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58

»Redet mit Sennor Balzer und dem Steuermanns aber schnell, ehe es zu spät wird!«

Walker begab sich nach dem Achterdeck, wo jetzt der Sohn des Stationers neben dem Steuermanne stand.

»Sennor,« sagte er. »Der Dampfer ist hinter uns her.«

»Schon! Meint Ihr wirklich, daß er uns gefährlich werden kann?«

»Ja. Er hat es nicht nur auf mich und die Gefangenen, sondern auch auf Donna Miranda abgesehen.«

»Sapperment! Da müssen wir vorbeugen. Steuermann, was rathet Ihr?«

»Hm!« antwortete dieser. »Sieht man den Körper der Yacht durch das Fernrohr?«

»Nein, nur den Dampf. Und jetzt auch diesen nicht, da wir eben eine Krümmung hinter uns gelegt haben.«

»So hat er vielleicht auch unser Segel noch nicht gesehen. Lassen wir ihn an uns vorüber.«

»Da sieht er uns ja!«

»Schwerlich! Wir spielen ein Wenig Versteckens. Ist er vorbei, so segeln wir hinter ihm her, während er glaubt, uns vor sich zu haben, dieser wunderbare Salondampfer. Ich kenne ein Bayou, welches gleich hier vor uns mündet.«

Unter einem Bayou versteht man nämlich eine Stelle, an welcher das Wasser des Stromes lang und schmal in das Ufer einschneidet. Es sieht das so aus, als ob ein Flüßchen oder ein Bach sich in den Strom ergieße, doch enthält ein Bayou nur Stauwasser.

»An die Leine, Jungens!« rief der Steuermann. »Wir gehen ins Bayou.«

Der Befehl fand sofort Gehorsam. Zugleich ergriffen zwei von den Bootsleuten die langen, starken Staken, mit denen man das Boot vom Lande stößt.

Der Steuermann beobachtete das User mit scharfen Blicken, nahm das Steuer plötzlich scharf senkrecht auf den Wasserlauf und rief:

»Laßt gehen!«

Die Leute ließen die Leine los, und das Segel fiel aus dem Winde schlaff, von der Raa hernieder.

»Nieder den Mast! Schnell, schnell!«

Im Augenblicke senkte sich der Mast mit der Raa. Das Boot richtete den Schnabel gegen das Ufer. Man sah dort keinerlei Einbuchtung.

»Um aller Welt willen! Ihr stoßt doch grad an das Ufer!« rief Walker.

»Wollen sehen!« brummte der Steuermann. »Legt Euch nieder, damit Ihr von den Zweigen nicht vom Deck geschnellt werdet.«

Sie gehorchten. Das Ufer war von dichten, weißblumigen Dogwoodbäumen bestanden, welche ihre Zweige bis ins Wasser hängen ließen. In diese Zweige fuhr das Boot hinein. Es gab kein festes Ufer, sondern ein Bayou schnitt schmal, scharf und tief in dasselbe ein. Jetzt, wo das Boot nicht mehr vom Segel getrieben wurde, stand es unter den Zweigen, welche sich aber bereits hinter ihm geschlossen hatten, still. Es wurde mit Hilfe der Staken weiter in das Bayou hinein geschoben und dann an das Ufer befestigt.

»So,« sagte der Steuermann. »Ist das nicht ein sehr hübsches Plätzchen, Sennores?«

»Herrlich!« antwortete Walker. »Draußen vom Flusse aus kann man nichts von demselben bemerken. Ein besseres Versteck kann es gar nicht geben.«

»Nun lassen wir die Yacht vorüber und folgen erst dann, wenn sie verschwunden ist. Geht an das Land, Sennores, und verbergt Euch unter den Räumen; da könnt Ihr die Yacht passiren sehen und Euch ganz gemächlich die Personen betrachten, welche sich drauf befinden.«

Das wurde gethan. Walker, Roulin, Leflor und trotz seiner Verwundung auch Bill Newton sprangen an das Land, krochen unter den Zweigen bis an den Eingang des Bayous zurück und setzten sich dort an einer Stelle nieder, wo sie den Dampfer deutlich sehen konnten, ohne daß es möglich gewesen wäre, sie vom Borde desselben aus zu bemerken.

Newton hielt das Fernrohr stromabwärts gerichtet. Nach bereits fünf Minuten meldete er:

»Er kommt: Soeben erscheint er um die Biegung.«

»Ja, ich sehe ihn mit bloßem Auge,« meinte Walker. »Das Fahrzeug läuft riesig geschwind.«

»Das Deck ist voller Menschen!«

»Das kann ich mit unbewaffnetem Auge nicht sehen.«

»Es sind ihrer Viele. Ach, nein! Es sind Pferde dabei. Sie stehen auf dem Vorderdeck und – alle tausend Teufel! Werden Todte wieder lebendig!«

»Was ists?«

»Ganz vorn am Bug steht der Bootsmann Forner, der während der Nacht ertrunken ist.«

»Unsinn!«

»Seht selbst durch das Rohr!«

Walker nahm es, blickte hindurch und gab es mit den Worten zurück:

»Ja, er ists. Der Kerl hat uns verrathen! Er mag sich hüten, in unsere Hände zu kommen!«

»Hinten neben dem Steuermanne steht der Lord mit seinen langen Beinen und seiner Hagebuttennase.«

Die Yacht kam schnell näher. Jetzt erkannte man die Gesichter der an Bord befindlichen mit dem bloßen Auge.

»Alle Teufel!« sagte Walker. »Ihr habt Recht gehabt, Bill. Dort steht er, am Cajüteneingange!«

»Steinbach!«

»Ja. Neben ihm der Apache und dieser verdammte Sennor Günther, den – – den der Satan holen möge. Weiter rückwärts sehe ich den dicken Jäger und noch zwei, die ich nicht kenne.«

»Zwei Brüder, Jim und Tim. Sie sind Alle beisammen. Sie haben auch Pferde mit, ganz zu unserer Verfolgung bereit. Eine verfluchte Geschichte. Da, jetzt sind sie grad vor uns. Ich wollte, sie rennten an irgend einer Untiefe auf und ersöffen Alle mit einander!«

Dieser Wunsch ging freilich nicht in Erfüllung; die Yacht dampfte fleißig weiter, wurde immer kleiner und kleiner und verschwand endlich vor den Augen Derer, welche sie doch erreichen wollte.

Die Lauscher kehrten jetzt an Bord des Bootes zurück. Nur Walker blieb noch ein kleines Weilchen stehen, um sich zu vergewissern, daß die Yacht auch wirklich verschwunden sei. Nur der Rauchstreifen war noch zu sehen, den sie zurückgelassen hatte, und welcher sich langsam in der Luft zertheilte und auflößte.

Aber es gab noch etwas Anderes, was die Aufmerksamkeit Walkers jetzt auf sich zog: Ein schwarzer Punkt, welcher sich langsam und stetig vom anderen Ufer her bewegte, ragte über dem Wasser auf und nieder, so wie sich der Kopf eines Schwimmers zu bewegen pflegt. Bereits nach einer Weile konnte Walker die Gesichtszüge eines Indianers erkennen, dessen Haarschopf nach Art der Apachen geordnet war.

»Ein Apache kommt!« raunte er nach dem Boote hin. »Kommt herbei, ihn zu fangen, sonst sind wir verrathen.«

Sofort kamen einige der Bootsleute und nahmen hinter den Baumstämmen Posto. Sie verhielten sich ruhig, bis der Indianer in ihre Nähe gekommen sein werde. Er schwamm ausgezeichnet, und es stellte sich heraus, daß er das Bayou genau kannte, denn er hielt grad auf dasselbe zu, schwamm unter den Aesten herein und trat an das Land.

Seine wildlederne Kleidung war mit Bärenöl eingerieben, damit sie das Wasser nicht aufnehmen solle. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, ein Zeichen, daß er sich als Kundschafter auf dem Wege befunden habe. Er schüttelte sich ab und schritt dann weiter, am Rande des Bayou hin, indem er die Zweige auseinander schob. Plötzlich blieb er starr stehen. Er hatte das Boot gesehen.

.

»Uff!« entfuhr es leise seinen Lippen.

Er wollte sich zur Seite wenden, um nicht bemerkt zu werden, wurde aber in demselben Augenblicke von vier, sechs, acht kräftigen Armen ergriffen, so daß er sich gar nicht zu wehren vermochte.

Trotz dieser Ueberraschung bewegte sich kein Zug seines jugendlichen, broncefarbenen Gesichtes. Er wurde augenblicklich gebunden und nach dem Boote gebracht. Dort musterte er die ihn umstehenden Männer mit finsterem Blicke, sagte aber kein Wort. In seinem Gesichte prägte sich der Stolz eines tapfern Kriegers aus, welcher nur durch Uebermacht und Ueberrumpelung besiegt worden ist und es nicht der Mühe für werth hält, ein Wort an seine Feinde zu richten.

