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»Und giebst doch an, ihr Kundschafter zu sein! Jetzt zappelst Du abermals in Deiner eigenen Schlinge. Ich werde einmal mit eigenen Augen nachsehen, wo sie sich jetzt befinden.«
»Wie? Ihr wollt den Papago's entgegen?«
»Ja.«
»Das ist gefährlich.«
»Pah! Du allein bist zehnmal gefährlicher als sämmtliche Papago's. Ich hatte Dich bereits fest, droben am Silbersee. Der alte Förster hat Dich entkommen lassen. Wäre das nicht geschehen, so hätten wir in Prescott Walkern mit seiner ganzen Clique gefangen genommen; das bin ich überzeugt. Du aber bist eher zu ihm gekommen als wir und hast ihn gewarnt. Jetzt, da ich Dich abermals ergriffen habe, wird es Dir weder durch List, noch durch Gewalt gelingen, abermals zu entwischen.«
Es wurde Bill himmelangst, doch sagte er mit einer sehr zuversichtlichen Stimme:
»Unter den gegenwärtigen Umständen kann eine Flucht gar nicht in meiner Absicht liegen. Ich bin vielmehr ganz froh, Euch getroffen zu haben.«
»Unsinn!«
»Ihr könnt mir helfen, die Gefangenen zu retten.«
»Das werde ich auch ohne Dich thun.«
»Ohne mich kann es Euch ja gar nicht gelingen.«
»Wieso denn?«
»Das werde ich Euch dann sagen, wenn Ihr mir erst die Fesseln abgenommen habt.«
Da lachte Steinbach wirklich herzlich auf und antwortete, sehr gut gelaunt:
»Schlauberger!«
»Herr, ich meine es ehrlich!«
»Nun, wenn Du es wirklich so sehr ehrlich meinst, so dürfen die Fesseln Dich gar nicht kränken und beunruhigen. Uebrigens würde es Deine Absichten gar nicht etwa fördern, wenn ich Dir die Hände jetzt frei gäbe; Du könntest dennoch weder fliehen, noch irgend Etwas gegen mich unternehmen. Ich würde natürlich auf meiner Hut sein. Und auf einen Kampf zwischen mir und Dir dürftest Du es erst recht nicht ankommen lassen. Du giebst doch wohl zu, daß ich Dir überlegen bin.«
»Natürlich. Ihr habt ja auch meine Waffen.«
»Die habe ich – nur sie. Ich habe nur Deinen Gürtel leer gemacht und werde Dir doch lieber einmal auch in die Taschen gucken.«
»Es ist gar nichts drin!« beeilte sich Bill zu sagen.
»Na, so ganz leer sind sie doch bei keinem Menschen. Und bei einer Reise, wie Du sie machst, hat man immer so viel einstecken, daß die Taschen oft gar nicht einmal ausreichen wollen. Ich kenne das. Laß also einmal sehen!«
Er untersuchte zunächst die Hosentaschen, welche einige werthlose Kleinigkeiten enthielten. Dann lockerte er das Lasso so weit, daß er ihm auch in die Taschen der Weste und des Rockes greifen konnte. In den Ersteren steckte eine Uhr nebst einigen anderen Bedürfnissen; aus der Brusttasche aber zog er das Portefeuille, welches Bill Newton Walkern gestohlen hatte.
»Ah, eine Brieftasche! Wem gehört sie?«
»Mir natürlich!«
»Und was enthält sie?«
»Einige Notizen und ein wenig Reisegeld.«
»Nun, das Reisegeld wirst Du wohl nicht brauchen, denn Du wirst unter meinem Schutze und auf meine Kosten reisen. Dennoch werde ich mich nicht an demselben vergreifen. Die Notizen aber werde ich mir doch einmal genau ansehen. Vielleicht kommen da alte bekannte Thatsachen und Namen vor.«
»Nein, gar nicht.«
»Nicht Ibrahim-Pascha?«
»Nein.«
»Oder Mohammed es Sadak Bey von Tunis?«
»Auch nicht.«
»Oder Tschita, Gökala?«
»Kein einziger von diesen Namen.«
»Will mich doch selbst überzeugen!«
Es wurde Bill himmelangst. Er hatte, sobald der Tag angebrochen war, die Brieftasche geöffnet und Alles gelesen. Es stand nicht nur der Name des rechtmäßigen Besitzers darin, sondern noch viel Anderes, wofür Steinbach sich höchlichst interessiren mußte.
Dieser hatte jetzt den Verschluß geöffnet und die erste Seite aufgeschlagen.
»Sapperment!« rief er aus. »Da steht ja der Name Edmond Robin! Das ist der Name, welchen Walker angenommen hatte. Gehört die Tasche etwa ihm?«
»Nein.«
Steinbach schlug weiter auf. Er überflog Seite um Seite. Sein Gesicht wurde immer gespannter. Als er auch die letzte Seite des in die Brieftasche eingebundenen Notizbuches gelesen hatte, sagte er:
»Welch ein Fund! Und welch eine Dummheit von diesem Walker, alle seine Missethaten nebst den Summen, die sie ihm eingetragen haben, hier zu verzeichnen! Eine Brieftasche kann man verlieren, und in diesem Falle mußte Walker sich sagen, daß es ihm an Kopf und Leben gehen werde. Ihm, nicht Dir gehört die Brieftasche?«
»Ja, ich will es gestehen.«
»Du hast sie ihm gestohlen?«
»Nein. Er verlor sie, und ich fand sie.«
»Auch Diebstahl, wenn auch nur Funddiebstahl! Warum hast Du sie ihm nicht wiedergegeben?«
»Eben dieser Notizen wegen.«
»Ah! Du wolltest ihn verderben?«
»Zunächst hatte ich nur die Absicht, ihm die Tasche nur gegen Magda's Freiheit wieder zu geben.«
»Kein übler Gedanke! Aber auch wieder nur Magda! Du siehst, daß Du Dich immer wieder selbst verräthst. Was aber steckt nun hier in der Seite?«
Er zog die Banknoten heraus, zählte sie, machte ein sehr erstauntes Gesicht und fragte:
»Wem gehört dieses Geld?«
»Mir.«
»Eine so bedeutende Summe?«
»Ja.«
»Woher hast Du sie?«
»Verdient.«
»Womit?«
»Mit verschiedenen Speculationen, welche mir glückten.«
»Höre, ich denke mir, daß Du dieses Geld nur in Folge einer einzigen Speculation besitzest, nämlich in Folge eines sehr heimlichen, aber speculativen Griffes in Walkers Tasche!«
»Ich werde doch keinen Freund bestehlen!«
»Unsinn! Du hast ja eingestanden, ihm die Brieftasche gestohlen zu haben! Das Geld war drin, und es wird Dir nicht eingefallen sein, es ihm wieder zu geben. Ist es nicht so?«
»Nein.«
»So ist es anders; nämlich Du hast Dir die Tasche nicht der Notizen wegen zurückbehalten, als er sie verlor, sondern Du hast sie ihm gestohlen, weil Du wußtest, daß sich dieses Geld darin befand.«
»Ihr irrt Euch da sehr!«
»Pah! Du hast ihm in der Nacht das Geld entwendet und Dich dann schleunigst aus dem Staube gemacht. Jetzt weiß ich Alles; ich werde Dich gar nicht weiter fragen. Natürlich behalte ich die Tasche.«
»Mit dem Gelde etwa?«
»Ja.«
»Das gehört mir.«
»Und Du selbst gehörst jetzt mir, folglich ist auch das Geld mein Eigenthum. Ich werde diesen braven Sennor Walker fragen, ob er Herr desselben gewesen ist oder nicht.«
»Natürlich wird er Euch belügen und Ja sagen. Uebrigens werdet Ihr Walkern ohne mich nicht fragen, wie ich Euch bereits gesagt habe. Es liegt in Eurem Interesse, mich jetzt frei zu lassen. Wir reiten nach dem Todesthale, befreien die dortigen Leute –«
»Ist bereits geschehen, mein Lieber.«
»Wie? Wer hat es gethan?«
»Ich.«
»Ihr? Ihr seid schon dort gewesen?«
»Ja. Alles, was thun zu wollen, Du mir gesagt hast, ist bereits geschehen, und jedenfalls besser, als Du es zu Wege gebracht hättest. Monsieur Juanito ist eingesperrt, und Du wirst das Vergnügen haben, ihm Gesellschaft zu leisten. Ihr seid zwei Prachtkerls, welche sehr gut zu einander passen. Jetzt aber muß ich weiter.«
Er steckte die Brieftasche ein und sah sich nach Newtons Pferd um.
