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Wenige Tagereisen weit von seinen Quellen erhält der Pecos schon den Charakter eines Stromes. Die hoch hinaufragenden Gebirgsgruppen, die sich auf dem Hochlande von Santa Fé erheben, und die kristallklaren Adern, die auf vulkanischem Terrain überhaupt so gern zutage treten, versorgen den Pecos reichlich mit Wasser; vorzugsweise aber beim Beginn der warmen Jahreszeit, wenn der Schnee der Höhen vor den fast senkrecht fallenden Strahlen der Sonne zergeht und seine lange Reise nach dem Golf von Mexiko antritt.
Ehe der Pecos die unabsehbaren Grasfluren erreicht, durch die er sich ein tiefes, wenig zugängliches Bett gewühlt hat, führt sein Weg teils durch schauerliche Schluchten, teils durch anmutige Täler. Letztere, ringsum von schroff abfallenden Höhen eingefaßt, erscheinen wie abgeschieden von der ganzen übrigen Welt.
In einem derartigen Tale, eine gute Tagereise weiter oberhalb der schon früher erwähnten Stadt Anton ChicoS. Möllhausen, »Der Flüchtling«., liegen die neu-mexikanische Stadt Cuesta und die zu ihr gehörigen zerstreuten Ansiedelungen und Gehöfte. –
Vieles gibt es in diesem Tal zu bewundern.
Soll man hinabsteigen und, aufwärts blickend, die Eindrücke schildern, die die zedernbewaldeten Plateaus, die sich ringsum wie drohend übereinander türmen, auf das Gemüt ausüben, oder soll man aus luftiger Höhe, vom Rande eines schroffen Abhanges aus, die Bewunderung abwechselnd auf die kleine abgeschlossene Welt und auf die in duftiges Blau gehüllten Santa Fé-Gebirge hinlenken? Viel, sehr viel gibt es dort zu sehen und zu beschreiben. Nichts möchte man vergessen, alles erwähnen und auch für den unscheinbarsten Gegenstand freundliche Teilnahme erwecken.
Ja, vieles gibt es dort zu bewundern! Und doch, wie wenig ist der beobachtende Wanderer mit dem zufriedengestellt, was ihm geboten wird!
Er steht hoch oben und blickt hinab, wo alles so klein und zierlich, wie das Spielwerk auf einem Weihnachtstisch daliegt; er blickt hinauf zu den Gipfeln der ernsten starren Gebirgsmassen, und höher hinauf wünscht er sich, um, wie kurz vorher in das Tal, auch auf die Berge selbst niederschauen zu können. Hinauf wünscht er sich, hoch, so hoch wie die Wolken, und noch höher als diese, hoch genug, um eine ganze Erdhälfte wie einen Teppich vor sich ausgebreitet zu sehen; hoch genug, um den Hader und die Ungerechtigkeiten der Menschen aus den Augen zu verlieren; hoch genug, um – doch das Endziel des kühnsten Gedankenfluges liegt immer wieder in der nächsten Umgebung; zur Erde zurück kehrt die angeregte Phantasie, und mit erhöhter Teilnahme wendet der Mensch sich dem zu, was sich im Bereich seines Fassungsvermögens befindet.
Wie grobes Gewebe, so schimmern ihm die rechtwinkeligen Felder und Wiesenflächen entgegen, durch die sich der Pecos in den mannigfaltigsten Windungen dahinschlängelt. Möchte man doch meinen, es sei ihm darum zu tun, seinen Aufenthalt in dem malerischen Tal nach Möglichkeit zu verlängern und, bald nach der einen, bald nach der andern Seite hinübersprudelnd, höchst eigenhändig von seinen befruchtenden Schätzen an die Wurzeln der sehr spärlich zerstreuten Baumgruppen zu tragen. Auch die verschiedenen Gehöfte scheint das frische Gebirgswasser, von oben gesehen, alle der Reihe nach besuchen zu wollen, obwohl die meisten der grauen, würfelförmigen Gebäude erst vor nicht allzu langer Zeit auf seinen Ufern gegründet wurden.
Hinter dem Städtchen Cuesta dagegen verschwindet der Pecos fast ganz; wenigstens ist sein Lauf nur mit Unterbrechungen zwischen den unregelmäßigen Häuserreihen hindurch mit den Augen zu verfolgen. Dafür drängt er sich aber mit um so breiterem Spiegel auf der andern Seite wieder hervor, und nachdem er dann noch einige recht kühne Schlangenlinien gezogen, auch mehrere kleine Inseln gebildet hat, schießt er durch das breite Felsentor gegen Süden, um in dem Tal von Anton Chico ein ähnliches Spiel zu beginnen.
Wohin er sich aber auch vor seinem Eintritt in die Prärien wenden mag, überall begrüßt er wallähnliche Plateaus, die mit ihren horizontalen, grellfarbigen Gesteinsschichten an die furchtbaren Breitseiten kolossaler Kriegsschiffe erinnern, ausgezackte Gebirgszüge, deren bizarre Außenlinien scharf gegen den lichtblauen Himmel kontrastieren, und endlich zahlreiche Viehherden, die bald in den Niederungen weiden, bald an den Abhängen umherklettern, und in letzterem Falle kaum von den Zedernbüschen zu unterscheiden sind, die die sonst nackten Abhänge und Höhen beleben und schmücken.
