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57

»Halt, Kerl! Du fällst ja hinab!« schrie Balzer.

»Herrgott! Hilfe, Hilfe!«

Da das Achterdeck hoch war, so hatte es nur eine sehr niedrige Brustwehr, nur eine Art Geländer, mehr bestimmt, einem Gepäckstück als einem Menschen Schutz vor dem Falle zu bieten. Der Bootsmann war zu weit zurückgetreten und stürzte rücklings hinab in die dunklen Fluthen des Stromes, in denen er auch sogleich verschwand.

»Mann über Bord!« ertönte der laute Ruf.

Man ließ sofort das Segel fliegen, um das Fahrzeug beizudrehen, und machte die kleine Barke los. Lichter wurden angebrannt; laute Rufe erschollen – vergebens!

»Der arme Forner!« sagte Balzer.

»Er kann ja schwimmen!« brummte der Steuermann.

»Er ist dennoch todt, sonst hätte er ja auf unsere Zurufe geantwortet. Es kam zu schnell. Der Schlag hat ihn getroffen!«

Drüben aber stieg der Gesuchte am Ufer aus dem Wasser, schüttelte sich und brummte lachend:

»Gelungen! Sucht nur immerhin. Wenn es mir später paßt, komme ich ganz von selber. Jetzt nun will ich mir das Wasser aus dem Habite ringen, und dann geht es eilig nach Gila City. Vielleicht komme ich dort an, ehe der Seelenverkäufer vorüber ist.«

Leider gab es keinen gebahnten Weg. Er mußte sich durch wildes Buschwerk arbeiten, bei dunkler Nacht eine beschwerliche Sache und hatte den vielfach sich krümmenden Fluß als einzigen Wegweiser. So kam es, daß er beim Anbruche des Morgens nur wenig vorwärts gekommen war. Nun aber konnte er ausschreiten.

Als er gegen Mittag Gila-City erreichte, sah er soeben den Seelenverkäufer in einer Krümmung des Flusses jenseits der Stadt verschwinden. Das Fahrzeug war ihm zuvorgekommen.

»Verdammt! Ich komme zu spät! Was ist da nun zu thun? Alle Teufel! Was für ein nettes, schmuckes Ding liegt denn da am Ufer?«

Das, was er meinte, war eine elegant gebaute Dampfyacht, die zum gelegentlichen Segeln auch mit einem Maste und Bugspriet versehen war – hier am Rio Gila gewiß eine Seltenheit. Wunderbar aber war die Auszeichnung des kleinen Dampfers. Nämlich vorn über dem scharfen Bug befand sich ein riesengroßes Bild. Es stellte einen langen, unendlich langen Mann vor, mit einem außerordentlich gutmüthigen, auch lang gezogenen Gesichte, in welchem sich eine kleine, nach oben gerichtete Stumpfnase recht eigenthümlich ausnahm. Der Kopf dieses Gemäldes trug einen riesigen, breitrandigen Filzhut. In der einen Hand hielt der Mann eine Doppelbüchse, in der andern einen großen Jagdspeer. Im Gürtel stecken zwei Tomahawks, zwei Messer, zwei Pistolen und zwei Revolver. Auf dem Rücken trug er einen indianischen Schild und auf der Nase eine riesige Klemmbrille. Gekleidet war die Gestalt genau wie ein Indianer, in Moccassins, Leggins und ledernes Jagdhemde nebst dito Jagdrock. Unter diesem sonderbaren Bilde war in großen, goldenen Lettern zu lesen:

»Lord Eagle-nest,
the Wood-loafer.«

das heißt zu deutsch: Lord Eagle-nest, der Waldläufer.

Wäre die Yacht erst jetzt angekommen, so hätten sicher sämmtliche Bewohner des Ortes am Ufer gestanden, um sie zu betrachten und ihre Bemerkungen darüber zu machen. Da sich aber kein Mensch in der Nähe befand, so war anzunehmen, daß sie bereits seit geraumer Zeit hier vor Anker liege.

»Wunderbar!« brummte der Bootsmann. »Ein so selten nettes Schiff und ein so unbegreifliches Avis. Der Mann ist ganz sicher ein Engländer und hat den Spleen nicht nur im Kopfe, sondern auch in allen Gliedern. Ob der den Gila befahren will? Hm!«

Er schlenderte langsam weiter, am Flusse hin, wo die Gebäude standen, einige von Stein, die meisten aber nach Blockhüttenart gebaut. Gila-City war noch klein, gab aber, da es am Einflusse des Gila in den Colorado liegt, die Bürgschaft eines schnellen Emporkommens.

Um irgend einen Schritt in Angelegenheit des Seelenverkäufers zu thun, wollte der Bootsmann eine kleine Herzstärkung zu sich nehmen. Er trat also in eine ihm bereits bekannte Schänke, in welcher er zu verkehren pflegte, wenn er nach Gila-City kam. Kaum aber hatte er die Thür geöffnet, so blieb er ganz erstaunt unter derselben stehen. Da saßen zwei Männer am Tische, ein junger und ein alter, und dieser Letztere war ganz genau das Original des Gemäldes, welches er am Bug des kleinen Dampfers gesehen hatte. Die kleine Nase, der große Hut, die Klemmbrille, Alles war da außer der fürchterlichen Armirung, denn der Mann trug jetzt nur ein Messer im Gürtel.

Der Jüngere war ähnlich gekleidet, von seinem Gliederbau und trotz seiner Prairiekleidung von vornehmem Aussehen. Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß der Aeltere der Beiden der englische Lord Eagle-nest war. Der Jüngere war sein Verwandter, Hermann von Adlerhorst, welcher damals, als er sich mit dem Maler Paul Normann in Constantinopel befand, den Namen Wallert geführt hatte.

Die Dampfyacht war ganz dieselbe, welche der Lord während seiner Reise nach Constantinopel, Tunis und Egypten benutzt hatte. Nur war an Stelle des Bildes ein anderes gekommen, und zwar in Folge einer neuen, eigenthümlichen Marotte des Lords, nachdem er seinen Lieblingswunsch, eine Entführung aus dem Serail, aufgegeben hatte.

Beide Männer saßen bei einem Glase Brandy, mit Zucker gesüßt und mit Wasser verdünnt.

Der Bootsmann setzte sich an einen andern Tisch und ließ sich eben so einen Brandy geben, welchen der Wirth einschänkte, der sich augenscheinlich in einem Gespräche mit den beiden ersteren Gästen befunden hatte. Jedenfalls war ihm kurz vor dem Eintreten des Bootsmannes von dem Lord die Frage vorgelegt worden, oder Englisch verstehe, denn als er Forner das Glas hingesetzt hatte, wendete er sich mit der Antwort an den Engländer:

»Freilich spreche und lese ich englisch. Das muß ich als Wirth doch wohl verstehen.«

»Und kennt Ihr den Rio Gila so, daß man von Euch Auskunft erhalten kann?«

»Ich habe mich bereits seit einer ganzen Reihe von Jahren am Flusse aufgehalten. Welche Auskunft meint Ihr denn?«

»Seht Euch einmal diesen Titel an. Kennt Ihr ihn?«

Er zog ein Buch aus der Tasche, dessen Ueberschrift, ins Deutsche übersetzt, folgendermaßen lautete: Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Erster Band. Der Wirth warf einen Blick darauf und sagte:

»Natürlich kenne ich es. Dieses Buch wird außerordentlich viel gelesen. Die Geschichte spielt in der Apacheria und am Rio Gila. Sie ist sehr interessant.«

»Ja, ungemein interessant. Ich habe sofort, als ich sie gelesen hatte, den Entschluß gefaßt, auch Waldläufer zu werden, und bin aus England herüber gekommen, um ähnliche Abenteuer zu erleben.«

Der Wirth musterte den Lord mit einem Blicke, in dem sich freilich keine große Bewunderung aussprach.

»Seid Ihr denn Jäger?« fragte er.

»Und ob!« lautete die stolze Antwort.

