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»Ich kann nicht und kann nicht. Ich muß das Telegramm an den Adressaten abgeben.«
»So gebt es ab und macht diesem Adressaten Eure Liebeserklärung!«
Sie wand sich von ihm los.
»Miranda!« bat er.
»Was noch?«
»Bleib bei mir!«
»Es hat keinen Zweck.«
Er wollte sie fest halten. Jetzt aber zeigte sie eine geradezu überlegene Körperkraft. Es war ihm unmöglich, sie zu hindern. Sie stand vom Sopha auf und brachte ihren Anzug in Ordnung. Sie that das mit einer Ruhe, aus welcher der festeste Entschluß sprach, daß sie nichts mehr von ihm wissen wolle. Ihre Füße verschwanden unter dem Saume des Gewandes, ihr Busen unter dem Corset, ihr üppiger Arm unter den Aermeln. Als sie nun begann, auch das aufgelöste Haar in Ordnung zu bringen, überkam es ihm wie eine Angst die Liebe dieses herrlichen Wesens zu verlieren, diese Liebe, welche er soeben noch in so hohem Maße besessen hatte, daß Miranda in seinen Armen gelegen hatte, wie eigentlich nur das Weib in den Armen des angetrauten Gatten liegen soll. Er stand auf und sagte:
»Es ist viel, sehr viel, was Du verlangst!«
»Ist meine Liebe weniger?«
»Vielleicht!«
»So scheiden wir. Der Erste, den ich liebte, ist meiner Liebe nicht würdig. Ich werde wieder einsam durch das Leben gehen wie vorher; aber das ist besser als ein kurzes Glück genießen, welches sich später als Trug und Täuschung erweist.«
»Miranda, ich bitte Dich. Laß von Deiner Bedingung und Du sollst sehen, daß unser Glück die reine Wahrheit und nicht eine Täuschung ist!«
»Ich kann nicht verzichten.«
»Auf keinen Fall?«
»Auf keinen, zumal ich weiß, daß die Erfüllung meiner Bedingung keine üblen Folgen bringt.«
»Wie willst Du das wissen?«
»Ich weiß es, das ist genug. Jetzt bitte ich Euch, mich zu verlassen.«
»Du scherzest!«
»Es ist mein Ernst. Ich bedarf der Ruhe.«
»Und ich der Liebe!«
Et trat auf sie zu. Sie aber wich zurück und sagte in strengem Tone:
»Habt Ihr uns Eure Gastfreundschaft etwa nur angeboten, um uns zu belästigen? Draußen sitzen die Herren. Was sollen sie von mir denken?«
»Laß sie denken, was sie wollen, nur liebe mich!«
»Ich liebe keinen Unwürdigen.«
Sie hatte sich verhüllt; aber als sie stolz und drohend vor ihm stand, traten ihre vollen, herrlichen Formen so plastisch hervor, daß sie ihm fast noch schöner vorkam als vorher. Sollte er sie denn wirklich verloren geben?
»Miranda, habe Mitleid!«
»Mitleid? Den Mann, welchem meine Liebe gehören soll, will ich achten, nicht aber bemitleiden. Schämt Euch, Sennor, das von mir zu verlangen.«
»Ich meine ja nur in diesem Falle!«
»Schon gut! Ich wiederhole es: Verlaßt mich!«
»Es ist mir unmöglich!«
»So muß ich mich selbst von Euch befreien. Die Sennoras werden mir beistehen.«
Sie schritt nach der Thür. Kam es so weit, daß sie dieselbe öffnete, so war dieses reizende Weib für ihn verloren. Es gab keine Wahl mehr für ihn. Er ergriff ihren Arm, hielt sie zurück und sagte:
»Halt! Bleib da, Sennorita!«
»Nun?«
Sie blieb stehen und blitzte ihn mit stolzen, fangenden, herausfordernden Augen an.
»Ich will es thun!«
»Her damit!«
Er zog das Telegramm aus der Tasche und gab es ihr. Sie steckte es ein.
»Seid Ihr nun zufrieden?«
Sein Blick war beinahe angstvoll auf sie gerichtet. Es ist wahr: Ein schönes Weib hat mehr Einfluß auf den Mann als der beste Mann auf seine Frau. Die Augen Miranda's blickten milder, und ihre Züge nahmen ein freundliches Lächeln an. Sie reichte ihm die Hand und antwortete:
»Ganz zufrieden wohl noch nicht.«
»Warum? Was soll ich noch thun?«
»Das sage ich vielleicht später. Für jetzt aber halte ich es für meine Pflicht, Euch zu beruhigen. Es schadet Euch nichts, wenn dieses Telegramm verschwindet. Der Adressat hat eins erhalten.«
»Er soll doch zwei empfangen!«
»Eigentlich nur eins. Steinbach hat nur ein einzig Mal an ihn telegraphirt, das andere Mal sind wir selbst es gewesen.«
»Ah! Also ein Geniestreich!«
»Ja.«
»Aber der Inhalt! Der stimmt nicht!«
»Das geht Euch nichts an. Ueberdies wird kein Mensch das Telegramm auch nur erwähnen. Morgen, wenn Steinbach kommt, ist Wilkins mit den Damen fort. Wer soll dann fragen. Setzt Euch wieder zu mir. Es soll Versöhnung zwischen uns Beiden herrschen.«
Er nahm an ihrer Seite Platz. So, wie sie in den letzten zwei Minuten vor ihm gestanden hatte, wagte er kaum, sie wieder zu berühren. Sie war ein Dämon, aber ein reizender, süßer Dämon, der Einen in die Gefahr bringen konnte, aus lauter Liebe den Verstand zu verlieren.
»Was werdet Ihr mit der Depesche thun?« fragte er.
»Ich werde sie vernichten.«
»Können wir dies nicht sofort vornehmen?«
»Erst muß ich sie meinen Begleitern zeigen. Aber wie kommt es, daß Ihr nicht mehr Du zu mir sagt?«
»Darf ich denn?«
»Ich denke, Ihr habt mich lieb!«
»Unendlich!«
»Kaum möchte ich es glauben.«
»Blickt doch einmal in den Spiegel!«
»Das habe ich oft gethan,« lächelte sie.
»So müßt Ihr gesehen haben, wie schön Ihr seid.«
»Das sind Ansichten.«
»Ihr seid schön, unendlich schön.«
»O, man sagt, daß es sehr viele Arten von Schönheiten gebe!«
»Das ist wahr, und Ihr gehört zur herrlichsten Art derselben. Ihr gehört zu den herrlichen, üppigen, überwältigenden Schönheiten, die Einen um den Verstand bringen können!«
»Sehr gut! Aber ich hoffe, daß Ihr Euch noch in dem Besitze des Eurigen befindet!«
»Jetzt allerdings. Solche Auftritte wie vorhin aber dürfte ich nicht viele erleben.«
»So würdet Ihr ihn verlieren?«
»Ich befürchte es.«
»So wollen wir uns in Zukunft vor ähnlichen Scenen in Acht nehmen!« Sie blickte ihn dabei so zärtlich, so gewinnend an, daß er den Arm um sie legte und ausrief:
»Miranda, welch ein Wesen bist Du!«
»Ein überirdisches?«
»Fast möchte man es glauben.«
»Und doch sagtest Du, ich sei so sehr irdisch.«
»Wann hätte ich das gesagt?«
»Vorhin. Du nanntest mich üppig, überwältigend.«
»Das bist Du auch in hohem Grade.«
»So besitze ich also recht irdische Gaben. Ich weiß, baß ich keine ätherische Schönheit bin, und das ist mir sehr lieb. Die Liebe will leben und genießen. Was sie verlangt, muß man ihr gewähren.«
Er fühlte sich wie berauscht. Sie nannte ihn jetzt sogar Du.
