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»Nun, so bezeuge ich, daß Ihr wirklich ein Geschäftsfreund von Sennor Robin seid. Nun wird sich Sennorita Emeria wohl nicht länger weigern, Euch zu bedienen.«
»Nein,« antwortete sie. »Auf Euer Zeugniß hin will ich jetzt nun eine abermalige Ausnahme machen. Er soll also seinen Wein erhalten.«
Sie ging hinaus. Der erste Gast sagte zum zweiten:
»Da Ihr ein Freund von Sennor Robin seid, darf ich Euch wohl bitten, bei mir Platz zu nehmen.«
»Gewiß Sennor,« meinte Roulin, indem er sich zu ihm setzte. »Es ist stets gut, wenn man sich zu nennen weiß. Meinen Namen habe ich Euch gesagt, darf ich Euch wohl nach dem Eurigen fragen?«
»Warum nicht. Man nennt mich Alfonzo. Das genügt. Der Familienname ist nicht nothwendig.«
»Das ist richtig. Also, Sennor Alfonzo, was ist denn das eigentlich für eine Wirthin?«
»Sie ist übergeschnappt. Sie muß sich einmal in einen lustigen Kerl vergafft haben, der ihr außerordentlich viele Raupen in den Kopf gesetzt hat. Er hat sie mit gelehrten Brocken vollgestopft, wie man eine Gans nudelt. Sie hat nichts davon verdaut. Nun stecken diese Brocken ihr noch im Leibe und sie kann sie nicht los werden. Das schädigt natürlich das Gehirn. Sie hat die Marotte, einen jeden Gast zu examiniren. Sonst ist sie aber ganz ungefährlich und sogar ein sehr achtbares Frauenzimmer.«
»Schön! Das ist das Eine. Jetzt das Andere, welches aber viel nothwendiger ist. Steht Ihr mit Robin vielleicht in Geschäftsverbindung?«
»Sogar sehr.«
»In welcher?«
»Hm! Darüber läßt sich nichts sagen, wenn man sich nicht ganz genau kennt!«
»Ich denke, Ihr kennt mich!«
»Nur so vom Hörensagen. Was mich betrifft, so könnt Ihr vollständig Vertrauen zu mir haben.«
»Das werde ich sofort sehen. Es giebt nämlich ein Mittel, genau und untrüglich zu erfahren, wie weit Ihr das Vertrauen Robins genießt.«
»Ich genieße es vollständig.«
»Wirklich? Nun, so sagt mir doch einmal, wie sein eigentlicher Name lautet!«
»Früher nannte er sich Walker.«
»Richtig! Da Ihr das wißt, so bin ich überzeugt, daß ich Euch vertrauen darf. Es droht mir und Robin ein großes Unheil. Ich werde verfolgt. Die mich Verfolgenden wissen jedenfalls, daß ich zu ihm will. Sie wollen auch ihn verderben.«
»Himmelelement! Wer ist das?«
»Einige verdammte Kerls, welche hart hinter mir her sind! Der Eine läßt sich den Fürsten der Bleichgesichter schimpfen, der Andere ist der dicke Sam Barth.«
»Heiliges Pech! Dieser berühmte Jäger!«
»Ja. Sodann die ›starke Hand‹, der Häuptling der Apachen-Indianer.«
»Hört, das sind drei ganz verdammte Kerls!«
»O, es sind ihrer noch mehr. Ich konnte sie nur nicht wegkriegen.«
»Und sie sind hart hinter Euch?«
»Leider! Ich habe sie heute früh noch einmal tüchtig irre geführt, indem ich einen Kreis ritt. Sie mußten also zurück, wenn sie meiner Spur gefolgt sind. Dennoch können sie jeden Augenblick kommen.«
»Was habt Ihr denn mit ihnen?«
»Davon später. Ich kann Euch nur sagen, daß es sich nicht nur um Hab und Gut, sondern auch um Tod und Leben handelt.«
»Dann ist die Geschichte allerdings höchst gefährlich.«
»Ich muß zu Walker, um mit ihm zu sprechen. Wohnt er noch draußen in seinem Waldhause?«
»Ja. Pst! Die Sennorita kommt.«
Die Wirthin trat ein und setzte Roulin Flasche und Glas hin. Dann nahm sie wieder auf ihrem Stuhle Platz, um weiter zu modelliren. Es fiel ihr gar nicht ein, auf die Unterredung der Beiden zu achten; dennoch sprachen diese nur leise weiter. Später aber entfuhr Roulin doch ein so lauter Ausruf, daß sie ihn hörte:
»Verdammt! Da drüben kommt der Dicke!«
»Wo?« fragte Alfonzo.
»Ganz drüben am Stadtende.«
»Das kann man ja noch gar nicht erkennen!«
»O, den Kerl kenne ich noch aus viel weiterer Entfernung. Wir müssen fort.«
»Na, so bezahlt! Ich führe Euch.«
Während Roulin sein Geld auf den Tisch warf, sagte der Andere zur Wirthin:
»Hört, Sennorita! Der Mensch, welcher da draußen geritten kommt, ist ein Feind von Sennor Robin. Er darf nicht erfahren, daß wir hier gewesen sind. Von diesem Sennor hier dürft Ihr überhaupt nicht zugeben, daß wir hier gewesen sind. Verstanden?«
Sie nickte bejahend, blickte zum Fenster hinaus und antwortete:
»Er sieht Euch aber doch fortgehen. Dieser Sennor hat gar ein Pferd mit; das muß ja gesehen werden!«
»Wir ziehen es durch den Hausflur in den Hof, und von da zur hinteren Thür hinaus. Da kommt das Gebäude zwischen uns und ihm und er kann uns nicht bemerken.«
»So macht schnell und grüßt Sennor Robin von mir!«
Beide eilten hinaus und zogen das Pferd in das Haus.
Roulin hatte sich allerdings nicht geirrt. Es war der dicke Sam, welcher langsam die Straße herbeigeritten kam, die Gestalt vornüber gebeugt und das Auge scharf auf die Erde gerichtet. Draußen in der Wildniß ist es nicht sehr schwer, eine deutliche Spur zu verfolgen; in einer Stadt und deren Nähe, zumal auf einer viel betretenen Landstraße aber ist es fast eine Unmöglichkeit. Für den listigen Sam aber konnte es in dieser Beziehung eine absolute Unmöglichkeit gar nicht geben. Er hielt vor der Thür an, stieg ab und band sein Pferd an den Pfahl, deren mehrere zu diesem Zwecke draußen angebracht waren. Er untersuchte den Boden sehr genau und schüttelte dann brummend den Kopf.
Petro, der Peon, hatte an der Ecke des Hauses gestanden und ihn ankommen sehen. Das Gebahren dieses fremden, kleinen, absonderlich dicken Kerls kam ihm sehr lächerlich vor. Er befand sich bei guter Laune und beschloß, den Kleinen ein Wenig zu foppen. Darum trat er hinzu und fragte:
»Habt Ihr etwas verloren, Sennor?«
»Ja,« antwortete Sam, ohne ihn anzusehen.
»Was denn? Vielleicht die vorige Woche?«
»Nein, sondern die übernächste.«
»So will ich wünschen, daß Ihr sie bald findet!«
»Ich hab sie schon!«
Sam hatte nämlich auf der Schwelle der Hausthür und im Flur die Spuren bemerkt, welche er suchte.
