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Cortejo mochte wohl über eine halbe Stunde gelegen haben, als er sporenklirrende Schritte hörte. Der Leutnant de Lautreville trat unter das Portal, blickte sich vorsichtig um, schritt darauf schnell die Freitreppe hinunter und wandte sich dem Park zu.
»Ah!« entfuhr es den Lippen des Advokaten. »Also doch! Ich muß zunächst sehen, wo sie sich treffen.«
Er verließ sein Versteck, umging den Kreis, der von dem Licht der Laternen beschienen wurde, und huschte dem Leutnant nach. Dieser letztere gab sich keine Mühe, den Schall seiner Schritte zu dämpfen; er hatte hier den Offizier zu spielen und durfte von keinem, der zufälligerweise im Park anwesend sein konnte, für einen Schleicher gehalten werden. Aus diesem Grund war es dem Advokaten leicht, ihm zu folgen.
Nach einer Weile lenkte der Leutnant in einen Seitenweg ein, der direkt nach einer einsamen Birkenhütte führte.
»Richtig!« brummte der Notar. »Dort im Birkenhäuschen treffen sie sich. Zufälligerweise kenne ich den Platz besser als sie und werde sie belauschen.«
Er folgte dem Offizier nicht direkt, sondern huschte über einen offenen Grasplatz, gelangte dann durch eine Birkenpflanzung, wand sich nachher durch ein nicht sehr dichtes Buschwerk und sah nun endlich das Häuschen vor sich. Es lehnte dicht an dem Buschwerk, war klein und nur von dünnen Stämmchen errichtet – infolgedessen konnte man ein jedes nicht allzu leise gesprochenes Wort hören.
Der Advokat kroch ganz an die hintere Seite des Häuschens heran und lauschte. Ah, wirklich, er hörte sprechen. Zunächst vernahm er ganz deutlich die Stimme des Capitano in den halblauten Worten:
»Und du wohnst also auf dem Schloß?« – »Ja«, antwortete die unverkennbare Stimme des Leutnants. – »Wie ist dies so günstig und schnell gekommen?« – »Ich hatte Glück – oder es ist für dich, Capitano, ein Unglück –, die Condesa nebst einer Freundin von zwei Männern zu befreien, welche die beiden Damen angefallen hatten.« – »Ah! Wer waren diese? Gibt es außer uns hier noch andere Briganten? Ich würde ihnen schleunigst das Handwerk legen.« – »Dies ist aus zwei Gründen nicht notwendig. Erstens habe ich ihnen bereits das Handwerk gelegt, und zweitens waren sie nicht fremd, sondern sie gehörten zu uns.« – »Alle Teufel! Wer war es?« – »Henrico und Juanito.« – »Unmöglich! Wie könnten diese es wagen, die Condesa zu beleidigen?« – »Das ist deine oder vielleicht auch nur ihre Sache.« – »Was hast du mit ihnen getan?« – »Den einen erschossen und dem anderen den Schädel gespalten. Sie sind beide tot.« – »Mensch, ist das wahr?« – »Ja.«
Es trat eine kleine Pause ein, bis der Hauptmann in zornigem Ton sagte:
»So hast du also zwei deiner Kameraden getötet! Weißt du, welche Strafe darauf steht?« – »Der Tod«, antwortete Mariano sehr ruhig. »Ich aber habe ihn nicht zu befürchten.« – »Warum nicht? Ah, meinst du vielleicht, daß ich dich schonen werde, weil ich stets nachsichtig gegen dich gewesen bin?« – »Ich verlange keine Schonung, sondern nur Gerechtigkeit. Hast du den beiden Männern befohlen, die Condesa anzufallen?« – »Nein.« – »Nun, so habe ich sie nicht getötet, sondern einfach bestraft.« – »Hast du das Recht dazu? Nur ich als Hauptmann habe Strafen zu verhängen.« – »Ich kannte sie nicht; sie hatten sich mit schwarzen Kapuzen vermummt.« – »So mußtest du trotz dieser Verhüllung denken, daß es Kameraden seien.«
Wieder trat eine kurze Pause ein. Endlich ließ der Leutnant ein ungeduldiges Räuspern vernehmen und sagte in entschiedenem Ton:
»Sie waren auf keinen Fall meine Kameraden. Ich bin kein Mitglied deiner Bande. Du hast mich aufgenommen und erzogen. Ich bin stets bei euch gewesen, aber du hast vergessen, mir den Schwur abzunehmen. Ich habe also euch gegenüber nicht die mindeste Verantwortlichkeit.« – »Gut, so wirst du mir den Schwur baldigst ablegen müssen.« – »Ich zweifle sehr, ob ich es tun werde.« – »Knabe!« dieses Wort kam langsam und pfeifend aus dem Mund des Capitano, der sehr erstaunt war, hier eine solche Widersetzlichkeit zu finden. »Ist dies der Dank für die ungeheuren Wohltaten, die ich dir erwiesen habe?« – »Schweige von der Ungeheuerlichkeit deiner Wohltaten!« stieß der Leutnant in bitterem Ton hervor. »Nennst du es ein Glück, wenn ein Kind seinen Eltern mit Gewalt entrissen und unter Räuber gesteckt wird?«
Der verborgene Lauscher horchte auf.