»Wirst Du Wort halten?«
»Gewiß.«
»Also Alles gewährst Du mir?«
»Diese Lippen sind mein? Ich darf sie küssen?«
»Du darfst.«
»Dieser herrliche Nacken, dieser Busen – –?«
»Alles, Alles! Gehe nicht weiter! Ich bin Dein, wenn Du so bist, daß ich an Deiner Liebe nicht zu zweifeln brauche.«
»Du sollst an Sie glauben jetzt und in alle Ewigkeit.«
»Diese Ewigkeit bedeutet aber wohl nur den heutigen Tag, vielleicht gar nur wenige Stunden.«
»Warum?«
»Weil wir abreisen.«
»Ja, daran habe ich in meiner Liebe gar nicht mehr gedacht. Ihr wollt ja fort.«
»Und Du bleibst hier?«
Er blickte ihr voll und verlangend in die Augen und fragte:
»Soll ich denn bleiben?«
»Du hast zu bestimmen.«
»Oder soll ich mit?«
»Wie Du willst.«
»Sprich nicht so. Das klingt, als ob es Dir sehr gleichgiltig sei. Welches ist Dir lieber.«
»Frage doch nicht! Hier hast Du die Antwort!«
Sie nahm seinen Kopf in ihre Hand, drückte ihn an sich und küßte ihn dann ein-, zwei-, dreimal auf die Lippen. Diese drei Küsse sandten ein Feuer in seine Adern, welches ihn zu Allem fähig hätte machen können. Er rief entzückt:
»Also ich soll mit?«
»Ja freilich, freilich!«
»Und wenn ich es thue?«
»Kannst Du denn? Hast Du Zeit?«
»Ich habe Zeit mehr als eine ganze Woche.«
»So bin ich sehr, sehr glücklich darüber.«
»Wirklich? Wirst Du mir für dieses Opfer ein klein Wenig dankbar sein?«
»Ein klein Wenig? Lerne mich kennen! Ich hasse das Kleine, das Winzige. Wenn ich liebe, so ist meine Liebe eine Gluth, welche jedes Bedenken verschluckt, und bin ich dankbar, so ist meine Dankbarkeit ein Quell, welcher nicht fragt, von wem und wozu sein Wasser gebraucht und verwendet wird.«
»Ja, Du bist groß. Du bist herrlich. Wann reisen wir ab?«
»Das ist noch unbestimmt. Das kommt auf Zweierlei an. Zunächst müssen wir wissen, ob wir Deinen Seelenverkäufer erhalten können.«
»Natürlich.«
»Ist er ausgerüstet?«
»Für kurze Fahrten, ja. Wo wollt Ihr hin?«
»Wohl bis nach Aubrey hinauf?«
»Das ist sehr weit. Da muß ich für Proviant sorgen.«
»Ist die Bemannung bei der Hand?«
»Stets. Wenn ich die Leute nicht brauche, sind sie hier an der Bahn beschäftigt.«
»Kann man sich auf sie verlassen?«
»Unbedingt. Sie verstehen ihr Fach.«
»Das meine ich nicht. Du wirst bereits bemerkt haben, daß unsere Reise einen Zweck hat, den nicht ein Jeder zu kennen braucht. – – –«
»O, sie sind verschwiegen und nicht sehr wißbegierig.«
»Das ists nicht allein. Es ist möglich, daß wir von ihnen einen Dienst verlangen, welcher eigentlich nicht in ihr Fach schlägt. – – –«
»Sie sind gefällig.«
»Das ist auch nicht genug. Der Dienst kann der Art sein, daß er bedenklich erscheint.«
»Hm! Du weißt, daß die Bevölkerung des Südwestens nicht sehr wählerisch ist.«
»Wir wollen diesem Steinbach und seinem Wilkins einen Streich spielen, der wohl etwas derb angelegt ist. Er soll auf das Schiff gelockt werden und mit uns bis Aubrey fahren. Wie nun, wenn er nicht will, wenn er sich dagegen sträubt?«
»Wird er das?«
»Voraussichtlich.«
»So müßt Ihr ihn an das Land lassen.«
»Das liegt nicht in unserer Absicht. Dieser Wilkins ist ein Flüchtling. Er ist mit dem Gesetz zerfallen und wurde jahrelang von der Polizei vergebens gesucht.– – –«
»Aha! Warte, Hallunke!«
»Wir haben bisher Nachsicht mit ihm gehabt. Da er aber jetzt gar dem Sennor Roulin seine Geliebte entführt, so haben wir beschlossen, kurzen Prozeß zu machen. Wir locken ihn auf Dein Schiff, schaffen ihn nach Aubrey und übergeben ihn der dortigen Polizei.«
»Das ist das Klügste und Einfachste.«
»Er wird sich aber wehren.«
»Sich auf das Schiff schaffen zu lassen?«
»Nein, nein. Ich sage Dir ja, daß wir ihn an Bord locken werden. Aber wenn er sich dort befindet und unsere Absichten merkt, so wird er voraussichtlich Widerstand leisten. Es fragt sich nun, was Du in diesem Falle zu thun gedenkst.«
»Ich kann ihm weder helfen noch ihn unterdrücken. Ich habe nichts mit ihm zu thun.«
»Aber Deine Leute.«
»Auch ihnen geht das Dings nichts an.«
»Aber vielleicht werden wir ihrer Hilfe bedürfen.«
»Hm, das ist dumm. Man soll sich nicht in anderer Leute Angelegenheit mischen. Am Allerbesten ist es, Ihr miethet mir Beides, Schiff und Leute ab und wir unterschreiben einen Vertrag. Die Leute müssen Euch dann gehorchen, und die Verantwortung habt allein Ihr.«
»Geht das denn an?«
»Ganz gewiß. Aber was geschieht dann in Aubrey?«
»Mit wem?«
»Mit Dir? Bleibst Du dort?«
Da legte sie ihre Wange an die seinige und antwortete:
»In Aubrey werde ich frei! Ich werde da wissen, ob Deine Liebe keine Täuschung ist. Frage mich dann wieder, was ich zu thun gedenke.«
»Meine Miranda! Welch ein süßes, entzückendes Wesen bist Du! Aber bis dahin, während der Fahrt, da werde ich wohl recht schmachten und recht dürsten müssen?«
»Wer soll Dir das Trinken wehren?«
»Du! Verstehe wohl, ich meine nicht das profane Trinken, das Wasser trinken. Ich spreche von der Liebe.«
»Soll ich das Wasser sein, welches Du trinkst? Dann trinke in Gottes Namen, so viel Du vermagst.«
»Bis auf den Grund?«
»Bis auf den Grund,« nickte sie.
»Die Andern dürfen sehen und wissen, daß Du meine Geliebte bist?«
»Warum nicht?«
»Wie glücklich wäre ich, wenn Du nicht nur meine Geliebte sein wolltest. Meine Verlobte, meine Braut.«
»Wenn es Dich glücklich macht, dann gern.«
»Oder gar mein Weibchen, mein süßes, liebes Weibchen? Willst Du, Miranda?«
»Verstehe ich recht? Wir wollen während der Fahrt so leben wie Mann und Frau?«
»Ja.«
»Du verlangst zu viel!«
»Sagtest Du nicht, ich solle austrinken bis auf den Grund?«
»Ich dachte nicht, daß Du diesen Worten eine solche Deutung geben wirst. Aber beunruhigen wir uns jetzt nicht mit solchen Fragen. Genießen wir den gegenwärtigen Augenblick. Der morgende Tag mag für uns und sich selber sorgen.«
Sie zog ihn an sich, und er legte die Arme fest und warm um sie. So saßen sie, aneinander gepreßt, Lippe an Lippe. Sie küßten nicht, sondern sie tranken von Mund zu Mund. Er fühlte das sehnsuchtsvolle Wallen ihres Busens. Er schloß die Augen. Es war ihm, als ob die ganze Umgebung sich mit ihm rund um drehe.
Auf den Gedanken aber kam er nicht, daß eine solche Virtuosin der Liebe doch wohl nicht zum ersten Male lieben müsse. Er genoß den Augenblick, und dieser schien ihm ein Meer voller Entzücken zu sein. –
Wilkins war, als er sich bei Balzer erkundigt hatte, langsam nach Mohawk in sein Hotel zurückgekehrt. Er hatte freilich bereits vom Wirthe erfahren gehabt, daß der nächste Zug erst den künftigen Tag abgehe, es aber nicht glauben wollen. Nun hatte er sich Gewißheit geholt, eine Gewißheit, die nicht nach seinem Wunsche war und auch nicht nach dem Wunsche Derjenigen, welche ihn im Hotel erwarteten.
Sie saßen beisammen, Zimmermann, Magda Hauser, Almy Wilkins und waren wenig erbaut von dem, was sie erfuhren.
»Und doch telegraphirt Steinbach, daß wir augenblicklich aufbrechen sollen,« sagte Zimmermann. »Er muß seinen guten Grund zu dieser Aufforderung haben, sonst hätte er sie ja nicht an uns ergehen lassen. Was thun wir?«
»Wir müssen eben geduldig warten,« meinte Wilkins.
