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27. Kapitel.

Wenn man auf der Karte von Mainz aus eine gerade Linie bis nach Kreuznach zieht, so berührt diese Linie den Namen eines Dörfchens, das der Sitz einer Oberförsterei ist. Dieser letztere bildet ein hohes, geräumiges, schloßähnliches Gebäude, das vor Jahrhunderten für eine zahlreichere Bewohnerschaft gebaut worden war, als diejenige, die es zu der Zeit belebte, in der die interessanten Ereignisse spielten, von denen unsere Geschichte erzählt.

Dem hier wohnenden alten Oberförster Rodenstein war es in dem alten Schloß mit der Zeit zu einsam geworden, und so bat er eine entfernte Verwandte, mit ihrer Tochter zu ihm zu ziehen. Diese Verwandte, eine Frau Sternau, war aber keine andere als die Mutter des berühmten Operateurs Doktor Karl Sternau. Sie war seit langer Zeit Witfrau und erfüllte daher nicht ungern den Wunsch ihres Verwandten, der gewöhnlich »Herr Hauptmann« genannt wurde, weil er diesen Grad bei der Landwehr bekleidet hatte.

Auf einer Art von kleinem Vorwerk, das eigentlich eher ein Vorhof des Schlosses genannt werden konnte, wohnte die kleine Familie des Steuermanns Helmers, dessen Verhältnisse wir noch näher kennenlernen werden. Diese Familie bestand außer dem viel abwesenden Vater nur aus Frau Helmers und einem fünfjährigen Sohn, dem kleinen Kurt, der ein ganz außerordentlicher Tausendsassa, aber auch zugleich der erklärte Liebling sämtlicher Schloßbewohner war.

Es war an einem sehr frühen Morgen, da saß der Herr Hauptmann bereits in seinem Arbeitszimmer und rechnete Tabellen aus. Da war diejenige Arbeit, die er am wenigsten liebte, und darum lagen schwere Wetterwolken auf seiner Stirn, und aus seinen Augen hätte es gern aufgeblitzt, wenn er nur jemand gehabt hätte, den diese Blitze treffen konnten.

Da klopfte es an die Tür.

»Herrrrrrrein!« kommandierte der Hauptmann.

Die Tür öffnete sich, und der Forstgehilfe Ludwig trat ein. Er war die rechte Hand, das Faktotum des Oberförsters und hatte dessen Licht- und Schattenseiten aus der ersten Hand zu empfinden. Da er in der Kompanie des Herrn Hauptmanns gedient und noch von dieser Zeit her an eine vollständig militärische Disziplin gewöhnt war, blieb er mit zusammengezogen Absätzen an der Tür stehen, ohne zu grüßen.

»Nun?« knurrte der Oberförster. – »Guten Morgen, Herr Hauptmann.« – »'n Morgen! Verdammtes Zeug!« – »Was? Die Holzdiebe?« – »Holzdiebe! Dummkopf! Die Tabellen meine ich!« –

»Ja, das ist verdammtes Zeug, noch viel schlimmer als die Holzdiebe. Ich bin froh, daß ich nicht Oberförster bin, da lassen sie mich mit den Tabellen in Ruhe!« – »Ha! Du und Oberförster!« knurrte der Hauptmann grimmig. »Würdest auch außer den Tabellen lauter Dummheiten machen.« – »Dummheiten? Ich? Straf mich Gott, Herr Hauptmann, das fällt mir gar nicht ein!« – »Was? Nicht? War das gestern keine Dummheit drüben im Teich?« – »Ach, daß ich Kurt schwimmen lehren wollte?« – »Ja. Ein fünfjähriger Bube und schwimmen! Wenn er nun ersäuft!« – »Aber er wollte es ja lernen.« – »Und du hast es ihm gezeigt?« – »Ja.« – »Kannst du es denn?« – »Nein.« – »Kerl! Du willst Schwimmstunden geben und kannst selbst nicht schwimmen? Das ist doch, hol mich der Teufel, die allergrößte Dummheit, die ich mir nur denken kann. Ich sage dir, wenn einer von euch beiden ersäuft, und ich höre, daß es der Junge ist, so kannst du deine Seele Gott befehlen; wenn du's bist, so habe ich nichts dawider! Was bringst du?« – »Es ist ein Herr unten, der mit dem Herrn Hauptmann sprechen will.« – »Wer ist es?« – »Er will sich nur dem Herrn Hauptmann selbst nennen.« – »Dummheit! Hat er einen guten Rock an?« – »Ja. Und eine Brille auf.« – »Das zählt nichts bei mir. Heutzutage trägt jeder Windbeutel eine! Riecht er nach Schnaps?« – »Hm! Ich habe ihn nicht angerochen.« – »Was? Nicht? Ein anderes Mal riechst du ihn an! Verstanden? Schicke ihn herauf!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Ludwig entfernte sich, froh, seine Lektion überstanden zu haben, und bald trat der Fremde, ein langer, dürrer Mensch, der eine große, blauglasige Brille auf der Hakennase trug, ein, als ob er hier zu Hause sei, und fragte in familiärem Ton:

