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61

»Kein Wort. Aber wir müssen uns sputen, daß er uns nicht etwa dabei überrascht. Er kann bereits morgen kommen.«

»Und Annita ist noch im Hause?«

»Ja. Sie muß unbedingt noch diese Nacht fort. Roulin hat es befohlen; er mag sie nicht wieder sehen, wenn er zurückkehrt.«

»Dann weg mit ihr!«

»Ich dachte – – hm! Ein renitentes Frauenzimmer!«

»Will sie denn nicht Verstand annehmen?«

»Nein. Sie ist hübsch und jung. Zeigte sie sich gutwillig, so würde auch ich gut sein und ihr später manchen Gefallen thun.«

»Hört, Juanito, Ihr seid kein Mann!«

»Warum?«

»Ich würde sie gar nicht fragen. Sie befindet sich ja in Eurer Gewalt.«

»Das versteht Ihr nicht. Was man gern und gutwillig bekommt, schmeckt hundertmal besser als das, was man sich erzwingen muß.«

»Das bestreite ich. Ein Apfel, welchen ich stehle, schmeckt grad ebenso wie wenn ich mir ihn gekauft hätte.«

»Vielleicht, doch dieser Vergleich ist nicht zutreffend.«

»Versucht Euer Heil noch einmal!«

»Gut! ich werde zu ihr gehen und zum letzten Male mit ihr reden.«

»So macht! Ich bin neugierig, was sie sagen wird.«

Ihre Augen leuchteten tückisch auf. Er sah das und bemerkte:

»Alte Kupplerin! Ich begreife Dich nicht. Es kann Dir ja ganz gleich sein, ob ich von dieser Annita einen Kuß bekomme oder nicht!«

»Gleich? Nein, gleich ist es mir ganz und gar nicht. Ist es dem Zughunde gleich, wenn er sieht, daß eine Dame ihr Seidenspitzchen spazieren führt? Ich war stets häßlich und habe niemals Einen gehabt, der mir hätte gut sein mögen. Die Anderen, welche hübscher waren, nahmen mir Jeden fort. Seitdem hasse ich alle hübschen Larven; seitdem macht es mich glücklich, so eine Zierpuppe unglücklich zu sehen. Das ist meine Rache. Geht nur hin zu dieser Annita; preßt sie in die Arme, quetscht und drückt sie nach Herzenslust, sie mag wollen oder nicht: Je mehr sie sich vor Euch ekelt, desto größer ist mein Gaudium. Und wenn Ihr nichts über sie vermögt, so werde ich nachkommen und Euch helfen. Geht nur, geht!«

Sie schob ihn zur Thür hinaus.

»Gut, ich gehe,« sagte er. »Und Ihr könnt Euch indessen einmal nach der Thür schleichen, hinter welcher die beiden Gefangenen stecken. Horcht einmal, ob Ihr vielleicht hören könnt, was sie machen oder wovon sie sprechen! Sagt es mir dann wieder!«

Er begab sich nach dem linken Flügel des Gebäudes und fand Annita bei einem brennenden Lichtstumpfchen in ihrer kleinen Stube sitzen. Als er eintrat, erhob sie sich und wich vor ihm scheu in die Ecke zurück. Auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck der Furcht und des Grauens.

.

»Bleib sitzen,« sagte er. »Warum weichest Du vor mir zurück?«

»Was wollt Ihr hier?« fragte sie bange.

»Soll ich es Dir nochmals sagen? Weißt Du es wieder nicht?«

»Wenn Ihr mir keine Arbeit oder irgend einen Auftrag bringt, so geht wieder fort. Ich habe mit Euch nichts zu schaffen.«

»Aber ich will mit Dir zu schaffen haben.«

Er trat auf sie zu. Sie wollte an ihm vorüber und zur Thür hinaus huschen: er aber ergriff sie und hielt sie fest.

»Halt! So schnell entkommst Du mir nicht! Heut, jetzt komme ich zum allerletzten Male; da soll es sich entscheiden, ob ich in Zukunft Dein Freund oder Dein Feind sein werde.«

»Ich mag von Euch weder jetzt noch in Zukunft Etwas wissen. Das habe ich Euch bereits gesagt, und das sage ich jetzt abermals.«

»Ja, das hast Du freilich gesagt; aber es wird die Zeit kommen, in welcher Du gern Etwas von mir wissen möchtest, ich aber bin dann nicht bereit dazu.«

»Nie, nie wird diese Zeit kommen!«

»O, sie wird im Gegentheile sehr bald da sein!«

Er lehnte sich mit über die Brust gekreuzten Armen neben die Thür an die Wand, damit sie ihn nicht entwischen möchte, und fuhr fort:

»Meinst Du etwa, daß Du die Erste bist, welche so gesprochen hat wie Du?«

Sie schwieg.

»Sie haben es Alle, Alle baldigst bereut. Es ist besser, für eine Nacht die Geliebte eines Mannes zu sein den man nicht liebt, als dem Leben, dem Lichte entsagen zu müssen, um langsam und bei lebendigem Leibe zu verfaulen.«

»Mein Gott!« seufzte sie erschrocken.

»Dieses Schicksal wartet Deiner!«

»Unmöglich! Ich habe ja keinem Menschen Etwas zu Leid gethan!«

»Auch ich habe Dir nichts zu Leid gethan und dennoch lassest Du mich schmachten.«

»Es giebt doch andere Mädchen, welche Euch gern erhören werden.«

»Aber hier nicht. Und ich will grad Dich haben. Oder meinst Du, daß Du bei Roulin wieder zu Gnaden ankommen werdest? Da irrst Du Dich.«

»Er hat mich doch geliebt!«

»Der? Niemals!« hohnlachte er. »Er braucht hier in dieser todten Einsamkeit einen Zeitvertreib. Darum geht er von Zeit zu Zeit nach San Franzisko und miethet sich ein hübsches Mädchen, welches erst wenn es hier ankommt, erfährt, daß es seine Maitresse sein soll. Eine Jede muß dann einwilligen. Zum Rücktritt ist es zu spät, und Flucht ist unmöglich. Er heuchelt in der ersten Zeit Liebe, dann aber giebt er ihr den Abschied. Alle diese Mädchen sind dann in das Ouecksilberbergwerk gekommen, wo sie Tag und Nacht arbeiten müssen. So wird es auch Dir ergehen, wenn Du mich von Dir weisest.«

»Was verlangt Ihr denn?«

»Liebe, Liebe, nichts als Liebe.«

»Unmöglich!«

»Dummheit! Ein Kuß von mir, eine Stunde in meinen Armen ist wenigstens ebenso schön wie bei Roulin.«

»Schweigt! Um Gotteswillen schweigt!«

»Nein. Es ist meine Pflicht, Dich aufmerksam auf Das zu machen, was Deiner wartet, wenn Du halsstarrig bleibst. Roulin ist verreist. Er mag nichts mehr von Dir wissen. Er hat mir den strengen Befehl ertheilt, Dich in das Quecksilberbergwerk zu stecken. Wenn er zurückkehrt, mag er Dich hier nicht wiedersehen. Ich muß gehorchen, sonst verliere ich meine Stellung, dennoch habe ich Dich noch hier gelassen, weil ich Dir gut bin. Heut aber ist der letzte Tag. Heut muß ich gehorchen.«

»Mein Herr und mein Gott! Womit habe ich das verschuldet! Ich bin ja doch nicht seine Sclavin! Laßt mich doch los! Laßt mich frei!«

»So dumm sind wir nicht. Wer einmal sich hier befindet, der kommt nie wieder los. Und weißt Du, was es heißt, im Quecksilberbergwerk zu arbeiten?«

»Nein.«

»Aber Du weißt, daß das Quecksilber giftig ist?«

»Ja.«

»Nun, Du wirst in das Bergwerk geschafft und mußt da, mit Eisen an Händen und Füßen, so daß jede Flucht und jeder Widerstand unmöglich ist, arbeiten. Dich wie ein Wurm in die Erde bohren und bekommst niemals das Licht der Sonne wieder zu sehen oder einen frischen Lufthauch zu fühlen. Du athmest das Quecksilber unausgesetzt ein. Dein Mund entzündet sich; die Zähne fallen aus; der Athem stinkt wie ein verfaulendes Aas. Das Zahnfleisch zerfällt, weil es von bösen Geschwüren zerstört wird, und der Speichel geifert Dir unausgesetzt aus dem Munde wie bei einem tollen Hunde. Deine Hautfarbe wird grau und immer schmutziger; das Gesicht fällt ein; die Augen verlieren ihre Kraft zum Sehen, und der Magen kann weder Essen noch Trinken mehr vertragen.«

Er malte diesen Zustand mit sichtbarem Behagen aus. Leider übertrieb er nicht. Was er sagte, war wirklich wahr. Annita war von Dem, was sie hörte, so entsetzt, daß sie matt auf den Stuhl niedersank und das Gesicht mit den Händen verhüllte.

