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6. Kapitel.

Der Brigant gehörte zu den Leuten, die der Capitano dem Advokaten zur Ermordung Sternaus nach Rodriganda gesandt. Er hatte die Wahrheit gesagt. Sternau war mit einem der gräflichen Förster in den Wald gegangen, weniger um ein Wild zu erlegen, als vielmehr die frische, reine Berg- und Waldesluft zu genießen und die zu Rodriganda gehörenden Forste kennenzulernen.

Diese Streiferei dauerte länger, als er zuerst beabsichtigt hatte, und es war bereits am späten Nachmittag, als er zurückkehrte.

Er trug die Büchse in der Hand, die er von dem Grafen entliehen hatte, der eine ihrer Läufe war mit Schrot und der andere mit einer Kugel geladen, denn er hatte keine Gelegenheit gefunden oder benutzt, einen Schuß zu tun. Irgendeiner romantischen Stimmung zufolge kehrte er nicht auf einem der gebahnten Wege zurück, sondern zog es vor, durch den dichten, unwegsamen Wald zu streifen. Er befand sich allein, denn der Förster hatte sich von ihm verabschiedet, um nach seiner im Wald gelegenen Wohnung zu gehen.

So näherte er sich, in Gedanken versunken, mit langsamen Schritten dem Park. Da sah er plötzlich einen lichten, glänzenden Punkt vor sich. Ein Waldweg führte vorüber, und auf demselben ging Rosa, deren weißes Gewand hell durch die Baumgruppen schimmerte.

Es war, als ob sie jemand suche oder erwarte, denn sie blieb zuweilen stehen und horchte in die Tiefe des Forstes hinein. Sie wußte, daß Sternau in den Wald gegangen war, und da er nicht zurückkehrte, trieb sie eine ihr fremde und unerklärliche Unruhe, nach dem Park zu gehen.

Er sah sie näher kommen. Sie war unendlich schön in dem einfachen, weißen Gewand, das sich eng und innig an die vollen Formen ihres Körpers schmiegte. Sie trug nicht den mindesten Schmuck; der einzige, der als ein solcher gelten konnte, bestand aus zwei dunkelglühenden Nelken, die aus der Fülle ihres prächtigen Haares blickte.

Da raschelte es vor ihr in den Büschen. Sie blickte auf und stand vor Sternau, der aus dem Dickicht getreten war, um sie zu begrüßen.

Sie streckte, wie in froher Überraschung, die Arme aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, während eine tiefe, glühende Röte ihre Wangen färbte.

»Señor«, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wolle. »Ihr Erscheinen war so plötzlich – ich hatte Sie nicht erwartet!« – »Verzeihung, Doña Rosa!« antwortete er. »Ich kam durch den Wald und erblickte Sie. Da hielt ich es für meine Schuldigkeit, Ihnen zu zeigen, daß Sie nicht allein sind.« – »Der Notar hat nach Ihnen gefragt.« – »Ich ahnte es. Ich habe mich verspätet und werde mich nun beeilen.« – »Wollen Sie mich mitnehmen?« fragte sie, abermals errötend. – »Gern!«

Er warf die Büchse über den Rücken und bot ihr seinen Arm. Sie legte ihre Hand auf denselben, und so schritten sie dem Park und dem Schloß zu.

»Wissen Sie, daß die drei Ärzte abreisen werden?« fragte sie, in dem Bemühen, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen. – »Ah!« antwortete er. »Das ist mir nicht lieb. Ich hege keine Feindseligkeit gegen sie und habe sehr gewünscht, ihnen zeigen zu können, daß Don Emanuel gesund und sehen wird.« – »Glauben Sie wirklich, daß der Vater das Licht der Augen wiedererhält?« – »Ich bin beinahe überzeugt davon!« – »Und diese Männer haben es noch heute bestritten. O Señor, geben Sie dem Vater die Gesundheit und das Augenlicht zurück, und mein Herz wird niemals aufhören, Ihnen zu danken!« – »Vertrauen Sie auf Gottes Hilfe. Er wird mich leiten, das Richtige zu treffen!« – »Er wird mich ... o mein Gott, was ist das?«

Diese letzten Worte rief die Condesa im höchsten Schreck aus, denn gleich vor ihnen zerteilten sich die Büsche, und zwischen ihnen kam ein in eine schwarze Kapuze gehüllter Kopf zum Vorschein, dessen dunkle Blicke wild aus den runden Augenöffnungen der Verhüllung hervorglühten.