»Sie sind der Oberförster Rodenstein?«

Jetzt endlich hatte der Hauptmann eine triftige Veranlassung, seine Blitze an den Mann zu bringen. Er stand auf, öffnete die Tür und winkte hinaus:

»Treten Sie doch einmal zurück!« – »Warum?« – »Warum? Nun, sehr einfach, weil ich es wünsche.« – »Aber ich sehe doch keinen ...« – »Hinaus!« unterbrach ihn der Hauptmann, und zwar mit einer Stimme, die dem Fremden durch alle Glieder fuhr. – »Nun, wenn Sie es wünschen, so kann ich es ja wohl tun.«

Mit diesen Worten zog er sich bis vor den Eingang zurück.

»So ist's recht«, sagte der Oberförster. »Nun, bitte, treten Sie nochmals ein und grüßen Sie, wie es jeder anständige Mann zu machen hat, selbst wenn er zu einem Tagelöhner kommt.«

Der Mann sperrte vor Erstaunen den Mund auf, nahm die Brille ab, putzte sie, setzte sie wieder auf und betrachtete ganz konsterniert den Hauptmann.

»Aber, Herr Oberförster, wie kommen Sie dazu, mir hier Lehren geben zu wollen, die...« – »Papperlapap!« unterbrach ihn der Hauptmann. »Wie kommen Sie dazu, bei mir eintreten zu wollen, ohne mich zu grüßen!« – »Weil ich das Recht dazu habe!« – »Das Recht? Donnerwetter! Das Recht, bei mir einzutreten, ohne mich zu grüßen, habe nur ich selber!«

Da warf sich der Fremde in Positur und sagte mit wichtiger Miene:

»Und ich habe das Recht, einzutreten, wo es mir beliebt.« – »Ah, wer sind Sie denn?« – »Ich bin großherzoglich-hessischer Polizeikommissar. Verstanden, Herr Oberförster?« – »So? Was ist das weiter! Und selbst wenn sie großherzoglich-hessischer Polizei-Nudelmacher wären, müßten Sie dennoch grüßen. Verstanden?«

Damit schob der Hauptmann den Mann noch weiter hinaus in den Gang und zog dann die Tür zu. Es dauerte kaum ein Minute, so klopfte es.

»Herein!« rief der Hauptmann.

Der Fremde öffnete und trat ein. Der höhnische Zug um seinen Mund bewies deutlich, daß die jetzige Demütigung nur eine scheinbare und vorläufige sei.

»Herr Oberförster«, sagte er, »ich habe meine guten Gründe, Ihnen nachzugeben. Ich wünsche Ihnen also einen guten Morgen.« – »Guten Morgen! Was weiter?« – »Darf ich Sie um eine amtliche Unterredung bitten?« – »Ich habe nicht viel Zeit übrig, machen wir es also kurz. Setzen Sie sich. Was wollen Sie?« – »Es wohnt eine gewisse Frau Sternau in Ihrem Haus?« – »Ja.« – »Mit ihrer Tochter?« – »Ja.« – »In welcher Eigenschaft?« – »Donnerwetter! In der Eigenschaft als Menschen wohnen sie hier bei mir. Punktum!« – »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich befugt bin, mir höfliche Antworten zu erbitten.« – »Die bekommen Sie ja, Herr großherzoglich-hessischer Polizeikommissarius!« – »Sind außer dieser Tochter noch Kinder da?« – »Kinder nicht, aber ein Sohn.« – »Was ist dieser?« – »Er ist Arzt.« – »Wo?« – »Hören Sie, mein Freund, ich habe weder Zeit noch Lust, ein Verhör mit mir anstellen zu lassen, dessen Grund und Zweck ich gar nicht kenne. Was ist es mit Doktor Sternau?« – »Er wird steckbrieflich verfolgt.« – »Steck – brief – lich...!« rief der Hauptmann. »Wie kommen Sie mir vor!« – »Ich sage die Wahrheit. Man verfolgt ihn polizeilich von Spanien aus wegen Mordversuchs, Diebstahls, Entführung und Mitgliedschaft einer Räuberbande.«

