Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Das Begräbnis des Räubers.

Während die in den letzten Kapiteln geschilderten Begebenheiten sich in dem Versteck der Desperados, und weiter unten, nahe der Mündung des Cajonpasses in das Tal von San Bernardino, zutrugen, befanden sich Ramiro, Arabella und zwei Leute, die von ersterem zur mutmaßlichen Reise durch die Wüste gedungen worden waren, zwischen den kleinen runden, zedernbewaldeten Hügeln, am Rande der mit Yuckabäumen geschmückten Kiesebene, gerade da, wo die aus dem Osten kommende Straße an einem schroffen Abhange in den Paß hinabführte.

Die Pferde standen gesattelt und bepackt da, sie hatten schon seit Einbruch der Dunkelheit so dagestanden; nur die Zäume waren von den Köpfen entfernt und an die Sättel gehangen, und die Decken, des drohenden und später einbrechenden Regens wegen, über ihre Rücken geschlagen worden.

Augenscheinlich waren sie auf einen langen, scharfen Ritt vorbereitet, denn nur noch mechanisch kaute das eine oder das andere zuweilen an den Maiskolben, die man im Überfluß vor sie auf den Rasen gestreut hatte; sie waren gesättigt und ausgeruht. –

Ramiro und Arabella saßen unter einer Art Laube, die, von duftenden Tannen- und Zedernzweigen hergestellt und mit mehreren wollenen Decken überzogen, einen notdürftigen Schutz gegen das losbrechende Wetter gewährte.

Arabella war munter und guter Dinge. Die Unruhe, die aus dem Benehmen ihres Gefährten sprach, schien sie mehr zu ergötzen, als ihre Teilnahme zu erwecken, und wenn sie vom größten Luxus und von allen Annehmlichkeiten des Lebens umgeben gewesen wäre, so hätte sie nicht fröhlicher, leichtfertiger, aber auch nicht boshafter sein können.

Sie hatte einen geölten Matrosenmantel um ihre Schultern geschlungen und ihren klassisch geformten Kopf, von dem die feuchten, sonst so krausen Locken in langen Ringeln niedersanken, mit einem Hut von demselben Stoffe bedeckt; und wie sie so dasaß, von grünen Zweigen umkränzt, bald mit unnachahmlicher Grazie das Feuer vor sich schürte, bald das zottige Haupt des verdrießlichen Affen, der sich fröstelnd an sie schmiegte, mit ihren kleinen Fingern rieb und scheuerte, da hätte man kaum geahnt, daß hinter einem so anmutigen Bilde ein so hoher Grad von Gesunkenheit verborgen sein könne.

Nur hin und wieder, wenn sie zu Ramiro emporschaute, ihre Lippen zu einem hellklingenden, schadenfrohen Lachen öffnete, und der rote Glanz des Feuers zugleich ihr schönes Antlitz mit wunderbaren Lichtreflexen schmückte, hätte man sie mit einem bösen, hinterlistigen Dämon vergleichen können, aus dessen bezaubernden Augen ganz verstohlen die strafbarsten Leidenschaften sprühten. –

Mitternacht war längst vorüber, und noch immer war keine Kunde von ihren Verbündeten eingetroffen. Ramiro glaubte mehrfach das in der Ferne verschwimmende, donnernde Echo eines Schusses vernommen zu haben und war jedesmal heftig zusammengefahren. Seine Unruhe wuchs von Stunde zu Stunde, und vergeblich tröstete Arabella ihn damit, daß in diesem ganz besondern Falle gar keine Nachricht immer noch die beste Nachricht sei, indem nach einem Mißlingen des Unternehmens wenigstens Toby Ring sicher schon längst bei ihnen eingetroffen sein würde.

»Caramba! Was mir einfällt!« rief sie plötzlich aus, indem sie wieder in ihre sitzende Stellung emporschnellte, ohne aber den Kopf des knurrenden Affen fahren zu lassen.