»Wo wollt Ihr hin?« fragte dieser.
»Zu Deinen Papago's.«
»Ich denke, Ihr wollt mich nach dem Thale des Todes schaffen!«
»Allerdings, aber nicht sofort. Erst habe ich Anderes zu thun. Ich werde Dich auf Dein Pferd binden und mit mir nehmen.«
»Zu den Papago's?«
»Ja.«
Da machte Bill ein höchst erschrockenes Gesicht und sagte:
»Herr, wenn sie Euch erwischen!«
»Sorge Dich nicht um mich! Aber wenn sie mich erwischen, so erwischen sie natürlich auch Dich, und dann geht es Dir nicht gut. Nicht wahr, das wolltest Du nur sagen? Ich könnte ja immerhin von ihnen ergriffen werden. Du würdest Dich sogar herzlich darüber freuen.«
»Ihr sagt so, weil Ihr mich nach den früheren, alten Vorkommnissen beurtheilt; aber ich bin wirklich anders geworden.«
»Du hast Dich also gebessert?« lachte Steinbach.
»Ja. Ich bin in mich gegangen.«
»In Dich? Das war keine schöne Gegend.«
»Nein; aber sie ist seitdem erfreulicher geworden. Ich versichere Euch, daß ich es gut mit Euch meine.«
»Das ist ja außerordentlich!«
»Aber wahr. Ich kann Euch sehr, sehr viel nützen.«
»Wieso?«
»Denkt an Vergangenes zurück!«
»Das thue ich ja eben jetzt.«
»Denkt an die Familie Adlerhorst!«
»An sie erinnere ich mich ganz besonders.«
»Ich bin bereit, Euch Alles mitzutheilen, Euch eine jede gewünschte Auskunft zu geben.«
»Schön! Ich kenne Dich, und darum frage ich: Was verlangst Du dafür?«
»Meine Freiheit.«
»Nur? Weiter nichts?«
»Natürlich auch Straflosigkeit.«
»Und das ist Alles, was Du verlangst?«
»Alles.«
»Außerordentlich wenig.«
»Meint Ihr das im Ernste?«
»Mensch, bist Du verrückt! Wie könnte ich im Ernste so sprechen! Frei und straflos willst Du sein! Du, der an Allem schuld ist!«
»Nicht ich war es, sondern Ibrahim-Pascha, welcher die ganze Schuld trug!«
»Laß Dir nicht einfallen, mir das weiß zu machen! Denke auch nie daran, Deine Freiheit wieder zu erlangen. Du wirst überhaupt wohl nicht lange Zeit gefangen sein. Man wird Dich im Gegentheile sehr bald in das Jenseits befördern.«
»Es liegt in Eurem Interesse, dies zu verhüten.«
»Das bilde Dir nicht ein!«
»Ich allein bin es, der Euch Auskunft geben kann.«
»Ich brauche Dich nicht. Ich weiß Alles.«
»Unmöglich!«
»Und was ich ja noch nicht weiß, werde ich ohne Dich erfahren.«
»Wißt Ihr denn, wo sich die Glieder der genannten Familie alle befinden?«
»Weißt Du es etwa?«
»Nun, wo denn?«
»Das sage ich Euch eben erst dann, wenn Ihr mir die Freiheit und Straflosigkeit garantirt.«
»Nun, Du wirst eben weder frei, noch straflos sein.«
»Dann mögen die Adlerhorsts in Elend umkommen. Ihr seid schuld daran!«
»Ich will das gern auf mein Gewissen nehmen. Wenn ich Einen suche, so pflege ich ihn zu finden. Ich werde auch die Adlerhorsts finden. Dich brauche ich aber nicht dazu.«
»So kann ich Euch doch wenigstens Auskunft geben, wie und warum damals Alles geschehen ist.«
»Auch das erfahre ich ohne Dich. Die Adlerhorsts werden es mir erzählen.«
»Sie wissen nicht Alles.«
»Das Uebrige weiß Ibrahim-Pascha.«
»Wo ist er? Und wenn Ihr wüßtet, wo er sich befindet, so würdet Ihr ihn doch nicht zwingen können, Geständnisse zu machen, welche ihm das Leben kosten.«
»Du bist wirklich ganz außerordentlich besorgt um unser Wohl; ich muß das anerkennen, aber ich kann für dasselbe sorgen ohne Dich. Ohne Dich wäre es überhaupt gar nie gestört worden.«
»Ihr werdet es bereuen, meine Vorstellungen jetzt nicht beachtet zu haben.«
»Pah! Kennst Du mich?«
»Ja.«
»Nun, wer bin ich?«
»Das weiß ich freilich nicht genau.«
»Nun, so mache Dir auch keine Sorge um uns! Ich bin der Mann, auch ohne Dich fertig zu werden.«
»So schont Euch wenigstens jetzt!«
»Wieso schone ich mich denn nicht?«
»Ihr wollt mit mir reiten, um die Papago's zu erkunden. Seht Ihr denn nicht ein, daß Ihr da so außerordentlich leicht erwischt werden könnt, da die Gegenwart eines Gefangenen, den Ihr mit Euch schleppt, Eure Bewegungen erschwert.«
»Da hast Du freilich Recht.«
»Ich will Euch einen Vorschlag machen.«
»Laß ihn hören! Er wird sehr gut sein, vielleicht sogar ausgezeichnet.«
»Laßt mich hier zurück!«
»Ah! Natürlich frei?«
»Nein. Bindet mich an. Auf dem Rückwege bindet Ihr mich wieder los und nehmt mich mit.«
»Und Dein Pferd –?«
»Das hängt Ihr hier in die Büsche.«
Steinbach lachte ihm in das Gesicht:
»Du bist ein famoser Kerl! Zwar sollte ich Dir den Wunsch erfüllen, und zwar nach meiner Art. Dann würden in einigen Minuten die Geier Dir das Fleisch von den Knochen fressen. Meinst Du etwa, daß ich Dich so fesseln würde, daß Du an Flucht denken dürftest?«
»Nein, das denke ich nicht.«
»Oder daß Jemand kommen und Dich befreien könne?«
»Wer sollte kommen! Nein, ich bleibe sicher da, bis Ihr zurückkehrt.«
Sein Vorschlag war ein unsinniger; aber der Grund, weshalb er ihn gemacht hatte, war weniger unsinnig. Er hatte eine entsetzliche Angst, in Walkers Hände zu fallen. Die Gefahr dazu war nahe, wenn Steinbach ihn mit sich nahm. Wurde Steinbach von den Rothen bemerkt, so gelang es ihm wohl, zu entkommen, Bill aber wäre sicherlich in die Hände der Papago's gefallen. Und dann, welches Schicksal erwartete ihn bei Walker! Entweder wurde er unter den fürchterlichsten Qualen hingerichtet oder – – er wollte den Gedanken lieber gar nicht ausdenken.
Ließ Steinbach ihn aber einstweilen gefesselt hier zurück, so war es ihm vielleicht doch möglich, sich zu befreien. Vielleicht kam Jemand vorüber geritten! Auf alle Fälle aber war es besser, Steinbachs Gefangener zu sein, als sich von Walkern ergreifen zu lassen, der ja nicht einmal sein Geld wieder bekommen konnte. Steinbach war ein edler Charakter. Er quälte seinen Gefangenen sicherlich nicht aus Lust, während ebenso sicher Walker jedenfalls bedacht sein dürfte, sich die raffinirtesten Martern für den Dieb seines Geldes auszusinnen.
Das sagte sich Bill im Stillen. Steinbach aber ging auf den Vorschlag nicht ein. Er entschied:
»Es ist überhaupt eine ganz ungeheure Dreistigkeit von Dir, mir Vorschriften machen zu wollen. Du scheinst mich entweder für einen Schwachkopf, oder Deine Lage für viel ungefährlicher zu halten, als sie ist. Nein, Dein Schicksal ist besiegelt. Und bis es Dich ereilt, gehe ich nicht von Deiner Seite. Du reitest also mit mir.«
»Wie Ihr wollt. Ihr werdet es aber bereuen!«
Steinbach ging, um Bills Pferd herbei zu holen. Als er, es am Zügel führend, zurückkam, fiel sein Auge auf die Berglehne, von welcher er vorhin Bill hatte herabkommen sehen.