Ah, er ist's! Und er weiß es auch, daß er geraubt wurde, dachte er.
Auch der Capitano war überrascht. Er schien, wie deutlich zu hören war, vor Erstaunen einen Schritt zurückzutreten und fragte zornig:
»Den Eltern entrissen? Mit Gewalt? Auf wen beziehst du das?«
Mariano sah ein, daß es nicht klug gewesen war, sich so fortreißen zu lassen. Die Vorsicht hätte ihm geboten, gar nicht ahnen zu lassen, daß er jenem Ereignis auf die Spur gekommen sei; da er sich aber von seiner Erbitterung hatte hinreißen lassen, so ging er auch weiter und antwortete:
»Auf mich, auf keinen anderen sonst!« – »Hm, so meinst du also, daß du geraubt worden seist?« fragte der Capitano vorsichtig. – »Geraubt und vertauscht!« – »Ja, das ist möglich. Aber was habe ich dabei zu schaffen? Ich fand dich im Freien und habe bis heute keine Ahnung, wer dich ausgesetzt hat.« – »Lüge nicht, Capitano! Du selbst warst es, der mich raubte!« rief der junge Mann zornig. – »Ich? Beweise es! Ich schwöre es dir, daß ich es nicht war, der dich deinen Eltern nahm!« – »Ja, das kannst du allerdings beschwören, denn ein anderer war es, der mich stahl; aber es geschah in deinem Auftrag.« – »Ich wiederhole: Beweise es!« – »Kennst du nicht einen Mann, der Manuel Sertano hieß? Er stammte aus Mataro.« – »Alle Teufel! Wer hat dir diesen Namen genannt?« – »Ferner: Kennst du das Gasthaus ›L'Hombre grand'‹ in Barcelona? In demselben wurde in der Nacht vom ersten zum zweiten Oktober 18** ein Knabe umgetauscht.« – »Teufel! Wer hat dir dies weisgemacht?« – »Das ist mein Geheimnis!« – »Ich verlange, daß du mir Antwort gibst! Ich habe dich nach Rodriganda gesandt, um diesen Gasparino Cortejo und andere zu überwachen, nicht aber, um Ränke gegen mich zu spinnen, die jeden Grundes entbehren. Ich verlange zu wissen, wer dir diese Lüge gesagt hat!« – »Du wirst es nicht erfahren!« – »Ich werde es erfahren, denn ich habe die Macht, dich zu zwingen!« – »Pah!« Der Leutnant sprach nur diese eine Silbe, aber es lag in ihr eine solche Verachtung und Geringschätzung, daß der Hauptmann zornig rief:
»Glaubst du etwa, mir widerstehen zu können?« – »Das glaube ich allerdings.« – »So werde ich dir das Gegenteil beweisen.« – »Versuche es!« – »Ich befehle dir, sofort nach der Höhle zurückzukehren!«
Der junge Mann ließ ein leises, kurzes Lachen hören und antwortete:
»Das werde ich bleibenlassen!« – »Ah, also offenbare Widersetzlichkeit!« zischte der Capitano. – »Ja, offene!« lachte Mariano abermals. »Ich werde bleiben. Was soll der Graf Rodriganda von dem Herrn de Lautreville denken, wenn dieser wie ein Spitzbube bei Nacht und Nebel verschwindet? Übrigens gefällt es mir in Rodriganda ganz ausgezeichnet und« – fügte er mit Nachdruck hinzu – »es ist mir ganz, als ob ich zur gräflichen Familie gehöre.« – »Mensch, soll ich dich zwingen? Entweder du erklärst augenblicklich, daß du gehorchen wirst, oder ich steche dich nieder!« – »Höre vorher, was ich dir zu sagen habe!« – »Nun?« – »Capitano, ich hege keinen Groll gegen dich«, begann Mariano in ruhigem Ton; »du hast mich zwar dem Boden entrissen, wo der Baum meines Lebens Wurzel zu schlagen begonnen, aber mit deiner Erlaubnis habe ich mir durch den Pater Dominikaner alles aneignen können, was nötig ist, die mir gehörige Stelle wieder einzunehmen und auszufüllen, darum will ich nicht rachsüchtig sein, sondern ich sage: Wir sind quitt! Was ich beginnen werde, weiß ich noch nicht, aber das eine weiß ich, nämlich, daß ich zu euch nicht zurückkehre. Zwingen kannst du mich nicht. Ich bin dir an Geschicklichkeit und Stärke überlegen, und auch die List wird dir nichts helfen.« – »Wirklich?