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Das San Bernardinogebirge, eine südliche Verlängerung der Sierra Nevada, bildet gewissermaßen die mächtige Scheidewand zwischen den grünen, fruchtbaren Küstenländereien und der dürren Wüste, zwischen der im ewigen Kreislauf schöpferisch wirkenden Lebenskraft und beängstigender, tödlicher Starrheit, man möchte sagen, zwischen der menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Natur.
Die ungeheuren, umfangreichen, von nackten, zackigen Gebirgszügen vielfach durchschnittenen Wüsten, die sich zwischen der Sierra Nevada, dem Colorado des Westens und dem Utahgebiet ausdehnen, sind allerdings nicht ganz ohne organisches Leben; einzelne Wüstenströme zeigen sogar in ihren beschränkten Tälern eine verhältnismäßig üppige Vegetation; allein alles, was dem kiesigen oder sandigen, in beiden Fällen aber dürren, unfruchtbaren Boden entsprießt, trägt in der äußeren Erscheinung sowohl, als auch in seinen Eigenschaften einen wenig freundlichen und noch weniger erfreuenden Charakter.
Phantastisch geformte Yuckabäume drängen sich in kleine Gruppen zusammen oder nehmen, durch weite Zwischenräume voneinander getrennt, aus der Ferne gesehen, Ähnlichkeit mit verirrten Menschen und Tieren an; stachelige Agaven treiben ihre Blütenstengel fast bis zur Höhe des Yuckas empor; Artemisiastauden, Kreosotpflanzen und blätterloses Dornengestrüpp kriechen traurig auf dem Boden hin, und wo wirklich etwas Gras seine kümmerliche Nahrung findet, da sind auch immer sogleich einige scharfbewaffnete Kakteen bereit, dem darbenden Wild jeden einzelnen grünen Halm streitig zu machen.
Am östlichen Fuße der Sierra Nevada und deren Ausläufer erreicht dieses öde Wüstenland sein Ende, und je weiter nach Westen, um so freundlicher gestaltet sich die Naturumgebung, bis sie endlich in die gesegneten kalifornischen Täler und Niederungen übergeht.
Doch nur sehr wenig Pässe führen durch das Gebirge. Auch sie sind oft kaum zugänglich und bieten eine solche Reihenfolge von nichts weniger als leicht zu besiegenden Hindernissen, daß es häufig der größten Anstrengungen bedarf, um mit Hab und Gut wohlbehalten hindurch zu gelangen.
Bald findet der erschöpfte Wanderer schroffe Abhänge, an denen der Weg hinunterführt, bald mächtige Anhäufungen kolossaler Felsblöcke, die das Vordringen erschweren, und wo dann die äußere Bodengestaltung eine gangbarere Straße zu versprechen scheint, da stößt man nicht selten auf tückischen Treibsand und weichen Moorboden, auf dem Reiter wie Tiere Gefahr laufen, zu versinken.
Einer der zugänglichsten, zugleich ältesten und am meisten benutzten Pässe durch die südliche Hälfte der Sierra Nevada ist der Cajonpaß. Er windet sich am Fuße der Haupthöhen des San Bernardinogebirges hin und ist unstreitig schon von den ersten spanischen Entdeckern vielfach betreten worden. In neuerer Zeit haben die Mormonen, die im Tal von San Bernardino eine größere Kolonie gründeten, den Paß als ein Tor nach dem großen Salzsee betrachtet, durch das sich eine leichtere Verbindung zwischen der handeltreibenden Welt und ihrem abgeschlossenen Reiche herstellen läßt. Sie haben deshalb die Straße durch den Paß etwas wegsamer gemacht.
Wenn man aber aus dieser Straße in eine der zahlreichen Nebenschluchten einbiegt und nur einige hundert Schritte weit vordringt, so befindet man sich plötzlich wieder in einer Wildnis, von der man glauben möchte, daß auf Hunderten von Meilen im Umkreise noch nie Menschen gelebt, viel weniger noch in geringer Entfernung eine Straße angelegt hätten. –
Ungefähr vierzehn Tage nach jenem Abend, an dem Toby Ring, der Herkules und Sennora Arabella im Hause des Rancheros erschienen waren, bewegte sich ein einzelner Wanderer in dem Paß aufwärts. Er mußte nicht weit hergekommen sein, auch kein sehr weit entferntes Ziel vor sich haben, denn obwohl die Schatten der Berge in dem Paß schon eine leichte Dämmerung erzeugten, schritt er doch nur sehr langsam dahin.
Aus der Art und Weise, in der er den Kopf bald nach der einen, bald nach der andern Seite wendete oder auch vor sich niederschaute, ließ sich entnehmen, daß die Langsamkeit seiner Bewegungen der genauen Prüfung zuzuschreiben war, der er den von ihm verfolgten Weg unterwarf.
Auffallender als sein geheimnisvolles Wesen war der Wanderer selbst. Schon deshalb allein, weil man nur einen Blick auf ihn zu werfen brauchte, um sogleich ein Mitglied jener entarteten kalifornischen Eingeborenen zu erkennen, die einst unter den Missionaren sich der Segnungen der Zivilisation erfreuten und innerhalb weniger Dezennien zu einer bedauernswürdigen Gesellschaft von Bettlern, Vagabunden und trägen, freiwilligen Sklaven zurücksanken.
Seine Gestalt war klein und schmächtig und zum größten Teil in einen übermäßig langen, zerlumpten Gehrock verborgen. Seine Beine schienen unbekleidet zu sein, indem er die weißen baumwollenen Calzoneros bis über die Knie aufgerollt hatte, wo sie also vollständig von den Rockschößen bedeckt wurden. Die Füße waren nackt: ebenso wurde sein Haupt nur durch das geschützt, was ihm die Natur von Hause aus verliehen, nämlich durch eine üppige Fülle pechschwarzer, verwirrter Haare, die wie die Strahlen eines Gestirns nach allen Richtungen hin von dem großen Schädel steif abstanden.