Sonderbar! Auch jetzt wieder war ein solcher Punkt zu erblicken, welcher sich näherte. Schnell schaffte Steinbach die beiden Pferde hinter die Büsche, hinter welchen er Bills Annäherung abgewartet hatte, und führte auch diesen selbst hin.
»Dort kommt Jemand,« sagte er, mit der Hand nach dem Berge hin deutend.
Bill folgte mit seinem Blicke der angedeuteten Richtung und sagte, zusammenfahrend:
»Walker!«
»Möglich!«
»Er verfolgt mich, den Anderen voran! Er will der Erste sein, der mich ergreift!«
»Du fürchtest Dich?«
»Herr, er ist entsetzlich!«
»So gestehest Du ein, ihm das Geld genommen zu haben?«
Bill holte tief Athem. Das Geständniß wurde ihm doch schwer; aber er gab es doch zu:
»Ja. Ich will lieber aufrichtig sein, als ihm in die Hände fallen. Flieht, Herr, flieht!«
»Fliehen? Fällt mir nicht ein!«
»So seid Ihr verloren!«
»Meinst Du?«
»Ja. Seht weiter oben auf dem Berge. Seht Ihr die Lanzenspitzen flimmern?«
»Ja.«
»Das sind die Papago's. Sie kommen. Sie kommen über den Berg herüber.«
»Vielleicht sind sie es doch.«
»Vielleicht? Nein, nicht vielleicht, sondern ganz gewiß sind sie es. Jetzt sehen sie uns noch nicht. Jetzt können wir ihnen noch entkommen.«
»Pah! Ich würde ihnen entkommen, und wenn sie bereits hier vor dem Busche hielten!«
»Seid nicht zu verwegen! Ihr kennt sie nicht!«
»Und sie mich nicht!«
Er trat zu seinem Pferde und zog das Fernrohr aus der Satteltasche. Als er durch dasselbe blickte, hielt Bill den voran eilenden Reiter im Auge. »Er reitet Galopp,« sagte er. »Er nähert sich schnell. Jetzt ist es bereits zu spät. Er muß uns sehen, wenn wir den Busch verlassen wollen!«
Das klang voller Angst. Steinbach nahm das Rohr vom Auge. Er antwortete lächelnd:
»Dieser Mann mag uns immer sehen! Er ist uns keineswegs gefährlich.«
»Ist es nicht Walker?«
»Nein.«
»Gott sei Dank!«
Doch einsehend, daß dieser Freudenausruf ganz unbegründet sei, fügte er hinzu:
»Aber die Papago's da hinten!«
»Sie sind es nicht.«
»Wer sonst?«
»Es sind meine Apachen und Maricopa's.«
»Herrgott!«
Er war leichenblaß geworden. Mit zitternder Stimme fragte er:
»Haltet Ihr das denn für möglich?«
»Sogar für gewiß.«
»Sie können doch nicht hier sein! Sie waren ja noch weit hinter uns! Sie wären doch jetzt vor den Papago's, und das werden sie nicht wagen.«
»Sie wissen jedenfalls, was sie thun. Und seht den vorderen Reiter! Er ist ein alter Bekannter von Euch. Ihr werdet Euch freuen, ihn wiederzusehen.«
»Woher soll ich ihn kennen?«
»Vom Silbersee aus. Jetzt könnt Ihr ihn bereits deutlich sehen. Bemerkt Ihr, wie dick er ist.«
»Ja. Alle Teufel! Sollte das Sam Barth sein?«
»Ja, er ist es.«
Da blickte Bill sich schnell nach seinem Pferde um; zugleich aber überzeugten ihn die Schmerzen, welche ihm von den Fesseln verursacht wurden, daß der Gedanke an Flucht geradezu ein Wahnsinn sei.
»Wollt Ihr fort?« fragte Steinbach, welcher den Blick bemerkt hatte. »Es wäre jammerschade, wenn Ihr der Gesellschaft, welche da kommt, Euern Anblick entziehen wolltet!«
Bill achtete gar nicht darauf, daß er wieder Ihr anstatt Du genannt wurde. Er fühlte nur die Schmach, sich von diesen Leuten ansehen zu lassen, vor ihnen als Gefangener zu erscheinen. Er wendete alle seine Kräfte an, die mit dem Lasso an den Leib gebundenen Arme zu bewegen – es gelang nicht. Er knirrschte grimmig mit den Zähnen, mußte sich aber nachgedrungen in sein Schicksal ergeben.
Je näher der dicke Sam kam, desto deutlicher konnte man sehen, daß sein Auge während des schnellen Rittes am Boden hing. Er verfolgte jedenfalls Bills Fährte. Er ritt an dem Busch vorüber und kam an die Stelle, wo Bill überwältigt worden war. Da hielt er sein Pferd an, stieg ab und untersuchte den Boden. Plötzlich blickte er nach dem Busch herüber, konnte aber weder die Pferde, noch die beiden Männer sehen, welche ganz auf der anderen Seite standen.
Steinbach hatte sich niedergekniet und blickte durch das Gezweig. Er wollte gern sehen, wie Sam sich verhalten werde.
Der Dicke hatte die Spur bemerkt, welche von jener Stelle aus nach dem Busche herüberführte. Er mußte erkennen, daß sie ganz neu sei, daß sich vielleicht der Betreffende noch hinter dem Busche befinde.
Im Nu stand er hinter seinem Pferde, lenkte dieses in weitere Entfernung hinüber und dann in einer Kreislinie um den Busch herum. Auf diese Weise mußte eine auf ihn gerichtete Kugel wohl eher sein Pferd als ihn treffen.
Da plötzlich blieb er halten. Er hatte Steinbach gesehen, welcher an der Erde saß und gar nicht so that, als ob er ihn bemerke. Bill blickte schon gar nicht hin zu ihm.
»Heiliger Strohsack!« rief er aus. »Was ist denn das?«
Jetzt drehte Steinbach sich langsam um.
»Sam! Ihr seid es?«
»Ja. Wer denn sonst? Haltet Ihr mich etwa für eine Kirchthurmspitze? Die würde um ein Weniges dünner sein als ich. Was treibt Ihr denn hier?«
»Allerlei Kurzweil.«
»Wir vermuthen Euch im Todesthale!«
»Ihr seht, daß ich nicht dort bin.«
»Freilich. Ihr seid ausgerückt. Und zwar nicht allein, sondern in Begleitung eines – – –«
Er hielt erstaunt inne. Erst jetzt konnte er, da er näher gekommen war, Bill, welcher hinter seinem Pferde gestanden, deutlicher sehen.
»Ein Gefangener!«
»Ja, wenn Ihr erlaubt, lieber Sam.«
»Wer ist es denn? Wollen uns einmal seine vordere Seite betrachtend
Er trat zu Bill, welcher ihm den Rücken zugekehrt hatte, sah ihm in das Gesicht und rief sogleich:
»Alle guten Geister – – fressen Schusterkleister! Ist das denn nicht jener famose Schlingelschlangel?«
»Welchen meint Ihr?«
»Den wir droben am Silbersee festgenagelt hatten, der aber nach unserm Fortgange höchst undankbar davongelaufen ist.«
»Ja, er ist es.«
»Wie heißt er gleich?«
»Bill Newton.«
»Und war früher Derwisch! Ja, jetzt besinne ich mich. Na, Bursche, freue Dich, daß wir den Derwisch derwischt haben! Es soll Dir bei uns so wohl gehen, daß Du denkst, die lieben Engel im Himmel spielen Ziehharmonika! Wie ist er denn da in Euer Lasso gelaufen, Master Steinbach?«
»Er begegnete mir hier. Er kam von den Papago's und wollte nach dem Todesthale.«
»Na, wo er herkommt, das weiß ich ja. Der Kerl hat Geld gemaust.«
»Wie? Das wißt Ihr?«
»Ich war doch dabei!«
»Als er es mauste?«
»Ja. Er schnitt Walkern die Brieftasche aus dem Gürtel. Der Kerl ist ein blaues Spitzbubenwunder. Der hat es weg! Aber der Aufruhr nachher, als er fort war!«
»So nahe waret Ihr, Sam?«
»Und wie! Ich saß so, daß Walker mich gleich mit der Hand erreichen konnte. Sie hielten mich in der Dunkelheit für einen Stein. Hihihihi! Sam Bart ein Stein! Das kann nur hier vorkommen, drüben in Herlasgrün aber niemals. Ich hörte die ganze Unterhaltung. Dieser liebe Bill Newton oder vielmehr der frühere Borstwisch – oder Flederwisch, ich weiß nicht so genau, wie es heißen muß, aber wischen thut es sich – hatte es nämlich auf unsere liebe, kleine Miß Magda abgesehen – – –«
»Also doch!«
»Leugnet er es etwa?«
»Ja.«
»Pah! Alle Leute in Amerika wissen es ja! Er wollte mit ihr in das Kraut und sie dann natürlich irgendwo sitzen lassen. Jetzt sitzt er freilich selber, und zwar in der Patsche!«
Er klopfte Bill vertraulich auf die Achsel und sagte im freundlichsten Tone zu ihm:
»Na, alter Schwammberger, bei uns wirst Du es gut haben! Zu jeder Mahlzeit gekochte Hiebe, gebackene Ohrfeigen und in Butter geschmoorte Maulschellen. Das legt Fleisch an, sage ich Dir! Ja, bei uns lebt man gut, das kannst Du zum Beispiel mir da gleich ansehen! Bist uns leider da oben am See durchgegangen, hier aber wieder eingegangen, und so wirst Du von uns wohl nicht übergangen werden.«
Und zu Steinbach gewendet, fuhr er in seinem von ihm selbst unterbrochenen Berichte fort:
»Also er hatte es auf Miß Magda abgesehen; das aber merkten die Andern und legten sich dazwischen. Sie wollten ihn nach dem Todesthale in das quecksilberne Bergwerk schaffen, als Gefangenen nämlich. Er aber belauschte sie, und ich wiederum belauschte ihn und sie. Er salvirte sich heimlich und nahm sich das Reisegeld mit. Er muß es irgendwo stecken haben.«
»Es steckt hier,« meinte Steinbach, mit der flachen Hand an seine Tasche klopfend.