»Die übernächste?« lachte Petro. »Da seid Ihr uns Andern also um zwei Wochen voraus?«
»Ja, mein Junge, Dir speciell aber um einige Jahrhunderte, denn wie es scheint, bist Du so weit in der Entwickelung zurück, daß Dir noch gar kein Gehirn gewachsen ist!«
»Oho!«
»Und grün und gelb bist Du auch noch hinter den Ohren. O weh! Aus Dir wird einmal ein recht alberner und vorlauter Gänserich werden. Nimm Dich dann in Acht, daß man Dir nicht auf den Schnabel klopft!«
Dies ärgerte den Peon. Der Dicke trug eine Kleidung, welche während des angestrengten, schnellen Rittes viel gelitten hatte. Er sah nicht sauber aus und da sein Pferd scheinbar auch nichts taugte, so hatte Petro gemeint, einen Menschen vor sich zu haben, mit welchem er sich einen Spaß machen könne. Er wollte die Beleidigung nicht dulden und sagte darum:
»Für wen oder was haltet denn Ihr Euch wohl? Wenn ich ein Gänserich bin, so gehört Ihr wohl unter diejenige Klasse von Menschen, welche man Staare nennt?«
»Jawohl, mein Sohn! Ich bin nämlich der Staar, welchen ich Dir stechen werde, wenn Du nicht höflicher wirst. Gehe ein Wenig auf die Seite, damit man hinein kann!«
Der Peon hatte sich nämlich mitten unter die Thür gestellt. Er antwortete nun grob:
»Wartet noch ein Wenig! Hier hat nämlich nicht der erste Beste Zutritt. Wir sehen uns unsere Leute an.«
»Ich mir die meinigen auch. Und da Du hier nicht in der rechten Beleuchtung stehest, um einen guten Eindruck auf mich zu machen, so will ich Dich ein Wenig an das Licht und in die Luft stellen.«
Er faßte ihn blitzschnell bei dem Leibe, hob ihn hoch empor, drehte sich um, setzte ihn außerhalb des Einganges wieder nieder und trat in das Haus. Der Peon hatte so Etwas nicht erwartet. Ein so resolutes Benehmen und eine solche Körperstärke war dem scheinbar unbehilflichen Dicken ja gar nicht zuzutrauen gewesen. Darum blieb Petro eine Weile ganz erstaunt auf derselben Stelle und als er sich dann umdrehte, um sich zu rächen, war Sam bereits in das Gastzimmer getreten.
Dort saß die Wirthin an ihrem Tische und klatschte mit den nassen Händen an dem Thone herum.
» Good day, Mistress!« grüßte Sam.
Sie antwortete nicht. Er setzte sich nieder und wiederholte seinen Gruß. Auch jetzt erhielt er keine Antwort. Darum rief er nun sehr laut:
»Seid Ihr taub, Mistreß?«
Jetzt erhob sie sich, betrachtete ihn mit verächtlichem Blicke und meinte: »Hier spricht man nicht englisch, sondern spanisch!«
»Ah so! Also buenos dias, tia!«
Das hieß also: Guten Tag, Tante!
Sie fuhr erschrocken zurück.
»Was? Tante nennt Ihr mich?«
»Ja.«
»Wie kommt Ihr zu dieser Bezeichnung?«
»Soll ich etwa Großmutter sagen? Ganz wie Ihr wollt! Mir ist es egal!«
»Ich bin weder Eure Tante noch Eure Großmutter. Habt Ihr nicht meine Firma gelesen?«
»Nein.«
Er hatte seine Augen auf der Fährte gehabt, sich also das Schild gar nicht angesehen.
»So geht hinaus und betrachtet es Euch!«
»Das kann ich nachher thun, wenn ich gehe.«
»Ihr könnt gleich jetzt gehen!«
»Jetzt werde ich mich erst ein wenig ausruhen, meine sehr theure Lady.«
»Lady? Am Schilde ist zu lesen, daß ich die gelehrte Sennorita Emeria bin.«
Er betrachtete sie mit seinen kleinen, listigen Aeuglein. Sie war von Kopf bis zu Fuß mit nassem Thone beschmiert und bildete einen nicht sehr zum Ernste veranlassenden Anblick. Dennoch that er sehr ernst.
»So, so! Sennorita Chimärea! So also heißt Ihr! Wer konnte das wissen!«
»Chimärea? Welch ein Name! Was bedeutet er?«
»Chimäre ist ein Hirngespinnst. Eure Mama hat Euch also keinen sehr hübschen Namen gegeben.«
»Ich heiße nicht so. Ihr habt mich falsch verstanden. Emeria ist mein Name.«
»Ach so! Entschuldigung, Sennorita Amerika! Ich bin nämlich so weit – –«
»Emeria, nicht Amerika!« rief sie ihn an.
»Immer wieder anders! Na, meinetwegen. Habt Ihr Bier?«
»Ja. Habt Ihr Geld?«
»Ja.«
»Ich habe nur Porter und Ale. Beides ist theuer.«
»Das ist mir sehr gleichgiltig. Gebt mir Porter!«
»Ihr thut ja, als ob Ihr Herr dieses Hauses wäret!«
»Nicht ganz. Aber ich habe Durst und werde bezahlen, was ich bestelle. Ihr werdet also doch wohl nicht meinen, daß ich viele gute Worte geben soll!«
»Es wäre besser für Euch, höflich zu sein. Bei mir bekommt nämlich nur Der etwas, der sein Examen bestanden hat.«
»Examen? Sapperment! Wieso? Warum?«
»Weil mein Haus die Venta zur gelehrten Emeria ist, bediene ich nur gelehrte Leute.«
Er gab sich Mühe, ernsthaft zu bleiben und antwortete:
»Das ist allerliebst. Das gefällt mir von Euch. Ihr examinirt also einen jeden Unbekannten?«
»Ja.«
»Das wollt Ihr bei mir auch thun?«
»Natürlich.«
»So freue ich mich darauf. Ich bin nämlich auch ein Gelehrter, sogar ein ziemlich berühmter.«
»Ihr?« fragte sie, ihn mit einem ungläubigen Blicke betrachtend. »In welchem Fache denn?«
»In der Astronomie.«
»Habt Ihr denn da bereits Ansehnliches geleistet?«
»Und ob!«
»Was denn?«
»Ich habe das Mondkalb entdeckt. Man kann es seitdem ganz ohne Fernrohr sehen.«
Da stemmte sie die Fäuste in beide Seiten, trat ihm näher und rief zornig:
»Sennor, wollt Ihr Euch etwa über mich lustig machen? Zwar habe ich auch bereits von dem bekannten Mondkalbe gehört, aber entdeckt ist es noch nicht worden! Das macht Ihr mir nicht weiß. Ihr mögt meinetwegen ein Astronom sein, aber wie ein berühmter seht Ihr mir denn doch nicht aus. Was wollt Ihr denn hier in dieser Gegend als Astronom?«
»Ich suche einen Kometen, welcher mir durchgebrannt ist. Ich hatte ihn bereits vor dem Rohre, plötzlich aber war er fort.«
»So ist seine Umlaufgeschwindigkeit eine ganz außerordentliche. Wenn Ihr mir diesen Fall genauer vortragt, kann ich Euch vielleicht einen guten Rath geben.«
»Ich hoffe es. Ich suche den Kometen nämlich nirgends anders als bei Euch.«
»Vielleicht finden wir ihn. Ich bin gern bereit, Euch mit meiner Wissenschaft zu unterstützen. Auch Euren Porter sollt Ihr haben; aber ich setze voraus, daß Ihr das Examen bestehen und meine Fragen beantworten werdet!«
»Na, so fragt einmal los!«
Er kreuzte die Arme über der Brust und legte das eine Bein über das andere wie Einer, welcher sagen will: Jetzt kann es beginnen. Sie trat zu ihrem Tische, ergriff das Thonstück, an welchem sie nun bereits so lange herumgeklitscht und herumgeklatscht hatte, hielt es ihm hin und fragte:
»Was ist das?«
Er betrachtete den Gegenstand von allen Seiten, brummte nachdenklich vor sich hin und antwortete:
»Das soll jedenfalls ein Kopf werden.«
»Ja, aber was für einer?«
»Ein Schafskopf!«
Sie schlug beide Hände zusammen. Um das thun zu können, hatte sie natürlich vorher das Modell fallen lassen müssen. Darauf achtete sie aber zunächst gar nicht. Sie war so empört, daß sie in den ersten Augenblicken gar keine Worte finden konnte. Dann aber brach sie los:
»Was? Wie? Ein Schafskopf? Hört, hört, ein Schafskopf! Ihr selbst seid Schafskopf und zwar ein doppelter und zehnfacher Schafskopf, Ihr Esel Ihr! Ein Astronom wollt Ihr sein? Ich glaube, Ihr seid aus einem Irrenhause entsprungen. Und dabei setzt Ihr Euch in Positur, mit einer Geberde, als wenn Ihr die schwersten Fragen beantworten und die schwierigsten Probleme lösen könntet! Nicht eine Frage könnt Ihr beantworten, nicht eine einzige! Ich werde es gleich beweisen. Sagt mir doch einmal, welcher Unterschied ist zwischen einem Dampfschiffe und anderthalb Meilen Urwald?«
»Das Dampfschiff spukt Euch hinter der Stirn, den Urwald aber habt Ihr unter der Nase.«
»Wie? Wo? Was?«
»Nun, Ihr gebt doch wohl zu, daß Ihr einen ganz ansehnlichen Schnurrbart habt?«
»Ich – einen – – Schnurr – –!«
Sie sank auf den nächsten Stuhl nieder, ächzte und stöhnte eine Weile, sprang dann empor und rief:
»Das wagt Ihr, mir zu sagen, mir, der gelehrten Emeria! Ich einen Schnurrbart! Ich, ich, ich! Und der Kopf meines angebeteten Heulmeier soll ein Schafskopf sein! Man sollte – –«
»Heulmeier?« fiel Sam ihr in die Rede. »Ja, das stimmt, das stimmt sehr genau. Dieser Kopf war ganz gewiß ein Heulmeierkopf!«
Er hatte das gesagt, um sie noch mehr in Harnisch zu bringen, darum war er sehr erstaunt, daß seine Worte eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervorbrachten. Ihr Gesicht glättete sich plötzlich und nahm den Ausdruck freudigster Spannung an; ihre Hände, welche sie bereits geballt hatte, wie um auf ihn einzuschlagen, sanken wieder herab, und in einem Tone, dessen freundlicher Klang gegen den vorigen wunderbar abstach, sagte sie zu ihm:
»Ein Heulmeierkopf meint Ihr?«
»Ja; das ist das richtige Wort. Der Kopf sieht ganz und gar heulmeierlich aus.«
»Kennt Ihr denn Heulmeier?«
»Ja, freilich,« antwortete er, da ihm sonst eine andere Antwort nicht gleich auf die Lippen wollte.
