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»Ich fürchte mich nicht. Bei einiger Vorsicht kann uns nichts geschehen. Ich werde mich sehr vorsehen.«
»Habt Ihr nicht vielleicht noch so eine Mephistopheles-Granate bei der Hand?«
»Ich habe noch welche. Eure Büchse könnt Ihr nicht gut zum Abendessen mitnehmen; das würde auffallen. Die kleinen Waffen aber legen wir nicht ab.«
»Euer Schießbeil aber könnt Ihr im Gürtel stecken lassen, nicht?«
»Jawohl. Geht jetzt hinüber in Euer Zimmer, um Euch zu waschen. Wir können recht bald geholt werden.«
»Ja, ich muß mich sauber machen. Die Donna soll sehen, daß der dicke Sam kein unübler Gentleman ist. Vielleicht mache ich Eindruck auf sie.«
Er ging. So weit die mehr als einfache Reiseausstattung es ermöglichte, machten die beiden Jäger Toilette. Die dadurch hervorgebrachte Veränderung war aber gar nicht der Rede werth.
Miranda war in das Empfangsgemach zurückgekehrt und hatte sich dort vor den Spiegel gestellt, um ihre Gestalt einer Prüfung zu unterwerfen.
»Ich soll so liebenswürdig wie möglich gegen sie sein,« sagte sie zu sich selbst. »Ob dies mir leicht oder schwer fällt, darnach fragt Walker nicht. Ich bin wie seine Sclavin. Mein Wille, meine Reize, sie müssen ihm zur Erreichung seiner Zwecke dienen. Das ist mehr als ärgerlich. Diesem kleinen, dicken Kerl möchte ich nicht einmal die Hand, viel weniger aber den Mund zum Kusse geben. Jener Andere jedoch – –!«
Sie wendete sich vom Spiegel ab, ging einige Male hin und her und fuhr dann fort:
»Er ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe So stolz und stark, dabei so mild und freundlich. Ah, seine Geliebte zu sein, welche Wonne – welche Seligkeit! Mir ist es zu Muthe, wie noch niemals im Leben. Was habe ich von Walker? Unehre, Selbstverachtung und Gefahr. Könnte ich die Liebe dieses Fremden erringen, so würde ich ihm treu sein wie eine Hündin! Seine Liebe? Hm! Er macht nicht den Eindruck eines gewöhnlichen Mannes. Wer weiß, was er eigentlich ist. Bin ich denn schön genug, um auf einen solchen Mann einwirken zu können?«
Sie trat wieder vor den Spiegel.
»Ja, ich denke es. Ich habe noch keine Dame gesehen, welche bei einer solchen Ueppigkeit der Reize eine solche Taille und eine solche Knappheit der Formen besessen hätte. Mein Teint ist unvergleichlich. Diese herrlichen Arme! Ich werde es versuchen. Mache ich Eindruck auf ihn, so ist es zu seinem Glücke. Zeit habe ich nicht viel übrig, mir seine Liebe zu erwerben. Es muß sehr schnell gehen. Hoffentlich stoße ich mit dieser Hast nicht bei ihm an.«
Sie änderte noch Einiges an ihrer Toilette, um den beabsichtigten Eindruck zu verstärken; dann ließ sie das Abendessen auftragen und die beiden Jäger holen.
Steinbach sah, als er eintrat, auf den ersten Blick, daß sie sich bemüht hatte, ihre Schönheit noch mehr in das Licht zu stellen, that aber, als ob er dies gar nicht bemerke. Er erhielt den Platz zu ihrer Rechten; Sam saß ihr zur Linken.
Das Mahl bestand aus einfachen Speisen, dem dort gewöhnlichen Maiskuchen und Fleisch in verschiedener Zubereitung. Die beiden Männer aßen fleißig. Die Dame genoß fast gar nichts; sie legte ihnen vor und suchte besonders für Steinbach das Beste heraus.
Dabei gab sie sich Mühe, wie zufällig seinen Arm, seine Hand einmal zu berühren oder seine Wange mit ihrem Athem zu streifen. Als Dame vom Fache wußte sie, wie elektrisirend dies zu wirken pflegt.
Er ließ sich dies ruhig gefallen und that so, als ob er es gar nicht bemerke. Sam sagte zunächst auch nichts dazu. Er ließ ein Fleischstück nach dem andern zwischen seinen Zähnen verschwinden. Dann aber, als er satt war, sagte er:
»Jetzt, Sennorita, bitte ich, mich doch auch einmal anzusehen. Ihr widmet Euch ganz meinem Kameraden und ich schmachte nach einem Lächeln von Euch wie der Frosch nach der Fliege.«
»Ist das so schlimm?« fragte sie lächelnd.
»Schlimmer als Ihr denkt. Uebrigens richtet Ihr Eure Freundlichkeit ganz an den Unrechten.«
»Wieso?«
»Mein Freund hat bereits die zweite Frau. Von der Ersten ist er mit vier Kindern geschieden und die Zweite hat ihn auch bereits mit einem Jungen und zwei Mädels beglückt. Ich aber bin noch Jüngling und mein Herz ist frei geblieben von dem verführerischen Schall der Küsse und dem athemraubenden Drucke süßer Umarmungen.«
Sie fühlte sich ein Wenig betroffen, ließ sich aber nichts merken, sondern erkundigte sich bei Steinbach:
»Mir scheint, Sennor Barth scherzt?«
»Ja. Er ist ein Spaßvogel.«
»Ihr habt also nicht die zweite Frau?«
»Nein.«
»Aber die Erste?«
»Auch nicht. Solche Bande, wie Master Barth erwähnt, haben mich leider noch nicht umschlungen.«
»Dafür aber ist wohl er selbst verheirathet?«
»Nein. Ich will mich nicht an ihm rächen und Euch dies nach der Wahrheit sagen.«
Sie lehnte sich leicht an seine Schulter und fragte:
»Ist es Eure Schuld, daß Ihr noch ledig seid?«
»Schuld? Vielleicht nicht.«
»Oder Euer Wille?«
Er zuckte die Achseln und antwortete:
»Darüber habe ich nun freilich nicht nachgedacht.«
»Sind denn die Damen Eurer Heimath – ah, ich weiß ja noch gar nicht, wie dieselbe heißt. Euer Name klingt sehr fremdländisch.«
»Ich bin ein Deutscher, ebenso wie mein Gefährte.«
»Ein Deutscher. Ich habe von Deutschland und seinen Bewohnern oft gehört. Sind sie Alle so groß, stark und kräftig wie Ihr?«
Steinbach wollte antworten, aber Sam kam ihm zuvor:
»Entweder so groß wie mein Freund oder so dick wie ich. Es liegt das an der Kindererziehung.«
»Wieso?«
»Die deutschen Frauen geben ihren Kindern im ersten Jahre nur Leberklöse mit Gurkensalat zu essen. Das treibt in die Länge und stopft zugleich so außerordentlich, daß ein Junge von drei Jahren bei uns so kräftig ist, wie bei Euch ein Sechsjähriger.«
»Welch einen Magen müssen diese deutschen Kinder haben!«
»Pah! Sie kommen so auf die Welt, aus purer, reiner Gewohnheit.«
»Und wie ist es mit den Mädchen?«
»Ganz ebenso. Wir lieben überhaupt starke, vollgliederige Frauen. Eine, welche uns fesseln will, muß so gebaut sein, wie zum Beispiel Ihr.«
»Sehr verbunden!«
»Bitte! Ich habe zwar bis jetzt noch nicht sehr darüber nachgedacht. Man nimmt eben die Liebschaften mit, wie sie kommen, nun ich aber neben Euch sitze, kommt es ganz eigenartig über mich. Ich möchte es Euch gern beschreiben, was ich fühle, aber ich finde die rechten Worte nicht. Man ist eben noch viel zu sehr Jüngling und unerfahren in der Liebe.«
»Und doch möchte ich so gern wissen, was Ihr jetzt fühlt. Macht es doch möglich, es in Worte zu kleiden!«
»Nun, ich will es versuchen. Es ist halb Appetit und halb Angst, gerade wie beim Vogelfang, wo der Vogel die Lockspeise sieht, aber dem Dinge doch nicht ganz traut. Ich komme mir hier neben Euch vor wie – wie, hm, ja, wie ein Gimpel, und Ihr seid die Leimruthe, an der ich hängen bleiben soll.«
Er rückte seinen Stuhl dem Ihrigen näher. Sie aber wehrte ihm ab und sagte:
»Bitte, behaltet Eure Position, Sennor. Eine Leimruthe ist ein sehr unliebenswürdiges Ding. Euer Vergleich ist keineswegs schmeichelhaft für mich.«
»Das dürft Ihr mir nicht übel nehmen. Ich habe Euch ja gleich vorher gesagt, daß ich die rechten Worte nicht finde. Vielleicht gelingt es meinem Kameraden besser, seine Gefühle zu beschreiben.«
»Wie?« wendete sie sich an Steinbach. »Habt auch Ihr Gefühle?«
»Hat nicht jedes menschliche Wesen solche?«
»Gewiß. Aber Eure Frage faßt nur das Allgemeine, nicht aber das Besondere und Augenblickliche. Wir sprechen von jetzt, von den Gefühlen, welche ich bei Sennor Barth erweckt habe. Bei Euch scheint mir dies nicht gelungen zu sein.«
»Ich bin nicht leicht zu erregen.«
»Das ist ein großer Vorzug. Wer von irgend einem Affecte nur schwer und langsam ergriffen wird, der hat einen beharrlichen, treuen Charakter. Ich glaube, Ihr würdet Eurer Geliebten wohl niemals untreu werden!«
»Nein, ganz gewiß nicht!«
»Auch nicht bei starker Verführung?«
»Auch da nicht.«
»Ah, traut Euch nicht zu viel zu! Auch Ihr seid ja nur ein Mensch.«
»Jede absichtliche Verführung hätte nur den Erfolg, mich mehr abzustoßen.«
»Es kommt vielleicht auf die Persönlichkeit an. Gesetzt, Ihr wärt Ehemann und – und – ich liebte Euch. Sagt einmal aufrichtig: Wenn ich mir Mühe geben wollte, Euch zu verführen, würde es mir gelingen?«
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, so daß ihre üppigen Reize an seinen Arm zu liegen kamen und sah ihn mit einem verheißungsvollen, verführerischen Blick in die Augen.