Gleich darauf erklangen die Worte »Drauf! Tötet ihn!«, und im nächsten Augenblick warfen sich mehrere Gestalten, die aus den Büschen brachen und ebenso verhüllt waren wie die anderen, mit gezückten Messern auf Sternau.

Dieser befand sich glücklicherweise nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage. Während seiner Wanderungen durch fremde Erdteile hatte er mit den wilden Indianern Nordamerikas, den Beduinen der Wüste, den Malaien des ostindischen Archipels und mit den Papuas Neuhollands gekämpft. Er hatte sich dabei jene Geistesgegenwart angeeignet, die kein Erschrecken kennt, keinen Augenblick zaudert und in jeder Lage sofort das Richtige ergreift

»Holla, das gilt mir!« rief er.

Bei diesen Worten ließ er den Arm seiner Begleiterin fahren und sprang mit Blitzesschnelle einige Schritte seitwärts. Ebenso rasch hatte er die Büchse heruntergerissen und angelegt; zwei Schüsse krachten, und zwei der Vermummten stürzten zu Boden. Im Nu drehte er nun die Büchse um, und ihr Kolben sauste auf den Kopf des dritten der Angreifer nieder, so daß dieser lautlos zusammenbrach. In demselben Augenblick erhielt er von dem vierten einen Stich in den Oberarm, aber mit einer raschen Wendung packte er den Mann bei der Gurgel, ließ die Büchse fallen, da diese zu einem Hieb jetzt zu lang war, und schlug dem Gegner die geballte Faust mit solcher Kraft an die Schläfe, daß derselbe besinnungslos niedersank. Als er sich nach dem nächsten Angreifer umsah, war dieser entflohen.

Nun konnte er sich zu Rosa wenden. Der Schreck hatte ihr die Bewegung geraubt. Sie lehnte an einem Baum, dessen Stamm sie umschlungen hielt. Ihr Antlitz hatte die Blässe des Todes, und ihre Augen waren geschlossen, als trauten sie sich nicht, den Kampf des Geliebten gegen eine solche Überzahl mit anzusehen.

Dieser Kampf hatte kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen. Einen solchen Gegner hatten die Briganten doch nicht vermutet, er wog ein volles Dutzend solcher Leute auf, wie sie waren.

»Condesa«, sagte Sternau, indem er seine Hand auf den Arm Rosas legte, »Ist Ihnen unwohl?«

Der Klang seiner Stimme brachte sie wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn vor sich stehen sah, kehrte die Röte des Lebens in ihre Wangen zurück.

»Carlos!« rief sie, beinahe jauchzend.

Der Übergang vom tiefsten Schreck zu einer solchen Freude war zu schnell und gewaltig. Sie dachte an keine Rücksicht, an keine Scheu, sie dachte nur daran, daß er getötet werden sollte und doch noch lebend war, und warf sich an seine Brust, schlang die Arme um ihn und legte mit lautem Schluchzen des Entzückens ihr Köpfchen an sein Herz.

»Rosa!«

Dieses Wort sagte er leise, beinahe unhörbar, aber es klang eine ganze Welt voll Liebe und Glück aus den beiden Silben heraus.

