Balduin Möllhausen
Der Majordomo
Balduin Möllhausen

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Achtzehntes Kapitel.
Das Stiergefecht.

In den Teilen Kaliforniens, nach denen die unermeßlich reichen Goldminen den Strom der Einwanderung hinlenkten, ist das alte spanische Element, das von den ersten Missionären dort eingeführt und lange mit Sorgfalt gepflegt wurde, in dem mächtigen Zusammenfluß zahlreicher, und gewiß nicht immer der achtungswertesten Repräsentanten so vieler Nationen erstickt worden.

Wo dagegen die Viehzucht noch den Haupterwerbszweig bildet, wo also das blendende und verblendende Gold noch nicht aus erster Hand gewonnen wird, da findet sich das, was an die ersten Ansiedler erinnert, noch mehr oder weniger erhalten, je nachdem die älteste Bevölkerung noch unvermischt geblieben ist und nicht von der modernen Zivilisation berührt wurde.

Ganz unberührt von dieser Zivilisation ist indessen wohl kein Winkel Kaliforniens mehr geblieben, und immer seltener werden die Ranchos und Haziendas, auf denen man das Neueste nicht immer für das Beste und Nachahmungswerteste hält und dafür mit patriarchalischer Pietät an den Sitten, Gebräuchen und der ganzen Lebensweise der Voreltern hängt.

Der Spanier ist leichtsinnig im Wetten, der Altkalifornier und der Neukalifornier tun es ihm zuvor. Der Spanier ist unermüdlich beim Tanz und schwärmt für seine Nationaltänze; wenn aber je im Auslande nach spanischen Melodien wild getanzt wurde, so geschieht es in Kalifornien, gleichviel, ob auf einem Fandango mehr die exotischen dunkeln Augen, die schwarzen Locken und die bräunliche Gesichtsfarbe, oder die blauen Augen und das helle Haar des Nordens vertreten sind.

Vor allen Dingen liebt der Spanier seine Stiergefechte, und mit nicht geringem Stolz muß es ihn erfüllen, zu wissen, daß dieser Brauch seinen Weg auch nach Mexiko und Kalifornien gefunden hat, und selbst bei der neuen Bevölkerung bis zu einem gewissen Grade einheimisch geworden ist.

Die Stiergefechte in Kalifornien sind freilich das nicht mehr, was sie ursprünglich in der Heimat dieser grausamen Kampfspiele waren oder, richtiger bezeichnet, noch sind. Gar häufig hat der graue, furchtbare Gebirgsbär die Rolle eines Toreadors zu übernehmen, und auch bei einem wirklichen Stiergefecht wird nicht so sehr viel auf altherkömmliche Formen und Gesetze der Kampfesweise gegeben, indem es hauptsächlich nur darauf ankommt, dem Publikum Ungewöhnliches, und dieses auf recht einträgliche Art vorzuführen. Doch im sonnigen Spanien selbst riefen die Qualen zu Tode gemarterter Geschöpfe keinen größern Jubel hervor, wurden keine höheren Wetten eingegangen und bessere Geschäfte gemacht, als in Kalifornien bei den Tierkämpfen, und wenn sie in ihrer Bedeutung auch so weit herabgesunken waren, daß sie von Bären, Bulldoggen, Hähnen, oder sogar von den gemeinsten Kreaturen, gemein, weil sie den göttlichen Verstandesfunken verleugnen und sich mit den Tieren auf eine Stufe stellen, um sich von eben so gemeinen Seelen bewundern zu lassen, also von englischen Preisboxern, ausgeführt wurden.

Ein derartiges Kampfspiel sollte also in der Nähe von San Luis Rei stattfinden. Man hatte diesen Punkt aus doppelten Gründen gewählt. Erstens machte ein kleines, von schroffen Felsen eingefriedigtes Tal das kostspielige Errichten von Schranken überflüssig, weil es nur einiger einfacher Vorkehrungen bedurfte, um den Kampfplatz vollständig von den Bergabhängen, den natürlichen, erhöhten Zuschauerräumen zu trennen, diese aber für die Schaulustigen zugänglich zu machen; und zweitens war dieser Punkt fast gleich weit von Pueblo de los Angeles wie von San Diego entfernt, und konnte daher von allen Bewohnern des San Bernardino-Tales in einem Tage erreicht werden.

Das Unternehmen war von Mexikanern ausgegangen, die alles aufgeboten hatten, es in altherkömmlicher Weise auszustatten. Es gehörte dahin also vor allen Dingen, daß nicht graue Bären, Bulldoggen, Hähne oder Preisboxer die Schranken betraten, sondern wirkliche Stiere, Toreadors, Pikadors und Matadors, mithin lauter Streiter, die den Titel: »Echtes spanisches Stiergefecht«, der auf den im Lande umhergeschickten Programmen und Anschlagezetteln mit großen Buchstaben gedruckt worden war, in vollem Maße rechtfertigten.

Die nächste Folge von dem erlassenen Aufruf zur Beteiligung zeigte sich an dem bestimmten Tage bereits in aller Frühe; alle Pfade, die nach den Schranken oder auch nur bis in ihre Nähe führten, waren von Reitern und Reiterinnen dicht bedeckt, die schon vor Anbruch des Tages das heimatliche Dach verlassen hatten, zum großen, vielleicht zum größten Teil aber auch die ganze Nacht geritten waren.

Zu Pferde und zu Maulesel kamen sie an, die mehr oder minder reich geschmückten Sennors und Sennoritas, sowie die einfacher gekleideten Amerikaner. Bald auf Sätteln, die von schweren Silberbeschlägen strotzten, bald auf den allereinfachsten Böcken, über die nur eine zusammengefaltete Decke geschlagen war. Bald auf schäumenden Rossen, die trotz des zurückgelegten Marsches mehr tanzten als gingen, bald auf Maultieren, die langsam und gemächlich, aber mit sicherm Schritt ihre aus zwei und drei Personen bestehende Last herbeitrugen.

Mochten sie aber kommen, in welcher Weise sie nur immer wollten, strahlende Gesichter sah man überall: ebensowohl da, wo ein Bursche zwischen zwei Sennoritas fast erstickte, von denen eine vor dem Sattel auf den Schultern des Reittieres thronte, während die andere hinter demselben auf der Kruppe Platz genommen hatte; wie da, wo die zu lustigen Sprüngen gestachelten Hengste ihre Last kaum fühlten und im wilden Wettlauf sich gegenseitig zuvorzukommen trachteten.

Die Bergabhänge, die die Stelle der Bankreihen vertraten, waren schon seit dem frühen Morgen von Leuten belebt, die gute Plätze für sich und die ihrigen zu belegen wünschten, sowie auch von solchen, die mittels Brettern, Blöcken, und Steinen einfache Bänke herstellten, um sie an die begüterten Zuschauer zu vermieten, oder auch kalte und warme Erfrischungen feilhielten.