»Aber dieser Mangel an Hunger und Appetit,« fuhr er fort, »ist eigentlich kein Unglück, denn die Nahrung der Leute da drin besteht nur in stinkendem Wasser, in welches ein Bischen schlechtes Mehl eingerührt wird. Das bekommen sie kalt zu essen. Es wird später noch schlimmer. Das Quecksilber durchdringt den ganzen Leib; es frißt sich in die Knochen ein und macht sie weich und mürbe. Der Knochenfraß tritt ein. Ganze Stücke schwären aus. Wir haben ein Mädchen unten,, welches durch solche Geschwüre das eine Schienbein verloren hat. Sie kann sich nur noch auf einem Beine fortschleppen und muß dennoch arbeiten.«

»Einen Arzt, einen Arzt!« stöhnte Annita.

»Das sollte uns einfallen! Da wäre ja Alles sofort verrathen. Einer Andern ist der Kinnbacken ausgeschworen. Sie sieht wie der Teufel aus. Vor einigen Jahren war sie eine berühmte Schönheit. Später kann die Lunge nicht mehr athmen; es stellt sich ein Husten mit fürchterlichem Auswurf ein, und es ist nur ein Glück für die betreffende Person, wenn sich aus diesem Husten die galoppirende Schwindsucht entwickelt. Dann ist es rasch aus. Die beiden sind vorüber.«

»Haltet ein; haltet ein!«

»Nein, ich halte nicht ein, denn ich bin ja noch gar nicht fertig. Natürlich werden auch die Nerven von dem Quecksilber angegriffen und zerstört. Die betreffende Person verliert den Schlaf; sie hat keine Ruhe, sie hat ihr Elend stets vor Augen; kein einziger Schlummer erlaubt ihr, es für auch nur eine Stunde zu vergessen. Und stellt sich ja einmal ein kurzer Schlaf ein, so ist er mit entsetzlichen Träumen verbunden, welche noch mehr quälen als die Wirklichkeit. Der Kopf wird schwer wie Eisen, und das Herz klopft unaufhörlich. Die Muskeln sitzen nicht still an den Knochen; sie zittern und beben immerfort; die Kranke kann kein Glied still halten und geht schließlich unter fürchterlichen Krämpfen oder Lähmungen zu Grunde. Stets aber ist der Körper bereits vor dem Tode mehr als zur Hälfte verfault.«

»Wer kann sich das ausdenken! O Ihr Teufels, Ihr!«

»Ja,« lachte er höhnisch, »ein Engel hat das nicht erfunden. Aber was willst Du denn! Das Quecksilber liegt da; es kann den Besitzer zum reichsten Manne machen; aber er findet keine Arbeiter. Selbst zu arbeiten, das fällt ihm natürlich auch nicht ein, und so holt er sich dann Arbeiter auf etwas gewaltsamem Wege.«

»Mich könnte nichts zwingen, zu arbeiten!«

»Oho!«

»Lieber würde ich sterben!«

»Meinst Du? Ich habe da in meiner Stube ein sehr hübsches Instrument, eine Peitsche mit vielen Riemen, welche ganz blutig sind. Verstanden. Schon bei dem dritten Hiebe geht das Fleisch in Fetzen, und selbst die ungehorsamste Dirne arbeitet sich lieber die Hände wund, als daß sie sich zum zweiten Male prügeln läßt. Man weiß die Leute zu behandeln!«

»Und dabei wollt Ihr ein Mensch heißen!«

»Sehr!«

»Und verlangt Liebe von mir!«

»Freilich!«

»Geht! Ich verabscheue Euch. Ihr seid ein Satan!«

»Gegen Dich möchte ich kein Satan sein. Du kennst nun Dein Schicksal. Du kannst es Dir verbessern, wenn Du jetzt für diese einzige Stunde meine Frau sein willst!«

»Lieber sterben!«

»Ja, langsam sterben! Dieser Wunsch kann Dir erfüllt werden.«

»Mich ekelt vor Euch!«

»Vor Roulin aber hat Dich nicht geekelt.«

»Ich stürbe vor Scham, mich von Euch nur berühren zu lassen!«

»Aber er hat Dich so berührt, das Du jetzt bald die Mutter eines Bastards sein wirst!«

»Herrgott! Mein Kind!« schluchzte sie.

»Ja. Weißt Du, was mit diesem Kinde wird? Es kann uns nichts nützen. Es wird Dir nach der Geburt genommen und dort draußen den Geiern vorgeworfen. Man macht da kurzen Proceß.«

»Wagt es! Wagt es einmal!«

Sie war aufgesprungen und trat mit geballten Fäusten auf ihn zu, als ob sie bereits jetzt in der Lage sei, ihr Kind zu vertheidigen.

»Pah!« lachte er. »Du wirst gar nichts dagegen sagen. Die Peitsche wird Hebamme und Geburtshelferin sein; da wirst Du schweigen lernen. Ich will Dir jetzt fünf Minuten Bedenkzeit geben. Thust Du mir meinen Willen, so werde ich trachten, Dir Deine Lage möglichst zu erleichtern, wo nicht, so darfst Du Dich darauf verlassen, daß Du einem Schicksale und einer Marter entgegengehst, wie noch keine Andere sie hat erdulden müssen.«

»Ich brauche keine Bedenkzeit!« sagte sie.

»Nun, was beschließest Du?«

»Tu sollst mich nie berühren, Schurke!«

Sie stand stolz und zornig vor ihm. Er aber lachte laut auf und antwortete:

»Albernes Geschöpf! Ich Dich nicht berühren dürfen! Das kommt ja nur auf mich an!«

»Ich werde nicht mit nach dem Bergwerke gehen!«

»Ach! Nicht? Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Auch nicht, wenn wir Dich zwingen?«

»Auch dann nicht. Ich wehre mich so lange, bis ich todt bin!«

»Laß Dich nicht auslachen! Was willst Du thun gegen meine Kräfte! Und selbst, wenn Du stärker wärst als ich, müßtest Du Dich fügen. Ich würde Dich zum Beispiel hier einschließen, bis der Hunger und der Durst Dich so abgemattet hätten, daß Du kein Glied bewegen könntest.«

»Ich würde nicht vor Hunger sterben. Ihr bringt mich nicht lebendig von hier fort.«

»Das laß nur meine Sorge sein! So wie Du jetzt, hat bisher noch eine Jede gesprochen. Sei also keine Närrin! Du bist hübsch: Du gefällst mir. Es ist Dein Schaden nicht, wenn Du die Meine sein willst.«

»Was würde es mir nützen! Die Freiheit könntet Ihr mir doch nicht geben.«

»Nein, aber die Gefangenschaft könnte ich Dir erleichtern.«

»Ich danke Euch! Ich bedarf dieser Erleichterung nicht.«

»So zu sprechen, ist der reine Wahnsinn!«

»Ich weiß, was ich will und was ich thue!«

»Nun, was denn?«

»Ich habe mich von Roulin täuschen und verführen lassen, ich habe ihm jeden Wunsch erfüllt, ihn nie betrübt, nie beleidigt. Er ist meiner überdrüssig; ich glaubte, das Schlimmste, was er mir anthun könne, sei, daß er mich fortjage. Jetzt höre ich es anders. Jetzt weiß ich, was meiner wartet. Ich sehe, daß ich mich nicht bei Menschen, sondern bei Teufeln befinde. Ich war stets eingeschlossen; ich habe die freie Luft nicht einathmen können, ich ertrug es still, weil ich hoffte, daß ich einst doch wieder frei sein werde. Jetzt weiß ich, daß diese Hoffnung nicht in Erfüllung gehen wird. Die Freiheit kann mir nur der Tod geben, und ich schwöre Euch, daß ich frei sein werde. Bei Gott und allen Heiligen, bei allen Himmeln und meiner ewigen Seligkeit schwöre ich Euch, daß Ihr mich nicht unrecht anrühren sollt und daß Ihr mich auch nicht in Euer entsetzliches Quecksilberbergwerk bringen werdet!«

In diesem Augenblicke war die Alte herbeigekommen. Sie hatte diesen Schwur gehört.

»Ist die Dirne toll?« fragte sie, in die Stube tretend.

»Es scheint so,« antwortete Juanito.

»Was glaubt sie denn? Meint sie denn, uns widerstehen zu können?«

»Eben das meint sie.«

»Na, da zeigt Ihr doch das Gegentheil! Soll ich etwa Eure Peitsche holen?«

»Nein, laß sie. Die bekommt sie noch zeitig genug zu kosten.«

»Aber ich begreife keins von Euch Beiden! Ihr zwei Menschen seid nicht recht bei Sinnen, die hier nicht, weil sie's wagt, Widerstand zu leisten, und Ihr nicht, Sennor, weil Ihr Euch das nicht mit Gewalt nehmt, was sie Euch verweigert. Greift doch zu! Ich helfe Euch. Ich halte sie!«

Sie trat auf Annita zu.

»Rührt mich nicht an!« rief diese, empor springend und sich in die Ecke flüchtend.

»Freilich werde ich Dich anrühren, und zwar ein Bischen derb!«

Sie trat auf das Mädchen zu und streckte die Arme aus, fuhr aber mit einem Schmerzenslaute zurück.«

»Hölle und Teufel! Sie schlägt wirklich!«

Annita hatte ihr einen Faustschlag in das Gesicht versetzt. Sie hielt die Fäuste zur ferneren Verteidigung geballt.

»Das sollst Du mir büßen!« schrie die Alte.