Es war ein eigentümlicher Blick, den der Hauptmann auf den Kommissarius warf, als er erwiderte:

»Weiter nichts? Bloß wegen solcher Lappalien?« – »Herr Oberförster, sind dies Lappalien?« – »Na, Sie scheinen mich als doch nicht zu verstehen, ich werde Ihnen daher meine Meinung sagen. Doktor Sternau ist ein braver Kerl wie nur irgendeiner. Ich könnte viel eher glauben, daß Sie selbst ein Mörder, ein Entführer oder das Mitglied einer Räuberbande seien als er. Ihre Behauptung ist ein purer Unsinn, und mit Unsinn habe ich nichts zu schaffen. Sind Sie wirklich großherzoglich-hessischer Polizeikommissar? Haben Sie Ihre Legitimation mit? Ich kenne Sie nicht.« – »Herr, wie können Sie mir eine Legitimation abverlangen?« brauste der Mann auf. – »Weil ein jeder Schwindler auf den Gedanken geraten kann, sich für eine Polizeikommissarius auszugeben. Gehen Sie, und kommen Sie nicht eher wieder, als bis Sie sich legitimieren können.« – »Wissen Sie auch, was Sie tun?« – »Ja, das weiß ich ganz genau. Ich werde Sie nämlich hinauswerfen, wenn Sie nicht freiwillig gehen.« – »So werde ich wiederkommen, und zwar mit Unterstützung, und ich will Sie zudem anzeigen wegen Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit. Sie dürfen sich keineswegs für einen selbständigen Reichsfürsten halten!«

Da griff der Hauptmann zur Klingel, und Ludwig trat ein.

»Ludwig!« – Ja, Herr Hauptmann!« – »Dieser Kerl hier wird hinausgesteckt und wenn dies nicht rasch genug geht, so wird er hinausgeworfen und mit den Hunden über die Grenze von Rheinswalden gejagt!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!« antwortete der Jäger schmunzelnd, denn ein solcher Auftrag war sehr nach seinem Geschmack. – »Und wenn er sich noch einmal bei uns sehen läßt, ohne Legitimation zu besitzen, so arretiert ihr ihn, oder, wenn er ausreißen sollte, so schießt ihr ihm eine Ladung in die dürren Beine!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!« entgegnete Ludwig, dann kehrte er sich zu dem Fremden, zeigte mit gebieterischer Handbewegung nach der Tür und sagte in strengem Ton: »Allons, marsch, Bursche!«

Der Polizist fuhr vor diesem Ton zwar zurück, aber seine Augen leuchteten in grimmigem Trotz auf.

»Das werdet Ihr mir entgelten, Ihr zwei!« – »Faß an!« gebot der Oberförster, zornig mit dem Fuß stampfend.

Sofort packte der Jäger den Mann bei der Schulter, warf ihn in den Korridor hinaus und dann zur Treppe hinunter. Unten standen einige Jägerburschen müßig im Hof. Als sie sahen, daß es hier gute Arbeit für sie gab, griffen auch sie sofort zu, und so kam der Polizist mit der Geschwindigkeit eines Eilzugs zum Schloß hinaus. Draußen aber ballte er die Hände und schwor dem Oberförster grimmige Rache.

Im Schloßhof stand ein kleiner Knabe in der kleidsamen, grünen Tracht eines Jägers. Es war Kurt Helmers, der fünfjährige Sohn des Steuermanns Helmers.

»Ludwig«, sagte er, »warum wird dieser Mann hinausgeworfen? Was hat er getan?« – »Er hat dahier den Herrn Hauptmann beleidigt«, lautete die Antwort.