Ramiro wendete sich um und blickte gespannt zu ihr hinüber, während eine unbestimmte Furcht sich seiner bemächtigte.

»Wenn der schurkische Irländer nur nicht alles verdorben hat!«

»Verdorben?« fragte ihr Gefährte, ängstlich einen Schritt näher zu ihr herantretend.

»Ja, verdorben; er wird seine Raublust nicht haben bändigen können, ist, anstatt an der Landstraße auf des Rancheros Tochter zu lauern, auf der von allen Menschen entblößten Rancho eingebrochen, hat sich dort die Taschen gefüllt, wobei ihm seine Gefährten hilfreiche Hand leisteten, denn selbst mein Freund Toby ist nicht ganz ohne schwache Seiten, und Ihr mögt Euch daher Eure Angebetete selber holen. Carajo! so wird es sein, oder wir hätten schon längst von ihnen gehört!«

Ramiro bebte. Der Tänzerin vorgebliche Vermutung schien ihm nicht nur viel Mögliches, sondern auch viel Wahrscheinliches zu enthalten.

»Haben Eure Gefährten mich hintergangen,« begann er, und sein Gesicht nahm einen drohenden Ausdruck an, »so habt Ihr darum gewußt; Ihr seid in meinen Händen, an Euch werde ich mich halten; und glaubt, Ihr sollt mir nicht entschlüpfen.«

»Hahaha!« lachte die Tänzerin, sich wieder hintenüber werfend und mutwillig den Affen am Ohre zausend. »Bueno! Caramba! Ihr haltet Euch an mich und ich mich an Euch; oder wähnt Ihr vielleicht, ich wäre in diesem Falle nicht ebensogut hintergangen worden, wie Ihr?«

»Sie kommen!« sagte Ramiro hastig, bis an den Rand des Abhanges vortretend. »Sie kommen, ich höre den Hufschlag der Pferde!«

Arabella stand bei dieser Nachricht schnell auf, zog den Regenmantel dichter um sich und trat an Ramiros Seite.

»In der Tat, sie kommen«, wiederholte sie, als sie einen Augenblick in die dunkle Tiefe hinabgelauscht hatte, und zum ersten Male lag eine gewisse Ängstlichkeit im Ton ihrer Stimme. »Ja, sie kommen; aber wer kommt? Bereitet Euch nur nicht zu sehr auf eine Liebeserklärung vor. Wer weiß, sie mag überflüssig geworden sein.«

Die Pferde, deren Annäherung sie durch das tobende Wetter hindurch vernommen hatten, waren unterdessen unten am Fuße des Abhanges eingetroffen und begannen langsam auf der gewundenen, steilen Straße aufwärts zu klettern.

»Wohin führt der Weg durch die Wüste?« rief Ramiro, bebend vor Erwartung, hinab.

»Nach der heiligen Stadt der Mormonen!« lautete die verabredete Antwort, doch weder Finney noch Toby Ring war es, der sprach.

»Sie sind es nicht!« stöhnte Ramiro, und ein Schauder, wie ihn nur ein böses Gewissen erzeugen kann, durchrieselte ihn.

»Sie sind es nicht«, flüsterte auch die Tänzerin, jedoch ohne äußerlich Unruhe zu verraten, und mit Spannung sahen beide der Ankunft der Reiter entgegen, die sich langsam immer höher zu ihnen hinaufarbeiteten.

»Ihr kommt allein?« fragte Ramiro endlich, als er unter den vor ihm auftauchenden Gestalten den Harlekin an seiner Stimme erkannte.

»Ja, wir kommen allein und sind froh, überhaupt noch zu kommen!« hieß es im Chor zurück. »Der Teufel ist im Tal von San Bernardino los, und haufenweise setzen die Milizen den flüchtigen Desperados nach«, fügte der Harlekin hinzu, indem er, oben angekommen, wie seine beiden Gefährten aus dem Sattel sprang.