« höhnte der Hauptmann. »Wenn ich nun den Grafen Rodriganda wissen lasse, daß du ein Räuber bist?« – »So wird er mich vor allen Dingen fragen, wo meine Kameraden zu finden sind, und ich würde sie verraten.« – »Mensch!« brauste der Hauptmann auf. – »Bleibe ruhig, Capitano! So lange mir von eurer Seite nichts Böses droht, werde ich schweigen. Du kennst mich und weißt, daß du dich auf mein Wort verlassen kannst. Aber ich habe euch den Schwur der Treue nicht geleistet, und wenn ihr mich mit List oder Gewalt dazu zwingen wollt, so seid ihr meine Feinde, und ich werde mich zu verteidigen wissen. Das ist es, was ich dir zu sagen habe.« – »Dies ist dein fester Entschluß?« – »Mein fester! Pah, Capitano! Meine Augen sind gut, ich sehe trotz der Dunkelheit sehr deutlich, daß du das Messer ziehst, du aber siehst nicht, daß ich bereits während unserer langen Unterhaltung den gespannten Revolver in der Hand gehabt habe. Ehe dein Messer mich erreichen könnte, würdest du eine Leiche sein. Das laß dir auch für später zur Warnung dienen! Der Knabe ist plötzlich zum Mann geworden, und ich sage dir, daß er auch als Mann handeln wird. Lebe wohl, Capitano!«
Der Lauscher hörte, daß der Sprecher sich schnell entfernte. »Mariano!« rief der Hauptmann in befehlendem Ton. Es erfolgte keine Antwort.
»Mariano!« rief er abermals, jetzt aber war der Ton kein befehlender, sondern beinahe ein ängstlicher.
Auch jetzt erfolgte keine Antwort, und man hörte die Schritte des sich Entfernenden verklingen.
»Bei Gott, er geht!« murmelte der Capitano. »Er will sich frei machen, aber es soll ihm doch nicht gelingen. Wen ich einmal habe, den halte ich auch fest. Verdammter Gedanke, gerade ihn nach Rodriganda zu schicken! Wer mag ihn aufmerksam gemacht haben? Ich muß das erfahren!«
Er verließ mit langsamen Schritten das Birkenhäuschen und verschwand hinter dem Gesträuch des Parks.
Jetzt konnte der Advokat ohne Gefahr, gehört zu werden, sein Versteck verlassen. Er kehrte vorsichtig nach dem Schloß zurück und begab sich wieder zu seiner frommen Freundin, die ihn mit Spannung erwartet hatte. Graf Alfonzo hatte sich bei ihr eingefunden, und beide erschraken, als sie hörten, daß dieser Husarenleutnant in Wirklichkeit jener geraubte Knabe sei.
»Mein Gott, was ist zu tun?« fragte Clarissa. »Dieser Mensch ahnt also bereits, wer er ist?« – »Er ahnt es, wie ich aus seinen Andeutungen entnehme«, antwortete der Advokat. – »So stehen wir auf einem Vulkan, der in jedem Augenblick explodieren kann. Der Allbarmherzige und Allgütige wird die Seinen nicht verderben lassen, wie ich hoffe!« – »Pah! Was hilft das fromme Wimmern! Hier muß gehandelt werden«, meinte Alfonzo. »Dieser Mensch muß augenblicklich unschädlich gemacht werden.« – »Was verstehst du unter unschädlich, mein Sohn?« fragte der Notar. – »Den Tod! Nur der Tote schweigt, und es steht für uns so viel auf dem Spiel, daß es eine Schwachheit wäre, einen Menschen zu schonen, der uns so gefährlich ist. Übrigens ist er ja nichts als ein Bandit und so muß seine Beseitigung geradezu als ein Verdienst bezeichnet werden, das wir uns an der von ihm bedrohten Menschheit erwerben.«
Schwester Clarissa nickte beifällig und sehr energisch mit dem Kopf; der Advokat aber sagte langsam und nachdenklich:
»Es versteht sich allerdings ganz von selbst, daß er unschädlich gemacht werden muß; ob dies durch seinen Tod oder eine andere Art der Beseitigung geschehen wird, das soll meine Unterredung mit dem Capitano entscheiden. Ich werde um Mitternacht erfahren, was wir von ihm zu befürchten oder zu hoffen haben.«
Mit dieser Entscheidung mußten sich Mutter und Sohn beruhigen.