»Rosa, beruhigen Sie sich. Diese Menschen sind zurückgewiesen worden.«

Da fiel ihr Blick auf seinen blutenden Arm; erschrocken fuhr sie zurück und rief:

»Heilige Madonna, Sie bluten! Sie sind verwundet! O mein Gott, was soll ich tun!« – »Tragen Sie keine Sorge«, bat er. »Ich fühle, daß es nur eine kleine unbedeutende Fleischwunde ist. Der Stich galt meinem Herzen.« – »Diese bösen, fürchterlichen Menschen!« sagte sie schaudernd, während sie einen furchtsamen Blick auf die am Boden Liegenden warf. »Wer sind sie? Und was haben Sie ihnen getan? Vier Mörder, Carlos, Sie starker, mutiger Mann, Sie sind ein Held!«

Sie lehnte sich abermals an seine Brust, und als sie ihre herrlichen Augen zu ihm erhob, strahlte aus ihnen ein solcher Blick von Liebe, Hingebung und Bewunderung, daß er nicht widerstehen konnte; er beugte sich zu ihr hernieder und legte seine Lippen zu einem langen, innigen Kuß auf ihren Mund.

Da fuhr sie zurück.

»Man kommt!«

Es ertönten wirklich soeben eilige Schritte, die sich vom Schloß her nahten, und gleich darauf kamen drei Männer herbei. Es waren zwei Gehilfen des Gärtners und der kleine Kastellan, Señor Juan Alimpo. Dieser letztere war in den Garten gegangen, um einen Blumenstrauß für das Zimmer Sternaus zu holen. Während des Abschneidens der Blumen hatte man die beiden so kurz aufeinanderfolgenden Schüsse gehört. Das war im Park auffällig; darum vermuteten die drei ein ungewöhnliches, vielleicht gar unglückliches Ereignis und eilten der Gegend zu, in der die Schüsse gefallen waren.

Als der Blick des Kastellans auf die Szene fiel, blieb er erschrocken stehen.

»Gnädige Condesa! Señor Sternau! Was ist geschehen?« rief er. – »Man hat den Señor töten wollen«, antwortete Rosa in noch immer großer Erregung. – »Töten?« fragte der Kleine. »O Gott, wie ist das möglich? Das muß ich meiner Elvira sagen!«

Damit schlug er die Hände zusammen und blickte sich um, als erwarte er, daß seine Elvira in der Nähe sei.

»Aber der Señor hat gesiegt«, fuhr Rosa fort. »Er hat die vier getötet« – »Vier? Oh! Ah!« rief Alimpo erstaunt »Vier Männer auf einmal!« – »Wohl nur drei«, verbesserte Sternau. »Diesen hier traf ich mit der Faust. Er wird nur betäubt sein. Kommt, helft mir, den Leuten die Kapuzen abzunehmen. Wir wollen einmal sehen, ob jemand sie kennt« – »Aber, Señor, wollen Sie sich nicht vor allen Dingen verbinden lassen?« fragte Rosa. – »Das hat Zeit, Dona Rosa«, antwortete er.»Der Stich ist wirklich nicht gefährlich.« – »Einen Stich! Einen richtigen, wirklichen Stich!« rief Alimpo. »Oh, mein Gott, das ist schrecklich. Das Blut läuft ja zur Erde nieder! Ach, wenn doch nur gleich meine Elvira da wäre, sie würde Euch verbinden! Kommt her, Señor, ich will Euch wenigstens einstweilen das Taschentuch um den Arm binden!«

Sternau streckte ihm lächelnd denselben entgegen, und der brave Kastellan band sein Tuch so fest darum, daß das Blut nicht mehr hindurchdringen konnte.

»So, das war das Notwendigste«, meinte er. »Oh, heiliger Sebastiano, ein Mordanfall auf dem Schloß Rodriganda!«

Er bückte sich nieder, und die beiden Gärtner halfen ihm, von den Gefallenen die Kapuzen zu entfernen. Es stellte sich heraus, daß man die vier Männer nicht kannte. Drei von ihnen waren wirklich tot. Zweien waren die Schüsse aus unmittelbarer Nähe gerade durch das Herz gedrungen, und dem dritten war durch den Kolbenschlag der Schädel vollständig zerschmettert worden. Rosa wandte sich schaudernd von diesem Anblick ab.