»Hat ihm schon? Das ist sehr gut! Theilen wir?«
»Nein.«
»Pfui Teufel! Da riecht es müffig! Der Diebstahl wurde sofort entdeckt, und Walker ist gleich mit dreißig Papago's auf den besten Pferden hinter ihm her. Da bekam ich Sorge um Euch, Master Steinbach, und habe mich mit den Freunden aufgemacht, um den Papago's zuvorzukommen.«
»Mit allen?«
»Ja, mit allen Vierhundert.«
»Und seid Ihr ihnen wirklich vor?«
»Bis jetzt nur um einige hundert Pferdelängen, denke ich mir.«
»Habt es ihnen doch nicht merken lassen?«
»Fällt uns nicht ein! Meint Ihr etwa, daß wir Eiergräubchen im Kopfe haben oder Pflaumenmus?«
»So habt Ihr einen Bogen um sie geritten?«
»Natürlich. Sie gehen etwas weiter unten über die Berge und werden gar nicht auf unsere Fährte kommen. Die »starke Hand« kennt die Gegend. Er macht den Führer. Nur als ich die Spur dieses famosen Strohwisches – wollte sagen Derwisches bemerkte, bin ich vorausgeritten, um zu sehen, ob ich über sie klug werden könne. Ich dachte freilich nicht, daß ich dabei schon auf Euch treffen würde.«
»Wo sind denn die Gefangenen?«
»Noch bei den andern Papago's. Sie werden wohl heute gegen Abend in das Todesthal kommen. Wie aber kommt Ihr hierher?«
»Das will ich aufheben bis nachher. Ich muß es doch den Andern erzählen, und da könnt Ihr es ja auch mit anhören.«
»Schön! Sagt mir nur einstweilen das Eine, ob Ihr Erfolg gehabt habt?«
»Ich bin sehr zufrieden.«
»So bin ich es auch. Seht, da kommen sie schon. Sie haben mein Pferd stehen sehen und also gemerkt, daß es Etwas hier giebt.«
Die bei den Apachen befindlichen Weißen hatten sich von den Rothen getrennt und waren im Galopp voraus geritten. Die beiden Häuptlinge waren bei den Ihrigen geblieben. Sie hatten es nicht Ihrer Würde gemäß gehalten, neugierig zu sein.
Der Lord war der Vorderste.
»Ah, Master Steinbach!« rief er. »Ihr hier! Das ist ein gutes Zeichen. Wir kamen, um Euch zu retten.«
»Danke, Sir! War nicht so dringend.«
»Desto besser. Ihr seid nicht allein? Wer ist denn dieser – – ah, gefesselt!«
»Wie Ihr seht!«
»Wer ist denn der Kerl?«
»Seht ihn Euch einmal an!«
Er ritt um Bills Pferd, hinter welchem dieser stand, herum und sah ihn an. Die Beiden erkannten sich. Der Lord riß den Mund sperrangelweit auf, konnte erst vor Erstaunen kein Wort hervorbringen und sagte dann im Tone des größten Erstaunens:
»Ist das möglich, Master Steinbach? Oder täusche ich mich vielleicht?«
»Was meint Ihr denn?«
»Ja.«
»Allah il Allah! Allüberall Allah! Hätte ich doch meinen Regenschirm mit nach Amerika genommen!«
»Warum?«
»Wißt Ihr nicht mehr, daß ich diesem Menschen, als er mir in Constantinopel nachlief, mit dem Schirm in's Gesicht gefahren bin? O Du Haupthallunke! Und dann in Tunis hat er uns solche Mühe gemacht! Na, gut, daß wir Dich haben! Laßt ihn um Gotteswillen nicht wieder entwischen! Der Kerl ist für uns die Hauptperson. Komm doch einmal her, lieber Hermann!«
Sein Cousin lenkte sein Pferd herbei. Als Bill Newton ihn erblickte, zuckte er zusammen. Er erkannte ihn. Hermann von Adlerhorst entfernte sich wieder. Er war zu stolz, einen Gefangenen mit Worten zu quälen. Der Lord aber deutete auf ihn und fragte Bill:
»Kennst Du ihn noch?«
Es erfolgte keine Antwort.
»Den Du verderben wolltest! Weißt Du noch, daß Du ihn nach dem Kirchhofe von Stambul locken ließest? Er sollte Zykyma dort sehen. Er war aber klüger als Ihr und entkam Euch. Wir werden mit Dir zusammenrechnen!«
»Laßt ihn jetzt!« meinte Steinbach. »Da kommen die Indianer. Hebt ihn auf das Pferd und bindet ihn an. Paßt aber gut auf ihn auf!«
»Das werde ich besorgen, ich und Tim,« sagte Jim.
Die beiden Brüder nahmen den einstigen Derwisch auf ihre Arme, setzten ihn auf das Pferd und banden ihm unter dem Bauche desselben die Beine zusammen. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, Jim rechts und Tim links von dem Gefangenen, welcher das Auge nicht ein einziges Mal erhob, um einen der Männer anzusehen.
Er erkannte jetzt, wie schnell sein Schicksal sich geändert hatte. Vor wenigen Minuten im Besitz einer so großen Summe und voller Hoffnung, in den Besitz Magda's zu gelangen, war er jetzt der Gefangene seiner Todfeinde. Das Allerschlimmste aber war die Erkenntniß, daß er an eine Rettung nicht denken dürfe. Die Apachen und Maricopa's waren den Papago's weit überlegen und kannten auch deren Absichten. Und selbst wenn die Papago's gesiegt hätten, wäre Bill in ihre Hände gefallen, und dann harrte seiner ein Schicksal, welches er sich gar nicht schlimm genug ausmalen konnte.
Er fluchte in seinem Innern; er dachte an Gott und den Teufel. Von dem Ersteren hatte er keine Rettung zu erwarten, aber der Teufel – ach, wenn es doch einen Teufel gäbe! Wenn die Geschichte von Doctor Faust doch keine bloss Sage wäre! Er hätte gern und willig dem Satan Leib und Seele unter der Bedingung verschrieben, ihn heute zu befreien und dann Gelegenheit zu geben, sich an Denen, deren Gefangener er jetzt war, rächen zu können.
Der Ritt wurde in ungeminderter Eile fortgesetzt. Jetzt konnte auch Steinbach den Führer machen. Er ritt mit allen Denjenigen, welche sich für seine jüngsten Erlebnisse interessirten, voran, und erzählte ihnen, was er in dem Thale des Todes gethan und erfahren hatte.
So verging ein großer Theil des Nachmittages, ehe man in die Gegend des Thales kam.
»Die Papago's werden doch nicht bereits da sein!« meinte er.
»Seit Ihr besorgt?« fragte Sam.