»Leider habe ich nicht sehr viel Geduld. Uebrigens scheint es mir auch, als ob Geduld ein Kraut sei, welches ganz im Stande ist, in unserm Falle giftig zu wirken. Sollte es wirklich keine andere Gelegenheit geben, schnell von hier fortzukommen?«
»Der Bahnbeamte, welchen ich frug, wußte keine.«
»Pah! Das kennt man. Ihm kommt es natürlich darauf an, so viel wie möglich Passagiere zu bekommen, damit die Bahn Etwas verdient. Es muß doch Pferde geben. Ich werde einmal gehen und Nachfrage halten.«
»Bleibt nur da, junger Freund. Ich werde das selbst besorgen!«
Wilkins ging, und Zimmermann befand sich mit den beiden jungen Damen wieder allein. Nach kurzer Zeit entfernte sich Almy, um irgend etwas Notwendiges vorzunehmen, und sofort stand auch Magda auf, um ihr zu folgen. Da aber bat er:
»Bitte, bleibt, Sennorita!«
Sie drehte sich unentschlossen um. Ihre Wangen hatten sich leicht geröthet, und an ihrem schönen wunderbar aufgesetzten Halse sah er, daß sie einige Male hinter einander schluckte. Das ist immer ein Zeichen von Verlegenheit
»Ihr flieht mich, Sennorita!« sagte er in vorwurfsvollem Tone.
»Ich, Euch?«
»Ja. Was habe ich Euch gethan?«
»Nichts, gar nichts!«
»So weiß ich nicht, warum Ihr Euch immer von mir wendet. Habt Ihr kein Vertrauen zu mir?«
»Sennor, ich weiß gar nicht, was ich Euch antworten soll. Ihr selbst wißt ja am Besten, daß ich Vertrauen zu Euch habe. Ihr habt es verdient.«
»Meint Ihr?«
»Ja. Ihr seid meinetwegen den Maricopa's nachgeschlichen und habt dann am Silbersee mit ihnen gekämpft. Ihr habt Euch für mich in Gefahr begeben. Warum sollte ich Euch nicht vertrauen?«
»Und dennoch fürchtet Ihr mich?«
»Ich Euch fürchten? Nein!«
»So fürchtet Ihr mich nicht selbst, sondern vielmehr meine Worte.«
»Ich verstehe Euch wirklich nicht.«
»Dann bitte, setzt Euch einmal zu mir! Wir wollen recht offen zu einander reden. Kommt her!«
Er ergriff ihr kleines, feines Händchen und zog sie zu dem Stuhle, welcher neben dem seinigen stand. Dabei wich die Farbe aus den Wangen und ihr Auge zeigte jene Feuchte und Unsicherheit, welche man nur bei Sorge oder Verlegenheit beobachtet. Er bemerkte das wohl und sagte in beruhigendem Tone zu ihr:
»Fürchtet Euch nicht, Sennorita! Ich werde die Worte, welche Ihr jetzt von mir zu hören erwartet, nicht sprechen. Ich habe Euch schon längst beobachtet und bin der Meinung, daß es zwischen uns Beiden zur Richtigkeit kommen muß.«
Sie ließ einen tiefen, ängstlichen Seufzer hören.
»Wolltet Ihr Etwas sagen?« fragte er, als er diesen Seufzer vernahm.
»Nein.«
»O doch! Seid aufrichtig! Was war es?«
»Ich fürchte, daß Ihr doch sagen werdet, was ich nicht hören mag.«
»Warum befürchtet Ihr es?«
»Weil Ihr davon spracht, daß es zwischen uns Beiden zur Richtigkeit kommen muß.«
»Darf ich rathen, was Ihr meint?«
»Nein, nein,« antwortete sie schnell.
»Ich werde es freilich gegen Euren Willen sagen müssen. Ihr meint, daß ich von Liebe zu Euch sprechen werde. Ist es nicht so?«
Sie senkte verlegen und verschämt das kleine Köpfchen, antwortete aber nicht.
»Ist es nicht so?« wiederholte er dringend.
Jetzt nickte sie. Ihre Wangen hatten sich glühend roth gefärbt.
»Nicht wahr, ich hatte Recht. Ihr habt stets gefürchtet, daß ich zu Euch von Liebe sprechen werde, und davor habt Ihr eine außerordentliche Angst gehabt. Ich habe Euch das so oft angemerkt. Ich habe diese Angst oft zertheilen wollen, aber stets wenn ich begann, floht Ihr von mir. Ich konnte niemals einen Augenblick allein mit Euch sein. Länger aber als bis heute habe ich doch nicht warten wollen.«
Da hob sie schnell den Kopf. Die Röthe wich aus ihren Wangen; ihre Augen bekamen neuen Glanz, und ihre Stimme klang viel fester als vorher:
»So habe ich mich getäuscht?«
»Ja, sehr, meine liebe Sennorita.«
»Gott sei Dank!«
Das kam so tief und freudig aus dem Herzen heraus, daß Zimmermann in vorwurfsvollem Tone sagte:
»Ihr müßt mich aber doch sehr, sehr hassen!«
»Hassen?« frug sie verwundert.
»Ja.«
»Warum meint Ihr das?«
»Weil Ihr gar so froh seid, daß ich nicht beabsichtige, Euch einen Heirathsantrag zu machen.«
Sie fiel abermals in peinliche Verlegenheit. Das süße Gesichtchen wurde wieder dunkelroth.
»Sennor Zimmermann!«
»O bitte, ich meine es nicht bös. Seid aufrichtig. Nicht wahr, Ihr seid froh?«
»Ihr zürnt mir doch, wenn ich antworte!«
»O nein. Wir müssen doch aufrichtig mit einander sein. Oder etwa nicht?«
»Ganz gewiß!« antwortete sie schnell vor Angst, daß er doch thun werde, was sie befürchtete.
»Nun also, seid Ihr froh?«
»Ja.«
»Da hat man es!« sagte er im Tone des Aergers.
»Seht Ihrs! Nun zürnt Ihr mir!«
»Nein, ich zürne Euch nicht.«
»Also liebt Ihr mich nicht?«
»Soll ich denn nicht?«
»Nein.«
Sie blickte ihn dabei so aufrichtig und ehrlich an, daß er doch lachen mußte.
»O wehe! Ich soll Euch nicht lieben und liebe Euch doch.«
»Herrgott! Da, da kommt es also doch!«
»Ja, es kommt; es muß ja kommen, Sennorita. Oder kann es einen einzigen Menschen geben, der Euch nicht liebt, sobald er Euch kennen lernt?«
»Es soll mich aber keiner lieben!«
»Warum nicht?«
»Ich will es nicht!«
Sie warf dabei das Köpfchen trotzig in den Nacken.
»Also auch ich nicht? Und doch kann ich Euch nicht gehorchen. Ich liebe Euch dennoch!«
»Da gehe ich schleunigst fort!«
Sie stand schnell auf und wollte sich entfernen. Er aber ergriff rasch ihr Händchen und sagte:
»Bitte, nicht so hastig! Es muß ja klar werden. Wißt Ihr denn nicht, daß es verschiedene Arten von Liebe giebt?«
»Verschiedene? Ja, ich habe davon gehört.«
Seine letzte Frage hatte sie sofort wieder beruhigt, und zwar so, daß sie ihm sogar ihre Hand ließ.
»Nun, welche Arten zum Beispiel?«
»A – a – – affenliebe!« platzte sie lachend heraus.
»Die giebt es freilich; aber ich habe sie nicht gemeint.«
»Vaterlandsliebe?«
»Auch nicht.«
»Stille Liebe?«
»Ja, ja!«
»So seid ja recht still davon!«
»Ich meine sie leider nicht, also darf ich auch nicht schweigen.«
»Elternliebe oder Kindesliebe.«
»Ihr kommt schon näher.«
»Bruder- oder Geschwisterliebe?«
»Jetzt, jetzt habt Ihr das Richtige getroffen! Bruderliebe, die ist es, welche ich für Euch hege. Darf ich Euch so lieb haben, wie ein Bruder seine Schwester?«
Sie schwieg einige Augenblicke. Sie blickte ihm fragend in die Augen; dann antwortete sie in hellem, fröhlichem Tone:
»Gern, o wie gern!«
»Also ich darf Euer Bruder sein?«
»Mein Bruder Carlos!«
»Und Ihr seid mein Schwesterchen?«
»Aus vollem Herzen!«
»So bitte, gebt mir zur Bekräftigung Euer kleines, allerliebstes Patschchen her!«
Er hielt ihr die Hand entgegen.