Es wurden ihm verschiedene Fragen vorgelegt. Er beantwortete keine einzige, bis endlich Walker sagte:

»Was hast Du hier zu suchen, Apache?«

»Apache?« fragte er. »Der ›beißende Hund‹ ist doch kein Apache.«

Also sein Name war der ›beißende Hund‹. Da die Indianer sich Namen beizulegen pflegen, womit sie ihre Thaten oder Charactereigenschaften bezeichnen, so war zu vermuthen, daß dieser Mann sich bereits durch Tapferkeit ausgezeichnet habe.

»Du trägst doch den Schopf eines Apachen!« meinte Walker.

Der Rothe machte eine Bewegung der Geringschätzung und antwortete:

»Der Scharfsinn des weißen Mannes ist wie das Licht des Mondes zur Zeit des Neumondes. Es leuchtet nicht. Sieht das Bleichgesicht denn nicht, daß der ›beißende Hund‹ ein Kundschafter ist?«

»Woraus soll ich das erkennen?«

»Wenn der rothe Mann allein und unbewaffnet aus seinem Wigwam geht und sogar über Flüsse schwimmt, ohne seinen Medicinsack bei sich zu haben, so ist er ganz sicher ein Kundschafter. Ein kluger Krieger trägt dann die Abzeichen Derer, welche er überlisten will, damit sie ihn nicht für einen Feind, sondern für einen der Ihrigen halten.«

»Wenn Du kein Apache bist, wessen Stamm gehörst Du denn an?«

»Hat der weiße Mann noch nicht den Namen des ›beißenden Hundes‹ gehört?«

»Nein.«

»So ist das Bleichgesicht wohl noch nie am Colorado oder im Süden, des Rio Gila gewesen?«

»Nein.«

»Ich bin ein Papago.«

»Ein Papago?« rief Walker erfreut. »Wir sind hier am Colorado, um die Papago-Indianer zu suchen.«

»Wozu?«

»Das könnte ich einstweilen nur dem Häuptling derselben sagen.«

»Der ›beißende Hund‹ ist der Häuptling der Papago.«

»Was! Wirklich?«

»Der rothe Mann sagt niemals eine Lüge!« antwortete der Wilde in stolzem Tone. »Frage hier an den Ufern des Flusses, so wird man Dir sagen, daß der ›beißende Hund‹ der Anführer der Papagos ist.«

»Seit wann gehen die Häuptlinge selbst auf Kundschaft?«

»Seit immer, wenn es sich um eine wichtige Sache handelt.«

»Willst Du mit den Apachen Krieg beginnen?«

»Das Bleichgesicht hat meine Frage vorhin nicht beantwortet; ich werde die seinige auch nicht beantworten.«

»So wirst Du mir später Antwort geben. Ich bin ein Freund der Papago.«

»Beweise es!«

»Ich weiß, womit ich es beweisen soll. Versprichst Du mir, nicht zu entfliehen, wenn ich jetzt Deine Banden löse?«

»Ich werde nicht entfliehen, wenn Du mir wirklich beweisest, daß Du ein Freund der Papagos bist.«

»Der Beweis soll Dir geliefert werden.«

Er band den Indianer los. Dieser stand langsam auf, streckte seine Glieder und setzte sich dann ebenso langsam wieder nieder. Alle standen um ihn herum. Walker sagte zu ihm:

»Wir sind gekommen, um die Pfeife des Friedens mit Deinem Stamme zu rauchen.«

»Die Pfeife des Friedens ist vergraben. Die Papagos haben das Beil des Krieges aus der Erde gegraben.«

»Auch gegen die Weißen?«

»Gegen alle ihre Feinde.«

»So dürfen wir ruhig sein. Wir sind Eure Freunde; wir kommen, um Euch Eure Feinde in die Hand zu geben.«

Der Indianer betrachtete ihn langsam vom Kopf bis zu den Füßen herab und antwortete:

»Kann das Pferd den Bären in die Hand des Büffels geben?«

»Du glaubst mir nicht?«

»Nein. Die Papagos werden mit den Apachen und den Maricopas kämpfen. Wie willst Du Beide in unsere Hände liefern?«

»Indem ich Dir ihre Häuptlinge übergebe.«

»Kennt das Bleichgesicht diese Häuptlinge?«

»Ja. Wenn Du Deine Krieger in der Nähe hättest, so könntest Du die feindlichen Anführer sehr bald in Deiner Gewalt haben.«

Der Rothe bohrte seinen Blick in das Angesicht des Sprechers und betrachtete sich dann auch die anderen Umstehenden. Er mochte ihnen ansehen, daß an Walkers Worten doch etwas Wahres sei, denn er bequemte sich zu dem vielleicht etwas gewagten Geständniß:

»Die Krieger der Papagos befinden sich nicht weit von hier.«

»Sapperment! Das könnte sich gar nicht bester treffen!«

»Hast Du das Dampfschiff gesehen, welches vorhin hier vorüber fuhr?«

»Der ›beißende Hund‹ hat es gesehen. Er mußte ja warten, bis es vorüber war, ehe er über den Fluß herüberschwimmen durfte.«

»Nun, auf demselben befinden sich Freunde der Apachen und Maricopas, Männer, durch deren Fang Du großen Ruhm ernten würdest.«

»Wer?«

»Zunächst die ›starke Hand‹, den Du ja kennst.«

»Der Hund der Apachen?« fuhr der Rothe auf.

»Ja. Ferner der Fürst der Bleichgesichter und der dicke Bauch.«

»Tan-ni-kay und Entschar-til? Sagst Du die Wahrheit?«

»Ich belüge Dich nicht Außerdem sind auf dem Schiffe noch mehrere berühmte weiße Jäger.«

»Was wollen sie hier auf dem Flusse?«

»Sie wollen mich fangen.«

Der Papago ließ den Blick umherschweifen, nickte mit dem Kopfe und meinte:

»Du sagst die Wahrheit. Du hast Dich hier verbergen müssen. Ich glaube Dir. Aber was hast Du ihnen gethan, daß sie Dich fangen wollen?«

»Ich habe das größte Kleinod der Apachen geraubt, die Taube des Urwaldes.«

»Palomo-nakana, die Taube des Urwaldes?«

Diese Worte stieß der Indianer in einem Tone hervor, welcher sein größtes Erstaunen ausdrückte. Er hatte sogar eine Bewegung gemacht, als ob er vor Verwunderung aufspringen wollte, besann sich aber noch, daß es mit der Würde eines Häuptlings nicht zu vereinigen sei, seine Gefühle in solcher Weise zu verrathen.

»Wo ist sie?« fragte er.

»Hier in unserm Boote.«

»Uff!«

»Willst Du sie sehen?«

»Ja.«

»Nachher, wenn ich ausgesprochen habe.«

Er erzählte ihm nun, daß die Maricopas nach dem Silbersee gezogen seien, um die Taube des Urwaldes zu entführen und die Gräber der Apachenhäuptlinge zu entweihen, daß sie aber ihren Zweck verfehlt und mit den Apachen Frieden geschlossen hätten. Er ließ ihm auch von den späteren Ereignissen so viel wissen, als er für nöthig hielt, und fügte hinzu:

»Die Apachen und Maricopas werden bereits in der Nähe sein, um nach dem Thale des Todes zu gehen. Heut kannst Du die ›starke Hand‹ und die berühmten weißen Jäger ergreifen.«

»Das thue ich nicht,« sagte der Häuptling.

»Warum nicht.«

»Der ›beißende Hund‹ will nicht den Häuptling der Apachen und die weißen Jäger allein haben, sondern alle Apachen und Maricopas. Er läßt also die Ersteren heut entkommen, um im Thale des Todes Alle zusammen zu verderben.«

»Das ist sehr klug gehandelt. Ich stimme Dir bei.«

»Will das Bleichgesicht nun die Taube des Urwaldes zeigen?«

»Gern wollte ich es thun; es ist aber nicht gut möglich.«

Er erzählte ihm nun, welche Gefangenen er unten im Raume habe, und daß Zimmermann frei sei, vielleicht wohl auch bereits die Kette des andern männlichen Gefangenen zerbrochen habe, so daß man einen ernstlichen Widerstand zu erwarten habe.