Da machte der Kleine ein höchst zorniges Gesicht und rief:

»Da soll ihm doch das Wetter leuchten! Ich werde sofort meinen Hinterlader holen und ihm eins auf den Pelz brennen, daß er genug hat! Wer den Herrn Hauptmann beleidigt, den schieße ich tot!«

Der Jäger lächelte sehr zufrieden, er sah es gern, wenn sein kleiner Liebling Mut zeigte.

»Halt!« sagte er jedoch, als Kurt wirklich Miene machte, das Gewehr zu holen. »Auf Menschen darf man nicht so mir nichts dir nichts schießen. Aber ich weiß ein Viehzeug, daß du schießen kannst.« – »Ein Viehzeug? Was für eins?« – »Einen Fuchs!« – »Einen Fuchs?« rief der Kleine, indem seine Augen funkelten. »Wo steckt denn der Kerl?« – »Hinten im Eichenbühl. Ich habe ihn gestern aufgefunden und werde nachher mit den Dächseln aufbrechen, um ihn abzutun.« – »Darf ich mit?« – »Versteht sich, wenn deine Mama es erlaubt.« – »Ich frage sogleich!«

Der Kleine rannte in höchster Eile dem Vorwerk zu. Dort war seine Mutter beschäftigt, das Geflügel zu füttern. Sie war eine brünette sympathische Erscheinung, die inmitten der sie umgackernden und umflatternden Hühner und Tauben einen allerliebsten Anblick bot. Der Kleine sprang mitten unter die Vögel hinein, so daß sie rechts und links auseinanderstoben, und rief mit fröhlicher Stimme:

»Mama, Mama, ich soll ihn totschießen!« – »Wen denn, du Wildfang du?« fragte sie lächelnd. – »Den Fuchs, der uns die Hühner maust.« – »Wo ist er denn?« – »Im Eichbühl. Der Ludwig hat ihn ausgefunden und geht nachher hin. Darf ich mit?« – »Ja, weil der Ludwig dabei ist.«

Der Kleine horchte auf, zog sodann eine schmollende Miene und sagte in stolzem Ton:

»Oh, den Ludwig, den brauche ich doch eigentlich gar nicht. So einen Fuchs schieße ich schon selber!«

Darauf ging er ins Haus und kam bald wieder, ein Gewehr über die Schulter gehängt zurück. Es war ein Hinterlader mit Doppellauf, den der Oberförster eigens für den Knaben bestellt und ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Kurt war für seine fünf Jahre körperlich und geistig ungemein entwickelt und es machte dem Hauptmann große Freude, sein Geburtstagsgeschenk ganz über alle Erwartung vortrefflich angewandt zu sehen; denn der kleine Knabe war bereits ein Schütze, der sich sehen lassen konnte.

»Ich gehe, Mama«, sagte er. – »Aber doch nicht wieder in das Wasser, wie gestern«, erinnerte sie ihn. – »Warum nicht?« – »Jetzt im Winter, wo der Teich fest zugefroren ist! Man badet doch nicht unter Eis!« – »Du hast mich doch immer kalt gebadet. Und der Ludwig sagte, daß man sehr gesund und stark wird, wenn man sich auch im Winter badet. Wenn ich jetzt nicht schwimmen lerne, so kann ich es nachher nicht, wenn im Sommer die richtige Zeit des Badens kommt.« – »Aber du kannst krank werden und sterben, mein Kind. Deine Mutter wird dann sehr weinen.«

Da wurde sein hübsches, trotziges Gesichtchen schnell freundlich; er trat auf die Mutter zu, legte die Arme um sie und erwiderte:

»Nein, Mama, du sollst nicht weinen; ich werde nicht in das Wasser gehen. Verlaß dich darauf!«

Sie küßte ihn, und nun ging er stolz von dannen, als sei er ein Fürst, der mit seinem glänzenden Gefolge zur Reiherbeize ausreitet. Er kam gerade zur rechten Zeit, Ludwig mit noch einigen Forstläufern bereit zu finden. Sie führten einige Dachshunde an der Leine.

Ihr Weg ging durch den dichten Wald. Das Fragen des Knaben hatte kein Ende, und die Burschen mußten sich Mühe geben, seinen Wissenstrieb zu befriedigen. In diesem Jungen steckte eine Entwicklungsfähigkeit, die ihm, wenn keine Störung eintrat, eine nicht gewöhnliche Zukunft verhieß. Er gehörte sichtlich zu den von Gott hochbegnadeten Naturen, die bestimmt sind, einen Lebensweg zu wandeln, der sich durch außerordentliche Leistungen auszeichnet.

