Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Des Trappers Heimat.

Als die jungen Leute bei dem Ranchero eintraten, schritt dieser sogleich auf Robert zu. Ein einziger Blick auf das still entzückte Antlitz seiner Tochter hatte ihn sogleich belehrt, wie ungerecht und vorschnell der Verdacht gewesen, zu dem auch er sich durch das merkwürdige Zusammentreffen von unvorhergesehenen Umständen hatte hinreißen lassen. Sein Herz strömte förmlich über vor Freude, und Robert auf echt mexikanische Art umarmend, deutete er zugleich auf die errötende Inez.

»Bis jetzt war es nur Tändelei,« begann er, nachdem er sich einige Male geräuspert, »aber jetzt? Caramba! jetzt ist es Ernst; nehmt sie hin, mein Freund, es ist das beste Kleinod, das ich besitze; ärgere mich nur, daß die Schurken Euer Geld nicht mitgeschleppt haben, um Euch beweisen zu können, daß Ihr ohne einen Cent mir lieber seid, als hundert andere mit Millionen. Ist aber dennoch besser so, ich meine für die dort,« fügte er schmunzelnd hinzu, auf Maria und Sidney weisend, die in den Schatten getreten waren, »Caramba! sie werden es zu ihrer ersten Einrichtung gebrauchen können.«

Die jungen Leute, obgleich tief beglückt, schwiegen. Sie befanden sich noch zu sehr unter den Eindrücken der jüngsten Szene, bei der sie beteiligt gewesen. Don Pico dagegen, der sich das Vorrecht nicht nehmen ließ, Robert und Sidney ebenfalls zu umarmen, den Sennoritas aber jeder einen schallenden Kuß auf die frischen Lippen zu drücken, versicherte bei allen Heiligen des Kalenders, daß er damals auf der Mission schon auf den ersten Blick erraten habe, was daraus werden würde, eine Versicherung, die sogar dem ernst gestimmten Majordomo ein Lächeln entlockte. –

Doch von der Freude zur Trauer ist oft nur ein kurzer Schritt. Auch an diesem Abend mußte die fröhliche Stimmung, die auf kurze Augenblicke ungetrübt durchgeschimmert hatte, schnell wieder weichen. Es war, als man nach einer kurzen Beratung übereinkam, den schwarzen Juan, sowie auch die Gerichtspersonen und den alten Trapper rufen zu lassen.

Letztere sollten freilich nur stumme Zeugen sein, um später den jungen Arriero mit den gültigen Dokumenten über seine Legitimität ausrüsten zu können.

Inez übernahm es wieder, die in der Brieftasche enthalten gewesenen Nachrichten der Reihenfolge nach vorzulesen. Robert und Sidney wußten ebensowenig über Juanitas Vergangenheit, wie der schwarze Juan, und ihr Erstaunen wuchs in gleichem Grade, in dem sie Abschnitt nach Abschnitt aus den kurz gefaßten Berichten des alten skalpierten Geizhalses kennen lernten, und diese in Gedanken in eine lange traurige Geschichte zusammenstellten.

Juan bekundete während der ganzen Zeit weder Überraschung noch Freude oder Trauer. Er saß da, in sich gekehrt und mit gesenkten Blicken. Keine Silbe entging ihm; aber es schien fast, als ob die alte indianische Gewohnheit, die verborgenen Gemütsbewegungen durch keine Miene zu verraten, wieder vollständig Besitz von ihm ergriffen habe.

Kaum war aber der Name Estevan zum ersten Male ausgesprochen worden, da sprang er erschreckt empor.

»Estevan ist der Name meines Vaters!« rief er aus. »Ja, Estevan; ich hatte ihn vergessen in den langen, langen Jahren der Sklaverei; Fernando Estevan und Juanita Estevan waren meine Eltern, und die Juanita, von der Ihr sprecht, kann nur meine Schwester sein!«

Im nächsten Augenblick saß er aber schon wieder in sich gekehrt da, und aus seinem ganzen Wesen sprach ein Ernst, der in seltsamem Widerspruch zu seinem jugendlichen Äußern stand.