»Aber was gehen Euch die Desperados an?« fragte Ramiro mit stockender Stimme. »Und wo sind Eure Gefährten? Ich hoffe, sie haben sich an niemandem vergriffen, nachdem sie – nachdem – sie – nun – die Tochter –«

»Alles war geglückt, trotz der falschen Nachrichten«, gab der Harlekin zur Antwort; »nicht von der Straße, sondern aus dem Hause holten wir das Mädchen; gutwillig und ohne sich zu sträuben ging es mit –«

»Unmöglich!« stöhnte Ramiro. »Ich weiß genau, sie ist zum Stiergefecht geritten.«

»Werdet Euch hoffentlich noch überzeugen können, daß ich die Wahrheit spreche; denn sind der Direktor und sein irländischer Herkules nicht gefangen, so müssen sie noch vor Tagesanbruch hier eintreffen. Wir trennten uns von ihnen schon in der Mündung des Passes, weil es unserem Leben galt; vielleicht ist es ihnen geglückt, in eine Nebenschlucht zu entkommen und die Verfolger zu täuschen. Außerdem ist der Weg zur Nachtzeit fast unpassierbar; die Bäche sind zu Strömen geworden.«

Ramiro antwortete nicht mehr und folgte mechanisch, als Arabella alle aufforderte, ans Feuer zu treten, um sich genaue Berichte über das Vorgefallene abstatten zu lassen.

Teilnahmlos vernahm er die Beschreibung des verübten Einbruches, der, nach Angabe des Harlekins, einzig und allein der Tochter des Rancheros gegolten hatte, teilnahmlos die Beschreibung der Flucht und der Verfolgung; als aber der gewechselten Schüsse erwähnt wurde, da schlug er sich verzweiflungsvoll mit der Faust vor die Stirn.

Reue war es indessen nicht, was er empfand, sondern ein wilder, mit unbestimmter Furcht, Haß und Rachedurst vermischter Schmerz, weil nach diesem letzten mißglückten Versuch, von dessen Erfolg er alles hoffte, Inez und mithin auch ihr Reichtum auf ewig für ihn verloren war.

Gelangte sie wirklich noch in seine Gewalt, so durfte er nicht bezweifeln, daß sie sich jetzt, nachdem sie ihn als den Bundesgenossen der schwärzesten Verbrecher kennen gelernt hatte, mit noch größerem und gerechtfertigterem Abscheu von ihm wenden und, bei ihrem Stolz und ihrer unerschütterlichen Willenskraft, lieber einen zehnfachen Tod erleiden, als sich ihm zu eigen geben würde.

Freilich konnte sie immer noch nicht wissen, daß er es gewesen, auf dessen Veranlassung sie dem elterlichen Hause entrissen wurde, und daß er die Verbrecher, zu deren Ergreifung die Milizen aufgeboten worden waren, gedungen hatte, allein, bei ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm mußte ihr ja alles klar werden, und bebend schrak er vor dem Gedanken zurück, überhaupt noch einmal vor sie hinzutreten.

Daß ihr Leben bei der Flucht, die der Harlekin und die beiden Desperados als eine verzweifelte schilderten, gefährdet gewesen, daran dachte er kein einziges Mal. Seine eigene Sicherheit, seine eigene Zukunft standen ihm zu hoch. Vermochte er doch kaum seinem Haß gegen den Majordomo Raum zu geben, dem die reiche Erbin nunmehr sicher anheimfallen mußte. Noch viel weniger aber versuchte er es, das Geheimnis zu durchdringen, das, nach seiner Meinung, Inez von dem Stiergefecht und auf der Rancho so ganz allein zurückgehalten hatte.

Er fühlte, daß er in den Abgrund hinabgestürzt war, an dessen Rande er sich so lange, wie mit verbundenen Augen, hinbewegt hatte. Sein Kopf wirbelte, und weit, weit fort wünschte er sich von der Stelle, wo er Gefahr lief, mit denen zusammenzutreffen, die nunmehr nicht länger über ihn in Zweifel sein konnten.

