Schmiede anzukaufen und dort eine ›Musterwirtschaft‹ nebst Mahl- und Schneidemühle zu gründen. Ich selbst dagegen betrachte von jetzt ab das elterliche Haus meiner Inez als meine eigene Heimat. Nur zeitweise werde ich in Eurem Kreise verweilen können. Doch die Wehmut, die uns bei dem Gedanken an eine fortbestehende Trennung beschleicht, wird versüßt werden durch das Bewußtsein, daß wir uns in der zufriedensten und glücklichsten Lage befinden.«

—   —   —   —   —

»Nachschrift. Ich kann diesen Brief nicht absenden, ohne nach den mancherlei freudigen und beglückenden Mitteilungen auch mit tiefer Trauer und Wehmut derjenigen zu gedenken, die, nach meinen vielfachen Berichten über sie, auch in Euren Herzen eine Stelle gefunden haben muß. Ihr jähes Ende ist Euch nicht mehr fremd. Sie erschien unter uns, wie ein freundlicher, von Gott gesendeter Engel, sie wich von uns, wie das Traumgebilde von einem Schlummernden, nichts zurücklassend als eine liebe, mit Schmerz durchwobene Erinnerung.

»Ihr stilles Grab schmückt jetzt eine einfache, schön behauene Granitplatte. Sie entspricht am meisten dem anspruchslosen Sinn der Entschlafenen.

»Auf der Rückseite befindet sich in vergoldeter Schrift der Tag ihres Todes; den Tag ihrer Geburt ausfindig zu machen, ist uns bis jetzt noch nicht gelungen. Auf der Vorderseite dagegen steht allein der Name:

Juanita
Estevan.«

 

 


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