Nur einmal noch, als »Nintsa-Pesch«, der Name des Navahoe-Häuptlings, erwähnt wurde, erhielt seine dunkle Physiognomie einen wilden, triumphierenden Ausdruck, und eine innere Befriedigung leuchtete aus seinen glühenden Augen, als er, wie in Gedanken versunken, Inez unterbrach und den Namen seines erschlagenen indianischen Herrn mehrere Male wiederholte.

»Nintsa-Pesch, Nintsa-Pesch, es kann kein Irrtum obwalten«, murmelte er leise; »Nintsa-Pesch, Gonzalez und Guzman, sie erhielten den Lohn für ihre Verbrechen. Es bleibt also nur noch Manuel, der schurkische Vaquero, aber ich werde ihn finden!«

Den Namen Manuel sprach er mit so viel tödlichem Haß und aufflammender Wildheit aus, daß die beiden jungen Mädchen sich vor dem sonst so friedlichen Arriero förmlich entsetzten, und es erst der Aufforderung des Rancheros bedurfte, den unterbrochenen Vortrag wieder aufzunehmen.

Inez fuhr fort zu lesen: »Oh, daß mir die Schätze von Gran Quivira verloren gingen! Fernando, mein Kind, wie reich hättest Du werden können! Sie befanden sich in meinen Händen, sie wurden mir geraubt. Manuel, Manuel, nur Du kannst es getan haben, wenn das Dokument nicht verbrannte. Doch nein, es verbrannte nicht; das andere Pergament hätte ja mit verbrennen müssen. Es gehörte mir –«

Während Inez das Blatt, auf dem dies geschrieben stand, zu Ende las, sagte Robert:

»Wunderbar, wunderbar, aber Zweifel sind kaum noch zulässig. Der Mann, der den Zunni und das Albinomädchen begleitete, hieß Manuel. In seinen Händen befand sich das Dokument, betreffend die Sage über die in den Ruinen von Gran Quivira vergrabenen Schätze. Es kann nicht anders sein; der finstere Mexikaner, der neben dem treuherzigen Zunni vor unserem Lagerfeuer in der Sierra Madre saß, war der Genosse El Muertes und Guzmans. Nein, es kann nicht anders sein; Hohendorfs Berichte waren zu genau.«

»Er saß zwei Schritte weit von mir«, fügte Juan mit Unheil verkündender Ruhe hinzu; »ich hätte ihn erreichen können; aber ich ahnte nicht, daß er einer der Verderber meiner Eltern war, trotzdem mein Blut es mir hätte verraten müssen.«

»Und was hätte es dir genutzt?« fragte Robert besänftigend. »Er ist vielleicht der einzige, der dir dein väterliches Erbe nachzuweisen vermag; denn diese Schriften hier sagen nichts Näheres darüber.«

»Er soll es mir zeigen,« versetzte der junge Arriero finster, »er soll es mir zeigen, und sollte ich ihn –«

»Du gebrauchst die Scholle Landes nicht, auf der du geboren wurdest«, mischte sich jetzt Don Sanchez mit Nachdruck in das Gespräch, indem er Juan die Hand reichte. »Du bleibst bei mir, aber nicht mehr als Diener und Arriero. Ein besseres Los ist dir beschieden. Durch den Tod deiner unglücklichen Schwester bist du in den Besitz von hinlänglichen Mitteln gelangt, um dir in diesem Tal eine glückliche, sorgenfreie Zukunft gründen zu können. Das Gold, das Guzman so mühsam erbeutete, oder vielmehr sein Wert befindet sich in meinen Händen. Kein Cent fehlt, seitdem Roberts deutscher Freund die Summe, die deine Schwester ihm so bereitwillig zur Verfügung stellte, sogar noch mit den fälligen Zinsen einschickte. Das Gold gehört dir und soll noch heute, im Beisein dieser gerichtlichen Zeugen, auf deinen vollen Namen, Juan Estevan, übertragen werden.«