Kurz vor dem Schlag der Mitternachtsstunde suchte der Notar den Park wieder auf. Es gab da ein sehr verborgenes Plätzchen, wo er sich mit dem Capitano zu treffen pflegte, falls dieser einmal mit ihm zu sprechen hatte. Er fand ihn, bereits seiner harrend.
»Ihr habt mir das Zeichen gegeben, zu Euch zu kommen«, sagte er. »Das ist mir lieb, denn Ihr erspart mir einen Weg nach den Bergen. Ich hätte Euch aufsuchen müssen.« – »In welcher Angelegenheit?« fragte der Hauptmann zurückhaltend. – »Das fragt Ihr noch?« sagte der Notar mit scheinbarer Verwunderung. »Ich habe Euch eine Aufgabe erteilt, die bis jetzt noch nicht gelöst worden ist.« – »Und warum wurde sie nicht gelöst, Señor?« – »Weil Ihr mir keine Männer, sondern Feiglinge schicktet.« – »Das ist ein Vorwurf, dessen Berechtigung ich nicht anerkenne«, antwortete der Hauptmann. »Wir wollen nicht Versteckens miteinander spielen, Señor, sondern diese Angelegenheit in aller Kürze erledigen.« – »Das ist auch meine Meinung. Also sprecht!« – »Wollt Ihr, daß der Auftrag, den Ihr mir gabt, noch ausgeführt wird?« – »Das versteht sich! Ich verlange sogar, daß dies in aller Eile geschieht.« – »Gut, so will ich Euch meine Bedingungen sagen.« – »Bedingungen? Ich denke, über die Bedingungen haben wir uns bereits bei meinem letzten Besuch geeinigt.« – »Die Verhältnisse haben sich seitdem geändert. Ich habe natürlich erfahren, was geschehen ist, und obgleich ich nicht dabeigewesen bin, kenne ich doch meine Leute gut genug, um alles richtig zu erraten. Der Arzt ist mit Messern angegriffen worden?« – »Ja.« – »Auf Euren ausdrücklichen Befehl?«
Der Notar zögerte ein wenig und antwortete:
»Nein. Dies hat Henrico so arrangiert.« – »Lügt nicht!« meinte der Hauptmann streng. »Meine Leute kennen den Unterschied zwischen einer Kugel und einer Messerklinge zu genau, um freiwillig die Dummheit zu begehen, einen so starken Menschen nur mit der letzteren anzugreifen. Ihr habt alles Geräusch vermeiden wollen und den Leuten verboten zu schießen. Habe ich recht oder nicht?« – »Ihr habt unrecht.« – »Pah! Ich weiß, was ich sage, und lasse mich nicht täuschen. Henrico und Juanito sind bei einer anderen Gelegenheit gefallen. Was sie vermocht hat, die Condesa anzugreifen, das ist mir ein Rätsel, doch will ich annehmen, daß nicht Ihr die Schuld daran tragt. Aber an dem Tod der anderen, deren Leichen hier im Park gerichtlich aufgehoben wurden, seid Ihr schuld. Ihr zahlt mir für einen jeden Mann tausend Ducatos, und dann wollen wir über die Angelegenheit weiter verhandeln.« – »Daß ich ein Esel wäre!« – »Ah, Ihr wollt nicht?« – »Nein. Ich kann nicht dafür, daß diese Unvorsichtigen so dumm waren, sich töten zu lassen.« – »Ich habe Euch bereits gesagt, wem ich die Schuld zumesse, und dabei bleibt es! Wollt Ihr zahlen oder nicht?« – »Keinen Pfennig!« – »Gut. Lebt wohl, Señor!«
Der Hauptmann wandte sich, um zu gehen; der andere hielt ihn jedoch fest und fragte:
»Was habt Ihr vor?« – »Das werdet Ihr bald erfahren, Señor!« – »Ihr verlangt das Unmögliche!« – »Ihr sollt sehen, daß es sehr gut möglich ist. Die Männer sind in Eurem Dienst gestorben, und Ihr habt zu zahlen. Ich schwöre es Euch, daß mich nichts von dieser Forderung bringen wird. Ihr kennt mich, und jeder Einwand wird nur die Folge haben, daß ich meine Forderung erhöhe.«
Der Notar schien nachzudenken. Endlich sagte er langsam und lauernd:
»Vielleicht würde ich auf diese Forderung eingehen, wenn ich auch von Euch eine Gefälligkeit erlangen könnte. Es gibt außer dem Arzt noch einen, der mir im Wege ist.« – »Ah! Der verschwinden soll? Wer ist es?« – »Ein Offizier.« – »Donnerwetter, das scheint interessant zu werden! In welcher Garnison steht der Señor?« – »Er steht in keiner Garnison, sondern befindet sich jetzt auf Urlaub. Auch ist er kein Spanier, sondern ein Franzose.« – »Alle Wetter«, meinte der Hauptmann überrascht und es war dem Ton seiner Stimme anzuhören, daß er zu ahnen begann, um wen es sich handelte. »Ein Franzose? Was habt Ihr mit so einem Ausländer zu schaffen?« – »Verschiedenes! Es ist ein Husarenleutnant« – »Wo ist er zu finden?« – »Hier auf Rodriganda.« – »Und wie heißt er?« – »Alfred de Lautreville.« – »Alfred de ... hm!« brummte der Hauptmann. »Diesen Mann kenne ich nicht!« – »Das glaube ich«, bemerkte der Notar sarkastisch. »Übrigens habt Ihr, trotzdem er Euch unbekannt sein muß, doch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.« – »Inwiefern?« – »Er ist derselbe, der Henrico und Juanito ermordet hat. Wollt Ihr ihn laufenlassen?« – »Laufenlassen? Fällt mir nicht ein!« sagte der Capitano zögernd. »Aber was ist es, was Ihr mit ihm zu schaffen habt?« – »Ich sagte es Euch ja bereits. Er ist mir im Wege. Wollt Ihr dieses Geschäft übernehmen?« – »Hm, das muß überlegt werden.« – »So überlegt es schnell! Wenn ich mich nicht auf Euch verlassen kann, so werde ich mich an einen anderen wenden, der mich besser bedienen wird, als Ihr und Eure Leute.« – »Den möchte ich kennen! Ich dulde keine Konkurrenz; das sage ich Euch, Señor! Übrigens gehört dieser Franzose bereits mir, da er zwei meiner Männer getötet hat, und wer mir hier in das Handwerk pfuscht, der hat es mit mir zu tun. Das könnt Ihr Euch merken!« – »Gemach! Heißt das etwa, daß dieser Kerl sich unter Eurem Schutz befindet?« – »Nein«, antwortete der Hauptmann; »es heißt im Gegenteil, daß er meiner Rache verfallen ist, und diese lasse ich mir nicht nehmen. Er soll verschwinden!« – »Das heißt mit anderen Worten, er soll sterben?« – »Sterben? Nein, auf keinen Fall. Ich habe mit ihm anderes vor, aber ich gebe Euch mein Wort, daß er Euch nicht lästig fallen soll.«
Der Notar wußte jetzt, woran er war, aber er ließ nicht merken, daß er den Hauptmann durchschaute, und erwiderte:
»Ich will Euch vertrauen, Capitano. Ich werde Euch also tausend Ducatos für jeden der Toten geben, verlange aber dafür, daß der Deutsche stirbt und der Franzose verschwindet.« – »Ihr sollt Euren Willen haben, habt aber dann für den Deutschen die betreffenden fünfhundert nachzuzahlen und für den Franzosen ebensoviel zu entrichten.« – »Ihr seid ein Gauner!« – »Pah!« lachte der Brigant. »Man will ja leben und muß auch andere leben lassen!« – »Gut, Ihr sollt sie nach getaner Arbeit haben!« – »Ich brauche sogleich Geld. Ihr zahlt die Hälfte!« – »Ich habe jetzt kein Geld. Tut Eure Pflicht, dann erhaltet Ihr sogleich das Ganze. Ist Euch dies nicht recht, so muß ich von dem Geschäft absehen.« – »Wenn es so steht, so muß ich Rücksicht nehmen«, meinte der Hauptmann zögernd. »Aber glaubt nicht, daß Ihr mich um einen einzigen Ducato betrügen könnt!« – »Wann wird es geschehen?« – »Bald; der Tag läßt sich nicht so leicht bestimmen. Habt Ihr noch etwas zu bemerken?« – »Nein.« – »So sind wir für heute fertig. Lebt wohl, Señor!« – »Gute Nacht!«
Der Bandit verschwand, und der Notar schritt langsam dem Schloß zu.
»Hahaha!« lachte er leise und höhnisch vor sich hin; »du glaubst, mich betrügen zu können, alter Heuchler, aber es soll dir nicht gelingen. Ich werde dir zuvorkommen und die Sache selbst in die Hand nehmen!«