Sein braunes Gesicht hatte einen häßlichen, widerwärtigen Ausdruck wie bei fast allen Menschen, die durch viele Generationen hindurch von frühester Kindheit an gegen die bitterste Not zu kämpfen hatten und sogar zu träge waren, sich durch Diebstahl ihren Unterhalt zu verschaffen, wenn sie der Hunger nicht dazu trieb. In seinen kleinen stechenden Augen lag dagegen eine ungewöhnliche Verschmitztheit. Wie sehr er sie auch durch die schlaff niederhängenden Lider der Beobachtung zu entziehen trachtete, so war er doch nicht imstande, den leuchtenden Glanz zu verbergen, mit dem die schwarzen unsteten Pupillen beständig im Kreise umherwanderten, um so viel wie möglich auf einmal zu übersehen, ohne den Kopf zugleich der Richtung des Blickes folgen zu lassen.
In der Hand führte der unheimliche Geselle einen keulenähnlichen Stock, der ihm ebensowohl als Waffe wie als Stütze dienen konnte. Außerdem befand sich aber auch in seinem Besitz ein langes, breitklingiges Schlachtmesser, das er auf der Brust durch zwei etwas erweiterte Knopflöcher seines Rockes gesteckt hatte. Wenn aber dieses einzige Bekleidungsstück, das er auf seinem nackten Oberkörper trug, vorn auseinanderschlug, dann zeigte sich auch noch der Kolben einer großen altmodischen Reiterpistole, deren Lauf in den schmalen ledernen Gürtel, der seine Calzoneros über den Hüften zusammenhielt, gezwängt worden war. Kurz, dieser elende Wilde hatte ein derart räuberähnliches Aussehen, daß ein einzelner Reisender ihm gewiß gern weit ausgewichen wäre oder auch die Waffen zur schnellen Verteidigung bereitgehalten hätte.
Der Kahuilla, denn diesem unglücklichen Stamme gehörte der eben beschriebene Wilde an, mochte sich ungefähr in der Mitte des Passes befinden, als die Aufmerksamkeit, mit der er nach Spuren und Zeichen im Sande forschte, sich zu verdoppeln schien. Er stand mehrfach still, um das nahe Gebüsch sorgfältig zu überblicken oder ließ sich auch auf die Knie nieder, um einzelne niedergetretene Halme und schwach ausgeprägte Fußstapfen im Sande einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.
Plötzlich stand er still und lauschte. Er hatte dicht vor sich ein Geräusch vernommen, das ihn mit Besorgnis erfüllte. Er zog die gewöhnlich matt niederhängenden Augenlider hoch hinauf, und behutsam einige Schritte zurücktretend, näherte er sich geräuschlos einer schlanken Pappelweide, die hart am Rande der dort von dem trockenen sandigen Bett eines Sturzbaches gebildeten Straße zu einer ansehnlichen Höhe emporgeschossen war.
Leise schob er seine Keule mit dem dünnen Ende durch das unterste Knopfloch seines Rockes, so daß sie wie ein Schwert an seiner Seite niederhing, worauf er die beiden nunmehr freien Hände, soweit er hinaufzureichen vermochte, an einen kurz abgebrochenen Ast des Weidenstammes legte. In dieser Stellung horchte er wiederum längere Zeit gespannt, während seine Augen den Paß aufwärts gerichtet blieben und fest auf einer Gruppe mächtiger sogenannter Puddingsteine hafteten, die, mitten in dem Bett des Baches liegend, die weitere Aussicht versperrten.
Das Geräusch wiederholte sich nicht wieder, und zögernd ließ der Kahuilla die Hände an dem Stamme heruntergleiten, ohne indessen die Richtung seiner Blicke zu ändern.
Da kugelte plötzlich ein kleiner schwarzer, unförmlicher Gegenstand zwischen den Felsblöcken hervor bis fast in die Nähe der Weide. Die Hände des Indianers fuhren blitzschnell an dem Stamme empor, und ehe noch die schwarze runde Masse sich entrollt hatte und die gedrungene Gestalt eines jungen, allerliebsten Gebirgsbären zeigte, war der Kahuilla mit der Gewandtheit eines Affen in den Baum hineingeklettert, wo er auf einem der höchsten und stärksten Zweige Platz nahm.
Das niedliche Tierchen stellte sich vergnügt winselnd auf die Hinterfüße, wurde aber sogleich wieder von einem zweiten kleinen Genossen, der spornstreichs zwischen den Felsblöcken hervorgestürzt kam, umgestoßen und zu einem possierlichen Ringkampf gezwungen.
Die beiden Geschwister schienen förmlich zusammengewachsen zu sein, so fest umschlangen sie sich mit den dicken Armen und breiten Tatzen, und indem sie lustig übereinander hinkugelten, bald der eine, bald der andere die Oberhand gewann, stießen sie gedehnte grunzende Töne aus, die so recht ihre behagliche Stimmung bekundeten.
Bald darauf trat auch die Bärenmutter, ein stattliches, sehr wohl aussehendes Tier, hinter dem Gerölle hervor, aber nicht ungestüm wie ihre verzogenen Kinder, sondern ernst und würdig, wie es eben die Mutter einer so vielversprechenden Nachkommenschaft am besten kleidete.