Der Häuptling dachte einen Augenblick nach und sagte dann:

»Du kamst, um Dir den Schutz der Papagos zu erbitten?«

»Ja.«

»Wenn Alles, was Du gesagt hast, wahr ist, so sollst Du ihn erlangen. Aber Du wirst jetzt mit mir gehen.«

»Wohin?«

»Zu meinen Kriegern.«

»Ich kann das Boot nicht verlassen. Wir werden verfolgt und sind vielleicht schon in einer Viertelstunde gezwungen, uns unserer Feinde zu erwehren.«

»Die Krieger der Papagos halten nahe hier bei. In einigen Minuten sind wir bei ihnen.«

»Darf ich Dir trauen?«

»Es wird Dir nichts geschehen. Wenn Du nicht gelogen hast, so ist der ›beißende Hund‹ Dein Freund.«

»Gut, ich gehe mit.«

Die Gefährten wollten Gegenvorstellung machen, aber er war froh, bereits jetzt auf die Papagos gestoßen zu sein, und erklärte, daß er dem Häuptlinge sein volles Vertrauen schenke. Er verließ also das Boot und verschwand mit dem Häuptlinge hinter den Bäumen.

Wenn der Indianer wirklich der Häuptling der Papagos war, so durften die Insassen des Bootes sich zu dieser unerwarteten Begegnung allerdings gratuliren. Sie hatten in diesem Falle den gesuchten Schutz schneller gefunden als man vorher erwarten konnte, und brauchten nun auch das Dampfboot nicht mehr zu fürchten. Vorhin noch so voller Sorge, konnten sie sich jetzt vollständig sicher fühlen.

Dies wurde zwischen den Zurückbleibenden besprochen, die keine andere Sorge mehr hatten, als daß der Indianer sie betrogen haben könne.

Aber bereits nach kurzer Zeit kehrte Walker zurück. In seiner Begleitung befand sich der Häuptling mit vielleicht zwanzig seiner Krieger, welche alle sehr gut bewaffnet waren. Sie blieben am Ufer des Bayou zurück, während Walker allein an Bord kam.

Sein Gesicht zeigte den Ausdruck allergrößter Zufriedenheit. Nach dem Ergebnisse gefragt, antwortete er:

»Es geht Alles ausgezeichnet, viel besser, als ich es nur ahnen konnte. Es sind drei Häuptlinge vorhanden – – –«

»Drei!« unterbrach Roulin ihn erstaunt. »So sind sie auf einem Kriegszuge begriffen!«

»Ja. Der ›beißende Hund‹ ist selbst jenseits des Wassers gewesen, um zu kundschaften, und hat nicht viel Gutes mitgebracht. Sein Zusammentreffen mit uns aber ist für die Papagos ein Glück, wie sie es sich größer gar nicht denken können. Die Häuptlinge haben die Friedenspfeife mit mir geraucht und werden sie auch mit Euch rauchen.«

»Schön! Aber welche Bedingungen bist Du eingegangen.«

»Befreiung von allen unsern Feinden.«

»Das klingt sehr gut. Was aber sollen wir ihnen dafür bieten?«

»Sie beanspruchen alle Gefangenen für sich. Diejenigen, deren Tod wir wünschen, werden sie vor unsern Augen ermorden.«

»Darin muß ja eben die Befreiung von unsern Feinden bestehen. Aber, wollen sie auch die Gefangenen haben, welche sich bereits jetzt in unsern Händen befinden?«

»Verdammt! Das paßt mir nicht.«

»Warum nicht?«

»Wilkins und diesen Zimmermann könnten sie sich immerhin nehmen; aber die Mädchens möchte ich nicht hergeben.«

»Pah! Immer fort mit ihnen!«

»Nur langsam! Ich habe es auf Magda Hauser abgesehen. Die möchte ich wenigstens einige Tage lang als Frau besitzen.«

»Und ich,« fiel Leflor ein, »habe bereits in Prescott gesagt, daß ich Almy Wilkins haben will. Ich will nicht von den Ufern des Arkansas hierher gekommen sein, um mir eine Geliebte nehmen zu lassen, deren Besitz mir von Euch versprochen worden ist.«

»Nun, beruhigt Euch! Die Rothen wollen die Mädels Euch wohl auch nicht nehmen. Sie verlangen sie nur jetzt, sozusagen als Unterpfand, daß wir sie nicht belogen und betrogen haben.«

»Da mag es gehen. Wie aber bringen wir unsere vier Gefangenen herauf. Die beiden Kerls werden sich wehren.«

»Der Häuptling ist auf einen schlauen Gedanken gekommen. Diese rothen Kerls sind so listig, daß sie sich selbst aus der schlimmsten Verlegenheit zu helfen wissen. Er will thun, als ob er uns überfällt.«

»Ah! Sehr schön! Wenn er es nur nicht auch in aller Wirklichkeit thut.«

»Was fällt Euch ein!«

»O, wir haben ihm Alles gesagt; er weiß also Alles, was er wissen muß, und braucht uns nicht mehr. Er kann also sehr leicht auf den Gedanken kommen, uns einfach nieder zu stechen, um seine Verbindlichkeiten gegen uns los zu werden.«

»Ihr vergeht, daß er mit mir die Pfeife des Friedens geraucht hat.«

»Aber mit uns nicht.«

»Das ist ganz gleichgiltig. Ihr steht doch wohl unter meinem Schutz.«

»Wenn Ihr so fest an ihn glaubt, nun, so sind wir gezwungen, ihm auch zu vertrauen. Also mag er uns überfallen. Meine Waffen werde ich aber doch in Bereitschaft halten.«

»Pah! Es wird nur ein Wenig geschrieen und mit den Füßen auf das Deck gestampft; dann begeben sich die Rothen hinab und erklären den Gefangenen, daß sie uns überfallen und getödtet haben. Diese Letzteren folgen den Rothen willig auf das Deck und werden, da sie ja keine Waffen haben und den Indianern also auch nicht gefährlich werden können, leicht übermannt. Dann haben wir sie gerade ebenso und vielleicht noch mehr in der Gewalt als vorher.«

»Und mein Boot?« fragte Balzer.

»Euer Boot? Fürchtet Ihr vielleicht für dasselbe?«

»Natürlich. Ich traue diesen Rothen nicht.«

»Ihr habt gar nichts zu befürchten. Euch und an Eurem Eigenthume geschieht gar nichts.«

»Was wird mit Sennorita Miranda?«

»Die nehmen wir natürlich mit.«

»Warum? Was kann sie Euch nützen?«

»Sie gehört zu uns.«

»Ihr habt mir versprochen, daß sie bei mir sein soll.«

»So lange unsere Fahrt dauert, also bis Aubrey. Da wir aber nicht bis dorthin zu segeln brauchen, weil wir die Papago's schon jetzt getroffen haben, so hat unser Vertrag natürlich bereits hier ein Ende.«

Miranda stand dabei und hörte also, was gesprochen wurde. Balzer hatte ihr gefallen. Sie glaubte, er sei so sehr in sie verliebt, daß sie wohl für immer bei ihm bleiben, vielleicht sogar seine Frau werden könne, während sie an Walker's Person viel weniger Wohlgefallen fand. Auch mußte sie sich sagen, daß das Zusammenleben mit dem Letzteren ihr nicht nur weniger Garantie für ihre Zukunft biete, sondern ihr sogar gefährlich werden könne. Darum sagte sie jetzt:

»Und ich werde gar nicht gefragt, bei wem ich zu bleiben wünsche?«

»Wozu die Frage?« antwortete Walker. »Ich habe gesagt, daß wir zusammen gehören. Das ist doch selbstverständlich.«

»Nicht so sehr, wie Du meinst.«

»Aber mehr, als Du denkst.«

»Ich kann Dir keinen Nutzen bringen.«

»Aber Du kannst mir schaden, wenn Du nicht bei mir bist.«

»In diesem Falle würde ich mir doch selbst schaden.«

»Das ist sehr richtig. Aber ich habe Dich doch gern bei mir.«

»Was soll ich im Todesthale! Diesen vier Personen, die ich nach dem Boote locken mußte, mag ich nicht wieder unter die Augen treten. Macht mit ihnen, was Ihr wollt; ich mag nichts davon wissen. Ich würde doch nur mein Gewissen beschweren, und auch für Euch ist es besser, wenn Ihr so wenig Zeugen wie möglich habt.«

»Was Du da sagst, ist gar nicht ohne Grund; aber ich habe Dir versprochen, für Dich zu sorgen.«

»Mir ist es lieber, Du läßt mich für mich selbst sorgen.«

»Und wenn Du keine Lust hast, mit uns nach dem Todesthale zu gehen, so mußt Du bedenken, daß wir nicht ewig dort bleiben, sondern bald wieder zurückkehren.«

»Dann könntest Du nach Mohawk-Station kommen, um mich dort abzuholen.«

»Hm! Weißt Du denn so genau, daß Sennor Balzer Dich mit nach dort nehmen will?«

»Natürlich nehme ich sie mit!« antwortete Balzer.

