Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Sechzehntes Kapitel.
Erklärungen.

Fast schien es, als ob auch in dem Ausdruck des jungen Mädchens sich innigere Gefühle gespiegelt hätten, denn ein leises, kaum wahrnehmbares, glückliches Lächeln erhellte ihr liebliches Antlitz. Im nächsten Augenblick dagegen hatte sie sich schon wieder den Armen des Majordomos entwunden, und mit einem stolzen, herablassenden Neigen ihres Hauptes sprach sie in kalten Worten ihren Dank aus.

»Wir sind quitt«, waren die ersten Worte, die sie hervorzubringen vermochte, und als sie dann eine eigentümliche Befremdung in den Zügen des tief verletzten Robert gewahrte, da stieg ihr das Blut der Scham in die Wangen. Sie bereute bitter, was sie in der Übereilung gesprochen, und doppelt, weil ihre Worte darauf hindeuteten, daß sie ihm einst einen ähnlichen Dienst leistete, was sie jedoch um jeden Preis geheim vor ihm halten wollte. Es waren Worte, die nicht im Einklang standen mit ihrem edlen Gemüt, nicht aus ihrem Herzen kamen und nie den Weg über ihre Lippen gefunden hätten, wäre sie auf die Begegnung mehr vorbereitet gewesen.

Der wilde Ritt und die Gefahr, in der sie geschwebt, hatten sie aufgeregt, und als sie sich dann unerwartet in den Armen desjenigen wiederfand, an den sie gewohnt gewesen war, die süßesten Hoffnungen zu knüpfen, und der, wenn er sie auch nicht offen hinterging, doch wenigstens sie täuschte und verschmähte, da waren die Vorsätze vergessen, die sie kaum zwei Stunden vorher gefaßt hatte.

Aber sie hatte noch nicht vollständig ausgesprochen, da bereute sie ihr Benehmen schon aus vollem Herzen; sie bereute es um so tiefer, weil sie Robert ansah, daß er sich die harten Worte nicht zu enträtseln, einen Zusammenhang mit ihrer jetzigen Lage nicht herzustellen vermochte, und schnell versuchte sie, den peinlichen Eindruck zu vernichten oder doch wenigstens zu mildern.

»Verzeiht, Sennor«, hob sie mit freundlicherer Stimme an, dem Majordomo die Hand reichend, jedoch immer noch nicht mit einer Miene, die diesen ermutigt hätte, das plötzlich veränderte Benehmen als eine besondere Gunstbezeigung zu betrachten; »ich wußte nicht, was ich sprach; der Sturz, die Jagd, alles dies mußte mich furchtbar aufregen. Bezweifelt aber nicht, Sennor, daß ich nicht unterschätze, in wie hohem Grade ich Euch zu Dank verpflichtet bin.«

Robert blickte das junge Mädchen eine Weile fest und sinnend an. »Ihr habt mir nicht zu danken, Sennora«, entgegnete er dann ernst, und das leise Zusammenziehen seiner Augenbrauen bekundete, daß er einen herben Schmerz zu bekämpfen suchte; »was ich für Euch tat, und Gott weiß, es war nur wenig, würde ich für jeden andern Menschen ebensogut getan haben, hätte ich die Achtung nicht vor mir selbst verlieren wollen.«

Inez zog die Oberlippe noch stolzer empor, als gewöhnlich. »Wohlan, Sennor«, begann sie, indem sie sich halb nach Sidney umwendete, der Maria in herzlicher, fast kindlicher Weise begrüßte, »so danke ich Euch nicht minder aufrichtig im Namen aller Menschen, denen Eure Hilfe hätte zuteil werden können.« Und dann in ein gezwungenes Lachen ausbrechend, reichte sie dem bescheiden herankommenden Fernando die Hand, die dieser höflich, aber mit einem mißtrauischen Blick auf ihre erregten Züge, küßte.

Der arme Knabe, er konnte die Undankbarkeit der sonst so gütigen, wohlwollenden Sennora nicht begreifen. Nach seiner Ansicht hatte Robert eine große und edle Handlung ausgeführt, eine Handlung, die wohl eines besseren Dankes, als kalter Worte und eines förmlichen Neigens des Hauptes wert gewesen wäre.

Fernando war übrigens der einzige, der auf Roberts und Inez' Begegnung geachtet und das Auffällige darin bemerkt hatte.