Sie sprang auf Annita zu, die Finger zu Krallen geformt; aber das tapfere Mädchen ließ sie gar nicht nahe kommen; sie fiel aus und schlug ihr die Faust zum zweiten Male in das Gesicht.

»Wieder, schon wieder!« zeterte die Megäre.

»Sennor, seht Ihr es denn nicht, daß sie mich schlägt? Was steht Ihr da! Helft mir!«

»Laßt sie, Alte! Menge Dich nicht in meine Angelegenheiten!«

»Sie hat mich aber geschlagen!«

»Sie wird ihre Strafe empfangen. Wenn ich sie angreife, wird sie es wohl nicht wagen, nur die Fäuste zu zeigen.«

Dabei wendete er sich gegen Annita.

»Nehmt Euch in Acht!« mahnte diese. »Ich schone auch Euch nicht!«

Sie zitterte vor Aufregung; aber in ihrem Tone lag eine Entschlossenheit, welche zeigte, das das muthige Mädchen zum äußersten Widerstande bereit sei. Juanito lachte abermals laut und höhnisch auf und antwortete:

»Dumme Katze! Ein Griff von mir genügt, und Du bist machtlos!«

»Versucht doch diesen Griff!«

»Pah! Ich habe keine Lust, mich mit Dir herum zu balgen. Du kriechst ganz von selbst zu Kreuze. Es muß Dir irgend Etwas den Kopf verdreht haben. Du trittst ja so zuversichtlich auf, als ob Du hier ganz sichere Hilfstruppen erwartetst.«

»Die habe ich auch!«

»Ach! Wen?«

»Die beiden Sennores, welche mit Euch gekommen sind.«

»Ach! Ist es das! Jetzt begreife ich! Aber da hast Du Dich sehr geirrt. Diese beiden Männer sind die besten Freunde von uns.«

»Ihr lügt!«

»Oho!«

»Vergiftet man etwa Freunde?«

Juanito machte eine Bewegung der Ueberraschung und antwortete rasch:

»Vergiften? Mädchen, was meinst Du?«

»Daß Ihr Beide einen Engländer vergiftet habt und nun heut auch diese beiden fremden Sennores vergiften wollt.«

»Donnerwetter! Jetzt geht wir ein Licht auf! Mädchen, Du hast uns belauscht!«

»Ja,« gestand sie muthig.

»Und diese Beiden gewarnt!«

»Ja.«

»Verdammte Bestie!«

»Sie werden mich retten. Sie werden meinen Hilferuf hören und herbei eilen!«

Juanito nickte, den Mund weit öffnend, langsam mit dem Kopfe und sagte:

»Daher also dieser Widerstand, daher? Nun ist mir Alles klar! Aber Du hast Dich sehr verrechnet. Diese sehr braven und sehr guten Sennores, von denen Du Rettung erwartest, haben trotz Deiner Warnung das Gift genossen. Ihre Leichen liegen eingeschlossen in dem Zimmer, in welchem sie ihre letzte Mahlzeit hielten.«

Annita erbleichte.

»Ihr lügt!« sagte sie.

»Soll ich Dir die Leichen etwa zeigen?«

»Macht doch nicht so unnöthige Rederei mit ihr!« fiel die Alte ein.

»Ja, Du hast Recht! Sie ist es nicht werth. Und damit sie erkennt, daß alle Hoffnung vergebens sei, will ich sie gleich jetzt unschädlich machen. Komm her, Mädchen! Ich will doch sehen, ob Du Dich auch gegen mich wehren wirst.«

Er trat auf sie zu.

»Zurück!« rief sie.

Ihre Augen funkelten und der Athem kam pfeifend aus ihrer Brust.

»Pah! Ich werde Dich sogleich haben.«

Er streckte die Arme nach ihr aus und faßte sie mit beiden Fäusten. Zu seiner großen Ueberraschung ließ sie dies ruhig geschehen. Er hatte ganz sicher auf einen allerdings vergeblichen Widerstand gerechnet; statt dessen aber stand sie bewegungslos da und starrte nach der Thür.

»Nun, so wehre Dich doch!« höhnte er.

Er achtete nicht auf die Richtung ihres Blickes. Die Alte war aufmerksamer. Sie drehte sich nach der Thür um und sah Steinbach unter derselben stehen.

»Himmel!« schrie sie entsetzt auf.

Juanito drehte sich auch jetzt noch nicht um. Er sagte zu Annita:

»Nun, wo bleibt Dein Schwur, Dich nicht übermannen zu lassen?«

Jetzt erhielt sie ihre Sprache wieder. Sie antwortete:

»Gott hat diesen Schwur gehört. Ich bin gerettet!«

»Du? Ich möchte wissen, wie?«

»Um das zu erfahren, brauchst Du Dich blos einmal umzudrehen,« sagte Steinbach.

Jetzt freilich wendete sich Juanito blitzschnell nach der Thür.

»Alle Donner! Was ist das!« rief er aus.

»Das ist Hilfe in der Noth; aber nicht für Dich, Du Schurke und zehnfacher Bösewicht.«

»Ihr seid nicht todt, nicht vergiftet?« fragte Annita.

»Nein, mein liebes Kind – – –«

»Aber sterben sollt Ihr doch!« brüllte Juanito.

Er stürzte sich auf Steinbach, um ihn bei der Gurgel zu fassen, hatte sich aber in seinem Gegner verrechnet, denn dieser sagte kaltblütig:

»Knabe, was fällt Dir ein! Soll ich Dich mit einer Hand zermalmen?«

Er empfing ihn mit einem so gewaltigen Fauststoße vor die Brust, daß Juanito hintenüber und zu Boden flog. Ehe er nur den Gedanken fassen konnte, sich aufzuraffen, knieete Steinbach bereits auf ihm und band ihm mit dem schnell herbei genommenen Lasso die Arme an den Leib.

Die Alte wollte sich diesen Augenblick zu Nutzen machen und entfliehen, aber unter der Thüre trat ihr Günther entgegen. Sie fuhr mit einem Schrei in die Stube zurück.

»Bleib da, schöne Sennora!« lachte Günther. »Ich hatte so große Sehnsucht nach Dir, daß ich nicht länger warten konnte. Ich bin zu Dir geeilt, um Dich zu umarmen und an mein Herz zu drücken.«

Auch er hatte sein Lasso in Bereitschaft gehalten und schlang es der Alten, die keine Miene machte, sich zu vertheidigen, so oft um den Leib, daß sie kein Glied zu rühren vermochte. Dann lehnte er sie lang in die Ecke.

Der Hieb Steinbachs hatte Juanito so kräftig und so an der richtigen Stelle getroffen, daß ihm der Athem ausgegangen war. Er schnappte förmlich nach Luft. Jetzt, nachdem er aber bereits gefesselt war, hatte seine Lunge sich wieder vollgesogen, so daß er zu reden vermochte. Er rief zornig:

»Was ist das? Ihr überfallt mich in meiner eigenen Wohnung! Wißt Ihr, was das bedeutet?«

»Ja, das bedeutet, daß es mit Dir zu Ende ist.«

»Wagt es nicht, Hand an mich zu legen!«

»Pah! Wie Du siehst und wohl auch fühlst, habe ich bereits Hand an Dich gelegt. Spiele ja nicht den Großen, den unrechtmäßiger Weise Verletzten, sonst lasse ich eine Verschärfung eintreten, mit welcher Du noch weniger einverstanden sein wirst!«

»Ich verlange, augenblicklich freigelassen zu werden.«

»Du kannst sehr gut pfeifen, wie ich höre. Hier ist meine Antwort.«

Er zog das Lasso so scharf an, daß der Gefangene vor Schmerzen laut aufschrie.

»So! Und wenn Du noch nicht zufrieden bist, kommt es noch besser!«

Annita knieete am Boden und hatte die Hände gefaltet.

»Gott, o Gott, wie danke ich Dir!« betete sie. »Nie in meinem Leben werde ich diesen Tag und diese Stunde vergessen. Du machst Deine Engel zu Winden und Deine Diener zu Feuerflammen. Diese beiden Männer sind Engel, welche Du mir in der höchsten Noth und Angst gesandt hast, mir und Allen, welche hier schmachten und durch sie befreit sein werden. Lob und Preis sei Dir in Ewigkeit!«

Das sagte sie mit solcher Inbrunst, daß Steinbach und Günther die Thränen in die Augen traten. Die Alte aber kicherte:

»Jetzt singt die Bachstelze. Aber der Stößer wird über sie und ihre Retter kommen, ehe sie es für möglich halten!«

Und Juanito knirrschte voller Grimm:

»Ja, bete nur, Dirne! Du glaubst, gerettet zu sein, aber Du bist es noch lange nicht. Es wird Einer kommen, der wenig Federlesens mit Euch machen wird!«

Diese beiden Auslassungen machten einen um so empörenderen Eindruck, als Annita's Gebet so vom Herzen gegangen war. Steinbach versetzte in tiefster Entrüstung dem Menschen einen Fußtritt und sagte:

»Kerl, Du bist schlimmer als das ärgste Viehzeug. Uns, die wir Dich von dem tollen Wolfe befreit haben, wolltest Du zum Danke dafür vergiften. Und hier hast Du – aber ich will mich nicht aufregen. Es ist schade um ein jedes Wort, welches man eines solchen schlechten Menschen halber verliert. Sennorita Annita, Ihr werdet die Güte haben, uns im Hause herum zu führen. Wir müssen zunächst recognosciren. Es ist nothwendig, die Räumlichkeiten kennen zu lernen, damit man weiß, was man gegebenen Falles zu thun hat.«

»Geht der andere Sennor auch mit?« fragte sie.