»Besorgt? Mit vierhundert tapferen Kriegern gegen dreißig Feinde?«
»Na also!«
»Angst habe ich nicht, so weit meine Person und Ihr Alle in das Spiel kommt. Aber Günther ist der einzige kampffähige Mann im Hause Roulins. Wenn die Papago's schon hier wären, so könnte leicht Etwas geschehen sein, was uns einen Strich durch die Rechnung macht.«
»Hm! Ich glaube nicht, daß sie schneller geritten sind als wir. Freilich, nach Spuren brauchen wir uns gar nicht umzuschauen. Der Boden besteht aus nacktem, glattem Fels, wo es keine Spur giebt. Treiben wir unsere Pferde noch recht an!«
Im Galopp ging es auf den östlichen Eingang zu und in das Thal hinein. Bald war das Gebäude zu erkennen, und dann hielten sie vor dem Thore desselben.
Steinbach klopfte laut an. Bereits nach kurzer Zeit wurde geöffnet. Günther von Langendorff erschien.
»Gott sei Dank!« jubelte er, als er die Freunde erblickte.
»Gott sei Dank!« seufzte auch Steinbach erleichtert auf.
Er hatte mehr Sorge gehabt als man ihm angemerkt hatte. Günthers Auge schweifte über die stattliche Schaar der Apachen hinweg und blieb auch auf dem gefangenen Bill Newton heften. Steinbach erklärte ihm in kurzen Worten, wie er sich dieses Mannes bemächtigt habe, und fragte:
»Wie steht es in dem Hause?«
»Alles wohl. Es ist nicht die mindeste Störung vorgekommen. Die armen Teufel essen und trinken in Einem fort und haben sich bereits ganz sichtlich erholt.«
»Niemand dagewesen?«
»Kein Mensch.«
»So wollen wir jetzt hinein; das heißt wir Bleichgesichter und die beiden Häuptlinge. Wir haben zu berathen. Die rothen Krieger bleiben einstweilen hier. Einige von ihnen aber, welche die schnellsten Pferde haben, mögen zurückkehren, eine ziemliche Strecke vor das Thal hinaus, um uns zu melden, wenn die Papago's kommen. Unsere Pferde aber lassen wir auch vor dem Hause.«
»Warum?« fragte der Lord.
»Ich habe meine Absicht. Später davon.«
Sie stiegen ab und schritten durch den engen Eingang in den Hof. Dort stand der ›schnelle Wind,‹ der Apache, welcher im Quecksilberwerke gefangen gewesen war. Die ›starke Hand,‹ der Häuptling, war sein Oheim. Steinbach hatte ihn grüßen sollen, hatte es aber nicht gethan. Er wollte einmal ein so unverhofftes Wiedersehen mit beobachten. Der Indianer läßt Fremden nie seine Gefühle ahnen. Die ›starke Hand‹ hatte seinen Neffen, den ›schnellen Wind,‹ für todt gehalten; hier sollte er ihn lebend wiedersehen. Wie würde er sich wohl dabei verhalten?
Er trat gleich hinter Steinbach in den Hof. Steinbach that einen Schritt zur Seite und richtete den Blick auf den Häuptling. Dieser sah seinen Neffen und erkannte ihn trotz seines fürchterlich leidenden Aussehens. Keine Muskel seines Gesichtes zuckte; nicht die Wimper bewegte sich. Er schritt würdevoll auf den Neffen zu, reichte ihm ebenso würdevoll die Hand und sagte:
»Der ›schnelle Wind‹ ist nicht in die ewigen Jagdgründe gegangen, wie die Krieger der Apachen glaubten. Er sei gegrüßt und mag mit nach unsern Wigwams zurückkehren.«
Auch der Neffe behielt seine Würde bei. Er fragte den Onkel nur:
»Hat Dir das Bleichgesicht nicht gesagt, daß ich hier sei?«
»Nein. Er brauchte es nicht zu sagen; er wußte ja, daß ich ohnedies kommen werde.«
Steinbach wendete sich an Günther:
»Sind die beiden Gefangenen noch in demselben Raume eingesperrt?«
»Ja. Sie haben sich vollständig ruhig verhalten.«
»So will ich hier diesen noch zu ihnen schließen.«
Er deutete auf Bill Newton. In diesem Augenblicke aber sah er Adler aus einer Thür des Hofes kommen. Er mußte ein vorschnelles Zusammentreffen desselben mit Hermann von Adlerhorst, welcher doch Adlers Bruder war, verhüten, zog den Schlüssel, welcher die Handschellen öffnete, aus der Tasche, gab ihn an Günther und sagte:
»Hier, übernimm Du es. Ich muß zu Adler. Nimm Bill das Lasso ab und lege ihm Arm- und Beinschellen an. Aber sorgfältig.«
Dann eilte er Adlern entgegen und bat ihn, in die Stube, aus welcher er gekommen war, zurückzutreten. Adler that es, und dann führte Steinbach Hermann von Adlerhorst zu ihm.
Es stand kaum zu erwarten, daß diese Beiden sich gleich im ersten Augenblicke wieder erkennen würden; dennoch mußte man bei diesem Wiedersehen vorsichtig sein, weil Adler so sehr geschwächt war und seine Mutter erst vorbereitet werden mußte, sie also keinen Freudenlaut hören durfte, der ihr Kunde von der Anwesenheit eines ferneren Sohnes gegeben hätte und ihrer fast zerstörten Constitution ganz sicher höchst gefährlich geworden wäre. Sie fühlte sich doch bereits durch das gestrige Wiedersehen mit Adler höchst angegriffen.
»Wohin führen Sie mich?« fragte Hermann von Adlerhorst.
»Ich will Ihnen eine Person zeigen, für welche Sie sich interessiren werden.«
»Wer ist es?«
»Versuchen Sie, es selbst zu errathen, nachdem Sie ihn gesehen haben.«
»Es ist also ein Herr?«
»Ja. Bitte, warten Sie!«
Er ließ ihn vor der Thür stehen und trat erst selbst in die Stube.
»Wie beruhigend, daß Sie wiedergekehrt sind,« meinte Adler. »Wir hatten Sorge um Sie. Warum schickten Sie mich hierher zurück?«
»Zunächst um Sie zu fragen, ob Sie sich schon stärker fühlen, als Sie gestern waren.«
»Bedeutend. Wir Alle haben gegessen, gegessen und immer wieder gegessen. Der kleine Weinvorrath, welcher vorhanden ist, wird rasch aufgezehrt sein, wenn wir so fort machen.«
»Das ist nur sehr recht!«
»Es ist unglaublich, was ein Mensch, der Jahre lang nur gehungert und gearbeitet hat, verzehren kann. Wir wollen vorsichtig sein – – –«
»Das ist schön,« lächelte Steinbach.
»Aber es ging wirklich nicht. Wenn wir glaubten, satt zu sein, so erwachte beim Anblicke der Speisen der Hunger von Neuem und noch stärker, als er vorher gewesen war. Ich fühle mich stark genug, mit einem Löwen zu kämpfen.«
»Auch seelisch?«
»Ja.«
»Sie bringen eine böse Nachricht?«
»Im Gegentheile eine sehr gute.«
»Dann schnell her damit. An der Freude sterbe ich nun nicht erst.«
»O, auch die Freude kann gefährlich werden!«
»Mir nun nicht! Die größte Freude meines Lebens, das größte Entzücken war es gestern Abend, mich frei und erlöst zu sehen. Es hat mich nicht getödtet. Nun bin ich geharnischt gegen alles Andere.«
»Wollen es versuchen. Aber halten Sie sich tapfer!«
Er öffnete die Thür.
»Bitte, kommen Sie herein!«
Hermann von Adlerhorst trat ein. Da die Dämmerung noch nicht angebrochen war, gab es selbst an diesem fensterarmen Orte Licht genug, daß die beiden Brüder sich sehen konnten.
Martins Auge fiel auf Hermann. Gleich in demselben Augenblicke schrie er auf:
»Hermann! Ists möglich!«
Er streckte die Arme aus, doch hielt ihn die freudige Ueberraschung oder vielmehr der freudige Schreck die Füße fest. Er hatte in der langjährigen Zeit des Leidens sein Aussehen verändert; darum wurde er von dem Bruder nicht erkannt. Aber sein Ausruf, seine Stimme ließen diesem ahnen, wen er vor sich habe. Hermann trat einen Schritt näher und fragte in staunendem Jubel:
»Welch eine Stimme! Martin, wärst Du es?!«
»Ja, ich bin es.«
»Herr, mein Gott! Du hier!«
Sie stürzten sich in die Arme und hielten sich fest umschlungen. Dann ließen sie sich los, traten von einander zurück, fielen sich, nachdem sie einander angeblickt hatten, wieder in die Arme, um sich innig zu küssen.
