Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Flucht.

Die Eigentümlichkeiten des schwächeren Geschlechts, die bei Juanita so lange unterdrückt gewesen waren, schienen nach dem Wechsel der Kleidung mit doppelter Gewalt von ihr Besitz ergriffen zu haben; denn als sie die Tür sich öffnen und die Räuber eintreten sah, war sie in eine tiefe Ohnmacht gefallen.

Die rohen Worte, die über sie hin gewechselt wurden, hörte sie nicht, noch fühlte sie, daß man ihr das Haupt verhüllte und die Hände band; und als sie dann von dem Irländer hinausgetragen und mit starkem Arm aufs Pferd gehoben wurde, da war ihre Seele noch immer vollständig umnachtet.

Der Irländer hielt sie vor sich auf dem Sattel und die vergleichsweise bequeme Lage, die wiegende Bewegung und der langsame regelmäßige Schritt, in dem die Räuber ihre Flucht begannen, verursachten, daß sie noch lange, sehr lange in dumpfer Betäubung oder vielmehr totenähnlicher Erstarrung versenkt blieb.

Erst als ihre Entführer sich gegen Verfolgung gesichert glaubten und, ihre Flucht beschleunigend, die Pferde zu einem schnellen Galopp zwangen, infolgedessen aber die Hülle sich von ihrem Haupt löste und verschob, gab sie wieder Lebenszeichen von sich.

Doch es waren nur die ersten Spuren zurückkehrender Besinnung, die sich in konvulsivischem Zittern äußerten. Zusammenhängend zu denken vermochte sie noch nicht, aber ihr Kopf brannte, und wirre Bilder drängten und jagten sich wild in ihrer bis zum Äußersten aufgeregten Phantasie.

Undeutlich und ohne bestimmte Umrisse jagten sich diese durch Fieberglut erzeugten Bilder, und wie Schatten jagten die unheimlichen Reiter über die Ebene. – –

»Vorwärts!« Die Sporen senkten sich in die Weichen der Pferde; die kurzen, schweren Geißeln trafen die schäumende Haut, und dahin ging es mit Windeseile um die Wette mit den regenschweren Wolken!

Dahin, unaufhaltsam dahin, über dürres Gras und alte Regenfurchen hinweg! Hinten als drohendes Gespenst der Galgen, vorn im Gebirge, in den zerklüfteten, schwer zugänglichen Schluchten die Verstecke.

»Hurra!« Die Pferde schnauben, der nach Wasser lechzende Boden dröhnt. »Vorwärts! Vorwärts!« Verbrechen und Unglück reiten schnell, doch schneller noch reiten Vergeltung und Strafe!

»Vorwärts!« Vorbei an erschreckten Hasen und neugierig lauschenden Antilopen, die sich auf dem Wege zum Wasser befinden; vorbei an durstigen Fröschen, die im Vorgefühl des kommenden Regens ihre krächzenden Stimmen prüfen; vorbei an ermüdeten Ziegenmelkern, die, dicht an den Boden geschmiegt, einige Minuten rasten, ehe sie ihre nächtliche Jagd nach fliegenden Insekten wieder fortsetzen.

»Vorwärts! Hurra!« Die Räuber lachen, das arme Opfer phantasiert!

Vorbei an vereinzelten abgestorbenen Bäumen und niedrigen Weidenbüschen; vorbei an bleichenden Gebeinen verschmachteter Rinder, vorbei an grau bemoosten Felsblöcken.

»Hurra! Vorbei!« Gebeine und Felsblöcke verraten nichts; sie sind stumm und gefühllos, und gefühllos sind die Herzen der Räuber!

»Vorwärts!« Der Mond leuchtet! Neugierig schaut er durch eine klaffende Öffnung im Wolkenschleier, um die Räuber herum einen runden Lichtkreis zeichnend, der mit ihnen gleichen Schritt halten möchte.

Aber schneller noch als der wandelnde Lichtkreis reiten die Räuber, und hinein geht's wieder in den Schatten; das Licht ist den Verbrechern feind!

Die Meilen fliegen, die Zeit eilt, die Bäume werden häufiger und schwärzer schimmern die bewaldeten Berge herüber!