Den breiten Kopf mit der gerunzelten Stirn hatte sie dem Boden zugekehrt, und wie zum Zeitvertreib rupfte sie hin und wieder ein grünes Blattpflänzchen aus, nachdem sie es nach einer oberflächlichen Prüfung für ein wohlschmeckendes erkannt hatte. Wenn dann trotz des behutsamen Ziehens die Blätter sich von der Wurzel lösten und diese in der Erde haften blieb, so grub sie diese mittels der unförmlich langen Nägel einer ihrer Vordertatzen zierlich aus und führte sie in derselben Weise so geschickt zum Munde, daß der Kahuilla, der sie von seinem hohen, sicherenDer graue Bär ist unfähig, Bäume zu ersteigen. Standpunkte aus mit bedenklicher Miene betrachtete, es ihr gewiß nicht so zierlich und geschickt hätte nachmachen können.
Allmählich näherte sie sich der Weide, wo ihre beiden Kinder, in deren Balgerei eine Pause eingetreten war, sich einander gegenüber hingesetzt hatten und von der Anstrengung erhitzt, die Zungen etwas über den Unterkiefer vorragen ließen und fragend zu ihr aufschauten.
Bis jetzt hatte noch kein einziges Mitglied der Familie Witterung von der Nähe eines Menschen erhalten, da der Luftzug in dem Paß abwärts stand.
Kaum aber war die alte Bärin auf der Stelle angekommen, auf der der Kahuilla den Rückweg eingeschlagen hatte, so schnellte sie wie vom Blitz getroffen auf die Hintertatzen empor. Ihr sonst so gutmütiges Gesicht erhielt einen drohenden Ausdruck, und grimmig spähte sie nach allen Richtungen umher, um sich von dem Charakter der von ihr vermuteten Gefahr zu überzeugen.
Sie gewahrte nichts, das ihr Besorgnis eingeflößt hätte, denn nach dem Baum hinaufzublicken fiel ihr nicht ein. Die Umgebung mochte ihr indessen nicht ganz geheuer erscheinen, denn sie ließ sich, nachdem sie einen schnaubenden Ton ausgestoßen, wieder auf ihre Vordertatzen nieder und versetzte jedem ihrer Jungen einen unsanften Hieb, der sehr wohl verstanden wurde. Dann, in einen schnellen Trab verfallend, eilte sie, ihre tändelnden Kinder immer wieder von neuem anspornend und durch geschickte Hiebe vor sich herschleudernd, nach der Richtung hin, aus der der Kahuilla gekommen war und die, wie sie wußte, zum Wasser führte.
Der Kahuilla blickte den Abziehenden nach, so lange er irgend noch eine Probe von dem zottigen Pelz der Bärin zu unterscheiden vermochte. Sobald er aber glaubte, daß er nicht mehr von ihr gewittert werde, kletterte er schnell von dem Baume herab und folgte ohne Zögern den von der Bärenfamilie hinterlassenen Spuren aufwärts.
Nach einer Wanderung von etwa einer Viertelstunde und nachdem er vielfach scheu hinter sich geblickt, als ob er besorgt hätte, von der Bärin verfolgt zu werden, bogen die frischen Spuren, die er nunmehr als Wegweiser betrachtete, nördlich ab in eine Schlucht ein, von der aus er in einen Trab verfiel, der hinsichtlich der Grazie dem der Bärin wohl nachstand, ihn aber gewiß ebenso schnell wie jene von der Stelle brachte.
Unterdessen war es aber schon so dunkel geworden, daß sich mit den Augen allein nicht viel mehr auf der beschatteten Erde erkennen ließ. Doch wo des Indianers Blicke nicht mehr ausreichten, da half ihm sein Tastsinn; und nachdem er ausgekundschaftet hatte, daß die dort breiter ausgetretenen Bärenfährten in der westlichen Vertiefung standen, glitt ein unartikulierter Laut der Befriedigung über seine Lippen. Er sprang empor, und sich dann gegen Osten wendend, folgte er nun wieder mit langsamen, gemächlichen Schritten der Nebenschlucht aufwärts, die ihn immer weiter aus dem Gebiete der in der Nachbarschaft hausenden Bestien brachte.
Fast eine Stunde mochte der Kahuilla sich in der rinnenähnlichen Vertiefung fortbewegt haben, die bald ansteigend, bald sich senkend, in vielen Windungen zwischen den ineinander greifenden Basen der Berge hinlief.
Dann erweiterte sich die Schlucht plötzlich bei einer Biegung in ein rundes Tälchen; der Schein einiger Feuer wurde sichtbar, und fast gleichzeitig vernahm der Kahuilla das drohende Gebell mehrerer grimmiger Hunde, die mit den böswilligsten Absichten auf ihn einstürmten.
Wie bei seinem Zusammentreffen mit der Bärenfamilie, so suchte er auch hier seine Rettung in den Lüften, und als die Hunde in gefährlicher Nähe von ihm eintrafen, da saß er schon rittlings auf dem Ast einer Eiche, gerade hoch genug, um nicht von den wütenden Tieren erreicht zu werden.
Neugierig blickte er dann zu den Feuern hinüber, um die er menschliche Gestalten sich bewegen sah. Die Hunde schienen ihre Schrecken für ihn verloren zu haben und geduldig harrte er darauf, von der einen oder andern der von ihm bemerkten Personen aus seiner auf die Dauer gewiß nicht sehr zusagenden Lage befreit zu werden.
Die Hilfe kam schneller als er vermutete, denn ehe noch einer der vor den Feuern Befindlichen die Hälfte der Entfernung bis zu ihm zurückgelegt hätte, vernahm er gerade unter sich das von einem heftigen Fluche begleitete Knacken eines Büchsenhahnes, dem sogleich die Frage folgte, wer in dem Baume verborgen sei?
»Ich, Tomasio Bootjack«, rief der Kahuilla nieder, ohne seine Stellung zu verändern. Den Namen Bootjack oder Stiefelknecht hatte er sich nämlich dadurch erworben, daß er einst in einem Gasthofe von Pueblo de los Angeles gegen Verabreichung von etwas Tabak oder Cigarren den Gästen, die es wünschten, die Stiefel von den Füßen zog.