Es war ein milder, klarer Wintermorgen. Die Sonne meinte es gut, ihre warmen Strahlen hatten im freien Feld den Schnee hinweggeleckt, aber im tiefen Forst lag er noch immer wenigstens einen halben Schuh tief, und Kurt mußte tapfer stampfen, um mit den anderen vorwärts zu kommen. Endlich erreichten sie den Eichenbühl und gerieten bald auf die Fährte des Fuchses. Die Hunde zerrten gewaltig an ihren Leinen, mußten aber die Ungeduld zügeln, bis man den Bau umgangen und sich überzeugt hatte, daß der Fuchs ihn nicht verlassen habe. Allem Anschein nach war es ein familienloser Einsiedler, der es vorzog, sein Winterquartier für sich allein zu behalten.

Nachdem die Nebenröhren verstopft worden waren, so daß nur der Haupteingang frei blieb, wurden die Hunde losgelassen. Sie verschwanden augenblicklich unter der Erde. Nun stellten sich die Schützen auf. Kurt erhielt den Ehrenplatz seitwärts des Auslaufs, wo er sich stolz in Positur stellte.

»Schieße nur nicht etwa einen der Hunde!« warnte der Jäger Ludwig. »Das wäre ein ganz armseliger Schuß dahier.«

Er hatte nämlich die Gewohnheit, das Wort »dahier« übermäßig oft zu gebrauchen, und zwar zumeist dann, wenn es gar nicht am richtigen Ort war.

Kurt zog eine sehr wegwerfende Miene und antwortete:

»Einen solchen Hundeschuß überlasse ich Euch!«

Um sich nicht zu ermüden, duckte er sich auf den Boden nieder, steckte sich einen Gabelzweig in die Erde und legte den Lauf seines Gewehrs in die Gabel. Gleich darauf hörte man das Kläffen der Dachshunde unter der Erde, das fest am Ort blieb; sie hatten also den Fuchs gestellt. Ein zorniges Heulen bewies, daß er sich tapfer wehrte; es war ein alter Bursche, der den Hunden zu schaffen machte.

Dann erhob sich unter der Erde ein wahrer Heidenspektakel, der sich durch verschiedene Gänge zog. Sie hatten den Fuchs gezwungen, den Kessel zu verlassen.

»Aufgepaßt, Kurtchen, jetzt kommt er!« mahnte Ludwig und richtete den Lauf seiner Büchse nach dem Haupteingang.

Kurt lag noch immer am Borden. Er hörte genau, nach welcher Richtung der Lärm sich zog und das schmerzliche Geheul eines der Dachshunde, der gebissen worden war. Einen Augenblick später flog ein dunkler Körper aus dem Loch heraus, und Ludwig rief:

»Der Fuchs!«

Zugleich mit diesem Ruf krachte seine Büchse, und das Tier, zu Tode getroffen, überschlug sich. Zu gleicher Zeit aber war auch Kurt aufgesprungen und hatte den Lauf seines Gewehrs nach einer ganz anderen Gegend gerichtet; sein Schuß krachte mit demjenigen des Jägers, so daß es klang, als sei nur ein einziger gefallen.

»Ich habe ihn dahier!« rief Ludwig und sprang auf das Tier zu, das er geschossen hatte, aber bereits beim zweiten Schritt blieb er erschrocken stehen und fluchte: »Donnerwetter, was ist denn das?« – »Die Waldina!« antwortete einer der Burschen. – »Weiß Gott, ich habe die Waldina dahier erschossen! Das ist ja nicht nur ein Hunde-, sondern sogar ein reiner Sauschuß! So etwas ist mir noch gar nicht passiert dahier! Aber wie kann denn der Hund vor dem Fuchs ausfahren?« – »Weil er gebissen worden ist!« antwortete Kurt. – »Halt's Maul, Grünschnabel!« zürnte der auf sich selbst wilde Mann. – »Grünschnabel?« rief Kurt. »Oho! Was liegt denn da drüben hinter dem Rotbuchenbusch?«

Die Leute sahen nach der angedeuteten Richtung.