Immer mehr Schaulustige strömten herbei, hier einzeln, dort in Karawanen. Die zur Aufnahme der Pferde hergestellten Gerüste waren bald nicht mehr ausreichend, und Leinen mußten gezogen werden, an denen dann die Zügel der Tiere geknotet wurden; denn zu ihrer Beaufsichtigung ließ sich an diesem Tage weder Knecht noch Peon willig finden. Alle wollten sehen, und wenn sie auch gezwungen waren, wegen Mangels an Geld sich nach dem Gipfel der Felsenhügel hinaufzubegeben, wo sie sicher waren, daß ihnen kein Eintrittsgeld abverlangt wurde.

Und so herrschte denn in der nächsten Umgebung des kleinen Tales ein wirres Getriebe, und so geräuschvoll wogte die Menge durcheinander, daß man die Stimme erheben mußte, um überhaupt von denjenigen, an die man seine Worte richtete, verstanden zu werden.

Die Stiere, drei an der Zahl, befanden sich in festen, hölzernen Schuppen, die vor dem nördlichen Eingang der geräumigen Arena aufgeschlagen waren. Von den Kämpfern dagegen war noch nichts zu sehen. Sie wurden von dem nahen Städtchen her erwartet, und der Verabredung gemäß sollten sie erst kurz dem Beginn des Kampfspiels erscheinen, und dadurch den Zuschauern das Zeichen geben, ihre Plätze einzunehmen.

Da der Anfang auf zwölf Uhr festgesetzt war, so wogte die Menge stundenlang durcheinander, denn fast jeder hatte einen Freund oder Bekannten aufzusuchen, den er vielleicht seit Jahren nicht gesehen, und wahrscheinlich auch in kommenden Jahren nicht wiedergesehen haben würde, wenn das Volksfest nicht einen so allgemeinen Anklang gefunden und die Menschen von nah und fern zusammengelockt hätte.

Inez, Maria, der Majordomo und Don Pico, der sich kurz vor ihrem Aufbruch auf der Rancho zu ihnen gesellt hatte, waren schon zur frühen Stunde in San Luis Rei eingetroffen und von Don Sanchez und Sidney mit Jubel empfangen worden. Doch erst eine Stunde vor zwölf Uhr, zu welcher Zeit der Anfang festgesetzt war, begaben sie sich zu Fuße nach dem nahen Schauplatz, wo der schwarze Juan Plätze für die ganze Gesellschaft offenhielt.

Sie hatten eben ihre Sitze eingenommen, als das Getöse der Hunderte von rufenden, lachenden und scherzenden Menschen plötzlich verstummte und in ein allgemeines Murmeln des Beifalls überging. Gleich darauf aber entstand ein Drängen, das hin und wieder mit mutwilligem Lachen, auch wohl Stößen und herzhaften Flüchen begleitet wurde, und ehe noch zehn Minuten vergangen waren, saßen alle auf den Felsabhängen, die die Arena einschlossen, in langen Reihen amphitheatralisch übereinander, und harrten mit Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Sogar der alte Ranchero und Inez und Maria, die aufmerksam den leise gesprochenen Worten ihrer Geführten lauschten, wendeten ihre Blicke dem südlichen, noch offenen Ende der Arena zu, von woher sie die Klänge eines sich nähernden, mehr geräuschvollen, als harmonisch stimmenden Musikkorps vernahmen.

Eine erwartungsvolle Stille trat ein, und wenn die Musik, in der eine dumpfe Pauke die Hauptrolle spielte, nicht die Luft förmlich erschüttert hätte, so würde man das Atmen der Menge haben unterscheiden können, die sich jetzt auf dem höchsten Punkte neugieriger Spannung befand. Nur einer der in den finsteren Schuppen eingeschlossenen und von dazu angestellten Knechten geängstigten und gemarterten Stiere stieß ein wildes drohendes Brüllen aus.

Endlich bogen die vordersten des festlichen Zuges um den vorspringenden Felsen herum, und begrüßt von tausendstimmigem Hurra trabten, gehalten und gelenkt von einem weißgekleideten Vaquero, vier mit Bändern und Quasten phantastisch geschmückte Maultiere in die Schranken.

Es waren die Tiere, die die Aufgabe hatten, die gefallenen Opfer jedesmal aus der Arena zu schleifen, wie die Geschirre und die hinter ihnen herklirrende Kette, an die sie nebeneinander gespannt waren, bewiesen. Der Vaquero lenkte sie mittels einer roten Leine, während er zugleich fast unausgesetzt mit einer schweren Peitsche knallte.

Kaum befand er sich angesichts aller Zuschauer, so hielt er die Maultiere an, schwenkte grüßend seinen mit einigen Hahnenfedern verzierten breitrandigen Strohhut, und dann wieder mit der Peitsche knallend, hielt er seinen Umzug in dem ziemlich unregelmäßigen Zirkus.

An den Vaquero schlossen sich die Musikanten an. Auch diese hatten sich mehr oder weniger mit phantastischen Zieraten behangen, bogen aber, anstatt dem Vaquero zu folgen, hinter die Barriere, die aus festen Balken hergestellt, den eigentlichen Kampfplatz von den Zuschauerräumen trennte. Dort nun, auf einem für sie errichteten Gerüst, nahmen sie Platz, um den übrigen Teil des festlichen Zuges unter den lauten Klängen ihrer Instrumente vorüberziehen zu lassen.

Der Zug näherte sich schnell, und abermals erschütterte ein donnerndes Beifallsrufen die Luft, als, begleitet von einem ganzen Troß von maskierten Knaben, die acht Stierkämpfer in die Schranken ritten und, nach allen Seiten grüßend, ihren dreimaligen Umzug hielten.

Wenn auch ein echter Toreador, der vielleicht die hohe Schule in Madrid oder Barcelona besuchte, mit geringschätzigem Lächeln auf die acht Stierkämpfer niedergeschaut hätte, von denen kaum die Hälfte mehr als eine Ahnung von einem Stiergefechte besaß, alle aber jedenfalls besser den Lasso, als die Lanze und den Stoßdegen zu führen verstanden, so hätte er doch gegen ihre stolze, selbstbewußte Haltung, wie gegen den Anstand, mit dem sie das enthusiasmierte Publikum begrüßten, gewiß nichts einwenden können.

Auch ihre Kleidung war zierlich und der Gelegenheit angemessen, und erinnerte durch grelles Farbenspiel an die in den alten Zeiten gebräuchlichen Schnelläufer vornehmer Herren.

Jedenfalls war das Publikum mit ihrer Erscheinung zufrieden, das bewiesen die nicht endenwollenden Ausrufe des Beifalls, die bald den mutigen, ausgesucht schönen Rossen, bald dem schweren, kostbar verzierten Sattel- und Zaumzeug, bald den gewandten Reitern selbst galten.