»Hier ist sie!« lachte sie, indem ihr Gesicht vor lauter Glück strahlte.
»So, ich danke Euch, Sennorita! Das ist Alles, was ich erreichen wollte, weil ich nicht mehr erreichen konnte. Ich habe eine Schwester, und Ihr habt einen Bruder, auf welchen Ihr Euch in jeder Lebenslage verlassen könnt. Nun ist Alles klar. Ist's so recht?«
»Ganz und gar recht.«
»Und Euer Herz ist leicht.«
»So leicht, so leicht! Ich hatte wirklich immer so große Angst, daß Ihr von Anderem sprechen würdet.«
Sein Auge zeigte einen feuchten Schimmer und seine Miene war sehr ernst, als er antwortete:
»Sennorita, Ihr hattet doch wohl ein Wenig Grund zur Sorge. Wenn ich nur eine Ahnung des Gelingens gehabt hätte, so wäre es doch wohl so geworden, wie Ihr befürchtet habt. Ihr seid ein helles, lichtes, reines Wesen, als hätte Euch der Herrgott vom Himmel gesandt und die Klarheit des Aethers wollte selbst auf der Erde nicht von Euch lassen. Mein Leben aber ist dunkel und traurig. Wenn nun am Horizonte eines solchen Lebens plötzlich ein Wesen erscheint, umstrahlt von der Aureole eines bessern Seins, dann ist es kein Wunder, wenn das Herz in Liebe und Anbetung klopft. Das sage ich Euch in aller Aufrichtigkeit. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, mein Herz zu bezwingen; ich habe es bezwungen, aber leicht ist es mir nicht geworden. Es hat vielleicht gar hier und da im Stillen geblutet; aber der Gedanke, daß ich ein Schwesterlein lieben darf, wird sich wie Balsam auf diese Wunden legen.«
Er senkte den Kopf und schwieg. Auch ihr Auge war feucht geworden. Sie trat leise einen Schritt näher. Wollte sie, oder folgte sie nur der Regung des Augenblickes – sie legte ihm beide Händchen auf den Kopf und sagte:
»Verzeiht mir! Ich kann ja nicht dafür. Der liebe Gott wird Eurem Herzen Frieden schenken!«
»Ja, ja, das mag er thun!« antwortete er, indem er sich erhob.
Da fielen ihre feuchten Blicke in einander. Der ihrige, vorher so zaghaft, wich dieses Mal dem seinigen nicht aus, sondern blieb fest an ihm hangen.
»Magda!«
»Karl!«
Er legte langsam und leise den Arm um sie und zog sie an sich heran. Eine tiefe Gluth flammte über ihr Gesicht; noch tiefere Blässe folgte darauf. Hatte sie schon wieder die bereits erwähnte Angst vor ihm? Sie floh aber nicht. Sie duldete, daß er ihr Köpfchen an sein Herz legte und dann mit seinen Lippen ihre reine, weiße Stirn berührte.
»Gott segne Dich, lieb Schwesterlein!
Mög stets ein Engel bei Dir sein,
Der Dich auf seinen Händen trage
Durch helle und durch trübe Tage!«
Er sagte dies langsam und aus tiefster Seele heraus, strich ihr noch einige Male liebkosend über das weiche Haar und schob sie dann von sich zurück.
Sie weinte leise. Das rührte ihm die tiefste Tiefe seines Herzens auf. Als er jetzt wieder sprach, hörte sie es seiner Stimme an, daß auch er mit einem Schluchzen rang, welches er kaum zu bezwingen vermochte:
»Weine ja nicht, Magda! Ich kann das nicht hören. Ich allein hab Thränen im Innern. Hast Du einmal gehört, daß Einer sich selbst begräbt?«
»Nein. Das ist doch unmöglich.«
»O, es ist im Gegentheile sehr möglich. Wenn ein tief angelegtes Gemüth so eine echte, richtige Herzensliebe fühlt, so hängt das Leben an dieser Liebe. Muß man der Liebe entsagen, so entsagt man dem Leben, denn leben heißt lieben. Heut habe auch ich eine solche Liebe zu Grabe getragen. Mein Leben wurde mit hinabgesenkt.«
»Das verhüte Gott!«
Sie war wirklich erschrocken.
»O, ich meine nicht mein körperliches, mein leibliches Leben,« tröstete er sie. »Das bleibt mir übrig, und das kann vielleicht sogar prächtig gedeihen, daß kein Mensch, der mich erblickt, es merkt, daß ich eigentlich todt bin. Mein Leben ist in das Deinige hinübergeflüchtet. Dort hat es eine heiligere, eine bessere Stelle als bei mir. Und das ist es, was mich tröstet.« Und in munterem Tone fuhr er fort: »Nun aber wollen wir die Köpfe nicht hängen. Geschwister sollen sich das Dasein nicht schwer sondern leicht machen. Und da habe ich Euch, Sennorita, Etwas mitzutheilen, was Euch veranlassen wird, Euer Köpfchen recht getrost und froh aufzurichten.«
»Was wäre das?«
»Er denkt an Euch.«
»Er? Wer?«
Es war ihrer unbefangenen Miene anzusehen, daß sie wirklich bei dieser Frage an keinen Menschen dachte.
»Nun, er!« antwortete er mit Nachdruck.
»Das verstehe ich nicht.«
»So muß ich durch eine andere Thür in die Kirche gehen. Nicht wahr, die Angst, daß ich von Liebe sprechen werde, hatte einen Grund?«
Sie dachte nach, aber vergebens. Darum antwortete sie:
»Welchen Grund sollte sie gehabt haben?«
»Einen Grund, der wohl nicht in mir lag, denn Ihr selbst habt mir gesagt, daß Ihr mich nicht haßt. Der Grund lag an einem Andern.«
»Wen meint Ihr?« fragte sie, noch immer ganz und gar unbefangen.
»Einen, den Ihr liebt.«
»Ich?«
»Ja, dem Euer kleines, liebes Herz gehört.«
»Da giebt es keinen!«
Er zog sie auf den Stuhl zurück und setzte sich neben sie. Trotz der Entsagung, welche er hatte leisten müssen, lag sein Auge mit aufrichtiger, tiefer Freundlichkeit auf ihrem sinnenden Gesichte.
»Ihr kennt wirklich keinen?«
»Nein,« antwortete sie, ihm ehrlich und offen in das Auge blickend.
Da glitt ein überlegenes und zugleich gerührtes Lächeln über sein Gesicht, und er rief:
»Welch ein unerklärliches Ding ist doch das kleine Menschenherz! Es beherbergt eine ganze Welt, ohne daß es selbst Etwas davon weiß. Wir sind Geschwister und wollen als Geschwister mit einander sprechen, aufrichtig, ohne Rückhalt und falsche Scham. Sagt mir, bin ich häßlich?«
»O nein,« lachte sie. »Ihr seid sogar ganz hübsch.«
»Alt?«
»Wer das behaupten wollte, wäre blind.«
»Habe ich einen schlechten Character?«
»Den allerbesten von der Welt!«
»Welche schlechten Eigenschaften besitze ich?«
»Ich kenne keine einzige.«
»Ein Glück, daß ich nicht auch mich für einen solchen Engel halte. Aber wenn ich wirklich so wäre, dann müßte ich doch eine höchst liebenswerthe Person sein.«
»Die seid Ihr auch in Wahrheit.«
»Und doch habt Ihr Furcht gehabt, daß ich von Liebe sprechen könnte!«
Sie wurde verlegen und antwortete nicht.
»Seht, Sennorita, das ist die Falle, in welcher ich Euch gefangen habe. Ich bin kein so seltener Kerl, wie Ihr meint; aber ich habe keine äußern Fehler; ich gefalle Euch; Ihr glaubt mir zu Dank verpflichtet sein zu müssen, und doch liebt Ihr mich nicht. Was ist der Grund?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich kenne ihn. Es ist der einzige, den es nur geben kann. Ihr liebt einen Andern.«
Sie schrak sichtlich zusammen.
»Einen Andern?« fragte sie, ihn ganz rathlos anblickend.