Die Pferde keuchen; was schadet's? »Vorwärts!« Nur noch eine halbe Stunde, und die Flüchtlinge befinden sich in den Schluchten außerhalb des Bereiches der Verfolgung!

Heftiger stacheln die blutigen Eisen die schnaubenden Tiere; schwerer fallen die geschwungenen Geißeln auf die schäumende Haut.

Die Räuber lachen; ihr Opfer aber betet. Es betet zu der heiligen Jungfrau und ihrem lieblichen Kinde. Die Gedanken haben sich schon geordnet, die Glieder sind dagegen noch schlaff; doch im Geiste streckt es seine Arme der Mutter Gottes und ihrem Kinde entgegen; das arme Opfer, es möchte so gern bei ihnen sein! – –

Durch die heftige Erschütterung und den verstärkten Luftzug wurde Juanita sich immer mehr ihrer Lage bewußt. In wessen Händen sie sich befand und welche Gründe man hatte, sie gewaltsam zu entführen, ahnte sie nicht. Es gewährte ihr aber eine gewisse Beruhigung, zu denken, daß man sie fort, weit fort von da führe, wo sie am meisten eine Entdeckung fürchtete; so weit fort, daß niemand sich die Mühe geben würde, ihr nachzuforschen.

Sie versuchte eine Bewegung zu machen; doch ihre Hände waren gefesselt, und wie mit eisernen Banden hielt der Irländer ihren schmächtigen Körper umfangen.

Sie wollte um Erbarmen flehen; im nächsten Augenblick gab sie es aber schon wieder auf.

Was hätte es ihr genützt, wäre ihr Erbarmen erzeigt worden? Man würde sie zurückgebracht haben, zurück zu denen, die sie sich in ihrer erhitzten Phantasie als lauter strafende Richter vorstellte.

Ihr Kopf brannte, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Mächtig griffen die Pferde aus; die Räuber lachten über ihr glückliches Entkommen, das sie jetzt höher als allen Reichtum des Rancheros anschlugen.

»Etwas haben wir doch wenigstens gerettet«, sagte Toby Ring mit tröstender Stimme zu Finney, dessen Pferd unter der doppelten Last des schweren, ungeschickten Reiters und des jungen Mädchens schnell zu ermüden begann. »Mister Ramiro wird sich freuen, seine geliebte, holde Inez zu sehen«, fuhr er fort, mit seinem Kantschu zuerst Finneys Pferd und dann sein eigenes antreibend. »Aber viel Gold muß er bei sich haben, wenn er sie überhaupt sehen will. Verdammt! Er oder der Ranchero, einer von ihnen muß für allen Schaden aufkommen und uns die Sennora zum höchsten Preise abkaufen.«

Juanita, in sehr geringem Maße der englischen Sprache kundig, vernahm die mit wenig Vorsicht gesprochenen Worte nur undeutlich, indem die losen Falten des um ihr Haupt geschlungenen Rockes den Ton von Tobys Stimme vielfach brachen. Sie hatte aber genug verstanden, um sich zusammenreimen zu können, daß man sie für die Tochter des Rancheros halte, und in ihr nichts weniger als den früheren Knaben Fernando vermute.

Indem sie diese Entdeckung machte, zog eine wilde Freude in ihre Brust ein, und wenn das Tuch, das ihre Hände zusammenhielt, ihr das Fleisch von den Knöcheln geschnürt hätte, so würde sie keinen Laut von sich gegeben haben.

Eine unbestimmte Hoffnung, wieder entrinnen und sich unbemerkt ihre alten Kleidungsstücke aneignen zu können, bemächtigte sich ihrer. Mehr aber noch erfüllte sie es mit Zufriedenheit, gerade für die zu leiden, die sie von dem Majordomo so geliebt wußte. Sie leistete ihr, mithin auch ihm, einen unschätzbaren Dienst, und um keinen Preis hätte sie einen Irrtum aufklären mögen, der ihr Gelegenheit bot, ihre Dankbarkeit und Anhänglichkeit auf so rührende, ihren kindlichen, uneigennützigen Ansichten entsprechende Art an den Tag zu legen.