So ging es eine Weile fort, bis sie endlich wieder Worte fanden.
»Welch ein Tag! Welch eine Wonne!« rief Hermann. »Du hier, Du! Wer hätte so Etwas ahnen, auch nur träumen können!«
»Und ich von Dir! Freilich erfuhr ich bereits gestern Abend, daß Du in Amerika seiest.«
»Von wem?«
»Von Steinbach.«
»Ah, von ihm!«
»Du kamst mit ihm. Du mußt also mit ihm gesprochen haben. Hat er Dir nicht gesagt, daß Du mich hier finden würdest?«
»Nein.«
»So hat er Dich überraschen wollen.«
»Gewiß! Mich und den Lord.«
»Welchen Lord?«
»Eagle-nest, unsern englischen Cousin.«
»Ja, ja! Er ist ja auch hier, wie Steinbach sagte. Du befindest Dich bei ihm, in seiner Gesellschaft?«
»Ja, ich reise mit ihm. Er ist mit hier.«
»Soll ich ihn denn holen?«
»Sofort, sogleich!«
»Nicht später? Wir Beide haben uns ja kaum nur zwei Augenblicke gehabt! Wir haben uns so viel, so sehr viel zu erzählen.«
»So viel, daß wir in Monaten nicht fertig werden. Darum wollen wir lieber jetzt noch nicht beginnen. Ich bin gefangen gewesen, habe Jahre lang kein Menschengesicht gesehen. Jetzt ist ein Freund da, gar ein Verwandter. Warum soll ich ihn nicht sofort begrüßen?«
»Wie Du willst. Du sollst ihn sofort sehen.«
Er öffnete die Thür, um hinaus zu eilen. Da erblickte er den Lord, welcher über den Hof herüber kam und schon von Weitem meldete:
»Was mir nur dieser Steinbach zumuthet!«
»Ist es denn etwas gar so Schlimmes?«
»Eigentlich nicht schlimm, aber doch sehr sonderbar.«
»Nun, was denn?«
»Ich soll Dich fragen, von welchem Dichter die Worte sind:
Getheiltes Leid ist doppelt Leid,
Getheilte Freud' ist doppelt Freud'.«
»Das hat er anders gemeint. Soeben habe ich eine ganz außerordentliche Freude erlebt. Er schickt Dich zu mir, damit ich diese Freude mit Dir theilen soll, lieber Vetter.«
»Nun, so schneide sie auseinander, und gieb mir meine Hälfte!«
»Sogleich! Komm herein!«
Er führte den Lord in die Stube, zeigte auf Martin und sagte:
»Hier steht die Freude, von welcher ich spreche, verkörpert, Cousin.«
Der Lord betrachtete Martin und sagte dann:
»O wehe!«
»Warum o wehe?«
»Den können wir ja nicht zerschneiden.«
»Nein, aber haben dürfen wir ihn alle Beide.«
»Weißt Du denn, ob ich ihn haben will?«
»Ich hoffe es zuversichtlich.«
»Na, wer ist er denn?«
»Rathe einmal!«
Martin's bleiches, eingesunkenes Gesicht blickte ihm freudig lächelnd entgegen. Der Lord legte den Kopf leise auf die Seite und sagte:
»Hm! Kenne ihn nicht. Scheint kein übler Kerl zu sein, muß aber vorher tüchtig herausgefüttert werden.«
»Er hat hier unendlich viel gelitten. Er war einer der Gefangenen, welche hier im Quecksilberbergwerke arbeiten mußten.«
»Das ist freilich schlimm! Quecksilber soll man weder essen noch trinken. Es soll etwas schwer verdaulich sein. Wie heißt der Sir?«
»Das eben sollst Du errathen!«
»Unsinn! Wer kann unter den vielen Millionen Namen, welche es giebt, den richtigen finden!«
»Nun, er heißt Adler.«
»Wie? Was? Adler? Also Der, welchen Steinbach so lange Zeit gesucht hat?«
»Ja.«
»Verteufelt, verteufelt! Das freut mich ungeheuer, ungeheuer! Willkommen, Master Adler. Hoffe, daß wir gute Freunde sein werden!«
Er streckte ihm die Hand entgegen. Martin schlug ein und sagte:
»Das sind wir bereits.«
»Bereits? So? Schön! Ist mir lieb.«
»Wir sind sogar Verwandte!«
»Verwandte? Hm! Doch nicht!«
»Doch! Ich heiße nicht nur Adler, sondern in früheren Jahren fügte ich meinem Namen noch eine Sylbe bei, welche so viel wie ›Nest‹ bedeutet.«
»Doch nicht etwa ›Adlerhorst‹?«
»Ja, genau so heiße ich.«
Da riß der Lord nach seiner bekannten Weise vor Erstaunen den Mund auf, daß man ihm beinahe bis in den Schlund hinabsehen konnte, fuchtelte einige Male mit den langen Armen in der Luft herum und sagte sodann:
»Ich platze vor Freude auseinander!«
»Es scheint wirklich so,« lachte Hermann. »Wenigstens schnappst Du ganz bedeutend nach Luft.«
»O, nicht nur nach Luft, sondern nach allem Möglichen, besonders nach dem Verständniß dafür, daß ein Adlerhorst hierher kommen und sich so aushungern lassen kann.«
»Auch Du, ein Adlerhorst, bist ja hier.«
»Nun freilich, ja.«
»Und gar so sehr wohlgenährt siehst Du auch nicht aus.«
»Mach keine dummen Witze in dieser ernsten Angelegenheit! Also wirklich ein Adlerhorst! Aber mit welchem Vornamen?«
»Ich heiße Martin.«
»Schön! So weiß ich wenigstens, wie ich Dich zu nennen habe. Alles Andere später; jetzt hast Du mich vor allen Dingen regelrecht zu umarmen, damit ich es auch fühle und nicht nur sehe, daß Du da bist!«
»Mit dem allergrößten Vergnügen!«
Er folgte der Aufforderung, welche in so eigenartiger Weise an ihn gerichtet war. Dann meinte der Lord:
»Und nun erzähle, wie Du eigentlich hierher hast kommen können!«
»Davon später. Ebenso könnte ich Euch vor allen Dingen fragen, wie Ihr Beide nach dem Thale des Todes gekommen seid; aber jetzt giebt es etwas viel Wichtigeres. Hat Steinbach Euch gesagt, wen Ihr hier finden würdet?«
»Ja.«
»Nun, wen?«
»Arme Menschen, welche mit Gewalt und List in den Berg gebracht und dort angeschmiedet worden sind.«
»Hat er Namen genannt?«
»Nein; nur den einen – Hauser.«
»Gerade diesen Meine ich. Von welchen Personen hat er da gesprochen?«
»Von Vater, Mutter und Tochter.«
»Euch aber nicht gesagt, in welchem Verhältnisse sie zu uns Dreien stehen?«
»Nein.«
»So hat er es auch hier auf eine Ueberraschung abgesehen. Du wirst Dich des Namens Hauser wohl noch aus früheren Zeiten erinnern, lieber Hermann?«
»Ja. Meinst Du etwa den Lieblingsdiener unserer Mama?«
»Ja, gerade ihn meine ich.«
»Du willst doch nicht sagen, daß er und der Hauser, um welchen es sich hier handelt, identisch sind?«
»Er ist es.«
»Herrgott! Wie ist das möglich!«
»Hauser ist seit damals verschwunden. Er ist nach Amerika gegangen.«
»Weißt Du das gewiß?«
»Natürlich!«
»Mutter ist doch mit ihm verschwunden!« bemerkte Hermann hastig.