»Meinen Geliebten?«
»Ist er Euer Geliebter?«
»Ja, er war es und er ist es noch. Er ist die Sonne meiner Tage und der Mond meiner Nächte, das Brod meines Hungers und das Wasser meines Durstes. Ihr kennt ihn? Wo habt Ihr ihn denn kennen gelernt?«
Heulmeier ist ein deutsches Wort. Darum antwortete Sam dreist:
»Drüben in Deutschland.«
»Ah! So wart Ihr drüben?«
»Ich bin ja ein Deutscher.«
»Ihr ein Germano, ein Allemanneo?«
»Natürlich.«
»Ein Deutscher! Und ich bin so zornig auf Euch gewesen. Das thut mir leid!«
»Ja, freilich! Ihr habt mich sehr beleidigt und ich meinte es doch so gut mit Euch.«
»Das glaube ich. Ihr kennt meinen Heulmeier, also müßt Ihr es sehr gut mit mir meinen. Nicht wahr, er ist Professor?«
»Ja.«
»Der Zoologie?«
»Natürlich, der Zoologie, und zugleich Rector der Universität meiner Vaterstadt.«
»Wie heißt diese Stadt?«
»Herlasgrün.«
»Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»Nicht? Nie? Das ist zu verwundern! Ihr, die gelehrte Emeria, habt den Namen dieser berühmten Haupt- und Residenzstadt noch nicht gehört?« Da hört freilich das Hören auf, denn das ist unerhört.«
So durfte sie sich doch nicht blamiren, darum that sie, als ob sie sich jetzt eben erst besinne:
»Ach, richtig! Jetzt fällt es mir ein! Diese berühmte Stadt Her – her – – her – –«
»Herlasgrün!«
»Ist die Haupt- und Residenzstadt von – von – von –«
»Von Ober-, Mittel- und Niederoderwitz.«
»Richtig! Eine spanische Zunge kann diese deutschen Namen nicht gut aussprechen. Also Professor und Rector der Universität! Ja, das stand zu erwarten. Ist er verheirathet?«
»Nein.«
»Nicht? Oh, oh!«
»Er heirathet nie. Wenn ich ihn ja einmal fragte, ob er sich nicht nach einer weiblichen Xantippe umsehen wolle, so schüttelte er stets den Kopf und sagte mir, daß er sein Herz in Amerika gelassen habe.«
»In – – Amerika!« flötete sie. »Sein Herz! Hat er Euch keinen Namen genannt?«
»Sehr oft, ich habe ihn mir aber nicht gemerkt. Es war wie Emeritus oder Emerenzia oder Emaille!«
»Emeria?«
»Ja, ja, Emeria!«
»O, Ihr zehntausend Nothhelfer! Das bin ich! Seine Emeria! Er hat sein Herz bei mir gelassen! Also Ihr kennt ihn genau? Wirklich?«
»Natürlich! Wir sind ja Collegen! Ich bin Professor der Astronomie an derselben Universität. Wir theilen uns in das Geschäft. Er hat die zoologische Himmelsgegend: Widder, Stier, Krebs, Löwe, Schlange, Scorpion und so weiter. Die anderen Sterne aber bearbeite ich. Und wie!«
»Ja, ja, das stimmt! Er war ein Thierfreund.«
»Ja, die Wissenschaft darf nicht stehen bleiben; sie muß immer vorwärts schreiten.«
»Ganz recht. Auch ich bin vorwärts geschritten, genau auf dem Wege, welchen er mir einst vorgezeichnet hat. Aber, konnte er denn nie wieder nach Amerika?«
»Nein, das war nicht möglich.«
»Warum?«
»Er hat ein Leiden, welches zwar an und für sich nichts zu sagen hat, zur See aber gefährlich wird. Es ist die Bauchwassersucht. Während der Seereise würde er, ringsum von Wasser umgeben, so viel Wasser in sich hineinziehen, daß er zerplatzte, ehe er nach Amerika käme. Zu Lande hat es nichts auf sich. Da wird das Wasser wöchentlich abgezapft. Man nennt das Aqua destillate und braucht es bei der Syrupfabrikation.«
»So konnte er wenigstens einmal schreiben.«
»Das hat er gethan und das thut er noch. Er hat aber so ungeheuer viel zu sagen, daß er mit seinem Briefe bis dato noch nicht fertig geworden ist. Darum bat er mich, mich nach Euch zu erkundigen.«
»Hat er Euch darum gebeten? Wirklich?«
»Gewiß, Sennorita.«
»Und was sollt Ihr mir sagen, falls Ihr mich findet?«
»Daß er jetzt eine Papierfabrik gebaut hat, um genug Papier für die Gedichte zu haben, welche er nächtlicher Weile auf Euch macht.«
»Und wie! Wie ein Herkules.«
»Und auf mich, auf mich! Sennor, wie nenne ich Euch?«
»Barth ist mein Name.«
»Also Sennor Professor Barth.«
»Ja, das genügt, obgleich ich noch verschiedene andere Titel besitze, auf welche ich mir aber nicht viel einbilde, zum Beispiele auf diejenigen, welche vorhin Ihr mir gabt, Sennorita.«
»Welche meint Ihr?«
»Schafskopf und Esel.«
»Ihr vergeßt, daß Ihr die Büste meines Heulmeier mit einem Schafskopfe verwechselt habt.«
»So war es nicht gemeint. Ich hätte nicht Schafskopf sondern ›Widder‹ sagen sollen. Weil Heulmeier Zoologe ist, hat man ihm diesen zoologischen Namen gegeben.«
»So habe ich Euch also vollständig mißverstanden?«
»Ja, vollständig. Desto bessere Freunde aber sind wir nun jetzt, wie ich hoffe.«
»Ja, Freunde sind wir! Nur der Tod soll uns trennen, mein bester Sennor Barth!«
»Nein, nein! So lange darf ich mich hier doch wohl nicht verweilen, meine theure Sennorita. Ihr vergeßt ganz, daß ich doch meinen Kometen suchen muß.«
»Ich werde Euch ja dabei helfen. Bis wir ihn gefunden haben, bleibt Ihr bei mir!«
»Darauf könnte ich eher eingehen, wenn ich nicht gezwungen wäre, die Zustimmung Anderer einzuholen.«
»Seid Ihr denn noch von Anderen abhängig?«
»Freilich. Ich habe Reisegefährten.«
»Wer sind sie?«
»Einige sehr ehrenwerthe Herren, welche ich Euch nachher vorstellen werde.«
»Kommen sie denn hierher?«
»Ich hoffe es, denn sie suchen auch nach dem betreffenden Kometen. Aber wir vergessen ganz das Porterbier, welches ich trinken wollte.«
»Das will ich sogleich holen, schnell, schnell!«
»Aber habe ich denn das Examen bestanden?«
»Ganz vortrefflich!«
Sie eilte fort.
»Die ist verrückt und obendrein auch noch übergeschnappt,« murmelte Sam. »Das Frauenzimmer dauert mich. Mit einer so unglücklichen Person soll man keinen Unsinn treiben. Aber erst überraschte es mich und sodann kam mir der Gedanke, daß sie uns nützlich sein kann. Jedenfalls steckt der Kerl hier im Hause. Sein Pferd ist erst draußen angebunden gewesen, und dann hat er es hereingeschafft. Werden sehen!«
Sie brachte ihm die Flasche Porter und er trank sie gleich auf einen Zug aus. Als er nach dem Preise fragte und das Geld hinlegte, wollte sie es nicht nehmen. Er mußte sie fast dazu zwingen.