»Ja.«
»Mein Himmel! Welch ein Gedanke! Ihr irrt.«
»O nein. Ihr liebt einen Andern, und ich kenne ihn sogar sehr gut.«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Ich bin überzeugt, daß ich Eure Liebe errungen hätte, wenn Euer Herz überhaupt noch frei gewesen wäre. Daß mir das nicht gelungen ist, das ist der sicherste Beweis, daß ein Glücklicherer vor mir gekommen ist.«
»Aber Ihr irrt, Ihr irrt wirklich!« entgegnete sie im Tone tiefster Wahrheit.
»Laßt einmal sehen! Ich halte es für meine Pflicht, das Medaillon zu öffnen, aus welchem sein Bild Euch entgegenlächeln wird. Seid Ihr vielleicht einmal in San Franzisco gewesen?«
»Ja.«
»Dann auch in Carson-City.«
»Ja.«
Aber dieses Ja kam langsamer über die Zunge. Ihre Augen blickten wie forschend in das Weite, und ihre Wangen begannen, sich zu färben.
»Seid Ihr da nicht einem fremden Sennor begegnet?«
»Ich habe da sehr viele Männer gesehen.«
»Ich meine den, welchem Ihr auf der Treppe begegnetet, neben dem Ihr an der Tafel saßt und dem Ihr endlich Euren Namen sagtet.«
Jetzt fuhr sie vom Stuhle empor, blickte ihm starr in das Gesicht und fragte:
»Den? Den soll – soll – ich – ich lieben?«
»Ja, Schwesterchen.«
Sie legte sich die Hände vor die Augen, wie um gar nichts zu sehen und nur allein in die Vergangenheit zurückzublicken. Als sie dieselben dann rasch wieder herabnahm, war ihr Gesicht mehr als glühend roth.
»Gott, mein Gott!«
Diesen Ruf stieß sie aus, dann eilte sie so schnell wie möglich zur Thür hinaus.
Er blieb zurück und stützte den Kopf in die Hand. Sein Gesicht hatte einen trüben, beinahe gramvollen Ausdruck. Er flüsterte für sich hin:
»Welch ein Mädchen! Da kann eigentlich nur der Psycholog glauben. Sie hat geliebt, ohne es selbst zu wissen. Erst ich öffne ihr jetzt die Augen. Warum aber thue ich das? Könnte ich nicht ein Schurke sein und so lange um sie werben, bis sein Bild aus ihrer Seele verschwunden ist und sie dann mein werden könnte? Nein, hebe Dich weg, Satanas! Für den Preis eines solchen Verrathes möchte ich nicht einmal den Himmel erkaufen. Für Langendorff bin ich hier, und für ihn muß ich handeln, ob mir gleich das Herz blutet und ich mein Leben in immer enger und öder werdender Perspective verschmachten sehe, bis es zum kleinen Punkte wird, der dann in Nichts zerfließt.«
So saß er lange, lange in tiefer Trauer. Er hörte nicht, daß die Thür leise geöffnet wurde, daß Jemand eintrat und zu ihm herbeikam. Selbst den leisen Druck der Hand, welche sich auf seinen Arm legte, fühlte er nicht, bis endlich Magda's zagende Frage erklang:
»Ihr kennt ihn also?«
Er fuhr aus seinem Grübeln empor.
»Kennen? Wen?« fragte er, als ob er sich erst auf das Vorhergegangene besinnen müsse.
»Jenen Sennor in San Franzisco und Carson-City.«
»Ach, den!«
Er strich sich mit den Fingern durch das Haar. Sein irrer Blick bekam erst nach und nach Leben, und dann fragte er:
»Wolltet Ihr nicht etwas wissen, Sennorita?«
»Ja. Ich fragte, ob Ihr ihn kennt.«
»Ich kenne ihn.«
»Auch seinen Namen?«
»Er ist ein Deutscher und heißt Langendorff.«
»Ein Deutscher, ein Deutscher!« wiederholte sie, die kleinen Händchen in freudiger Verwunderung zusammenschlagend. Also doch!«
»Er hatte es Euch ja gesagt.«
»Jawohl aber – – – mein Gott, was ist Euch?«
Es fiel ihr erst jetzt sein ziemlich verstörtes Aussehen auf.
»Nichts, gar nichts. Ich habe plötzlich Zahn – – – Magen – – – wollte sagen, Kopfschmerzen bekommen.«
»Und sehr stark, wie es scheint?«
»Thut nichts; desto schneller gehen sie vorüber. Bitte, sprecht getrost weiter, wenn Ihr etwas erfahren wollt!«
»Ich möchte gern wissen, was er ist,« sagte sie mit liebenswürdiger Offenheit.
»Er ist – jetzt – jetzt – hm, er reist.«
»Als was?«
»Als Geograph oder Geolog oder Geognost oder Geometer oder Geodäter, ich weiß nicht mehr genau, aber ein Geo ist dabei.«
»Kennt Ihr seinen Vornamen?«
»Gün – – ther!« sagte sie langsam und mit liebevoller Betonung. »Ein echt deutscher Name, hübsch, vollklingend und kräftig.«
»Der Name gefällt Euch also?«
»Sehr! Und wo wohnt er?«
»Er wohnt nicht, sondern er reist, wie ich bereits sagte. Er sucht nämlich – hm, etwas höchst Kostbares, was er verloren hat.«
»Verloren? O weh! Etwa eine bedeutende Summe?«
»Nein: daraus würde er sich wohl auch weniger machen. Er sucht eine Person, welche er bereits schon einige Male verloren hat.«
»Das ist noch schlimmer. Ist es ein Herr oder eine Dame?«
»Eine Dame.«
»Wohl gar Mutter oder Schwester?«
»Nein; es ist seine Geliebte.«
Er blickte sie dabei forschend an. Sie erbleichte sichtlich, trat einen Schritt zurück und stieß hervor:
»Geliebte? Er hat eine Geliebte?«
»Ja. Warum sollte er nicht!«
Sie hielt sich mit der Hand an der Lehne des Stuhles an.
»Mein Gott! Wer – hätte – das gedacht!«
»Nun er ist ja kein Knabe mehr.«
»Al – aller – – allerdings. Kennt Ihr vielleicht auch diese Geliebte?«
»Ja, freilich.«
»Ist sie etwa auch eine Deutsche?«
»Das zu entscheiden, fällt mir jetzt noch zu schwer.«
»Ihr Name?«
»Wollt Ihr den Vor- oder den Familiennamen erfahren, Sennorita?«
»Beide, beide!«
»Magda Hauser.«
Sie starrte ihn einige Augenblicke vollständig verständnißlos an. Dann aber kam die volle Erkenntniß plötzlich über sie. Sie schien mit einem Male größer zu werden.
»Magda Hauser! Das bin ja ich! Mich sucht er?«
»An allen Ecken und Enden.«
»Herrgott! Mich, mich sucht er, mich!« jubelte sie. »Und er hat keine Ahnung, daß ich hier bin?«
»Nicht die mindeste.«
»O, wo ist er, wo ist er? Sagt es mir, damit ich ihm Nachricht geben kann!«
Er hatte jetzt sich selbst ganz wiedergefunden. Er schüttelte lächelnd den Kopf, erhob warnend den Finger und sagte:
»Ich begreife Euch nicht, Sennorita. Er ist Euch völlig fremd; Ihr habt kaum zwei Worte mit ihm gesprochen, und Ihr behauptetet vorhin, daß Ihr kein Interesse für ihn hättet; nun aber jubelt Ihr wie eine Lerche über – –«
»Kein Interesse?« fiel sie ihm in die Rede. »Er ist es ja, den ich – den – den, nein, oder ja, den Ihr vorhin meintet!«
»Ich? Ich hätte ihn gemeint? Wann denn?«
»Als Ihr von dem spracht, wegen dem – dem – dem – mein Gott, wie mache ich es Euch nur deutlich!«
»Nun, nehmt Euch nur Zeit! Ich habe Geduld.«
Sie war vollständig in Feuer gerathen. Ihre Augen strahlten; ihr Gesicht glühte, und ihre Bewegungen und Gestikulationen waren so voller Seele und Leben, wie er es noch nie an ihr bemerkt hatte. Es schien ihr ganz gleich zu sein, ob sie nach den Regeln der Déhors handele oder nicht. Sie fuhr fort:
»Ihr spracht von dem, wegen dem ich von Euch – von Euch nichts – nichts – – –«
»Nichts wissen wollte?« ergänzte er lachend.