Einen und denselben Gedanken lange festzuhalten oder mit Überlegung einen Plan für die nächste Zukunft zu entwerfen, war sie noch nicht imstande; dagegen ließ sie instinktartig, wie von einer neuen Ohnmacht befallen, den Kopf auf Finneys Arm sinken, und obgleich sie bei der heftigen Bewegung des Pferdes vielfach schmerzhaften Berührungen ausgesetzt war, wagte sie doch keinen Versuch, ihren Körper dagegen zu schützen oder sich in eine bequemere Lage zu bringen.

Es war eben der Trotz des armen, verwahrlosten, halbverwilderten Kindes, der sich hier gar seltsam mit den edlen, noch unentwickelten Trieben eines reinen jungfräulichen Gemütes vereinigte, zu denen die Natur die lebensfähigen Keime in ihre Brust gelegt hatte. –

Bei Tobys Anrede lachte Finney hämisch vor sich hin. »Beim heiligen Patrik!« rief er aus, indem er Juanita etwas höher nach dem Sattel hinaufzog, »so viel besitzt er gewiß nicht, wie es bedarf, um den vollen Schaden zu ersetzen. Wenn übrigens die schöne Sennora hier nicht bald ein Lebenszeichen von sich gibt, dann glaube ich kaum, daß er überhaupt noch Lust bezeigen wird, auch nur ein Fünfcentstück für unsere Bemühungen zu zahlen.«

»Laß sie nicht ersticken,« versetzte Toby Ring im Geschäftston, »es wäre schade darum.«

»Keine Gefahr, Goddam!« erwiderte Finney brutal; »der Rock hängt so lose um ihr Gesicht, daß ein Walfisch zwischen den Falten hindurch zu atmen vermöchte. Aber ich kann ihn auch ganz entfernen«, schloß er, den auf seinem Arme ruhenden Kopf des Mädchens emporhebend.

»Bei allen Teufeln!« flüsterte Toby mit gepreßter Stimme, »löse die Hülle nicht, schnüre sie lieber noch fester. Ein Schrei von ihr, und wir sind verloren. Blicke dort hinüber; schwarze Schatten bewegen sich unter den Bäumen hin. Es sind Reiter, die gleich uns die Mündung des Cajonpasses zu gewinnen trachten. Verdammt! Sie wollen uns den Weg verlegen!« fügte er hinzu, einen Revolver ziehend und den Hahn desselben spannend.

»Ich sehe keine Reiter!« versetzte der Irländer grimmig, aber doch gedämpft. »Es sind Bäume, die sich scheinbar aneinander vorbeischieben.«

»Mille Carajo!« rief einer der vor ihnen reitenden Desperados heimlich zurück, »reitet für euer Leben oder die Hunde dringen vor uns in den Paß!«

Finney knirschte mit den Zähnen, Toby Ring schwang den Kantschu über des Irländers Pferd, weil dieses bei dem wilden Rennen nur noch mit äußerster Mühe gleichen Schritt mit den andern zu halten vermochte, Finney selbst dagegen seine ganze Kraft aufbieten mußte, um Juanita vor dem Hinunterstürzen zu bewahren, und mit ungeschwächter Eile ging es noch immer in der eingeschlagenen Richtung dahin. –

Die Flüchtlinge hatten sich um diese Zeit schon über eine Stunde unterwegs befunden und waren bis dahin gelangt, wo kleine Haine und zahlreichere vereinzelte große Bäume den Übergang von dem Wiesenlande zu dem stark ansteigenden Gebirgsboden bezeichneten.

Die Bäume standen fast durchgängig noch in ihrem vollen Blätterschmuck und trugen dadurch nicht wenig dazu bei, die Atmosphäre in ihrer näheren Umgebung zu verdunkeln.

In mancher Beziehung betrachteten die Räuber diesen Umstand als eine Begünstigung, vorzugsweise aber, weil ihre Gestalten von Zeit zu Zeit mit den schwarzen Schatten zusammenfielen; auf der andern Seite dagegen glaubten sie, doppelt auf ihrer Hut sein zu müssen, weil auch sie nicht weit um sich zu schauen vermochten, und ihnen hinter jeder Baumgruppe hervor ein Trupp Milizen entgegentreten konnte.