Als Juan sich dann näherte, Sidney und Maria, beide strahlend vor Entzücken über die glückliche Wendung der Dinge, hervortraten, um mit Inez und dem Majordomo ihre Begrüßungen und Glückwünsche auszutauschen, da war letzterer wieder vollständig Herr über sich selbst geworden, während Inez mit ihrem anmutigsten Lächeln um sich schaute und das, was ihr Herz bedrückte, hinter einem Schleier stolzen Selbstbewußtseins und bezaubernder Leichtfertigkeit verbarg.

»Dein Traum war doch wohl weiter nichts, als eine Erfindung deiner aufgeregten Phantasie?« rief sie Juan zu, der mit dem Hut in der Hand vor sie hintrat und verstohlen auf das Pferd deutete, das er auf der Heimreise geritten hatte; »ja, eine Erfindung deiner aufgeregten Phantasie«, wiederholte sie mechanisch, und ein schmerzhaftes Zucken um ihren Mund verriet, wie genau sie das Zeichen des Arrieros verstanden hatte.

»Ich kam zur rechten Zeit«, versetzte Juan ausdrucksvoll, »mein Reitpferd wurde zwar eine Beute der Wölfe, aber keine halbe Stunde später hätte ich eintreffen dürfen.«

»Wunderbar, guter Juan, sehr wunderbar!« entgegnete Inez erbleichend; »aber ich kann kaum glauben, daß nur ein Traum dich zu so schleuniger Abreise trieb. – Also dein armes Pferd wurde den Wölfen zur Beute?« fügte sie sinnend hinzu, und ihre Stimme bebte leise. »Doch beruhige dich, du hast, wenn sich in der Tat alles so verhält, wie deine Äußerungen erraten lassen, meinem Vater einen großen Dienst geleistet; sei versichert, er wird dir einen seiner besten Renner zur Verfügung stellen.«

»Wem hätte er wohl größere Dienste geleistet als uns?« rief Sidney jubelnd aus, indem er Maria, die gleich nach ihrem Eintreffen abgestiegen war, wieder in den Sattel half. »Und wenn Don Sanchez ihm ein Pferd schenkt, so tut er nicht mehr, als Robert und ich zu tun uns vorgenommen haben. Es war zwar nicht sein eigenes Pferd, aber wir wissen, er betrachtete es als seinen besten Freund und liebte es wie einen Bruder.«

Der Arriero nahm die Worte der Anerkennung hin, ohne irgend etwas zu erwidern. Ihn beschäftigten offenbar die Geheimnisse, die aus Inez' Benehmen hervorlugten, und die er sich nicht zu enträtseln vermochte.

Er liebte den Majordomo, der ihn seit ihrem ersten Zusammentreffen wie einen Freund behandelt hatte; doch stand Inez, seine angebetene Herrin und Wohltäterin, ihm höher, und wenn zwischen den beiden nicht alles so war, wie Juan es instinktmäßig wünschte, so konnte nach seiner Ansicht nur den Majordomo die Schuld treffen, und nicht ganz frei von Mißtrauen beobachtete er diesen, so oft er glaubte, es unbemerkt tun zu können. Er beobachtete ihn mit ähnlichen Gefühlen, wie Fernando auf Inez schaute, der er die Kälte, mit der sie seinem Wohltäter begegnete, nicht vergab.

Sie waren aber die einzigen, die mißtrauisch, ja eifersüchtig über das, ihren Gebietern bezeigte Wohlwollen wachten und ihr eigenes Benehmen gegen andere danach abmaßen.

Sidney und Maria waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie ihren Freunden viel Aufmerksamkeit hätten zuwenden können, wenn auch aus Marias Augen sich manch schmerzlicher Blick zu Inez hinüberstahl, deren Kummer einen so tiefen Widerhall in ihrer eigenen Brust fand.

»Es wird ein heiterer Ritt werden«, sagte Inez, während sie nachlässig ihren Fuß in Roberts offene Hand stellte und sich in den Sattel heben ließ; »gewiß, ein sehr heiterer Ritt«, wiederholte sie, einen freundlich teilnehmenden Blick mit Maria austauschend, »denn das, was die Reisenden zu berichten haben, muß von größtem Interesse sein. Denke dir nur, Maria,« fügte sie lachend hinzu, »was liegt schon allein in Juans Worten: ›Mein Pferd wurde eine Beute der Wölfe, doch keine halbe Stunde später hätte ich eintreffen dürfen!‹ Doch laßt uns keine Zeit verlieren, man wird auf der Mission schon in Sorge sein.« So sprechend, trieb sie ihr Pferd nach der Ebene hinauf, welchem Beispiel die übrige Gesellschaft folgte, und nachdem Juan das zurückgebliebene Packtier herbeigeholt, bogen sie vereinigt in die Straße ein, die dem südlichen Talende zuführte.