»Nein,« antwortete er kalt. »Es gelänge Euch nicht.«
»Seid Ihr denn gar so stark?«
»Nein, aber ich hasse das Böse und das Unrecht.«
»Ist die Liebe ein Unrecht?«
»Die unerlaubte Liebe, ja. Um befriedigt zu werden, muß sie zur Verführung greifen. Dieses letztere Wort bezeichnet sehr deutlich die Verwerflichkeit eines solchen Gefühles.«
Zugleich mit diesen Worten machte er eine Bewegung, ihre Berührung von sich abzuweisen. Sie wich langsam zurück, warf ihm einen langen, finstern Blick zu und sagte im Tone des Gekränktseins:
»Ihr nehmt meine Worte ganz anders, als sie gemeint waren. Ich gab nur ein Beispiel, von persönlichen Absichten aber war keine Rede.«
»Ganz auf diese Weise habe ich Eure Worte ja auch genommen. Ich wüßte nicht, welche Veranlassung zu persönlichen Absichten vorhanden sein könnte.«
Er sagte das so stolz, so selbstbewußt und abweisend, daß sie überzeugt war, er wisse sehr genau, daß sie solche Absichten eigentlich doch hegte. Sie wollte sich darüber ärgern, brachte dies aber doch nicht fertig. So wie er da vor ihr saß, ein Bild männlicher Stärke und Schönheit, fühlte sich die für physischen Genuß angelegte Donna fast berauscht von seiner Persönlichkeit. Sie sollte seine Feindin sein, sie sollte mit helfen, ihn zu verderben, und doch sagte sie sich im Stillen, daß es nur eines guten Wortes seinerseits bedurft hätte, um sie zu seiner Helferin, seiner Beschützerin zu machen. Sie wollte ihm zürnen, konnte es aber nicht. Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, daß er sie verachte. Das empörte sie; aber sie brachte es nicht fertig, ihm darüber bös zu sein. Aber wenn er sie verachtete, so mußte er sie kennen. Und woher kannte er sie? Es gab nur eine Person, welche ihm hatte Auskunft geben können. Darum sagte sie:
»Also Ihr wart heute bei Sennorita Emeria. Sie hat wohl von mir gesprochen?«
»Sie sagte, daß wir uns an Euch wenden sollten.«
»Sie ist eigentlich nicht eine gute Freundin von mir.«
»Wieso? Sie ist doch Eure Verwandte.«
»Allerdings. Aber man macht gerade an Verwandten sehr oft bittere Erfahrungen.«
»Hat sie Euch beleidigt?«
»Direct nicht. Aber ich habe von Anderen gehört, daß sie in einer Weise von mir spricht, welche mir nicht lieb sein kann. Hat sie das gegen Euch auch gethan?«
»Nein. Sie scheint es im Gegentheile sehr gut mit Euch zu meinen. Sie ist Sennor Robin sehr dankbar, daß er Euch eine so gute Stellung bei sich gegeben hat.«
»Ah! Meint sie etwa, daß ich diese Stellung nicht verdiene?«
»Davon hat sie nicht das Mindeste verlauten lassen.«
»Aber von früheren Zeiten hat sie gesprochen?«
»Sie hat nur gesagt, daß Ihr viel gereist seid.«
»O, nun weiß ich Alles. Sie hat mich verleumdet.«
»Nicht mit einem Worte.«
»Ihr leugnet es. Ihr wollt es mir nicht sagen. Ihr seid nicht aufrichtig gegen mich.«
»Ich kann doch nicht Euch zu Liebe eine Unwahrheit sagen, welche Euch noch dazu, wie ich vermuthe, kränken würde. Lassen wir also dieses unerquickliche Thema fallen, Sennorita!«
»Ja, lassen wir es fallen. Ich weiß doch nun, woran ich bin.«
Sie wendete sich ab. Sie schien erzürnt zu sein. Steinbach machte sich nichts daraus. Er gab sich auch gar keine Mühe, sie in eine bessere Stimmung zu bringen. So kam es, daß der übrige Theil des Abendmahles sehr wortkarg eingenommen wurde. Zudem waren die beiden Jäger ermüdet. Als Steinbach eine darauf bezügliche Bemerkung machte, stand Sam auf und sagte:
»Ja, gehen wir zur Ruhe. Ich sehe an der Uhr, daß es bereits zehn ist. Ich will nur noch einmal nach den Pferden sehen, das ist so meine Angewohnheit.«
Er ging. Unten fand er das Thor verschlossen. Der Schlüssel steckte nicht. Er kehrte also durch den Hausgang in den Hof zurück, um nach dem Letzteren zu fragen. Da traf er auf den Neger Zeus.
»Wo ist der Schlüssel zum Thore?« fragte er.