»Verzeiht! Was habt Ihr denn geschossen?«

»Hasen und Rebhühner bisher.«

»O wehe!«

»Was o wehe? Wenn ich einen Hasen schieße, so werde ich wohl auch einen Bären oder einen Büffel treffen. Diese Thiers sind größer als ein Hase und laufen nicht so schnell. Es ist also gar keine Kunst, sie zu erlegen.«

»Täuscht Euch nicht! Ein Hase wehrt sich nicht, ein Bär aber stellt seinen Mann.«

»Nun, ich bin auch ein Mann. Ich will den Gila hinaufdampfen. Wie weit ist er denn fahrbar?«

»Das weiß ich nicht genau. Wendet Euch mit Eurer Frage lieber an diesen Sennor hier. Er heißt Forner und ist ein viel befahrener Bootsmann, der Euch bessere Auskunft ertheilen kann, als ich.«

Der Lord betrachtete sich Forner genau, nickte ihm zufrieden gestellt zu und sagte zu ihm:

»Ein Bootsmann auf dem Gila? Habt Ihr jetzt Stellung und Arbeit, Master?«

»Augenblicklich nicht, Sennor.«

»Kennt Ihr den Fluß?«

»So gut wie ein jeder Anderer.«

»Habt Ihr nicht Lust, in meine Dienste zu treten? Ich bezahle Euch gut.«

»Ich bin nicht abgeneigt, falls Ihr nicht mehr verlangt, als ich zu leisten vermag.«

»Die einzige Leistung, welche ich verlange, besteht darin, daß Ihr unsern Führer macht, so weit es Eure Kenntniß des Flusses und der Umgegend erlaubt.«

»Da schlage ich ein, Sennor, und ich bin überzeugt, daß Ihr zufrieden sein werdet.«

»Sehr schön! Einen Lohn mache ich nicht aus. Ich werde Euch nach Euren Leistungen bezahlen. Hier aber will ich Euch zehn Peso's Draufgeld bezahlen. Da, nehmt!«

Zehn Peso's sind gleich zehn Dollars. Ein so reichliches Draufgeld hatte Forner nicht erwartet. Er bedankte sich auf das Eifrigste und versicherte, daß er sich alle Mühe geben werde, seinen neuen Patron zufrieden zu stellen. Der Lord meinte:

»Das hoffe ich. Du bist jetzt in meinen Dienst getreten und ich werde Dich also Du nennen. Das Master oder Sennor ist zu unbequem. Denkst Du, daß wir Wild finden werden?«

»Ganz gewiß.«

»Und Indianer?«

»Noch gewisser, wenn Ihr es wünscht.«

»Natürlich wünsche ich es. Ich will mir einige Scalphäute mit nach Hause nehmen.«

»Da wollen wir nur hoffen, daß wir dabei nicht unsere eigenen verlieren.«

»Pah! Meine Haut sitzt fest. Du kannst doch sofort antreten und mit auf die Yacht kommen?«

»Ja. Ich habe zwar vorher ein kleines Geschäft, aber das wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich will nur zum Alcalden, um eine Anzeige zu machen.«

»Eine Anzeige beim Alcalden? Sapperment! Da wird man Dich vielleicht festhalten, des Zeugnisses wegen.«

»Das ist freilich möglich.«

»So unterlaß die Sache lieber. Ist sie denn so nothwendig. Kannst Du es nicht aufschieben?«

»Eigentlich nicht. Es handelt sich nämlich um eine Entführung, die ich hintertreiben will.«

Der Lord fühlte sich durch dieses Wort sofort electrisirt. Er rief schnell:

»Eine Entführung! Sapperment! Ein Mädchen wohl?«

»Zwei Mädchen und zwei Männer.«

»Verteufelt, verteufelt! Eine vierfache Entführung! Sind die Mädels hübsch?«

»Sehr!«

»So müssen wir Ihnen helfen!«

»Ihr? Wie wollt Ihr das anfangen?«

»Das kann ich natürlich nicht eher wissen, als bis ich erfahren habe, wie es bei der Entführung zugegangen ist, und wohin die vier Personen gebracht werden sollen.«

»Sie sollen in die Gegend von Aubrey gebracht werden.«

»Liegt dieser Ort nicht am Ufer des Colorado?«

»Freilich.«

»Da können wir ja mit unserer Yacht hin!«

»Das wäre ein Glück. Wir werden diese Kerls bald einholen. Sie sind auf einem Segelboote vor kaum einer halben Stunde hier vorüber.«

»Schön! Sehr schön! Welchem Hallunken gehört denn dieses Seegelboot?«

»Der Besitzer ist kein Hallunke, sondern ein Ehrenmann, Sennor. Man hat ihn betrogen, getäuscht. Er ist der Sohn des Stationers in Mohawk-Station.«

»Ah, Sennor Balzer etwa?« fragte der Wirth.

»Ja.«

»Den kenne ich sehr gut und sein Boot auch. Ich sah es vorhin vorübersegeln und wunderte mich, daß er nicht hier anlegte, was er doch gewöhnlich thut. Der also ist mit in eine Entführung verwickelt? Wie ist denn das zugegangen?«

Der Bootsmann erzählte, was er erfahren und erlauscht hatte. Als er geendet hatte, sagte der Wirth:

»Da wird Euch eine Anzeige wenig oder wohl auch gar nichts fruchten, Sennor Forner.«

»Warum nicht?«

»Meint Ihr etwa, daß man sie verfolgen werde?«

»Ich hoffe es.«

»Nein. Der Alcalde und überhaupt eine jede obrigkeitliche Person wird sich hüten, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Auch Euch, Sennor Lord, rathe ich, Euch nicht in die Sache zu mischen. Es könnte fehl schlagen und sogar für Euch ein schlechtes Ende nehmen.«

»Worin sollte das schlechte Ende bestehen?«

»In einigen Kugeln, welche man Euch auf den Pelz brennt.«

»Meint Ihr, daß ich meinen Pelz hinhalte? Soll ich diese Leute ohne Hilfe lassen, da ich ihnen doch so leicht Hilfe bringen kann!«

»Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ihr könnt ihnen nicht helfen.«

»Das Gesetz ist für mich. Man hat sie auf ungesetzliche Weise ihrer Freiheit beraubt.«

»Das Gesetz wird gegen Euch sein. Bedenkt, daß der Colorado die Grenze bildet zwischen hier und drüben, zwischen Arizona und Californien. Die That ist in Arizona geschehen; legt das Boot an das andere Ufer, welches kalifornisch ist, so hat kein Bewohner und keine Obrigkeit aus Arizona das Recht, sich an den Insassen desselben zu vergreifen.«

»Nun, ich habe mich weder um Arizona noch um Californien zu bekümmern. Ich thue, was mir gefällt. Und da es mir grad eben gefällt, mich der Bedrängten anzunehmen, so will ich Den sehen, der es mir verbieten will. Was meinst Du, Hermann?«

»Daß es zwar Pflicht ist, sich der Unglücklichen zu erbarmen, daß aber ein Jeder zunächst auf sich zu sehen hat.«

»Das habe ich gethan. Ich pflege täglich vierundzwanzig Stunden lang auf mich zu sehen. Jetzt habe ich nun einige Stunden Zeit für Andere übrig.«

»Die Leute gehen uns nichts an!«

»Nicht? Sie sind Menschen und unsere Brüder.«

»ES ist gefährlich!«

»Hast Du Angst?«

»Angst nicht, aber keine Lust. Man weiß es ja gar nicht, ob die Leute es auch werth sind, daß man sich für sie in Gefahr begiebt.«

»Wir werden es erfahren, ob sie es werth sind.«

»Sie sind es werth,« sagte der Bootsmann.

»Woher weißt Du das?« fragte Hermann.

»Ich habe es ihnen angesehen. Der alte Herr ist sehr ehrwürdig, und wenn Ihr die beiden jungen Sennorita's gesehen hättet, so – ah, daß ich das vergessen konnte! Ich habe ja das Bild der Einen.«

»Du? Wie kommst Du dazu?«

Diese Frage brachte ihn so ziemlich in Verlegenheit. Er blickte eine Weile zaudernd vor sich nieder, antwortete aber dann in aller Aufrichtigkeit:

»Ich habe es wegstiebizt.«

»Ah, so bist Du ein Spitzbube?«

»Nein, das bin ich dennoch nicht. Als sie die Sennorita eingesperrt hatten, fand ich ihre Photographie am Boden liegend, und weil ich dachte, daß das Bild mir nützen könne, habe ich es an mich genommen.«

»Hm, der Gedanke war nicht so gar übel. Zeige es doch einmal her!«

»Hier ist es.«

Er zog den Tabaksbeutel hervor, öffnete denselben und gab dem Lord das Bild. Kaum hatte er einen Blick auf dasselbe geworfen, so rief er aus:

»Himmel! Wer ist das! Hermann!«

»Was?« fragte der Genannte.

