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38. Kapitel.

Der Herzog schien schlecht geschlafen zu haben; er sah übernächtigt aus und war bei schlechter Laune.

»Kerl, wo steckst du denn?« fragte er. »Ich bin nicht gewohnt, so lange warten zu müssen.« – »Ich habe bis zu diesem Augenblick geschlafen«, gestand er gleichmütig. – »Geschlafen? Während ich seit Stunden auf dich warte!« – »Ich kam erst gegen Morgen nach Hause.« – »Schwärmer! Wann wirst du einmal aufhören, liederlich zu sein, und anfangen, ein ordentlicher Kerl zu werden!« – »Dann, wenn ich aufhöre, ein treuer, und anfange, ein gleichgültiger Diener zu sein.« – »Ah, du willst dich doch nicht etwa mit deiner Treue entschuldigen?« – »Nichts anderes.« – »Das klingt lustig, aber ich habe nur leider nicht die Laune, mit dir herumzuscherzen.« – »Ich spreche im Ernst, Exzellenz. Der Auftrag, den Sie mir erteilten, hat mich so lange wacherhalten.« –

»Lügner! Wo warst du so lange, Mensch?«

Cortejo kannte seinen Herrn und wußte, wie er sich zu verhalten habe. Darum nahm er eine ironisch-reumütige Miene an und sagte in der demütigsten Haltung, die ihm möglich war:

»Nun gut, so will ich zugeben, daß ich die ganze Nacht geschwärmt und sogar meine ganze Kasse vertrunken habe. Ich bitte um Verzeihung und verspreche, daß es nicht wieder geschehen soll.«

Dann trat er bis zur Tür zurück, als erwarte er, daß er nun gehen dürfe. Aber der Herzog brummte:

»Schlingel, so entkommst du mir nicht! Hast du über die junge Dame etwas erfahren oder nicht?« – »Ja. Ich kam ja aus diesem Grund so spät nach Hause. Ich habe trinken müssen wie ein Kellerloch und sogar meine Kasse gesprengt, um diese Kerle gesprächig zu machen.« – »Gauner!« lachte der Herzog. Ich bin der festen Überzeugung, daß du keinen halben Duro für die Kerle ausgegeben hast, von denen du sprichst. Wieviel Geld hattest du ungefähr bei dir?« – »Wenigstens sechzig Duros, die sie mir im Wein und Spiel abgenommen haben.« – »Betrüger! Ich weiß ja am besten, daß du ein fertiger Spieler bist, der sich niemals auch nur das kleinste Silberstück abnehmen läßt.« – »Das ging hier nicht. Bedenken Sie, Exzellenz, daß ich diese Leute bei Laune halten mußte.« – »Nun meinetwegen, du sollst die Summe haben. Wer waren denn die beiden Kerle?« – »Zwei Kontoristen des alten Salmonno.« – »Wie bist du an sie gekommen?« – »Ja, das war eben die Schwierigkeit! Sie hatten am Tag nicht frei und konnten also erst des Abends ausgehen. Da habe ich denn zuerst wie ein Nachtwächter vor den Türen warten müssen und folgte ihnen dann mehrere Stunden lang durch alle Straßen und Kneipen, bis es mir endlich gelang, einen Platz an ihrem Tisch zu finden. Wir begannen ein Spielchen, und das übrige können Exzellenz sich denken.« – »Hm, ich will einmal glauben, daß es so gewesen ist, obgleich es mich wundern sollte, wenn du so völlig auf dein eigenes Vergnügen Verzicht geleistet hättest. Also du hast etwas erfahren?« – »Natürlich!« – »Das will ich auch hoffen. Ich habe bei Gott diese ganze Nacht kein Auge zugetan; ich mußte immer an diese Gouvernante denken. Nun also, wer ist sie?« – »Es ist eine Señorita Wilhelmi.« – »Hat sie es bei diesem Filz, dem Salmonno, gut?« – »Ich glaube schwerlich.« – »Hm, wenn man sie aus dem Hause bringen könnte. Es ist das aber wohl zu schwierig.« – Ich glaube nicht.« – »Ah! Hast du bereits darüber nachgedacht?« – »Ein wenig.« – »Nun?« – »Das Kind, das sie zu erziehen hatte, ist gestorben...« – »Alle Teufel, das wäre gut!« – »Ja. Der Bankier ist nicht derjenige, der eine Gouvernante bezahlt für die er keine Beschäftigung hat. Er wird ihr jedenfalls in nächster Zeit kündigen.« – »Schlaukopf! Du meinst, daß sie dann vielleicht in eine bedrängte Lage geraten wird, die sie gefügig macht?« – »Nein, darauf rechne ich nicht. Diese Deutschen sind da von einer Ehrenhaftigkeit die ganz und gar unglaublich ist; sie haben Fischblut in den Adern. Nein, ich dachte an etwas anderes!« – »Nun? Heraus damit!« – »Werden Sie mir verzeihen, wenn mein Plan etwas zudringlich erscheinen sollte?« – »Schweige nicht, sondern rede!« – »Nun, ich dachte daran, daß Eure Exzellenz ja selbst eine Tochter besitzen, für die es sehr...«