Als Inez des Pferdes erwähnte, das im Tularetal verloren gegangen war, fiel es Robert auf, daß sie ihren eigenen Renner nicht ritt. Noch nie hatte er sie auf einem andern Pferde gesehen, und teilnehmend fragte er, was sie zu dem Tausch veranlaßt habe.

»Laune, Sennor, nur Laune«, antwortete Inez zur Seite blickend und die lange Schleppe ihres Reitkleides mit ihrer leichten Reitgerte peitschend. »Ich wünschte mein edles Tier zu schonen; aber laßt die Pferde, erzählt lieber von Euren Abenteuern; ich bin durch Juans Andeutungen gespannt und neugierig geworden.«

»Und doch könnt Ihr nicht begieriger sein, als ich, zu erfahren, was Euch zu dem einsamen Ritt veranlaßte,« entgegnete Robert mit einer höflichen Verbeugung, »vorausgesetzt, Ihr haltet es nicht für unbescheiden, danach zu fragen.«

Inez wies mit der Spitze ihrer Reitpeitsche auf Sidney und Maria, die, harmlos plaudernd, einige Schritte weit vor ihnen herritten; »warum hätte ich ihr und ihm die Freude nicht bereiten sollen?« fragte sie zurück, und ein unbeschreiblich vielsagendes Lächeln spielte auf ihren lieblichen Zügen.

»Also ihm galt Juans Mitteilung, daß jemand auf der Mission unserer Ankunft erwartungsvoll entgegensehe?« fragte Robert so leise, daß Inez ihn kaum verstand.

»Ursprünglich nicht, Sennor«, erwiderte diese, rückwärts zu Juan, Fernando und dem Indianerburschen hinüberblickend, um die auf ihren Wangen aufflammende Röte, die indessen sehr schnell wieder erbleichte, vor Robert zu verbergen. »Nein, ursprünglich nicht. Eigentlich galten die Worte Euch, und zwar kamen sie indirekt von einer Dame.« Hier wendete Inez, die ihre kaltblütige Ruhe nach einem kurzen Kampfe wiedergewonnen, ihr schönes Antlitz dem Majordomo voll zu, »von einer Dame, der Ihr alles seid und die auch Euch, nach allem, was vorhergegangen ist, nicht gleichgültig sein kann.«

Robert bebte. Es dauerte längere Zeit, ehe er eine Antwort zu erteilen vermochte. Das Geheimnisvolle in Inez' Andeutungen, das zu durchdringen er sich vergeblich bemühte, und die aus der vorhergegangenen verletzenden Bemerkung entspringenden Gefühle prägten sich in so auffallender Weise auf seinen Zügen aus, daß Inez ein Zugeständnis und zugleich eine große Verlegenheit an ihm zu erkennen glaubte. In demselben Maße aber, in dem sie immer mehr von der Echtheit des Briefes überzeugt wurde, wuchs auch ihr Unwillen, daß Robert sein Verhältnis zu der Spanierin fortgesetzt zu verheimlichen trachtete.

»Von einer Person, der ich alles bin?« fragte er nach einer langen Pause, indem er tief aufseufzte. »Ich kenne keine solche; aber ein Wesen, das mir alles ist und dem ich mein ganzes Leben weihen möchte, ja, ein solches kenne ich; doch dieses ist stolz und steht mir fern, zu fern, als daß ich wagen dürfte, meine Wünsche bis zu ihm zu erheben.«

Indem er dies sagte, heftete er seine Augen mit einem so sprechenden Ausdruck auf Inez, daß diese nicht bezweifeln durfte, daß er sie selbst meine.

Der Zorn trieb ihr von neuem das Blut in die Wangen. Sie faßte sich indessen schnell, und die Äußerungen des Majordomos auf Alienor beziehend, entgegnete sie mit Nachdruck:

»Und doch seid Ihr diesem Wesen alles, Don Roberto; und was noch mehr ist, ich kenne es und besitze die untrüglichsten Beweise, daß, ich spreche so offen, wie ich alle Menschen sprechen hören möchte, daß also Eure Neigung warm und innig erwidert wird.«

Robert wurde bei jedem Wort, das Inez an ihn richtete, verwirrter; und daher war es verzeihlich, daß Inez aus seinem Mienenspiel ein gewisses Schuldbewußtsein herauszulesen glaubte und mit Spannung dem entgegenharrte, was er als Entschuldigung für sein verstecktes Benehmen anführen werde.