Als der Festzug auf seinem zweiten Umritt wieder an der Ausgangspforte vorbeikam, traten die Fußgänger, die ihn so lange begleitet hatten, hinter die Schranken zurück, so daß sich nunmehr außer den acht Reitern kein Mensch mehr in der Arena befand. Sobald diese dann zum dritten Male an die Eingangspforte gelangt waren, wo sie sich abermals nach allen Seiten hin verneigten, verließen noch sechs von ihnen die Schranken, während die beiden übrigen, der eine auf der Ostseite, der andere auf der Westseite, ihre Pferde dicht an die Barriere drängten, worauf sie die Lanzen quer vor sich, zum schnellen Gebrauch bereit, auf den Sattel legten.

Offenbar waren dies die gewandtesten Reiter der Truppe, die weniger die Aufgabe hatten, den Stier anzugreifen, was sie höchst wahrscheinlich mit dieser Art von Waffe noch nicht oft ausgeführt, als durch geschicktes und wohlberechnetes Ausweichen die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln und das Abschlachten der drei Opfer in die Länge zu ziehen.

Kaum hatten die beiden Reiter ihre Plätze eingenommen, so schwieg die Musik, und an ihre Stelle trat, wie in einem wohlgefüllten Bienenkorbe, ein lautes Summen, das durch noch lautere Herausforderungen zum Wetten und durch das Anpreisen von Getränken übertönt wurde.

Da erschallte plötzlich ein wilder Tusch, und gleichzeitig traten die sechs Reiter, die ihre Pferde außerhalb des kleinen Talwinkels abgegeben hatten, durch die Barriere, die sogleich wieder hinter ihnen geschlossen wurde.

Zwei von ihnen führten in der rechten Faust entblößte Degen, drei andere dagegen jeder zwei rote Fähnchen, während der letzte eine Anzahl kleiner, mit scharfen Angelhaken versehener Feuerwerkskörper bei sich trug.

Nachdem alle die ihnen zuerkannten Posten eingenommen hatten, und zwar so, daß die Banderilleros oder Männer mit den Fähnchen und Schwärmern die Mitte des Kampfplatzes behaupteten, die beiden Matadors dagegen sich in die Nähe der Reiter zurückgezogen hatten, wurde endlich das Zeichen zum Beginn des Schauspiels gegeben.

Die mittelste Tür des Bretterschuppens öffnete sich, und langsam und scheu, als wenn ihn das Sonnenlicht geblendet hätte, schritt ein mächtiger schwarzbrauner Stier in die Schranken.

Es war ein prächtiges Exemplar, das wohl die Beifallsrufe verdiente, die ihm aus Hunderten von Kehlen entgegendonnerten. Doch der ungewohnte Anblick so vieler Menschen und das von diesen ausgehende Getöse schienen ihm Furcht einzuflößen, denn nachdem er eine Strecke weit in die Arena hineingeschritten war, bewegte er sich langsam wieder um einige Ellen rückwärts, wobei er, wie um sich selbst anzufeuern und in Wut zu versetzen, dumpf brüllend den Rasen mit den Hufen aufwühlte, und Sand und Wurzeln hoch in die Luft hinaufschleuderte.

Bei diesen Beweisen, daß der Stier doch kein Feigling sei, wie man bei seinem ersten Auftreten fast vermutete, entstand eine allgemeine Stille, indem man, ehe man ihn reizte, abwarten wollte, ob er sich aus eigenem Antriebe gegen die grellfarbigen Gestalten der Banderilleros wenden würde. Nicht weniger wurde aber auch wohl gezögert, um den Zuschauern Zeit zu gewähren, über den Verlauf des Kampfes Wetten abzuschließen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Inez und Maria die ungeduldige Erwartung von Kindern an den Tag gelegt, die sich auf den hellerleuchteten Christbaum freuen. Als sie aber den Stier beobachteten, wie er überrascht und befremdet um sich schaute, und offenbar an nichts weniger dachte, als hier zur Belustigung der Menschen zu Tode gemartert zu werden, da beschlich Mitleid die jungen Mädchen. Sie hatten ein derartiges Schauspiel noch nie in ihrem Leben gesehen und kannten dergleichen eben nur aus Beschreibungen. Sie ahnten daher nicht, daß es auf sie einen andern Eindruck machen würde, als wenn sie seit frühster Jugend an solche Szenen gewöhnt gewesen wären. Jetzt empfanden sie Schrecken über das, was dem armen Geschöpf bevorstand, scheuten sich aber, dies in Gegenwart des Rancheros an den Tag zu legen, weil sie einsahen, daß dieser, stolz auf seine spanische Abstammung, in ihrem Mitleid eine gewisse Entartung entdecken würde.

Maria vermochte indessen zuletzt nicht mehr ihre Gefühle zu unterdrücken, und indem sie sich zu Inez neigte, flüsterte sie dieser zu: »Wären wir doch zu Hause geblieben!«

Inez schüttelte leise ihr schönes Haupt, Robert aber gewahrte, daß sie die Lippen fester zusammenpreßte und sich zwang, ihr plötzlich erwachtes Mißfallen zu verbergen.

siehe Bildunterschrift

»Ein grausames Spiel!« sagte er so leise, daß nur Inez ihn verstand, denn er bezweifelte nicht, daß eine derartige Äußerung, wenn andere sie vernehmen würden, ihn zum Gegenstand bitteren Spottes, und zwar noch mehr der anwesenden Amerikaner, als der höflicheren Mexikaner machen würde. »Ein grausames Spiel«, wiederholte er, als ein kaum wahrnehmbares Zeichen der Geliebten ihn belehrte, daß sie seine Ansichten und Gefühle teile; »geschähe es nicht Eures Vaters wegen, ich glaube, ich wäre imstande, teuerste Inez, Euch aufzufordern, mit dem, was wir bis jetzt von dem Feste gesehen haben, zufrieden zu sein.«

Inez wendete ihm ihr liebliches Antlitz zu, und reichte ihm mit einem innigen Lächeln die Hand, wobei sie verstohlen auf ihren Vater und Don Pico deutete, die sich beide vertieft hatten, die Vorzüge des Stiers hervorzuheben, und sogar in ihrem Eifer eine nicht unbedeutende Wette abschlossen.

Sidney dagegen schaute mit aller Teilnahme eines jungen Amerikaners auf die Szene vor sich, und bei der großen Vorliebe für grelle Farben, die fast allen Amerikanern eigentümlich ist, war es nicht zu verwundern, daß beim Hinblick auf die geputzten Leute sein Enthusiasmus sich auf geräuschvolle Weise Bahn brach.

»Schön! Sehr schön!« rief er einmal über das andere aus, förmlich berauscht von dem fremdartigen Schauspiel.

Da sprang auf ein gegebenes Zeichen ein Banderillero auf den Stier ein und heftete mit geschicktem Wurfe zwei knisternde Papierfähnchen und einen mit langer glimmender Lunte versehenen Schwärmer an seine Schultern.