Juan sann einige Minuten nach. »Wenn Ihr behauptet, Sennor, das Gold sei mein Eigentum, so ist es gut«, sagte er endlich, ohne aufzublicken. »Ich werde es dazu verwenden, die Gräber meiner Eltern aufzusuchen, aber noch lebt einer, der, nach allem, was ich heute vernommen, mit zu ihrem schrecklichen Ende beigetragen hat. Ich sehe deutlich vor mir die Flammen des brennenden Hauses, wie sie mich seit Jahren in meinen Träumen verfolgten und marterten; ich höre die Hilferufe meiner armen Mutter und das Wutgeheul der indianischen Räuber, aber Gesichtszüge erkenne ich nicht, ich war noch zu jung, zu hilflos, – und doch – immer heller taucht es in meiner Erinnerung auf, die schwarzen zusammenhängenden Brauen – El Muerte; Ihr sagtet ja selbst El Muerte. Oh, daß ich es nicht früher ahnte! Aber er hat den Lohn für seine Verbrechen, und nur einer, Manuel, lebt noch. Zuerst Rache für meine armen Eltern, und dann Rache an denen, die meine Schwester, ehe ich sie noch als Schwester kannte, von mir rissen.«

»Willst du dein Erbe aufsuchen, so tue es immerhin,« entgegnete der Ranchero gütig, »auch dazu will ich dir behilflich sein, und dafür Sorge tragen, daß das Geld nicht von gewissenlosen Menschen deinen Händen entwunden wird. Die Rache dagegen, von der du sprichst, die laß vergessen sein. Die Deinen sind schon gerächt worden, und die an den Verbrechen Beteiligten, die noch übrig sind, werden der gerechten Strafe nicht entgehen.«

»Wer entschädigt mich für meine verlorene Jugendzeit?« unterbrach Juan den Ranchero, und heftiger Zorn sprühte aus seinen glänzend schwarzen Augen. »Wer ersetzt mir die Eltern, wer die Schwester? Wurden wir nicht hinausgestoßen, wie unbrauchbares, lästiges Getier? Gepeitscht und mißhandelt schleppten wir unser Dasein dahin, und das einzig Gute und Dankenswerte, was ich von meinen Peinigern lernte, das ist Rache zu fordern von denen, die eine glückliche Familie kaltblütig zugrunde richteten.«

»Ich bin ein alter Mann«, begann plötzlich der Trapper, der so lange schweigend dagesessen hatte und, je nachdem gesprochen wurde, seine klugen Augen bald auf den einen, bald auf den andern richtete; »vielleicht der älteste hier im ganzen Hause, was mir wohl das Recht gibt, ein Wort mitzusprechen. Die Gefühle des jungen Mannes finde ich vollkommen gerechtfertigt. Goddam! unternahm ich alter Mann doch die Reise vom Tularetal bis hierher, um meine armen erschossenen Kühe zu rächen. Ist aber, bei Licht besehen, keine eigentliche Rache; wollte die Schurken nur bestrafen und ihnen das Handwerk legen; geschah also zum allgemeinen Besten. Denke bei mir: Rache ist nicht Natur des weißen Mannes, sondern Natur des Indianers. Wollen meine Kinder sich an jemandem rächen, wohlan, so mögen sie es tun, indianisches Blut fließt in ihren Adern, es ist ihre Natur. Ich selbst aber bin ein weißer Mann und muß danach handeln. Auch Ihr, mein junger Freund, seid kein Indianer, obwohl Eure Haut nicht viel heller ist, als die eines vollblütigen Pawnees; geht wenigstens aus den beschriebenen Zetteln hervor, daß Eure Eltern zu den Weißen zählten; ist also auch nicht Eure Natur, indianische Rache auszuüben. Glaube kaum, daß Eure Schwester, der brave Bursche, ich meine das Mädchen, das ich in meiner Blockhütte kennen lernte, an Rache denken würde. Das ist meine Ansicht; ich habe gesprochen.«

Ob des alten Trappers Äußerungen einen Einfluß auf die Gesinnung Juans ausübten, ging aus dessen Haltung nicht hervor, denn er saß wieder bewegungslos und scheinbar ohne Teilnahme da und stierte finster vor sich auf den Boden.