»Das ist Tschita!«

»Unmöglich!«

»Ja, Tschita, die Sclavin aus Constantinopel.«

»Meine Schwester? Zeig her, Vetter!«

Er nahm ihm das Bild aus der Hand und betrachtete es.

»Ich lasse mich verkehrt aufhängen, wenn sie es nicht ist,« versicherte der Lord.

Auch Hermann von Adlerhorst war betroffen.

»Man sollte allerdings glauben, daß sie es sei,« sagte er.

»Natürlich ist sie es! Wer soll es denn sein?«

»Wüßte ich nicht, daß wir die Schwester drüben in Freund Normanns Obhut zurückgelassen haben, so würde ich geneigt sein, dieses Bild für ihre Photographie zu halten. Aber, wenn ich es genauer betrachte, so sehe ich doch, daß wir uns täuschen.«

»Täuschen? Unsinn!«

»Und doch! Es ist eine Andere. Die Ähnlichkeit ist ungeheuer groß.«

»Natürlich! Grad so, wie ich mir selbst auch ähnlich bin. Wie kommt ihr Bild nach Amerika!«

»Blicke hier auf die Rückseite! Es ist in San Francisco angefertigt.«

»Da kann sie freilich nicht gewesen sein.«

»Nein. Sie ist es nicht; es ist eine Andere, und diese Andere muß ihr so ähnlich sehen wie eine Zwillingsschwester der andern. Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.«

»Zwillingsschwester! Herrgott! Weißt Du, was für eine Gedanke mir da kommt?«

»Nun.«

»Es könnte wohl eine Schwester sein.«

Hermann blickte ihm beinahe erschrocken in das Gesicht.

»Welch eine Vermuthung!« sagte er.

»Nun, ist sie etwa wahnsinnig, diese Vermuthung?«

»Nein, gar nicht. Eine solche Ähnlichkeit kann zwischen sich fremden Personen fast gar nicht möglich sein.«

»Ganz richtig.«

»Aber ich habe ja keine weitere Schwester.«

»Nicht? Hm! Dann ist sie allerdings nicht eine Schwester von Tschita. Aber, hm!«

Er sah Hermann nachdenklich ins Gesicht und fragte dann:

»Wie alt war Tschita, als damals das Unglück geschah?«

»Wenig über ein Jahr.«

»So! Nun, da wäre es doch möglich, daß –«

»Weiter!«

»Na, es läßt sich schlecht über so Etwas sprechen.«

»So rede doch nur!«

»Ich meine, es könnte damals doch bereits ein jüngeres Schwesterchen vorhanden gewesen sein.«

»Davon müßte ich doch wissen!«

»O nein! Das Kindchen war wohl noch nicht geboren.«

»Bist Du unsinnig, Vetter?«

»Nein.«

»Noch ungeboren! Welcher Gedanke!«

»Ich meine, daß er gar nicht so dumm ist. Mag es sein, wie es will, ich interessire mich ganz ungeheuer für dieses Mädchen.«

»Ich auch,« meinte Hermann, die Augen forschend auf das Bild heftend.

Es war ihm beim Anblicke dieses Gesichtes so ganz und gar eigenthümlich zu Muthe.

»Nun, wenn Du Dich ebenso für sie interessirst wie ich, so wirst Du wohl nichts mehr dagegen haben, daß ich sie retten will.«

»Es ist mir allerdings so, als ob ich Dir jetzt zustimmen müßte.«

»Schon! Also werden wir – – –«

Er wurde unterbrochen. Die Thür ging auf und es trat ein Mann herein, dessen Aeußeres so in die Augen fallend war, daß dem Lord das Wort im Munde stecken blieb. Der neu Angekommene war außerordentlich dick, fast hätte man sagen mögen, kugelrund. Seine nicht hohe Gestalt steckte in einem echten, richtigen Trapperanzuge, und der Hutrand, unter welchem seine kleinen Aeuglein lustig und listig hervorblinzelten, war so breit wie ein Regenschirm.

.

»Guten Morgen, Sennores!« grüßte er.

Die andern dankten, nur der Lord nicht. Er hatte den Mund offen und blickte den Dicken mit einem Befremden an, welches diesem auffallen mußte. Der Letztere trat dann auch auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

»Bruderherz, mach das Maul zu, so bekomme ich Angst, weil ich denke, Du willst mich fressen.«

Das brachte den Lord zu sich. Er antwortete:

»Na, nur keine Brüderschaft, Mann!«

»Mir auch recht,« lachte dieser, indem er sich an einen andern Tisch setzte. »Darf ich wissen, warum Ihr mich so anguckt?«

»Weil ich noch keinen so dicken Kerl gesehen habe, wie Ihr seid.«

»Und ich keinen so dürren wie Euch; dennoch aber bleibt mir das Maul nicht aufstehen.«

»Pah! Die Dickheit ist es nicht allein. Aber Ihr scheint Jäger zu sein?«

»Ja, Sennor.«

»Wohl gar Prairiejäger?«

»Das will ich meinen.«

»Also ein Waldläufer?«

»Natürlich.«

»Himmeldonnerwetter! Ich will auch einer werden!«

»Seid Ihr es nicht?«

»Leider nein.«

»Hm, konnte es mir denken. Ihr habt Euch zwar in die richtige Kleidung gesteckt, aber sie ist funkelnagelneu und hängt Euch von den Achseln, wie dem bekannten Esel die Löwenhaut.«

»Alle Wetter! Macht keine so dummen Vergleiche! Ich kann das nicht leiden.«

»Aber ich kann es leiden, und was ich gern leiden mag, das mache ich. Wirth gebt mir einen Schnaps.«

Der Wirth folgte dieser Aufforderung. Der Dicke griff in den Gürtel und legte ihm die Bezahlung hin.

Der Lord erblickte den Gegenstand, sprang auf, trat hin, ergriff denselben, betrachtete ihn und sagte:

»Das ist ja ein Goldkorn, ein Nugget!«

»Allerdings.«

»Von wem habt Ihr es?«

»Von mir selbst.«

»Also gefunden.«

»Gestohlen nicht!«

»So seid Ihr nicht nur Jäger, sondern auch Goldsucher?«

»Habt es errathen.«

»Sapperment! Kennt Ihr den Gila?«

»So ziemlich.«

»Giebt es in seiner Nähe auch Gold?«

»Ja, besonders für Denjenigen, der es findet.«

»Ich dachte es mir. Ich habe da ein Buch, in welchem erzählt wird, daß in der Nähe des Gila Gold gefunden wird. Da ist ein Kerl erwähnt, der hat im Wasser einen Klumpen gesehen, welcher wohl so groß wie ein Kürbis war.«

»Wollt Ihr etwa auch Gold suchen?«

»Nein; ich habe es nicht nöthig. Aber jagen will ich, durch die Urwälder laufen, Bären und Büffel schießen. Meint Ihr nicht?«

»O, was mich betrifft, so habe ich ganz und gar nichts dagegen, Sennor.«

»Es würde Euch auch wohl nichts nützen, Etwas dagegen zu haben. Habt Ihr Zeit?«

»Ja.«

»Und seid Ihr ein guter Jäger?«

»Ein leidlicher.«

»Schön! Ihr gefallt mir. Wollt Ihr mit mir jagen?«

Der Dicke blickte den Lord von der Seite an und antwortete lachend:

»Danke!«

»Warum?«

»Weil ich noch keine Lust habe, dieses Jammerthal mit dem Himmel zu vertauschen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr seht mir ganz so aus, wie Einer, der allemal den Nachbar trifft, wenn er auf den Hasen zielt.«

»Mann, nehmt Euch in Acht! Ich könnte Euch sonst sofort beweisen, daß ich zu treffen verstehe.«

Er machte dabei die Bewegung einer Ohrfeige.