»Na, wenn Ihr Beide so sehr einverstanden seid, so will ich Euch nicht im Wege stehen, hoffe aber auf Eure beiderseitige Verschwiegenheit. Es darf kein Mensch erfahren, wer sich auf dem Boote befunden hat und was am Bord desselben geschehen ist.«

»Meiner Verschwiegenheit könnt Ihr sicher sein, Sennor.«

»Auch darf Niemand erfahren, daß ich mit den Papagi's von hier fort bin.«

»Ich schweige.«

»Gesetzt aber den Fall, daß die Dampfyacht zurückkehrt und Euch sieht. Ihr werdet dann gefragt werden.«

»Meint Ihr, daß ich dann von Dingen reden werde, welche im Stande sind, auch mir Unannehmlichkeiten zu bereiten?«

Walker blickte schnell auf. Er hatte allerdings Balzer zum Theil mit in seine Karten blicken lassen.

»Unannehmlichkeiten?« fragte er. »Welche Unannehmlichkeiten meint Ihr wohl?«

»Ich kenne sie natürlich noch nicht.«

»Es kann keine geben. Ihr habt mir Euer Boot vermiethet. Was ich an Bord gethan habe, das ist doch meine Sache. Euch trifft keine Verantwortung. Oder meint Ihr etwa, daß ich strafbare Handlungen begangen habe?«

Sein Auge war tückisch forschend und mit einem hinterlistigen Blicke auf Balzer gerichtet.

»Ja,« wollte dieser antworten. Er hatte das Wort schon auf der Zunge; aber ein warnender Blick Miranda's machte ihn auf die Gefahr aufmerksam, welche über seinem Haupte hing. Darum sagte er:

»Wer spricht von strafbaren Handlungen! Ihr habt ein unglückliches Liebespaar vereinigen wollen. Das ist doch nicht strafbar.«

Walker's Gesicht verlor seinen drohenden Ausdruck. Er bemerkte in zufriedenem Tone:

»Das ist's, was ich von Euch hören wollte, und es ist ja auch die Wahrheit. Also mag Miranda bei Euch bleiben, bis ich nach Mohawk-Station komme und sie abhole. Ich hoffe, sie wird Euch so liebenswürdig unterhalten, daß Euch die Zeit nicht lang werden kann. Die Miethe für Euer Boot werde ich Euch dann bezahlen. Oder verlangt Ihr sie vielleicht jetzt gleich?«

Bei dieser Frage richtete sich sein Blick lauernd und drohend auf Balzer. Dieser bemerkte es und antwortete:

»Das hat ja Zeit. Wir sehen uns wieder.«

Und mit dem Lächeln eines Raubthieres, welches einmal in guter Laune seine Beute fahren läßt, meinte Walker:

»Schön! Ich sehe, Ihr habt Verstand und seid ein sehr coulanter Mann. Das muß man anerkennen. Es soll also weder Euch, noch Euren Leuten ein Uebel geschehen. Jetzt will ich die Indianer holen und instruiren.«

Er sprang vom Bord hinaus auf das Ufer. Sennorita Miranda zog Balzer hinter die Erhöhung der Cajüte und sagte dort in eindringlichem Tone zu ihm:

»Um Gotteswillen! Fast hättest Du zwei Unvorsichtigkeiten begangen.«

»Welche denn?«

»Erstens wolltest Du ihm sagen, daß Du sein Thun und Treiben für strafbar hältst, und zweitens sah ich Dir an, daß Du die Miethe von ihm verlangen wolltest.«

»Ich wollte allerdings beides thun.«

»Eins war so gefährlich wie das Andere.«

»Oho! Was kann er mir thun?«

»Meinst Du etwa, nichts? Du kennst ihn nicht. Er mag keinen Mitwissenden haben, dessen er nicht versichert ist. Es hätte Dich das Leben gekostet.«

»Da hätte er mir kommen sollen. Ich vermag, mich zu wehren.«

»Er ist Dir überlegen, denn Du bist kein Todtschläger, er aber fürchtet einen Mord nicht.«

»Ich habe meine Bootsleute, welche mir helfen würden.«

»Und er hat die Indianer und seine Freunde.«

»Roulin ist mein Freund und Studiengenosse.«

»Der? Er ist der größte Schuft, den ich kenne, ein Betrüger, Dieb und Mörder.«

»Alle Teufel!«

»Ich kann es beweisen!«

»Und das sagst Du mir jetzt erst? Ich hätte mich mit diesen verwegenen und gewissenlosen Menschen ja gar nicht eingelassen, wenn Du mir nur einen Wink gegeben hättest. Anstatt dieses zu thun aber hast Du mich beredet, ihnen zu Willen zu sein.«

»Ich mußte, ich war gezwungen, ich befand mich in ihren Händen. Zürne mir nicht. Ich konnte nicht anders und werde Alles wieder gut machen. Verzeihst Du mir?«

Sie schmiegte sich an ihn, schlang den Arm um ihn, gab ihm einen Kuß und blickte ihm dann so lange zärtlich und bittend in die Augen, bis er antwortete:

»Liebst Du mich denn wirklich?«

»Ueber Alles.«

»Ich möchte eher glauben, daß Du mich getäuscht und betrogen hast.«

»Wie könnte ich das!«

»Ich hätte sehr triftigen Grund, anzunehmen, daß Du nur aus dem Grunde liebenswürdig zu mir gewesen bist, daß ich diesen Menschen zu Willen sein soll.«

Sie streichelte ihm die Wange und sagte:

»Ich will aufrichtig mit Dir sein. Erst war ich allerdings nur aus dem Grunde freundlich mit Dir, daß Du uns die Depeschen verschaffen und Dein Boot geben solltest; aber dann, als ich Dich näher kennen lernte, wurde Wirklichkeit aus der Täuschung. Ich fühlte, daß ich Dich lieb hatte.«

Sie sagte dies im Tone der vollen Wahrheit, und dabei waren ihre Augen mit einem solchen Blicke voller Aufrichtigkeit auf ihn gerichtet, daß er, sie an sich ziehend, antwortete:

»Schau, daß Du mir dies gestehst, ist besser, als wenn Du versucht hättest, mich zu täuschen. Indem Du Dich anklagst, zwingst Du mich, Dir zu vergeben.«

»Ich danke Dir! Wirst Du es mir aber auch wirklich nicht nachtragen?«

»Nein, Miranda.«

»Und immer an mich glauben?«

»Vollständig!«

»So sollst Du Dich nicht in mir täuschen. Sind wir nur erst fort von hier und aus der Nähe dieser gefährlichen Menschen, so sollst Du sehen und erfahren, daß Du Dich ganz auf mich verlassen kannst.«

Jetzt kam Walker wieder an Bord. Er sprach einige Worte mit Roulin und ging dann nach der Luke, unter welcher die Treppe hinunter nach den Gefangenen führte.

Die Lage dieser Letzteren hatte sich seit dem Augenblicke, an welchem Zimmermann und Wilkins sich von ihren Ketten befreit hatten, nicht geändert. Sie durften es nicht wagen, an Deck zu gehen. Sie mußten eben ruhig abwarten, was geschehen werde und in welcher Weise man sie hinauf zu bringen versuchen werde.

So war unter Warten und Fürchten die Zeit vergangen. Obgleich sie nichts sehen konnten, so bemerkten sie doch an dem Aufhören des Rauschens des Wassers an den Bootswänden, daß das Fahrzeug jetzt still liege. Lange war zwischen ihnen kein Wort gefallen, jetzt aber meinte Wilkins:

»Sie haben an das Ufer gelegt. Jedenfalls wollen sie uns hier an das Land bringen.«

»Sie mögen es versuchen!« zürnte Zimmermann.