»Ja.«

»Aber da bleiben doch diese beiden gefährlichen Personen ganz allein und ohne Aufsicht!«

»Das können wir immerhin wagen. Sie sind so fest gebunden, daß sie unmöglich loskommen können. Ich will mir den Schlüssel nehmen.«

Er griff der Alten nach der Brust und zog den Schlüssel hervor, von welchem Annita gesagt hatte, daß er dort stets versteckt sei. Dann fragte er:

»Giebt es einen Hauptschlüssel?«

»Zwei,« antwortete Annita. »Den einen hat Sennor Roulin selbst, und den anderen trägt Juanito stets in der Hosentasche.«

»Wollen sehen, ob wir ihn finden.«

Er wurde gefunden, und nun begannen die Drei ihren Rundgang. Sie fanden Alles verschlossen, auch den Eingang des Gebäudes. Steinbach schob da noch extra den großen Riegel vor, damit er ja nicht etwa durch Roulin überrascht werden konnte. Die Vorsicht gebot dies, obgleich an die Ankunft Roulins nicht zu denken war.

In der Küche fanden sie neben anderen Vorräthen einen Sack voll dumpfigen Maismehles, in welchem Mehlwürmer und Käfer ihr Wesen trieben.

»Dieses Zeug, mit kaltem, stinkendem Wasser angerührt, bekommen die Bergarbeiter als einzige Nahrung,« erklärte Annita.

»Doch nicht mit den Maden!«

»Anders nicht. Die Alte nimmt sich nicht Zeit, das Ungeziefer zu entfernen. Einst sagte sie zu mir, daß die Mehlwürmer sehr gut für die Gefangenen seien, welche nach diesem Genusse besser zu ihrer Arbeit singen und pfeifen könnten.«

»Ah, warte! Sie selbst soll einmal pfeifen!«

In der Stube, welche Juanito bewohnte, fand man eine Peitsche, an deren Stiel zwölf geflochtene Riemen befestigt waren. Jeder dieser Riemen hatte an seinem Ende einen großen Knoten. Ein Hieb mit dieser Peitsche auf den bloßen Leib mußte augenblicklich das Fleisch aufreißen. In Wahrheit waren die Riemen rünstig von Menschenblut.

Sodann wurden verschiedene Fußeisen, Handschellen und Armketten gefunden. Die Letzteren waren so eingerichtet, daß, wenn sie angelegt worden waren, die Hände sich eng bei einander befanden. An jeder dieser Kette hing ein breitschneidiger Hammer und eine kleine, kurzstielige Schaufel. Mit Beiden konnte der Gefangene arbeiten, ohne die Hände aus einander zu bringen.

Steinbach betrachtete diese Werkzeuge und meinte:

»Es scheint, die Gefangenen sind sowohl an den Füßen wie auch an den Händen gefesselt. An einen Fluchtversuch oder gar an einen thätlichen Widerstand ist da freilich nicht zu denken. Sie sollen noch im Laufe dieser Nacht frei sein. Alle, Alle!«

»Gott im Himmel, welch ein Entzücken für sie!« sagte Annita.

»Leider ahnt mir, daß für viele von ihnen der Tod besser sein würde als die Freiheit. Gehen wir zu unseren Leuten zurück!«

Diese Zwei hatten, als Steinbach mit Günther und Annita ging, gewartet, bis die Schritte derselben nicht mehr zu hören waren. Dann sagte Juanito im Tone des größten Grimmes:

»Wie mögen diese Hunde frei geworden sein!«

»Wer weiß es!«

»Durch die Thür keinesfalls!«

»Nein. Uebrigens ist es mir sehr gleichgiltig, auf welche Weise sie losgekommen sind. Jetzt ist es für mich die Hauptsache, auf welche Weise ich die Fesseln los werde.«

»Bist Du scharf gefesselt?«

»Ich kann mich nicht regen. Und Du?«

»Mir schneiden die Riemen in's Fleisch. Ich kann nicht einen einzigen Finger bewegen.«

»Ich auch nicht. Wenn wir doch einander helfen könnten. Mit den Zähnen vielleicht.«

»Auch das geht nicht. Erstens liege ich am Boden, während Du an der Mauer lehnst, und zweitens sind diese Lassos vom festesten Leder geflochten. Zum Zerbeißen brauchte man da längere Zeit als wir zur Verfügung haben.«

»Aber wir müssen doch daran denken, uns zu befreien.«

»Das thue ich auch. Hoffentlich kehrt Roulin bald zurück.«

»Er kann nicht herein.«

»Er wird sich schon einen Weg bahnen. Ich denke übrigens, daß sie uns nicht lange Zeit in diesen strengen Fesseln lassen werden. Wenn sie die Riemen lockern, dann wird sich wohl eine Gelegenheit zum Entschlüpfen finden. Bis dahin aber wollen wir standhaft sein. Alte!«

»Na, ich lamentire nicht. Es fällt mir gar nicht ein, ihnen diese Freude zu machen.«

»Das meine ich nicht allein. Ich wollte vorzugsweise sagen, daß wir verschwiegen sein wollen.«

»Ich gestehe nichts.«

»Ich auch nicht, kein Wort. Wenn sie den geheimen Eingang entdecken und drüben die Arbeiter finden, so sind wir verloren.«

»Also schweigen wir lieber. Ich weiß von nichts. Sie mögen noch so viel gute Worte mir geben, ich sage ihnen keine Silbe.«

»Gute Worte? Hm, das werden sie wohl bleiben lassen. Eine verdammte Geschichte! Ich war vor Schreck auf einen Augenblick ganz weg, als ich diesen Kerl erblickte. Doch wir stecken nun in der Falle. Das Lamentiren hilft uns nicht heraus. Schweigen wir also lieber, und denken wir desto sorgsamer nach, wie wir uns befreien können. Der erste Schritt zur Freiheit ist unbedingt ein furchtloses Auftreten. Sie dürfen nicht denken, daß wir Angst vor ihnen haben. Wir müssen so thun, als ob wir uns in unserem Rechte befänden und als ob sie ein Verbrechen an uns begingen.«

»Das ist ja auch der Fall.«

»Pah, Alte! Wir Beide brauchen nicht schauzuspielen. Wir brauchen uns nichts weiß zu machen. Wir kennen uns und Das, was wir thun. Ich bin ein Hallunke, und Du bist die echte, richtige Höllenkröte. Wenn es noch keinen Teufel gäbe, so würdest Du die Großmutter desselben werden. Schweigen wir lieber!«

Bald kehrten die drei Anderen zurück. Steinbach hatte die Peitsche in der Hand.

»Jetzt wollen wir uns mit diesen beiden braven Leuten ein Wenig unterhalten,« sagte er. »Dazu aber ist es hier zu enge; gehen wir also nach dem famosen »Saale«, in welchem wir zuerst untergebracht worden sind.«

»So müssen wir den Beiden die Füße frei machen, damit sie gehen können,« meinte Günther.

»So wohl soll es ihnen nicht werden. Die Sache wird viel einfacher und praktischer besorgt.«

Er ergriff Juanito und warf ihn wie einen Sack sich über die Schulter. Günther nahm die Alte auf, und Annita griff nach dem Lichte. So begaben sie sich nach dem Saale, wo die beiden Gefesselten wieder auf den Boden gelegt wurden.

Juanito benutzte diese Gelegenheit zur Einsprache:

»Ihr schleppt uns herum, als ob wir Schafe oder Waarenballen wären. Ich verlange, daß man mir die Fesseln abnimmt.«

»Verlangst Du das?« lachte Steinbach. »Das ist sehr klug von Dir. Ich werde Dir gehorchen.«

Er bückte sich nieder, um das Lasso wirklich zu lösen. Dies machte Juanito bereits so übermüthig, daß er ungeduldig ausrief:

»Nicht so langsam! Sputet Euch!«

»Warte nur, warte! Geduld! Alles hat seine Zeit, auch diese Arbeit will gemacht sein.«

Juanito merkte bald, daß er sich getäuscht hatte. Er wurde nicht von den Banden befreit, sondern nur anders gefesselt, nämlich so, daß seine hintere Seite von dem Lasso nicht berührt wurde.

»Was soll das heißen!« zürnte er.