»Was wollen mit Schlüssel?«
»Ich habe mein Pferd im Corral und will nach ihm sehen.«
»Werde holen Schlüssel.«
Er ging und brachte ihn bald. Nachdem er aufgeschlossen hatte, ging er auch mit nach dem Corral. Die beiden Pferde hatten sich gelegt. Sam liebkosete sie, wie er das stets zu thun pflegte, und wollte in das Haus zurückkehren. Da aber berührte der Neger seinen Arm und sagte:
»Massa noch warten! Wie heißen Massa?«
»Ich heiße Barth.«
»Sein Massa Barth gut Freund mit Massa Robin?«
»Warum fragst Du so?«
»Weil ich haben guten Grund.«
Sam wußte nicht, wie er antworten sollte. Einem Diener konnte er doch nicht verrathen, daß er als Robins Feind gekommen sei, und doch ließ das Verhalten des Schwarzen vermuthen, daß er Etwas auf dem Herzen habe, was er einem Freunde seines Herrn wohl schwerlich mittheilen werde. Darum antwortete Sam unbestimmt:
»Ich bin weder Freund noch Feind von Master Robin. Ich kenne ihn nicht.«
»Wollen aber werden Freund von ihm?«
»Auch das nicht. Ich will gar nichts von ihm werden. Er ist mir sehr gleichgiltig.«
»Sein Massa Barth Mexikaner?«
»Nein.«
»Yankee?«
»Auch nicht. Ich bin ein Deutscher.«
»Ein Deutscher? O Jessus! Massa Günther sein auch ein Deutschmann.«
»Welcher Günther?«
»Welcher sein gewesen hier und wohnen jetzt bei Sennorita Emeria.«
»Den kenne ich.«
»Massa sein Landsmann von ihm also?«
»Ich bin sein Landsmann und sein Freund.«
»Sein Freund! O, wenn ich wissen, ob Massa mich vielleicht nicht verrathen – –!«
»Was ist es? Ich verrathe keinen ehrlichen Kerl.«
»Ich sein ehrlich, sehr ehrlicher Kerl.«
»Das glaube ich. Wie es scheint, willst Du mir Etwas sagen, was diesen Günther betrifft?«
»Ja, sehr diesen Massa Günther.«
»So sage es mir!«
»Erst mir versprechen, daß mich nicht verrathen!«
»Ich verrathe Dich nicht.«
»Es mir schwören!«
»Gut, ich beschwöre es. Hier ist meine Hand darauf.«
Er gab ihm die Hand. Der Schwarze nahm sie und sagte:
»So, nun ich sicher bin, daß ich reden können. Massa Günther soll werden todt – –«
»Ja, Mord.«
»Wann?«
»Heut, Mitternacht.«
»Von wem?«
»Von Massa Robin.«
»Bist Du toll?«
»O, ich nicht sein toll. Ich sehr klug sein.«
»Woher weißt Du es denn?«
»Ich haben gelauscht. Massa Robin sprechen davon mit Sennorita Miranda.«
»Erzähle mir es!«
»Wollen retten arm Massa Günther?«
»Ja, das versteht sich, wenn es möglich ist.«
»O, es noch sehr möglich, sehr gut möglich.«
»Wie aber kommt es, daß Du es mir sagst, daß Du Deinen Herrn verräthst?«
»Ich schon bereits sagen, daß ich sein sehr gut ehrliches Kerl. Massa Günther mir haben gegeben Geschenk. Massa Robin mir aber geben Prügel.«
»Aha? Du willst Dich rächen.«
»Ja, ich mich rächen.«
»Sehr gut, sehr gut! Ich will Dir in Deiner Rache behilflich sein. Nun es so steht, will ich Dir sagen, daß ich gar kein Freund Deines Massa Robin bin. Er ist ein Schurke und wir sind gekommen, ihm auf die Finger zu klopfen.«
»Klopfen! Ah, schön, sehr schön! Aber nicht blos klopfen auf Finger, sondern auch an Kopf und auf Buckel. Er sein Mörder und Dieb. Er will haben sehr viel Geld von Massa Günther.«
»Jetzt begreife ich. Aber wie will er es denn anfangen?«
»Durch Schrank gehen.«
»Alle Teufel! Das ist ja ganz und gar Steinbachs Ahnung! Du meinst doch den Schrank bei Sennorita Emeria?«
»Ja. Massa haben Schlüssel dazu.«
Er erzählte ihm nun ausführlicher, was er erlauscht hatte und fügte dann hinzu:
»Ich noch mehr hören vielleicht, da aber kommen Reiter, zwei weiße Massa, nämlich Massa Newton und noch ein ander Reiter.«
»Newton? Das wird doch nicht etwa Der sein, den auch ich kenne!«
»Ich nicht wissen.«
»Wo kam er her?«
»Auch das nicht wissen. Waren verreist. Hat holen den ander Massa. Darauf auch kommen Alfonzo mit Massa Roulin. Haben viel gesprochen drüben im Zimmer. Aber als später kommen Ihr, sie alle fort durch kleine Thür hinten.«
»Mir nicht sagen, jedenfalls aber nach Stadt.«
»Ihrer wie viele waren es?«
»Es sein ein – drei, vier, fünf Personen; sie haben Pferd auch fünf und machen Umweg nach Stadt.«
»Das sind sehr wichtige Nachrichten, welche ich da durch Dich erfahre. Wir werden Dir dankbar sein.«
»O, Massa, mir nur helfen hier fort, mir und Milly.«
»Wer ist Milly?«
»Meine Braut, meine Verliebste.«
»Ach so, Du gehst auf Freiersfüßen?«
»Sehr! Ich sein ein sehr gut Freiersfuß.«
»Das freut mich. Solchen Leuten helfe ich gern. Ist Deine Milly hübsch?«
»Sehr viel stark hübsch. Beinahe viel hübscher als ich.«
»Das will ich hoffen. Höre, sage mir einmal, ob es nicht möglich ist, daß ich oder mein Kamerad das Haus verlassen kann, ohne daß es Jemand bemerkt.«
»Das sein sehr leicht.«
»Wieso?«
»Ich wachen ganze Nacht und öffnen das Thor.«
»Schön, mein Lieber. So wollen wir es machen. Du wachst, um uns hinaus zu lassen und dann vielleicht auch wieder herein. Jetzt aber muß ich fort. Es könnte Verdacht erregen, daß ich so lange weg bleibe.«
Sie kehrten jetzt in das Haus zurück. Als Sam die Treppe erstiegen hatte, kam Steinbach soeben aus dem Speisezimmer. Er hatte ein Licht in der Hand. Miranda stand unter der Thür und bot ihm ›gute Nacht‹. Sie sah sehr erregt aus. Sam verabschiedete sich auch von ihr und ging mit Steinbach zunächst in dessen Stübchen.
»Das Frauenzimmer machte ein ganz eigenthümliches Gesicht,« bemerkte der Dicke. »Ist Etwas vorgekommen?«
»Ja. Sie hat mir eine ziemlich unverblümte Liebeserklärung gemacht.«
»Sapperment! Warum mir nicht!«
»Ihr seid ihr vielleicht nicht appetitlich genug.«
»Na, so appetitlich wie Ihr bin ich auch. Habt Ihr sie abgewiesen?«
»Natürlich.«
»Das arme Wurm! Sie dauert mich.«
»Ein höchst sinnliches, feuriges Frauenzimmer. Sie ist im Stande, mich heute Nacht zu besuchen.«
»Mir wäre sie willkommen.«
»Aber nicht mir.«
»So laßt sie nicht herein und schickt sie zu mir.«
»Nicht hereinlassen? Habt Ihr noch nicht bemerkt, daß an der Thür nicht einmal ein Schloß oder Riegel sich befindet? Man kann nicht zuschließen.«
»Verdammt! Das kann unter Umständen gefährlich werden. Es ist da sehr leicht gemacht, wenn uns irgend wer überfallen und abmurksen will.«
»Das wird man bleiben lassen.«
»Oho! Ihr wißt noch gar nicht, wie gefährlich dieses Haus ist. Ich habe es soeben erst erfahren.«
»Was giebt es für eine Neuigkeit? Ihr wart so lange bei den Pferden.«
»Ich sprach mit einem Neger. Wir müssen fort.«
»Wohin?«
»In die Venta der Sennorita Emeria.«
»Dazu müßte die Veranlassung eine sehr dringliche sein.«
»Das ist sie. Günther soll ermordet werden.«
»Was höre ich!«
»Ja, man will durch den Schrank zu ihm, ganz so, wie Ihr vermuthet hattet.«
»Sollte das wahr sein?«
»Natürlich. Der brave Schwarze wird sich doch keine solche Lüge aussinnen.«
»Der Mord lebt wohl nur in seiner Einbildung!«
»Von dieser falschen Ansicht will ich Euch sofort befreien.«
Er erzählte Alles, was er von Zeus erfahren hatte. Steinbach war natürlich dann der Ueberzeugung, daß von einem Irrthum des Negers keine Rede sein könne.
»Seht Ihrs!« meinte Sam. »Wir müssen fort.«
»Wir? Beide nicht. Einer genügt.«
»Soll der Andere zurückbleiben?«
»Ja. Einer muß unbedingt hier bleiben. Man weiß nicht, was hier geschehen kann.«
»Meinetwegen. Wer aber geht?«
»Ich.«
»So bleibe ich gleich hier in Eurer Stube, damit Ihr bei Eurer Rückkehr nicht erst hinüber zu mir zu kommen braucht.«
»Mir ganz gleich. Also der Neger wird mir aufmachen?«
»Sicher. Ihr findet ihn am Thore unten. Natürlich aber darf Niemand erfahren, daß Ihr Euch entfernt.«
»Habt um mich keine Sorge und macht auch Ihr Eure Sache gut, Master Sam!«
»Werde meine Pflicht thun. Habt Ihr vielleicht Verhaltungsmaßregeln für mich?«
»Nein. Ich kann nicht wissen, was geschieht, also kann ich auch nicht sagen, was Ihr thun oder lassen sollt. Die Hauptsache ist, daß wir Florin und Walker bekommen. Darnach habt Ihr Euch zu richten. Hoffentlich komme ich noch zur rechten Zeit.«
»Es ist erst halb elf. Freilich ist der Weg nach der Stadt des Nachts sehr schlecht; aber die Sterne leuchten. Ihr werdet um Mitternacht dort sein.«
»Wie aber, wenn dieses Frauenzimmer unterdessen hierher kommen sollte!«
»Sie wird doch nicht!«
»Die Scene, welche ich mit ihr hatte, giebt mir die Ueberzeugung, daß es ihr zuzutrauen ist.«
»Na, wenn sie so verrückt ist, mir soll es nur recht sein.«
»So habe ich nichts weiter zu bemerken. Schlafen dürft Ihr auf keinen Fall; Ihr müßt wachen, um Alles zu hören und zu erfahren, was im Hause geschieht.«
Er trat leise zur Thür hinaus und schlich sich fort. Die Bewohner des Hauses waren noch nicht schlafen gegangen; darum erforderte es große Vorsicht von ihm, unbemerkt an das Thor zu kommen. Es gelang ihm doch. Der Neger lag dort an der Erde, stand aber schnell auf, als er im Dunkel des Hauses Jemand herbeischleichen hörte.
»Massa Barth?« fragte er.