»Daß es kein anderer sein kann, weiß ich«, überschrie der Unbekannte die grimmig heulenden Hunde; »aber was machst du dort oben? Herunter von dem Baume, du rothäutiger Schurke oder ich treibe ein halbes Lot Blei mehr in deinen Leichnam, als dir lieb und zuträglich ist!«
»Ich lieber sitzen bleiben«, entgegnete der Kahuilla trotzig, »ich nicht will, Hunde mich beißen; ich lieber Blei in Leib.«
»Goddam!« fluchte der Amerikaner aufgebracht, »so viel Wesens von deinem lumpigen Kadaver zu machen!« Er mochte indessen bedenken, daß der Indianer der Überbringer von vielleicht sehr wichtigen Nachrichten sei, weshalb nicht nur sein Leben geschont werden müsse, sondern sein guter Wille auch nicht unterdrückt werden dürfe. Er beschwichtigte nach kurzem Sinnen die Hunde und rief dann nach dem Feuer hinüber, daß man die auf indianisches Fleisch versessenen Tiere locken und an die Kette legen möge.
Seiner Aufforderung wurde Folge geleistet. Aber erst, als die Hunde wirklich schon gefesselt waren und er jede Gefahr für seinen Körper beseitigt glaubte, ließ sich der Kahuilla herbei, dem ungeduldig tobenden Amerikaner Gehör zu schenken. Leicht wie eine Katze sprang er auf die Erde und dann hinter seinen Führer tretend, folgte er diesem auf das Lager zu nach.
Es war dies ein liebliches Plätzchen, und doppelt lieblich erschien es in der zwiefachen Beleuchtung des Mondes und der Lagerfeuer, die ihre Umgebung freilich nur im geringen Umkreise erhellten, dafür aber einen um so grelleren Kontrast zu den schwarzen Schatten unter den Bäumen bildeten.
Das Gepäck und die Sättel, die mit vieler Symmetrie übereinander aufgetürmt waren, deuteten darauf hin, daß die hier lagernde Karawane mittels Maultieren und Pferden dorthin gelangt war und sich ganz darauf eingerichtet hatte, längere Zeit zu verweilen.
Vor jedem Zelte flackerten helle, von harzigem Holz genährte Feuer, und um diese herum reihten sich in buntem Gemisch, auf Paketen und zusammengerollten Decken sitzend, gegen zwanzig verwegen dreinschauende Goldgräber, die aber schon seit längerer Zeit das mühevolle Geschäft des Goldgrabens aufgegeben zu haben schienen. Außer diesen befanden sich aber auch noch Toby Ring, sein Freund Finney, die schöne Arabella, der Harlekin, der jetzt, nachdem er sein buntes Kleid mit einem bescheideneren Kostüm vertauscht hatte, kaum wieder zu erkennen war, mit in der Reihe, und endlich der Chinese und der Affe, die aber weiter abwärts vor einem besondern Feuer friedlich beieinander kauerten und sich, je nach ihren verschiedenen Neigungen, der eine mit der Zubereitung von Speisen, der andere wieder mit dem Messen, Glätten und Kauen eines langen Grashalmes beschäftigten.
Als der Goldgräber oder vielmehr Desperado, dem an diesem Abend die Rolle eines Wachtpostens zugefallen war, mit dem Kahuilla-Indianer in den Schein der Feuer trat und ihn mit einigen verächtlichen Worten zu Toby Ring hinwies, hatte die Gesellschaft schon ziemlich stark den berauschenden Getränken zugesprochen. Alle Gesichter, selbst das der engelgleichen Tänzerin, die sich zärtlich an Toby Ring schmiegte, glühten in einer höheren Röte. Auch von der Unterhaltung brauchte man nur wenig Phrasen zu vernehmen, um die Überzeugung zu gewinnen, daß in diesem abgesonderten Erdenwinkel nicht viel Rücksicht auf die Gegenwart von Damen genommen wurde, im Gegenteil, daß jeder seiner Zunge den allerfreiesten Lauf ließ.
Sennora Arabella, anstatt zu zürnen oder sich mit erkünsteltem Erröten abzuwenden, schien sich in der mehr als derben Gesellschaft durchaus heimisch zu fühlen; denn da war keiner, dem sie, wenn er sich mit Scherzreden an sie wandte, eine Antwort schuldig geblieben wäre oder den sie nicht durch ihr hellklingendes, melodisches Lachen zur Fortsetzung oder Wiederholung der Ausbrüche seiner frohen Laune aufgemuntert hätte.
Das Erscheinen des Kahuillas lenkte die Unterhaltung natürlich in eine andere Richtung, und alle, außer den Zwillingen und Arabella, strengten sich nach besten Kräften an, die elende und zugleich lächerliche Gestalt des Indianers zum Gegenstand brutaler Scherze zu machen.
Dergleichen Bemerkungen, die der Kahuilla, mochten sie nun in englischer oder spanischer Sprache geliefert werden, sehr wohl verstand, prallten indessen vollständig an seinem trotzigen Gleichmut ab, und ohne ein Wort zu entgegnen oder auch nur einen der Gesellschaft zu beachten, schritt er an dem ersten Feuer vorbei nach dem zweiten hinüber, wo er sich dicht an Toby Rings Seite niederließ.
Doch Toby Ring rückte mit allen Zeichen des Widerwillens zur Seite und betrachtete seinen unsauberen Nachbar wie einen Pestkranken von oben bis unten.
Eben wollte er noch einige mißbilligende Worte an den Boten richten, den er schon seit mehreren Tagen erwartet hatte, da sauste ein von dem andern Feuer aus geschleuderter Stiefel an ihm vorbei und traf den unglücklichen Kahuilla so heftig an den Kopf, daß dieser halb betäubt hintenüber sank und fast einer Minute bedurfte, um sich wieder in seine alte Stellung aufzurichten.