Ein recht friedlicher Charakter scheint daher dem Tale von Cuesta eigentümlich zu sein. Doch wenn das Blöken von Tausenden von Schafen, das Gebrülle wohlgenährter Stiere, das Bellen wachsamer und diensteifriger Hirtenhunde, das Krähen der Hähne und das Gackern der Hühner, heimatliche Gefühle erweckend, in den nahen Klüften widerhallt, so kreisen hoch oben im klaren Äther die Weihe und der Adler. Sie spähen mit scharfen Augen nach zierlichen Rebhühnern und verschlafenen Hasen, während auf den benachbarten Höhen wilde Comanchen-, Apachen- und Navahoeräuber im sichern Hinterhalt auf eine günstige Gelegenheit lauern, die nicht übermäßig mutigen Talbewohner um ihr liebstes Eigentum zu bringen. –
Kurz vor der Stelle, wo der Pecos einer engen, malerischen Schlucht entströmt, biegt die westliche Spitze des Tales von Cuesta ziemlich scharf gegen Norden ab, so daß man, wenn man sich in der Mitte des nur wenige Morgen großen Winkels befindet, diesen für ein besonderes Tal halten möchte. Es wird nämlich dort nicht nur die Aussicht auf den übrigen Teil der langgestreckten Niederung entzogen, sondern es scheinen auch die ringsum emporstrebenden, schroffen, aber durch atmosphärische Einflüsse abgerundeten und vielfach rinnenförmig ausgewaschenen Plateaus sich näher zusammenzuschieben und, einen Felskessel bildend, den Rückweg aus dem Winkel abzuschneiden. –
Im Jahre 1841, also siebzehn Jahre vor den im »Flüchtling« geschilderten Begebenheiten, lag in der eben bezeichneten Talspitze eine kleine Rancho, Eigentum eines gewissen Estevan, eines jungen betriebsamen Mexikaners, der einige Jahre früher mit seiner jungen, auffallend schönen Gattin im Tale von Cuesta eingetroffen war und trotz aller Warnungen vor den räuberischen Einfällen der Indianer seinen Herd in dem abgelegenen Winkel gegründet hatte.
Durch die Mittel, die ihm schon von Anfang an zu Gebote standen, durch eigenen Fleiß und Sparsamkeit, und durch die Treue, mit der ihm seine Gattin überall riet und half, gelang es ihm schnell, sich in einen gewissen Wohlstand hineinzuarbeiten, und in demselben Grade, in dem sich seine irdischen Güter mehrten, nahmen auch die freundlichen Gefühle zu, die alle Nachbarn dem stets bereitwillig Beistand leistenden Estevan zollten.
Fast gleichzeitig mit Estevan hatten sich noch zwei andere Mexikaner im Tal von Cuesta niedergelassen. Sie standen zwar in näherer Beziehung zu dem jungen Ranchero und dessen Gattin, doch erfreuten sie sich bei weitem nicht in so hohem Grade der Achtung der übrigen Bevölkerung, wie diese.
Der ältere, Guzman, ein entfernter Verwandter von Estevans Gattin, war Hausgenosse des Rancheros, von dem er als Gehilfe bei seinen ländlichen Arbeiten gedungen worden war. Wenn diesem nun von seinem Brotherrn die freundlichste Behandlung und größte Nachsicht zuteil wurde, so geschah dies mit Rücksicht auf sein vorgeschrittenes Alter, und weil der Ranchero ihn, als einen Verwandten seiner Frau, nicht sinken lassen wollte. Sogar die untrüglichsten Beweise von Veruntreuungen änderten nichts in dem Benehmen Estevans gegen Guzman, und nur in mildester Weise warf er ihm gelegentlich seine Gier nach Gold und Reichtum vor, die sich, trotz seines ausreichenden Einkommens, schon in seiner durchaus vernachlässigten und stets unsaubern äußeren Erscheinung kundgab.
Von den Nachbarn wurde Guzman seiner wenig einnehmenden Eigenschaften wegen gemieden und gewissermaßen als PeonPeons, Leute, die gezwungen waren, sich in Schulden zu stürzen, und insoweit Leibeigene eines begüterten Mannes wurden, daß sie sich mit Kindern und Kindeskindern, aber vergeblich, bemühen, die allmählich und beständig wachsende Schuld abzuarbeiten und ihre Freiheit wiederzugewinnen. betrachtet. Auch er mied den Umgang mit anderen Menschen, und hielt nur mit einem Hirten namens Manuel Freundschaft, der, von gleicher Gier nach Schätzen beseelt, sich ebenso zu ihm hingezogen fühlte.