»Guter Juan, ich kenne dich nicht wieder«, versetzte Inez, nachdem Gale ausgesprochen hatte, besänftigend, denn Juanitas Bild schwebte ihrem Geist noch zu lebhaft vor, als daß der Kontrast zwischen dem wild aufgeregten Arriero und seiner sanfteren Schwester sie nicht tief berührt hätte. »Ich kenne dich nicht wieder mit deiner Heftigkeit und deinem drohenden Brüten. Du hast der Freunde so viele, und alle wollen dir wohl. Beruhige dich daher, wenigstens so lange, wie deine arme Schwester sich noch unter diesem Dache befindet, und dann werden vielleicht von selbst friedlichere Gefühle in deine Brust einziehen.«

Bei Inez' Worten, die so warm aus ihrem Herzen kamen, schien Juan wie aus einem wüsten Traume zu erwachen. Er schaute das junge Mädchen fest an, strich mit der Hand über seine Augen, als hätte er eine böse Vision verscheuchen wollen; dann aber stand er auf, und schweigend entfernte er sich aus dem Gemach. –

Unter der Veranda stand er einen Augenblick still. Da gewahrte er das gegenüberliegende erleuchtete Fenster. Er mochte ahnen, was hinter diesem verborgen sei, denn er begab sich festen Schrittes hinüber, öffnete die Tür und trat ein, worauf er den Riegel leise hinter sich ins Schloß drückte.

Niemand in dem Gemach des Rancheros hatte es gewagt, dem Arriero entgegenzutreten, der seine Trauer auf so eigentümliche Art an den Tag legte, oder vielmehr in sich verschloß. Man war sogar geneigt, anzunehmen, daß er, bei seinem Durst nach Rache, den Verlust weniger schmerzlich empfinde, doch wurde dadurch die Teilnahme und das Mitleid, mit welchem man ihm nachblickte, nicht vermindert. Als man aber gewahrte, daß er in die Halle eintrat, in der seine tote Schwester lag, da wurden alle tief gerührt durch den wilden Schmerz, der einem solchen Benehmen nur zugrunde liegen konnte. –

Spät erst, und in der wehmütigsten Stimmung, trennten sich die übrigen voneinander. Den schwarzen Juan aber störte niemand.

Stumm und regungslos saß er neben Juanita. Seine Augen hielt er starr auf das stille Antlitz geheftet, aber sie waren trocken. Er, der beim Anblick der Leiden eines Pferdes die bittersten Tränen vergießen konnte, gab angesichts seiner ermordeten Schwester kein äußerliches Zeichen des Kummers von sich. Nur hin und wieder entrang sich ein tiefer Seufzer seiner Brust, und zugleich erklang es, als wenn er den Namen der Entschlafenen geflüstert hätte.

Die Wachskerzen brannten bis auf die Leuchter nieder, unstet flackerten die Flammen hin und her, und endlich erloschen sie ganz. Durch die weißen Vorhänge schimmerte der anbrechende Morgen herein, der Arriero aber saß noch immer unbeweglich da. Erst als das Haus wieder von erwachenden Menschen belebt wurde und das Geräusch derer bis zu ihm drang, die ihren gewöhnlichen Tagesbeschäftigungen nachgingen, erhob er sich.

Seine Blicke ruhten noch einmal innig auf den geschlossenen Augenlidern Juanitas, seine Hand legte er auf ihr Herz, als ob er sich habe überzeugen wollen, daß es wirklich aufgehört habe zu schlagen, und dann begab er sich nach seiner einsamen Hütte hin, um dort, von niemandem gestört, seinen Betrachtungen nachzuhängen.


Ein nicht geringer Grad von Unruhe und Aufregung herrschte in den nächsten Tagen auf der Rancho, indem ebensowohl von seiten der Gerichtspersonen, als von seiten der Bewohner des Herrenhauses alles aufgeboten wurde, das Geheimnis zu durchdringen, das die Räuber veranlaßt hatte, sich Juanitas auf gewaltsame Art zu bemächtigen.

Man untersuchte die Kleidung El Muertes, ehe man ihn auf der Stelle, wo man ihn gefunden hatte, einscharrte, man durchforschte seine Hütte bis in die verborgensten Winkel, doch nirgends entdeckte man eine Spur, die zur Aufklärung geführt hätte.