»Nehmt es nur,« sagte er. »Ich lasse mir nicht gern Etwas schenken, und ein Professor der Astronomie bezieht ein solches Einkommen, daß er sein Bier schon noch bezahlen kann. Wenn Ihr mir einen Gefallen thun wollt, so kann das ja auf andere Weise geschehen.«
»Sehr gern. Sagt mir nur, wie!«
»Nun, würdet Ihr mir wohl Auskunft ertheilen, wer sich jetzt in diesem Augenblicke in Eurem Hause befindet?«
»Natürlich!«
»Nun, wer ist es?«
»Ich, Petro, mein Peon, und Henriettina, meine Magd.«
»Kein Gast, der erst vor Kurzem gekommen ist?«
»Doch, doch! An ihn dachte ich gar nicht. Ein deutscher Sennor ist da; er heißt Sennor Günther.«
»Günther? Deutsch? Hm! Wann kam er?«
»Vor zwei Stunden.«
»Das wäre möglich. Zu Pferde?«
»Nein, sondern zu Fuß.«
»Hm! Das stimmt nicht. Wo ist er?«
»Er hat sich bei mir eingemiethet, droben eine Treppe hoch in dem Giebelstübchen.«
»Wunderlich! Ich dachte, er wäre zu Pferde gekommen?«
»Nein. Er hatte weder Thier noch Gepäck.«
»Ist denn nicht auch ein Reiter dagewesen?«
»O doch. Er kam vor ungefähr dreiviertel Stunden und ging kurz bevor Ihr kamt.«
»Sein Pferd war draußen angebunden?«
»Ja.«
»Dann zog er es in das Haus?«
»Ja, wie ich glaube; er befürchtete nämlich, als Ihr kamt, daß Ihr ihn – –«
Sie hielt inne. Es fiel ihr jetzt ein, daß sie ja nichts sagen solle.
»Nun, er befürchtete, als ich kam – was denn?«
»Daß Ihr ihn sehen würdet.«
»Hm! Sehr gut! Wo steckt er jetzt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hört, Sennorita, macht mir keine Flausen! Er hat das Pferd hereingezogen und wird also wohl auch selbst in dem Hause sein.«
»Ich glaube nicht.«
»Ich aber glaube es. Es wäre viel besser, wenn Ihr mir ganz aufrichtig die Wahrheit sagtet.«
»Ich sage sie ja. Er ist nicht mehr hier.«
»Ich darf nicht sprechen.«
»Dann sind wir allerdings gute Freunde gewesen!«
»Nehmt es mir nicht übel, Sennor! Die Beiden waren Freunde eines Mannes, dem ich sehr verpflichtet bin. Sie gingen, als sie Euch kommen sahen, und haben mir verboten, von ihnen zu sprechen.«
»Zwei waren es?«
»Ja. Einer war bereits da, als der Reiter kam.«
»Heißt der Sennor, welchem Ihr so sehr verpflichtet seid, vielleicht Robin?«
»Ja.«
»Das genügt. Aber Ihr erlaubt mir vielleicht, mich einmal in Eurem Hofe umzusehen?«
»So viel es Euch beliebt.«
»Schön! Holt mir inzwischen noch eine Flasche Porter. Die Sache scheint warm werden zu wollen, da ist es besser, man stärkt sich vorher als hinterher.«
Er verließ das Zimmer und sie ging auch hinaus, um das Bier zu holen. Eben als sie es gebracht hatte und auf den Tisch stellte, kam abermals ein Reiter. Es war der Häuptling der Apachen. Er war auf einem andern Wege als Sam aus der Stadt gekommen. Ihm genügte es, das Pferd des Dicken vor der Thür zu sehen. Er band das seinige daneben an und kam in die Stube.
» Dios!« grüßte er kurz.
Dann setzte er sich an den Tisch, an welchem auch Sam gesessen hatte.
Die Sennorita sah natürlich, daß sie es mit einem Indianer zu thun hatte. Das ist aber in jener Gegend keine Seltenheit. Darum empfand sie auch nicht etwa Angst vor ihm. Sie gab ihm einen verweisenden Wink und erklärte:
»Dort sitzt bereits ein Sennor.«
Der Rothe nickte schweigend.
»Ich bitte Euch also, Euch an einen anderen Tisch zu setzen.«
Der Rothe schüttelte schweigend.
»Habt Ihr es gehört?«
Er nickte.
»So thut doch auch, was ich Euch sage!«
Er ergriff die Flasche, deren Stöpsel die Sennorita bereits für Sam geöffnet hatte.
»Halt!« rief sie. »Die gehört dem anderen Gaste.«
Er führte trotzdem die Flasche an den Mund.
Da sprang sie herbei und wollte sie ihm nehmen. Sie ergriff seine beiden Hände, um sie mit der Flasche von seinen Lippen wegzuziehen. Er setzte die Flasche langsam ab, stellte sie auf den Tisch, schüttelte die Hände der Sennorita von sich, ergriff diese Letztere bei den Schultern und drückte sie, ohne aber ein einziges Wort dabei zu sagen, mit solchem Nachdrucke auf den Boden nieder, daß sie grad und direct auf den Thonklos zu sitzen kam, welcher noch an derselben Stelle lag, wo er ihr entfallen war, als Sam den Kopf ihres Angebeteten einen Schafskopf genannt hatte. Dann griff der Apache wieder nach der Flasche, führte sie an die Lippen und trank sie aus.
Der Sennorita schien die Fähigkeit, sich bewegen zu können, ganz und gar abhanden gekommen zu sein. Sie blieb mit ausgespreizten Armen und Beinen eine ganze Weile sitzen, hatte den Mund offen und hielt die Augen entsetzt auf den Häuptling gerichtet, welcher sich ganz ruhig auf den Stuhl wieder niedergelassen hatte und gar nicht mehr auf sie zu achten schien.
Dann aber kam es plötzlich über sie, als ob sie auf einer Spannfeder gesessen habe. Sie schnellte empor, streckte ihm die geballten Fäuste entgegen und rief mit vor Zorn bebender Stimme:
»Mir das? Mir?«
Er nickte.
»Mir, der gelehrten Sennorita Emeria! Ist das nicht unerhört, nicht schändlich?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nicht? Was? Also nicht? Wißt Ihr, wer und was ich bin? Ich, eine Künstlerin, eine Gelehrte, soll mich von einem Menschen, der nur ein wilder Indianer ist, in dieser Weise – ooooh! Brrrrr!«
Sie konnte nicht weiter. Der Apache war mit blitzartiger Schnelligkeit an ihrem Tische, ergriff das Wassergefäß, in welches sie den Hader beim Modelliren getaucht hatte, und goß ihr den ganzen weißgrauen, thonigen und schlammigen Inhalt über den Kopf. Das Gefäß selbst stülpte er ihr dann noch oben darauf.
»Abkühlen!« sagte er.
Im nächsten Augenblick saß er wieder ruhig auf dem Stuhle, als ob gar nichts vorgefallen sei.
War sie vorhin ihrer Sprache beraubt gewesen, so dauerte dies jetzt noch länger, ehe sie dieselbe wiederfand. Ihr Anblick war freilich zum Malen. Erst schon voller Thonflecke, tropfte sie jetzt von oben bis unten von der triefenden Brühe. Diese war ihr in die Augen, den Mund und die Nase gedrungen. Sie pustete, hustete, nießte und schüttelte sich. Um die Nässe wenigstens aus dem Gesichte schnell los zu werden, hob sie das schwarze Kleid empor und wischte sich damit Kopf, Stirn, Wangen, Kinn und Hals ab. Jetzt nun bekam sie die Augen frei. Jetzt konnte sie sehen und nun vermochte sie auch wieder zu sprechen:
»So Etwas! So Etwas!« keuchte sie. »Ein Ueberfall! Eine schändliche Beleidigung und Behandlung! Ich werde meinen Peon herein rufen. Und dann, wenn erst mein Freund, der Professor Barth kommt, so werden Beide mich rächen. Noch weiß ich nicht einmal, ob Ihr das Bier bezahlen könnt, welches – –«
»Pst!«
Es war nur dieser eine Laut, mit welchem er sie unterbrach; aber dies geschah in einer solchen Weise, daß ihr die Zunge sofort stille stand. Der Apache hatte so etwas Eigenes an sich. Ein einziger Blick von ihm wirkte mehr, als die lange Rede eines Andern.