»Das wirst Du sehr bald zu Deinem größten Entzücken erfahren, mein Lieber.«

»Ich brauche keine Erfahrung. Ich verlange, befreit zu werden. Sennor Roulin kommt noch heute. Er wird mich rächen.«

»Es wäre mir sehr lieb, wenn er käme! Leider aber ist er noch abgehalten.«

»Was wißt Ihr von ihm?«

»Sehr viel. Er ist mit Sennorita Magda hinauf zum Silbersee. Dort hat er seine Absicht aber nicht erreicht; er hat fliehen müssen. Magda ist frei, und Roulin ist flüchtig. Er wird verfolgt, und ich bin den Verfolgern vorausgeeilt, um Eure liebe Bekanntschaft so schnell als möglich zu machen.«

»So wolltet Ihr gar nicht Quecksilber kaufen?«

»Nein. Ihr habt Euch da einen ganz gehörigen Bären aufbinden lassen.«

»Verdammt!«

»Ja. Eure Lage ist nicht die beste. Ich habe so eine Ahnung, daß man Euch bald ein neues Halstuch machen werde, und daß Ihr an irgend einem Orte sterben werdet, der sich mehrere Fuß hoch über dem Erdboden befindet.«

»Meint Ihr etwa, daß ich gehangen werden soll?«

»So ähnlich. Ihr und diese süße Donna hier.«

»Darüber lache ich!«

»Thut das in Gottes Namen!«

»Ich kann sehr ruhig sein. Wer will mich irgend eines Vergehens beschuldigen?«

»Ihr selbst.«

»Ich?«

»Ja. Ihr werdet mir Alles sagen, was Ihr auf dem Gewissen habt.«

»Das laßt Euch nicht träumen!«

»Nein, träumen lasse ich es mir allerdings nicht, da es in voller Wirklichkeit geschehen wird. Uebrigens kann auch ich als Euer Ankläger auftreten. Ihr habt uns vergiften wollen.«

»Lüge!«

»Wir werden das Fleisch untersuchen lassen.«

»Und vorher Gift daran thun, nicht? Damit die Schuld auf uns komme!«

»Mensch, Du bist wirklich ein ganz und gar höllischer Bösewicht. Von Dir kann selbst Satanas noch viel lernen. Aber ich will mich bei solchen psychologischen Betrachtungen nicht unnöthig aufhalten. Wir haben mehr zu thun. Ich werde mich nach Verschiedenem erkundigen, und Du wirst mir meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten.«

»Fällt mir nicht ein. Ihr seid mein Vorgesetzter nicht. Ich bin Euch keine Antwort schuldig. Uebrigens werde ich nicht eher wieder sprechen, als bis Ihr mich losgebunden habt.«

»Das hat noch Zeit. Wie lange bist Du bereits in Roulins Diensten?«

Er antwortete nicht, selbst dann noch nicht, als Steinbach seine Frage wiederholte.

»Nun,« sagte dieser Letztere, »so will ich mich an die Donna wenden. Damen pflegen höflicher zu sein. Also, Sennora, wie lange befindet sich dieser Mann im Geschäfte Eures Herrn?«

Auch sie antwortete nicht.

»Ah, Ihr wollt ein Wenig Komödie spielen! Ich bin einverstanden. Euer Debüt wird aber wohl kläglich genug ausfallen. Ich habe nämlich die Absicht, Euch die Zungen zu lösen.«

Und zu Annita gewendet, fuhr er fort:

»Verzeiht, Sennorita, wenn ich Euch einen höchst peinlichen Anblick nicht ersparen kann. Ich achte selbst in meinem Feinde den Menschen, und selbst der Verbrecher ist noch das Ebenbild Gottes, welches man nicht schänden soll. Diese beiden Kreaturen hier aber sind aller Menschlichkeit bar. Ich werde sie so behandeln müssen, wie ich noch nie einen Menschen behandelt habe. An dieser Peitsche klebt das Blut unschuldiger Menschen. Ich handle nur ganz gerecht, wenn ich sie als Mittel benutze, diesen Leuten den Mund zu öffnen.«

Das gab Juanito sofort die Sprache.

»Wollt Ihr etwa schlagen?« fragte er.

»Jawohl, und zwar ganz gehörig.«

»Das sollt Ihr nur wagen!«

»Ich werde es wagen. Für jede Antwort, welche Ihr mir schuldig bleibt, bekommt Ihr einen Hieb. Kommt her! Ihr sollt sofort sehen, daß es mir Ernst mit dem Spaße ist.«

Er drehte ihn um, so daß er auf den Bauch zu liegen kam und schnitt ihm mit dem Messer die Hose und die Jacke auf, so daß der nackte Rücken zum Vorschein kam.

»So! Und jetzt frage ich: Wie lange befindet Ihr Euch in Eurer gegenwärtigen Stellung?«

Keine Antwort.

Da sauste die Peitsche hernieder und ein entsetzlicher Schrei Juanito's machte die Stube erzittern. Von Steinbachs Riesenkraft geführt, hatten die Riemen sich sofort bis auf die Knochen in das Fleisch gewühlt. Der Getroffene biß sich auf die Lippe, um nicht abermals zu schreien, aber er holte pfeifend Athem. Selbst die Alte hatte mit ihm ausgebrüllt.

»Nun, Antwort!« sagte Steinbach.

Juanito biß die Zähne zusammen, antwortete aber nicht. Anstatt dessen aber brüllte er im nächsten Augenblicke wie ein angeschossener Stier und krümmte sich wie ein Wurm am Boden, so weit dies die Fesseln zuließen. Steinbach hatte ihm den zweiten Hieb gegeben.

»Zum dritten Male Antwort! Sonst bekommst Du drei Hiebe, anstatt nur einen!«

»Es – es – es sind – sind nun fünf Jahre,« erklang es mit vor Schmerz und Grimm bebender Stimme.

»Ihr schlagt ihn ja todt!« rief die Alte. »Aber laßt Euch lieber erschlagen, als daß Ihr eine Antwort gebt, Sennor Juanito!«

Ihre triefenden Augen leuchteten haßerfüllt zu Steinbach herüber. Dieser wendete sich sofort an sie und sagte:

»Wollen sehen, ob Du Deinen eigenen Rath auch selbst befolgen kannst! Verachtung dem Manne, der ein Weib schlägt. Du aber bist kein Weib, sondern eine Furie, und verdienst noch weniger Schonung, als Dein Spießgeselle. Wollen also einmal sehen, ob auch Du singen und pfeifen kannst, freilich ohne Mehlwürmer. Wie lange stehest Du in Deinem gegenwärtigen Dienst?«

»Haut mich tod, aber antworten werde ich nicht!« schrie sie.

»Also wie lange?«

Sie schwieg. Da sauste die Peitsche nieder. Ihr Rücken war nicht entblößt, wie derjenige Juanito's, und auch noch durch das ihn umwindende Lasso geschützt; aber dennoch schnellte sie trotz ihrer Banden sogleich ellenhoch empor und schrie:

»Feurio, Feurio! Hilfio, Hilfio! O wehe, o wehe! Es sind nun über sechs Jahre, zu Weihnacht werden es sieben! Hilfio! Zetrio! Mordio!«

»So ist es Recht!« mahnte Steinbach. »Antwortet nur, dann erhaltet Ihr keine Hiebe!«

»Hilfio, Hilfio!«

»Schreie nicht gar zu sehr, Alte, sonst komme ich wirklich zu Hilfe!«

»Gott strafe Euch! Gott verfluche Euch! Gott verdamme Euch, Ihr Mörder!«

Aber ein zweiter Hieb brachte sie zum Schweigen. Steinbach wendete sich nun wieder an Juanito mit der Frage:

»Habt Ihr einen gewissen Wilkins gekannt?«

»Nein.«

Die Schläge hatten gewirkt. Er antwortete, wenn er auch nicht die Wahrheit sagte.

»Oder einen gewissen Adler?«

»Nein.«

»Ihr lügt.«

»Ich kann nur sagen, was ich weiß.«

»Selbst Eure Mutter nannte diese Namen.«

»Das geht doch mich nichts an. Sie hat diese Namen gehört, ich aber nicht.«

»Kennt Ihr einen Sennor Hauser?«

»Nein.«

»Also auch seine Frau nicht?«

»Auch nicht.«

»Ich sehe, wenn ich Euch bei einer jeden Lüge einen Hieb geben wollte, so wäret Ihr in fünf Minuten todt. Ich will es also anders machen und mich kurz fassen. Wo ist die Quecksilbergrube?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wo befinden sich die Arbeiter?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»Ihr seid doch der Bergmeister.«

»Das, wonach Ihr mich fragt, sind die Geheimnisse Sennor Roulins.«

»Ihr selbst habt Euch seinen Vertrauten genannt.«

»Der bin ich auch, nur in dieser Beziehung nicht.«

»Hm! Ich möchte auch gern Vertrauter sein, nämlich der Eurige. Ihr hüllt Euch aber in Schweigen. Um Euch nun Vertrauen zu mir zu machen, werde ich wieder zur Peitsche greifen. Ich will Euch nicht mit Fragen belästigen, das wird sich Alles von selbst beantworten. Nur das Eine verlange ich: Wo ist der Eingang zum Quecksilberbergwerke?«

»Ich weiß es nicht.«

Er mochte geglaubt haben, mit dieser Lüge wegzukommen; aber er erhielt sofort einen solchen Hieb über den Rücken, daß das Blut aufspritzte.

»Ich weiß es! Ich weiß es!« brüllte er.

»Nun, wo?«

»In der Cysterne.«

»Sind Schlüssel nothwendig?«

»Ja, mein Hauptschlüssel.«

»Schweigt doch, schweigt!« rief die Alte. »Dieser Fremde ist ein Mörder, ein Schinder, ein Unmensch, ein böser Geist und Antichrist.«

»Still, Alte!« sagte Steinbach, indem er mit der Peitsche ausholte.