Auch hinter den Mormonen her, auf die ein Teil des Verdachtes gefallen war, sandte man reitende Boten. Diese brachten indessen nur die Nachricht zurück, daß die Mormonen allerdings bemüht gewesen waren, einige Rekruten anzuwerben, von diesen aber, nach Empfang des Handgeldes, hintergangen worden seien. –

Von den in Pueblo de los Angeles gefangen gehaltenen Desperados hoffte man zuletzt noch einige entscheidende Aussagen zu erlangen, doch diese Hoffnung sank in demselben Maße, in dem man sich überzeugte, daß man es mit Mitgliedern von zwei besondern Banden zu tun habe, von denen jede ihr besonderes Ziel im Auge gehabt, und einer daher immer die Schuld auf den andern werfen und schließlich keiner die geringste Beteiligung an dem begangenen Verbrechen einräumen würde.

Auf Bootjack, der ebenfalls nach der Stadt in engen Gewahrsam gebracht worden war, rechnete man schon gar nicht mehr. Man kannte ihn zu genau als einen hinterlistigen Betrüger und schamlosen Verräter, um seinen Worten noch Glauben beizumessen.

Erst am dritten Tage nach der verhängnisvollen Nacht, als eben die irdische Hülle Juanitas der Erde übergeben worden war, stellte sich jemand ein, dessen Zeugnis ein helleres Licht über die in letzter Zeit stattgefundenen Vorgänge warf.

Der Chinese, der schon mehrfach durch seine geheimnisvollen Warnungen großes Unheil von dem Hause des Rancheros abgewendet hatte, erschien nämlich in Begleitung eines Affen.

Er befand sich im Zustande der größten Erschöpfung und bat um Speise für sich und seinen ebenfalls halb verhungerten Gefährten, die ihm natürlich in reichstem Maße verabreicht wurde.

Ursprünglich hatte er wohl die Absicht gehegt, sich der Tänzerin wieder zuzugesellen, von der ihm, während der Zeit seines Zusammenwirkens mit ihr, stets eine menschlichere Behandlung als von den andern Mitgliedern der Künstlergesellschaft zuteil geworden war. Vielleicht hoffte er auch, durch ihren Einfluß die Geldsumme zu erlangen, die ihm der Theaterdirektor schuldete, da er noch keinen Dollar der ihm für seine künstlerischen Leistungen zugesagten Besoldung erhalten hatte.

Er war also den Spuren der Flüchtlinge bis ans östliche Ende des Passes nachgefolgt und hatte dort die Überzeugung gewonnen, daß die Summe, die, nach seinen Begriffen, ein nicht unbedeutendes Vermögen bildete, auf ewig für ihn verloren sei.

Er nahm daher den Affen, der vor Nässe und Kälte fast umgekommen war, zu sich auf seinen Pony, den er nunmehr als sein rechtlich erworbenes Eigentum betrachtete, und schlug ohne Zögern den Weg nach Don Sanchez' Rancho ein. Dort hoffte er Leute zu finden, die ihm in seiner Not beistehen, zugleich ihm aber auch Gelegenheit geben würden, sich allmählich aus dem Elend herauszuarbeiten, das ihm in dem fremden Lande, und fern seinen in den Minendistrikten beschäftigten Brüdern, drohte.

Daß er sich nicht getäuscht hatte, daß er selbst ebensowenig, wie die von ihm geleisteten Dienste vergessen worden waren, das bewies der freundliche Empfang, wie er einen solchen noch nie in seinem Leben, weder in seinem Heimatlande, noch in der Fremde kennen gelernt hatte.

siehe Bildunterschrift

Obgleich er nach den ersten Begrüßungen schon auftaute und ein überaus zutrauliches Wesen zeigte, so verließ ihn doch nicht die seiner ganzen Nation eigentümliche Schlauheit, man möchte sagen Verschmitztheit. Denn alle Fragen, die an ihn gerichtet wurden, beantwortete er nur dadurch, daß er seine Unkenntnis der spanischen und englischen Sprache vorschützte und durch unzweideutige Zeichen zu verstehen gab, daß die von ihm überbrachten Warnungen von einer dritten Person herrührten und er nur mit ihrer Ausführung beauftragt gewesen sei.