Da ertönte abermals der ungewöhnlich langsame und vorsichtige Hufschlag von Pferden aus dem Paß herauf.

Arabella und ihre Genossen eilten sogleich an den Rand des Abhanges. Ramiro aber bebte, und schaudernd bedachte er, daß es vielleicht Inez sei, Inez, sich ohnmächtig windend in den Armen eines Verbrechers.

»Wohin führt der Weg durch die Wüste!?« rief die Tänzerin mit unterdrückter Stimme hinab.

Keine Antwort ließ sich vernehmen, dagegen erschallte deutlicher das Klappern der Hufe zweier Pferde, die schnaubend ihren Weg an dem Abhange hinauf suchten.

»Wohin führt der Weg durch die Wüste?« fragte Arabella dringender und lauter, und gespannt lauschte sie sowohl als ihre Genossen auf das verabredete Zeichen.

Doch nur die Hufeisen klapperten auf dem scharfen Gerölle, hin und wieder einen hellen Funken aus den Steinen herausschlagend.

»Halt! oder ich schieße!« rief Arabella jetzt, denn sie bezweifelte nicht länger, daß es keiner der ihrigen sei, der sich auf so geheimnisvolle Art näherte.

»Es sind herrenlose Pferde«, sagte Ramiro, der, von einer unerklärlichen Angst getrieben, wieder an ihre Seite getreten war; »es sind herrenlose Pferde, ich sehe sie deutlich, wenn sie sich nicht gerade vor dem Buschwerk befinden.«

»Herrenlose Pferde«, bekräftigte Arabella, indem sie sich aufs äußerste anstrengte, die Gegenstände auf dem dunkeln Abhange genauer zu unterscheiden und voneinander zu trennen. »Wo kommen sie her?« fuhr sie sinnend und zu sich selber sprechend fort. »Mir ahnt nichts Gutes; sie müßten längst hier sein, wäre ihnen kein Unglück begegnet, denn es beginnt zu tagen.« Und unbekümmert darum, daß der heftig strömende Regen sie fast blendete, blieb sie, die Ankunft der Pferde erwartend, ruhig auf derselben Stelle stehen.

Als die Pferde bis in die Nähe der Gesellschaft angekommen waren, sich aber noch gegen zehn Fuß weiter unterhalb befanden, standen sie still und stießen, wie begrüßend, ein leises Wiehern aus.

Die beiden Desperados stiegen zu ihnen herab, und indem sie ihnen freundlich zuredeten, gelang es ihnen, sie an den zerrissenen und lose niederhängenden Zügelriemen zu ergreifen. Die ermatteten Tiere folgten ihnen willig, und als sie dann oben eintrafen, wo kein schwarzer Hintergrund mehr ihre äußeren Formen und Umrisse verwischte, erkannten alle Anwesenden sogleich das vorderste Pferd für das des Irländers, das hintere dagegen für das Tier, das Toby Ring schon seit vielen Monaten geritten hatte.

Ramiro atmete auf; er hatte noch immer gefürchtet, der von Todesangst gefolterten, bei seinem Anblick aber entrüsteten Inez in die Augen schauen zu müssen und zugleich Vorwürfe von ihr zu vernehmen, die zu widerlegen, oder für die sich auch nur zu entschuldigen, er weder imstande war, noch den Mut besaß. Es war ja alles so ganz anders gekommen, wie er in seinem blinden Wahn berechnet und gehofft hatte.

»Die Pferde sind da, aber wo sind die Reiter?« fragte der Harlekin, auf der einen Seite der Tiere herumschreitend, während die Tänzerin sich nach der entgegengesetzten Richtung bewegte.

»Hier ist auch der eine Reiter«, versetzte letztere mit erzwungener Fassung, worauf sie sich umkehrte und sich auf ihre alte Stelle vor dem Feuer zurückbegab.