»Nein. Ich bin sein Kamerad.«
»Ah, der groß stark Massa?«
»Ja.«
»Suchen mich?«
»Ja. Massa Barth hat mir gesagt, was Du ihm erzählt hast. Ist das Alles wahr?«
»Sehr viel wahr. Ich können schwören.«
»So muß ich fort. Kannst Du öffnen?«
»Ich haben Schlüssel.«
»Schön! Mach auf und hier, nimm!«
Er hatte ein Goldstück bereit gemacht, welches er dem Neger in die Hand drückte.
»Jessus! Massa geben Gold! O, was ein sehr viel gut und splendid Massa! Ich für ihm thun Alles, was er verlangen von mir.«
»Kannst Du hier am Thore bleiben?«
»Ja. Ich hier liegen und warten.«
»Wenn ich zurückkehre, so klopfe ich dreimal leise. Du lassest mich dann wieder herein.«
Zeus öffnete das Thor geräuschlos und Steinbach trat in die sternenhelle Nacht hinaus. Er begab sich leise nach dem Corral und zog sein Pferd aus demselben. Er führte es langsam, damit man den Huftritt nicht hören sollte, so weit fort, bis er sich in genügender Entfernung befand, dann stieg er auf.
Der Weg, welcher vor ihm lag, war nicht etwa ein Reitweg nach europäischen Begriffen; aber Steinbach hatte ihn sich eingeprägt, und die Sterne leuchteten so ziemlich hell, so daß der Reiter es wagen konnte, sein Pferd in Trab zu setzen.
Es lagen zuweilen Steine im Wege, auch gab es zahlreiche Wurzeln, welche hätten gefährlich werden können. Steinbach aber und sein Rappe waren solche Hindernisse gewöhnt; die Schnelligkeit des Rittes wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Es war kaum eine Stunde vergangen, so lag der Wald hinter und die Stadt vor ihm.
An der Venta stieg er ab und führte sein Pferd in den Corral, wo sich auch die Thiere von Wilkins und dem Apachenhäuptlinge befanden. Diese Beiden hatten sich bei Emeria einquartirt.
Das Fenster des Giebelstübchens, welches Günther von Langendorff bewohnte, war noch erleuchtet. Steinbach überzeugte sich, ehe er das Haus betrat, daß sich im Flur Niemand befand, dann schritt er schnell durch diesen nach der Treppe und diese Letztere hinauf. Die Thür der Stube war von Innen verschlossen und er mußte in Folge dessen klopfen.
»Wer ist da?« fragte Günther.
»Steinbach.«
»Alle Teufel! Herein!«
Er öffnete und wollte mit lauter Stimme seinem Erstaunen, den Freund zu sehen, Worte geben, aber dieser Letztere fiel sofort zwar leise, aber eindringlich ein:
»Pst! Still! Ich komme heimlich.«
Günther zog die Thür hinter ihm wieder zu, schob den Riegel vor und sagte dann:
»Heimlich? Giebt es irgend ein Geheimniß?«
»Ja. Man will Dich ermorden.«
»Unsinn!«
»In Wahrheit. Höre mich an!«
Er berichtete ihm von der Absicht Walkers. Günther hörte ihn ruhig an und sagte dann:
»Ich danke Dir, mein lieber Oskar! Du rettest mir das Leben. Natürlich bleibst Du bei mir?«
»Das versteht sich. Ich gehe erst dann, wenn wir die Kerls festgenommen haben.«
»Wir werden sie empfangen. Hoffentlich wird es nicht zu einem wirklichen Kampfe kommen.«
»Wir müssen uns aber doch auf einen solchen gefaßt machen. Ehe sie sich widerstandslos gefangen nehmen lassen, vertheidigen sie sich bis aufs Blut.«
»Wie viele Personen sind es?«
»Fünf.«
»Da sind wir zwei zu wenig.«
»Eigentlich nicht. Aber ich will Dir nicht zu viel zumuthen. Ich werde den Apachen holen.«
»Das sind immer nur Drei. Ah, da habe ich einen Gedanken. Ich war bis vor wenigen Minuten unten im Gastzimmer. Der Aldermann (Richter) befand sich da. Er wird noch unten sitzen. Soll ich ihn holen?«
»Wenn es geschehen könnte, ohne daß es auffällig ist, so wäre es mir sogar sehr lieb.«
»Ich werde es so einrichten, daß kein Mensch bemerkt, daß er zu mir geht. Warte einige Augenblicke!«
Er ging hinab. Wilkins und der Apache hatten sich das im andern Giebel liegende Stübchen geben lassen. Steinbach begab sich dorthin. Sie schliefen bereits. Als Wilkins hörte, weshalb der Häuptling geholt werde, wollte er nicht zurückbleiben, sondern sich auch mit betheiligen. Steinbach wollte ihn abweisen, mußte ihm aber doch den Wunsch erfüllen.
Als die Drei in Günthers Stube traten, befand dieser sich bereits wieder in derselben und gleich darauf kam auch der Aldermann. Er hatte unten gethan, als ob er nach Hause gehe und sich dann unbemerkt heraufgeschlichen. Als er erfuhr, um was es sich handle, war er ganz Feuer und Flamme.
»Durch diesen Schrank wollen sie kommen?« sagte er. »Den wollen wir uns doch einmal betrachten.«
Er öffnete und untersuchte ihn, dann meinte er:
»Ihr glaubt gar nicht, was für einen großen Gefallen Ihr mir erzeigt. Es sind in der Umgegend zahlreiche Missethaten begangen worden, ohne daß der Thäter zu entdecken war. Ich will aufrichtig gestehen, daß ich auf diesen Robin ein scharfes Auge gehabt habe. Es war mir Manches von ihm unbegreiflich oder gar verdächtig; aber eine Handhabe konnte ich leider nicht entdecken. Nun läuft er uns so prächtig ins Garn. Also fünf Personen sind es. Wir sind auch fünf. Das ist genug. Wann will er kommen?«
»Nach Mitternacht,« antwortete Steinbach.
»Das ist sehr unbestimmt. Jedenfalls kommt er nicht eher, als bis unten keine Gäste mehr vorhanden sind und auch hier oben das Licht ausgelöscht ist.«
»Auslöschen dürfen wir ja nicht.«
»Warum?«
»Wir brauchen das Licht, um die Kerls sehen zu können, sonst vergreifen wir uns aneinander selbst,« antwortete Wilkins.
»Das ist freilich richtig. Vereinigen wir also Beides. Wir lassen das Licht zwar brennen, verstecken es aber. Ich sehe, daß die Sennores Lassos haben. Das ist sehr gut, denn da brauchen wir uns nicht erst nach Stricken umzusehen, um die Kerls zu binden.«
Zunächst war die Ankunft der Mörder noch nicht zu erwarten. Aber eine halbe Stunde nach Mitternacht ging der letzte Gast der Sennorita fort, und sie verschloß die Thür. Jetzt nun stellte der Aldermann das Licht hinter das Bett und verhing die Stelle so, daß es wohl brennen, aber nicht bemerkt werden konnte. Nun wartete man.
Keiner sprach ein Wort, selbst flüsternd nicht. Jeder lauschte mit angestrengtem Gehör. Endlich ließ sich ein leises Knacken hören.
»Horcht!« flüsterte Wilkins.
»Pst! Vorsicht! Schweigt!« antwortete Steinbach ebenso leise.
Jetzt knarrte es kaum hörbar. Die Außenthür des Schrankes wurde geöffnet. Ein kühler Luftzug strich von draußen herein. Dann hörte man, daß der Riegel der inneren Thür zurückgeschoben wurde. Der Augenblick des Handelns schien gekommen zu sein; wenigstens griff Wilkins, welcher dem Bette am nächsten stand, hinter sich, um die Umhüllung des Lichtes zu entfernen. Der Gedanke, diesen Walker zu ergreifen, hatte ihn in eine bedeutende Aufregung versetzt.
Leider aber war Walker vorsichtiger, als man gedacht hatte. Er hatte Roulin und Leflor in der anderen Venta gelassen und nur Alfonzo und den einstigen Derwisch bei sich. Die beiden Erstgenannten sollten ja nicht wissen, welche That er vor hatte. Die Drei hatten die Venta umschlichen, um sich zu überzeugen, daß die Bewohner desselben zur Ruhe gegangen seien. Sie bemerkten, daß kein Licht mehr brannte, und stiegen über die Mauer des Hofes. An dem Eingange, welcher aus diesem Letzteren in den Hausflur führte, gab es keine Thür, so daß die Drei also ohne Schwierigkeit in das Haus gelangten. Dort blieben sie einige Zeit lang lauschend stehen. Es herrschte überall die tiefste Ruhe. Also stiegen sie leise die Treppe empor und schlichen sich zu dem Schranke. Dort lauschten sie abermals. Es war nichts zu hören. Walker zog seinen Nachschlüssel hervor, steckte ihn leise in das Schloß und öffnete. Ein eigenthümlicher, würzig scharfer Geruch drang ihm entgegen. Er kannte diesen Geruch. Es war der Duft von Kinnikinnik. So heißt nämlich das Gemisch von Tabak und wilden Sumachblättern, welches die Indianer zu rauchen, pflegen. Zuweilen nehmen sie auch Blätter des wilden Hanfes dazu.