»Ihr wollt nicht gehorchen?«

»Nein, gehorchen werde ich freilich nicht.«

»Ich denke, es wird uns nichts Anderes übrig bleiben.«

»Und ich meine, daß uns noch ganz Anderes übrig bleibt. Es versteht sich ganz von selbst, was unserer wartet, sobald wir ihnen den Willen thun, an Deck zu gehen. Sie werden, da wir nur einzeln durch die Luke können, über uns herfallen und uns wieder fesseln.«

»Ich dulde es nicht, ich wehre mich.«

»Was wollt Ihr gegen eine solche Uebermacht ausrichten? Ja, wenn wir Waffen hätten! Nein, ich bleibe unten.«

»Das ist auch unmöglich.«

»Warum? Sie mögen es doch versuchen, mich durch Zwang hinauf zu bringen.«

»Sie haben auf alle Fälle ein sehr gutes Mittel. Sie werden uns einfach hier stecken lassen, bis uns der Hunger und der Durst zwingen, gute Worte zu geben.«

»Eher verschmachte ich! Wenn Sie darauf warten wollen, so müssen Sie lange Zeit hier liegen.«

»Hm! Eure Standhaftigkeit giebt auch mir meine Zuversicht zurück. Wir dürfen doch hoffen, daß Steinbach nach uns sucht.«

»Das thut er sicherlich. Und ebenso sicher ist es, daß er in Mohawk-Station erfährt, daß wir mit diesem Boote gefahren sind. Er wird es verfolgen.«

»Womit? Es giebt ja dort kein zweites.«

»So ein Mann wie er wird Mittel und Wege finden. Er kommt hierher. Meine Ahnung sagt es mir. Wenn sie hier liegen bleiben, findet er sie. Schon aus diesem Grunde dürfen sie nicht daran denken, uns auszuhungern. Sie müssen vielmehr trachten, uns baldigst an das Land zu bringen, und dann werden wir – horch! hört Ihr Etwas?«

»Ja. Die Treppe knarrt.«

»Es kommt Jemand.«

»Was thun wir?«

»Wenn man zu uns herein kommt, dann wehe dem Betreffenden! Ich erschlage ihn mit der eisernen Kette!«

Die Schritte waren sehr vernehmlich. Walker war es, welcher herabkam, und zwar mit Absicht mit so lauten Schritten, daß man ihn hören mußte. Er ging an der Thür vorüber nach der zweiten Abtheilung des Raumes, in welcher er sich zu schaffen machte. Die Lauschenden hörten, daß er irgend einen Gegenstand hin und her schob. Dann ertönte die Stimme Roulin's laut und ängstlich zur Luke herab:

»Sennor Walker! Sennor Walker!«

»Was giebt es?«

»Kommt schnell heraus, schnell!«

»Habe keine Zeit.«

»Kommt doch! Schnell!«

»Warum? Was giebt's?«

»Indianer kommen, Apachen.«

»Unsinn!«

»Kein Unsinn! Sennor Leflor hat sie gesehen, als er sich vom Ufer entfernte. Sie kommen leise herbei geschlichen. Er ist sofort zurück gerannt, um uns zu warnen.«

»Verdammt!«

»Also schnell, schnell!«

»So hat man uns entdeckt. Stoßt rasch vom Land!«

Die Gefangenen hörten, daß er nach der Treppe rannte und nach oben stieg. Er konnte aber kaum aus der Luke getreten sein, so erschallte oben ein vielstimmiges Geheul und dann erbebte das Verdeck unter den Füßen der Kämpfenden.

»Nun, hatte ich nicht Recht?« jubelte Zimmermann. »Steinbach ist mit den Apachen da.«

»Gott sei Dank!« stimmte Wilkins ein.

Auch die beiden Mädchen jubelten laut auf.

»Man schießt aber nicht!« bemerkte Zimmermann.

Er war Prairiejäger, ihm mußte also dieser Umstand auffallend erscheinen. Der Scheinangriff auf das Boot geschah freilich, ohne daß dabei geschossen wurde. Man mußte das verhüten, denn durch die Schüsse wären Andere, vielleicht gar die Dampfyacht herbei gerufen worden. Schon der Kriegsschrei der Indianer, auf den, wenn die Gefangenen wirklich getäuscht werden sollten, nicht verzichtet werden konnte, war ganz geeignet, zufällig in der Nähe Befindliche auf das Segelboot aufmerksam zu machen.

»Die Apachen greifen eben nach ihrer Art an,« sagte Wilkins. »Sie schießen nicht. Sie schleichen sich still an und lassen nachher das Messer und den Tomahawk arbeiten. Ich bin überzeugt, daß wir in wenigen Augenblicken befreit sein werden.«

Es war, als ob er Recht hätte. Das Fußgestampfe hörte auf. Es kam Jemand die Treppe herab und rief:

»Sind noch Menschen hier?«

»Ja, hier, hier!« antwortete Wilkins.

»Bleichgesichter?«

»Ja.«

»Den Namen sagen!«

»Die Taube des Urwaldes.«

»Uff! Uff! Hier die Apachen!«

Die Thür wurde geöffnet. Das halbe Licht, welches von oben herab durch die Luke fiel, beleuchtete zur Genüge die Gestalt eines bewaffneten Indianers.

»Meine weißen Brüder und Schwestern mögen hinaufkommen. Sie sind frei,« sagte er freundlich.

Es war der ›beißende Hund‹.

Zimmermann war doch nicht so recht befriedigt. Er sagte sich, daß Steinbach, wenn er zu ihrer Rettung herbeigeeilt sei, auch der Erste sein werde, der ihren Kerker öffnen würde.

»Wo ist der Fürst der Bleichgesichter?« fragte er.

»Am anderen Ufer. Er sucht dort, wir hier. Wir haben die guten Bleichgesichter zuerst gefunden.«

»So kommen wir hinauf.«

Er ließ Wilkins den Vortritt. Dieser stieg voran und Zimmermann folgte. Wilkins war von dem Gedanken, frei zu sein, so entzückt, daß er vergaß, sich die auf Deck wartenden Indianer genau anzusehen. Er stieg hinaus und that einige Schritte vorwärts. Zimmermann folgte. Da Wilkins vor ihm stand, hatte er keinen freien Umblick; er zauderte und blieb auf der vorletzten Stufe stehen. Sein Leib befand sich aber bereits außerhalb der Luke.

Jetzt hatte Wilkins einige Schritte vorwärts gethan und Zimmermann konnte die Indianer sehen. Er erblickte sie und rief sofort:

»Zurück, Wilkins! Wieder hinunter! Es sind keine Apachen! Es sind Feinde!«

Er wollte schnell wieder in die Luke hinein. Da aber sauste die Schlinge eines Lasso durch die Luft und legte sich ihm um den Hals. Ein Ruck – er war bezwungen. Und zugleich wurde Wilkins von vielen braunen Händen ergriffen und niedergerissen.

Zimmermann wurde natürlich aus der Luke emporgezogen. Die beiden Mädchen hatten zwar seinen Ruf vernommen, aber die Worte nicht verstanden. Sie stiegen auch herauf und wurden von den Papago's in Empfang genommen, erst Almy und dann Magda.

Zimmermann's Warnungsruf war der erste und auch der letzte gewesen. Die Papago's hatten so zugegriffen, daß weder Wilkins, noch die Mädchen einen Schrei auszustoßen vermochten.

Jetzt lagen die vier Gefangenen wieder gefesselt auf dem Verdeck. Es waren ihnen auch Knebel in den Mund gesteckt worden. Sie konnten keinen Laut von sich geben.

Da trat Walker hinzu und sagte höhnisch zu Wilkins:

»Nun, Sennor, wie gefällt Euch das? Sind die Apachen nicht tüchtige Kerls?«

Roulin versetzte Zimmermann einen Fußtritt und sagte:

»Dieser Kerl hatte es übel mit mir vor. Jetzt aber soll er stillhalten müssen. Die schöne Magda wird meine Geliebte und er soll zusehen dürfen und sich die Finger dabei lecken!«

Und Leflor grinste verächtlich:

»Ihr glaubtet uns wohl schon verloren, Nachbar Wilkins? Aufgefressen von den Apachen? Na, so schnell geht das freilich nicht. Wir müssen leben bleiben, damit Ihr Zeuge sein könnt, wenn ich mit Mademoiselle Almy Verlobung und Hochzeit halte. Schafft diese Personen fort! Wir folgen mit.«

Die Indianer ergriffen die Gefangenen und deren Eigenthum und schleppten sie fort. Die Weißen folgten. Walker gab Balzer die Hand, erhob warnend den Finger und sagte zu ihm:

»Merkt Euch, was ich Euch gesagt habe! Von Allem, was seit gestern geschehen ist, darf kein Mensch etwas erfahren. Solltet Ihr das Geringste verrathen, so habt Ihr es mit mir zu thun. Anstatt das Miethsgeld für das Boot würdet Ihr etwas ganz Anderes erhalten. Fragt Sennorita Miranda nach mir! Sie wird Euch sagen, daß ich in solchen Angelegenheiten keinen Spaß verstehe. Also ich hole sie von Euch in Mohawk-Station ab. Lebt wohl, auf Wiedersehen!«

Er sprang an das Ufer und folgte den Anderen nach.

»Gott sei Dank!« seufzte Miranda auf.