»Ja, so ist es.«
»Weiter!«
»Nun, er ist es; er ist derjenige wegen dem, er, Günther, kein Anderer.«
»Sapperment! Günther! Also bereits beim Vornamen! Ihr seid in diesen wenigen Minuten sehr vertraut mit ihm geworden!«
Sie bemerkte jetzt erst, wie weit sie sich hatte fortreißen lassen. Schon wollte sie sich ein Wenig schämen, da aber kam sie auf das beste Rettungsmittel. Sie wendete sich halb von ihm ab und antwortete in schmollendem Tone:
»Habt Ihr mich nicht erst vorher um Aufrichtigkeit gebeten? Habt Ihr Euch nicht meinen Bruder genannt? Und nun ich Euch den Willen thue und offenherzig spreche und handle, macht Ihr Euch über mich lustig!«
»Lustig? Da sei Gott vor! Mir ist ja überhaupt nicht allzu lustig zu Muthe.«
»Also er sucht mich wirklich?«
»Mit Schmerzen. Er hat Euch bereits monatelang gesucht, er und ich.«
»Wie? Auch Ihr?« fragte sie erstaunt.
»Ja. Wir haben Südcalifornien in zwei Hälften getheilt. Die eine durchwandere ich, und die andere durchstöbert er, um Euch zu finden.«
»Ist das möglich!« rief sie aus in heller Verwunderung die Hände zusammenschlagend. »Ich werde gesucht, ich, ich, von zwei Sennores, welche nicht wissen wo ich bin!«
»Freilich, freilich! Wüßten wir, wo Ihr seid, so hätten wir wahrhaftig nicht gesucht.«
»Aber Ihr wißt es ja!«
»Jetzt ja, früher aber nicht.«
»Habt Ihr ihm nicht Nachricht gegeben?«
»Noch nicht.«
»Warum nicht? So eilt doch, eilt!«
»Langsam, langsam, liebes Schwesterchen! Ich weiß ja selbst nicht wo er ist.«
»Ihr wißt es nicht? Lieber Gott! Was soll daraus werden! Erst habt Ihr mich gesucht, und nun müssen wir ihn suchen; schließlich geht dann Ihr uns verloren, und wir müssen auch Euch suchen. Die reinste Sucherei!«
»Ja, so kann es werden; nur meine ich, wenn Ihr ihn habt, so wird es Euch nicht einfallen, nach mir zu suchen. Ihr laßt mich einfach laufen.«
»Was denkt Ihr von mir! Aber wollen uns nicht über Unnöthiges ereifern und lieber an das Nothwendigste denken!«
»Ja. Das Nothwendigste ist natürlich – er, Günther.«
»Das versteht sich!« gestand sie in fröhlicher Aufrichtigkeit. Also, Ihr habt ihn verloren?«
»Nein. Wir können natürlich nicht an jedem Tage genau wissen, wo wir beiderseitig uns aufhalten. Darum haben wir uns ein Rendez-vous bestimmt, an welchem wir uns zur festen Zeit treffen.«
»Wo ist das?«
»In Prescott.«
»Ah! Wo Sennor Steinbach sich befindet mit den andern Sennores. Wie herrlich, wenn sie ihn träfen und gleich mitbrächten!«
»Langsam, langsam! Man darf sich nie das Unmögliche wünschen. Die Herren kennen einander ja gar nicht.«
»Aber sie können sich doch kennen lernen!« behauptete sie.
»Das hilfe zu gar nichts. Wie kann Sennor Steinbach ihm sagen, daß Ihr Diejenige seid, welche –? Er weiß ja gar nichts davon.«
»Sennor Steinbach? O, da kennt Ihr ihn schlecht. Der Fürst der Bleichgesichter ist zwar nicht allwissend, aber er durchschaut auf den ersten Blick gleich Alles. Er wird auch mich und Günther – – –«
»Ja, Günther, Günther!« nickte er lachend.
Sie aber ließ sich durch seine freundschaftliche Ironie nicht irre machen, sondern fuhr fort:
»Und Günther dort schauen und ihn gleich mitbringen.«
»Schön! Dann fliegen wir Beide dem lieben Günther mit ausgebreiteten Armen entgegen und – – –«
Er hielt inne.
»Bösewicht!« hatte sie gerufen und war aus der Stube geeilt.
Er blieb noch lange allein, kämpfend mit seiner Selbstsucht, doch gelang es ihm, die Stimme derselben zum Schweigen zu bringen.
Nachher kehrte Wilkins zurück. Er berichtete, daß nichts übrig bleibe, als bis auf morgen zum Zuge zu warten. Die einzige Reisegelegenheit sei ein »Hühnerdieb«, welcher unten am Ufer liege. Er gehöre aber dem Sohne des Stationers, welcher ihn nie als Transportmittel hergebe.
Später noch wurden die Stühle hinaus auf den Balcon geschafft, welcher sich längs der ganzen Gebäudefront hinzog und in verschiedene Abtheilungen getheilt war, je eine für ein jedes Zimmer. Man hatte von da aus eine reizende Aussicht über den Fluß hinüber nach den Eureka-Bergen.
In der Nebenabtheilung saß eine junge, reizende Dame, welche auch ihr Zimmer verlassen hatte, um die frische Luft und die Aussicht zu genießen. Sie hatte den Rücken halb herüber gewendet und schien sich um die Andern nicht zu bekümmern. Die beiden Mädchen, Zimmermann und Wilkins sprachen mit einander. Dabei wurden die Namen genannt, Sennor Wilkins, Sennor Zimmermann, Sennorita Magda und Sennorita Almy. Da plötzlich erhob die Unbekannte sich vom Sessel und drehte sich zu den Vieren herum. Sie verbeugte sich und sagte:
»Entschuldigung, Sennoritas und Sennores! Ich höre da Namen, für welche ich ein großes Interesse empfinden muß. Ist nicht ein Sennor Wilkins mit seiner Tochter Almy unter Euch?«
»Gewiß! Ich heiße Wilkins,« antwortete der frühere Pflanzer.
»Kommt Ihr vom Silbersee herab?«
»Ja,« antwortete er einigermaßen erstaunt.
»Dann seid Ihr es; ja, dann seid Ihr es! Welch ein Zufall! Ich bin ganz glücklich, Personen so unerwartet kennen zu lernen, deren Schicksal mir eine so lebhafte Theilnahme eingeflößt hat.«
»Wie? Ihr kennt unsere Schicksale?«
»Ziemlich genau. Aber erlaubt, mich Euch vorzustellen. Der Name meines Mannes ist Howk. Ich reise, um mit ihm zusammenzutreffen. Ich bin aus Baltimore.«
Man verbeugte sich gegenseitig, und dann fuhr die Dame fort:
»Ihr verfolgt einen gewissen Walker?«
»Ja.«
»Und Roulin?«
»Gewiß. Woher wißt Ihr das, Mis'siß?«
»Ihr kennt einen Master Steinbach?«
»O, sehr gut.«
»Sam Barth, Jim und Tim?«
»Ihr scheint gleich gut bekannt wie wir mit diesen Sennores zu sein?«
»Sehr gut. Wir trafen uns in Prescott.«
»In Prescott! Also vor ganz kurzer Zeit!«
»Ja. Ich komme von dort her, direct von dort. Ich logirte mit den Sennores in einer und derselben Venta, nämlich bei der sogenannten gelehrten Emeria, und hatte das Vergnügen, nicht nur mit ihnen zu verkehren sondern auch Theilnahme an ihren intimen Unterhaltungen zu nehmen. Das war die Folge eines kleinen Dienstes, welchen ich ganz zufällig den Sennores leistete. Ich hatte nämlich Bill Newton getroffen.«
»Der ist ja am Silbersee gefangen!«
»Nein, er ist von dort geflohen, und zwar mit Hilfe eines gewissen Leflor, welcher aus Wilkinsfield dahin gekommen war.«
»Leflor? Um Gotteswillen! der am Silbersee?«
»Ja. Ich hätte Euch eigentlich sehr viel zu erzählen; aber jedenfalls wißt Ihr bereits Alles. Wenigstens hörte ich, daß Sennor Steinbach einen Eilboten nach Gila Bend gesandt hat, um Euch von dort aus zu telegraphiren.«
»Das hat er freilich gethan, aber von den Ereignissen in Prescott ist da gar nichts erwähnt.«
»Er will nach Dos Palmas.«
»Das eben hat er telegraphirt, sonst nichts. Warum aber will er dorthin? Wir erwarteten ihn hier.«
»Weil Walker und Alle aus Prescott entkommen sind. Sie haben den Weg über Mineral-City nach Dos Palmas eingeschlagen. Dort wollen sie – ich weiß nicht was. Die Verfolger sind gleich hinterher, auf guten, ausgeruhten Pferden. Die Verbrecher werden sicher eingeholt werden. Ich bin überzeugt, daß die Sennores sich bereits in Dos Palmas befinden und auf Euch warten.«