Nun kommt es zwar auch vor, daß der Weiße dieses Kinnikkinnik raucht; das thut er aber nur in der Wildniß, wo reiner Tabak nicht zu haben ist. Hier aber in Prescott wurde nicht nur Tabak gebaut, sondern der Gebrauch war da so allgemein, daß selbst Frauen und Kinder ihre Cigarittos zu rauchen pflegten. Der Geruch von Kinnikinnik ließ also auf die Anwesenheit eines Indianers schließen. Günther rauchte jedenfalls diese Mischung nicht. Dazu kam, daß Walker sehr wohl wußte, daß heute der Häuptling der Apachen sich in Prescott befand. Jedenfalls war dieser auch, wie der dicke Sam, in der Venta der Sennorita Emeria eingekehrt. Vielleicht befand er sich noch da, und die Umstände konnten es so gefügt haben, daß er jetzt drinnen bei Günther steckte.
Was war zu thun? Vorsicht war gerathen, die größte Vorsicht.
Zwar fiel es Walker nicht ein, seine Bedenken den beiden Genossen mitzutheilen. Sie hätten sonst auf den Gedanken kommen können, auf den Raubüberfall ganz zu verzichten. Aber sich selbst wollte er wenigstens nicht in eine directe Gefahr bringen. Er beschloß also, einen der andern Beiden voran zu schicken.
Seine Vermuthung war nicht unrichtig. Der Häuptling der Apachen hatte drinnen im Zimmer der Verhandlung der Andern schweigend zugehört, wie das so seine Angewohnheit war, und, um doch eine Beschäftigung zu haben, seine kurze Pfeife hergenommen und in Brand gesteckt. Weder ihm noch den Anderen war es in den Sinn gekommen, daß dies zum Verräther an ihnen werden könne. Zwar hatte er, als das Licht versteckt wurde, die Pfeife wieder ausgehen lassen, aber der scharfe Geruch des Kinnikkinnik war doch bemerkbar geworden.
»Nun, gehen wir hinein?« fragte draußen Bill Newton, der einstige Derwisch.
»Natürlich!« antwortete Walker. »Aber Ihr habt ein besseres Gehör als ich; darum lasse ich Euch den Vortritt. Geht also voran!«
Bill fühlte sich geschmeichelt. Er erkundigte sich:
»Ist denn der Schrank leicht aufzumachen?«
»Ja. Es ist nur ein kleiner Riegel an der Innenthür; er geht ganz unhörbar auf und die Thür kreischt nicht. Seid nur recht vorsichtig, so geht Alles gut!«
»So will ich voran.«
»Schön! Aber merkt Euch dabei Eins. Man muß auf alle Fälle gefaßt sein. Ist da drinnen Etwas nicht in Ordnung, so kommt Ihr rasch zurück, ich schließe hier zu und wir begeben uns schnell hinab und über die Mauer hinaus. Sollten wir uns dabei verlieren, so treffen wir bei unseren Pferden zusammen.«
»In diesem Falle würde der Verfolger sehr schnell hinter uns sein.«
»O nein. Dieser Günther kann uns nicht durch den Schrank nach, weil ich denselben ja gleich verschließe, und auf den Gedanken, zur Thür hinaus zu gehen, wird er nicht gleich kommen. Ah, wartet noch einen Augenblick! Ich will sehen, ob man die Stubenthür nicht von Außen verschließen kann.«
Er schlich sich hin und fühlte den Schlüssel, welcher außen steckte. Leise, ganz leise drehte er ihn um, so daß die Thüre nun verschlossen war, dann kehrte er zum Schranke zurück und bedeutete Bill, nun hinein zu treten. Er selbst blieb mit Alfonzo erwartungsvoll zurück und behielt die äußere Schrankthür und den Schlüssel so in den Händen, daß er sie augenblicklich zuschließen konnte.
Der Schrank war fest gebaut, so daß der Boden nicht unter Bill's Körpergewicht knarrte. Dieser Letztere tastete mit der Hand nach dem Riegel. Er fand ihn und schob ihn zurück. Es gab das doch ein wenn auch kaum hörbares Geräusch. Er wartete noch einige Augenblicke, dann schob er die Thür auf. Er lauschte in die Stube hinein. Alles war still. Er war überzeugt, daß Günther schlafe. Schon hob er den Fuß, um aus dem Schranke in die Stube zu treten, da ward es plötzlich hell. Wilkins hatte in diesem Augenblicke, allerdings zu vorzeitig, das Licht enthüllt.
Bill war für den ersten Augenblick so erschrocken, daß er regungslos stehen blieb. Im Rahmen des geöffneten Schrankes stehend und von dem Lichte hell beschienen, war er ganz deutlich zu erkennen.
»Alle Teufel! Unser Gefangener!« rief Wilkins.
»Drauf! Schnell!« gebot Steinbach.
Er war über Wilkins' Voreiligkeit ergrimmt und that das, was jetzt allein zu thun noch übrig blieb. Er sprang auf Bill ein. Dieser aber hatte sich bereits wieder besonnen und die Thür zugezogen und den Riegel von innen vorgeschoben. Er trat hinaus. Walker schloß schleunigst die Außenthür zu, und nun eilten die Drei, so schnell es im Dunkel möglich war, hinunter in den Hof und nach der Mauer zu, über welche sie springen wollten.
Als Steinbach sah, daß ihm die Schrankthüre vor der Nase zugemacht wurde, ließ er sich keineswegs dadurch verblüffen. Er hatte sich die Construction des Schrankes angesehen und kannte sie also. Der von der Zimmerseite ansteckende Schlüssel öffnete ja den inneren Riegel. Er drehte ihn also schnell um. Die innere Thür ging in demselben Augenblicke auf, in welchem Walker die Hinterwand von Außen verschloß. In diesem Augenblicke ertönte die Stimme Günthers im Zimmer:
»Verdammt! Man hat die Stubenthür von draußen verschlossen!«
Er hatte die Geistesgegenwart gehabt, sogleich nach der Thür zu eilen, um durch dieselbe hinauszuspringen und die Kerls da abzufassen. Steinbach hörte diesen Ruf und antwortete:
»Alle hierher zu mir! Ich mache auf.«
Er stemmte seine mächtige Gestalt gegen die Hinterwand des Schrankes, welche als Thür hinausführte. Ein Prasseln, ein Krachen – sie war aufgesprengt.
Das war so schnell gegangen, daß Steinbach noch die Schritte der Flüchtlinge auf der Treppe hörte. Er zog den Revolver aus dem Gürtel und eilte ihnen nach – die Treppe hinab, durch den Hausgang in den Hof.
Dort angekommen, erkannte er bei dem Schimmer der Sterne die drei Gestalten, welche die Mauer überspringen wollten. Zwei befanden sich bereits an derselben. Einer oben und der Andere unten. Der Dritte war um mehrere Schritte zurück.
Ein genaues Zielen gab es in dieser Dunkelheit und während des Springens nicht; dennoch richtete Steinbach den Revolver auf die beiden Ersten und gab schnell alle sechs Schüsse auf sie ab. Dennoch kamen sie, ehe er sie erreichen konnte, über die Mauer hinüber.
Steinbach hatte sich durch das Schießen gar nicht aufhalten lassen. In weiten, mächtigen Sätzen schnellte er über den Hof hinüber und kam grad noch früh genug, den Dritten bei den Beinen zu ergreifen, als dieser sich bereits auf der Höhe der Mauer befand.
»Komm herab, Bursche! Wir wollen ein Wörtchen mit Dir sprechen.«
Bei diesen Worten gelang es ihm, den Flüchtling von der Mauer herab zu reißen, obgleich dieser sich an dieselbe festzuklammern versuchte. Jetzt waren auch die Andern zur Stelle.
»Hier habt Ihr ihn,« sagte Steinbach, indem er ihnen den Ergriffenen zuschleuderte. »Aber seid ganz still, damit ich die Schritte der beiden Andern hören kann. Ich muß wissen, wohin sie gehen.«
Er stieg gar nicht auf die vielleicht sieben Fuß hohe Mauer, sondern er trat zurück, nahm einen Anlauf und sprang mit einem einzigen Satze über dieselbe.