Der Stier fuhr zusammen, denn die Spitzen mit den Widerhaken waren tief in die Haut eingedrungen, gleich darauf aber sprang er einen Schritt nach vorn, und seinen mächtigen Körper heftig schüttelnd, suchte er die festhaftenden und ihn peinigenden Gegenstände von sich zu entfernen.

Da faßte der entzündbare Stoff in dem Schwärmer Feuer, und zischend und funkensprühend tanzte er um den Widerhaken herum, als wenn er sich mit Gewalt hätte losreißen wollen.

Der Stier, erschreckt und gefoltert zugleich, brüllte wild auf und sprang zur Seite, um dem Funkenregen zu entrinnen, doch begegnete er einem andern Banderillero, der ihm mit zwei scharlachfarbigen Flaggen über die Augen hinfuhr und dann, als er ihn, nach vorn stürzend, durchbohren wollte, leicht auswich.

Der Feuerwerkskörper war ausgebrannt, und der gereizte Stier richtete nunmehr seine ganze Aufmerksamkeit gegen denjenigen, der es gewagt hatte, so dicht vor seinen drohenden Hörnern vorüberzugleiten.

Wie im Kreisel wirbelte er auf derselben Stelle herum, sein breites Haupt neigte sich, seine Hufe hoben sich zum unwiderstehlichen Anlauf, aber in demselben Augenblick wurde er durch zwei andere Scharlachflaggen geblendet, die ein herbeispringender Banderillero von hinten über seine breite Stirn schwang.

Das erbitterte Tier schnaubte vor Wut, und tief und hohl erklang das Brüllen, das sich der breiten Brust entrang. Doch lauter noch als dieses erschallte der Beifallssturm von den nahen Abhängen, wo man einer baldigen ernsteren Wendung des Kampfes entgegensah.

Fast eine Minute lang verharrte der Stier regungslos und ließ die roten Tuchstreifen vor seinen Augen unbeachtet hin und her flattern; dann aber drehte er sich so gewandt um, daß der Banderillero nicht schnell genug auszuweichen vermochte und, von seiner Schulter getroffen, weit in den Sand hinausrollte.

Wiederum senkten sich die Hörner, aber wiederum blendeten zwei andere Fahnen seine Augen, und gleichzeitig bohrten sich zwei geschickt geschleuderte und schon zischende Schwärmer auf seinen Hüften fest.

Trotzdem aber stürzte das von Tollwut ergriffene Tier in der eingeschlagenen Richtung vorwärts.

Warnungsrufe und Schreie des Entsetzens wurden auf allen Seiten laut, aber alle Warnungen hätten ihn nicht retten können, wäre der gewandte Bursche nicht, den Angriff vorhersehend, noch ehe der Stier an ihn herankam, emporgeschnellt und wie der Blitz zur Seite gesprungen.

Der Stier durchmaß in rasendem Lauf die Arena; auf den Abhängen aber brach wieder ein allgemeiner Beifallssturm über die Geschicklichkeit der Banderilleros los, die, ihre Arbeit vorläufig als beendigt betrachtend, nach allen Seiten hin dankend, sich nach verschiedenen Richtungen hin entfernten und hinter die Barrieren traten.

Die Toreadors und Matadors hatten so lange auf ihren Posten ausgeharrt. Als aber der Stier, sobald er den Ausgang aus dem Talwinkel abgesperrt fand, sich umwendete und, schäumend vor Grimm, einen tollen Kreislauf inwendig an der Barriere herum begann, da sprengten die Reiter, während die Fußkämpfer der rasenden Bestie nur einfach auswichen, bis in die Mitte der Arena, wo sie, nachdem sie ihre Lanzen zum Gruß gegen das applaudierende Publikum gesenkt, sich bereit machten, den begonnenen Kampf fortzusetzen.

Der Stier hatte unterdessen die Hälfte der runden Linie zurückgelegt, ohne daß er in seinem Lauf auf Hindernisse gestoßen wäre. Als er aber auf der Nordseite der Arena in den alten Fahrweg gelangte und, sich kurz umwendend, gegen Süden entfliehen wollte, erblickte er plötzlich zwei Reiter vor sich, die ihm den Weg zu verlegen beabsichtigten.

Er mußte sie für die Urheber der Qualen halten, die er bis jetzt erduldet, denn grimmiger klang das Gebrüll, das er ausstieß, und flüchtiger berührten die schweren Hufe den Boden, indem er die Pferde zu seinem Ziel wählte.

»Attention! Prenez garde! Take care!« schallte es von den Bergabhängen nieder; doch die Pferde standen so unerschütterlich, wie die Felsenabhänge, von denen die Warnungsrufe niedergesendet wurden. Erst als der Stier sich kaum noch zehn Fuß weit entfernt von ihnen befand, entzogen sich beide der Gefahr durch einen mächtigem Seitensprung nach entgegengesetzten Richtungen.

Die Musik spielte, die Zuschauer jubelten, der Stier aber, unvermögend, im vollen Lauf die Richtung zu ändern, galoppierte zwischen den Reitern hindurch, und von beiden Seiten bohrten sich die zollangen Lanzenspitzen in seine Schultern, doch wurden sie ebenso schnell wieder zurückgezogen.

Wenn der Stier früher bei den schmerzhaften Berührungen erschreckt zusammenzuckte und seine Qual und die wachsende Wut durch kurz abgebrochenes Gebrüll und Schnauben an den Tag legte, so schien er jetzt jedes Gefühl gegen den Schmerz verloren zu haben und sich auf dem höchsten Gipfel der Raserei zu befinden. Wollte er nun seinen Grimm an dem ersten besten toten Gegenstande auslassen, oder trachtete er darnach, die auf seiner Haut mittels der Widerhaken befestigten papiernen Fähnlein von seinem Körper zu entfernen, das ließ sich nicht erraten. Er hatte aber kaum seinen unaufhaltsam vorwärtsschießenden Körper wieder in seine Gewalt gebracht, als er auch niederkniete, ein unheimliches Röcheln ausstieß, den Boden mit seinen starken Hörnern aufpflügte, und sich dann mit blitzschneller Bewegung auf der frisch aufgeworfenen Erde herumwälzte.

So schnell seine Bewegungen auch waren, so wurde seine Eile doch noch beschleunigt durch die beiden Lanzenspitzen, die ihn in demselben Augenblick trafen, in dem er wieder auf seine vier Füße emporschnellte.

Mehrere Sekunden blieb er dann wie eingewurzelt stehen, die mit Blut und Schweiß bedeckten Weichen schlugen heftig, weißer Geifer und Schaum entströmte dem halbgeöffneten Rachen, und schnaubend schoß aus den gespreizten Nüstern, wie zwei schmale Dampfsäulen, der heiße Atem hervor. Er überlegte offenbar, welchen der beiden Feinde, die sich in verschiedenen Richtungen, aber gleich weit entfernt von ihm befanden, er zuerst angreifen solle, und als ob die Zuschauer seine Gefühle geteilt hätten und von bangen Zweifeln ergriffen worden wären, verbreitete sich lautlose Stille über die dicht belebten Abhänge.