Sie überzeugten sich indessen bald, daß die Reiter, die gleich ihnen, aber aus der Richtung von Pueblo de los Angeles her, auf den Paß zustürmten, die einzigen Feinde in diesem abgeschlossenen Winkel seien; doch lag die Vermutung nahe, daß eben diese Reiter, deren sie fünf zählten, sich auf der Landstraße von ihren Gefährten getrennt hatten, um den etwa seitwärts abprallenden Desperados den Weg in den Cajonpaß zu verlegen und sie so lange aufzuhalten, bis andere Milizen ihnen zu Hilfe geeilt sein würden.

Sie gestanden sich, daß sie von den geheimnisvollen Reitern jedenfalls für einen Teil der Bande gehalten wurden, zu deren Habhaftwerdung das ganze Tal von San Bernardino alarmiert worden war. Wurden sie gefangen, so half ihnen alle List nichts mehr, und nur zu gut wußten sie, daß sie sich dann in den Händen von Leuten befanden, die nicht gewohnt waren, mit den Störern der öffentlichen Ordnung und Sicherheit viel Umstände zu machen. Sie waren daher auf das Schlimmste gefaßt und entschlossen, Leben und Freiheit so teuer wie möglich zu verkaufen.

Die beiden Reitertrupps näherten sich mit gleicher Geschwindigkeit in einem spitzen Winkel dem Eingang des Passes, rückten also mit jeder Minute näher zusammen, und würden infolgedessen gerade in der Mündung des Passes aufeinander gestoßen sein, wenn die Räuber nicht einen Vorsprung von ungefähr fünfzig Schritten gehabt hätten.

Toby Ring, bei weitem der Schlaueste und Kaltblütigste, berechnete den letzteren Vorteil und begann, sich und die Seinigen für gerettet zu halten, weil die Pferde der Milizen offenbar nicht weniger erschöpft waren als die ihrigen, und weil ihnen später in dem Paß Hunderte von Nebenwegen und trockenen Wasserrinnen offen standen, auf denen sie, unter Zurücklassung der Pferde und im Schutz der Dunkelheit, entschlüpfen konnten.

Ihren Verfolgern war dies aber ebenfalls nicht fremd geblieben, weshalb sie alles daransetzten, sie aufzuhalten, um so mehr, da sie sich kaum noch fünfhundert Schritte von der eigentlichen Paßöffnung entfernt befanden.

Da vernahmen die Flüchtlinge plötzlich die von einem groben Fluche begleitete Aufforderung, anzuhalten, wenn sie nicht von einigen Büchsenkugeln begrüßt werden wollten.

Diese Aufforderung hatte indessen keinen andern Erfolg, als daß die Räuber ihre Pferde zu noch größerer Eile spornten.

»Halt!« hieß es zum zweiten Male, und gleichzeitig bemerkte Toby, daß einer der Milizen sein Pferd anhielt und einige Schritte zurückblieb.

»Vorwärts!« rief er seinen Genossen zu; er hatte aber kaum ausgesprochen, da blitzte es hinter ihnen auf, ein heftiger Knall folgte, das Sausen und Aufschlagen einer Kugel wurde vernehmbar, und von Todesangst zu einer übernatürlichen Anstrengung gepeitscht, jagte das schwer getroffene leere Pferd des Kahuillas an den Räubern vorbei und verschwand hinter einer nahen Baumgruppe.

»Bootjack ist fertig. Um so besser; habe dem rothäutigen Schurken nie so recht getraut«, sagte Toby, als er das reiterlose Pferd im Schatten der Bäume dahinsprengen sah.

Der listige Indianer aber befand sich schon in Sicherheit und lachte höhnisch hinter seinen alten Raubgenossen her. Er hatte nämlich kaum die Verfolger entdeckt, als er auch schnell vom Sattel glitt, um seine Flucht zu Fuß fortzusetzen, was von keiner Seite so leicht bemerkt werden konnte, weil sein Pferd unbeirrt den übrigen beständig in derselben Entfernung nachfolgte.

Wiederum knallte ein Schuß, und wiederum pfiff eine Kugel, diesmal aber harmlos, über sie hin.