»Na, so schlimm war es nicht gemeint,« lachte der Dicke. »Ich bin freilich breit und rund genug, um getroffen zu werden. Was seid Ihr denn für ein Landsmann, he? Ihr kommt mir halb wie ein Engländer und halb wie ein Russe vor.«

»In wiefern halb und halb?«

»Nun, Eure Gestalt ist diejenige eines Engländers; Eure Nase aber ist echt russisch. Solche Vumsnäschen trifft man eigentlich nur in Rußland vor.«

»Sapperment, laßt meine Nase in Ruhe! Ich bin ein Engländer und nenne mich Lord Eagle-nest.«

»Schön, Euer Lordschaft! Ich bin ein Deutscher und nenne mich Sam Barth.«

»Ein Deutscher? Welcher Zufall! Woher seid Ihr?«

»Aus Herlasgrün in Sachsen.«

»Sam Barth!« rief der Wirth. »Ist das wahr, Sennor?«

»Soll ich Euch etwa den Geburts- und Impfschein zeigen?«

»So wärt Ihr der berühmte, dicke Jäger, welcher sich vor fünfzig Feinden nicht fürchtet?«

»So? Bin ich wirklich berühmt?«

»Freilich, o freilich. Ich habe sehr viel von Euch gehört, Sennor. Bei Unsereinen verkehren ja allerlei Leute, auch Jäger, und da hört man Mancherlei. Ihr gehört zu den Berühmtesten. Voran steht freilich der Fürst der Bleichgesichter, nach welchem dann gleich die ›starke Hand‹, der Apachenhäuptling kommt. Ich freue mich außerordentlich, Euch kennen zu lernen.«

»So, freut Ihr Euch wirklich? Nun, den Apachenhäuptling und den Fürsten der Bleichgesichter kennt Ihr vielleicht schon?«

»Nein. Ich würde einige Dutzend Flaschen Brandy gratis geben, wenn ich einen von diesen Beiden einmal sehen könnte.«

»So macht die Stöpsel locker. Die beiden Jäger kommen.«

»Macht keinen Scherz.«

»Sie kommen. Ich belüge Euch nicht. Ich bin ihnen nur voraus. Wir treffen uns hier bei Euch.«

»Sennor, wenn das wirklich wahr ist, so gehört dieser Tag zu den schönsten meines Lebens, und ich werde Wort halten von wegen des Brandy.«

»Das laßt nur sein! Leute, wie wir sind, lassen sich keinen Schnaps schenken. Wir haben Geld und Gold genug, um ihn bezahlen zu können.«

Der Lord hatte dieser Unterredung mit der größten Spannung zugehört. Er betheiligte sich jetzt mit an derselben, indem er die Bemerkung machte:

»Ich will Euch sagen, daß auch ich vor Freude Etwas zum Besten geben möchte. Wir kommen von San Francisco. Dort haben wir auch von dem dicken Sam gehört, von der ›starken Hand‹ und von dem Fürsten der Bleichgesichter. Wir hatten keine Ahnung, daß der berühmte Sam Barth ein Deutscher ist.«

»O, ein Knopfmachergesell sogar.«

»Und die beiden Andern kommen wirklich?«

»Ja, wie ich sagte.«

»Aber wohl spät?«

»Nein; sie können an jedem Augenblick hier sein.«

»Vortrefflich! Ich muß sie sehen! Wir müssen zwar bald fort von hier, aber so viel Zeit haben wir noch, die Bekanntschaft solcher Leute zu machen. Wo kommt Ihr her, Master Barth?«

»Zunächst von Mohawk-Station.«

»Sapperment! Per Schiff?«

»Per Bahn!«

»Und wohin wollt Ihr?«

»Nach der Gegend von Aubrey.«

»Nochmals Sapperment! Das paßt gut! Wollt Ihr mit mir?«

»Danke!«

»Warum nicht?«

»Erstens habe ich keine Lust, mit einem Anhänger herum zu laufen, und zweitens habe ich auch gar keine Zeit dazu. Zwar sagte ich vorhin, ich hätte Zeit, doch dachte ich, Ihr meintet mit Eurer Frage nur die jetzige Viertelstunde.«

»Was so Nothwendiges habt Ihr denn vor?«

»Eine Jagd.«

»In Aubrey.«

»Nicht in sondern bis Aubrey.«

»Doch nicht auf Bären oder Büffel!«

»Nein, auf Menschen.«

»Was Ihr sagt! Aber da könnt Ihr ja mit mir fort!«

»Danke! Wir müssen uns sputen.«

»Ich auch. Ich habe gar keine Zeit zu verlieren. Ich lasse heitzen, und in einer Stunde können wir fort.«

»Heitzen? Doch nicht eine Locomotive?«

»Nein, meinen Dampfkessel. Habt Ihr meine Dampfyacht nicht am Ufer liegen sehen?«

»Nein. Ich bin noch gar nicht am hiesigen Ufer gewesen. Ich komme von landeinwärts. Aber, wie ich höre, hättet Ihr wirklich eine Dampfyacht?«

»Ja, und was für eine.«

»Donnerwetter! Ihr wollt auch nach Aubrey und uns mitnehmen?«

»Mit geküßten Händen.«

»Dann ist es etwas Anderes. Euch sendet uns Gott. Wir fahren mit, notabene, wenn Ihr Euch nicht an dem Zweck unserer Reise stoßt.«

»Welcher ist das?«

»Eben die erwähnte Jagd.«

»Das ist mir ja nur lieb. Ich jage mit.«

»Hört erst, was für eine Jagd es ist: eine Menschenjagd.«

»Verteufelt! Auf Indianer?«

»Nein, sondern auf ein Segelboot, welches vor ganz kurzer Zeit hier vorbeigekommen sein muß.«

Der Lord blickte erst den Dicken und dann auch die Andern an. Dann fragte er erwartungsvoll:

»Ein Segelboot aus Mohawk-Station etwa?«

»Ja.«

»Es gehört dem Sohn des Stationers?«

»Ja, dasselbe.«

»Es befinden sich zwei gefangene Mädchen darauf?«

Da fuhr Sam von seinem Sitze empor und rief:

»Herr, was wißt Ihr von diesen Mädchen?«

»Daß sie eben gefangen sind.«

»Habt Ihr etwa dabei geholfen?«

»Nein.«

»Ein Glück für Euch! Ich hätte Euch bei der Parabel genommen, daß Ihr vor lauter Angst Syrup und Buttermilch hättet schwitzen müssen!«

»Oho! Aber kennt Ihr diese Mädchens?«

»Ja.«

»Habt Ihr diese hier gesehen?«

Er zeigte ihm die Photographie hin, welche er bis jetzt dem Bootsmanne noch nicht wiedergegeben hatte. Sam warf einen Blick darauf und rief überrascht:

»Alle Wetter! Das ist sie; das ist ja Magda Hauser!«

»Also Ihr kennt sie? Wirklich?«

»Und ob! Sie ist entführt worden. Wir wollen ihr nach.«

»Ich ja auch!«

»Wie kommt Ihr zu diesem Bilde?«

»Ich habe es von diesem Bootsmanne. Er hat sich auf dem Segelboote befunden, ist aber davongegangen, als er bemerkte, daß es sich um ein gefährliches Unternehmen handelte.«

»Wie? Ihr wart Bootsmann auf demselben Fahrzeuge? Ist es so, dann kennt Ihr die zwei Sennores und die zwei Sennorita's?«

»Natürlich muß ich sie kennen,« antwortete Forner.

»Welch ein Zufall! Ein größeres Glück kann es gar nicht geben. Ihr müßt mir sofort erzählen, was droben in Mohawk-Station geschehen ist.«

Der Bootsmann kam der an ihn ergangenen Aufforderung nach und erzählte sein Erlebniß zum zweiten Male. Natürlich hörte Sam Barth mit der allergrößten Spannung zu. – – –

Nämlich als Steinbach mit seinen Begleitern von Prescott aus Gila Bend erreichten, erfuhren sie zu ihrem Leidwesen, daß heut kein Zug mehr abgelassen werde. Sie mußten warten bis morgen.

Steinbach erkundigte sich und erfuhr, daß Walker mit seinen Gefährten den letzt abgegangenen Zug benutzt habe. Zwar hatte ihn Niemand gekannt, aber die Beschreibung paßte ganz genau auf ihn und seine Spießgesellen. Darum ließ Steinbach die Depesche abgehen, freilich ohne zu ahnen, daß dieselbe am Orte ihrer Bestimmung unterschlagen werden sollte.

Glücklicher Weise langte am Spätabende ein Bahnzug aus Tucson an, welcher noch nach Mohawk-Station abgehen sollte. Es wurden noch einige Güterwagen angehängt, in welchem Steinbachs Gesellschaft nebst den Pferden Platz hatten. Vor Mitternacht langten sie in Mohawk-Station an.