Endlich hatte er sich entschieden; mit gesenkten Hörnern stürzte er auf den los, der links von ihm hielt; er hatte die Entfernung bis zu diesem aber noch nicht zur Hälfte durchmessen, da drehte er sich schnell auf derselben Stelle herum, und mit aller Eile, deren er nur fähig, lenkte er auf den zweiten Toreador zu, der nichts weniger als einen so plötzlichen Angriff erwartete.

Kaum war die scheinbar wohl überlegte Bewegung des Stiers, die man für eine Kriegslist hielt, bemerkt worden, als ein donnernder Applaus ihn für seine Klugheit lohnte, der nicht eher endete, bis man den ausweichenden Reiter samt seinem Pferde auf den Boden rollen, den Stier dagegen noch eine Strecke weiter eilen sah.

Ein allgemeiner Schreckensruf erhob sich; derselbe erstarb indessen sogleich wieder und verwandelte sich in den wildesten Jubel, sobald das nur am Hinterteil von dem Stoße eines Horns gestreifte Pferd emporsprang, der Reiter aber wieder wohlbehalten im Sattel saß.

Nach diesen ersten heftigeren Zusammenstößen hielten sich die beiden Toreadores getrennt voneinander, und es entspann sich ein Gefecht, das weniger gefährlich, als durch die Gewandtheit der Reiter und die blinde Wut des keuchenden Stieres fesselnd wurde. Es handelte sich jetzt hauptsächlich darum, das Tier immer mehr zu ermüden, um den zuletzt handelnden Mitgliedern bei diesem Schauspiel die Arbeit zu erleichtern. –

Doch nichts ist in der Welt wetterwendischer, als ein schaulustiges Publikum; denn wenn sich auch alle an der wahrhaft meisterhaften Führung der Pferde ergötzten, so wurden doch auch sehr bald, trotzdem das Orchester seine rauschendsten Melodien aufspielte, Stimmen laut, die nach der letzten blutigen Schlußszene verlangten. Sie fanden innerhalb kurzer Zeit, namentlich unter denjenigen, die das grausame Schauspiel beendigt zu sehen wünschten, so großen Anhang, daß die Reiter ihnen willfahren zu müssen glaubten.

Sie veranlaßten daher den Stier, dem nördlichen Ende der Arena zuzustürmen, und als dann auf ein gegebenes Zeichen der südliche Schlagbaum gehoben wurde, sprengten sie schnell durch die ihnen geöffnete Gasse, und in der nächsten Minute sah der Stier seine furchtbarsten Gegner vor sich.

Nach dem Anstand zu schließen, mit dem die beiden Matadore ihre Degen prüfend schwangen und dabei die roten Zeugstreifen in der linken Hand flattern ließen, mußten sie sich schon in anderen Ländern, wo die Stiergefechte mehr an der Tagesordnung waren, eine bedeutendere Kunstfertigkeit in ihrem Gewerbe angeeignet haben, obschon es wieder gegen sie sprach, daß beide zugleich auf dem Kampfplatz erschienen. Es waren zwei untersetzte Männer, die, über die erste Lebenshälfte hinaus, ebensoviel Kraft wie Gewandtheit in äußerer Erscheinung wie in den Bewegungen verrieten. Ihre Haut war stark gebräunt, aber weniger, weil ihnen die dunkle Farbe angeboren gewesen wäre, als daß die tropische Sonne darauf ihre Spuren zurückgelassen hatte; dagegen sprachen die lockigen schwarzen Haare, die ihre Häupter mähnenartig umgaben, die krausen schwarzen Bärte und die dunklen Augen unzweideutig für ihre südliche Abstammung, mochten sie nun die mexikanische Republik oder das romantische Spanien ihre Heimat nennen. –

Nachdem diese stattlichen Kämpfer die ihnen gespendeten Willkommenrufe mit dankender Gebärde entgegengenommen hatten, kreuzte der eine, zum Zeichen, daß sein Gefährte Mannes genug für den Stier sei, die Arme über die Brust und nahm eine zuwartende Stellung an, um ihm nur im höchsten Notfall beizuspringen.

Der andere dagegen schwang den roten Zeugstreifen lustig ums Haupt, und die Faust sicherer um den Griff des spitzen Stoßdegens schließend, bewegte er sich festen Schrittes auf den Stier zu, der, schon mehr das Bild einer tödlichen Erschöpfung, als der unbezähmbarsten Wut, ungefähr dreißig Schritte weit von ihm entfernt stand und mit blutunterlaufenen Augen zu den neuen Erscheinungen hinüberstarrte.

Erst als der ihm Entgegentretende den roten Zeugstreifen in der Luft flattern ließ, bemächtigte die Tollwut sich seiner wieder, und unter dem donnernden Applaus der Menge, die eine Weile vor Spannung geschwiegen hatte, stürmte er auf den Matador los, der sogleich still stand und mit vorgeneigtem Oberkörper und vorgehaltener Degenspitze seinen Gegner erwartete.

In der kurzen Frist konnte man nicht entscheiden, ob ihm das Licht nicht günstig war, ob die unregelmäßigen Bewegungen ihn hinderten, sein Ziel genau ins Auge zu fassen, oder ob er nur wünschte den Kampf noch etwas in die Länge zu ziehen. Man sah eben nur, daß er im letzten Augenblick wie eine Sprungfeder zur Seite schnellte, der Stier aber harmlos an ihm vorbei- und noch eine Strecke weit über ihn hinausschoß.

Das Publikum applaudierte jetzt nicht mehr, da der Verlauf des Kampfes die allgemeine Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nahm, um den einzelnen Streitern besondere Teilnahme zuzuwenden. Nur hin und wieder wurde ein weiblicher Schreckensruf laut, wenn es auf Augenblicke kaum noch möglich schien, daß der eine oder der andere Matador dem Untergange würde entrinnen können.

So war es auch, als der Stier, nach dem ersten fehlgeschlagenen Angriff, des zweiten Matadors ansichtig wurde, und ohne Zögern, aber doch schon mit bedeutend verminderten Kräften auf diesen losstürmte.

Der Bedrohte mußte seine Lage aber nicht für sehr gefährlich erachten, denn er verharrte nicht nur in seiner nachlässigen Stellung, sondern er gab sich sogar nicht einmal die Mühe, den Degen unter dem Arm hervorzunehmen, so viel ihn auch die Angstrufe von oben zur Vorsicht mahnten.

Erst in dem Augenblick, in dem der Stier dicht vor ihm den furchtbar bewaffneten Kopf zum tödlichen Stoß noch tiefer neigte, machte er eine blitzschnelle Bewegung; die Spitze seines rechten Fußes traf den Angreifenden zwischen die Hörner, und halb springend, halb von dem wütenden Tier geschleudert, flog er über dasselbe fort, so daß er die Hüftknochen noch einmal leicht mit den Füßen berührte und dann hinter dem Davoneilenden unverletzt auf die Erde zu stehen kam.