»Der Mensch hat wirklich ein außerordentlich schuftiges Gesicht. Leider bemerke ich das erst jetzt.«

»Ich bin froh, daß er fort ist.«

»Ich auch. Er sah mir ganz darnach aus, als ob er mir am Liebsten zum Abschiede noch einen tüchtigen Messerstich versetzen wolle. Nach Mohawk-Station mag er aber nicht kommen. Das erste Mal ist es ihm geglückt. Beim zweiten Male aber könnte er sich verrechnen.«

»Er kommt sicher.«

»So werde ich für einen ordentlichen Empfang sorgen. Ich will diesem Volke jetzt einmal nachschleichen, um zu sehen, was sie mit den armen gefesselten Leuten thun.«

Er machte Miene, von Bord zu gehen. Sie aber hielt ihn fest und bat:

»Thue es nicht! Bleib hier!«

»Warum? Jetzt bin ich doch nicht mehr in Gefahr.«

»Noch immer. Wenn sie bemerken, daß Du ihnen folgst, schießen sie auf Dich.«

»Ich werde mich hüten, mich von ihnen sehen zu lassen!«

»Sie haben sicher Wachen ausgestellt.«

»Nun nicht mehr.«

Der Steuermann sah, was sein Principal vorhatte und kam herbei.

»Verzeiht, Sennor! Ihr wißt, daß ich Euch stets und gern zu Willen bin, dieses Mal aber glaube ich, daß wir eine große Dummheit begangen haben.«

»Warum?«

»Diese Liebesgeschichte war eine Erfindung.«

»Wirklich?«

»Natürlich! Das muß doch ein jedes Kind sehen. Der alte Sennor Wilkins kam mir wie ein Ehrenmann vor. Sennor Zimmermann hat sich brav gehalten, und die beiden Sennoritas sahen mir mehr aus, als ob sie zu bedauern seien, als daß sie sich freuten, den heimlich Geliebten in der Nähe zu haben. Was hatten überhaupt die Rothen mit dieser Angelegenheit zu thun?«

»Hm! Ich weiß es nicht.«

»Ich auch nicht; aber das weiß ich, daß wir wegen dieser Fahrt unter Umständen in Teufels Küche gerathen können. Wißt Ihr, was ich für das Allerbeste halte?«

»Nun?«

»Daß wir uns auch jetzt nicht vor der Dampfyacht sehen lassen. Wir müssen sie vermeiden.«

»Ich gebe das zu.«

»Wenn sie uns dennoch erwischt, was sagen wir?«

»Die Wahrheit.«

»Das ist mir lieb. Lügen würden uns nur schaden. Es wäre dann von Vortheil für uns, wenn wir über den Verbleib der Gefangenen einige Auskunft ertheilen könnten. Darum schlage ich vor, wir Beide, nämlich Ihr und ich, spaziren den Rothen eine kleine Strecke nach, um zu sehen, wie sich die Sache anläßt.«

»Gut! Ich gehe mit.«

»Um Gotteswillen nicht!« bat Miranda.

»Warum nicht?« fragte der Steuermann.

»Es ist zu gefährlich.«

»Gefährlich? Donnerwetter! Ich bin Steuermann und weiß mein Messer zu führen, Sennorita. Ich wollte den Rothen sehen, der es unternehmen möchte, im Spaße mit mir anzubinden. Im Ernst aber erst recht nicht. Uebrigens werden wir wohl nicht so dumm sein, es ihnen auf die Nase zu binden, daß wir sie belauschen. Also kommt in Gottes Namen, Sennor Balzer!«

Balzer konnte nicht weniger Muth zeigen als sein Untergebener; das sah Miranda doch ein. Darum gab sie ihren Widerstand auf. Die Beiden gingen.

Sie folgten dem Bayou, so weit es sich in das Land hineinzog. Dann stieg das Ufer steil an. Es war wie am Eingange des Bayou mit dichtstehenden Dogwoodbäumen besetzt. Die beiden Männer verstanden nicht, eine Fährte regelrecht aufzusuchen und zu verfolgen; hier aber brauchten sie diese Fertigkeit auch gar nicht. Die Papago's hatten sich keine Mühe gegeben, ihre Fährte zu verbergen.

Diese Letztere führte vom Wasser aufwärts bis zur Höhe des Ufers und dann in gerader Richtung nach einer lichten Stelle, welche von zahlreichen Pferdehufen zerstampft war. Von hier aus gingen die Pferdespuren in ganz derselben Richtung weiter durch den Wald, bis dieser nach bereits kurzer Zeit aufhörte, denn eine Prairie schob sich hier tief in ihn hinein.

Draußen auf der Grasfläche sahen die Beiden eine sehr bedeutende Reiterschaar galoppiren.

»Das sind sie,« sagte der Steuermann. »Wir haben natürlich das Nachsehen.«

»O, ich wünsche auch nichts Anderes.«

»Ja, Gott Lob und Dank, daß sie fort sind! Könnt Ihr die Gefangenen erkennen?«

»Nein?«

»Sie haben sie natürlich in der Mitte. Gott sei den Armen gnädig! Es mögen wohl an die vierhundert Rothe sein. Was diese Kerls hier gewollt haben?«

»Geht uns nichts an.«

»O, das geht uns gar wohl was an! Wenn sich die Papago's hier am Colorado zeigen, so haben sie stets etwas Schlimmes vor, einen Ueberfall oder so etwas Aehnliches. Mir scheint, der Kundschafter hat nichts Passendes gefunden, und nun sind sie froh, mit dem Fange, den sie bei uns gemacht haben, in ihre Wigwams zurückkehren zu können. Ich wollte, ich könnte ihnen das Vergnügen verderben. Na, kommt, Sennor! Wir können nichts ändern. Ein anderes Mal aber sehe ich mir den Kerl, mit dem ich segeln soll, erst einmal genauer an, als ich es gestern mit diesem Walker gethan habe. Diese Fahrt wird mir noch lange im Gedächtnisse liegen.«

Sennorita Miranda war froh, als sie die Beiden zurückkommen sah. Sie bat, daß sofort aufgebrochen werde.

Der Steuermann antwortete:

»Auch mich zieht es von dieser Stelle fort. Aber wir sind gezwungen, vorsichtig zu sein. Ich wünsche nicht, daß unser Boot hier von irgend Einem gesehen werde. Von der Mündung des Gila bis hierher hat uns Niemand bemerkt. Bleiben wir auch zurück, ungesehen, so können wir nach Yuma segeln und dann sagen, daß wir nur dorthin gewollt haben und auch dort gewesen sind. Gehen mir also erst einmal vor an die Mündung des Bayou, um zu sehen, ob wir allein auf dem Flusse sind.«

Er kroch mit Balzer nach der Stelle, von welcher der schwimmende Häuptling der Papago's aus dem Wasser gestiegen war. Dort hielten sie Ausschau nach rechts und nach links.

»Alle Teufel!« fluchte da der Steuermann. »Wie gut, daß wir das Boot noch im Bayou haben und uns erst umblickten! Seht einmal da hinauf!«

Er deutete stromaufwärts. Die Wasserbahn schien aber ganz frei zu sein.

»Ich sehe nichts,« meinte Balzer.

»Ja, Ihr seid kein Bootsmann. Unsereiner aber hat schärfere Augen. Seht Ihr nicht einen kleinen, schwarzen Punkt ganz oben, wo das Wasser des Flusses mit dem Horizonte eine Linie bildet?«

»Ja. Es sieht aus wie eine wilde Ente, die auf dem Wasser schwimmt.«

»Ja, Ente! Hat sich was! Wenn diese Ente nicht die Dampfyacht ist, so lasse ich mich fressen!«

»Da müßte man doch den Dampf sehen?«

»Aus dieser Entfernung?«

»Ja. Der Streifen, welchen der Rauch bildet, ist länger als die Yacht; darum muß er auch eher gesehen werden als das Fahrzeug selbst.«

»Das habt Ihr Euch gar nicht so übel ausgesonnen. Aber wie nun, wenn der Dampfer gar nicht dampft?«

»So hat er Anker geworfen.«

»Entweder das, oder er treibt ohne Dampf mit dem Strome abwärts. Und dieses Letztere ist ganz sicher der Fall, denn der Punkt, welchen ich für die Yacht halte, wird langsam größer und bewegt sich auf uns zu.«

»So müssen wir warten, bis er vorüber ist.«

»Natürlich. Vielleicht kehrt er nach Gila-City zurück. Dort segeln wir heut am Abend vorüber, heimwärts, und werden gar nicht bemerkt.«

»Hm! Warum aber kehrt die Yacht zurück?«

»Wer weiß es.«

»Sie verfolgt uns. Sie wird eingesehen haben, daß sie uns verfehlt hat.«

»Vielleicht meint sie, daß wir nicht aufwärts, sondern abwärts sind, nach Yuma. Das wäre noch bester für uns. Warten wir es ab.«

Die Beiden behielten ihren Lauscherposten inne. Je näher der betreffende Punkt kam, desto größer wurde er, bis man ihn endlich wirklich als die Yacht erkannte. Die Maschine stand. Der kleine Dampfer trieb langsam, ganz langsam mit dem Strome abwärts, und zwar ganz nahe am jenseitigen Ufer.