Sofort brüllte sie, sich zusammenzuckend:

»Feurio, Feurio! Mordio! Brandio! Giftio! Hilfio! Rette-rette-rettio!«

»Jeder Augenblick, den wir die unschuldigen Opfer noch länger schmachten lassen, ist ein Verbrechen. Darum greife ich mit Ueberwindung zur Peitsche, um Das, was ich wissen muß, so schnell wie möglich zu erfahren. Sennorita Annita, fürchtet Ihr Euch vielleicht, wenn ich Euch mit dieser Alten eine Stunde lang allein lasse?«

»O nein, Sennor. Ihr seid ja in der Nähe.«

»Lockert ihr die Bande nicht. Antwortet ihr am Besten gar nicht. Für alle Fälle lasse ich Euch meinen Revolver hier. Unterdessen begeben wir uns nach dem Bergwerke, um die Elenden zu befreien. Ihr, Juanito, werdet uns führen. Glaubt aber ja nicht, durch irgend welche Hintergedanken Rettung zu finden! Ihr habt es mit Leuten zu thun, welche Euch überlegen sind. Komm, Günther!«

Nachdem er Annita noch mehrere Verhaltungsmaßregeln gegeben hatte, trug er Juanito nach dessen Stube, legte ihm die beschriebenen eisernen Hand- und Fußschellen an und befreite ihn erst dann, als dies geschehen war, von dem Lasso.

Es waren zwei Laternen vorhanden, welche mit Lichtern versehen wurden, um mitgenommen zu werden. Es wurden alle Vorbereitungen getroffen, welche zu dem Unternehmen erforderlich waren. Vor allen Dingen sah Steinbach darauf, daß Juanito durch die Fesseln vollständig unschädlich gemacht worden war. Dann wurde der schauerliche Gang angetreten.

Steinbach hatte die Absicht, sich sofort nach der Cysterne zu begeben; aber als sie an der Thür vorüber kamen, hinter welcher, wie er aus Annita's Mittheilungen entnommen hatte, Roulins Zimmer lagen, kam ihm ein Gedanke. Er ließ Langendorf mit Juanito warten und schloß mit dem Hauptschlüssel, welchen er dem Letzteren genommen hatte, auf.

Eine der mitgenommenen Laternen gab ihm das nöthige Licht. Er wollte nämlich sehen, ob er nicht ein Verzeichniß derjenigen Personen finden könne, welche er jetzt befreien wollte. Es war ja sehr leicht möglich, daß Juanito ihn nicht überall hinführte; es konnte in dem Innern des Berges Schächte, Fährten oder Gänge, überhaupt Räume geben, welche ohne Juanito's Führung nicht aufzufinden waren. Es ließ sich mit Gewißheit vermuthen, daß Roulin über sein Geschäft Buch führte, und da mußten wohl die Namen aller Derjenigen, welche Steinbach suchte, vorhanden sein.

In der einen Stube sagte die Einrichtung, daß sie als Wohn- und Schlafzimmer benutzt werde. Schreibereien schienen nicht vorhanden zu sein. Hieran aber stieß ein zweiter Raum, wo auf einem Tische verschiedene Bücher, Hefte und Scripturen lagen. Steinbach öffnete dieselben. Eines der Hefte führte den Titel: ›Arbeiter-Controle.‹ Dies war das Gesuchte. Es enthielt einen genauen Nachweis, wie viel eine jede Person täglich gearbeitet hatte. Natürlich standen die Namen dabei. Es waren weibliche und männliche. Die Ersteren lauteten: Rosa, Mercedes, Christina, Paulina, Augusta und Frau Hauser. Neben einigen andern männlichen Namen waren genannt: Adler, Wilkins, Hauser und ›der Indianer‹.

Steinbach freute sich, dieses Verzeichniß gefunden zu haben. Es gab ihm ja die Gewißheit, endlich die Beiden entdeckt zu haben, nach denen so lange Zeit und doch so vergeblich gesucht worden war, nämlich die beiden Erstgenannten, Adler und Wilkins.

Da bei jedem Namen die Beschäftigung angeführt war, so erhielt Steinbach auch über diesen Punkt die erforderliche Klarheit. Er kehrte also befriedigt zu Langendorf und Juanito zurück.

Jetzt begaben die Drei sich in den Hof und nach der Cysterne.

»Wie kommt man da hinab?« fragte Steinbach.

»Mit der Leiter dort,« antworte Juanito.

»Gut! Ich werde erst recognosciren. Du siehst, daß ich die Peitsche mitgenommen habe. Bei einem jeden Worte und bei einer jeden Bewegung, die mir nicht paßt, erhältst Du Deine Hiebe. Versuche es also ja nicht, mich über irgend Etwas zu täuschen oder gar uns in eine Falle zu locken. Günther, warte einstweilen mit ihm hier oben!«

Er nahm die Leiter und ließ sie hinab. Sie reichte vom Rande der Cysterne bis auf deren Grund hinab. Er stieg hinunter. Das Licht der Laterne genügte, ihm Alles zu zeigen.

Das Wasser glänzte ihm trübe und tückisch entgegen. Es hatte einen fauligen Geruch. Das war also das Getränk für die im Quecksilberbergwerke Gefangenen!

Die Cysterne war aus schweren Steinen aufgeführt und hatte einen ziemlich bedeutenden Durchmesser. In ihrer halben Höhe bemerkte Steinbach eine niedrige, schmale, mit starkem Eisenblech beschlagene Thür. Sie war durch ein Hängeschloß verschlossen, in dessen Loch der Hauptschlüssel paßte.

Steinbach schloß auf. Der Eingang war so groß, daß nur ein Mann in gebückter Haltung hinein konnte. Tiefe Dunkelheit gähnte ihm entgegen. Ein Geruch nach Moder und Fäulniß machte, daß er fast zurückwich. Natürlich aber drang er jetzt in den dunklen Stollen ein, einstweilen nur, um sich von dessen Beschaffenheit zu überzeugen.

Einige Schritte von der Thür an gerechnet, wurde der Gang höher, so daß man in aufrechter Haltung gehen konnte. Steinbach zählte über dreißig Schritte, dann gelangte er an eine zweite Thür, welche genau so wie die vorige beschaffen war. Nun erst kehrte er nach der Cysterne zurück.

»Kommt herab!« gebot er. »Juanito natürlich voran. Wenn er sich weigern sollte, wird die Peitsche ihn gutwillig machen.«

Der Gefangene leistete indeß keinen Widerstand. Die Schmerzen, welche er auf seinem Rücken empfand, sagten ihm, daß es für ihn am Gerathensten sei, Gehorsam zu zeigen. Freilich konnte er nicht in gewöhnlicher Weise herabsteigen. Die eisernen Schellen, welche er an den Füßen trug, erlaubten ihm nicht, von Sprosse zu Sprosse zu treten. Er mußte sich mit den gefesselten Händen anhalten, um beide Füße zu gleicher Zeit je auf die nächste Sprosse zu setzen. Günther folgte und half dann dem Gefesselten in den Gang hinein. Der Letztere konnte natürlich sich nur in ganz kurzen Schritten vorwärts bewegen. Er war leichenblaß und schwitzte vor Angst. Aber dennoch funkelten seine Augen heimtückisch, und um seine zusammengekniffenen Lippen hatte sich ein Zug wilder Entschlossenheit gelegt. Steinbach sah dies und beschloß, so vorsichtig wie möglich zu sein. Er voran und Günther hinterher. Beide mit je einer brennenden Laterne versehen, hatten sie den Gefangenen in der Mitte. Als sie dann an die zweite Thür gelangten, fragte Steinbach:

»Wohin kommen wir jetzt?«

»In die Vorrathskammer.«

»Giebt es vielleicht hier im Unterirdischen gefährliche Passagen, so daß das Leben bedroht ist?«

»Nein.«

»Ich hoffe, daß Du die Wahrheit sagst. Das Gegentheil würde Dir eine Züchtigung eintragen, welche Deiner Haut nicht sehr wohl bekommen dürfte.«

Er öffnete die Thür. Hinter derselben erweiterte sich der Stollen zu einer kleinen, niedrigen Kammer. Auf steinernen Unterlagen war da in Flaschen aus starkem Glase das gräulichweiße, flüssige Metall zu sehen. Zahlreiche mit Quecksilber gefüllte Thierblasen lagen da. Es war ein Vorrath im Werthe von vielen tausend Dollars.

Trotzdem konnte dies für jetzt das Interesse Steinbachs nicht erregen. Er suchte Menschen aber keine Reichthümer. Eine zweite Thür führte weiter. Auf seine Erkundigung hörte er von Juanito, daß man durch dieselbe in einen zweiten Vorrathsraum gelange. Dieser war bedeutend größer als der vorherige. In hölzernen Kästen und Fässern lag da der Zinnober aufgespeichert, theils in Rhomboedern mit abgestumpften Endspitzen, cochenillroth und ins Blaugraue fallend, theils in gepulvertem Zustande, durchscheinend und diamantartig glänzend.

In einer Ecke lagen allerlei Instrumente und Werkzeuge, wie sie in einem Schachte gebraucht werden.