Draußen blieb er einen Augenblick lang lauschend stehen. Da, rechts, hörte er eilige, sich entfernende Schritte. Er sprang in möglichster Schnelligkeit in dieser Richtung davon. Das Geräusch seiner eigenen Schritte verhinderte ihn, diejenigen der Flüchtigen zu hören. Er blieb also stehen und horchte. Es war kein Geräusch mehr zu vernehmen. Er eilte weiter und blieb abermals stehen. Er hörte nichts. So auf das Geradewohl hinaus war die Verfolgung natürlich nutzlos; es blieb ihm nichts übrig, als umzukehren. Ein Gefangener war ja gemacht. Mit Hilfe von dessen Aussagen ließ sich jedenfalls mehr erreichen, als durch ein nutzloses Herumsuchen in unbekannter Gegend.
Als er die Mauer wieder erreichte, gab es innerhalb derselben einen bedeutenden Lärm. Die Stimme von Sennorita Emeria war zu hören. Dazu ertönte des Aldermanns kräftiges Fluchen. Steinbach machte nicht den Umweg nach der Hausthür, sondern er sprang wieder über die Mauer, in den Hof hinein.
Alfonzo war Derjenige, welchen man ergriffen hatte. Die beiden Andern waren über die Mauer entkommen. Sie rannten mit einander davon, der Stadt zu. Dabei erreichten sie Grasboden. Da verursachten ihre Schritte kein Geräusch und so kam es, daß sie Steinbach hörten, welcher sich noch auf steinigem Wege befand.
»Schnell links ab! Wir müssen einen Winkel laufen! Die Verfolger werden gradeaus rennen,« sagte Walker, vom Laufen und von der Aufregung ganz athemlos.
Sie brachen also im rechten Winkel von ihrer bisherigen Richtung ab. Als sie vielleicht fünfzig Schritte zurückgelegt hatten, blieb Walker stehen und hielt Bill am Arme an.
»Nieder auf die Erde! Horchen wir!«
Sie warfen sich platt auf den Boden und lauschten. Steinbach ging jetzt zwar auch auf Rasenboden, da aber die Beiden ihre Ohren hart an die Erde hielten, konnten sie seine Schritte hören. Sie vernahmen, daß er stehen blieb. Jedenfalls horchte er nach ihren Schritten in die Nacht hinaus.
»Jetzt hat er uns verloren!« flüsterte Bill.
»Soll uns auch nicht finden.«
»O, es kann ihm auch einfallen, hierher zu kommen.«
»Das wäre nicht nur ein Ein-, sondern auch zugleich ein Zufall. Aber still, sonst hören wir nicht, was er thut.«
Nach einiger Zeit hörten sie seine langsamen Schritte in der Richtung hin, aus welcher sie und auch er gekommen waren.
»Ah, er kehrt zurück. Er giebt die Verfolgung auf,« meinte Bill.
»Es scheint so. Wer mag es sein?«
»Habe ihn nicht gesehen.«
»Ich auch nicht. Der Kerl hat sogar geschossen. Hat er Euch vielleicht getroffen?«
»Nein.«
»Mich auch nicht. Ein Glück, daß er nicht zielen konnte. Hoffentlich ist Alfonzo auch entkommen.«
»Das glaube ich nicht. Er war weit zurück. Er war noch hinter mir.«
»Sapperment! Wenn sie ihn ergriffen hätten!«
»Er wird doch nichts gestehen!«
»Ich glaube, daß er leugnen wird. Aber dennoch möchte ich Gewißheit haben, ob er erwischt worden ist. Kehren wir nach der Mauer zurück!«
»Das ist gefährlich!«
»Pah! Wir werden vorsichtig sein. Nur ganz leise auftreten. Kommt!«
Sie schlichen auf den Fußspitzen zurück und erreichten die Mauer ohne Hinderniß. Hinter derselben im Hofe ging es laut zu. Eine Stimme sagte vernehmlich:
»Das machst Du uns nicht weiß, Schurke.«
»Ich sage die Wahrheit, Sennor!«
»Das ist Alfonzo's Stimme,« flüsterte Walker. »Sie haben ihn also doch ertappt!«
Die vorige Stimme fuhr fort:
»Was Du wahr nennst, ist doch erlogen!«
»Fragt sie selbst. Sie ist meine Geliebte!«
»Gut, ich werde sie kommen lassen, obgleich ich überzeugt bin, daß Deine Anwesenheit mit dieser Liebschaft nichts zu schaffen hat. Sennorita Emeria, wo befindet sich Henrietta, Eure Magd?«
So weit hörte Walker die Verhandlung an. Dann nahm er Bill beim Arme und zog ihn mit sich fort.
»Kommt! Ich weiß genug.«
»Was war das mit der Henrietta, der Magd?«
»Eine famose Ausrede Alfonzo's. Ja, der Kerl ist nicht dumm. Er hat jedenfalls gesagt, daß er zu der Magd wollte, sie sei seine Geliebte.«
»Ist sie das?«
»Na, dieses Frauenzimmer ist die Geliebte von Jedermann. Alfonzo hat also nicht gerade eine Unwahrheit gesagt. Straft ihn das Mädchen nicht Lügen, so wird man ihn entlassen müssen.«
»Ja, er ist ja nicht gesehen worden, droben in der Stube. Mich aber haben sie genau erkannt.«
»Nicht wahr, sie hatten Licht?«
»Leider!«
»Vorher aber haben wir ja keines bemerkt!«
»Sie hatten es hinter dem Bette versteckt.«
»Donnerwetter! Hast Du das genau gesehen?«
»Natürlich. Als ich den Schrank öffnete, war es noch finster; dann aber wurde plötzlich die Decke weggenommen, welche das Licht verhüllte.«
»So ist es gewiß und sicher, daß sie uns erwartet haben!«
»Anders kann es gar nicht sein.«
»Woher aber können sie von unserer Absicht Etwas erfahren haben?«
»Das ist auch mir unbegreiflich. Ich habe nichts gesagt und Alfonzo jedenfalls auch nichts.«
»Außer mir und Euch weiß nur noch Donna Miranda von der Sache. Die nun hat am Allerwenigsten davon gesprochen.«
»Ja. Aber – Jemand muß doch Etwas gesagt haben.«
»Du zweifelst? Hältst Du sie für eine Verrätherin?« fragte Walker fast zornig.
»Für eine Verrätherin nicht; aber sie kann ja vielleicht unvorsichtig gewesen sein.«
»Auch das nehme ich nicht an. Uebrigens ist sie ja daheim. Sie ist nicht aus dem Hause gekommen. Wie also sollten Diejenigen, welche hier auf uns warteten, es von ihr erfahren haben?«
»Es ist ja Einer da, welcher – – Sapperment, davon haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Das habe ich Euch ja noch nicht gesagt. Sagt mir doch einmal, wer sind die beiden Reiter gewesen, welche heute zu uns gekommen sind?«
»Der Fürst der Bleichgesichter und der dicke Sam.«
»Nun, der Erstere, dieser verfluchte Steinbach, war mit droben in der Stube. Und wie ich ihn kenne, so ist er auch Derjenige gewesen, welcher der Erste hinter uns gewesen ist, auf uns geschossen, Alfonzo ergriffen und dann uns noch weiter verfolgt hat.«
»Verdammt! Hast Du richtig gesehen?«
»Ja. Ich habe Alle erkannt, welche sich im Zimmer befanden. Es war ja hell genug dazu.«
»Nun, wer war denn Alles da?«
»Zunächst der Aldermann, sodann – – –«
»Der Aldermann?« fiel Walker ein. »Man hat also sogar die Behörde requirirt! Dann ist es unumstößlich sicher, daß unser Vorhaben verrathen gewesen ist. Das ist eine heillose Geschichte. Weiter!«
»Sodann waren noch da Master Günther, Steinbach, der Apachenhäuptling – – –«
»Ah, deshalb also der Geruch nach Kinnikkinnik!«
»Und zuletzt Wilkins. Er war es, welcher den Vorhang vom Lichte nahm.«
»Himmeldonnerwetter! Sollte mich dieser Günther betrogen haben? Sollte er zu dieser Bande gehören?«
»Das ist sehr leicht möglich.«
»War der dicke Sam dabei?«
»Nein.«
»So ist er noch draußen bei uns. Nun ist mir Alles klar. Steinbach und der Dicke haben in unserer Wohnung von dem Anschlage gehört. Von wem und auf welche Weise, das ist mir freilich noch ein Räthsel. Jedenfalls aber wird sich dies aufklären. Der Dicke ist als Wächter zurückgeblieben; Steinbach aber ist nach der Stadt geritten, um uns abzufassen. Wir Beide sind ihnen entkommen. Nun weiß ich, was geschehen wird. Sie werden sich schleunigst in meine Wohnung begeben, um uns abzufangen.«
»Himmelelement! Was ist da zu thun?«
»Es giebt nur Eins: Wir gehen ihnen aus dem Wege.«
»Das ist auch mir das Liebste und auf alle Fälle das Klügste, was wir thun können.«
»Ja. Ergreifen lassen darf ich mich nicht, sonst klopfen sie mir so viel Motten aus dem Pelze, daß ich daran ersticken muß.«
»Mir würde es ebenso ergehen. Freilich muß es Euch um Eure schöne Wirthschaft leid thun, welche Ihr nun verlassen müßt.«
»Pah! Ich gebe sie ja nicht für immer auf. Ich bin seit heut Mittag verreist. Man hat mich ja nicht gesehen. Wie lange wird es dauern, so sind Wilkins, Sam, Steinbach und sie Alle nicht mehr da. Wer will mich dann anklagen? Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Ich werde Donna Miranda meine Instructionen geben. Die ist zuverläßlich und wird sich so verhalten, daß ich ohne Sorgen später zurückkehren kann.«
»Hm! Ich traue keinem Frauenzimmer!«
»Alles mit Ausnahme.«
»Ich habe keine Ausnahme gefunden. Ihr könnt mir glauben, daß ich an Frauenzimmern wohl mehr trübe Erfahrungen gemacht habe als Ihr.«
»Möglich. Zunächst bin ich aber gezwungen, mich auf Miranda zu verlassen. Uebrigens thut es mir gar nicht etwa leid, daß ich hier für einige Zeit verschwinden muß. Wir müßten ja so auch fort. Wir wollen ja zunächst nach Mohawk-Station, um die Mädchens zu holen, und sodann nach dem Thale des Todes. Leflor und Roulin warten auf uns.«
»So suchen wir sie jetzt gleich auf?«
»O nein. Wir gehen nur in den Garten der Venta, um unsere Pferde zu holen. Dann reiten wir schnell hinaus nach dem Waldhause. Ich muß Miranda meine Instruction ertheilen und das verrätherische Geld zu mir stecken.«
»Daran handelt Ihr sehr klug,« lachte Bill.