»Beweise, sagt Ihr, Sennora?« fragte er ernst und mit einem Anflug von Unwillen im Ton seiner Stimme. »Beweise für eine Sache, von der ich keine Ahnung habe? O, Sennora, macht es kurz, sagt, was Ihr bezweckt, wofür Ihr mich strafen wollt und womit ich Euern Hohn verdient habe; sagt mir nur dieses, gebt mir die versprochenen Beweise und dann – ja dann will ich Euch erzählen, erzählen von unserer Reise. O, es war eine herrliche Reise, reich an Abenteuern, reich an Erlebnissen, die Beschreibung derselben wird Euch eine angenehme Unterhaltung gewähren!«

Den letzten Teil seiner Rede sprach Robert in einer verstellten, leichtherzigen Weise; aber gerade diese Verstellung bewirkte, daß seine scheinbare Zerknirschung nur noch deutlicher hervorleuchtete und daß Inez beim Ton seiner heiser klingenden Stimme die Hand unwillkürlich aufs Herz legte, als ob sie das heftige Pochen desselben habe beschwichtigen wollen. Gleich darauf richtete sie sich aber schon wieder stolz empor und ein mitleidiger Blick streifte die Gestalt des neben ihr reitenden Majordomos.

»Warum sollte ich Euch verhöhnen?« hob sie an. »Warum Euch verhöhnen oder gar strafen, Euch, dem ich zu so viel Dank verpflichtet bin und der sich die Zuneigung aller auf der Rancho zu erwerben wußte? Nein, Sennor; Ihr habt viel von der Welt gesehen; Ihr kommt aus einem Lande, das als der Mittelpunkt der Zivilisation bezeichnet wird; aber wenn Ihr mir dergleichen zutraut, dann habt Ihr noch nicht gelernt, die freien Kalifornierinnen richtig zu beurteilen. Wir mögen zwangloser sein, als das weibliche Geschlecht in andern Ländern, allein, entartet sind wir deshalb nicht, – doch ich vergesse,« unterbrach sie sich plötzlich selbst, indem sie in der Tasche ihres Reitkleides eifrig suchte, »hier ist ein Brief an Euch. Durch Zufall erfuhr ich den Namen des Absenders und einen Teil des Inhaltes. Zürnt mir deshalb aber nicht und glaubt mir, ich bedauere innig, daß der Absender bis jetzt noch nicht auf der Mission eingetroffen ist, um Euch selbst zu bewillkommnen. Ihr seht,« fuhr sie milder mit ihrem freundlichsten Lächeln fort, »ich hatte ein Recht, zu behaupten, daß Ihr mit Sehnsucht erwartet würdet. Ihr dagegen hättet Euch nicht vor Euern besten Freunden zu scheuen brauchen und offener und vertrauensvoller mit der Wahrheit hervortreten können.«

Robert hatte den Brief hingenommen, betrachtete neugierig, aber ohne große Teilnahme, die Aufschrift und öffnete ihn dann mechanisch, während die Pferde in der alten Ordnung dahinschritten.

Inez, obwohl sie ihre stolze Haltung beibehielt und sich den Schein gab, als berühre der Inhalt des Briefes sie nicht weiter, konnte indessen nicht umhin, ihren Begleiter zu beobachten, um aus seinen Mienen das zu erraten, was offen einzuräumen er sich, aus irgendeinem ihr unerklärlichen Grunde, scheute. Wie überraschte sie es aber, zu gewahren, daß er den Anfang des Briefes zwar mit Verwunderung, aber doch sonst mit durchaus kaltem Ausdruck las und dann sogleich die erste Seite herumschlug, um den Namen der Person kennen zu lernen, die ihm so vertrauliche Bezeichnungen beilegte.

»Alienor!« rief er erschreckt aus, und sein Pferd anhaltend, blickte er mit einem Gemisch von Spannung und banger Neugier auf das vor Erstaunen fast erstarrte Antlitz seiner Gefährtin.