Der Stationer war bereits schlafen gegangen. An seiner Stelle expedirte der Telegraphist. Zu diesem begab sich Steinbach sofort und frug:

»Sennor, sind Sie Stationsvorstand?«

»Nein, sondern Telegraphist.«

»Ah, da können Sie mir sagen, ob heut eine Depesche an einen Sennor Wilkins angekommen ist?«

»Zwei sogar.«

»Zwei? Sie irren.«

»Ich weiß es genau. Ich habe beide empfangen und dann expedirt. Sie waren von einem und demselben Absender.«

»Und doch müssen Sie sich irren. Ich habe nur eine einzige abgesandt.«

»Sie? Heißen Sie vielleicht Steinbach?«

»Ja.«

»Von wo telegraphirten Sie?«

»Von Gila Bend.«

»Der Inhalt?«

»Eine Warnung vor einem gewissen Walker.«

»Alles stimmt. Ich sehe daraus, daß es nicht eine Verletzung des Amtsgeheimnisses ist, wenn ich auf Ihre Erkundigung eingehe. Es kam nämlich bereits vorher eine Depesche von Demselben an Denselben.«

»So handelt es sich um ein Verbrechen.«

»Doch nicht!«

»Ganz bestimmt. Ich sage Ihnen, daß wir eine Gesellschaft verfolgen, welche bereits eine ganze Reihe von Verbrechen begangen haben und jetzt wieder im Begriffe stehen, eine Schandbarkeit auszuführen.«

»Sollte es möglich sein! Können Sie mir vielleicht diese Personen beschreiben oder wenigstens die Zahl derselben angeben?«

»Vier Männer und eine Dame; die Letztere ist jung und sehr reizend.«

»Stimmt, stimmt! Sapperment! Wer hätte das für möglich gehalten!«

»Was?«

»Daß diese Sennorita eine verbrecherische Persönlichkeit ist. Armer Balzer! Vielleicht, vielleicht!«

Er sagte das nachdenklich und im Tone des Bedauerns.

»Wer ist dieser Balzer?«

»Der Sohn des hiesigen Stationers. Er fand – – doch, ich weiß nicht, ob ich davon sprechen darf!«

»Sprechen Sie immerhin!«

»Es geht nicht. Sie verzeihen! Aber als Beamter muß ich vorsichtig sein. Eine der beiden Depeschen ist in böser Absicht aufgegeben. Wer aber ist der Absender derselben?«

»Derjenige, welcher sich auf unrechtmäßige Weise des Namens Steinbach angemaßt hat.«

»Der können auch Sie sein!«

»Ganz richtig. Sie kennen ja mich nicht.«

»Leider! Ja, wenn Sie sich legitimiren könnten!«

»Das kann ich.«

»Dann bitte ich Sie, sich mit in mein Bureau zu bemühen.«

Sie begaben sich, während Steinbachs Begleiter warteten, in das Telegraphenbureau. Letzterer zog die Brieftasche heraus und gab dem Telegraphisten aus derselben ein Document zu lesen. Nachdem der Beamte den Inhalt desselben überflogen hatte, machte er eine tiefe, respectvolle Verbeugung und sagte:

»Ich bitte um Entschuldigung, gnädiger Herr, daß ich meine Pflicht thun mußte!«

»Eine Entschuldigung ist nicht am Platze, wenn man seine Pflicht thut. Aber nun sind Sie wohl überzeugt, daß Sie mir vertrauen dürfen?«

»Vollständig.«

»Darf ich die Telegramme sehen?«

»Hier sind die beiden Originale. Ich werde sie Ihnen vorlesen.«

Er that es.

»Ah, nach Dos Palmas hat er sie bestellt,« sagte dann Steinbach. »Aber aus welchem Grunde? Hm! Diese Depesche ist eher angekommen, als die meinige. Er hat gewußt, daß ich hinter ihm her bin. Er hat gewünscht, daß Wilkins diesen Ort hier schnell verläßt, damit ich ihn nicht finde und seine Spur verliere. Hat der Adressat meine eigene Depesche auch bekommen?«

»Ja.«

Er sprach dieses Wort gedehnt aus, als ob er eigentlich nicht mit Sicherheit bejahend antworten könne.

»Sie zweifeln daran?«

»Hm! Ich muß ehrlich sein. Der Sohn des Stationers, welcher mein Freund ist, bat mich, die Depesche befördern zu dürfen.«

»Warum er?«

»Er interessirte sich für eine der Damen, welche der Adressat bei sich hatte. Freilich interessirte er sich auch für das schöne Mädchen, von welchem Sie vorhin sprachen.«

»Wo wohnt Sennor Wilkins?«

»Im Hotel.«

»Und wo wohnen die Zuletztgekommenen?«

»Sie sind fort.«

»Ah! Wohin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kann ich eine Person haben, welche mich nach dem Hotel führt? Ich kenne es nicht.«

»Ich selbst bin bereit dazu.«

»Sehr gütig. Meine Begleiter werden hier warten.«

Die Beiden begaben sich vom Stationsgebäude nach dem Orte selbst, in das Hotel, wo man noch nicht schlafen gegangen war. Der Wirth empfing sie sehr höflich, da der Stationer ihm durch einen Wink und die sehr hoch gezogenen Augenbrauen zu verstehen gab, daß Steinbach ein sehr vornehmer Gast sei. Der Letztere fragte ihn:

»Ist Sennor Wilkins zu sprechen?«

»Leider nein.«

»Er schläft?«

»Nein; er ist abgereist.«

»O wehe! Wißt Ihr, wohin?«

»Nein.«

»Auch seine Begleitung?«

»Alle vier Personen.«

»Wann?«

»Beim Anbruch des Abends. Ich weiß nur, daß sie mit Sennor Balzers Segelboot gefahren sind.«

»Wie ist das so schnell gekommen?«

»Wohl in Folge einer Depesche, in welcher der Sennor aufgefordert wurde, nach Dos Palmos zu reisen. Dann kam eine junge, sehr schöne Sennorita und nahm sich ein Zimmer neben Sennor Wilkins. Ich sah sie dann mit ihm auf dem Balkon sprechen. Sie ging und kam nicht wieder. Dann mußte meine Bedienung Sennor Wilkins und Zimmermann mit den Damen nach dem Segelboote bringen.«

Das war Alles, was Steinbach erfuhr. Er war sehr ernst und nachdenklich geworden. Als er sich dann mit dem Telegraphisten wieder draußen befand, sagte er zu diesem:

»Es handelt sich hier um ein Verbrechen. Sie haben mir nicht Alles gesagt, was Sie wissen. Seien Sie aufrichtig. Sie können damit wohl mehrere Menschenleben retten.«

»Herrgott! Ists so gefährlich?«

»Ja.«

»Ich habe nichts verschwiegen, als daß der Mann, den Sie Walker nennen, bei meinem Freunde Balzer sich aufgehalten hat.«

»Mit seiner Begleitung?«

»Ja. Die schöne Sennorita ging fort. Sie ist es wohl gewesen, welche sich im Hotel ein Zimmer hat geben lassen.«

»Ah! Sie hat die Verführerin spielen müssen. Ist Balzer dann mit ihnen fort?«

»Ja, zu gleicher Zeit. Wohin, das weiß ich nicht.«

»Was ist Ihr Freund für ein Character?«

»Er ist jung und lebenslustig. Zu einem Verbrechen aber wird er nie die Hand bieten.«

»Man hat ihn betrogen. Kennen Sie das betreffende Segelboot?«

»Ich bin mit demselben gefahren.«

»Welche Bemannung hat es?«

»Steuermann und vier oder fünf Bootsleute.«

»Ist der Steuermann von hier?«

»Ja. Er ist verheirathet. Er wohnt in dem Häuschen, durch dessen offenes Fenster Sie dort das Licht noch schimmern sehen.«

»Gehen wir einmal hin.«

Sie fanden die Frau des Steuermannes noch wach. Auf Steinbachs Fragen, welche er mit einem kleinen Geldgeschenk unterstützte, gestand sie, daß ihr Mann kurz vor der Abfahrt die Bemerkung gemacht habe, daß die Reise dieses Mal bis in die Nähe von Aubrey gehen werde.