Auch hier hielt Steinbach sich nicht auf. Zu der nächsten, ebenfalls verschlossenen Thür tretend, wollte er den Schlüssel in das Loch stecken; da sprang Juanito schnell zur Seite. Das fiel Steinbach natürlich auf. Er zog die Hand, in welcher er den Schlüssel hielt, zurück und erkundigte sich:

»Warum thust Du das?«

»Was?« fragte Juanito, eine möglichst unbefangene Miene zeigend.

»Du wichst ja zur Seite!«

»Zufällig!«

»So! Hm! Einen Grund hast Du nicht gehabt?«

»Nein.«

»Sinne nicht etwa auf eine Hinterlist. Sie würde Dir schlecht bekommen!«

»Welche Hinterlist sollte ich haben? Ich bin ja doch gefesselt und kann Euch nichts thun.«

»Werden sehen, ob Du die Wahrheit sagst.«

Er hielt die Laterne an die Thür, um dieselbe genauer zu betrachten. Sie war wie die vorigen Thüren mit starkem Eisenblech beschlagen und hatte in der Mitte zwei knopfähnliche eiserne Erhöhungen, deren Zweck eigentlich nicht einzusehen war.

»Sind das etwa Rosetten?« fragte Steinbach.

»Ich weiß nicht, was Ihr unter einer Rosette versteht.«

»So will ich Dich anders fragen: Lassen diese Knöpfe sich vielleicht bewegen?«

»Nein. Es sind Nägel.«

Aber Steinbach war nun einmal mißtrauisch geworden. Er untersuchte die Knöpfe. Er schob nach allen Richtungen; er versuchte auch, sie zu drehen, aber vergebens. Sie ließen sich nicht bewegen.

Auch Langendorf trat hinzu und machte einen Versuch, mit demselben Mißerfolge. Dennoch meinte er:

»Diese Rosetten kommen mir verdächtig vor. Sollte es hier eine geheimnißvolle Vorrichtung geben, etwa ein Vexirschloß oder dem Aehnliches?«

»Wozu Vexirschloß, da doch ein genügend festes Schloß vorhanden ist und sicher kein Dieb hier zu erwarten ist. Ich habe da eine ganz andere Vermuthung. Ich habe feuerfeste Geldschränke kennen gelernt, welche eine Vorrichtung hatten, um Einbrecher abzuhalten. Das Schloß derselben enthielt Selbstschüsse und wird durch ähnliche Rosetten, wie wir hier sehen, gestellt. Giebt es etwa hier auch Selbstschüsse?«

Diese Frage war an Juanito gerichtet.

»Nein,« antwortete er. »Wozu auch? Es kommt ja kein Fremder und am Allerwenigsten ein Einbrecher hier herab.«

»Und dennoch sprangst Du trotz Deiner Fesseln zur Seite? Mich sollst Du nicht überlisten.«

Er ging in die Ecke, wo er bei den Werkzeugen ein Bund ziemlich starken Drahtes erblickte. Er brach ein langes Stück davon ab und bog das Ende desselben mit einer vorhandenen Zange in der Weise um, daß es einen rechten Winkel bildete. Dann forderte er Langendorf, sich mit ihm neben der Thür eng an die Mauer zu lehnen. Nun streckte er den Draht nach der Thür aus und brachte das umgebogene Ende desselben an das Schlüsselloch. Er steckte es hinein und – – in demselben Augenblicke zuckten Blitze auf, Krach auf Krach erscholl; es waren fünf oder sechs Schüsse gefallen. Der Raum war mit Pulverdampf erfüllt.

»Also doch! Verdammter Kerl!« schrie Günther.

»Das galt uns!« sagte Steinbach in gelassenem Tone. »Er sprang zur Seite; ich stand an der Thür und Du hinter mir. Hätte ich den Schlüssel in das Loch gesteckt, so wären wir Beide von den Kugeln durchbohrt worden. Sieh, dort sind sie in die Mauer geschlagen! Hier haben sich die beiden Rosetten seitwärts bewegt; es sind also zwei runde Oeffnungen entstanden, durch welche die Schüsse fielen, grad in Brusthöhe. Ohne meinen Argwohn und meine Vorsicht wären wir jetzt todt.«

»Und dieser Hallunke hätte sich befreien können. Warte, Bursch! Ein Draufgeld für Späteres sollst Du sogleich erhalten!«

Langendorf nahm Steinbach die Peitsche aus der Hand und hieb Juanito über den Rücken herüber.

»Gnade, Gnade! Erbarmen!« schrie der Gezüchtigte.

»Hund! Du verlangst Erbarmen! Und uns trachtest Du nach dem Leben! Wer Dir nur eine Spur von Mitleid zeigte, würde die größte Sünde begehen.«

Er hieb fort auf den Bösewicht ein. Steinbach nahm ihm die Peitsche aus der Hand und sagte:

»Genug jetzt! Er hat mehr verdient als diese Schläge; auch soll er seine Strafe erhalten; jetzt aber wollen wir mit seiner Züchtigung nicht die kostbare Zeit versäumen. Hier, Schurke, nimm den Schlüssel, und schließe auf. Die Gefahr ist wohl vorüber, aber dennoch könnte noch eine zweite Ladung vorhanden sein.«

Juanito erhielt den Schlüssel und schloß auf. An der andern Seite der Thür war ein eisernes Kästchen angebracht, welches jedenfalls den Mechanismus enthielt, mittelst dessen die Schüsse losgingen, falls ein mit dem Apparate Unbekannter das Schloß öffnen wollte.

Nun gab es abermals einen ziemlich langen Gang, welcher an einer Thür endete. Auch diese mußte Juanito selbst öffnen; dann befanden sie sich in einem ziemlich kreisrunden, gemauerten Räume, aus welchem mehrere Löcher nach verschiedenen Richtungen führten.

»Was ist das hier?« fragte Steinbach.

»Die Kammer, aus welcher sich die Gänge verzweigen,« antwortete Juanito stöhnend.

Die Löcher befanden sich am Boden. Sie waren so groß, daß grad ein Mann hineinkriechen konnte. Neben einem jeden stand ein Faß. Diese Fässer enthielten Zinnober, eins mehr, das andere weniger.

Steinbach bückte sich nieder und blickte in eins dieser Löcher. Er sah weit, weit hinten einen blassen, verschwimmenden Lichtschimmer.

»Wer arbeitet da drin?« fragte er den Gefangenen.

»Mercedes.«

»Also ein Mädchen. Wie alt ist sie?«

»Vierundzwanzig Jahre.«

»Wie lange befindet sie sich schon hier?«

»Zwei Jahre.«

»Ohne an die freie Luft gekommen zu sein?«

»Sennor Roulin erlaubt das nicht!«

»Fürchterlich! Zwei Jahre lang in diesem Loche zu stecken, ohne Luft, ohne Sonne, ohne den Unterschied zwischen Tag und Nacht zu kennen! Das ist das Fegefeuer; das ist die Hölle!«

Er wäre in das Loch gekrochen, wenn er nicht lieber auf seinen Anzug Rücksicht genommen hätte. Er glaubte, das beklagenswerthe Mädchen mit seiner Stimme erreichen zu können. Darum rief er mit möglichst lauter Stimme ihren Namen in die niedrige Oeffnung hinein. Als er nun horchte, hörte er einen dumpfen Laut als Antwort.

»Kommt heraus!«

In gebückter Stellung blickte er in das Loch hinein, um zu sehen, ob diese Aufforderung verstanden worden sei. Er bemerkte, daß der Lichtschein sich jetzt näher bewegte.

»Sie kommt,« sagte er, sich erhebend.

Ja, sie kam, aber langsam, erst nach einiger Zeit und in verkehrter Stellung, mit den Beinen zuerst, da sie in dem engen Orte sich nicht hatte umdrehen können. Als sie sich dann müd aufrichtete, bot sich den beiden Männern ein Anblick, welcher ihnen die Thränen in die Augen trieb.

Das Mädchen war nackt, nur mit einem ledernen Schurze bekleidet. Ihre Glieder waren zum Entsetzen abgemagert. Das Gesicht machte den Eindruck eines Todtenkopfes, aus dessen Höhlen die Augen glanzlos blickten. Der ganze Körper war mit Geschwüren und Eiterungen bedeckt.

Sie starrte die Drei an und flüsterte dabei:

»Habt Erbarmen! Ich kann nicht dafür!«

»Wofür?« fragte Steinbach mit stockender Stimme, da ihm die schlechte Luft den Athem versetzte.

»Ich habe mein Maaß nicht voll. Ich bin zu matt. Ich kann vor Durst nicht mehr.«

»Mein Gott, mein Gott! Zwei Jahre sind im Stande, aus einem Menschen so ein Bild zu machen!«

»Zwei Jahre? Ich bin länger hier, viel, viel länger.«

»Nein. Ihr irrt Euch.«

»Ich irre mich nicht. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt, als man mich band und hier herunterschleppte. Ich habe keine Sonne gesehen; ich habe nicht gewußt, wenn und ob ein Tag vorüber sei, aber dreißig Jahre bin ich wenigstens alt; acht Jahre habe ich wenigstens in dieser Höhle gesteckt. Gott, mein Gott! Laßt mich frei! Ich will Euch ja nicht verrathen! Ich werde keinem Menschen ein Wort sagen!«

»Euer Wunsch ist erfüllt, Sennorita. Ihr seid von diesem Augenblicke an frei.«

Sie stierte ihn an, als ob sie etwas ganz und gar Unbegreifliches gehört habe.