»Verteufelt! und wir sitzen hier!«
»Und die Sennores können ohne Euch nicht weiter.«
»Das ist höchst unangenehm. Wir müssen leider bis morgen Nachmittag warten; dann erst kommt der nächste Zug.«
»Wie? So lang wolltet Ihr warten? Das ist doch nicht nöthig.«
»Es giebt keine andere Gelegenheit.«
»O doch. Ich biete Euch die meinige an. Ich segle nach Gila-City und Yuma. Von dort aus könnt Ihr auf Pferden die übrige Strecke in der kürzesten Zeit zurücklegen.«
»Habt Ihr ein Schiff?«
»Den Hühnerdieb, welchen mir der Sohn des hiesigen Stationers zur Verfügung gestellt hat. Ich komme per Boot von Prescott herab und will nun auch zu Wasser vollends bis Yuma, wo ich mit meinem Manne zusammentreffe. Ich wollte zwar erst morgen weiter, aber wenn Euch an einem schnellen Fortkommen gelegen ist, bin ich an jedem Augenblicke bereit, mit Euch aufzubrechen.«
»Euer Anerbieten ist ein ebenso großmüthiges wie uns höchst willkommenes, Mis'siß!«
»O bitte! Ich interessire mich für Euch und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich mich Euch zur Verfügung stelle. Uebrigens bin ich es, die den Vortheil davon hat. Ich brauche nicht allein zu reisen und bekomme im Gegentheile sehr interessante Gesellschaft.«
»Wie viele Plätze habt Ihr frei?«
»Ich könnte über zehn Personen bei aller Bequemlichkeit mitnehmen.«
»Wir nehmen an, unter der Bedingung natürlich, daß wir unsern Theil an der Bezahlung des Bootes tragen dürfen.«
»Das sei Euch unbenommen.«
»Abgemacht! Ihr nehmt uns wirklich eine große Sorge vom Herzen. Könnten wir Euch nur dankbar sein! Dürfen wir eine Einladung aussprechen? Bitte! Wir möchten doch gar zu gern erfahren, was in Prescott geschehen ist.«
»Bitte, bitte! Vor allen Dingen praktisch sein! Ich bin eine Yankeese. Zeit ist Geld. Das Nothwendigste voran. Erzählen kann ich später. Ihr fahret mit?«
»Ja.«
»So heißt die Frage, wann?«
»O, am liebsten gleich jetzt!«
»Nun, so schnell geht es freilich nicht. Wir haben bereits halbe Dämmerung. In einer Stunde aber können wir segelfertig sein. Wollt Ihr Euch dann an den Fluß bemühen?«
»Gewiß. Bleibt Ihr bis dahin nicht hier?«
Miranda hatte sich nach ihrer Thür gewendet. Sie antwortete:
»Nein; ich muß fort, um dem Schiffer meine Weisungen zu ertheilen. Er hatte ja gemeint, daß ich erst morgen reise. Auch habe ich noch einige Einkäufe zu besorgen.«
»Aber werden wir des Nachts segeln können?«
»Ganz gut. Das Wasser ist frei und ungefährlich, und der Schiffer kennt den Fluß genau, wie er mir versicherte. Zum Anlegen ist es ja immer noch Zeit, wenn es sich herausstellt, daß das Segeln während der Nacht nicht als rathsam erscheint. Also, Adieu bis nach einer Stunde! Ich freue mich königlich, Euch einen kleinen Dienst erweisen zu können, und ebenso freue ich mich darauf, Euch an Bord über die Ereignisse in Prescott Bericht erstatten zu dürfen.«
Sie verschwand hinter der Balconthür, in ihr Zimmer zurücktretend, und kam kurze Zeit darauf aus dem Hause, um den Weg nach der Station einzuschlagen, wo sie natürlich zu erzählen beabsichtigte, daß der Anschlag gegen Wilkins bis zu diesem Stadium gelungen sei.
Wilkins hatte vom Balcon aus eine offene Aussicht nach dem Flusse und konnte den Seelenverkäufer liegen sehen. Er konnte ihn also nicht verfehlen, obgleich die Dunkelheit des Abends herein zu brechen begann und es dann, wenn der Aufbruch da war, vollständig finster sein mußte.
Die Gelegenheit, welche sich ihm bot, bereits heute bis hinunter an den Colorado zu kommen, war ihm außerordentlich willkommen. Es wurde natürlich sofort Alles eingepackt. Sie hatten sich nicht viel mit unnützem Gepäck beschwert, und als die Stunde verflossen war, sahen sie sich zum Aufbruche bereit. Ein dienstbarer Geist des Hotels trug ihnen ihre Sachen nach dem Ufer und stieg ihnen auf dem Brete, welches von dem Letzteren nach dem Segelboote gelegt war, voran, entfernte sich aber sofort wieder, nachdem er sich seiner Last entledigt hatte.
Da, wo sie an Bord stiegen, stand Donna Miranda, die vermeintliche Mistreß Howk, um sie zu empfangen. Sie bot ihnen die Hand und sagte:
»Herzlich willkommen, Ladies und Gentlemen! Wollen hoffen, daß wir eine gute Reise machen. Kommt herein in die Cajüte!«
»Wo sind denn die Bootsleute?«
»Sie sind vorn am Vordertheile. Wir haben nichts mit ihnen zu thun. Nun Ihr hier seid, werden sie sofort vom Land stoßen.«
»Und der Capitän?«
»Giebt es nicht. Bei einem solchen Boote genügt ein Steuermann. Er ist vorn bei ihnen, um ihnen die nöthigen Befehle zu ertheilen. Kommt herein!«
Sie folgten dieser Aufforderung.
Das Boot hatte ein Verdeck. Der Raum unter demselben war für Waaren bestimmt und in mehrere verschließbare Räume getheilt. Das Oberdeck hatte ein leichtes Dach und ebensolche Seitenwände und besaß zwei Abtheilungen, die vordere für die Bootsleute und die hintere für Passagiere bestimmt. Hinter dieser letzteren Abtheilung gab es einen freien Platz, von welchem aus die Treppe nach dem unteren Raume führte. Noch hinter dem Treppeneingange stand der Steuermann während der Fahrt am Steuerruder.
Als die Passagiere die Cajüte betraten, erblickten sie einen wirklich recht comfortabel eingerichteten Raum. Ein schmaler Tisch zog sich in der Mitte hin, und zu beiden Seiten, an den Wänden gab es bequeme Rohrsitze. Ueber dem Tische, in der Mitte der Cajüte, hing eine brennende Lampe von der Decke herab.
Sie nahmen Platz auf den Sitzen, und kaum war dies geschehen, so vernahmen sie die laute, befehlende Stimme des Steuermannes:
»Holla! Herein mit der Kette! Stoßt vorn ab. Die Raa in die Höhe! Fangt den Wind!«
Das Boot begann sich zu bewegen.
»Es wird doch nicht gefährlich sein!« meinte Almy, welcher die Dunkelheit Sorge machte.
»O nein,« antwortete Miranda. »Ihr dürft keine Angst haben.«
»Aber bei Nacht, auf dem Gila!«
»Glaubt Ihr, daß ich mich diesem Boote anvertrauen würde, wenn ich nicht ganz gewiß wüßte, daß ich es thun darf?«
Selbst Wilkins konnte sich einer leichten Beängstigung nicht erwehren. Er sagte:
»Wäre es auf dem breiten Wasser des Missisippi, wo die gefährlichen Ufer weit auseinander treten, so wollte ich es gelten lassen. Der Rio Gila aber ist ein heimtückischer Gesell. Nun ich auf seinen Fluthen schwimme, kommen mir Bedenken, welche ich vorher nicht hatte. Ich werde denn doch einmal hinausgehen, um zu sehen, ob Alles in Ordnung ist.«
»Ihr würdet jetzt vielleicht nur im Wege sein.«
»O nein! Ich werde mich in Acht nehmen. Geht Ihr mit, Sennor Zimmermann?«
»Ja.«
Zimmermann wollte der Aufforderung Folge leisten. Er saß neben Miranda. Diese ergriff ihn beim Arme und sagte:
»Bleibt, Sennor! Ihr seht, daß die beiden Damen ängstlich sind, und da ist es gut, wenn wenigstens einer der Herren bei uns bleibt.«
Sie wollte, daß nur einer hinausgehen solle. Sie wußte natürlich auch, weshalb. Er aber hatte keine Ahnung davon. Da auch Magda ihm einen bittenden Blick zuwarf, so blieb er. Wilkins aber ging hinaus.