»Möchte wissen, warum er sich nicht in der Mitte, im sicheren Fahrwasser hält,« sagte Balzer.

»Das weiß ich gar wohl.«

»Nun, weshalb?«

»Wenn sich ein Schiffer so nahe am gefährlichen Ufer hält, so hat er ganz sicher einen wichtigen Grund dazu. Die guten Sennores, welche sich auf der Yacht befinden, sind hinter unsere Schliche gekommen. Sie dampfen schneller, als wir segeln können, und haben uns trotzdem nicht eingeholt. Da sind nur zwei Möglichkeiten vorhanden: Entweder sind wir von der Mündung des Gila aus im Colorado gar nicht auf-, sondern abwärts gegangen, oder wir haben uns hier irgendwo am Ufer versteckt.«

»Sollten sie das vermuthen?«

»Natürlich. Sie suchen uns ja drüben am Ufer. Darum halten sie sich so nahe an dasselbe. Und darum lassen sie sich vom Wasser treiben. Das geht langsam, und dabei kann man das Ufer genau betrachten.«

»So ist es ein Glück, daß sie drüben fahren und nicht hier auf unserer Seite.«

»Nun, ein Unglück wäre es auch nicht, wenn sie sich hier hüben befänden. Ich möchte den Menschen sehen, welcher unser Bayou findet, wenn er nichts von demselben weiß. Der Eingang ist ja dermaßen vom Gesträuch verdeckt, daß gar kein Mensch ahnen kann, daß sich hier eine solche Einbuchtung befindet. Schaut! Jetzt ist die Yacht uns beinahe gerade gegenüber. Seht Ihr die Pferde auf dem Verdecke? Und die Kerls, wie sie alle starr und steif hinüber nach dem Ufer gucken! Prosit die Mahlzeit! Sie mögen suchen, aber finden werden sie nichts!«

Er war so weit an den Rand des Wassers getreten, daß er sein Bild in demselben sehen konnte. Er nahm den Hut ab und schwenkte denselben ironisch grüßend hinüber nach der Yacht zu. Er that das, weil er ganz genau wußte, daß er von dort aus gar nicht gesehen werden konnte.

»Sie mögen suchen, aber finden werden sie nichts!« wiederholte er lachend.

Der gute Mann ahnte nicht, daß er bereits gefunden worden war. Er kannte Steinbach nicht und Sam, den dicken, listigen und verschlagenen Westmann.

Die Dacht war mit voller Dampfkraft stromauf gefahren. Nach einer Fahrt von zwei Stunden, von Gila-City aus gerechnet, konnte man erwarten, das Segelboot eingeholt zu haben, und dennoch war es nicht zu sehen. Es verging noch eine halbe, noch eine ganze Stunde – vergebens.

Die Passagiere standen alle auf dem Deck und richteten ihre Blicke vorwärts. Steinbach und der Lord, die Beiden, welche sich im Besitze eines Fernrohres befanden, blickten von Minute zu Minute durch dasselbe – ebenso vergebens. Steinbach ließ noch eine halbe Stunde vergehen, als auch da das Boot noch nicht zu sehen war, rief er die Gefährten zu sich heran.

»Eine ganz ärgerliche Geschichte!« brummte der Lord. »Meine Yacht ist eine Schnellläuferin ersten Ranges. Es ist doch nicht anzunehmen, daß ein Boot noch schneller gegen den Strom segelt!«

»Nein; das ist nicht anzunehmen,« nickte Steinbach.

»Aber da müßten mir doch das Boot schon längst eingeholt haben!«

»Das haben wir auch.«

Der Lord öffnete den Mund und blickte den Sprecher ganz verblüfft an.

»Wir sind also schon über dasselbe hinaus?«

»Ja.«

»Warum habt Ihr das nicht früher gesagt! Habt Ihr denn das Boot gesehen?«

»Nein.«

»Sapperment! Wie könnt Ihr denn da wissen, daß wir bereits über dasselbe hinaus sind?«

»Sehr einfach daher, daß wir es nicht sehen. Wir dampfen fünfmal so schnell als das Boot segelt. Wir müßten es haben. Wir haben es aber nicht, also haben wir es schon längst überholt.«

»Wir müßten es doch gesehen haben.«

»Setzen wir den Fall, es hätte uns kommen sehen.«

»So hätten wir es auch gesehen.«

»Nein. Unser Schornsteinranch ist weiter zu sehen als die Yacht selbst. Man hat vom Boote aus diesen Rauch gesehen und sich sofort versteckt.«

»Wohin aber? So ein Boot kann sich doch nicht wie ein Fisch oder ein Krebs auf den Grund des Flusses niederlassen!«

»Das hat es auch nicht nöthig. Habt Ihr schon einmal das Wort Bayou gehört?«

»Donnerwetter! Bayou!« stimmte Sam Barth jetzt ein. »Jetzt begreife ich es. Es muß da hinter uns irgendwo so ein Bayou geben, welches so versteckt liegt, daß man es vom Wasser aus gar nicht bemerken kann.«

»Das ist eben meine Ansicht, lieber Sam.«

»Seht Euch die Ufer an. Sie sind mit dichtem Dogwoods besetzt, deren Neste und Zweige bis in das Wasser niederhängen, besonders das rechte Ufer. Diese Zweige können sehr leicht den Eingang eines solchen Bayou verdecken. Wir sind vom Boote aus gesehen worden. Die Kerls haben ein Bayou in der Nähe gehabt und sind da in Versteck gegangen, um uns in aller Gemüthlichkeit vorüber zu lassen.«

»Kehren wir um!« rief der Lord kurz entschlossen. »Maschinist, holla, wenden!«

»Halt!« fiel Steinbach ein, »Nicht so schnell, Sir! Ehe wir wenden, haben wir uns zu überlegen, was geschehen soll.«

»Was geschehen soll? Nun, wir kehren um und suchen das Bayou.«

»An welchem Ufer sollen wir es suchen?«

»Das werden wir schon sehen wo es ist.«

»Nein, denn wir haben es aufwärts auch nicht gesehen. Es liegt eben so versteckt und verdeckt, daß es ganz besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Sam, was meint Ihr, an welchem Ufer wird sich das Bayou befinden?«

Der Dicke betrachtete sich die rückwärts liegenden Ufer.

»Auf dem rechten,« antwortete er.

»Ich bin ganz derselben Ansicht. Aber welche Grunde habt Ihr zu Eurer Annahme?«

»Ich habe mehrere. Erstens ist dieses Ufer viel dichter bebuscht als das andere; ein Versteck ist also da eher möglich. Zweitens liegt es am Außenbogen der Flußkrümmung; das Wasser schneidet da also mehr ein und kann ein Bayou bilden. Drittens ist es nicht so felsig als das andere, folglich kann das Wasser eine kleine Bucht ausnagen. Und viertens haben sich unsere Flüchtlinge jedenfalls mehr an das rechte Ufer gehalten, weil dieses die Grenze bildet, welche sie überschreiten wollen.«

Bei dieser Begründung des pfiffigen Dicken kratzte sich der Lord hinter dem Ohre und sagte:

»Verteufelt, verteufelt! Das ist scharfsinnig! Wer kommt auf solche Gedanken!«

»Ich, wie Ihr gehört habt,« lachte Sam.

»Aber ich nicht!«

»Nein. Ich glaube Euch sehr gern, daß Ihr an einer solchen Berechnung ganz unschuldig sein würdet, trotzdem Ihr einen Waldläufer vorn am Buge des Dampfers habt.«

»O bitte, Master Sam! Wir befinden uns auf dem Wasser. Damit hat ein Waldläufer nichts zu thun.«

»Meint Ihr? Da befindet Ihr Euch in einem sehr bedeutenden Irrthum. In der Prairie und im Urwalde giebt es zuweilen Wasser genug, mehr als Ihr jetzt hier seht. Ein Waldläufer muß sich auf dem Wasser ebenso zurecht finden wie auf dem Lande. Also, Master Steinbach, stimmt Ihr mir bei?«

»Ja. Ich wette, daß sich das Segelboot am rechten Ufer versteckt hat.«

»Also kehren wir um und fahren wir rechts stromab!«

»Nein, mein guter Sam. Das wäre verkehrt.«

»Ah! Warum?«

»Wir müssen am linken Ufer abwärts.«

»Wo sich das Versteck nicht befindet?«

»Ja.«

»Da entdecken wir es doch gar nicht!«

»Grade dann entdecken wir es. Aber wenn der Dampfer rechts fahren wollte, so würden wir nichts entdecken.«

»Also ganz verkehrt. Ich verstehe das nicht.«

»Das würden sie wohl selbst in Herlasgrün nicht begreifen?« lächelte Steinbach.