Weiteres vermochte Steinbach nicht zu erfahren. Für ihn war es aber genug. Wenn Magda Hauser auf dem Segelboot gegen Roulin gesagt hatte, daß Steinbach ihre Fährte ganz sicher finden werde, so hatte sie sehr Recht gehabt. Er hatte sie nun. Freilich galt es, keine Zeit zu verlieren. Unglücklicher Weise ging vor morgen Mittag kein Personenzug. Jetzt hatte das Segelboot bereits über fünf Stunden Vorsprung. Was thun?«

Steinbach fragte, ob er Extrazug bis Yuma haben könne.

»Jetzt nicht gleich. Die einzige vorhandene Maschine wird noch zum Rangiren gebraucht. Um drei Uhr aber kann Ihnen das Gewünschte zur Verfügung stehen.«

Er mußte sich also gedulden. Doch Punkt drei Uhr setzte sich der Extrazug mit den Reisenden und den Pferden in Bewegung nach Yuma.

Das war ein Umweg. Während der Rio Gila von Mohawk-Station nach Gila City geht, wo er in den Colorado fällt, führt die Südpazificbahn von derselben Station aus südlicher nach Yuma, welches weit unterhalb der Einmündung des Gila liegt. Freilich war es immer noch nicht gewiß, welches Ziel das Segelboot habe.

Wollte Walker nach Aubrey, so steuerte er in Gila City in den Colorado und fuhr diesem hinauf. Wollte er aber, wie seine Depesche vermuthen ließ, nach Dos Palmas, so mußte er von Gila City den Colorado hinab nach Yuma, wo die Eisenbahn den Colorado überfährt und dann nach Dos Palmas geht.

Das war der Gegenstand der Berathung, als die Männer im Wagen saßen. Es läßt sich denken, daß sie alle sich um Wilkins und seine Gesellschaft in Sorge befanden.

»Ich bin überzeugt,« sagte der dicke Sam, »daß er sie auf das Boot gelockt hat, nur um sie zu ermorden, sie vielleicht einfach in das Wasser zu werfen.«

Günther von Langendorf knirrschte.

»Wenn er das thut, so soll er eines hundertfachen Todes sterben. Krümmt er Magda nur ein einziges Haar, so werde ich mich rächen, wie nur ein wilder Indianer sich rächen kann!«

»Sorge Dich nicht!« tröstete Steinbach. »Ich habe, ganz entgegengesetzt von Sam, die Ansicht, daß er das Leben der vier Personen schonen werde.«

»Hast Du Gründe zu dieser Ansicht?«

»Ja. Sie werden die Mädchen nicht tödten, sie verfolgen ganz andere Zwecke.«

»Verdammt! Er mag sie nur anrühren!«

»Am Leben unseres Master Wilkins werden sie sich, wenigstens jetzt, noch nicht vergreifen. Ich denke vielmehr, daß sie ihn mit nach dem Thale des Todes schleppen werden, damit er sehen kann, wie sein Neffe dort leidet und Adler, der einstige Oberaufseher dazu.«

»Und Zimmermann?«

»Was haben Sie davon, wenn sie ihn sofort tödten? Allerdings werden sie auch ihn auf die Seite schaffen wollen, weil er nun ihre Thaten kennt; aber sie werden sich Zeit nehmen.«

»Wie aber wird es ihnen bis dahin ergehen!«

»Ob schlecht, das weiß man nicht. Wilkins ist ein erfahrener Mann. Und Zimmermann ist zwar noch jung, aber ein tüchtiger Jäger, kräftig und kühn. Vielleicht erfahren oder ahnen sie, was ihnen droht, und wehren sich ihrer Haut.«

»Dann tödtet man sie sofort!«

»Wir müssen bedenken, daß der Besitzer des Bootes mit seinen Leuten da ist. Er wird ein Verbrechen nicht begehen lassen.«

»Was aber wollen sie in Dos Palma's?«

»Nichts. Ich bin überzeugt, daß dieser Ort in der Depesche nur genannt worden ist, weil überhaupt ein Ort angegeben werden mußte. Man wollte Wilkins von Mohawk-Station fortbringen, damit wir ihn dort nicht finden sollen.«

»Und warum gehen sie nach Aubrey?«

»Nicht nach Aubrey gehen sie sondern nur bis in die Nähe der Stadt. Dort treiben sich die Papago-Jndianer herum, in deren Schutz sie sich begeben wollen. Sie bleiben so lange auf dem Wasser des Colorado, bis sie die Papago's bemerken, dann landen sie und reiten mit ihnen nach dem Todesthale.«

»Wie gut, daß Du auf den Gedanken gekommen bist, unsere Apachen und auch die nun mit ihnen verbündeten Maricopas in jene Gegend zu dirigiren!«

»Ich folgte meiner Ahnung, welche mich selten in Stich zu lassen pflegt.«

Der Zug hielt kurz nach Tages Anbruch in Yuma. Die Pferde hatten während der Fahrt Futter erhalten. Jetzt wurden sie getränkt, und dann hätte man aufbrechen können. Vorher aber fand noch eine kurze Besprechung statt.

»Hier in Yuma kann das Boot noch nicht sein, wenn Yuma überhaupt das Ziel ist,« sagte Steinbach. »Wenn wir also am Ufer aufwärts reiten, werden wir dem Seelenverkäufer ganz sicher begegnen.«

»Wie aber kommen wir an Deck?«

»Das läßt sich jetzt noch nicht sagen.«

»Sie kennen uns ja. Sie werden vorüberfahren und uns auslachen.«

»Das nehme ich nicht an. Ich habe meine Büchse mit. Ich rufe sie an. Halten sie nicht, so schieße ich den Steuermann nieder und lasse keinen Zweiten an das Steuer. Das Boot wird dann unbedingt an das Ufer getrieben.«

»Oder an das jenseitige, wo wir nicht hin können!«

»Pah! So dumm werde ich es doch nicht anfangen. Ich schieße den Steuermann da nieder, wo die Strömung nach dieser Seite führt. Uebrigens ist es ja möglich, daß sie es gar nicht gewagt haben, während der Nacht zu segeln. In diesem Falle befinden sie sich jedenfalls noch weit oberhalb von Gila City. Um schnell zu erfahren, ob das Boot bereits an Gila City vorüber ist, muß Einer von uns jetzt direct nach diesem Orte reiten.«

»Wer soll das thun?«

»Einer, welcher erfahren, listig und verschlagen ist. Ich denke, wir schicken unsern Sam Barth hin.«

»Einverstanden!« erklärte der Dicke. »Was aber habe ich dort zu thun?«

»Sehr viel oder sehr wenig, je nach den Umständen. Ist das Boot noch nicht vorüber, so sucht Ihr es aufzuhalten, wenn es angesegelt kommt. Ist es bereits vorüber, so habt Ihr nichts zu thun, als auf uns zu warten.«

»Wo?«

»Ja, wo! Wir alle sind dort unbekannt. Sagen wir, in demjenigen Gasthause, welches dem Flusse am Nächsten liegt.«

»Da kommt Ihr hin?«

»Ja, falls wir dem Boote hier nicht begegnen. Findet dies aber statt, so sind wir bis Mittag nicht bei Euch, und Ihr habt uns hier in Yuma zu suchen. Werdet Ihr Euch nach Gila City finden?«

»Leicht. Es liegt ja hier am Flusse, und ich brauchte nur längs des Ufers weiter zu reiten. Da ich aber rasch sein muß, so schlage ich die gerade Linie ein, nach Nordnordost über die Prairie weg. In zwei Stunden bin ich dort.«

»Wir müssen den Umweg am Ufer hin machen und werden in drei Stunden dort sein, falls wir dem Segelboote nicht begegnen. Also, eine ausführliche Instruction brauche ich Euch wohl nicht zu geben?«

»Nein. Das fehlte noch! Ich bin aus Herlasgrün, wo man immer weiß, was man zu machen hat, wenn nichts zu machen ist. Adieu, Sennores.«

Er ritt im Galopp davon. Wie er es sich gedacht hatte, war er in zwei Stunden in Gila City. Er ritt nach dem Flusse, sah die Schänke, in welcher sich der Lord befand, band sein Pferd hinter dem Hause an und begab sich dann in die Stube, wo er auf so eigenthümliche Weise erfuhr, daß das Boot bereits vorüber sei. – –

Als der Bootsmann seinen Bericht abstattete, erwähnte er einen Namen, welchen er vorher, als er das Ereigniß dem Lord erzählt hatte, nicht mit genannt hatte, den Namen Steinbach.

»Also sie sind an Ketten gebunden?« fragte Sam.