»O, nun wird mir alles klar!« rief er aus, indem er seine Augen minutenlang mit der Hand bedeckte. »Ja, es war von Anfang an auf ein Verbrechen abgesehen«, murmelte er vor sich hin, sein Pferd wieder in Bewegung setzend. »O Sennora!« wendete er sich dann mit strahlenden Augen an das junge Mädchen, »Ihr kennt den Inhalt dieses Briefes?«

»Ich kenne ihn, das Schreiben kam offen in meine Hände und der Zufall fügte es, daß meine Blicke auf Worte trafen, die nicht für mich bestimmt waren, mich aber veranlaßten, noch mehr zu lesen«, sagte Inez, und eine reizende Verwirrung verschönte ihre holden Züge, aus denen jede Spur von Stolz vor einem wehmütig verlegenen Ausdruck zurückgewichen war. »Ja, ich las Worte, die nicht für meine Augen bestimmt waren«, wiederholte sie, »aber beruhigt Euch, Sennor, mein Gefühl war das der Freude, Euch den Brief selbst übergeben zu können und ihn nicht in unrechte Hände geraten zu lassen.«

»Aber, um Gottes willen, teuerste Inez«, rief Robert dringend aus, es war zum erstenmal, daß er das junge Mädchen nur beim Namen nannte, »wißt Ihr auch, was die Schreiberin ist? Sagt, teuerste Inez, ist Euch denn gar nichts an ihr aufgefallen?«

»Nur ihre Schönheit und Bildung sind mir an ihr aufgefallen«, antwortete Inez bebenden Herzens, und wie durch Zauber verwandelte sich die stolze Amazone in eine schüchterne, mit der reinsten Weiblichkeit geschmückte liebliche Jungfrau.

»O, dann will ich es Euch erklären, und dort ist Sidney, dort Juan und mein treuer, unschuldiger Fernando, die meine Aussagen zu bekräftigen vermögen. Sie ist eine Gefährtin von Dieben und Mördern, unter denen ihr falscher Bruder und der gepriesene irländische Diener die Häupter bilden. Sie kamen in das gastfreie Haus Eures Vaters, um auszukundschaften und Unheil anzurichten, und nur der aufopfernden Fürsorge des getreuen Juans schulden wir es, daß wir nicht die Opfer ihrer verbrecherischen Anschläge wurden! Aber der Kopf wirbelt mir, wenn ich zu ergründen suche, was sie veranlaßt haben mag, mir und meinen Gefährten, zur Erlangung des Geldes, nach dem Leben zu trachten und gleichzeitig einen derartigen Brief an mich zu richten. Es waren unbedingt tief angelegte Pläne, und gewiß nicht ohne Absicht wurde der offene Brief gerade in Eure Hände gespielt!«

»Der Bote, der den Brief brachte, benachrichtigte mich zugleich von der Gefahr, die Euch drohte«, unterbrach Inez eifrig den Redefluß des Majordomos, offenbar mit der Absicht, ihm bei der Aufklärung des verderblichen Komplottes behilflich zu sein.

»Dann waret Ihr also der Traum, der den schwarzen Juan bewegte, sein Pferd in den Tod zu reiten, um uns zu warnen?« rief Robert aus, und Furcht und Hoffnung sprachen aus seinen Worten und Mienen. In demselben Augenblick hielt er aber auch sein Pferd so heftig an, daß dieses erschreckt emporbäumte. »Euer Pferd, Sennora, Euer Pferd; Inez, unaussprechlich teure Inez, wo ist Euer Pferd?« fragte er mit so leidenschaftlicher Erregtheit, daß Maria seine Worte vernahm und sich besorgt nach Inez umschaute.

Diese aber hatte sich abgewendet, um die Verwirrung zu verbergen, die sie über die im Eifer unüberlegt gesprochenen Worte empfand, und wohl eine Minute verrann, ehe sie dem Majordomo auf seine Frage zu antworten vermochte.

»Kümmert Euch doch nicht um mein Pferd«, sagte sie mit schlecht erheucheltem Unwillen, »erzählt mir lieber von Eurer Reise oder leset den Brief zu Ende, den Donna Alienor an Euch gerichtet hat; Ihr entdeckt möglicherweise in ihm etwas, das Euch Aufschluß über den vielleicht übereilt gefaßten Verdacht gibt.«

Wäre Robert selbst ruhiger gewesen, so würde es ihm schwerlich entgangen sein, daß Inez nur aus jungfräulicher Verschämtheit über ihr unabsichtliches Geständnis der Unterhaltung eine andere Wendung gab.