Manuel, schon mehrfach wegen Diebstahls bestraft, hatte keine bestimmte Stellung. Jeder scheute sich, ihm seine Herden anzuvertrauen, aus Furcht, daß er mit den Indianern gemeinschaftliche Sache machen, und Pferde, Rinder und Schafe gegen einen bestimmten Anteil den Eingeborenen in die Hände spielen würdeDergleichen Übereinkommen sind in den neu-mexikanischen Ansiedelungen nicht selten..
Wie Guzman durch unwürdige Neigungen und verstecktes Wesen seine Umgebung zurückstieß, so verfeindete Gonzalez, der andere Hausgenosse Estevans, sich die Menschen nicht minder durch herrisches Auftreten und unbegrenzten Hochmut.
Seine außergewöhnliche Gewandtheit als Reiter und seine Geschicklichkeit im Gebrauch des Lassos sicherten ihm ein nicht unbeträchtliches Einkommen, und war seine Stellung als Arriero auch eine untergeordnete, so behauptete er doch immer da, wo seine Dienste in Anspruch genommen wurden, ein so sicheres und stolzes Benehmen, daß man ihn eher für den unumschränkten Herrn des ganzen Tales, als für einen im Range der dienenden Leute Stehenden hätte betrachten mögen.
Daß unter solchen Verhältnissen niemand gern mit dem noch jugendlichen, aber für seine Jahre auffallend finsteren Arriero verkehrte, war wohl natürlich. Zu bewundern war dagegen, daß er sich immer enger an Estevan anschloß, und ihm sogar mit einer gewissen Unterwürfigkeit entgegentrat, obwohl dieser ihm oft das Ungerechtfertigte seines feindseligen Benehmens gegen andere vorwarf.
Estevan hatte sich indessen allmählich an die Eigentümlichkeiten des Arrieros gewöhnt, und betrachtete ihn mehr als einen Hausfreund, an dem er manches gutzumachen habe, was ein wenig freundliches Geschick ihm zu tragen auferlegte.
Als nämlich Estevan seine Gattin kennen lernte, befand sich unter denen, die sich um die Gunst der schönsten und liebenswürdigsten Sennorita der ganzen Landschaft bewarben, auch Gonzalez. Ehe letzterem sich aber die Gelegenheit bot, dem jungen Mädchen seine wilde, unbezähmbare Leidenschaft zu gestehen, hatte dieses schon dem sanftmütigem Estevan Herz und Hand zugesagt.
Mit dem tiefsten Haß und den unversöhnlichsten Rachegefühlen sah Gonzalez das einzige, was er vielleicht in seinem ganzen Leben aufrichtig geliebt, weit weg aus dem Bereich seiner Hoffnungen und Wünsche gerückt. Seine Eigenliebe, sein stolzes Selbstbewußtsein waren unheilbar verletzt, und seine ganzen Geisteskräfte vereinigten sich von diesem Zeitpunkt ab dahin, sich nicht nur an Estevan zu rächen, sondern dessen Gattin dennoch zu der seinigen zu machen, und sich auf diese Weise für eine verfehlte, verlorene Jugend zu entschädigen. –
Estevan war mit seiner jungen Gattin in das Tal von Cuesta gezogen. Die Trennung von dem Gegenstande seiner Liebe regte aber Gonzalez' glühende Leidenschaften nur noch mächtiger auf, und stachelte zugleich den Haß gegen denjenigen, den er für den alleinigen Urheber seines Unglücks ansah.
Er folgte ihm, und da es ihm bei seinem finstern, abgeschlossenen Wesen leicht gelang, seine wahren Gefühle zu verbergen, so fand er eine freundliche Aufnahme in dem gastfreien Hause der jungen Eheleute.
Anfangs beobachtete Estevan den früheren Wüstling nicht ohne Mißtrauen, da es ihm nicht fremd war, daß dieser einst nach dem Besitze seiner Gattin gestrebt hatte. Es schwand indessen bald; er erblickte in Gonzalez einen Menschen, der um seine verlorene Jugendzeit trauerte, jedoch zu stolz war, seine bitteren Gefühle zum Durchbruch kommen zu lassen, und gerade deshalb die Nachsicht und Teilnahme seiner Mitmenschen verdiente.
Mit Guzman hielt Gonzalez noch weniger Gemeinschaft, als mit jedem andern. Er schien ihn sogar zu verabscheuen, und erst in späterer Zeit, nachdem er schon über vier Jahre im Tale von Cuesta ansässig gewesen, fühlte er sich zu ihm insoweit hingezogen, daß er sich zu kurzen Zwiegesprächen mit ihm herbeiließ und ihn sogar zuweilen auf einsamen Wanderungen in die Gebirge begleitete.
So waren die Jahre dahingegangen. Estevan lebte im vollen Besitz irdischer Glückseligkeit; seine Gattin, die ihn mit zwei Kindern beschenkt hatte, stand in der Blüte weiblicher Schönheit; seine Habe war allmählich so angewachsen, daß er für einen wohlhabenden Mann gelten konnte, und mit freudiger Zuversicht blickte er in die Zukunft, die sich von Tag zu Tag goldiger zu gestalten schien.