Erst später, als er sich mit Inez einen Augenblick allein sah, sprach er sich zu ihrer Verwunderung mit ziemlich verständlichen Worten dahin aus, daß er bereit sei, alle von ihm verlangten Aufschlüsse zu erteilen, wenn es ihm gestattet sei, sich nur in Gegenwart von Inez selbst und ihrem Vater auszusprechen.

Seinen Wünschen wurde natürlich sogleich willfahrt, und Schrecken bemächtigten sich sowohl des Rancheros, wie seiner Tochter, als sie aus den unzusammenhängenden Berichten des Chinesen errieten, daß Ramiro hauptsächlich die Triebfeder der bösen Anschläge gewesen sei, denen sie auf so wunderbare Weise entgangen waren.

Der Eifer, mit dem Don Sanchez so lange den Urhebern so vieler Verbrechen auf die Spur zu kommen getrachtet hatte, war plötzlich verschwunden. Er gebot sogar dem Chinesen, das tiefste Stillschweigen über alles zu bewahren, was Ramiro betraf. Er war schon zu tief verletzt durch das verräterische Benehmen seines Verwandten, als daß er dieses auch noch hätte zum Gegenstande gerichtlicher Untersuchungen machen und vor die Öffentlichkeit bringen mögen. Außerdem war ja auch mit Gewißheit anzunehmen, daß Ramiro nunmehr das Land verlassen habe, um nie wieder dahin zurückzukehren.

Nur einmal, nach Jahresfrist, traf auf der Rancho die Kunde aus der Stadt Mexiko ein, daß Ramiro dort mit einer auffallend schönen spanischen Tänzerin gesehen worden sei, und daß beide in ihrer äußeren Erscheinung mehr als gewöhnliche Wohlhabenheit zur Schau getragen hätten.

Der Chinese aber fand im Hause des Rancheros, wo er mit einem, alle seine Erwartungen übertreffend hohen Gehalt als Koch angestellt wurde, ein seinen Wünschen und Fähigkeiten angemessenes Unterkommen. In der neuen Stellung blieb der Affe ebenfalls sein treuer Gefährte, und beiden gelang es allmählich, sich die Gunst des übrigen dienenden Personals in so hohem Grade zu erwerben, daß das Vorurteil, mit dem man die neuen Hausgenossen anfangs betrachtete, sehr bald schwand, und sie sich kein behaglicheres und zufriedeneres Leben hätten wünschen können. –

Der alte Gale war bald, nachdem alles geordnet war, wohlgemut nach seiner einsamen Blockhütte zurückgekehrt, und obgleich er überall, wohin der Zufall ihn führte, die freundlichste Aufnahme gefunden hatte, so freute er sich doch von Herzen, aus dem Gewirre herauszukommen und nicht mehr gezwungen zu sein, beständig so viele fremde Menschen um sich zu sehen.

Seit ungefähr vierzehn Tagen mochte er sich wieder bei den Seinen befinden, als er in den Nachmittagsstunden eine Karawane entdeckte, die, vom Uvaspaß herkommend, zu seinem nicht geringen Verdruß gerade auf seine Hütte zulenkte. Sie bestand aus Reitern, Packpferden und einer kleinen Herde Rindvieh.

Er unterließ indessen nicht, den bei ihm eintreffenden Fremden nach gewohnter Weise seine Einfriedigung und Hütte zur Verfügung zu stellen und sie zu bitten, sein Eigentum als das ihrige anzusehen.

Die Leute erklärten, mit Freuden auf das Anerbieten eingehen zu wollen, und da ihre Aufgabe nunmehr gelöst sei, am folgenden Morgen in aller Frühe wieder umzukehren.