»Verdammter Bootjack!« brüllte eine heisere Stimme zwischen dem tollen Hohngelächter hindurch, »ich werde dich lehren, dich in einer Gesellschaft von Gentlemen anständig zu betragen! Stiefelausziehen ist dein Geschäft! Den einen habe ich mir deinetwegen selbst vom Fuße gestreift, komm her jetzt, du rothäutiger Wurzelfresser, und ziehe mir den andern aus, oder ich verarbeite deinen zottigen Schädel mit dem Absatz, daß du –«
»Ruhe, meine Herren, wenn ich bitten darf!« unterbrach Toby Ring den eifernden Goldgräber, indem er sich erhob und seine Worte mit einer graziösen Handbewegung begleitete.
»Ruhe!?« fragte der Goldgräber, der in Tobys Worten eine Zurücksetzung vor dem Kahuilla zu entdecken glaubte. »Ruhe!?« wiederholte er schäumend, und seine Hand suchte mechanisch nach dem Revolver in seinem breiten Ledergurt. »Wer hat hier zu befehlen? Wer hat hier Ruhe zu gebieten, wenn ich für angemessen halte, mir von dem rothäutigen Schurken die Stiefel ausziehen zu lassen oder ihm den Schädel wie eine Nußschale zu zersplittern?!«
Auf diese mit größter Wut hervorgebrachte Äußerung folgte eine allgemeine Stille; denn da Finney sich halb kriechend seinem geschworenen Freund näherte, um dessen Partei ergreifen zu können, Arabella aber ihren Revolver offenkundig hervorzog und den Hahn desselben spannte, so erwartete man, daß in der nächsten Minute ein tödlicher Kampf ausbrechen würde. Es ging daher jeder mit sich zu Rate, auf wessen Seite sich zu schlagen wohl am vorteilhaftesten sei.
Toby Ring besaß aber eine zu große Kaltblütigkeit, als daß er einen Augenblick an der friedlichen Beilegung des Wortwechsels gezweifelt hätte. Ein freundliches Lächeln spielte auf seinen noch immer jugendlichen, einnehmenden Zügen.
»Liebe Freunde«, hob er an, und seine Stimme klang so einschmeichelnd wie die eines jungen Mädchens; »ich bat um Ruhe, denn ich stimme der Ansicht meines verehrten Freundes dort drüben vollkommen bei, daß hier niemand etwas zu befehlen hat. Ich bat um Ruhe, um von allen verstanden zu werden, indem meine schwache Brust –« hier hustete er einige Male leise, »mir nicht gestattet, meine Stimme allzusehr zu erheben. Ich versichere nochmals, es liegt durchaus nicht in meinem Charakter, gute Freunde und Gefährten zu beleidigen.«
Ein beifälliges Murmeln lief durch die ganze Gesellschaft. Die Revolver wanderten wieder in die Ledergürtel; nur der Indianer sandte noch einige feindselige Blitze unter den niederhängenden Lidern hervor auf den, der ihn so schmerzhaft getroffen.
»Ich wollte mir erlauben zu bemerken«, fuhr Toby Ring endlich wieder fort, nachdem er einen vielsagenden Blick in die schönen Augen der engelgleichen Tänzerin gesenkt, »ich wollte mir erlauben zu bemerken, daß das Benehmen des Kahuillas meinen Beifall ebenfalls nicht hat. Er ist aber als Überbringer wichtiger Nachrichten hier eingetroffen und deshalb müssen wir schon milde über ihn urteilen, ganz abgesehen davon, daß ich nicht viel Unterschied darin sehe, ob der Affe dort oder ein Kahuilla sich in unsere Reihe drängt. Beide haben wohl ganz dieselben Begriffe von Anstand und Ehre.«
»Wahr, sehr wahr!« murmelten die räuberähnlichen Gestalten, beifällig mit den Köpfen nickend und ihr Urteil durch eine Mischung von spanischen, französischen und englischen Flüchen bekräftigend.
Nur der wilde Geselle, der den Stiefel geworfen hatte, wollte seinen Groll nicht fahren lassen, denn er bestand doch störrisch darauf, daß der Kahuilla ihm den andern Stiefel ausziehen müsse.
»Der Kahuilla führt nun einmal den Namen ›Bootjack‹«, versetzte Toby zuvorkommend lächelnd; »war er Ursache, daß Ihr Euch des einen Stiefels entledigtet, so ist es seine Pflicht, die begonnene Arbeit zu beendigen, und darum, mein Freund«, fuhr er zu dem Indianer gewendet fort, »beeile dich und dann magst du mir sagen, was du auf dem Herzen hast.«
Der Kahuilla stand wie ein fühlloses Tier auf, schlich zu dem Goldgräber hin, und nachdem er mit kundiger Hand den Stiefel von dem emporgehobenen Fuß entfernt und zum Lohn dafür mit eben dem entkleideten Fuß einen Stoß erhalten hatte, der ihn fast in das Feuer gestürzt hätte, begab er sich wieder zu Toby Ring und begann seine Worte in flüsterndem Ton an diesen zu richten.
Hatte er aber schon dadurch, daß er sich neben Toby niederkauerte, gegen das Anstandsgefühl der Versammlung verstoßen, so geschah dies in noch höherem Grade, als er seine Nachrichten vor ihr geheim zu halten wünschte; denn noch keine zwei Worte hatte er gesprochen, als der zehnfache Ruf: »Keine Geheimnisse!« ihn zurückschreckte.