»Ja, aber der Eine hat sich losgerissen.«

»Sehr gut. Er kann also seine Hände gebrauchen und wird dafür sorgen, daß das Allerschlimmste nicht geschehen kann. Er wird sich halten können, bis wir Hilfe bringen.«

»Es scheint, daß sie ganz sicher auf Hilfe rechnen. Es muß Einen geben, welcher das Boot verfolgen wird.«

»Wer ist das?«

»Die Sennorita nannte den Namen. Sie sagte, daß der Mann ihre Spur finden und derselben folgen werde. Er hat einen fremden Namen und heißt Steinbach.«

»Steinbach?« fragte der Lord schnell.

»Ja.«

»Hast Du diesen Namen wirklich und deutlich gehört?«

»Sehr deutlich. Er ist fremd; aber ich hatte früher einmal droben in Sakramento einen Bekannten; er war aus Deutschland und hieß Steinbach. Darum kann ich dieses Wort aussprechen und habe mir den Namen auch heute sehr gut gemerkt.«

»Steinbach! Sapperment! Hermann, Vetter, sollte das etwa unser Steinbach sein?«

»Das wäre die herrlichste Ueberraschung, welche es nur geben könnte!«

»Zuzutrauen ist's ihm. Weißt Du nicht, wo er sich jetzt ungefähr befindet?«

»Nein. Ich kenne ja nicht einmal seinen wirklichen Namen. Er ist uns damals verschwunden, ohne die geringste Spur zurückzulassen.«

»So ist es möglich, daß wir jetzt nicht nur die Spur von ihm, sondern ihn selbst finden.«

»Was sollte er hier am Rio Gila machen?«

»Was thun wir hier? Er könnte ja ganz auf unseren Gedanken gekommen sein, nämlich Waldläufer zu werden. Es ist ja leicht möglich, daß er das Buch von Gabriel Ferry gelesen hat. Und wer dieses liest, dem kommt ganz sicher der Wunsch, nach dem Rio Gila zu gehen.«

»Nicht alle Menschen sind wie Du, Vetter,« meinte Hermann von Adlerhorst ein Wenig ironisch.

Sam Barth hatte diesem Wortwechsel nachdenklich zugehört. Jetzt fragte er den Lord:

»Auch Ihr kennt einen Steinbach. Könnt Ihr mir vielleicht seine Person beschreiben?«

»Jawohl. Ungewöhnlich groß und stark; prächtiger Vollbart; sehr hübscher Kerl.«

»Hm? Das ist nicht Derjenige, von welchem hier die Rede ist.«

»Wieso?«

»Der ist klein und dürr. Er ist es, welcher der Fürst der Bleichgesichter genannt wird.«

»Also habe ich mich umsonst gefreut. Aber klein und dürr? Und heißt der Fürst der Bleichgesichter? Ist ein so berühmter Jäger? Unmöglich!«

»Warum unmöglich?«

»Ich kann mir einen berühmten Waldläufer nur als groß und stark vorstellen.«

»Da irrt Ihr Euch. Das Leben der Prairie, die Entbehrungen und Strapazen desselben dorren den Körper aus. Die berühmtesten Jäger sind dürr, haben aber Muskeln wie Eisen und Sehnen wie Stahl.«

»Ihr selbst seid aber dick!«

»Ich bin eine Ausnahme. Also Ihr habt Euch entschlossen, dem Segelboote nachzujagen?«

»Ja. Wäre ich noch zweifelhaft gewesen, so würde das Zusammentreffen mit Euch mich bestimmen, es zu thun.«

»Das ist sehr gut. Das Boot wird nicht weit kommen. Euer Dampfer holt es ein.«

»Das versteht sich. Wir werden also Kameraden sein, und so – – hurrjeh, was sind das für Kerls?«

Es hatte sich nämlich draußen Pferdegetrappel hören lassen, und jetzt traten Jim und Tim ein, bei deren Anblick der Lord die letztere Frage aussprach.

»Es sind meine Kameraden,« antwortete Sam.

»Und der da? Alle Wetter, eine Rothhaut!«

»Das ist die »starke Hand«, der Häuptling der Apachen.«

»Der berühmte Kerl? Ah, den muß ich begrüßen.«

Er stand auf, streckte dem Apachen die Hand entgegen und sagte in englischer Sprache:

»Guten Morgen, Master! Wie geht es Euch?«

Der Häuptling war der englischen Sprache mächtig. Er blieb trotz der Eigenthümlichkeit der Frage ernsthaft und antwortete:

»Danke! Sehr gut! Und Euch?«

»O, mir geht es auch nicht übel. Ich freue mich riesig, Euch kennen zu lernen. Hoffentlich schießen wir einige Büffel und Bären zusammen. Nicht? Aber ich denke, Ihr bringt den kleinen Fürsten der Bleichgesichter mit?«

»Den kleinen – –?« fragte Jim.

»Na, ja. Er ist doch von sehr winziger Statur.«

»So? Seht ihn Euch an. Da ist er.«

Steinbach trat mit Günther von Langendorf ein. Er sah den Lord und machte eine Bewegung ungeheuren Erstaunens. Der Engländer aber riß die Augen und den Mund so weit auf, wie es überhaupt möglich war, fuhr zurück, so daß er seinen Stuhl umwarf, und rief:

»Alle guten Geister – – Steinbach!«

»Lord Eagle-nest!«

»Ihr hier! Das ist erstaunlich!«

»Was treibt denn Ihr hier am Gila?«

»Allerlei Geschäfte. Und Ihr?«

»Ich bin Waldläufer!«

»Ah so! Hier meine Hand. Willkommen im Westen!«

»Ja, willkommen! Aber, sagt einmal, seid Ihr es, den man den Fürsten der Bleichgesichter nennt?«

»Ja.«

Da wandte sich der Lord zu dem feixenden Sam und zürnte!

»Warum sagt Ihr da, er sei klein und dürr?«

»Es war Scherz.«

»Aber ich verbitte mir solchen Scherz! Ich lasse mir Master Steinbach nicht klein und dürr machen! Na, setzt Euch! Wirth, gebt das Beste her, was Ihr zu trinken habt! Ja, ja, Master Steinbach, Ihr wundert Euch, daß ich hier bin. Ihr fragt nach der Ursache? Seht Euch doch einmal diesen Titel an!«

Er zeigte ihm das Buch hin.

»Der Waldläufer, von Ferry! Hat der Euch Lust gemacht?«

»Natürlich.«

»Gerade also wie damals die Entführung aus dem Serail.«

»Ja; nur daß ich nicht so glücklich war, Eine zu entführen. Dieses Mal aber soll es anders gehen. Ich will Bären schießen und Büffel. Ich habe Alles mit, was ich dazu brauche, Waffen, Munition, einen ganzen Centner Pulver, Lasso's, kurz und gut, Alles.«

»Wollen hoffen, daß Ihr mit dem Centner Pulver nicht in die Luft geht!«

»Das thue ich nicht. Vor allen Dingen will ich diese famose Magda Hauser retten und ihre Freundin.«

»Ah! Wißt Ihr davon.«

»Der Dicke hat mich unterrichtet, und hier ist ein Bootsmann, welcher auf dem Segelboote gewesen ist. Ihr kommt Alle mit auf meinen Dampfer. Wir spritzen hinter diesem Walker her und nehmen ihn beim Schopfe.«

»Habt Ihr die Yacht mit?«

»Natürlich!«

»Das ist stark, wirklich stark! Eine Dampfyacht auf dem Rio Gila. Uns aber ist das ungeheuer lieb. Nichts könnte uns gelegener kommen. Ist das Segelboot hier vorüber?«

»Seit länger als einer Stunde,« antwortete Forner.

»Und Ihr seid Bootsmann darauf gewesen?«

»Ja. Ich habe mich aber davon gemacht, weil ich merkte, daß irgend Etwas nicht richtig sei.«

Er mußte jetzt zum dritten Male erzählen. Als er geendet hatte, fragte Steinbach den Lord:

»Könnt Ihr unsere Pferde mit unterbringen?«

»Hoffentlich. Sie werden an Deck alle Platz haben.«

»Und Ihr wollt uns wirklich die Yacht zu unserer Verfügung stellen?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»So wollen wir schleunigst an Bord gehen und die Anker lichten, Sir.«

»O, so schnell geht das nicht. Da fällt mir nämlich ein, daß mir gerade die Hauptsache fehlt. Hier in diesem Lande giebt es keine Kohlen; ich muß also den Kessel mit Holz feuern und ich habe keines mehr. Hoffentlich ist hier welches zu haben?«

Diese Frage richtete er an den Wirth, welcher ihm antwortete:

»Ich selbst werde Euch so viel davon besorgen, wie Ihr nur haben wollt.«

»So macht schnell! Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Bis jetzt waren Frage und Antwort einander in großer Schnelligkeit gefolgt, wie das bei einem so unerwarteten Zusammentreffen stets der Fall zu sein pflegt. Steinbach hatte sich nicht einmal niedergesetzt. Er that es jetzt, und nun begannen erst die Erklärungen, welche bei einer solchen Gelegenheit selbstverständlich sind.