»Welch ein Hieb!« meinte Alimpo. »Wie mit einem Dampfhammer! Señor, Ihr habt mehr Körperstärke als zehn andere Männer zusammen.« – »Hat jemand eine Schnur oder dem ähnliches bei sich?« fragte Sternau, der soeben den vierten untersuchte. »Dieser ist wirklich nur besinnungslos. Wir müssen ihn binden. Er wird uns sagen, wer er ist und weshalb mich seine Gefährten töten wollten.« – »Ja, das wird er sagen müssen«, beteuerte Alimpo; »sonst, ja sonst zerreiße ich ihn! Ja, Señor, ich bin ein grimmiger Mensch, wenn ich einmal in Wut gerate!«

Sternau lächelte und fragte:

»Seid Ihr denn schon einmal in Wut gewesen, Señor Alimpo?« – »Nein, noch niemals; aber ich ahne, daß ich dann ganz schrecklich bin, ungefähr so wie ein Tiger oder ein Krokodil oder gar wie eine – Fledermaus.«

Dem guten Juan Alimpo schienen die Fledermäuse also die allergrimmigsten Tiere zu sein. Übrigens zog er jetzt eine Schnur aus der Tasche und band dem Besinnungslosen die Hände so fest auf dem Rücken zusammen, daß dieser sie sicher nicht zu rühren vermochte, falls er wieder zum Bewußtsein kam.

»So, der ist gebunden«, meinte er. »Was befehlt Ihr noch, Señor?« – »Ich werde jetzt mit der gnädigen Condesa zum Schloß gehen, um Euch Leute zu senden«, antwortete Sternau. »Dieser eine wird sofort, nachdem er erwacht ist, in ein sicheres Gewahrsam gebracht, die anderen aber müssen wir liegenlassen, bis der Alkalde kommt, um den Tatbestand aufzunehmen.« – »Ein sicheres Gewahrsam haben wir, Señor, ein Gewahrsam, aus dem er mir nicht entkommen soll!« – »Schön! Das ist sehr notwendig! Aber nehmt Euch jetzt hier noch sehr in acht! Es sind Mörder entkommen. Wir wissen nicht, wie viele es ihrer sind, und es ist also möglich, daß sie zurückkehren, um den Gefesselten zu befreien.« – »Wiederkommen? Befreien?« fragte der Kastellan erschrocken. »Und da soll ich hier bleiben?« – »Ja.« – »Aber, wenn sie nun gar stechen oder schießen, Señor? Das ist sehr gefährlich! Oh, wenn das meine Elvira wüßte!« – »Ich halte Euch für einen sehr mutigen Mann, Señor Juan Alimpo!« sagte Sternau lächelnd. – »Mutig? Oh, das ist noch nichts!« antwortete der Kleine. »Ich bin nicht nur mutig, sondern sogar tapfer und verwegen, ja, über alle Maßen verwegen, und zwar ganz besonders in Gefahren! Aber ein Stich ist eine böse Sache, und ein Schuß kann noch viel schlimmer sein!« – »Nun gut! Ich werde Euch meine Büchse laden und zurücklassen, und außerdem sind ja die Messer dieser Toten da. Das ist genug, sich zu verteidigen.«

Sternau lud die Büchse und reichte sie dem Kastellan hin, dieser aber trat drei Schritt zurück und sagte mit einer abwehrenden Gebärde:

»Mir nicht, Señor! Ich mag das Gewehr nicht! Wenn man es falsch hält, und es geht los, so kann man sich ganz leicht selbst treffen. Gebt es diesen beiden Gärtnern! Es sind zwei Läufe geladen, und da kann jeder von den beiden einen Schuß tun, wenn wir überfallen werden, ich aber will die Messer dieser vier Besiegten nehmen. Damit kann ich unter Umständen vier Feinde stechen und vollständig töten.«

Es geschah so, wie Alimpo verlangte, worauf Sternau der Gräfin von neuem den Arm bot und sie dem Schloß entgegenführte. Dort angekommen, bat er sie, den Grafen Emanuel aufzusuchen und dafür zu sorgen, daß ihn die Kunde von dem Überfall nicht unvorbereitet finde und vielleicht in eine schädliche Aufregung versetze. Dann sorgte er dafür, daß sofort eine Anzahl Schloßarbeiter nach dem Tatort gingen, und erst jetzt begab er sich nach seinem Zimmer, um sich zu verbinden.