Er griff in die Gürteltasche, zog einen kleinen gelben Gegenstand, der fast die doppelte Größe einer Erbse hatte, hervor und hielt ihr denselben hin.
»Bezahlen,« sagte er.
Sie warf einen Blick darauf und sofort erhellten sich ihre soeben noch so finsteren Gesichtszüge.
»Ein Nugget! Ah, von dieser Größe! Ich werde es sogleich wiegen und Euch das Uebrige nachher herausgeben. Das Bier kostet einen halben Dollar.«
An Orten, wo Goldgräber verkehren, bezahlen dieselben meist mit Goldstaub und Goldsand. In Folge dessen befindet sich jeder Geschäftsmann im Besitze einer Goldwaage. Das war auch bei der Wirthin der Fall. Sie wog das Nugget, zog den halben Dollar von dem Werthe des Goldes ab und zählte dem Apachen das Uebrige auf den Tisch.
»Dreck!« sagte er verächtlich und strich mit dem Arme das Geld vom Tische herab, daß es auf die Diele fiel.
»Herrgott! Ihr werft es herunter!« rief sie.
Er nickte.
»So viel! Es sind vier und ein halber Dollar!«
Er zuckte geringschätzig die Achsel.
»Wollt Ihr es denn nicht haben?«
Er schüttelte den Kopf.
»Darf ich es für mich nehmen?«
»Für das Abkühlen!«
Das war ihr natürlich sehr lieb. Sie hob das Geld auf und steckte es ein. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß abermals ein Reiter angekommen war, der draußen sein Pferd angebunden hatte und jetzt hereintrat. Steinbach war es.
Heute Morgen hatten die Verfolger bemerkt, daß Roulin eine Finte geritten war, um sie irre zu führen. Um ihn ganz sicher zu bekommen, hatten sie sich getrennt. Ein Ort, an welchem sie dann wieder zusammentreffen wollten, war gar nicht bestimmt worden. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß sie, die Fährte eines Mannes suchend, auf derselben sich wieder finden würden. Sam war der Glückliche von ihnen gewesen, welchen der Zufall zuerst auf diese Fährte geführt hatte, sodann der Apache und jetzt nun Steinbach.
Dieser hatte die Pferde Sams und der ›starken Hand‹ bereits von Weitem vor dem Hause stehen sehen und einen ihm begegnenden Mann gefragt, was für ein Haus dies sei. Der Gefragte hatte ihm eine sehr ausführliche Antwort ertheilt und ihm die Eigenthümlichkeiten der Wirthin so beschrieben, daß er genau wußte, woran er war.
Als er sie jetzt erblickte, hätte er am Liebsten laut auflachen mögen. Dennoch zwang er sich, ernst zu bleiben und grüßte im höflichsten Tone:
» Buenos dias, estimada Donna Emeria – guten Tag, hochverehrte Donna Emeria!«
Sofort glänzte ihr Gesicht vor hellem Entzücken.
» Buenos dias!« antwortete sie. »Willkommen, willkommen, Sennor! Wollt Ihr Euch nicht einen Platz suchen? Nicht hier bei dem Indianer, sondern dort auf dem Divan, welcher nur für Dons vorhanden ist!«
»Danke! Ich will nicht lange bleiben und werde mich doch zu diesem rothen Sennor setzen. Ich sehe, daß Ihr Porter habt. Darf ich um eine Flasche bitten?«
»Gewiß, gewiß! Gleich hole ich sie!«
Sie wollte hinaus, blieb aber an der Thür stehen. Es fiel ihr ein, daß dies das erste Mal sei, daß sie ohne Examen bedienen wolle. Durfte sie dies thun? Durfte sie von ihren Grundsätzen abweichen? Nein. Dieser Sennor hatte sie durch sein Aeußeres und seine Höflichkeit sofort für sich eingenommen, aber er mußte auch erfahren, daß er sich in der Venta der gelehrten Sennorita Emeria befand. Sie kehrte noch einmal um.
»Verzeiht vorher, Sennor!« sagte sie. »Ich pflege gern zu erfahren, weß Geistes Kind mein Gast ist. Ich bediene keine ungebildeten Leute. Obgleich nun in Beziehung auf Euch ein Zweifel gar nicht möglich ist, möchte ich Euch doch vier Fragen vorlegen.«
»Viere? Das ist viel. Wenn ich sie nicht beantworten kann, erhalte ich nichts?«
»Leider ist es so.«
»Nun, so muß ich mir Mühe geben. Bitte, zu fragen!«
»Schön! Also, welcher Diplomat der Jetztzeit ist wohl der geschickteste?«
»Sennorita Emeria.«
»Ich? Wieso?«
»Ihr zwingt Jedermann, Euch Rede und Antwort zu stehen, was andern Diplomaten nicht stets gelingt.«
»Sehr gut, sehr gut! Sogar ausgezeichnet! Ich will Euch aufrichtig gestehen, daß ich eine so überaus treffende und geistreiche Antwort noch auf keine meiner Fragen erhalten habe. Diese eine Antwort ist so schwer wie vier gewöhnliche gute Antworten. Ich verzichte also auf weitere Fragen. Ihr seid würdig, mein täglicher Stammgast zu sein. Was habt Ihr mir für Befehle zu ertheilen?«
»Ich bitte, wie bereits vorhin, um einen Porter.«
»Er kommt, er kommt! Er soll förmlich herbei fliegen!«
Sie eilte fort.
»Krank im Kopf!« sagte der Apache.
»Wo ist Sam?«
»Draußen.«
»Was thut er?«
»Werden es hören.«
Die Wirthin kehrte wirklich schnell zurück. Es war ihr unterwegs eingefallen, daß ihr Aeußeres jetzt eigentlich ein etwas ungewöhnliches sei, und sie hielt es für nöthig, einem so höflichen Gaste gegenüber sich zu entschuldigen. Sie that das in ihrer eigenartigen Weise. Sie stellte sich vor ihn hin und fragte:
»Sennor, wie gefalle ich Euch?«
Er betrachtete sie mit ernster Miene und antwortete:
»So stelle ich mir eine Künstlerin vor, die –«
»Bin ich auch, bin ich auch,« fiel sie schnell ein.
»Die das Genie besitzt, einem Stücke spröder Erde geistiges Leben einzuhauchen.«
»Das thue ich, ja, das thue ich!«
Sie bückte sich zum Boden nieder und hob den Thonklos auf, welcher, seit sie darauf gesessen hatte, dem beabsichtigten Kopfe noch viel unähnlicher geworden war. Ihn Steinbach hinhaltend, fuhr sie fort:
»Seht hier eine Probe, Sennor. Was ist das?«
Er kam in die allergrößte Verlegenheit. Zum Glücke fiel sein Blick auf ihren Tisch. Er bemerkte, daß sie modellirt haben müsse und sah den gezeichneten Kopf dabei liegen. Darum wagte er die Antwort:
»Ein feiner Kopf von scharfer, geistreicher, seltener Zeichnung. Die Rundung noch Etwas zarter und das Profil ein Wenig ausgearbeiteter, dann wird es ein bewundernswerthes Meisterstück sein.«
»Seht, seht, wie Recht Ihr habt,« jauchzte sie förmlich auf. »Endlich, endlich finde ich einen Mann, der mich versteht! Einen gab es, Einen, der mich ebenso verstand. Der kann aber nie wieder zu mir, denn er leidet an der Bauchwassersucht!«
Steinbach hätte laut auflachen mögen, dennoch sagte er ernsthaft:
»Der Arme!«
»O nein! Nennt ihn nicht arm! Er ist von der Natur überschüttet mit Vorzügen des Geistes und des Körpers. Er ist mein Freund, mein Einziger, mein Ewiger! O Heulmeier, Heulmeier!«
Sie drückte den Klos an ihre Lippen.
»Heulmeier?« fragte Steinbach verwundert.