Der Wirth war höchst stolz auf die berühmten Gäste, welche heute sein Haus beherbergte. Er versorgte sie mit Getränk und ging dann hinaus, um das bestellte Holz anzuweisen und nach der Yacht bringen zu lassen. Dabei hatte er Gelegenheit, einem Nachbar zu sagen, wer bei ihm sei. Dieser trug die Kunde weiter, und bald stand eine Menge Volk vor dem Hause, um die großen Jäger zu sehen, wenn sie gehen würden.

Nach Verlauf einer Stunde kam von dem bekannten Steuermanne Smith die Botschaft, daß der Kessel geheizt sei, und nun brach die Gesellschaft nach dem Flusse auf. Als sie dort den kleinen Dampfer liegen sahen, zeigte der Lord triumphirend auf das Bild und fragte:

»Kennt Ihr diesen da, Master Steinbach?«

»Sehr gut. Es fehlt ihm aber Zweierlei.«

»Der Regenschirm und das Fernrohr, vielleicht auch das Rasirzeug in der Brusttasche.«

»Das war beim vorigen Bilde. Jetzt fällt es weg. Als Waldläufer werde ich doch nicht mit dem Regenschirm auf die Bärenjagd gehen. Nur immer praktisch muß man sein. Na, kommt an Bord!«

Das Unterbringen der Pferde machte zwar einige Beschwerde, doch gelang es nach einiger Anstrengung. Dann stieß der kleine Dampfer vom Ufer ab. Der Bootsmann Forner nahm vorn an dem Buge Platz, da er die Wasserbahn kannte und Ausguk halten mußte. Als der Einfluß des Gila in den Colorado erreicht war, bog der Dampfer in den Letzteren rechts ein und steuerte gegen den Strom nach Norden. Da Steinbach das Seegelboot von Auma bis nach Gila City nicht gesehen hatte, so verstand es sich ganz von selbst, daß es stromaufwärts nach Aubrey zu gesegelt war. Da es nun gegen zwei Stunden Vorsprung hatte, so ließ sich annehmen, daß die Yacht ebenso lang brauchen werde, um es einzuholen. –

Das Boot hatte bereits während der Nacht sehr guten Wind gehabt, und nun es in den Colorado lief und nach Nord wendete, drehte sich auch der Wind so günstig, daß es war, als ob alle Umstände zusammenwirkten, die Fahrt zu einer glücklichen zu machen.«

Etwas Unangenehmes war freilich vorgekommen. Im Vorbeisegeln hatte man am Ufer die Yacht bemerkt. Sie war von Allen angestaunt worden, denn so ein Schiff hatte man hier noch niemals gesehen.

Der einstige Derwisch, jetzt Bill Newton genannt, saß verwundet auf dem Verdeck. Seine Wunde war, wie sich herausstellte, nicht so gefährlich, wie es erst den Anschein gehabt hatte. Auch er erblickte die Yacht. Er fuhr sogleich von seinem Sitze auf.

»Himmeldonnerwetter! Was ist das?« rief er.

»Na, ein Lustdampfer,« antwortete Walker.

»Das weiß und sehe ich. Aber – sollte es möglich sein! Den Kerl kenne ich.«

»Der da vorn angemalt ist?«

»Ja, der ist ein englischer Lord.«

»Kann es mir denken. Nur so ein Kerl kann auf die Idee kommen, per Dampfyacht nach dem Rio Gila zu gehen. Es ist eine Verrücktheit!«

»Aber eine sehr überlegte Verrücktheit, welche für uns höchst verhängnißvoll werden kann!«

»Wieso?«

»Ich lege jeden Schwur darauf ab, daß dieses Schiff wegen uns hier liegt.«

»Unsinn!«

»Wahrheit. Der Besitzer heißt Eagle-nest und ist ein Verbündeter Steinbach's.«

»Das wäre!«

»Ja. Ganz denselben Dampfer sah ich in Constantinopel; nur war das Bild ein anderes. Die Yacht hat mich nach Tunis verfolgt und ist dann auch nach Egypten gegangen, um einen Verbündeten von mir in das Verderben zu bringen. Ja, dort sehe ich den Steuermann stehen, diesen verdammten Engländer. Ich kenne sein Gesicht sehr genau.«

»Irrt Ihr Euch nicht?«

»Ist gar nicht möglich. Nehmt Euch in Acht. Wenn die Yacht sich hinter uns her macht, sind wir verloren.«

»Hm! Wenn! Bis jetzt denke ich, daß man da drüben an Bord noch gar keine Ahnung hat, was geschehen ist. Wir können ruhig sein.«

»Aber Steinbach wird nach Gila-City kommen und die Yacht zu unserer Verfolgung benutzen.«

»Es fragt sich, ob er erfährt, daß wir uns hier auf diesem Boote befinden.«

»Der? Da kennt Ihr ihn schlecht. Ich wette, daß er bereits fünf Minuten nach seiner Ankunft in Mohawk-Station Alles weiß.«

»Von dort geht erst nach Mittag ein Zug nach hier ab. Wir haben einen genügenden Vorsprung.«

»Ich rathe trotzdem zur größten Vorsicht.«

»Mir scheint, daß Ihr diesen Fürst der Bleichgesichter doch etwas mehr fürchtet, als nöthig ist.«

»Er hat eine ganz besondere Rechnung mit mir zu begleichen; ich weiß, daß ich keine Schonung finde.«

»Schießt ihn nieder!«

»Das ist schneller gesagt als gethan. Ich warne Euch und rathe Euch die größte Vorsicht. Diese Yacht macht mir große Sorge.«

»Mir jetzt noch nicht. Dennoch aber werde ich Euren Rath befolgen.«

»Ich werde mir das Fernrohr Sennor Balzer's geben lassen, um die Gegend hinter uns nicht aus dem Auge zu lassen.«

»Das heißt doch, die Vorsicht zu weit treiben.«

»Besser zu vorsichtig als zu wenig. Ich wehre mich meiner Haut, und da dies jetzt mit keiner anderen Waffe geschehen kann, so nehme ich das Fernrohr dazu.«

Von jetzt an saß er mit dem Perspectiv da und betrachtete die Strecke des Stromes, welche hinter ihnen lag, mit größter Sorgfalt.

So vergingen einige Stunden. Das Boot segelte sehr gut gegen den Strom, welcher hier sehr breit war und also offene Bahn bot. Es war beinahe Mittag geworden, als Newtons lauter Ruf erschallte:

»Sennor Walker, kommt her! Schnell!«

Walker eilte herbei.

»Was giebt es denn?«

»Die Yacht ist hinter uns.«

»Zeigt her!«

Er nahm das Rohr und suchte den Horizont ab.

»Man sieht sie noch nicht,« bemerkte Newton, »aber man sieht ihren Rauch.«

»Ja, ich sehe sie jetzt. Was meint Ihr? Sollte der Engländer wirklich gefährlich sein?«

»Ohne alle Frage. Laßt Euch rathen!«

»Verdammte Geschichte! Wenn man nur wüßte, wer sich da an Bord befindet! Doch wohl nur dieser alberne Lord allein. Und den fürchte ich nicht.«

»Ich wette mit, daß Steinbach an Bord ist. Die Yacht hat auf ihn gewartet und würde ohne ihn Gila-City nicht verlassen haben. Davon bin ich überzeugt.«

»Aber er kann doch erst am Nachmittage in Gila-City ankommen!«

»Giebt es nicht Extrazüge?«

»Sollte er das Geld an so einen gewendet haben?«

»Er scheint sehr reich zu sein.«

»Dann – hm! Fatal, höchst fatal. Ich beginne. Euch Recht zu geben. Aber wie wollen wir uns unsichtbar machen? Ich weiß nicht, wie!«

*


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