»Wir müssen ihnen die Zähne weisen!« rief Finney, schäumend vor Wut, »wir müssen ihnen die Zähne weisen, und wenn ihr es nicht tut, so lasse ich das Mädchen fallen, um es selbst zu tun!«

»Halte das Mädchen!« schnaubte Toby, der nun ebenfalls seine Ruhe verlor. »Halte das Mädchen, oder der Galgen ist dir gewiß. Reite, reite, beim Satan! Wir wollen ihnen unterdessen die Zähne zeigen!«

So sprechend lenkte er sein Pferd seitwärts etwas näher an die Milizen heran; die beiden Desperados und der Harlekin folgten seinem Beispiel, und Schuß auf Schuß feuerten sie dann, ohne die Schnelligkeit ihrer Pferde zu mäßigen, rückwärts.

An ein Zielen konnte mit den kurzen Waffen allerdings nicht gedacht werden. Die aufs Geratewohl abgefeuerten Schüsse blieben aber trotzdem nicht ohne Wirkung; denn sie vernahmen schon bei dem vierten oder fünften Knall einen lauten Aufschrei, die Verfolger blieben zurück, und sie glaubten zu erkennen, daß ein herrenloses Pferd sich von der Gruppe trennte, die übrigen Reiter aber aus den Sätteln sprangen.

»Wir haben ihnen nicht nur die Zähne gewiesen, wir haben auch gebissen«, sagte Toby schadenfroh, an Finneys Seite sprengend, um dessen tierische Wut zu besänftigen. »Wir haben gebissen, daß einer von ihnen das Aufstehen wohl vergessen wird.«

Der Irländer blickte grimmig zurück, und als er gewahrte, daß die Reiter wirklich von der Verfolgung abgelassen hatten, da stieß er nur das von einem gräßlichen Fluche begleitete Wort »gut« aus, worauf er wieder mit erneutem Mute die Seiten seines Pferdes zu bearbeiten begann.

»Ich werde das Mädchen dennoch fahren lassen«, sagte er nach einer kurzen Pause, als er bemerkte, daß der Harlekin und die Desperados weit vorauseilten und Toby sein Pferd zurückhalten mußte, wenn er bei ihm bleiben wollte; »ja, beim heiligen Patrik und dem ganzen verdammten grünen Irland! ich muß es fahren lassen! Mein Pferd hält es keine zehn Minuten mehr aus, und mit der Puppe im Arme bin ich so wehrlos wie ein neugeborenes Kind.«

»Nein, Finney,« versetzte Toby dringend, »du weißt, ich weiche nicht von deiner Seite, fasse daher Mut; das Mädchen dürfen wir nicht aufgeben, oder wir entblößen uns von den letzten Mitteln, unseren freien Abzug zu erzwingen; einer muß dafür bezahlen; gleichviel, ob Ramiro oder der Ranchero.«

In diesem Augenblick bogen sie in die breite, keilförmige Mündung des Passes ein; gleichzeitig entdeckten sie aber auch, daß auf der Südseite des Dreiecks mehrere Pferde dieselbe Richtung mit ihnen einschlugen, also gerade in dem eigentlichen Engpaß mit ihnen zusammentreffen mußten.

Hätten sie geahnt, daß jene eine kleine Abteilung der auf der Landstraße zersprengten Desperados waren, die, gleich ihnen, im Cajonpaß Zuflucht gegen die ihnen nachspürenden Milizen suchten, so würden sie diese willkommen geheißen und ihre Flucht in ihrer Gesellschaft fortgesetzt haben. Doch schuldbewußt, wie sie waren, und verwirrt durch die sich ihnen von allen Seiten entgegenstellenden Hindernisse, hielten sie alles für Feinde, und wenn es überhaupt noch möglich war, ihre wankenden Pferde zu größeren Anstrengungen zu zwingen, so geschah es, indem sie unbarmherzig auf sie einhieben und stießen.

Die beiden Desperados und der Harlekin, die so lange ihre Gefährten gewesen waren, flogen als gewandtere Reiter weit voraus, und gerade dieser Umstand war es, der den Irländer wieder in den höchsten Grad von Wut versetzte.

Er rief nämlich seinem Freunde zu, daß er mit der Last im Arme das Pferd weder zu lenken noch anzutreiben vermöge, und daß er das Mädchen, das wieder in einen bewußtlosen Zustand zurückgesunken war, um sich selbst zu retten, fallen lassen werde.