»Nein, keine Geheimnisse«, wiederholte Toby mit einer abwehrenden Bewegung gegen den Indianer, wobei aber ein kaum bemerkbarer Zug von Mißvergnügen über sein bleiches Gesicht glitt. »Es betrifft zwar nur ein zartes Verhältnis meiner schönen Freundin hier, allein, wenn die Sennora keine besonderen Gründe hat, den Gegenstand nicht laut werden zu lassen, so sage ich aus vollem Herzen: Keine Geheimnisse!«
»Ich habe vor diesen Herren hier keine Geheimnisse; sie sind meine Freunde und werden es fortan bleiben«, versetzte die Tänzerin mit einem wundervollen Ausdruck erkünstelter Verschämtheit, denn sie hatte sehr wohl aus Tobys Augen gelesen, wie sie sich in diesem Falle zu benehmen habe.
»Himmlische Sennorita!« brüllte ein Goldgräber, dem der heiße Punsch noch in dem roten, zottigen Bart perlte, indem er aufsprang und auf die Tänzerin zuschwankte. »Himmlische, göttliche Sennorita, dein Freund bis in den Tod!« und die Arme ausbreitend, machte er Miene, sie zu küssen.
»Mein Mund ist zu kalt für Eure glühenden Lippen!« rief die Tänzerin lachend aus, und mit einer blitzschnellen Bewegung hatte sie ihren Revolver hervorgerissen, den Hahn gespannt und seine Mündung zwischen ihres nach Kognak duftenden Angreifers Zähne geschoben.
Dieser prallte zum nicht geringen Ergötzen seiner Kameraden erschrocken zurück, machte aber gute Miene zum bösen Spiel und, mit einer Blechtasse in den siedenden Punsch fahrend, rief er aus: »Ja, verdammt kalt, so kalt, daß eine kleine Erwärmung notwendig geworden ist! Auf Euer Wohl denn, edle Sennorita!« und auf seinen alten Platz hintaumelnd, begann er behaglich das heiße Getränk zu schlürfen, während seine Gefährten voller Erwartung den Mitteilungen des Indianers entgegensahen.
Dieser aber hatte bei der vorübergehenden Aufregung Gelegenheit gefunden, dem ehrwürdigen Theaterdirektor unbemerkt einen Brief von Ramiro einzuhändigen, den jener mit der Gewandtheit eines geübten Kartenkünstlers in seinen Ärmel verschwinden ließ; und als dann gleich darauf wieder Stille eingetreten war, fragte er den Kahuilla, ob er lange nach dem verborgenen Pfade habe suchen müssen.
»Ich nicht lange suchen«, antwortete der Wilde, sein Gesicht zu einem listigen Grinsen verziehend. »Ich klug, ich gute Augen, Spuren verwischt, Bär mir aber selbst den Weg zeigen.«
»Der Bär hat dir den Weg gezeigt, ohne dich zu fressen?« rief ein Goldgräber dazwischen, worauf er in das Gelächter seiner über die Frage entzückten Kameraden einstimmte.
»Ruhe!« kommandierte jetzt die Sennorita, die ihrem ungeduldigen Freunde zu Hilfe kommen wollte. »Ruhe, Mille Carajo! Ruhe! Ich befehle es! Ich, die einzige, die hier zu befehlen hat!«
Die Gesellschaft lachte noch lauter, stimmte ein tolles Lied an, verstummte aber sogleich wieder, wie um ihre Achtung vor den Wünschen der Tänzerin zu beweisen, und Kahuilla begann nun wirklich seinen Bericht.
»Ich komme von Sanchez' Rancho«, hob er an. »Majordomo schreiben von San Franzisko; schreiben, schwarzer Juan kommen in drei, vier, fünf, zwei Tagen.« –
»Macht vierzehn im ganzen«, schnarrte einer der Zuhörer, seine dampfende Blechtasse zum Munde führend.
»Weiter, weiter«, sagte Toby Ring freundlich begütigend zu dem Kahuilla, und dieser nahm seinen unterbrochenen Bericht wieder auf.
»Schwarzer Juan allein kommen, kommen durch Tularetal. Majordomo und langer Amerikaner und Knabe mit Weibergesicht kommen wird, zwei, drei, vier Tage später, kommen selben Weg, kommen mit Geld für großer Haufen Schafe, kommen mit viel, viel Geld, mit Haufen Geld.«
Hier trat eine tiefe, feierliche Stille ein. Finney hatte sich vornüber gelehnt und blickte den Indianer starr an, als ob er die Wahrheit seiner Aussagen aus ihm habe herauslesen wollen. Bei den übrigen Mitgliedern zeigte sich ebenfalls mehr oder minder deutlich das außerordentliche Interesse, das sie an dem mit dem gelösten Gelde heimkehrenden Majordomo nahmen.
»Zwanzigtausend Schafe, das Stück zu sechs Dollars, geben eine Summe von hundertundzwanzigtausend Dollars«, rechnete Finney in Gedanken versunken, aber so laut, daß er ringsum verstanden wurde.
»Hundertundzwanzigtausend Dollars«, wiederholten die Goldgräber, die plötzlich vollständig nüchtern geworden waren. Vermutlich bedachten sie, daß höchstens vier oder fünf Mann dazu gehörten, sich der ganzen Summe zu bemächtigen, wogegen beinahe zwei Dutzend entschlossener Bursche um die Sache wußten, von denen gewiß jeder höchst ungern, wo nicht gar mit tätlichem Widerstreben, von einer Beteiligung bei dem Unternehmen zurückstehen würde.