»Frei?« sagte sie. »Sennor, treibt keinen Scherz mit einer Elenden!«

»Es ist mein Ernst.«

»Ich glaube es Euch nicht. Hier herab kommen nur Teufel und Satane. Ihr lügt!«

»Seht Euch diesen Mann an! Kennt Ihr ihn?«

»Unser Peiniger!« sagte sie, auf Juanito blickend.

»Nun, Ihr bemerkt doch, daß er gefesselt ist! Er ist unser Gefangener. Wir sind gekommen, um Alle zu befreien, welche sich hier befinden.«

»Ihr – Alle – – frei – frrr – – –!«

Sie konnte nicht weiter sprechen. Sie fuhr sich mit den zusammengefesselten Händen nach dem Herzen, holte tief, tief Athem und glitt dann auf den Boden nieder. Sie war ohnmächtig geworden.

»Sie stirbt. Die Freude tödtet sie!« rief Günther.

»Nein. Was sie fühlte, war keine Freude. Sie hat in ihrem Zustande den Gedanken, frei zu sein, gar nicht richtig ausdenken können. Es ist mehr die Erschöpfung als die Freude schuld.«

Er kniete zu ihr nieder und zog eine Flasche aus der Tasche, welche er vorhin in der Küche zu sich gesteckt hatte. Als die kühlenden Tropfen zwischen die Lippen drangen, öffnete die Ohnmächtige die Augen und sog das erquickende Naß mit Begierde ein.

»Habt Dank!« flüsterte sie.

»Trinkt, trinkt! Ihr dürft nicht wieder bewußtlos werden. Ich brauche Euch.«

»Wozu?« fragte sie matt.

»Ihr sollt die Andern aus den Löchern holen. Wir können nicht hinein.«

»Die Andern?«

Sie sah mit irrem Blicke von Steinbach zu Günther hinüber. Doch gewann dieser Blick bald einen andern Ausdruck. Es kam Leben in das Auge.

»Die Andern soll ich holen?« fragte sie.

»Ja. Könnt Ihr zu ihnen?«

»So ist es wahr, was Ihr sagtet? Ich soll frei sein?«

»Ja, Ihr und auch alle Andern.«

Da richtete sie sich in sitzende Stellung auf, legte die gefesselten Hände an ihr Gesicht und begann laut und herzbrechend zu schluchzen.

Steinbach störte sie nicht; er weinte mit. Auch Langendorf trocknete sich die Augen. Sein Blick fiel auf Juanito, welcher an der Wand lehnte und regungslos vor sich niederblickte. Es war ihm keine Rührung anzusehen. Dieser Mensch war gefühl- und gottlos im allerhöchsten Grade.

Nach mehreren Minuten nahm Mercedes die Hände wieder vom Gesicht weg, richtete die Augen mit unbeschreiblichem Ausdrucke auf Steinbach und sagte:

»Sennores, Ihr kommt als Engel zu uns! Für den jetzigen Augenblick wird Euch Gott Alles, Alles vergeben, selbst wenn Ihr tausende der ärgsten Sünden begangen hättet. Wie aber kommt es, daß Roulin einverstanden ist?«

»Er weiß nichts. Wir befreien Euch in seiner Abwesenheit.«

»Das kann ich mir denken. Desto größer aber ist der Dank, welchen ich Euch schulde. Dieser Roulin ist viel schlimmer als der Satan. Wie konnte ich doch seinen Worten glauben!«

»Er hat Euch betrogen?«

»Mich wie alle Andern. Er miethete mich in San Franzisko. Dann, als ich ihm hierher gefolgt war, sprach er von Liebe; ich sollte seine Frau werden. Ich zweifelte nicht an der Wahrheit seiner Worte; die Folge seht Ihr ja. Könnt Ihr Euch denken, was wir hier dulden? Könnt Ihr Euch ausmalen, was wir zu leiden haben? Reue, Haß, Verzweiflung fressen in unserm Hirn; das Quecksilber wüthet in unsern Leibern; wir verfaulen lebendig. Und warum? Was haben wir verschuldet? Der Hunger frißt an unserm Leben, und der Durst dörrt unser Blut. Wenn wir zu schwach sind, unser Pensum fertig zu bringen, wird unsere Haut von der Peitsche zerfetzt! Ich habe zu Gott gebetet; es half nichts. Ich habe geflucht und gelästert; es half auch nichts. Dann bin ich still geworden, still, aber nicht etwa aus Ergebung, sondern weil ich nicht die Kraft mehr hatte, zu beten oder zu fluchen. Hätten diese Menschen uns getödtet, schnell, mit einer Kugel, mit einem mitleidigen Messerstiche, so wären wir todt gewesen, und unsere Seelen hätten bei Gott für unsere Mörder um Mitleid gefleht, denn wir hätten sie doch noch zu den menschlichen Wesen rechnen können. So aber werden wir langsam zu Tode gemartert. Jeder einzelne Augenblick wird uns zu einem endlosen Todestage. Wir wissen und fühlen, daß wir sterben; wir ersehnen den Tod; er streckt seine Hand immer, immer nach uns aus; aber wenn wir glauben, daß er uns ergreifen und endlich Erlösung bringen werde, weicht er wieder zurück und zeigt uns in fürchterlicher Entfernung seine hohnlächelnde Fratze. Seht hier diese Kästen. Neben jedem Loche steht einer. Sobald dieser Mensch hier, welcher sich Juanito nennt, der aber Beelzebub heißen sollte, zu uns in den Schacht kommt, muß eine Jede ihren Kasten gefüllt haben, sonst erhält sie die Peitsche anstatt des Wassers, welches unsern ausgetrockneten Mund erfrischen, unsere fiebernden Glieder kühlen sollte. Ich bin – oh – oh, mein Gott!«

Sie wurde von einem außerordentlich heftigen und beängstigenden Hustenanfalle unterbrochen.

Steinbach war zu ihr niedergekniet und hatte ihren Kopf, um welchen die langen Haare wirr und verfitzt hingen, in seinen Arm genommen. Jetzt blickte sie ihn matt und lächelnd an und flüsterte:

»Mir ist jetzt leicht. O Gott, so wohl wie jetzt ist es mir lange, lange nicht gewesen.«

»Ihr werdet nicht nur frei sein sondern auch wieder gesund werden, Sennorita!«

»Wenn das möglich wäre!«

»Es ist möglich. Das Gift wird aus Euerm Körper weichen müssen.«

»Es giebt kein Mittel gegen dasselbe.«

»O doch. Der Arzt wird Euch Jodkali geben. Ihr dürft an Eure sichere Rettung glauben.«

»Wenn ich das dürfte! Meine Eltern, meine Eltern!«

»Ihr habt die Eltern noch?«

»Ja. Ich bin ihr einziges Kind. Sie wissen nicht, wo ich bin. Sie werden mich zu den Todten zählen. Könnte ich sie wiedersehen, ihnen die Hände drücken, Gott, wie gern wollte ich dann sterben! Und dann – – aber, sagtet Ihr nicht, daß ich die Andern holen solle? Ich vergesse sie und denke nur an mich!«

»Wie viele befinden sich hier?«

»Wir sind hier vier; aber hinter jener Thür sind noch Andere, wie wir vermuthen. Gesehen haben wir sie nicht.«

»So holt diese Drei! Vorher aber will ich Euch Eure Fesseln abnehmen!«

Er hatte den dazu nöthigen Schlüssel bei sich. Er hatte ihn in Juanito's Stube gefunden, als er diesem die eigenen Fesseln anlegte. Er schloß auf und nahm dem armen Mädchen die Hand- und Fußschellen ab.

Sie verschwand in dem nächsten Loche, um dann auch noch in zwei andere zu kriechen. Bald kamen ihre drei Leidensgefährtinnen zum Vorscheine. Auch sie trugen nichts als nur den Lederschurz. Die Kleidungsstücke, welche sie noch besessen hatten, waren ihnen ja vom Leibe gefault. Sie boten einen wo möglich noch gräßlicheren Anblick als Mercedes. Sie befanden sich noch länger als diese an diesem schauervollen Orte.

Der Eindruck, den die Botschaft, daß sie frei seien, auf sie machte, läßt sich gar nicht beschreiben. Steinbach mußte Alles aufbieten, sie zum Schweigen zu bringen. Es hätte ja der Zeit von Wochen bedurft, um anzuhören, was sie alles erduldet hatten. Er aber hatte nicht einmal Stunden zu verschenken.

Nachdem er sie von ihren Fesseln befreit hatte, wies er sie an, hier auf ihn zu warten, und öffnete die nächste Thür. Ein Gang führte nach einer andern Thür; aber bevor man diese erreichte, gab es rechts und links je ein Loch, ganz ähnlich denen, aus welchen die vier bereits Geretteten geholt worden waren. In diesen beiden Orten arbeiteten noch zwei weibliche Wesen, ein Mädchen, Namens Christina, und eine Frau – – Frau Hauser.

*


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