Ramiro schaute ihr verwundert nach, denn er so wenig wie einer der andern hatten das bemerkt, was die Tänzerin zu den seltsamen Worten und dem noch seltsameren Benehmen veranlaßte, noch wußte man sich zu enträtseln, was ihr so plötzlich das Blut aus den Wangen getrieben und sie so nachdenkend gestimmt hatte, wie man beim Schein des Feuers deutlich gewahrte.

»Forscht hinter des Direktors Pferd«, sagte sie endlich kurz und mit befehlendem Ausdruck, als sie inne wurde, daß alle Blicke verwunderungsvoll auf sie gerichtet waren.

Ihrer Aufforderung wurde Folge geleistet, und ein Ausruf des Schreckens brach von allen Lippen, als man den gräßlich verstümmelten Körper Toby Rings erkannte, der, den Fuß noch immer im Steigbügel, halb hinter und halb neben dem Pferde, herschleppte.

Ein tiefes Schweigen folgte dem ersten Ausbruch des Entsetzens. Niemand wagte seine Ahnungen und Befürchtungen laut auszusprechen, die ihn nach der furchtbaren Entdeckung bestürmten. Man glaubte eine höhere Hand zu erkennen, die hier Gericht gehalten, eine Hand, die auch sie noch immer jederzeit und an jedem Orte zu treffen wußte, trotzdem sie sich jetzt als vor den Milizen gesichert betrachten durften. Der Anblick einer furchtbaren, blutigen Vergeltung wirkte lähmend auf die unter Verbrechen erhärteten Seelen, und Männer, die sonst gewohnt waren, mit dem Tode zu spielen, vermochten nur unter Zittern und Zagen auf die leblose Gestalt ihres früheren Gefährten hinzuschauen.

Doch es mußte ein Entschluß gefaßt werden; denn jede Minute Versäumnis konnte ihnen verderblich werden.

Schaudernd lösten der Harlekin und die Desperados den Leichnam von dem Sattel des bis zum Tode erschöpften Pferdes, und schweigend trafen sie Anstalt, sogleich aufzubrechen und einen Ort zu fliehen, wo sie selbst auf so unzweideutige Weise an ein rächendes Geschick gemahnt wurden. –

»Es ist alles zum Aufbruch bereit«, sagte der Harlekin kleinlaut, ans Feuer tretend, wo Ramiro und die Tänzerin, beide in tiefe Gedanken versunken, nebeneinander saßen.

»Wo ist der Direktor?« fragte Arabella, heftig auffahrend.

»Er liegt dort in einem dichten Zedernbusche.«

»Und dort wollt ihr euern früheren Gefährten den Wölfen zur Beute liegen lassen?«

»Die Zeit eilt, der Tag bricht an, jede Zögerung ist gefährlich, denn die Verfolger können nicht weit sein. Überzeugt Euch, nicht der Sturz vom Pferde, sondern eine Kugel machte seinem Leben ein Ende.«

»Eine Kugel?« fragten die Tänzerin und Ramiro überrascht.

»Eine Kugel«, bekräftigte der Harlekin.

»Wir müssen uns entscheiden«, sagte die Tänzerin, halb zum Harlekin, halb zu Ramiro gewendet, aber mit einer unerklärlichen Ruhe und Festigkeit, wie sie nur der reinsten Unschuld oder der größten Sündhaftigkeit entspringen kann. »Die Kugel ist der sicherste Beweis, daß die Tochter des Rancheros wieder zu den ihrigen zurückgebracht wurde. Wir haben hier also nichts mehr zu erwarten oder zu hoffen.«

»Nein, wir haben hier nichts mehr zu erwarten«, wiederholte Ramiro tonlos, ohne aufzublicken.