Auf der Freitreppe begegnete ihm die fromme Schwester Clarissa, die einen Spaziergang unternehmen zu wollen schien. Als sie das Tuch um seinen Arm erblickte, fragte sie sogleich:

»Señor, was sehe ich! Ihr tragt ein Tuch um den Arm, und Eure Kleidung ist blutig! Um Gott, was ist geschehen?«

Sternau wunderte sich ein wenig, daß die Dame, die von ihm nicht die geringste Notiz genommen hatte und stets an ihm vorübergerauscht war, ohne ihn bemerken zu wollen, ihn jetzt anredete. Doch antwortete er in höflichem Ton:

»Ich bin verwundet, Señora.« – »Verwundet? Mein Gott! Ist das möglich? Wer ist es, der Euch verwundet hat, Señor?« – »Man kennt die Leute nicht. Es war ein Mordanfall.« – »Heilige Lauretta, ist man seines Lebens hier auf Rodriganda nicht mehr sicher? Aber«, fügte sie mit einem forschenden Seitenblick hinzu, »Ihr sagtet, daß man sie nicht kenne. So sind also diese Mörder auch außer Euch von jemand gesehen worden?« – »Von dem Kastellan und zwei Gärtnern.« – »Und dann sind sie geflohen?« – »Einer oder einige sind entkommen, drei habe ich getötet, und der vierte ist unser Gefangener. Der Kastellan wird ihn sogleich bringen.«

Das Gesicht der frommen Dame wurde leichenblaß. Sie konnte sich vor Schreck kaum halten und sagte mit zitternder Stimme:

»Verzeiht, Señor, diese Nachricht erschreckt mit so, daß mir ganz schwach und übel wird! Ein Mordanfall! Möge Gott die Tat an das Tageslicht ziehen und die Anstifter derselben bestrafen! Ich fühle mich so angegriffen, daß ich meinen Spaziergang, den ich beabsichtigte, gar nicht unternehmen kann.« – »Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Señora, um Sie nach Ihren Gemächern zu geleiten?« fragte er.

Sie nickte und stützte sich auf ihn, was sie unter anderen Umständen sicherlich nicht getan hätte. Aber die Angst, entdeckt zu werden, raubte ihr wirklich alle Kräfte, so daß sie schwer am Arm des Arztes hing.

Dieser geleitete sie bis an ihre Tür und verabschiedete sich von ihr durch eine tiefe Verneigung. Er war froh, von ihr fort zu können, denn es gab in ihm etwas, was sich gegen diese alte, fromme Dame sträubte. Schwester Clarissa trat in ihr Zimmer und sank dort ganz kraftlos in einen Diwan. Bald aber klingelte sie nach ihrem Mädchen und befahl demselben, Señor Gasparino Cortejo sofort zu ihr zu bescheiden.

Es dauerte nicht lange, so trat derselbe ein, außerordentlich verwundert über die Eile, die seine Verbündete hatte, ihn bei sich zu sehen.

»Ihr schickt nach mir, Clarissa. Was gibt es so Eiliges?« fragte er. – »Ein Unglück, ein sehr großes Unglück, Señor!« rief sie. – »Welches Unglück?« – »Oh, ich bin so schwach, daß ich es kaum erzählen kann!« jammerte sie. – »Bah!« meinte er ruhig. »Ihr könnt sprechen, und folglich wird es Euch auch möglich sein, zu erzählen, was Euch so außerordentlich übermannt.« – »Aber, es ist zu schrecklich! Es kann um uns geschehen sein, Señor!« – »Alle Teufel, jammert nicht, sondern redet! Ihr erschreckt mich ganz unnütz mit Eurer Fassungslosigkeit. Ist ein Unglück geschehen, nun, heraus damit!« – »So hört! Dieser Doktor Sternau ist im Park überfallen worden.«

Über die raubvogelartigen Züge des Notars glitt ein befriedigtes Lächeln. Er wähnte, daß sein Anschlag glücklich ausgeführt worden sei, und sagte daher in einem verweisenden Ton:

»Nun, was ist da weiter? Ich sehe darin kein Unglück! Wer hat zu Euch von diesem Überfall gesprochen?« – »Das ist es ja eben! Hätte ich es von einer anderen Person erfahren, so hätte ich in aller Ruhe meine Hände gefaltet und Gottes Gerechtigkeit gepriesen, so aber...« – »Nun, was denn aber? Redet doch, zum Teufel!« – »Er, dieser Doktor Sternau, hat es mir selbst erzählt.«

Der Notar fuhr erschrocken zurück.