»Sicher nicht. Und dort giebt es doch Leute, welche Haare auf den Zähnen haben.«

»So seht Ihr eben, daß auch gescheidte Leute einmal eine falsche Ansicht haben können.«

»Könnt Ihr mir beweisen, daß die Eurige richtig ist?«

»Ich werde es Euch erklären, und der Erfolg wird es beweisen und bestätigen. Ihr meint doch, daß das Bayou ganz versteckt liegt?«

»Ja.«

»Daß sich die Flüchtlinge drin verborgen halten?«

»Natürlich.«

»Wenn wir wiederkommen, und sie sehen uns nahe bei sich, was werden sie thun?«

»Gar nichts. Sie werden sich nur mäuschenstill verhalten.«

»Richtig.«

»Aber wenn wir auf der verkehrten Seite fahren – –?«

»Sapperment, wird sie das freuen! Da werden sie uns sicher auslachen!«

»Also nicht so mäuschenstill sein?«

»Wohl nicht.«

»Na also! Da habt Ihr meine Gründe.«

Sam machte ein ganz verzweifeltes Gesicht und sagte:

»Ich bin sonst nicht auf den Kopf gefallen, dieses Mal aber langt mein Schädel nicht zu. Ich verstehe Euch nicht.«

»Und doch ist es so leicht.«

»Ich bleibe dabei, daß wir das Versteck, welches am rechten Ufer liegt, nicht sehen, wenn wir uns am linken halten. Ihr müßt bedenken, daß der Strom beinahe eine halbe Stunde breit ist!«

»Ihr sollt es leicht begreifen. Der Dampfer schwimmt links; wir Beide aber, nämlich Ihr und ich, wir schwimmen rechts.«

Da machte Sam ein Gesicht wie jedenfalls diejenigen Sennores auch machten, welche damals anwesend waren, als Columbus das Ei auf den Tisch stellte.

»Alle Teufel!« rief er aus. »Ist das so!«

»Natürlich! Soll es etwa anders sein?«

»Nein, nein. Das ist des Beste und Klügste, was wir thun können. Sennor, ich habe gewußt, daß Ihr ein verdammt kluger Kerl seid; aber so ein richtiger, eingefleischter Pfiffikus zu sein, das beweist Ihr mir erst heute. Also wir Beide rechts.«

»Ja.«

Der Apachenhäuptling hatte regungslos dabei gestanden und zugehört. Jetzt sagte er einfach:

»Nicht zwei, sondern drei Männer. Die »starke Hand« wird das Steuerruder sein.«

Sam wendete sich ihm zu und fragte:

»Das Steuerruder? Wieso?«

Der Apache zuckte nur die Achsel, als hätte ein Kind nicht verstanden, daß zwei mal zwei vier ist.«

»Habt Ihr etwa begriffen, was er meint?« fragte Sam Steinbach.

»Sehr gut.«

»Ja, Ihr Beide begreift Euch eben so gut, daß der Eine auf dem Monde nur zu niesen braucht, so ruft der Andere auf der Sonne auch schon helf Gott!«

»Er denkt nämlich an ein Floß.«

»So? Wir haben doch das Boot.«

»Auch das können wir nehmen; aber das Steuer können wir da nicht gebrauchen. An Stelle desselben will sich der Häuptling hinten anhängen.«

»Warum? Auch das begreife ich nicht.«

»Sam, Sam! Wenn sie das in Herlasgrün wüßten! Bedenkt doch, daß diejenigen, welche sich vor uns versteckt haben, uns gar nicht kommen sehen dürfen.«

»Das denke ich auch. Aber das Floß oder Boot werden sie doch sehen.«

»Wir müssen es maskiren.«

Da fuhr Sam einen Schritt zurück, schlug sich mit der Faust an die Stirn und rief:

»O Du ewiger Dummkopf, der Du bist! Jetzt, ja jetzt geht mir ein Licht auf, an welchem ich den größten Ochsen braten könnte!! Sapperment, ist diese Idee gut, Master Steinbach! Ausgezeichnet! Wir nehmen das Boot, welches zur Yacht gehört, und maskiren es mit Schilf und Binsen und allerlei ähnlichem Zeug. Es muß aussehen wie ein Haufen losgerissener Uferwuchs. Solche Haufen schwimmen ja oft vorüber. Da drüben sehe ich ja gleich einen. Unter diesem Haufen aber stecken wir Beide, und hinten am Boote hängt der Apache und steuert es.«

»So meine ich es allerdings,« stimmte Steinbach bei. »Nach dem Ufer zu ist das Boot so weit verdeckt, daß nur zwei kleine Oeffnungen bleiben, durch welche wir unbemerkt unsere Beobachtungen machen können. Nach dem Wasser zu aber muß es offen sein, damit wir nach der Yacht hin Zeichen geben können.«

»Wozu Zeichen?«

»Daß sie uns zu Hilfe kommt, wenn wir sie brauchen. Nämlich, sobald wir das Bayou entdecken, lassen wir das Boot an das Ufer treiben, wo wir es befestigen. Es ist das gar nicht gefährlich, weil Diejenigen, welche wir suchen, es nicht für ein Boot, sondern für ein losgerissenes Stück Ufervegetation halten werden. Wir geben das Zeichen, und die Yacht kommt herüber zu uns, aber nicht direct, sondern sie macht einen Bogen, damit die Gesuchten es gar nicht bemerken. Was da noch zu erklären ist, können wir ja bei der Arbeit besprechen Laßt uns jetzt an das Ufer legen, um das Boot zu der Fahrt herzurichten.«

Die Yacht steuerte nach dem Ufer und legte an. Die Passagiere stiegen aus, um Aeste, Zweige, Schilf, Binsen, Gras und Moos zu sammeln. Mit diesem Materials wurde das Boot so mascirt, daß es wirklich und ganz genau das Aussehen hatte, welches von Steinbach beabsichtigt worden war.

Während dieser Arbeit lag die Yacht lang am Ufer hin, im tiefen Schatten der Bäume, welche ihre Aeste weit über das Verdeck hin streckten. Sie konnte vom entgegengesetzten Ufer gar nicht gesehen werden.

Alle waren bei der angegebenen Beschäftigung. Nur der Maschinist befand sich an Bord. Er war aus dem Maschinenraums herauf an Deck gestiegen, um sich einen Mund voll frische Luft zu holen. Sein Blick schweifte über das Wasser nach dem anderen Ufer hinüber, wo soeben – ah, er sprang auf und rief:

»Hallo, hallo! Was kommt von da drüben? Etwa eine Seeschlange?«

Aller Augen richteten sich gegen das linke Ufer. Eine schmale, dunkle Schlange, aus einzelnen, deutlich sichtbaren, dunkel gefärbten Gliedern bestehend, bewegte sich in verschiedenen Windungen in den Fluß hinein, dem diesseitigen Ufer entgegen. Der Kopf des Thieres hatte bereits den vierten Theil der Breite des Stromes zurückgelegt.

»Sollten das Menschen sein? Reiter?« fragte Sam.

»Es scheint so,« antwortete Steinbach. »Wollen sehen.«

Der Lord hatte sein Fernrohr zur Hand genommen und blickte hindurch.

»Ich weiß nicht, was das ist,« sagte er. »Diese Schlange besteht aus lauter einzelnen Gliedern, welche dunkel sind und wie angemalte Kürbisse aussehen.«

»Indianer!« rief Sam.

»Ja, Indianer,« stimmte Steinbach bei, indem er sein Rohr vom Auge nahm und die »starke Hand« anblickte.

Dieser, der Häuptling betrachtete die Schlange mit bloßen Augen und sagte:

»Howgh! Die Apachen und Maricopa's!«

»Was, die Apachen schon?« fragte Sam.

»Ja, sie sind es,« antwortete Steinbach.

»Sapperment! Die kommen uns gelegen! Und daß wir sie so prächtig treffen!«

»Wir befinden uns ja beinahe in der Höhe von Olive-City, welches ich ihnen als Uebergangspunkt angegeben habe. Sie sind sehr fleißig geritten.«

In diesem Augenblicke hörte man dreimal schnell hinter einander den Schrei der weißköpfigen Möve. Sofort stockten die Bewegungen der Schlange. Noch dreimal dieser Schrei und der Kopf der Schlange wendete sich zurück.

»Der Kundschafter,« sagte Steinbach. »Er hat uns bemerkt, weiß nicht, daß wir es sind, da er die Yacht nicht kennt, und giebt nun das Warnungszeichen. Die »starke Hand« mag die Leute beruhigen.«

*


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