»Ja, Heulmeier! Er war Euch so ähnlich an Talent. Wundert Euch nicht, daß es Euch schwer fällt, diesen Namen auszusprechen! Heulmeier war ein Deutscher und alle diese Deutschen sind berühmte Zoologen.«
»Dann bin ich auch ein Zoolog. Ich bin Deutscher.«
»Ihr, auch Ihr? Ists möglich?«
»Ja, ich bin ein Germano.«
»Welch ein Tag! Ihr seid heute bereits der dritte Deutsche, den ich bei mir sehe. Wie ist Euer Name?«
»Steinbach.«
»Ein schöner Name, aber doch noch nicht so wohlklingend wie Heulmeier. Seid Ihr in Deutschland bekannt?«
»So ziemlich.«
»Kennt Ihr die dortigen Residenzen?«
»Alle.«
»So kennt Ihr auch wohl Her – her – – her – o, ich besinne mich nicht gleich. Die letzte Silbe war ›grün‹.«
Jetzt ging Steinbach ein Licht auf. Hier hatte jedenfalls der lustige Sam die Hand im Spiele.
»Herlasgrün etwa?« fragte er.
»Ja. Es ist die größte Haupt- und Residenzstadt, nicht wahr, Sennor?«
»Ja.«
»Und hat eine Universität?«
»Hm! Ja.«
»Dort ist – – aber wart Ihr dort?«
»Sehr oft.«
»So müßt Ihr auch Heulmeier gesehen haben.«
Er setzte sich den Fall zusammen. Zoolog, Universität – er war so kühn, zu fragen:
»Ihr meint den berühmten Professor Heulmeier, Professor der Zoologie?«
»Ja, und Rector der Universität. Sennor Professor Barth kennt ihn auch. Welch ein glücklicher Tag heute. Werdet Ihr einige Zeit in Prescott bleiben?«
»Vielleicht.«
»Wollt Ihr nicht bei mir logiren?«
»Habt Ihr Platz?«
»Für Euch gewiß. Ich habe zwar bereits einen Deutschen da, einen armen Goldsucher, welcher Günther heißt, aber für Euch ist auch noch Raum vorhanden.«
»Ich werde es mir überlegen. Wo befindet sich der Professor Barth, von welchem Ihr spracht?«
»Er ist im Hofe und sucht nach einem Reiter, welcher vorhin bei mir eingekehrt war.«
»Ist dieser Reiter noch da?«
»Nein. Er ist zu Sennor Robin, meinem Freunde, geritten.«
»Dieser Sennor ist Euer Freund?«
»Ja, ich bin ihm sehr verbunden.«
»Darf ich erfahren, warum?«
»Wegen einer Sennorita, einer nahen Verwandten von mir. Sie war ihren Eltern davongegangen, kam nach San Franzisko, dann nach Cincinnati und gar nach New-York. Sie wurde bei ihrer Rückkehr verstoßen und fand ein Asyl bei mir. Dann nahm Sennor Robin sie zu sich. Er hat ihr eine Existenz geboten. Darum schulde ich ihm großen Dank.«
»So ist sie seine Frau?«
»Nein, er heirathet nicht. Aber sie ist die Directrice seines Hauswesens. Sie ist eine große Schönheit. Sie hat mehrere Male Gelegenheit gehabt, eine ausgezeichnete Parthie zu machen; aber sie liebt die Freiheit. Sie hat mir viele Sorge gemacht, diese gute Donna Miranda; aber ich habe sie dennoch sehr lieb. Wenn Ihr bei mir bleibt, werdet Ihr sie wohl auch noch kennen lernen.«
»Wißt Ihr vielleicht, ob Sennor Robin heute in seinem Hause ist?«
»Ich glaube es. Er war gestern hier und hat von einer Reise nichts erwähnt. Wollt Ihr zu ihm?«
»Vielleicht. Kann man einen Führer finden?«
»Ihr braucht keinen. Ihr reitet die Straße fort, bis ein Weg rechts abgeht. Der Weg führt ganz untrüglich in die Berge und bis an Robin's Haus. Hoffentlich aber bleibt Ihr heute hier und reitet erst morgen zu ihm hinaus.«
Jetzt kam noch ein Vierter an, nämlich Wilkins. Damit die Wirthin nicht auch diesen ins Examen nehmen möge, erklärte Steinbach ihr, daß sie alle Vier Gefährten seien und daß er nur auf den Professor Barth warte, um bestimmen zu können, ob sie heute weiter zu reiten hätten oder sich ausruhen könnten. Sie war von dieser Aufklärung einigermaßen betroffen. Sie begann zu ahnen, daß es sich um eine für Robin nicht freundliche Angelegenheit handle, aber sie wagte es nicht, eine Bemerkung zu machen. Der wortkarge, ernste Apache hatte ihr nicht imponirt, wenn sie aber in das stets so freundliche Gesicht Steinbachs und auf seine imposante Gestalt blickte, so war es ihr, als ob sie einen Souverän vor sich habe, den man nur mit dem tiefsten Respecte behandeln dürfe.
Sie ließ darum die Gäste allein. Sie zog sich zurück, um ein anderes Gewand anzulegen und damit zu zeigen, daß sie so vornehmer Gäste auch wohl würdig sei.
Bald kam Sam zurück.
»Was habt Ihr denn eigentlich dieser armen Wirthin weiß gemacht?« fragte Steinbach. »Habt Ihr denn nicht bemerkt, daß sie schwachsinnig ist?«
»Sogar verrückt ist sie! Wer das nicht sofort bemerkt, der ist selbst verrückt.«
»Nun, über so unglückliche Menschen macht man sich doch nicht etwa lustig!«
»Habe ich das gethan?«
»Ja. Ihr habt Euch für einen Professor ausgegeben.«
»Das bin ich auch, wenn es auch der Vereinigten-Staaten-Congreß unterlassen hat, mir den betreffenden Titel zu geben. Ich bin Professor des ›Fernen Westens‹. Jim und Tim und viele Andere sind meine Schüler, meine Studenten gewesen. Aber auch davon abgesehen. Ich habe mich über die Wirthin keineswegs lustig gemacht. Ich bin nur einfach auf ihre Idee eingegangen, damit wir von ihr profitiren können.«
»War es dazu nothwendig, zu sagen, daß Herlasgrün eine Haupt- und Residenzstadt ist?«
»Ja.«
»Von welchem Reiche denn?«
»Von Ober-, Mittel- und Niederoderwitz.«
Jetzt mußte Steinbach selbst lachen. Dennoch meinte er, noch zürnend:
»Ihr seid ein lockerer Vogel, Sam!«
»Nagelt mich fest, dann bin ich nicht mehr locker. Uebrigens, laßt Euch erzählen!«
Er berichtete, was er hier erfahren hatte, und fuhr dann fort:
»Ich ging also nach dem Hofe, um das Pferd und auch den Reiter zu suchen. Beide sind aber nicht mehr da. Sie sind zu einer hinteren Thüre hinaus.«
»Der Kerl hat Euch wohl kommen sehen?«
»Jedenfalls. Der Kerl, welcher mit ihm ist, muß ein Verbündeter Walkers sein und unsere Wirthin steht mit ihnen im Bunde.«
»Nein. Sie weiß nicht, was für ein Schurke Walker ist. Er hat sie sich zu Dank verpflichtet.«
»Werden sehen. Uebrigens wäre ich beinahe wieder mit diesem Peon Petro in Prügelei gerathen; wir sind aber doch noch einig geworden. Er ist ein lustiger, braver Kerl. Der Magd Henriettina ist aber nicht zu trauen. Sie hat ein dickes, von Blatternarben zerrissenes Kürbißgesicht und einen falschen Blick. Hoffentlich legt sie mir nichts in den Weg, sonst kann es leicht werden, daß ich ihr die Schutzpocken impfe.«
»Jedenfalls haben wir mit diesen Leuten hier nichts mehr zu thun. Wir folgen Roulins Spuren und nehmen ihn und Walker fest. Die hiesige Venta geht uns nichts mehr an.«
»Ja, wenn nicht Einer sich hier befände, für den man sich interessiren möchte.«
»Wer ist das?«
»Jener Goldsucher Günther. Er kommt mir verdächtig vor. Warum miethet er sich hier ein? Ich hatte eigentlich die Absicht, ihn mir einmal anzusehen, aber da ich so viel Zeit versäumt hatte, um die Fährte ein Stück weit in's Feld zu verfolgen, so habe ich davon abgesehen.«
»So ganz Unrecht habt Ihr nicht. Ein Deutscher hier in Prescott! Jedenfalls ist das interessant genug, um ihn einmal zu begrüßen. Ich werde doch zu ihm gehen. Schaden kann es nichts.«
Er begab sich hinaus, stieg die Treppe hinan und klopfte an die Thür.
»Wer da?« fragte es erst nach einer Weile.