»Der Fuchs! Weiß Gott, der Fuchs!« rief Ludwig.

Allerdings war es der Fuchs, den die übrigen beiden Dachsel am Fell zausten.

»Na, bin ich ein Grünschnabel?« fragte der Knabe. – »Du? Willst du ihn etwa geschossen haben? Geh fort. Das ist der Franz oder der Ignaz dahier gewesen.«

Der Knabe antwortete nur dadurch, daß er den Kopf stolz in den Nacken warf und eine Patrone hervorzog, um den abgeschossenen Lauf wieder zu laden.

»Nein, ich war es nicht«, sagte Franz. »Ich habe gar nicht geschossen.« – »Ich auch nicht«, erklärte Ignaz.– »Alle Wetter, so ist es der Teufelsjunge wirklich gewesen!« rief Ludwig. »Aber Kerl, wie kommst du denn auf den Gedanken, dort hinüber zu zielen?« – »Weil ich hörte, daß der Fuchs da ausbrechen wollte, und weil ich gesagt habe, daß ich Euch den Hundeschuß überlassen würde.«

Der Jäger wurde vor Beschämung blutrot im Gesicht. Er hatte sich allerdings ganz gewaltig blamiert, abgesehen davon, daß ein guter und bewährter Jagdhund nun hin war.

»Aber der Fuchs konnte doch eigentlich gar nicht heraus«, entschuldigte er sich. »Das Loch war ja verstopft worden!« – »Aber nicht gut«, sagte Franz. »Da schau her. Das bißchen Reisig tut es nicht; der Fuchs hat ja hindurchblicken können.« – »Verdammter Fall dahier«, meinte Ludwig, indem er sich verdrießlich und beschämt hinter den Ohren kratzte. »Wie bringe ich es nun dem Herrn Hauptmann bei, daß ich die Waldina ermordet habe?« – »Sinne dir das selbst aus. Jetzt wollen wir uns vor allen Dingen den Fuchs ansehen.«

Die Männer traten hinzu und jagten die Hunde weg. Der Fuchs war ein altes Tier, ein erfahrener Schlaukopf, der jedenfalls schon öfter im Bau angegriffen worden war und ganz genau wußte, daß am Hauptloch der Tod auf ihn lauere. Er war so klug gewesen, die Verstopfung des Nebengangs mit der Schnauze fortzuschieben und dann auszubrechen. Die Kugel des Knaben war ihm quer durch den Kopf gegangen, was allerdings nicht dem sicheren Zielen, sondern nur allein dem Zufall zu verdanken war.

»Ja, es ist deine Kugel gewesen, Junge«, erklärte Ludwig. »Du bist ein Teufelskerl! Schießt dahier mit fünf Jahren einen Fuchs, während ich alter Knabe einen Hund umbringe. Na, Gott gnade mir, wenn es der Herr Hauptmann erfährt. Du aber, Junge, sollst deine Ehre haben. Komm her, ich werde dir den Bruch auf den Hut stecken.«

Der Bruch heißt nämlich in der Jägersprache ein belaubter Zweig, den man sich auf den Hut steckt, um anzuzeigen, daß man ein zur hohen Jagd gehöriges Wild geschossen habe. Ludwig brach einen Buchenzweig ab, an dem sich trotz des Winters noch die Blätter befanden, und griff nach Kurts Hut, um den Zweig daran zu stecken. Der Knabe aber trat mit trotzigem Gesicht zurück.

»Ich brauche den Bruch nicht«, erklärte er. »Du hast mir ja stets gesagt, daß der Bruch ein Ehrenzeichen ist.« – »Nun ja, das ist er auch dahier.« – »Aber ein solches Ehrenzeichen darf nur einer tragen, der auch Ehre im Leib hat.« – »Alle Teufel, ich begreife dich nicht. Ich hoffe doch, daß du Ehre im Leib hast, Kleiner. Oder nicht?« – »Hat einer Ehre, der sich ungestraft beleidigen läßt, he?«

Der kleine, fünfjährige Bube stand in einer Haltung da, als wolle er den Jäger auf die Mensur fordern.