Der Herzog sprang wie elektrisiert vom Stuhl auf und unterbrach ihn:

»Donnerwetter, das ist ja wahr! Ich kann sie als Gouvernante engagieren. Der Plan ist gut, ist prachtvoll. Aber wie setzten wir ihn ins Werk?« – »Auffällig darf man nicht werden. Man könnte eine Annonce in das Blatt rücken...« – »Ob sie sich da melden würde?« – »Man muß nur sagen, daß man einer Deutschen den Vorzug geben würde.« – »Ja, das könnte gehen. Aber wenn sie diese Annonce gar nicht liest, gar nicht zu sehen bekommt?« – »So ist es immer noch Zeit, an ein anderes Mittel zu denken. Man muß es abwarten.« – »Gut, bleiben wir also bei der Annonce. Willst du sie abfassen?« – »Wie Sie befehlen.« – »Tue es, sei aber vorsichtig. Es muß jede Auffälligkeit vermieden werden. Damit sie mich aber nicht erkennt, werde ich es dir überlassen, das Engagement mit ihr zu besprechen und abzuschließen. Ist sie einmal eingetreten, so soll es ihr nicht leicht werden, gleich wieder fortzugehen. Also besorge die Annonce, und hier hast du eine Anweisung an den Kassierer. Du sollst nicht um deine sechzig Duros kommen.«

Der Herzog notierte eine Summe auf einen Zettel, den er Cortejo gab, und dieser entfernte sich. Er freute sich über die ganze Angelegenheit königlich, denn je mehr er zum Vertrauten der Schwächen seines Gebieters gemacht wurde, desto mehr Herrschaft gewann er über denselben. Er befand sich den ganzen Tag in einer sehr gehobenen Stimmung, die noch dadurch erhöht wurde, daß der Herzog anstatt sechzig Duros eine bedeutendere Summe notiert hatte.

Am Nachmittag trug er in eigener Person die Annonce fort und benutzte diesen Ausgang, um Clarissa mit zu besuchen. Sie empfing ihn schmollend.

»Du kamst ja nicht!« klagte sie. – »Ich konnte nicht, Herz.« – »Oh, für eine Viertelstunde hättest du gekonnt.« – »Nicht für eine Minute.« – »Ich habe alle diese Zeit auf dich gewartet und konnte also das Zimmer nicht verlassen. So bin ich um den ersten Tag des Karnevals gekommen. Aber ich hoffe, daß du heute mit mir ausgehen wirst.« – »Das wird leider auch nicht gehen.« – »Nicht?« fragte sie enttäuscht. »Ah, ich sehe nun, woran ich bin. Du liebst mich nicht mehr. Ich habe, um dir zu folgen, mein Asyl und meine Verwandten verlassen. Und nun ich auf diese Weise die Brücke hinter mir abgebrochen habe, willst du nichts mehr von mir wissen. Geh fort! Du hast mich getäuscht, du hast mich betrogen.«

Cortejo war in Beziehung auf dieses Mädchen ein psychologisches Rätsel. Er liebte sie wirklich, er gedachte, sie zu seinem Weib zu machen, aber sein Herz hatte doch noch Platz genug für andere, die ihn für den Augenblick fesselten. Er war gewissenlos genug, ein Mädchen zu betrügen, das ihm alles geopfert hatte, besaß aber doch so viel Zuneigung zu ihr, sie nicht ganz fallenzulassen.