»Seid Ihr Sennor Günther?«
»Ja.«
»Bitte, öffnet doch einmal.«
»Was wollt Ihr? Kommt Ihr von Zimmermann?«
»Nein. Aber ich bin ein Deutscher und da ich höre, daß Ihr ein Landsmann seid, so wollte ich die Gelegenheit, Euch zu begrüßen, nicht vorübergehen lassen.«
»Vortrefflich! Ich öffne sogleich!«
Der Riegel wurde zurückgeschoben und die Thür aufgemacht. Günther stand unter derselben und sagte:
»Also ein Landsmann! Das freut mich, das – alle tausend Teufel! Oskar, Du!«
»Günther, Du?«
Sie standen sich einige Augenblicke vollständig betroffen gegenüber, dann aber lagen sie sich in den Armen.
»Herein, mein lieber, lieber Freund!« bat Günther, indem er Steinbach hineinzog. »Welch eine Ueberraschung! Wer hätte so Etwas für möglich gehalten!«
»Ich auch nicht. Zwar weiß ich, daß Du in Mittelamerika reisest, aber mit Dir zusammenzutreffen, daran habe ich nicht gedacht.«
»Laß Dich nur zunächst nieder! Ich werde sofort der Wirthin sagen, daß sie – –«
Er wollte rufen. Steinbach wehrte ihm.
»Halt! Nicht rufen! Die Wirthin soll lieber gar nicht merken, daß wir uns kennen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe meine triftigen Gründe. Also Du reisest incognito?«
»Natürlich. Ich habe mich meines Vor- als Zunamens bedient. Und Du?«
»Ich heiße Steinbach.«
»Wie in Afrika. Hast Du diplomatische Mission?«
»Halb und halb. Gedenkst Du, hier Rast zu machen?«
»Ja. Du doch auch?«
»Schwerlich. Ich habe hier in der Nähe ein Rencontre, welches mich zur schnellen Abreise veranlassen wird.«
»Kann ich Dir dienen?«
»Danke! Ich Dir vielleicht?«
»Schwerlich.«
»Bitte, nicht so wegwerfend! Du bist hier fremd!«
»Du doch ebenso!«
»Vielleicht nicht,« lächelte Steinbach. »Hast Du vielleicht einmal von dem berühmten Fürsten der Bleichgesichter gehört?«
»Ja, öfters.«
»Nun, der bin ich.«
»Was Du sagst! Nun ja, zu glauben ist es. Du bist eben ein ganz und gar außerordentlicher Mensch und hast dazu das Glück, daß Deine Verhältnisse sich ebenso außerordentlich gestalten. Wir Durchschnittsmenschen laufen nur so geradeaus.«
»Bedauerst Du das?«
»Gewiß. Ich ging aus, um Abenteuer zu erleben. Habe ich ein einziges gehabt? Nicht eins!«
»Du Aermster!«
»Ja. Ich habe gar nichts, gar nichts erlebt. Denn daß ich in San Franzisko mit einem Oelprinzen zusammentraf und ihm einige Dollars im Spiele abnahm, das ist doch nicht zu nennen.«
»Wenn es keine bedeutende Summe war!«
»Gar nicht! Lumpige Hundertzwanzigtausend!«
Er sagte das in kläglichem Tone. Steinbach lachte:
»Glückskind! Immer stets der Alte. Dein Glück ist wirklich bange machend.«
»Pah! Ich verzichte gern auf dasselbe. Ich bin ja reich genug. Glück im Spiele und Unglück in der Liebe. Ein altes aber wahres Wort. Ich wünsche wirklich sehr, daß es umgekehrt wäre.«
»Glück in der Liebe?«
»Ja.«
»Soll ich etwa glauben, daß Du endlich Feuer gefangen hast, Alter?«
»Feuer gefangen? Pah! Dieses Bild sagt nichts, sagt viel zu wenig für das, was ich da drin empfinde.«
Er schlug sich dabei an die Brust.
»Ich condolire!« lachte Steinbach.
»Lache immerhin! Du freilich bist gefeit gegen den Pfeil des Schalkes Amor. Du wirst niemals in die Lage kommen, Dich eines weiblichen Wesens wegen auf das Pfarramt zu bemühen.«
»Von Dir dachte ich ganz dasselbe.«
»Denken! Des Menschen Gedanken sind nichts, gar nichts. Sprechen wir nicht davon. Erzähle mir lieber Etwas von Deinen Erlebnissen!«
»Dazu habe ich wirklich keine Zeit!«
»Was? Dein bester, treuester Kamerad soll nichts erfahren von – –«
»Nein, ganz und gar nichts, wenigstens jetzt nicht. Meine Zeit ist mir so knapp zugemessen, daß ich mit Dir nur das Allernothwendigste besprechen kann, und das besteht doch wohl darin, daß wir uns sagen, was uns nach Prescott führt, was wir hier wollen. Ich wiederhole, daß ich Dir sehr gern meine Hilfe anbiete, wenn sie Dir genehm ist.«
»Danke! Mir kann keine Hilfe helfen.«
»Ich habe einige famose Kerls bei mir, berühmte Prairiejäger und Westläufer.«
»Ist mir Alles Schnuppe.«
»Hm! Du scheinst um Vieles anders geworden zu sein. Seit wann bist Du hier?«
»Seit gestern.«
»Erst? Woher kamst Du?«
»Von Yuma, da unten an der Süd-Pacificbahn.«
»Ah, das ist interessant. Was wolltest Du dort?«
»Ich wollte sie suchen.«
»Sie? Wen?«
»Na, sie natürlich! Bedarf es weiterer Worte?«
»Nein, nun nicht. Ist sie Dir abhanden gekommen?«
»Leider! Ich will nicht von ihr sprechen und Du bringst mich doch immer wieder auf sie.«
»Ich biete Dir Rath und That an.«
»Danke! Habe Dir bereits gesagt, daß mir Niemand helfen kann. Ueberhaupt feiern wir unser so unerwartetes Wiedersehen auf eine verteufelt triste Weise: keinen Wein, keine Cigarre, rein gar nichts.«
»Ist auch nicht nöthig. Wir treffen für einen Augenblick unterwegs, wie der wilde Jäger den ewigen Juden. Da bedarf es keiner großen Tafeleien. Also, wie lange bleibst Du?«
»Bis ich sie finde.«
»Sie und wieder sie!«
»Das ist einmal mein jetziges Schicksal. Ich sehe schon, daß ich Dir wenigstens eine Erklärung geben muß. Weißt Du, ich war bereits schon einmal nahe daran, mein altes Herz überrumpeln zu lassen. Du hast allerdings nichts geahnt, obgleich Du dabei warst.«
»Wann?«
»Kannst Du Dich noch jenes Malers Normann erinnern?«
»Sehr gut.«
»Du stelltest ihn mir vor. Ich besuchte ihn.«
»Ich war mit Dir.«
»Der Kerl war prächtig, aber er hatte einen Fehler, den ich ihm nicht verzeihen konnte.«
»Da bin ich neugierig.«
»Er hatte eine Verlobte. Das war sein Fehler.«
»Ah!«
»Ja. Sie hieß eigentlich wohl anders, aber er nannte sie mit dem türkischen Namen Tschita. Ich will sie nicht beschreiben. Du kennst sie ja. Mir schien es sogar, als hättest Du bei diesen Beiden ein Wenig Vorsehung gespielt; wenigstens brachten sie Dir eine sehr auffällige Zuneigung entgegen. Ich war Feuer und Flamme für diese wunderbare Tschita, durfte es mir aber nicht merken lassen, sie hatte ja einen Verlobten, und – was für mich noch weit schlimmer war – sie liebte ihn.«
»Und sogar von ganzem Herzen.«
»Das sah ich. Ich fühlte mich elend, so elend wie eine ganze Welt voll Katzenjammer. Es gefiel mir nichts mehr; es schmeckte mir nichts mehr, und es ging mir nichts mehr. Das mußte anders werden; ich wäre sonst zu Grunde gegangen. Ich ließ mir Urlaub geben und ging auf Reisen. Wohin, das war gleich. Zunächst aber dampfte ich nach Amerika.«
Steinbach schüttelte sehr ernst den Kopf und meinte:
»Also deshalb die damalige Störung Deines sonst so heiteren, selbstbewußten Wesens. Hm!«
»Ja, der von den Frauen umsonst umworbene Rittmeister Günther von Langendorff war verliebt, war liebeskrank! Lächerlich, brutal lächerlich! Na, ich glaubte, die Reise solle mich zerstreuen, hatte mich aber bedeutend geirrt. Die Liebe ist ein ganz eigenartiges Ding und nebenbei die dümmste Seelenerregung, die es nur geben kann. So hinkte und jammerte und klagte ich weiter und weiter, bis ich nach San Franzisko kam. Ich ließ mich nach dem Unionhotel fahren. Als ich die Treppe hinabstieg, kam Eine die Treppe herab – Tschita.«
»Unmöglich!«
»Das sage ich mir jetzt auch. Damals aber hielt ich sie für Tschita. Eine größere und wunderbarere Aehnlichkeit habe ich noch nie gesehen. Du kannst Dir denken, was passirte. ›Diese und keine Andere!‹ So heißts in Romanen und auf der Bühne und so hieß es auch bei mir. Lache mich aus!«
»Fällt mir nicht ein!«
»Schön, so lache mich nicht aus, sondern weine um mich!«
»Auch das thue ich nicht.«
»So laß Beides bleiben und thue ganz nach Deinem Wohlgefallen.«
»Wie wurde es weiter?«
»Triste und immer trister. Ich begegnete ihr am Abende im Treppenzuge. Es war mir, als ob ihr Auge auf mir ruhe. Ich redete sie an. Sie erröthete, antwortete aber nicht. Am nächsten Morgen war sie weg.«
»Fatal!«
»Ich fand ihre Spur und reiste ihr bis Sakramento nach. Dort sah ich sie. Alle Teufel! Am nächsten Tage war sie abermals fort!«
»Hm!«
»Ja, hm! Ich machte nicht blos hm! sondern ich fluchte ganz gehörig. Aber die Liebe ist beinahe allwissend. Ich kam noch einmal auf ihre Fährte und traf sie dann in Carson City. Da haben wir neben einander im Hotel gespeist. Ein Kerl saß bei ihr, der sie bewachte, wie der Teufel die Seele. Am Allerliebsten hätte ich ihn ausgehauen, aber nicht in Marmor, sondern mit der Reitpeitsche. Es gelang mir nur, heimlich um ihren Namen zu bitten.«
»Erfuhrst Du ihn?«
»Ja. Sie flüsterte ihn mir zu, erröthend, so lieblich, so unschuldig verlegen! Aber was half es! Am andern Morgen war sie abermals fort.«
»Das ist Pech!«
»Dieser verdammte Kerl hat Lunte gerochen!«
»Möglich. Hast doch den Namen gemerkt?«
»Besser wie meinen eigenen! Es war nur ein einfacher, bürgerlicher Name, aber er wird mir in die Ohren klingen, so lange ich lebe: Magda Hauser.«
Steinbach machte eine schnelle Bewegung.