Hatte die Menge bei dem scheinbar unvermeidlichen Zusammenstoß einen Ausruf des Schreckens nicht zu unterdrücken vermocht, so erbebte die Luft förmlich von dem wilden Jubel, mit dem die Geistesgegenwart des gewandten Kämpfers belohnt wurde, und so laut erhoben sich die Stimmen, daß sogar der aus vielen leichten Wunden blutende Stier seine Wut darüber fast vergaß und keuchend und schnaubend nach der Richtung hinübereilte, wo der Schuppen sich befand. Mehr als wahrscheinlich ist es, daß er sich jetzt dem Gedränge entzogen hätte, wäre nur ein Weg zur Flucht offen gewesen, denn das Toben der Zuschauer, wie auch die beständig erfolglosen Angriffe auf seine Feinde wirkten nicht nur erschöpfend, sondern auch entmutigend auf ihn.

Der Matador, dem die letzte Bekämpfung dieses Stiers zuerkannt worden war, mochte indessen befürchten, daß die bis jetzt in jeder Weise so überaus gelungene Vorstellung dennoch durch die wachsende Zaghaftigkeit des armen Tieres viel von ihrem Glanz einbüßen würde. Er beeilte sich daher, wieder an sein Opfer heranzukommen, das nunmehr schnaubend und den Rasen aufscharrend langsam vor ihm zurückwich.

Er hätte es bequem niederstoßen können, doch lag das nicht in seiner Absicht, es sollte wenigstens der Schein eines ernstlichen Widerstandes gerettet werden. Um dieses zu erzielen, schwang er das scharlachfarbige Tuch einige Male vor sich her, so daß seine Zipfel den krausen Kopf des Stiers fast berührten, und als dieser dann endlich, von Wut, Angst und Verzweiflung getrieben, einen mächtigen Satz auf seinen Gegner zu machte, da funkelte die scharfe Degenspitze einen Augenblick im hellen Sonnenschein, und indem sie den Stier anscheinend leicht im Genick berührte, sank dieser, wie vom Blitz getroffen, zu Boden.

Konvulsivisches Zucken der Muskeln verriet, wie schnell das Leben aus dem riesenhaften Körper entfloh. Der Matador dagegen entblößte sein Haupt, und die blutige Degenspitze senkend, begrüßte er höflich das enthusiasmierte Publikum.

Dieser erste Kampf war für alle Teile, ausgenommen für den armen Stier, so befriedigend ausgefallen, daß der donnernde Applaus, der von den Abhängen niederschallte, wohl gerechtfertigt war. Nur auf kurze Zeit traten die alte Ordnung und der Jubel wieder ein; als nämlich die vier mit Klingeln und Schellen behangenen Maultiere in die Arena trabten und, nachdem sie vor den toten Stier gespannt worden waren, unter der rauschenden Musik des Orchesters ihre Last aus den Schranken schleppten.

Eine Pause wurde sodann angekündigt, und wenn die Zuschauer auch die Abhänge nicht verließen, so wogten sie doch, so weit es die rohe Bodengestaltung zuließ, untereinander hin und her, hier, um einen Bekannten zu begrüßen, dort, um einen Becher des edlen Kaliforniaweins in Empfang zu nehmen.

Don Sanchez und alle, die zu ihm und seinem Hausstande gehörten, waren ruhig auf den für sie notdürftig hergestellten Bänken sitzen geblieben, und die Gruppen, die sie bildeten, waren zu sehr, jede in der ihren Neigungen entsprechenden Unterhaltung vertieft, als daß sie dem Beispiel so vieler anderer hätten folgen mögen. Erst als sich in einiger Entfernung von ihnen ein wilder, von manchen unzarten Bezeichnungen und Flüchen begleiteter Lärm erhob, blickten sie auf, um den Grund des geräuschvollen Auftritts kennen zu lernen.

»Was will der verdammte Chinese hier? Werft ihn den Abhang hinunter! Caramba! hängt ihn an seinem Zopf auf! Laßt ihn mit dem Stier kämpfen!« so schallte es wild durcheinander, und die zeitweise gehobenen und schnell niedersinkenden Fäuste ließen erraten, daß ein Mitglied der in Kalifornien so verachteten Nation dort unter schallendem Hohngelächter von einer Gesellschaft brutaler Burschen mißhandelt wurde.

Der Chinese selbst war nicht sichtbar, dagegen erschallte hin und wieder ein schwacher Hilferuf, den das arme Geschöpf in seiner Todesangst ausstieß, aber von seinen Quälern immer mit Hohnlachen und Witzworten übertäubt wurde.

Wie unter den Zuschauern die niedrigste und brutalste Menschenklasse reich vertreten war, so befanden sich doch auch viele Leute dort, die, von besseren Gefühlen beseelt, ihre Entrüstung über den Unfug an den Tag legten und sogar aufsprangen, um ihm Einhalt zu tun.

Der alte Ranchero und außer ihm Don Pico, wie auch Robert und Sidney hatten sich denen angeschlossen, die anfangs mit ernsten Worten, dann aber unter Drohungen das Freilassen des Chinesen forderten, und es gewann ganz den Anschein, als wenn unter solchen verschiedenartigen Elementen ein feindlicher Zusammenstoß kaum noch zu vermeiden sei, als der schwarze Juan plötzlich des Chinesen ansichtig wurde, wie dieser ihm mit vielsagender Gebärde die Hände entgegenreckte.

In ihm denselben Boten erkennen, der ihm einst die Nachrichten für seine Herrin übergab, und über Felsblöcke und Bänke zu ihm hinspringen, war für den gewandten Arriero das Werk eines Augenblicks; gleich darauf legte er seine Hand auf des armen Burschen Schulter, indem er sich zugleich an seine Peiniger wendete.

»Laßt ihn gehen«, sagte er ernst und mit Nachdruck, »er ist ein Bote, der an Don Sanchez abgesendet wurde; Caramba! Ein Überbringer wichtiger Nachrichten sollte überall unangetastet bleiben.«

Mehrere der wilden Burschen, namentlich die auch gegen die mexikanische Nation eingenommenen Amerikaner, schienen Lust zu haben, nunmehr ihren Übermut an dem Arriero auszulassen, um so mehr, weil sie in ihm einen Halbindianer zu erkennen glaubten. Der Name des Rancheros aber, und der Umstand, daß dieser, so wie alle Bessergesinnten sich auf seiten Juans und des Chinesen stellten, veranlaßten die kecken Burschen, von ihren Drohungen abzustehen und den Chinesen freizugeben.