»Er hat sie in seinen Schutz genommen, indem er sie für seine Frau ausgab.«
»So wäre Frau Hauser vielleicht –«
Er wagte es nicht, diese freudige Vermuthung auszusprechen, Martin fiel schnell ein:
»Unsere Mutter, ja!«
»So ist sie hier?«
»Jawohl.«
»Du hast sie gesehen?«
»Sogar mit ihr gesprochen, an ihrem Herzen gelegen!«
»Sie hat sich zu erkennen gegeben?«
»Das war gar nicht nöthig; ich habe sie erkannt.«
»Dann hin zu ihr! Schnell, schnell! Führe mich! Zeige mir, wo sie sich befindet!«
»Gemach, gemach, lieber Bruder! Sie hat viel, viel erduldet und ist so schwach, daß wir sie schonen müssen. Sie muß vorbereitet werden.«
»So thue das, thue es schnell!«
»Gleich. Aber vorher muß es mir auffallen, daß Du Dich nicht nach der Tochter Hauser's erkundigst.«
»Ist auch sie etwa nicht seine eigene Tochter?«
»Nein.«
»Aber eine Adlerhorst kann sie doch nicht sein.«
»Wir hatten keine solche Schwester. Die einzige, Tschita, ist gefunden.«
»O, wir haben zwei Schwestern, jene Tschita und Magda.«
»Magda unsere Schwester! Unbegreiflich!«
»Sie wurde erst nach jener Zeit geboren. Wir haben sie also nicht gesehen, nicht gekannt, gar nichts von ihr gewußt. Jetzt ist sie leider nicht da. Sie befindet sich bei Roulin und schwebt in ziemlicher Gefahr, wie Steinbach mir sagte.«
»Was das betrifft, so kann ich Dich beruhigen. Sie schwebte in Gefahr, doch wird diese Gefahr in einigen Viertelstunden, vielleicht bereits in Minuten vorüber sein. Sie kommt nach hier.«
»Ah, nun begreife ich diesen Steinbach. Er ist aus lauter Geheimnissen zusammengesetzt. Wer mag er sein? Sicher ist er nicht das, was er scheint. Herr von Langendorff sagte mir, er sei eine Durchlaucht und Offizier – Oberst.«
»Ja, ja, doch das liegt uns jetzt fern. Ich will Mutter aufsuchen und sie auf Dich vorbereiten.«
Er ging. Nach einiger Zeit kehrte er zurück, um Martin zu Frau von Adlerhorst zu führen. Später wurde auch der Lord geholt. Die Scene dieses Wiedersehens kann nicht beschrieben werden. Solche Augenblicke dürfen nur Engel sehen. Das Auge eines Sterblichen entweiht die Heiligkeit derselben.
Während auf diese Weise die beiden Brüder mit ihrer Mutter und dem Lord so vollauf beschäftigt waren, daß sie keine Minute für die Anderen übrig behielten, hatte Langendorff den gefangenen Bill in das fensterlose Gemach geschafft, in welchem sich Juanito und die Alte in Fesseln befanden.
Er legte ihm Hand- und Fußschellen aus Eisen an und nahm ihm dann das Lasso ab. Keiner sprach ein Wart dabei. Die Thür war von Langendorff offen gelassen worden, damit er in dem sonst finsteren Raume sehen könne.
Da ließ sich ein fürchterliches Stöhnen in der einen Ecke hören. Der scalpirte Juanito war es.
»Sie kommen! Wehe, wehe! Hier liegt es!« schrie er auf.
Er lag im Wundfieber. Langendorff legte den kleinen Schlüssel, mit welchem er die Handschellen zugeschlossen hatte, auf den neben ihm an der Wand stehenden Tisch und trat zu dem Scalpirten, um sich seinen Kopf zu besehen. Er hätte den Schlüssel ebenso gut in die Tasche stecken können, es war eine ganz unwillkürliche, gedankenlose Handlung. Natürlich hatte er gar nicht etwa die Absicht, ihn liegen zu lassen, und während seiner Anwesenheit konnte er doch auch gar nicht weggenommen und mißbraucht werden. Langendorff bückte sich zu dem Verwundeten nieder, der sich trotz seiner Fesseln von einer Seite auf die andere warf. Er befühlte ihm die Stirn, sie glühte vor Hitze. Der haarlose Kopf bot in seiner Blutrünstigkeit einen schauderhaften Anblick.
Bill Newton brannte vor Begierde, sich zu befreien und zu rächen. Er hatte bereits unterwegs jede Kleinigkeit genau beobachtet und war gewillt, auch hier die Augen offen zu halten. Er sah, daß Langendorff den Schlüssel auf den Tisch legte.
»Teufel! Wenn er ihn liegen ließ!« dachte er.
Sein Blick hing begierig an dem Instrument. Dabei bemerkte er, daß an dem Kasten des Tisches auch ein kleiner Schlüssel steckte von derselben Größe. Ein Gedanke durchzuckte ihn. Wenn der Schlüssel liegen blieb, so konnte man die Schlösser der Fesseln öffnen. Aber das durfte nicht gleich geschehen, sondern erst dann, wenn ein Weg zur Flucht sich öffnete. Darum mußte man es so einrichten, daß man den Schlüssel bis dahin doch in den Händen hatte. Ein vorzeitiges Oeffnen der eisernen Schellen hätte Alles verderben können; jedenfalls wurden die Fesseln untersucht. Wie es aber anfangen, den Schlüssel behalten zu können? Das konnte nur mit Hilfe des anderen Schlüssels möglich gemacht werden.
Jetzt erhob Langendorff sich aus seiner gebückten Stellung. Bill verfolgte seine Bewegungen mit glühenden Blicken; er vermochte vor Spannung kaum zu athmen – da, er holte tief, tief Athem, Langendorff ging an dem Tisch vorüber und zur Thür hinaus, welche er hinter sich verschloß.
Es war mit größter Bestimmtheit zu erwarten, daß er sich auf den Schlüssel besinnen und schleunigst zurückkehren werde, ihn zu holen.
Bill trat zu dem Tische, zog den Kastenschlüssel aus dem Schlosse, legte ihn hin und nahm statt seiner den wirklichen Schlüssel an sich. Er steckte ihn jn den Mund und kauerte sich dann in die Ecke nieder.
Richtig! Es erschallten kaum einige Secunden später draußen eilige Schritte. Die Thür wurde aufgeschlossen, Langendorff kam herein und nahm den Schlüssel an sich, natürlich den falschen, den Tischkastenschlüssel.
Als sich dann hinter ihm die Thür wieder schloß, war es Bill zu Muthe, als ob er sich bereits mit einem Fuße in Freiheit befinde.
Nun war es still in dem dunklen Raume. Nur zuweilen ließ sich das schmerzhafte Stöhnen oder ein unbewußter Ausruf des Fiebernden hören. Die Alte hatte in der Ecke gesessen, in welche von der Thür aus kein Licht zu dringen vermochte; darum war sie nicht zu sehen gewesen. Juanito's Gestalt aber war trotz der schlechten Beleuchtung von Bill gesehen worden. Diesem wurde bei dem Stöhnen ganz bang zu Muthe. Er fragte laut:
»Wer ist hier?«
Da antwortete die Stimme der Alten:
»Wir sind Zwei.«
»Ah, noch Jemand. Wer seid Ihr?«
»Sagt mir zuvor, wer Ihr seid, ob ein Feind von Sennor Roulin.«
Die Fragerin war eingesperrt, mußte also eine Freundin Roulin's sein; darum antwortete Bill:
»Ich bin sein bester Freund und Genosse.«
»So müßt Ihr auch mich kennen.«
»Ich sehe Euch aber ja nicht. Eurer Stimme nach müßt Ihr eine ältere Dame sein.«
»Ja. Ich bin Sennora Arabella.«
»Kenne ich nicht.«
»Man nennt mich abgekürzt Sennora Bella.«
»Es giebt viele Damen, welche Bella heißen, und ich bin leider nicht allwissend.«
»Ich führe den Haushalt Sennor Roulin's.«
»Ach so! Wer ist denn der Mann, welcher so stöhnt?«
»Das ist Juanito.«
»Ah, dieser! Was ist mit ihm? Ist er krank?«
»Der Indianer hat ihn scalpirt.«
»Sapperment! Wo denn?«
»Auf dem Kopfe natürlich! Wo denn sonst!«
»Das weiß ich. Ich meine aber, an welchem Orte er überfallen wurde.«
»Ueberfallen wurden wir von den beiden Schurken, welche als Freunde kamen, uns aber als Feinde behandelten. Sie haben alle unsere Gefangenem befreit.«
»Wie ist das zugegangen?«
Sie erzählte ihm so viel, wie sie für gerathen hielt, und fragte ihn dann, wie er in Steinbach's Hände gefallen sei. Er antwortete:
»Roulin schickte mich hierher, um seine Ankunft zu melden; da wurde ich überfallen.«
»Dem Himmel sei Dank! Er kommt! Aber wann?«
»Heute Abend.«
»So wird er uns befreien!«
»Das bildet Euch nur ja nicht ein. Draußen vor dem Hause halten vierhundert Apachen und Maricopa's, welche ihn empfangen werden. Er selbst wird also gefangen genommen.«
»Mein Gott! Wie werden wir frei!«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Es ist schrecklich! Ich glaube, diese Menschen werden uns tödten!«
»Ich bin sehr überzeugt davon.«
»Laßt uns zur Madonna beten, daß sie uns einen Erlöser sendet!«
»Treibt keinen Spott! Die Madonna wird sich um unsere Befreiung bekümmern! Wir haben so viel auf dem Gewissen, daß sie, ganz im Gegentheile, Gott bitten muß, uns mit ewiger Verdammniß zu bestrafen.«
»Ihr seid ein sonderbarer Tröster!«
»Ich will damit nur sagen, daß wir weder von Menschen, noch von Engeln Hilfe zu erwarten haben. Wir können uns nur auf den Teufel und auf uns selbst verlassen.«
»Redet nicht so schaurig!«
»Ihr seid im Hause bekannt; ich war noch niemals hier. Denkt einmal nach, auf welche Weise wir uns helfen könnten!«
»Wären wir nur erst die Fesseln los?«
»Was dann? Wißt Ihr Etwas?«
»Noch nicht.«
»So nützt es uns auch nichts, wenn wir nicht gefesselt sind.«
»Wir könnten hier ausbrechen –«
»Und uns wieder festnehmen lassen.«
»Wir tödten Alle.«
»Ihr und ich? Vierhundert Mann tödten? Pah! Ja, wenn es möglich wäre, sich heimlich fortzuschleichen. Wie viele Ausgänge giebt es hier?«
»Nur einen.«
»Verdammt! So können wir selbst durch List nicht hinaus. Es muß doch wenigstens aus dem Bergwerk ein Stollen in das Freie führen.«
»Nein, das weiß ich ganz gewiß.«
»Nun, so ist es aus mit uns. Wir werden in sehr kurzer Zeit im Himmel sein, wenn man es nicht vorzieht, uns einen glühenden Schaukelstuhl in der Hölle anzuweisen.«
»Hu! Redet nicht so! Schweigt lieber!«
Und er schwieg, sie auch. Der Gedanke, daß es ihm unmöglich sei, sich zu befreien, machte ihm im Augenblicke nicht so viel zu schaffen, wie der andere, daß er noch heute mit Roulin und Walker zusammengesteckt werden könne. Er war ein Bösewicht ersten Ranges, aber es graute ihm doch vor diesem Wiedersehen. Er fragte sich, ob er es sagen solle, daß er den Schlüssel besitze, doch bereits nach kurzer Ueberlegung kam er zu dem Entschlusse, sein Geheimniß wenigstens jetzt noch für sich zu behalten.