»Was hast Du?« fragte Günther.
»Nichts weiter. Ich wundere mich nur, daß es ein deutscher Name ist.«
»Das gab und giebt auch mir zu denken. Jene Tschita war auch eine Deutsche. Ich habe mich gefragt, ob es Schwestern sind. Doch das nützt ja nichts. Sie ist fort, verschwunden.«
»Hast Du keine Spur gefunden?«
»Zwei für eine. Beide führten nach Süden. Da ich mich aber nicht theilen konnte, so engagirte ich einen Zweiten. Ich hatte einen jungen Deutschen kennen gelernt, der längere Zeit hier im Lande gelebt hat und dasselbe genau kennt, einen guten, braven Jungen, aber arm. Ihn schickte ich auf die eine Spur und ich selbst nahm die andere. Wir machten aus, uns nach Prescott Nachricht zu geben.«
Steinbach lächelte seit einiger Zeit vergnügt vor sich hin. Günther bemerkte dies gar nicht, sondern fuhr in mißmuthigem Tone fort:
»Ich bin der Fährte wie ein Hund gefolgt, bis hinab nach Yuma. Da hörte sie auf.«
»Ohne Alles?«
»Nein, sondern mit Brillantfeuerwerk und Tableau. Sie endete nämlich im Hause eines alten Spaniers, der sich eine junge Erzieherin für seine holden Rangen geholt hatte. Diesen Beiden war ich nachgelaufen. Hole sie der Teufel für jetzt und in alle Ewigkeit. Amen!«
»Und Dein Compagnon?«
»Der steckt irgendwo und läßt nichts von sich hören.«
»Vielleicht war seine Fährte auch eine falsche.«
»Möglich. Das kann mich aber nicht abhalten, weiter zu suchen. Ich höre nicht eher auf, als bis ich sie finde. Ich steige hinunter in den Krater des Vesuves und hinauf auf die Spitzen des Hymalaja. Ich renne nach Spitzbergen und laufe Schlittschuhe bis nach der Sahara. Ich schlage die ganze Menschheit todt, bis endlich mir Einer Auskunft gibt, wo ich sie finde.«
»War sie denn wirklich so schön?«
»Pah! Was nützen Worte? Ein Jeder hält eben die Seinige für die Schönste und Herrlichste.«
»Aber bürgerlich!«
»Ich heirathe sie und wenn sie im Bezirksarmenhause geboren wäre.«
»Ich kenne Dich nicht mehr.«
»Ich mich auch selbst nicht. Von Yuma bin ich mit der Diligence bis hierher. Ich dachte, den Kameraden zu treffen, und habe seit gestern nach ihm gesucht, aber vergebens. Er ist noch nicht hier.«
»So willst Du ihn also hier erwarten?«
»Natürlich.«
»Und quartierst Dich außerhalb der Stadt ein!«
»In der Stadt selbst würde er mich freilich leichter finden, wenn er kommt; aber die Venta dieser verrückten Emeria ist die anständigste. Hier trifft man das abenteuernde, spitzbübische Gesindel nicht, welchem man in den andern Häusern begegnet. Die Wirthin wurde mir von einem Bekannten empfohlen, einem Sennor Robin hier in der Nähe.«
»Was? Robin heißt er?«
»Ja. Welch ein Gesicht machst Du?«
»Er wohnt draußen in den Bergen?«
»Ein Wenig. Wie ist er denn eigentlich Dein Bekannter geworden?«
»Durch seine Wirthschafterin.«
»Etwa Miranda?«
»Ja. Auch sie kennst Du?«
»Ich habe sie noch nicht gesehen. Auf welche Weise hast Du denn die Bekanntschaft dieser Donna gemacht?«
»Sie war in Yuma gewesen und fuhr mit mir bis hierher. Wir kamen miteinander an. Da wir die einzigen Passagiere waren, so waren wir aufeinander angewiesen. Aus Höflichkeit begleitete ich sie nach unserer Ankunft hinaus nach ihrer Wohnung, wo sie mich Sennor Robin vorstellte.«
»Wie gefällt er Dir?«
»Er war außerordentlich höflich. Weiter weiß ich freilich nichts.«
»Und sie?«
»Hm! Mein Herz war bereits engagirt.«
»Das heißt, daß diese Miranda Dir hätte gefährlich werden können?«
»Meiner Ansicht nach wird sie einem Jeden gefährlich werden, wenn sie will.«
»So ist sie schön?«
»Wunderbar. Aber sie ist von einer Schönheit, die ich eigentlich nicht liebe. Sie ist sinnberückend, bethörend. Ihre Reize sind, wie drücke ich mich doch nur bezeichnend aus, sind aufdringlich. Interessirst Du Dich vielleicht für sie?«
»Ja.«
»Sapperment! Doch nur vorübergehend?«
»Jedenfalls.«
»Also Liaison! Wünsche Glück!«
»Danke, obgleich es nicht so ist, wie Du es meinst. Mein Interesse ist von ganz anderer Art. Diese Miranda ist nämlich Courtisane.«
»Alle Teufel! Wirklich?«
»Ja.«
»Woher weißt Du das?«
»Von ihrer Verwandten, der famosen Sennorita Emeria, welche es mir vorhin sagte.«
»Wie kann sie von einer Verwandten so Etwas sagen?«
»Sie hat es eben doch gethan. Diese Miranda ist ihren Eltern durchgebrannt.«
»Ich danke! Und da lud dieser Monsieur Robin mich ein, bei ihm zu bleiben, in seinem Hause zu wohnen. Das hätte einen Affront gegeben!«
»Einen Affront?« lachte Steinbach. »Hier? Wo denkst Du hin! Hier fragt kein Mensch nach so Etwas. Wer Geld hat und Geld verdient, der ist ein gesuchter Mann, seine anderen Verhältnisse gehen keinen Menschen Etwas an. Aber diese Angelegenheit hat eine andere Seite. Weiß dieser Robin vielleicht, daß Du im Besitze einer bedeutenden Summe bist?«
*