»Ja, hundertundzwanzigtausend Dollars, meine Herren, und dabei die Möglichkeit, erschossen oder eingekerkert und an den ersten besten Baum gehängt zu werden«, sagte Toby Ring, die Hand warnend gegen die Gesellschaft emporhebend. »Es widerspricht aber meinen Gefühlen und meinem Charakter, mich an irgendeinem Unternehmen zu beteiligen, das von dem unwissenden Teile der Menschheit, verstehen Sie mich recht, meine Herren, von dem unwissenden Teile der Menschheit als Straßenraub betrachtet und als solcher bestraft werden dürfte. Ich warne Sie also, meine Herren. Selbst wenn das Unternehmen gelänge, so besitzen Sie doch nichts, womit Sie Ihr erwachendes Gewissen beschwichtigen könnten. Offener Straßenraub, meine Herren! Bedenken Sie wohl, in den Augen der gesitteten, ja, der hochgesitteten Welt ist es strafbarer, ein Fünfcent-Brot zu stehlen, verzeihen Sie meinen scharfen Ausdruck, als Millionen zu unterschlagen!«
Als Toby geendigt hatte, da brachen alle in ein so wildes Toben und Lärmen aus, daß es längere Zeit dauerte, bis aus dem Chaos von Stimmen eine hinlänglich hervorschallte, um verstanden zu werden.
Finney war der erste, der das Wort ergriff und trotz Tobys zugeflüsterter Versicherung, er sei ein Esel, zu beweisen suchte, daß ein ehrlicher Straßenraub bei weitem nicht so verächtlich sei und mehr persönlichen Mut erfordere als falsches Spielen, vornehme Schuldenmacherei, Unterschlagungen und was er sonst noch für Titel aus der Rubrik der konzessionierten Verbrechen hervorholte.
Seinen Ansichten wurde von allen Seiten beigestimmt, und es ergab sich, daß Toby nur die ihm treu ergebene Tänzerin auf seiner Seite hatte.
Zu Finneys größter Überraschung zeigte sich auf den Zügen seines Freundes eine starke tugendhafte Entrüstung, als er die ganze Gesellschaft sich so entschieden für die Beraubung des Majordomos aussprechen hörte. Er kannte Toby Ring aber zu genau, als daß er hinter dieser Maske nicht ganz andere Zwecke vermutet hätte. Jetzt ihm aber noch beizutreten, hielt er nicht für ratsam, weil er seines Freundes Pläne dann erst recht zu durchkreuzen fürchtete; allmählich kam der Irländer zu der Einsicht, daß in diesem Falle, wie schon bei früheren Gelegenheiten geschehen war, andere Leute die Kastanien für ihn aus dem Feuer holen sollten.
»Ich wasche meine Hände in Unschuld!« rief Toby Ring aus, sobald der Lärm sich einigermaßen gelegt hatte; »ich rate ab von einem Unternehmen, bei dem voraussichtlich Blut vergossen wird.«
Er predigte indessen nur tauben Ohren, denn die Banditen hatten sich in Gruppen von drei und vier Mann zusammengetan und beratschlagten darüber, auf welche Weise die von dem Indianer hinterbrachte Nachricht am besten und sichersten auszubeuten sei.
Es lag etwas überaus Unheimliches darin, wie die Verhandlungen mit gedämpften Stimmen geführt wurden und mißtrauische Blicke sich von der einen Gruppe nach der andern hinüberstahlen; und selbst als die Gesellschaft sich zum gemeinsamen Mahl bei dem Kohlenfeuer niederließ, blieben alle einsilbig und sprachen nur sehr mäßig dem Punsch zu.
Jeder war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, die er dem Nachbar nicht zu verraten wünschte, und nur der Theaterdirektor und die Mitglieder seiner Künstlerbande, der Herkules ausgenommen, behielten ihre fröhliche Laune bei und beteuerten, daß sie das paradiesische Tälchen so lange nicht verlassen würden, als ihnen noch die Mittel blieben, ihr üppiges Wohlleben in gewohnter Weise fortzusetzen.
Gegen Mitternacht erst trennte man sich voneinander, um wiederum zu dreien und vieren, wie gerade die engeren Freundschaftsbündnisse geschlossen waren, die Nachtlager zu bereiten und dann bis zum Einschlafen noch leise und ungestört die Beratung fortzusetzen. –
Der Chinese, der Kahuilla und der Affe hatten sich in der Nähe des Küchenfeuers hingestreckt, und merkwürdigerweise lag der Chinese nicht wie andere Menschen mit den Füßen, sondern mit dem Kopfe den Flammen zugekehrt. Er schien empfindlich gegen die kalte Nachtluft zu sein und durch sie oft aus seiner tiefen Ruhe gestört zu werden. Er warf dann verschlafen einige trockene Reiser auf die Glut, ließ seine ausdruckslosen Blicke gleichgültig über seine Umgebung schweifen, zog die runde Filzmütze tiefer über seinen nackten Schädel und den zusammengerollten Zopf, und in der nächsten Minute schnarchte er wieder so laut und tief, als habe er in seinem Leben nicht wieder erwachen wollen.
Kaum drei Schritte von ihm, in warme Decken gehüllt, lagen Toby Ring und Finney dicht nebeneinander. Sie lagen so, daß sich niemand ihnen unbemerkt zu nähern vermochte, und da der Chinese weder Englisch noch Spanisch sprach und sich überhaupt nur durch Zeichen verständlich machte, so durften sie ungestört ihre Meinungen und Ansichten austauschen.
Es schien ein Zwist zwischen ihnen zu schweben, denn der Irländer verteidigte irgend etwas hartnäckig, was Toby Ring wieder durch schlagende Gründe zu widerlegen suchte. Ihre Worte gingen allmählich in dumpfes, kaum vernehmbares Geflüster über, und bald darauf, nachdem Toby seinem Freunde mit vielem Widerstreben etwas zugestanden, von diesem dafür ein Gegenversprechen erhalten hatte, waren sie fest eingeschlafen. –
Eine Stunde war verstrichen, seit in dem Lager der Desperados das letzte Wort gesprochen worden war. Die Feuer zeigten nur noch Gluthaufen, die wenig oder gar kein Licht mehr ausströmten; desto heller schien aber der Mond, der den Zenit längst überschritten hatte, auf das stille Tal hernieder.