Toby, dem jetzt vor allem daran gelegen war, die vermeintliche Tochter des Rancheros gewissermaßen als Geisel in seiner Gewalt zu behalten, fühlte, daß sein Zureden an dem Grimm und Starrsinn des Irländers unbeachtet abprallen würde. Ehe daher jener seine Drohung wahrmachen konnte, lenkte er sein Pferd dicht an ihn heran, und Juanita an den Schultern fassend, und unterstützt von Finney, der seine Absicht verstand, zog er sie schnell vor sich auf den Sattel.

War es nun infolge der Erleichterung oder weil Finney jetzt seinem Pferde mehr Aufmerksamkeit zuwenden konnte, genug, die Tiere schossen schneller nach vorn, und schon in der nächsten Minute erblickten sie die schwarzen Felsmassen, die, schroff emporragend, das trockene Bett eines Gießbaches einfaßten, der eben den eigentlichen Paß bildete.

Die Reiter, die mit ihnen zugleich in der Mündung des Passes erschienen waren, befanden sich kaum noch zwanzig Schritte weit hinter ihnen und Toby glaubte deren sechs bis acht zu zählen.

Diese wurden von einem Teil von Don Sanchez' Leuten und einigen Milizen hart verfolgt, wußten aber, daß vor ihnen sich niemand von der Bande getrennt hatte und auf den Cajonpaß zugelenkt war.

Als sie nun die beiden Reiter vor sich erblickten, außerdem aber den Galopp der drei andern Räuber vernahmen, die, vorauseilend, schon in der Hauptschlucht verschwunden waren, da konnten sie natürlich nur vermuten, daß dieses ebenfalls Milizen seien, die ihnen den Weg zu verlegen trachteten und zu diesem Zwecke eine leicht zu verteidigende Verengerung des Passes zu gewinnen und ihnen dann die Stirn zu zeigen beabsichtigten.

Zurück konnten sie nicht mehr, denn man war ihnen auf den Fersen, sie beschlossen daher, sich um jeden Preis durchzuschlagen und sich dann in die schwer zugänglichen Nebenschluchten zu zerstreuen.

»Halt da vorn, oder ihr seid des Todes!« rief der Führer der Desperados, der es versuchte, die vermeintlichen Feinde einzuschüchtern.

Ein Pistolenschuß des von einer Art Tollwut ergriffenen Finney war die Antwort.

»Nieder mit den Schurken!« brüllte der Führer wieder, denn der Schuß hatte ihn in dem Glauben bestärkt, daß sie es nur mit einigen Milizen zu tun haben würden, und kaum hatte er ausgesprochen, so feuerten er und seine Genossen mit ihren Revolvern hinter den Flüchtlingen her, daß die Kugeln klatschend ringsum auf das Gestein aufschlugen. –

Beide Parteien ritten nunmehr schon zwischen den Felsenmauern, wo niedergerolltes Gestein die Hufe der Pferde vielfach hinderte, und sie sich daher nur mit großer Vorsicht vorwärtsbewegen durften.

Toby und Finney befanden sich selbstverständlich im Nachteil, denn wenn sie auch hin und wieder einen Schuß zurücksandten, so konnten sie diese doch nicht wirksam anbringen, während die Verfolger den Vorteil hatten, sich nicht bei jedem Schuß umwenden zu brauchen.

Juanita, fast erstickt durch die Hülle, die beim ersten Zusammentreffen mit den Milizen fester geschnürt worden war, und wieder zum Bewußtsein gerufen durch den Lärm der Schüsse, bebte vor Entsetzen. Die erwachende Todesangst gab ihr Kräfte; das fesselnde Tuch streifte sie von ihren Händen, und mit aller ihr zu Gebote stehenden Macht kämpfte sie, sich von dem festen Griff Tobys zu befreien, der kaum noch imstande war, mit seiner Last das Gleichgewicht zu halten.

»Ruhig, Sennora!« flüsterte er, knirschend vor Wut, dem ohnmächtig ringenden Mädchen zu; »ruhig, oder ich muß mein Leben mit dem Eurigen erkau–«

Ein neuer Schuß krachte hinter ihm her. Toby zuckte zusammen und griff krampfhaft in die Zügel; Juanita aber gab allen Widerstand plötzlich auf, ihre Glieder erschlafften und ihr Haupt sank hintenüber.

 


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