»Doktor Sternau? Nicht möglich!« meinte er mit unsicherer Stimme. – »Nicht möglich, sagt Ihr? Oh, es ist nicht nur möglich, sondern sogar wirklich, Señor. Ich war von der Nachricht so erschrocken und betroffen, daß ich es mir gefallen lassen mußte, von diesem verhaßten Menschen nach meinem Zimmer geführt zu werden.« – »Alle Teufel«, knirschte der Notar. »So ist er entkommen?« – »Er war nur leicht am Arm verwundet.« – »O diese Schufte! Ich werde sie lehren müssen, ein Messer richtig zu führen.« – »Ihr werdet es leider nicht lehren können, denn drei von ihnen hat er getötet, und der vierte ist gefangen.« – »Teufel!« fluchte der Advokat durch die Zähne. »Das ist schlimm! Die Toten können nicht reden, aber dieser Gefangene, der kann gefährlich werden.« – »Kann er etwas verraten?« – »Das versteht sich! Diese Burschen haben mich ja gesehen, sie kennen mich, denn ich habe mit ihnen sprechen müssen.« – »O wehe! Señor, Ihr seid unvorsichtig gewesen.« – »Laßt das Schreien und Klagen! Ich habe keine Lust, in dieser fatalen Lage noch Vorwürfe anzuhören. Es muß ein Ausweg gefunden werden.« – »Ja, ja! Es gibt einen solchen, aber auch nur einen einzigen!« rief sie schnell und von neuem belebt. »Man muß diesen Gefangenen befreien.« – »Das geht. Aber man wird da bis zur geeigneten Stunde warten müssen, und es fragt sich, ob der Mann bis dahin schweigen kann. Da die gerichtliche Kommission, die zur Aufnahme des Sachverhalts eintreffen muß, erst morgen hier sein kann und auch erst dann den Gefangenen mitnehmen wird, so bleibt er für die Nacht jedenfalls im Schloß eingesperrt. Da wird es leicht sein, ihm die Freiheit zu geben. Aber bis dahin kann er bereits alles verraten haben.« – »So muß ihm ein Wink gegeben werden.« – »Ja, richtig! Diese Geschichte hat mich ganz kopflos gemacht. Es ist ja gar nichts Gewagtes dabei, wenn ich in den Park gehe, um mir den Ort des Überfalls anzusehen. Beim Teufel! Dieser Deutsche ist mir heute entkommen, zum zweiten Mal jedoch soll es ihm nicht gelingen. Er gegen so viele! Der Kerl muß eine wahre Elefantenstärke besitzen. Aber daraus lernt man, daß ihm nur mit List beizukommen ist.« – »Und wie wollt Ihr es beginnen, um den verhaßten Deutschen endlich zu beseitigen?« fragte die fromme Dame eifrig. – »Über das ›Wie?‹ bin ich mit mir noch nicht zu Rate gegangen«, erwiderte der Bundesgenosse Clarissas. – »Sterben muß dieser Doktor Sternau, wenn wir unseren Plan nicht aufgeben wollen«, bemerkte die Dame entschieden. – »In keinem Fall dürfen wir unser Vorhaben außer acht lassen«, pflichtete der Notar bei, »darum werde ich jedes Mittel für recht halten, das uns zum Ziel führt.«

Clarissa nickte zustimmend, und der Notar fuhr fort:

»Ich gehe jetzt, um den Platz zu besichtigen, wo das Treffen stattgefunden hat.«

Damit eilte er nach dem Park, wo sich bereits ein großer Teil der Schloßbewohner versammelt hatte, herbeigeführt von einem Ereignis, wie es in Rodriganda noch nicht vorgekommen war.


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