Im ersten Augenblicke konnte er nichts sehen, als die jetzt noch matt strahlenden Sterne des Himmels. Als sich aber seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er das große Segel über sich hängen, drohend und schwer. Der Wind, welcher ein günstiger war, hatte sich hineingelegt. Das Fahrzeug hatte bereits das Ufer verlassen und die Mitte des Flusses gewonnen. Dort glitt es still und lautlos abwärts. Nur vorn vom Buge her ertönte ein leises Rauschen. Es kam vom Wasser, welches dort am Kiele emporstieg und rechts und links wieder niederfloß.
Der Steuermann stand am Ruder. Er sagte kein Wort. Mehr nach vorn zu bewegten sich mehrere dunkle Gestalten. Wilkins trat zu dem Steuermanne und fragte diesen:
»Glaubt Ihr, daß wir eine glückliche Fahrt haben werden, Sennor?«
»Warum sollte sie unglücklich sein?« antwortete der Gefragte rauh, fast grob.
»Weil wir des Nachts segeln.«
»Pah! Ihr sagt mir da eigentlich eine Beleidigung. Glaubt Ihr, daß ich mein Fach nicht verstehe!«
»Das wollte ich nicht sagen.«
»So schweigt lieber! Es ist besser, gar nichts zu sagen, als Dinge zu reden, welche man nicht versteht oder die wenigstens mißverstanden werden können.«
»Hm! Uebermäßig höflich scheint Ihr nicht zu sein, mein bester Sennor!«
»Ich bin Beides, höflich und unhöflich. Jedes zu seiner Zeit und an seinem Orte. Von mir hängt die Fahrt ab. Ich darf keinen Fehler machen; ich muß aufpassen und habe also keine Zeit zum Plaudern. Laßt mich also in Ruhe! Wenn Ihr Euch unterhalten wollt, so geht nach vorn. Da sind Leute, welche mehr Muse haben als ich.«
»Donnerwetter! Das ist deutlich!«
»Es wäre Unsinn, undeutlich zu sprechen.«
»Ihr scheint zu denken, einen Mann vor Euch zu haben, mit dem man in dieser Weise umspringen muß.«
»Ich weiß gar nicht, wen ich vor mir habe. Ich weiß nur, daß ich Augen und Ohren offen zu halten habe. Laßt mich also endlich in Ruhe!«
Wilkins ärgerte sich über den Mann.
»Flegel!« brummte er, aber laut genug, um von dem Steuermann verstanden zu werden, dann ging er langsam nach dem Vordertheile.
Er irrte sich. Der Steuermann war nicht grob. Sein Verhalten, seine vermeintliche Grobheit war berechnet. Wilkins sollte nach vorn gehen; das bezweckte er.
Die wenigen Lichter der kleinen Stadt waren verschwunden. Dunkel lag rechts und links, vorn und hinten, auf allen Seiten. Hier und da sah man eine Welle, welche sich an irgend einem Gegenstande brach, matt glänzen; das war die einzige Unterbrechung der Finsterniß, welche auf der Erde ruhte.
Wilkins ging langsamen Schrittes nach vorn, zwischen der Cajüte und der Regeling hindurch. Regeling wird die Brustwehr genannt, welche sich rund um den Rand des Schiffes zieht.
Als er den Mast passirt hatte und nun das Vorderdeck erreicht hatte, sah er die Männer, welche er ausschließlich für die Bemannung des Schiffes hielt. Er wunderte sich, daß es ihrer so viele waren. Er zählte neun oder zehn Personen. So viele waren bei der geringen Größe des Fahrzeuges doch nicht nothwendig. Einer stand an der Brustwehr und blickte in das Wasser. Er schien sich um gar nichts zu kümmern. Zu ihm trat Wilkins.
»Guten Abend!« grüßte er.
»Guten Abend!« dankte der Andere, indem er mit der Hand an die Krämpe seines Hutes griff.
»Ihr gehört mit zur Besatzung?«
»Natürlich.«
»Wie viele Personen sind es?«
»Zählt sie! Da stehen Alle.«
»So viele!«
»Ja. Meint Ihr, daß wir nicht gebraucht werden?«
»Das meine ich.«
»Hm! So versteht Ihr von unserm Handwerke nichts.«
»Vier bis fünf Bootsleute würden genügen.«
»Ihr seid gewiß ein Nordländer?«
»Allerdings.«
»Dachte es! Eure Ströme sind zahm. Unser Rio Gila aber ist ein heimtückischer Kerl. Ihn zu zähmen, bedarf es stellenweise vieler Hände. Ich habe den Missisippi und den Arkansas befahren; dort hat man es freilich leichter als hier.«
»Den Arkansas? Wie weit seid Ihr da gekommen?«
»So ziemlich bis in das Indianerterritorium.«
»So kennt Ihr vielleicht Van Buren?«
»Sehr gut.«
»Und Gibson?«
»Ebenso.«
»Das freut mich; das ist mir interessant. Ich habe dort gewohnt. Ich war Pflanzer.«
»Was Ihr sagt! Ich habe dort einige kleine Abenteuer erlebt. So zum Beispiel war uns einer unserer Leute ausgerissen. Wir mietheten an seiner Stelle einen Andern, der mit uns bis New-Orleans ging. Erst als er uns verlassen hatte, hörten wir, daß er ein tüchtiger Schuft gewesen sei. Er hatte einen Pflanzer Namens Wilkins betrogen.«
»Ach! Wie hieß der Mann?«
»Walker.«
»Sapperment! Ihr müßt wissen, daß ich dieser Wilkins bin, Sennor.«
»Alle Teufel! Ist das wahr? So trifft man sich in der Welt. Hat dieser Walker nichts wieder von sich hören lassen?«
»Lange Zeit nicht. Jetzt aber hoffe ich, einige Worte mit ihm sprechen zu können.«
»Wirklich?«
»Ja; er befindet sich in der Nähe.«
»So haltet ihn fest, Sennor!«
»Das werde ich freilich thun.«
»Ich würde mich freuen, wenn auch ich ihm einen guten Tag bieten könnte. Wo steckt er denn?«
»Irgend hier herum. Er hatte sich in Prescott niedergelassen, ist aber von dort entflohen.«
»Und Ihr wollt ihn etwa fangen?«
»Ja.«
»Nehmt Euch in Acht! Wie ich ihn kenne, ist es sehr möglich, daß er Euch fängt anstatt Ihr ihn.«
»Oho!«
»Meint Ihr nicht?«
»Schwerlich!«
»Ich wollte wetten.«
»Ich wette mit.«
»So habt Ihr verloren, denn seht, er hat Euch ja schon. Paßt auf.«
Wilkins hatte gar wohl bemerkt, daß noch zwei Andere herangetreten waren. Sie standen hinter ihm. Er hatte aber gar nicht darauf geachtet. Jetzt aber griff ihm derjenige, mit welchem er gesprochen hatte, mit beiden Händen nach dem Halse und die beiden Andern umschlangen seinen Leib.
Im ersten Augenblicke war er vor Schreck unbeweglich, dann aber wollte er mit beiden Händen ausschlagen, um sich zu befreien; er konnte nicht. Der Eine drückte ihm die Kehle fest zu. Er war dem Ersticken nahe. Die Todesangst verdreifachte seine Kraft; es gelang ihm, sich den Hals für einen kurzen Augenblick frei zu machen. Er schrie:
»Zimmermann! Zimmermann, Hil – – –«
Er wollte um Hilfe rufen, konnte aber nur die erste Sylbe des Wortes hervorbringen, dann wurde ihm ein Knebel in den geöffneten Mund gesteckt, und zu gleicher Zeit schlang man ihm einige Stricke um den Leib und die Arme und band ihm ein dickes Tuch um den Mund und die Nase, so daß nicht einmal sein angstvolles Röcheln zu hören war.
Zimmermann hatte in der Cajüte mit den drei Damen gesprochen. Er hatte den Ruf gehört.
»Was ist das?« fragte er, von seinem Sitze emporspringend.
»Der Steuermann gab einen Befehl,« antwortete die falsche Mistreß Howk.
*