Aber er war zu erregt, er schwankte zu sehr zwischen beseligenden Erwartungen und trüben Besorgnissen, um die kurz abgebrochenen und zurückweisenden Worte der Geliebten richtig zu deuten. Er fürchtete, des letzten Hoffnungsschimmers beraubt zu werden, und um eine solche Entscheidung, im Fall sie ihm wirklich drohte, so weit als möglich hinauszuschieben, senkte er die Blicke auf das Blatt in seiner Hand, und Wort für Wort las er, was Donna Alienor an ihn geschrieben hatte.

Die Pferde verfolgten langsam ihren staubigen Weg. Maria lauschte voller Teilnahme, aber doch mit beklommener Brust Sidneys Erzählungen, während sie einzelne Worte der hinter ihr Reitenden zu erhaschen strebte; Fernando und Juan verhielten sich in ihrer gewöhnlichen Weise schweigend und wandten kaum einen Blick von den Gestalten Roberts und Inez'; der Indianerbursche sang eine eintönige, sentimentale Melodie, die in seltsamem Widerspruch zu seinem lebhaften Wesen stand. Inez dagegen hatte ihr schönes Haupt auf die Brust geneigt und schaute nachdenkend auf die Mähnenhaare ihres Pferdes, die sie mechanisch mittels der Reitgerte bald aufkräuselte, bald wieder glatt strich. –

»Alienor; hier steht es«, sagte Robert endlich seufzend, nachdem er den Brief zu Ende gelesen. »Ihr scheint meinen Worten aber keinen Glauben beizumessen, Sennora«, fuhr er fort, und seine Blicke suchten ängstlich die Augen der Gefährtin, die noch immer auf den Hals ihres Pferdes gerichtet waren. »Es ist wahr, wer sie an jenem Abend beobachtete, dem muß es unbegreiflich erscheinen, daß sie die Genossin von Räubern und Mördern sein und selbst mit zu dem Auswurf der Menschheit gehören kann. Aber eine Täuschung ist nicht möglich; ich sah den Irländer so deutlich vor mir, wie ich meinen Freund Sidney dort vor mir sehe. – Es schmerzt mich, Euch den guten Glauben, den Ihr gegen unbekannte, äußerlich einnehmende Menschen hegt, rauben zu müssen«, begann er nach einer Pause, als Inez noch immer scheinbar teilnahmlos dasaß; »allein, wären meine Augen die einzigen gewesen, die den Irländer erkannten, meine Ohren die einzigen, die seine drohenden Worte vernahmen, so würde ich einen Irrtum, ein Mißverständnis für glaublich halten. Aber da ist Sidney, und vor allen der scharfsinnige Juan, und sogar auch Fernando, sie werden mir beipflichten, und mit Eurer Erlaubnis will ich sie rufen –«

»Halt!« unterbrach Inez plötzlich den Majordomo, und zu ihm aufblickend zeigte sie einen solchen Ausdruck mädchenhafter Verschämtheit und zarter Hingebung, daß der entzückte Robert sich bis ins innerste Mark davon berührt fühlte. »Wozu bedarf es der Zeugen?« fragte sie, ihren ganzen Mut zusammenraffend, wobei das Blut ihr bis in die weißen Schläfen hinaufstieg. »Habt Ihr mir jemals Grund gegeben, an Euern Worten zu zweifeln? Wir sind getäuscht worden – ich meine, wir alle – und ich bin infolgedessen hart gegen Euch gewesen, aber ich glaube Euch jedes Wort – ohne daß andere Zeugnis dafür ablegen; – und nun kommt,« fuhr sie mit wachsender Verwirrung fort, als sie fühlte, wie sie mit jedem Wort, das sie sprach, sich mehr in die Kundgebungen ihrer Neigung verwickelte, »kommt, beschleunigt den Schritt Eures Pferdes, oder Maria und Sidney entrinnen uns; und dann erzählt mir von Eurer Reise und von Eurem Zusammentreffen mit Juan und den Wegelagerern.«

»Nur ein Wort, teuerste Inez«, flüsterte Robert dringend, und er legte, näher an sie heranreitend, seine Hand kühn auf die Zügel ihres Pferdes, was sie mit einem anmutigen Lächeln ruhig geschehen ließ. »War es Euer Pferd, das unsere Rettung mit seinem Leben bezahlte?«