Kaum befand sich der Sohn des himmlischen Reiches, der mit Mühe nicht nur seine runde Mütze, sondern auch seinen langen Zopf aus den Händen der Raufbolde gerettet hatte, im Besitz der Freiheit, so ergriff er Juans Hand, und dieselbe drückend, deutete er auf seine Brusttasche, während er zugleich mehrfach den Namen »Inez« aussprach, und nach der Stelle hinüberwies, wo der Ranchero saß.

Die Absicht des Chinesen konnte nicht leicht mißverstanden werden; Juan glaubte wenigstens aus seinem Benehmen den dringenden Wunsch herauszulesen, wie damals, dem jungen Mädchen eine Botschaft von größter Wichtigkeit anzuvertrauen, und nicht ohne Mühe gelang es ihm, den unter seinem Schutz Stehenden bis zu den beiden Sennoritas durchzudrängen.

Des Chinesen Erscheinen rief eine ernste Bewegung unter der Gesellschaft des Rancheros, Don Pico nicht ausgenommen, hervor.

»Es ist derselbe, der mir einst die Briefe und das Brettchen für Euch übergab, edle Sennorita«, führte der schwarze Juan den Fremdling bei Inez ein; denn er glaubte, daß die Erwähnung geleisteter Dienste die beste Empfehlung für ihn sei.

Er hatte kaum ausgesprochen, als alle dem armen zerstoßenen Burschen ihre warme Teilnahme zu erkennen gaben, und Inez ihm mit ihrem anmutigsten Lächeln die Hand reichte.

Die Freundlichkeit, mit der man ihm in dem abgeschlossenen Kreise begegnete, schien auf den Chinesen keinen Eindruck zu machen. Anstatt durch Zeichen oder Gebärden zu antworten, behielt er den einfältigen Gesichtsausdruck unverändert bei, kauerte sich indessen nieder, und nachdem er eine Weile in seiner umfangreichen Tasche gewühlt, zog er ein kleines Brettchen hervor, das er Inez darreichte.

»Ich nicht sprechen Englisch, nicht schreiben«, sagte er, mit dem Finger auf die Seite deutend, auf der wieder einige aus Zeitungen ausgeschnittene Worte aufgeklebt waren.

Doch bei Inez bedurfte es dieser Hinweisung nicht mehr; sie wußte ja aus Erfahrung, was der Chinese bezweckte. Ehe sich aber ihre Augen auf den eigentümlichen Brief senkten, flog ein ängstlicher Blick über die ihr nahestehenden Mitglieder der Gesellschaft; und erst nachdem sie sich überzeugt hatte, daß niemand fehle, traf sie Anstalt, das Rätsel in ihren Händen zu entziffern.

Robert, Maria und Sidney hatten sich zu ihr hingeneigt; jeder mit der Absicht, die geheimnisvolle Nachricht deuten zu helfen; denn es war jetzt ja keinem mehr fremd, daß einer ähnlichen Veranlassung das schleunige Absenden Juans zuzuschreiben war.

»Eile«, las Inez, gerade laut genug, um von ihren Freunden verstanden zu werden.

»Eile«, las sie weiter, »wichtig – Eile – Rancho – rauben – Sennoritas.« –

»Wer vermag es zu deuten?« fragte sie dann, alle nach der Reihe überrascht anblickend. »Wir sollen eiligst auf die Rancho zurückkehren, man will die Sennoritas, also Maria und mich, berauben«, fügte sie sinnend hinzu; »doch was besitzen wir, das geraubt werden könnte?« fragte sie gleich darauf, und ein schalkhaftes Lachen stahl sich über ihr liebliches Antlitz; »was uns am liebsten ist, haben wir ja mitgenommen.«

»Aber Don Sanchez, er besitzt manches, was die Raublust der Desperados locken könnte«, versetzte Robert nachdenkend, denn er nahm die Sache noch ernster auf, als seine anmutige Gefährtin. »Zeigt her, es steht noch mehr auf dem Brettchen«, fuhr er dringender fort, »vielleicht geben die folgenden Worte Aufschluß.«

Inez reichte ihm das Verlangte dar, und nachdem er die ersten Worte noch einmal wiederholt hatte, las er weiter: »Rauben – Sennoritas – weit – fort – Blut – Eile – Eile – Chinese – rächen – Räuber –«

»Das ist alles, und weiter steht nichts mehr da«, sagte Robert, das Brettchen zurückgebend. »Es droht irgendeine Gefahr«, fügte er hinzu, den Chinesen scharf ansehend. »Wir dürfen ihm nicht mißtrauen, schon einmal hat er bewiesen, daß er wenigstens kein Mißtrauen verdient.«

Der Chinese nickte zustimmend, ein Zeichen, daß er Roberts Ansichten verstanden habe und denselben beipflichte.

»Also wir sollen eilen, heimzukommen«, fragte er, und gespannt beobachteten alle den geheimnisvollen Warner, um zu sehen, welche Antwort er erteilen würde.

Der Chinese nickte dreimal hintereinander heftig, und fügte dann in englischer Sprache hinzu: »Ich nicht Englisch, nicht Spanisch.«

»Man will die Sennoritas berauben?« fuhr Robert fort.

Der Chinese, der offenbar die Begriffe von »Rauben« und »Berauben« nicht voneinander zu trennen vermochte, nickte zweimal, und wiederholte dann schnell mehrere Male hintereinander: »Keine Zeit, keine Zeit.«

»Also es ist Gefahr im Verzuge?« fragte Robert weiter.

»Viel Gefahr, viel Gefahr, Straße, Nacht, Räuber. Viel Gefahr, viel Gefahr!« entgegnete der Chinese, bei jedem Wort nachdrücklich mit dem Kopfe nickend.

»Wird die Gefahr durch unsere Anwesenheit auf der Rancho beseitigt?« fuhr Robert fort.

Der Chinese nickte »ja«, fügte aber in seiner kaum verständlichen Weise hinzu: »Gefahr, Nacht, Straße; keine Gefahr, Mitternacht, Rancho.«

»Wir müssen fort«, sagte Inez mit Entschiedenheit, indem sie sich erhob, »wir dürfen das Geschick nicht herausfordern. Bedenkt, was erfolgt wäre, wenn wir ihm damals nicht getraut hätten, und dann,« fuhr sie fort, und ein freundlicher Blick streifte Roberts Gestalt, »wir verlieren hier ja nicht viel, nur das Schauspiel des martervollen Endes zweier armer Geschöpfe. Wer kann wissen, was man gegen das Eigentum meines Vaters beabsichtigt? Es ist zu bekannt, daß niemand auf der Rancho zurückgeblieben ist.«

»El Muerte ist dort und einige Knechte«, versetzte Sidney schnell.

»El Muerte ist gewohnt, seine eigenen Wege zu wandeln, und wo die Aufsicht fehlt, da sind auch die Knechte nicht übermäßig wachsam«, entgegnete Inez.