»Erstens brauchen wir zu unserem Ritte Geld, und zweitens werde ich es doch nicht liegen lassen, um es dieser Bande oder der Obrigkeit zu ermöglichen, es an sich zu nehmen. – Hier ist der Garten der Venta, und da stehen unsere Pferde. Steigen wir auf!«
»Hm! Ist es nicht besser, wenn ich hier bleibe?«
»Warum? Ich befinde mich in Gefahr, und da ist mir ein zuverlässiger Begleiter nur erwünscht.«
»Dieser Begleiter aber kann Euch unter Umständen mehr schaden, als nützen.«
»Wieso?«
»Einer kommt stets besser und leichter durch als Zwei. Steinbach ist ein kluger und thatkräftiger Mensch. Er wird darauf dringen, schnellstens nach dem Waldhause zu reiten. Wir können diesen Sennores sehr leicht begegnen. Euch allein würden sie nicht bemerken, als wenn ich mit dabei wäre.«
Der frühere Derwisch war ein Bösewicht, keineswegs aber ein sehr muthiger Mann. Er sprach also nicht aus Klugheit so, sondern es war ihm angst, daß er erwischt werden könne. Dennoch ging Walker darauf ein, indem er nachdenklich meinte:
»So unrecht ist das freilich nicht.«
»Und Ihr müßt bedenken, daß Leflor und Roulin bereits so lange auf uns gewartet haben. Ehe wir vom Waldhause zurückkehren, vergehen vielleicht vier Stunden. Da können sie leicht die Geduld verlieren und ohne uns aufbrechen.«
»Sapperment! Das ist ihnen freilich zuzutrauen. Sie können allerdings leicht auf den Gedanken kommen, ihre Angelegenheit ohne mich zu ordnen. Da würden sie das Schaf scheeren, ohne mir ein einziges Flöckchen Wolle zukommen zu lassen. Du hast sehr Recht, Bill. Ich reite allein. Gehe Du hinein und halte sie bei Geduld. Ich werde mich so sehr wie möglich sputen.«
Er zog sein Pferd aus dem Garten, stieg auf und ritt davon. Natürlich hütete er sich dabei, der Venta der gelehrten Emeria zu nahe zu kommen. Er machte einen Umweg in das Feld hinein und bog erst in der Nähe des Waldes in den richtigen Weg ein.
Dort blieb er halten. Er hatte ein Geräusch hinter sich gehört. Nachdem er einige Sekunden lang aufmerksam gelauscht hatte, bemerkte er, daß er sich nicht getäuscht habe. Es war der Hufschlag mehrerer Pferde hinter ihm. Er war also den Verfolgern doch noch zuvorgekommen.
Jetzt setzte er sein Pferd in Trab. Es kannte den Weg noch genauer als sein Herr, und strauchelte nicht ein einziges Mal. Der Boden des Waldweges war, einzelne daliegende Steine abgerechnet, weich, und so gaben die Hufe keinen lauten Schall. Walker nahm an, daß die Verfolger viel langsamer reiten mußten als er; sie waren schon durch ihre Anzahl dazu gezwungen. Er hatte also genug Zeit vor sich zu Dem, was er thun wollte.
In der Nähe des Hauses angelangt, zog er es vor, sein Pferd nicht mitzunehmen. Er führte es seitwärts in den Wald und band es dort an. Dann ging er nach dem Thore. Er führte den Schlüssel zu demselben stets bei sich und schloß leise auf.
Als er eintrat, bemerkte er, daß Jemand da am Boden saß.
»Wer ist da?« fragte er.
»Ich es sein, Massa,« antwortete der Neger. »Wo Ihr auf einmal Schlüssel – – –«
Er hatte Walker für Steinbach gehalten und wollte ihn fragen, wo er auf einmal den Schlüssel her habe. Mitten im Satze aber fiel es ihm ein, daß Derjenige, welcher vor ihm stand, sein Herr sein müsse, grad weil dieser den Schlüssel hatte. Daher brach er so schnell in seiner Rede ab.
»Was ists mit dem Schlüssel?« fragte Walker, in welchem ein Mißtrauen aufstieg.
»Ich nicht wissen. Mir träumen von Schlüssel.«
Die Angst gab ihm diese Ausrede ein. Glücklicher Weise fand sie bei Walker Glauben.
»Altes Traumbild! Was hast Du überhaupt hier zu schlafen!«
»Ich müde sein; hier nicht heiß sondern kühl.«
»Du bist doch nur ein Vieh wie jeder Niggro. Schläft der Kerl hier auf den Steinen! Wie lange liegst Du bereits hier?«
»Nicht sehr ein einzig Viertelstunde.«
»Und hast Du vorher geschlafen?«
»Nein.«
»So hast Du Alles gehört, was im Hause geschehen ist?«
»Ja.«
»Nun, was ist geschehen?«
»Nichts. Alles schlafen.«
»Sind Fremde da?«
»Ja. Zwei.«
»Wie heißen sie?«
»Ich nicht wissen. Ein Massa sein dick und klein, und anderer Massa sein lang und stark.«
»Sind Beide noch da?«
»Ja, Beide noch sehr ganz da.«
»Es ist keiner fort? Nicht der Lange, Starke?«
»Nein. Ich nicht hab sehen.«
»Hm! Wo logiren sie?«
»Droben hinter Söller in zwei kleinen Stube an Hausecke.«
»Wo haben sie gegessen?«
»Bei Missus Miranda.«
»Ah! Hm! Du kannst hier bleiben, sagst aber keinem Menschen, daß Du mich gesehen hast. Verstanden?«
»Ich sehr verstehen.«
»Gehorchst Du nicht, so bekommst Du morgen die Peitsche, daß die Haut platzt.«
»O, Massa, ich nicht haben wollen Peitsche, sondern ich lieber behalten wollen Haut!«
»So schweige also!«
Dieses Gespräch war so leise geführt worden, daß es für Andere gar nicht zu hören war. Jetzt nun schlich Walker sich hinauf in sein Zimmer. Dort öffnete er im Dunkeln sein Pult und steckte alles Geld zu sich, welches sich in demselben befand. Auch Waffen und Munition nahm er zu sich. Eine gewisse Summe behielt er in der Hand. Sie war für Miranda bestimmt, damit diese während seiner Abwesenheit nicht ohne Mittel sei.
Deshalb begab er sich nun leise nach dem Zimmer der Donna, um diese zu wecken.
»Miranda!«
Keine Antwort.
Er wiederholte den Ruf, und als auch das ohne Erfolg war, trat er an das Lager. Es war leer.
Da stieg ein Verdacht in ihm auf. Sie hatte mit den beiden Fremden gegessen. Jetzt befand sie sich nicht in ihrer Stube. Einer der Beiden war in der Stadt. Sollte sie die Verrätherin sein?
Er schlich sich weiter, aus einem Zimmer in das andere. Er fand die Gesuchte nicht. Nun trat er hinaus auf den Söller und ging leise nach der Seite, wo die Fremden einquartirt waren. Er lauschte an der einen Thür. Er hörte nichts. Er horchte an der anderen. Auch da war es ruhig.