Unterdessen hatte Langendorff Steinbach aufgesucht, um ihm den Schlüssel zurückzugeben. Der ›schnelle Wind‹ wurde an die Thür der Gefangenen beordert, um sie zu bewachen. Dann berieth man sich über den Plan, welchen man gegen Walker und die Papago's anwenden wolle.
»Sie müssen Alle sterben!« sagte die ›starke Hand‹.
»Ein Jeder soll sein Verbrechen büßen!« antwortete Steinbach. »Wer aber kein Verbrecher ist, soll geschont werden. Die Papago's sind an den Verbrechen der Bleichgesichter unschuldig.«
»Sie helfen ihnen aber!«
»Sie ahnen nicht, daß sie es mit so bösen Menschen zu thun haben. Vor allen Dingen werden wir Menschenblut schonen. Vielleicht gelingt es uns, diese dreißig Papago's ohne Kampf zu überwältigen.«
»Wie will mein weißer Bruder dies anfangen?«
»Meine rothen Brüder werden sich draußen verbergen, so daß sie von den Feinden nicht gesehen werden. Diese Letzteren kommen ungehindert in das Haus und werden eingelassen. Da aber stecken hundert Apachen, welche sie sofort in Empfang nehmen.«
»Das ist sehr gut!«
»Ich werde sogleich den Befehl dazu geben. Der Häuptling der Maricopa's mag mich begleiten. Er ist ein kluger Krieger und wird einen Ort finden, wo er mit den rothen Kriegern von den Papago's nicht gesehen wird.«
Er ging mit dem Häuptling ›scharfes Beil‹ vor das Haus hinaus, wo die Rothen hielten. In diesem Augenblicke kamen die Kundschafter angesprengt und meldeten, daß die dreißig Papago's in wenigen Minuten hier sein würden. Steinbach ließ hundert Apachen absitzen und in das Haus treten. Die Andern aber sprengten alle davon, von dem ›scharfen Beil‹ angeführt und die Pferde der Hundert mit sich nehmend, tiefer in das Thal hinein, wo sie in gedeckter Stellung Posto nahmen, aber einige der Ihrigen vorschickten, um die ankommenden Papago's heimlich beobachten zu lassen.
Die hundert Apachen versteckten sich in den Parterreräumlichkeiten, welche von dem Eingange am Entferntesten lagen, und die Weißen wurden so postirt, daß sie nicht sofort bemerkt werden konnten. Ihre Pferde waren von den Indianern mit fortgenommen worden, so daß Roulin also in den ersten Minuten gar nichts Auffälliges bemerken konnte. Selbst die Leiter wurde aus der Cysterne gezogen, um nicht etwa sein Mißtrauen zu erregen. Da kam der dicke Sam herbei und fragte Steinbach schmunzelnd:
»Jetzt sind wir wohl bereit?«
»Ja.«
»Ihr habt nichts mehr zu thun, nichts mehr anzuordnen, Master Steinbach?«
»Nein.«
»Hm! Ihr wollt doch die Kerls in den Hof locken?«
»Natürlich.«
»Sie werden sich hüten, hereinzukommen. Wenn sie es thäten, wären sie werth, verkehrt aufgehangen zu werden, immer Einer an den Andern.«
»Warum?«
»Na, wer soll ihnen denn aufmachen?«
»Ich.«
»Donnerwetter! Da sehen sie Euch ja!«
»Im Hausgange befindet sich eine Nische, in welche ich trete, um sie vorüber zu lassen. Dann befinde ich mich hinter ihnen und decke den Ausgang, während Ihr über sie herfallt.«
»Das geht nicht! Ihr seid der Anführer und dürft Euch nicht allzusehr blosstellen. Die Alte ist Pförtnerin, sie ist gefangen, aber kann denn nicht an ihrer Stelle das Mädchen öffnen, die Annita?«
»Schwerlich. Roulin erwartet ja, daß sie bereits gefangen ist und im Bergwerk arbeitet.«
»Sie mag eine Ausrede machen.«
»Hm! So ganz Unrecht habt Ihr nicht. Wir müssen Alles vermeiden, was vorzeitigen Verdacht erwecken könnte. Ich will mit Annita reden, ob sie es unternehmen will, sich als Erste von Roulin sehen zu lassen.«
Nun kamen einige Minuten erwartungsvoller Stille; dann hörte man draußen Pferdegetrappel. Es wurde an das Thor gepocht. Annita hatte sich bereit finden lassen. Sie ging, um zu öffnen. Als sie das that, sah sie Roulin und Leflor, Walker und die dreißig Papago's draußen halten.
Als Roulin sie erblickte, zog sich seine Stirn in Falten. Er fragte:
»Du? Du bist hier? Ah! Warum öffnet denn Bella nicht?«
»Sie ist gefallen und kann nicht gehen.«
»Donnerwetter! Wann fiel sie denn?«
»Einige Tage nach Eurer Abreise.«
Das war sehr gut ausgesonnen; es erklärte ihr Hiersein. Wenn die Alte krank lag, so konnte Juanito doch Annita nicht einsperren; sie mußte die Stelle der Kranken vertreten. Darum meinte Roulin in milderem Tone.
»Gut! Kannst gehen. Ich werde selbst zuschließen. Kommt Alle herein! Ah, warte erst noch, Annita! Ist Jemand dagewesen?«
»Nein.«
»Auch heute nicht? Ein gewisser Bill Newton?«
»Nein.«
»Schön! So kommt er noch. Er soll sich wundern!«
Annita ging, sie zog sich in Sicherheit zurück. Sie war herzlich froh, daß es so gut abgelaufen war.
Die Reiter stiegen ab und zogen ihre Pferde hinter sich in den Hof. Roulin blieb bis zuletzt, verschloß die Thüre und steckte den Schlüssel ein. Er gebot den Rothen, es sich einstweilen im Hofe bequem zu machen, führte die beiden Weißen in das Zimmer, welches zum Empfange diente, und sagte ihnen:
»Habt einen Augenblick Geduld. Ich muß zunächst einige Worte mit Bella und Juanito sprechen. Ich komme gleich wieder.«
*