»O, ich bin vollständig bereit, die Heimreise sogleich anzutreten«, erwiderte Sidney lachend; »ich wollte nur andeuten, daß, wenn wir jetzt aufbrechen, wir spätestens gegen elf Uhr dort sein können, und daß bis dahin wohl kaum etwas zu befürchten ist. Hält El Muerte sich zu vornehm, die Rancho so lange zu bewachen, so ist Fernando doch wohl Mannes genug, die Knechte nicht davongehen zu lassen.«

»Fernando!« sagte Robert mit weichem Ausdruck, »Fernando, der arme Knabe, er sollte imstande sein, den Knechten ein hartes Wort zu gebieten? Nein, nein; zögern wir nicht, Don Sanchez alles mitzuteilen und seine Ansichten darüber einzuholen.« So sprechend, bot er Inez seinen Arm, um ihr das Gehen auf dem unebenen felsigen Boden zu erleichtern, und an ihn schlossen sich sogleich die übrigen und sogar auch der Chinese an.

Es waren nur drei oder vier Schritte bis zu der Stelle, wo Don Sanchez in lebhafter Unterhaltung mit seinem alten Freunde saß.

Er beschrieb eben ein Stiergefecht, dem er in seinen jüngeren Jahren in Mexiko beigewohnt hatte, und war dabei so in Eifer geraten, daß er auch jetzt noch nicht die jungen Leute zu bemerken schien, die sich dicht vor ihm aufgestellt hatten und sich scheuten, ihn zu unterbrechen.

Endlich unterbrach Inez doch den Redefluß des Vaters, indem sie auf den Chinesen weisend, sagte: »Du siehst hier denselben braven Mann, der mir vor einigen Wochen die Nachricht brachte –«

»Was, der Schreiber, oder Zuschneider oder Kleber jenes merkwürdigen Briefes?« rief Don Sanchez emporspringend aus.

»Derselbe«, entgegnete Inez, »und was noch mehr ist, er hat soeben einen ähnlichen Brief und eine ähnliche geheimnisvolle Warnung gebracht.«

»Beim heiligen Jago«, versetzte der Ranchero, dem Chinesen die Hand reichend, »hast mir einen größern Dienst geleistet, als du ahnest! Caramba! ich will es dir lohnen und sollte es mich mein letztes Pferd aus dem Stalle kosten! Und eine neue Warnung sagst du, mein Kind?« wendete er sich wieder zu seiner Tochter.

»Hier ist sie«, antwortete Inez, ihrem Vater das Brettchen reichend.

»Schwer zu lesen, bei allen Heiligen des sonnigen Spaniens,« fuhr er mit wachsender Lebhaftigkeit fort, »Ihr werdet es aber wohl mit Hilfe des Verfassers schon entziffert haben. Seine Warnung muß beachtet, seine Ratschläge müssen genau befolgt werden, wenn auch nur aus Dankbarkeit, und sollten wir in dieser Minute noch das allerschönste aller irdischen Schauspiele verlassen.«

»Ich fürchte, es wird uns nichts anderes übrigbleiben«, erwiderte Inez schnell, und der Chinese nickte und wiederholte das Wort: »Eile« so oft, daß Don Sanchez an der Wahrheit der Behauptung nicht zweifeln durfte.

»Also fort von hier, gerade zu der schönsten Zeit und ohne die Entscheidung der Wetten abgewartet zu haben?« fragte er ernster.

»Fort auf der Stelle«, versetzte Robert, denn er wußte, daß der Ranchero auf sein ruhiges Urteil am meisten gab. »Hier steht es, und dort ist der Bote, der alles bestätigen wird«, fügte er hinzu, als er in den Mienen des Rancheros einen Schimmer von Unentschlossenheit zu erkennen glaubte; »nach allem zu schließen, ist Euer Eigentum bedroht.«

»Spart Eure Auseinandersetzungen, bis wir unterwegs sind«, unterbrach ihn Don Sanchez fast mit Heftigkeit; »erweist sich die Warnung als verfrüht oder aus der Luft gegriffen, so ist es um so besser.«

Bei diesen Worten faßte er Don Pico, der sogleich erklärt hatte, ihn begleiten zu wollen, unter den Arm und kletterte mit ihm zwischen der nach ihren Plätzen wogenden Menge hin nach dem südlichen Fuße des Abhanges hinunter, auf welchem Wege ihm die Seinigen samt dem Chinesen folgten.

In dem allgemeinen Getümmel, das der zweiten Abteilung des Stiergefechts voranging, fiel die Entfernung einer Anzahl Menschen nicht sonderlich auf, und erst als sie außerhalb des Tales angelangt waren, wo ihnen noch manche Bekannte begegneten, wurden sie hin und wieder gefragt, was sie so schnell von ihren Plätzen fortgetrieben habe.

Sie wichen mit ihren Antworten behutsam aus, indem der Chinese schon bei der ersten Frage, Schweigen gebietend, einen Finger auf seinen Mund gelegt hatte. Als Don Sanchez ihn dann später um Aufklärung seines geheimnisvollen Wesens angehen wollte, und in ihm zugleich das Mittel entdeckt zu haben meinte, auf die Fährte der Desperados zu gelangen, da war er spurlos verschwunden.

Der Chinese, durch Rache für die ihm zuteil gewordene unwürdige Behandlung von seiten Finneys und des Harlekins, zum Ausspionieren ihrer Absichten und zum Verrat an ihnen getrieben, glaubte seine Aufgabe erfüllt zu haben, als er die von ihm gewarnte Gesellschaft auf dem Heimwege sah. Eine unverkennbare Befriedigung ruhte daher auf seiner sonst so ausdruckslosen Physiognomie und in seinen geschlitzten stechenden Augen, als er, nachdem er sich aus Sanchez' Nähe gestohlen, mit kurzen Schritten davontrippelte, um seinen, in einer nahen Schlucht verborgenen Ponny aufzusuchen.

Don Sanchez und seine Gesellschaft aber zogen eilig durch die dürre, nach Regen schmachtende Landschaft.

Statt der herbstlichen Kühle, die sich gewöhnlich schon in den Nachmittagsstunden auf empfindliche Weise bemerklich machte, war eine milde, lauwarme Temperatur eingetreten; die Atmosphäre war still und schwer, und aus südöstlicher Richtung wurden zuweilen abgebrochene Windstöße fühlbar, die feucht und Regen verkündend über das breite, gelblichgraue Tal von San Bernardino hinhauchten.

Hastigen Schrittes verfolgten die Reisenden ihren Weg. Die Zeichen, die auf eine seit Monaten ersehnte Änderung des Wetters deuteten, wurden nur von Don Sanchez und seinem Freunde Pico beachtet, die sich gegenseitig abwechselnd versicherten, daß die Not der Herden nunmehr ihr Ende erreicht habe, daß Vollmond sei, daß vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden ein anhaltender Regen sich über das durstige Land ergießen, und die schnell aufsprießenden Gräser und Kräuter das Vieh gegen die Not des Winters schützen würden.

 


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