»Wohlan, Sennor, wenn Ihr es durchaus wissen wollt,« gab Inez zur Antwort, und Stolz und Wehmut kämpften gar seltsam auf ihrem holden Antlitz um den Vorrang, »mein Pferd war, außer dem meines Vaters, das einzige, das eine so weite Entfernung in so kurzer Zeit zurückzulegen vermochte.«

»Und da der Brief seinen Wert verloren hat,« fragte Robert in derselben Weise weiter, »werden Eure eigenen Worte: ›daß jemand, dem ich mein ganzes Leben weihen möchte, den ich so innig liebe und verehre, und von dem mein ganzes irdisches Glück abhängt, meiner Ankunft auf der Mission nicht ganz gleichgültig entgegensehe‹, werden also diese, Eure eigenen Worte, sich dennoch bewahrheiten?«

»Gewiß, Don Roberto,« entgegnete Inez, ihre Verschämtheit hinter einem schalkhaften Lachen verbergend, »gewiß erwartet Euch dort jemand mit Sehnsucht, oder glaubt Ihr, mein Vater habe seine Meinung über Euch in der kurzen Zeit Eurer Abwesenheit zu Eurem Nachteil geändert?«

»Sonst niemand?« fragte Robert kleinlaut.

»Sonst niemand, es sei denn, daß der alte Jugendfreund meines Vaters Euch unbekannterweise ebenfalls sein Herz zugewendet hat.«

»Sonst niemand?« lautete es wieder.

»Wer sollte Euch sonst wohl erwarten, seit alle übrigen, die Euch noch kennen, abwesend sind?« fragte Inez abermals mit einem für Robert bedeutungsvollen Lachen zurück, und im nächsten Augenblick bäumte sich ihr Pferd hoch empor und erreichte mit einigen Sätzen die überraschte Maria.

Fast ebenso schnell befand sich aber auch Robert wieder an ihrer Seite, und als Inez ihn dann aufforderte, mit der Erzählung seiner jüngsten Erlebnisse nicht länger zu säumen, widrigenfalls sie sich gezwungen sehe, ihre Neugierde durch den wortreicheren Sidney oder Juan befriedigen zu lassen, da zögerte er nur noch so lange, ihren Wünschen zu willfahren, bis Inez den Brief der Tänzerin mit einer kurzen Bemerkung an die freudig erstaunte Maria gegeben hatte.

Und nun wurde lebhaft erzählt und geschildert und gespannt gelauscht; auch gefragt wurde viel und geantwortet, und süße, liebe Fragen und Antworten waren es; und Lachen, so herzlich und so glücklich, erschallte, begleitet von flüchtigem Erröten; und der Weg war so lang, und dennoch schien er allen so kurz; und drei Tage und drei Nächte hindurch hätten sie so fortreiten können, ohne daß ihnen die weite Entfernung oder der Wechsel von Licht und Dunkelheit aufgefallen wäre.

Und so ging es fort und immer weiter fort, dem südlichen Talende zu; die beiden Paare plauderten so fröhlich, der Indianerbursche sang so hell; Fernando aber und der schwarze Juan ritten stumm nebeneinander hin. Letzterer wohl mehr aus alter Gewohnheit; Fernando dagegen, weil sein Freund und Wohltäter keinen Blick, kein Wort mehr für ihn zu haben schien.

Daß die schöne Tochter des Rancheros seinem Beschützer endlich doch freundlich und dankbar begegnete, wie er es ja nach seiner Ansicht im höchsten Grade verdiente, das erfreute den armen Knaben innig, und von Herzen vergab er Inez die harten Worte, mit denen sie den Majordomo empfangen hatte.

Wie er aber bemerkte, daß sie alle andern Menschen aus dem wohlwollenden Herzen seines vergötterten Herrn verdrängte und ihm nicht Zeit ließ, sich mit seinem Schützling, wie er sonst immer getan, zu beschäftigen, und daß ferner sein Wohltäter sich glücklich genug fühlte, alles andere darüber zu vergessen, da stahlen sich Tränen in seine großen diamantklaren Augen.

Er zürnte Inez nicht, im Gegenteil, er fand es natürlich, daß die vornehme Dame seinen Beschützer so liebevoll behandelte; aber er fühlte sich vereinsamt, und zwar noch vereinsamter, als damals in dem Bergwerk, als er das Wohltuende des Verkehrs mit teilnehmenden, freundlich gesinnten Menschen noch nicht kannte, als die finsteren Gänge noch seine Heimat bildeten, der wilde Bergabhang seine Welt und der alte, hartherzige Geizhals der einzige Mensch war, der sich um ihn kümmerte.