»Umkehren?« fragte Gale mit einem spöttischen Blick. »Umkehren? Warum, zum Teufel, seid ihr denn überhaupt hierhergekommen, wenn ihr wieder umzukehren beabsichtigt?«

»Wir sollen nur Grüße bringen von Euren Freunden auf der andern Seite von Pueblo de los Angeles,« entgegnete der Wortführer, »und sie lassen Euch bitten, die Kühe von ihnen anzunehmen. Es ist der Ersatz für diejenigen, die Euch von den Desperados erschossen wurden. Auch ein Pferd schickt Don Sanchez, zu Eurem alleinigen Gebrauch; für jeden Eurer Söhne dagegen eine Doppelflinte zur Entenjagd, und für Eure Frau und Tochter einen Ballen farbiger Stoffe und Decken, Glasperlen, Ohrringe und sonstiger Sachen, die ihnen Freude machen dürften. Und dann,« fuhr der Bote fort, als er gewahrte, daß Gale vor Erstaunen kein Wort hervorzubringen vermochte und ihn ungläubig anstarrte, »und dann, ebenfalls für Euch ganz allein,« hier neigte er seinen Mund dem Ohr des Trappers zu, »ein Fäßchen vom besten Los Angeles-Wein und ein Fäßchen echten Jamaika-Rum.«

»Goddam! seht Ihr meine grauen Haare?« fragte der Trapper, halb wehmütig, halb zornig. »Bin doch wohl zu alt, um noch verspottet zu werden. Was haben sich die Leute um mich zu kümmern, und was veranlaßt sie, mir Geschenke zu senden?«

»Kein Spott, alter Gentleman«, versetzte der Bote, der sich an der Freude des alten, einfachen Gebirgsjägers weidete; »nein, kein Spott; reine Wahrheit! Sie trugen mir auf, Euch zu sagen, sie schuldeten Euch mehr, als sie abzutragen vermöchten.«

»Verdammter Unsinn!« polterte Gale heraus. »Möchte wissen, wofür sie mir etwas schulden? Vielleicht dafür, daß sie ein paar Stunden in meiner Hütte zubrachten? Oder dafür, daß die Desperados ihnen die Hälse nicht hier in diesem gesegneten Tale abschnitten? Verdammter Unsinn, tat nur meine Schuldigkeit!«

»Sie wollten Euch einen Brief schreiben und alles auseinandersetzen, aber sie bedachten, daß – daß –«

»Daß ich nicht lesen kann! Goddam! sagt's nur gerade heraus; ist schon mancher zur Hölle gefahren, der voll Gelehrsamkeit steckte wie ein gefüllter Wasserschlauch, und mancher nach den glückseligen Jagdgefilden abgereist, der ein gedrucktes Buch nicht von einem Maiskuchen zu unterscheiden wußte! Schäme mich dessen aber nicht, bin mit Ehren alt und grau geworden, und wenn Euch denn so sehr darum zu tun ist, so will ich das Geschenk annehmen. Ja – und – Ihr könnt ihnen erzählen, daß ich mich gefreut – sehr gefreut habe, schon allein meiner Alten und der Kinder wegen –«

»Auch bitten sie, Ihr möchtet Euch zuweilen im Tal von San Bernardino sehen lassen.«

»Auch das will ich tun; verdammt! ich bin sonst kein Freund von dergleichen Ausflügen, denn es ist zu schön hier in diesem Erdenwinkel, aber dahin – ja, dahin gehe ich gern, und werde ihnen den schönsten Hirsch mitbringen, der hier aufzutreiben ist, vorausgesetzt, das Wetter ist nicht zu warm für Fleischtransporte.«

Nachdem der alte Jäger auf diese Weise seine Bereitwilligkeit, das Übersandte anzunehmen, an den Tag gelegt hatte, packte er den Ballen sogleich auseinander, um den Boten Gelegenheit zu geben, sich an der Freude der Seinigen zu ergötzen und sie, nach ihrer Heimkehr auf der Rancho, gebührendermaßen schildern zu können.

Als am folgenden Morgen die Überbringer der reichen Geschenke Abschied von der Blockhütte nahmen, da gaben der Trapper und seine Söhne ihnen noch eine Strecke weit das Geleit.

Auch sie hatten einen kleinen Ballen Geschenke für die fernen Freunde sorgfältig zusammengepackt. Er enthielt einige Otterfelle, zierlich gestickte Mokassins und indianische Arbeitstäschchen, im Vergleich mit den empfangenen Gaben lauter Kleinigkeiten, doch wurden sie gewiß nicht minder herzlich angeboten, und von nicht weniger aufrichtigen Wünschen begleitet als jene, aber auch mit nicht geringerer Freude entgegengenommen.

 


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