»Aber niemand weicht von der Stelle, ehe dem Direktor nicht ein anderes Begräbnis zuteil geworden ist«, fügte Arabella mit einer gebieterischen Handbewegung hinzu. »Die Wölfe sollen ihn nicht berühren und die Verfolger nicht ihren Spott mit ihm treiben. Er war unser treuer Gefährte, erweisen wir ihm daher den letzten Dienst, den wir ihm schulden.«

Der Harlekin, wohl wissend, daß die Tänzerin sich durch nichts von ihrem einmal gefaßten Entschluß würde abbringen lassen, forderte die übrigen Leute auf, ihm bei der Arbeit behilflich zu sein. Sie folgten ihm nur mit Widerstreben.

Nach Verlauf einer halben Stunde lag der tote Räuber sicher gebettet in einer alten Regenfurche, an der das Wasser sich einen andern Weg vorbeigewühlt hatte. Eine Schicht Erde, die man mit den Füßen und Beilen von dem vorspringenden Sandufer niedergestoßen und gehackt hatte, bedeckte ihn. Über der Erdschicht aber erhob sich noch ein Haufen unregelmäßig durcheinander geworfener Steine.

»Es ist geschehen«, sagte sodann der Harlekin zu der Tänzerin, die während der ganzen Zeit ihre Lippen nicht geöffnet und grübelnd in die sterbende Glut des Lagerfeuers geblickt hatte.

»Dann bringt die Pferde«, versetzte die Angeredete, mit hastiger Bewegung aufstehend.

Der Harlekin entfernte sich, und während alle beschäftigt waren, sich zur Reise zu rüsten, reichte die Tänzerin ihre Hand über das Feuer hin Ramiro entgegen.

»Ihr sagtet, daß Ihr Euch, im Falle des Fehlschlagens Eurer Hoffnungen, an mich und meine Person halten wolltet«, begann sie mit ungewöhnlichem Ernst; »ist das noch Euer Wille, so biete ich Euch hier meine Hand.«

Ramiro blickte das dämonische Wesen, in dessen Augen die Zauberkraft einer Klapperschlange zu liegen schien, fest an, und wie Schadenfreude glitt es über seine von den bösesten Leidenschaften entstellten Züge.

siehe Bildunterschrift

»Es sei! Stehen wir zueinander«, entgegnete er, die dargebotene Hand ergreifend, und das Bündnis war geschlossen.

Toby Rings und Finneys Pferde waren in den Paß zurückgetrieben worden; der Affe saß angebunden in der Laube, wo man ihm aus einer wollenen Decke ein warmes Lager bereitet und Lebensmittel auf mehrere Tage hingelegt hatte. Die Reiter befanden sich in den Sätteln und die beiden Diener Ramiros trieben die mit den zur Reise erforderlichen Gegenständen bepackten Tiere herbei.

»Wohin?« fragte Ramiro, ehe er sein Pferd in Bewegung setzte. »Dort liegt der Salzsee, und in der entgegengesetzten Richtung Mexiko.«

»So mag es Mexiko sein«, antwortete Arabella, sich dichter in ihren Regenmantel hüllend.

»Wohlan denn, so ist Sonora unser nächstes Ziel«, versetzte Ramiro, indem er sein Pferd gegen Süden lenkte.

Die Tänzerin begab sich an seine Seite, die übrigen Leute, als wenn ein altes Übereinkommen sie gefesselt hätte, folgten schweigend, und dahin zog die seltsame Karawane, immer am Rande der großen Colorado-Sandwüste hin. –

Heftiger strömte der Regen nieder. Er verwischte die Spuren, die beim Begräbnis des Räubers zurückgelassen worden waren, er verwischte die Spuren, die unter den Hufen der Pferde in dem kiesigen Erdreich entstanden; ob er aber auch prasselnd auf den steifen Regenmantel Arabellas und auf die wollenen Decken ihrer Begleiter schlug, die Spuren, die die Verderbtheit auf dem Gewissen jedes einzelnen Mitgliedes dieser Gesellschaft zurückgelassen hatte, die verwischte er nicht, sie waren zu tief ausgeprägt.

 


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