Er hörte das Lachen der glücklichen Menschen, die in kurzer Entfernung vor ihm hinritten; er selbst aber hätte bitterlich weinen mögen; er wußte nicht warum und worüber, aber es war ihm so wehe, so unendlich wehe ums Herz, wie einem Kinde, das am Grabe seiner Mutter trauert.

Endlich bog die Gesellschaft in den breiten Paß ein, und vor ihr lag die weite Ebene von San Fernando.

Die Sonne war eben im Begriff, hinter den Küstenbergen zu versinken; lange Streiflichter und ebenso lange Schatten zogen sich parallel über die breite, sandige Fläche; etwas gegen Südwesten dagegen, nicht weit vom Fuße der östlichen Berge lag, wie eine Oase in der Wüste, umgeben von grauen Ruinen und Gärten, das lange, weiße Missionshaus.

»Gott sei Dank,« sagte Robert freundlich berührt durch den einladenden Anblick, »Gott sei Dank; es gab Stunden, in denen ich bezweifelte, daß ich die Mission jemals wiedersehen oder gar unter ihrem gastlichen Dache verweilen würde.«

»Gott sei Dank«, wiederholte Inez, träumerisch nach der angedeuteten Richtung hinüberschauend.

Sie freuten sich, ihr nächstes Ziel so dicht vor sich zu haben; keineswegs aber beschleunigten sie den Schritt ihrer Pferde. Im Gegenteil, sie suchten ihn zu mäßigen, indem die klugen Tiere, wohl wissend, daß auch ihrer dort eine gastliche Aufnahme harre, schwer auf den Gebissen liegend, mit aller Gewalt nach vorn drängten und vor Ungeduld und Freude laut wieherten oder schnaubend die heiße Luft durch die gespreizten Nüstern stießen.

Eine halbe Stunde später lenkten die Reisenden über den geräumigen Missionshof nach der langen Veranda hinüber, wo sie schon von weitem erkannt worden waren und von den beiden alten, fröhlichen Herren mit Jubel begrüßt wurden.

Sidney sowohl wie Robert waren einige Schritte vor der Säulenhalle auf die Erde gesprungen und beeilten sich, den Sennoritas aus dem Sattel zu helfen. Die Dunkelheit, die durch die Schatten des Hauses noch verdichtet wurde, ließ den Ausdruck der verschiedenen Physiognomien nicht deutlich mehr zutage treten; im andern Falle würde dem Ranchero kaum die Veränderung in den jetzt wieder strahlenden Zügen seiner Tochter entgangen sein, die am beredtsten die letzten Begebenheiten erklärte.

Als Inez, Roberts Hand ergreifend und sich leicht auf seine Schulter stützend, aus dem Sattel sprang, da neigte sie ihr schönes Haupt mit kaum merklicher Bewegung seinem Ohr zu. »Jetzt, Don Roberto, befindet sich jemand auf der Mission, der sich innig über Eure glückliche Ankunft freut«, flüsterte sie so leise, als wenn der milde Abendwind zwischen ihren schwarzen Locken hindurch gehaucht hätte.

Robert ergriff die Hand der Geliebten, im nächsten Augenblick war sie ihm aber schon entschlüpft, und nachdem sie den Vater durch eine flüchtige Berührung ihrer Lippen begrüßte, Don Pico aber die Hand zum Kusse dargereicht hatte, verschwand sie wie eine verfolgte Taube im Innern des Gebäudes.

Noch zwei Nächte und einen Tag blieben die Reisenden, den dringenden Einladungen des gastfreien Pico nachgebend, auf der Mission, und nicht wenig Neckereien hatten die beiden Paare während dieser Frist von dem alten, fröhlichen Herrn zu ertragen, der auf den ersten Blick viel mehr entdeckt haben wollte, als man ihm glaubte zugestehen zu dürfen.

Als Don Pico dann in der Frühe des zweiten Tages den Scheidenden das Geleit gab, da willigte er mit Freuden ein, in nächster Zeit einen Gegenbesuch auf Sanchez' Rancho zu machen, und zwar wurde die Woche gewählt und verabredet, in der in der Nähe des Städtchens San Luis Rei ein mit vielem Pomp angekündigtes Stiergefecht stattfinden sollte. –

 


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