Schon wollte er zurücktreten, als er einen tiefen Seufzer hörte und dann die Worte:
»Sennor, laßt Euch doch erbitten!«
Das war Miranda's Stimme.
»Ruhig,« gebot eine männliche Stimme.
»Gebt mich doch frei!«
»Sprecht nicht so laut, sonst gebe ich Euch zu den Fesseln auch noch einen Knebel!«
Walker erschrack. Miranda war gefangen. Von wem? Jedenfalls von dem dicken Sam. Wie war das gekommen? Hatten Steinbach und Sam sie vergewaltigt, um ihr ihre Geheimnisse zu entlocken, und hatte sie dabei gestanden, was für heute Abend in der Venta der gelehrten Emeria beabsichtigt worden sei? Das ließ sich doch wohl nicht gut denken. Wie aber kam es, daß sie sich hier bei dem Dicken im Stübchen befand?
Das war sehr einfach.
Steinbach hatte einen viel tieferen Eindruck auf Miranda gemacht, als sie sich merken ließ. Während Sam mit dem Schwarzen draußen bei den Pferden sprach, hatte sie es gewagt, einige deutlichere Andeutungen zu geben, war aber streng zurechtgewiesen worden. Als sie sich trotzdem zu einer abermaligen Bemerkung hinreißen ließ, stand Steinbach von seinem Stuhle auf und bat um ein Licht, da er müd sei und schlafen wolle. Sie mußte ihm seinen Wunsch erfüllen.
Aber als er sich dann mit Sam zurückgezogen hatte und sie sich allein befand, überkam es sie mit leidenschaftlicher Gewalt, diesen Mann entweder zu besitzen, oder ihn zu verderben. Sie schritt erregt im Zimmer auf und ab. Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie konnte gar nicht glauben, daß sie keinen Eindruck auf ihn gemacht habe. Sie sagte sich, er sei als Feind Walkers gekommen, und so halte er es für seine Pflicht, kein süßes Gefühl in sich aufkommen oder gar bemerken zu lassen. Er war vielleicht verliebt in sie, von ihren Reizen besiegt und hingerissen, aber seine Feindschaft zu Walker erlaubte es ihm nicht, diesen Regungen Folge zu leisten.
In diesen trügerischen Gedanken arbeitete sie sich immer weiter hinein. Sie hielt es zuletzt für unmöglich, daß sie sich täusche. In ihren Wünschen standen Zwei sich einander gegenüber: Walker und Steinbach. Wem gab sie den Vorzug? Ihm, ihm und wieder ihm! Wenn sie sich auf seine Seite stellte, so durfte er auch bekennen, daß er sie liebe.
Dieser Gedanke berauschte sie. Sie glaubte gar nicht, irren zu können; sie war im Gegentheile ihrer Sache so gewiß, daß sie beschloß, unverzüglich zu handeln. Sie prüfte noch einmal ihr üppiges, zum Besitz aufforderndes Spiegelbild, verlöschte dann das Licht und schlich sich nach dem Stübchen, welches sie Steinbach angewiesen hatte.
An der Thür desselben angekommen, horchte sie. Es war ganz still darin. Sollte er schlafen?
Sie öffnete leise, trat ein und machte hinter sich zu. Ruhige, regelmäßige Athemzüge gaben ihr die Gewißheit, daß Steinbach wirklich schlafe.«
Sie irrte doppelt. Nicht Steinbach, sondern Sam befand sich hier, und dieser schlief nicht, sondern er war im Gegentheile sehr munter. Er mußte ja wachen. Um das Thun und Alles, was passirte, hören zu können, hatte er sein Stübchen verlassen und sich hinaus auf den Söller gesetzt. Er hatte das leise Geräusch der Thür gehört. Der Schein der Sterne erleuchtete den Söller genugsam, daß es den Luchsaugen Sams leicht war, die weißgekleidete, halb aber unverhüllte Gestalt Miranda's nahen zu sehen. Er zog sich also schnell und unhörbar in das Stübchen zurück, machte die Thür zu, legte sich auf die Matratze und kicherte in sich hinein:
»Also hatte dieser Steinbach doch Recht: Sie kommt, sie naht. Na, freue Dich, Mirandchen! Es wird sehr schön werden! O, Sam, alter Junge, jetzt kannst Du beweisen, daß Du unwiderstehlich bist und daß Du das Maul grad noch so spitzig machen kannst wie damals bei der Auguste auf dem Schweinestalle in Ruppertsgrün!«
Jetzt wurde die Thür geöffnet, und sie trat ein. Nachdem sie dieselbe wieder zugeklinkt hatte, verging eine Pause. Er athmete so, daß sie glauben mußte, er schlafe.
»Sennor!« flüsterte sie.
Er antwortete nicht.
»Sennor!«
Er schlief scheinbar fest.
Da trat sie zu ihm herbei und berührte ihn mit der Hand.
»Sennor Steinbach!«
»Uuuu – – aaaah!«
Er streckte sich aus.
»Sennor! Wollt Ihr nicht erwachen?«
»Verdammte Ratte!«
Sie hatte ihn wieder berührt, und er schlug mit der Hand nach dieser Stelle.
»Es ist keine Ratte. Ich bin es!«
Jetzt schien er ganz zu erwachen und sich zu besinnen.
»Sennor Steinbach, erschreckt nicht!«
»Sapperment! Wer ist da?«
»Ich bin es!«
»Ich? Nein, ich bin es eben nicht!«
»O doch, ich, Miranda.«
»Himmel! Ihr!«
Sie hatte nur geflüstert, er seine ersten Worte auch. Die letzteren aber sagte er Etwas lauter; darum warnte sie erschrocken:
»Bitte, leise, leise! Sennor Barth liegt neben Euch, und es ist nur eine dünne Holzwand dazwischen. Er darf uns nicht hören.«
»Warum nicht?«
»Was ich Euch zu sagen habe, ist nur für Eure Ohren, nicht aber für andere.«
Er gab sich Mühe, Steinbachs Stimme nachzuahmen. Ueberdies war dies gar nicht so schwierig. Beim Sprechen im Flüstertone klingen auch sonst sehr verschiedene Stimmen einander sehr ähnlich. Etwas Anderes aber war das Uebrige. In nähere Berührung mit seinem Körper durfte er sie nicht kommen lassen, sonst mußte sie unbedingt fühlen, daß sie an eine etwas zu dicke Adresse gerathen sei. Ein Kuß – hm, ein Kuß konnte vielleicht gewagt werden. Sam trug ebenso Vollbart wie Steinbach; aber die dicken Backen, das kleine Näschen – ein Wagniß blieb es immerhin.
So überlegte Sam hin und her. Das dauerte nicht etwa lange Minuten, sondern diese Erwägungen zuckten mit der Schnelligkeit des Blitzes durch sein Gehirn. Er hielt den gegenwärtigen Augenblick für sehr wichtig. Wenn sie ihn auch ferner für Steinbach hielt und er liebenswürdig zu ihr war, so ließen sich ihr vielleicht Geständnisse entlocken, die sie sonst nicht gegeben hätte. Aber ob er, Sam, gescheidt genug sei, es in dieser Beziehung mit einem so vielerfahrenen und in der Liebe raffinirten Frauenzimmer aufzunehmen, darüber befand er sich nicht ganz in Klarheit. Doch antwortete er auf ihre letzten Worte:
»Gut! Master Barth braucht nichts zu hören. Was aber ists, das Ihr mir mittheilen wollt?«
»Das läßt sich nicht so schnell sagen. Es spricht sich hier so schlecht. Wir dürfen nur flüstern; ich stehe, und Ihr liegt; das ist unbequem. Wenn ich mich wenigstens setzen könnte!«
»Ihr habt sehr Recht, setzt Euch da neben mir auf die Matratze. So!« sagte er. »Jetzt können wir uns gemüthlich unterhalten.«
»Darf ich vielleicht erfahren, was für einen Eindruck ich auf Euch gemacht habe?« begann sie leise.
»Da müßte ich sehr aufrichtig sein.«
»Das wünsche ich ja eben.«
»Nun gut. Ihr kommt mir so zutraulich, so sanft, so zart, so weich, so mollig, so liebenswürdig – – –«
»O bitte!« fiel sie sehr geschmeichelt ein. Dabei rückte sie ihm ein Wenig näher. Sie glaubte, daß er jetzt beginnen werde, liebenswürdig zu sein.
»Ah! Laßt mich nur aussprechen, Donna Miranda! Also Ihr kommt mir so weich, so mollig, so anschmiegend vor wie – wie – na, grad wie eine Cyperkatze.«
»Himmel!« fiel sie ein. »Cyperkatze!«
Dabei rückte sie schnell wieder von ihm weg.
*