Er trat jetzt zu ihr an das Fenster, wohin sie sich schmollend zurückgezogen hatte, und sagte:

»Sei nicht unverständig, Clarissa.« – »Bin ich unverständig, wenn es mich betrübt, daß du gegen mich mit deiner Liebe geizt?« – »Du irrst! Ich geize nicht, aber ich habe noch anderes zu tun als nur an die Tändeleien zu denken. Du kennst die Aufgabe, die wir uns gestellt haben: reich zu werden, um dich in anständiger Weise deinen Verwandten zurückzubringen, die gar nicht wissen, wo du bist. Dieses Ziel verfolge ich, und gestern habe ich einen großen Schritt dahin zurückgelegt, heute und morgen werde ich den zweiten und dritten tun, und wenn ich mich nicht ganz und gar irre, so wird keine sehr lange Zeit vergehen, bis wir da anlangen, wohin wir wollen. Also ist es unverständig von dir, zu schmollen.« – »Darf man denn etwas über diese berühmten Schritte erfahren?« – »Ja, ich will aufrichtig sein mit dir, vorausgesetzt, daß du das, was ich tue, nicht falsch deutest.« – »Du kennst mich, als prüde wirst du mich nicht bezeichnen wollen.« – »Nein. Also höre. Du weißt, daß der Herzog von Olsunna einer der mächtigsten des Reiches ist?« – »Sein Vater war sogar der mächtigste, er regierte die Königin.« – »Und siehst also ein, daß mir sein Wohlwollen, seine Protektion von außerordentlichem Nutzen sein kann?« – »Das ist sehr leicht einzusehen.« – »Daher gebe ich mir alle Mühe, sein Vertrauen zu erwerben.« – »Und du bist ein schlauer Bursche. Es ist dir bereits gelungen.« – »Oh, besser und mehr, als du denkst. Das Geheimnis eines Menschen, einen anderen zu beherrschen, besteht darin, daß man seine Fehler und Schwächen ergründet, ihnen schmeichelt, ihn darin bestärkt und sich zum Werkzeug für die Befriedigung dieser Schwächen macht. Nun hat sich bisher alles, was er mit meinem Wissen unternommen hat, auf dem Gebiet des gesetzlich Erlaubten bewegt, will ich ihn aber in meine Gewalt bekommen, so muß er etwas tun, was unerlaubt, was ein Vergehen oder ein Verbrechen ist, erst dann habe ich ihn vollständig fest.« – »Gasparino, ich glaube, du bist ein Teufel!« lächelte sie, stolz auf den Geliebten. – »Pah, wir sind alle mehr oder weniger Teufel. Es handelt sich nur darum, unsere Teufeleien so zu begehen, daß sie uns Nutzen bringen. Ich glaube, du bist derselben Ansicht. Oder nicht?« – »Ganz und gar. Aber glaubst du, den Herzog zu einer solchen Tat bringen zu können?« – »Ja, ich bin heute überzeugt davon, er befindet sich bereits auf dem besten Weg.« – »Du machst mich neugierig. Erzähle!«

Cortejo erzählte Clarissa nunmehr das gestrige Vorkommnis mit der Gouvernante und schloß daran die Worte:

»Wie ich diese Deutsche beurteile, so wird sie seine Neigung nicht erwidern, er wird um sie kämpfen müssen, er wird zu Mitteln greifen, die unerlaubt sind. Und hat er einmal diese Bahn betreten, so ist er mir ohne Widerrede verfallen, ich werde ihn meistern.« – »Du bist wirklich ein ganz gefährlicher und gewissenloser Intrigant, und ich beginne, stolz auf dich zu werden. Aber was hat die Liebschaft des Herzogs damit zu tun, daß du heute nicht mit mir spazierengehen kannst?« – »Ich habe die Bekanntschaft mit Salmonnos Leuten fortzusetzen, um alles zu erfahren, was im Haus vorgeht. Wir haben uns für heute bestellt, und ich muß also mein Wort halten.« – »Hm, das sehe ich ein, aber unangenehm ist es doch, so einsam zu sein.« – »Es wird ja wohl bald die Zeit kommen, wo du dafür entschädigt wirst.«

Cortejo bemühte sich, Clarissas Unmut zu zerstreuen, und kehrte dann nach seiner Wohnung im Palais des Herzogs zurück, denn die Zeit der Dämmerung war nahe herangerückt, und als es dunkel geworden war, sorgte er dafür, daß die Dienerschaft von dem Flügel, den er bewohnte, für einige Zeit ferngehalten wurde, und begab sich in den Garten.

Hier lauerte er hinter dem betreffenden Pförtchen, bis ein leises Klopfen erscholl. Nun öffnete er, ließ die Zigeunerin eintreten und schloß dann wieder zu, um die Ahnungslose, deren Glück noch heute verlorengehen sollte, mit inniger Umarmung zu begrüßen. Als das Pförtchen sich wieder öffnete und die Betrogene dem Lager zuschlich, wo ihre in Lumpen gehüllten, ahnungslosen Verwandten um das Feuer hockten, war die Morgendämmerung bereits nahe.


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