»Ah, du bist beleidigt worden?« fragte Ludwig erstaunt. »Von wem denn dahier?« – »Von dir. Aber ich leide es nicht, ich lasse es nicht sitzen!« – »Ja, aber wie denn?« – »Hast du mich etwa nicht einen Grünschnabel genannt, he? Du, du! Der selber so schießt wie ein echter, richtiger Grünschnabel.«

Die anderen beiden wollten über diesen Zornesausbruch lachen, hielten ihre Heiterkeit aber zurück, als sie sahen, daß Ludwig ernst blieb. Ja, das Auge des Jägers glänzte sogar feucht; er war tief gerührt über das ehrenhafte, energische Auftreten seines Zöglings; er sagte sich ja, daß auch er sich einen Teil des Verdienstes zuzuschreiben habe, aus dem ungewöhnlich veranlagten Knaben einen tüchtigen Mann machen zu wollen. Daher trat er auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen, nahm den Hut vom Kopf und sagte mit vor Rührung unsicherer Stimme:

»Du bist ein tüchtiger Kerl, Kurt. Schau her. Ich nehme den Filz vor dir ab, mein Junge. Willst du mir den albernen Grünschnabel vergeben?«

Da glitt es sonnenhell über das offene Gesicht des Knaben, er schlug ein und antwortete:

»Ja, Ludwig. Komm her, ich gebe dir einen Kuß, denn ich habe dich lieb. Und nun sollst du mir auch den Bruch aufstecken.«

Das geschah, und Kurt setzte den Hut ungefähr mit derselben Miene auf, mit der sich ein Kaiser bei einer hohen Festlichkeit die Krone auf den Kopf setzt.

»Und nun habe ich noch etwas«, sagte er. »Der Fuchs ist mein, den trage ich mir selbst nach Hause.« – »Oho, du bist zu klein und schwach dazu.« – Ich! Was fällt dir ein! Es darf ihn kein anderer tragen! Versteht ihr mich?«

Zum Beweis, daß er nicht zu schwach sei, faßte Kurt den Fuchs bei den Hinterläufen und hob ihn empor.

»Na gut wir wollen es versuchen«, erklärte Ludwig. »Du hast auch diese Auszeichnung verdient, und wenn er dir zu schwer wird, so nehmen wir ihn dir ab.« – »Daraus wird nichts!« erwiderte der Knabe. »Ich gehe allein nach Hause.« – »Das geht nicht mein Junge. Es ist zu weit« – »Bin ich etwa nicht hierher gelaufen? Oder denkst du, daß ich den Weg nicht kenne?« – »Du kennst ihn, Kleiner. Aber der Fuchs ist schwer, du bringst ihn nicht bis nach Hause.« – »So ruhe ich mich aus.« – »Hm«, brummte Ludwig, der recht gut begriff, weshalb der Knabe seinen Weg ganz allein gehen wolle. Er konnte ja dann seinen jagdstolzen Gedanken besser nachhängen und recht ungestört über den Triumph nachdenken, den er heute sich erworben hatte. »Hm. So ganz unrecht hast du nicht. Na, wir wollen es versuchen. Mir ist es recht, wenn du allein gehst, dann können wir anderen inzwischen einen Gang nach der Krähenhütte machen. Ich will dir den Fuchs zusammenbinden und um die Schulter hängen. Ich freilich, Donnerwetter, ich habe die Ehre, die tote Waldina nach Hause zu schleppen und dann die Grabrede anzuhören, die ihr der Herr Hauptmann halten wird.«

Er band die vier Läufe des Fuchses zusammen, hing das Tier dem Knaben so über, daß es ihm nicht gar zu schwer werden konnte, und meine schmunzelnd:

»So, Junge, nun steig mit deinen Lorbeeren heim. Das ist dein erster Fuchs, den du geschossen hast, und ich hoffe, daß es mein letzter Bock ist. Zeit genug wäre es wahrlich dahier dazu.«

Ludwig nahm den toten Hund auf und schritt mit den Gefährten davon. Der Knabe stand da und blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte, dann drehte er sich mit einem raschen Ruck um und schritt davon. Er kannte fast jeden einzelnen Baum und brauchte also keine Sorge zu tragen, irrezugehen. Er befand sich in einer so gehobenen Stimmung, daß er die Last des Fuchses fast gar nicht fühlte, obgleich ihm bereits nach kurzer Zeit der Schweiß von der Stirn herab über die Wangen lief. Es ging zwar langsam vorwärts, und als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, mußte er einmal ausruhen, aber das schadet ja nichts.


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