Den Chinesen schien wieder zu frieren. Er richtete sich nämlich auf, und nachdem er in seiner gewohnten Weise um sich gespäht, nahm er einige dürre Reiser, warf sie aber nicht oben auf den Glutberg, sondern türmte sie am Rande und zwar dicht vor seinem gelben Gesicht in eine kleine Pyramide auf. Als dann die Flammen an den dünnen Stäbchen hinaufzuzüngeln begannen, streckte er sich wieder lang aus, rückte aber noch näher an den kleinen leuchtenden Scheiterhaufen heran.
Vorsichtig, mit kaum wahrnehmbarer Bewegung, holte er dann aus dem weiten Ärmel seines Kaftans ein dünnes Brettchen, anscheinend den halben Deckel einer Zigarrenkiste, ferner mehrere alte Zeitungen, eine Schere, ein Stückchen Mundleim und endlich ein aus Pinsel und Tusche bestehendes chinesisches Schreibzeug hervor.
Nachdem er alle diese Gegenstände behutsam vor sich niedergelegt hatte, nahm er den Leim, um ihn zum schnellen Gebrauch aufzulösen, zwischen die Lippen, und das porzellanene Tuschbecken dann befeuchtend, richtete er durch kurzes Reiben die als Tinte dienende schwarze Farbe her.
Als er mit diesen Vorkehrungen zustande gekommen war, überzeugte er sich nochmals, daß er nicht beobachtet werde, und die beiden Zeitungen dann so geräuschlos wie möglich entfaltend, begann er die verschiedenen Spalten aufmerksam zu prüfen.
Die Zeitungen waren in spanischer Sprache gedruckt, an vielen Stellen indessen mit chinesischen Zeichen bedeckt, die aber erst nach dem Druck eingetragen worden waren und offenbar jedesmal den Sinn eines danebenstehenden unterstrichenen spanischen Wortes enthielten. Es ging daraus hervor, daß dieser Sohn des himmlischen Reiches die englische Sprache sowohl wie die spanische einigermaßen verstand, jedoch für gut befunden hatte, seine Kenntnisse geheim zu halten.
Nachdem er also die Zeitungen, um sich leichter zu orientieren, neben sich ausgebreitet, griff er nach dem Tuschkasten, und den Pinsel in die schwarze Farbe tauchend, zog er schnell hintereinander fünf oder sechs Linien über das Brettchen, das die Stelle des Briefpapiers zu ersetzen bestimmt war.
Ebenso schnell nahm er dann die Schere zur Hand, seine Blicke überflogen prüfend die Zeitungen, blieben an einem chinesischen Zeichen haften, und in der nächsten Minute hatte er das neben dem Zeichen unterstrichene Wort geschickt herausgeschnitten, auf der Kehrseite mit Mundleim bestrichen und zu Anfang auf die erste Linie des Brettchens geklebt.
Seine Finger fuhren noch mechanisch glättend über das feuchte Papierstreifchen, da hatten seine Augen schon ein anderes, seinen Zwecken entsprechendes Zeichen entdeckt, die Schere klirrte leise, und gleich darauf reihte sich an das erste Wort ein zweites an.
Neben das zweite kam ein drittes und viertes, und als in der ersten Linie dann endlich kein Raum mehr war, da wurde die sinnige Arbeit in der darauffolgenden ebenfalls von links nach rechts fortgesetzt. Auffallend war es, daß, während er so dalag und mit kunstfertigen Händen Schere, Papier und Leim fast zugleich gebrauchte, sein übriger Körper wie bei einem Schlafenden bewegungslos blieb. Nur zeitweise hob er seinen Kopf etwas höher empor, um einen blöden, einfältigen Blick auf die ihm zunächst ruhenden Desperados zu werfen oder wenn er den ihm als Leuchte dienenden kleinen Scheiterhaufen schürte und mit neuen trockenen Reisern nährte.
Ungefähr eine Stunde hatte er bei seiner Arbeit zugebracht, da betrachtete er sie noch einmal sehr aufmerksam, und nachdem er sie dann sehr behutsam nebst den andern Gerätschaften in die zerschnittenen Zeitungen gewickelt, verbarg er alles auf seinem Körper.
Bis dahin hatte sich nicht eine einzige Muskel seines schmutzig-gelben, ausdruckslosen Gesichtes gerührt. Als er aber zum Schluß sein Notizbuch hervorholte und die lange Reihe der darin genau aufgezeichneten Beleidigungen und Mißhandlungen überlas, die er von dem Herkules zu erdulden gehabt, da blitzte auf Momente eine merkwürdige Mischung von Haß und Schadenfreude aus seinen geschlitzten Augen. Beifällig nickte er mit dem Haupte, indem er das Buch wieder zuschlug, und nachdem er sodann den langen Zopf, wie um sich zu erwärmen, einige Male um seinen Hals geschlungen und die Glut zu einem hellen Feuer angefacht hatte, kroch er dicht an den behaglich grunzenden Affen heran und schlief dann sehr bald ein.
Der Mond war um diese Zeit schon hinter die westlichen Berggipfel hinabgesunken, deren Schatten träge an den östlichen Abhängen hinaufschlichen. Die Quelle murmelte und plätscherte, die Räuber schnarchten und stöhnten, der Wachtposten hatte sich fester in seine Decke gehüllt und war eingenickt, die Hunde hatten sich in Knäuel zusammengerollt und drückten ihre kalten Nasen fröstelnd an den warmen eingezogenen Bauch, durch die Schluchten aber pfiff der herbstlich rauhe Morgenwind.