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Zum Verständnisse muß gesagt werden, daß die Indianer, ehe sie über einen Fluß setzen, stets erst einen Mann oder mehrere Männer hinüberschicken, um das Terrain zu recognosciren. Es ist das eigentlich ganz selbstverständlich und wird auch bei uns bei einem jeden Flußübergange gemacht, den das Militair unternimmt. Die Apachen und Maricopa's hatten es auch gethan. Der Kundschafter hatte die Gegend sicher gefunden und das Zeichen gegeben. Mittlerweile aber war die Yacht gekommen und hatte angelegt. Erst dann war sie vom Kundschafter bemerkt worden, und nun gab er durch den wiederholten Mövenschrei den Seinigen das Zeichen, schleunigst umzukehren, welches sie auch augenblicklich befolgten.
Der Häuptling, die ›starke Hand‹, hielt sich zwei Finger an den Mund und ahmte den Schrei des Kriegsadlers nach.
Der Kopf der Schlange stockte abermals. Noch ein solcher Schrei und er wendete sich wieder zurück in die vorige Richtung. Zu gleicher Zeit aber ertönte ein lautes, schrilles ›Hi-Hi!‹ aus dem Uferwalde heraus.
»Hi-Hi!« antworte der Häuptling.
Wenige Augenblicke später trat ein bis an die Zähne bewaffneter Apache zwischen den Bäumen hervor. Es war der ›flinke Hirsch‹, der Neffe des Häuptlings, welcher erst mit der ›Taube des Urwaldes‹ nach Mohawk-Station hatte gehen wollen, sich aber doch lieber den Kriegern angeschlossen hatte. Beide, er und der Häuptling hatten sich an dem ›Hi-Hi‹ erkannt.
Der junge Apache hatte noch kein Dampfschiff gesehen; aber er würdigte es scheinbar keines Blickes; er kam näher, die Augen auf den Häuptling gerichtet, um ihn zu begrüßen, und reichte dann auch Steinbach die Hand.
»Etwas passirt?« fragte der Letztere.
»Nein.«
»Seid Ihr gesehen worden?«
»Nein. Aber wir haben einen Kundschafter der Papago's gesehen.«
»Wo?«
»Jenseits des Wassers, beim Anbruche des Tage». Er ritt an uns vorüber, ohne uns zu bemerken.«
»Was muß das zu bedeuten haben? Ob die Papago's einen Ueberfall beabsichtigen? Wahrscheinlich will Walker zu ihnen. Sie können sich leicht zufälliger Weise treffen. Wie viele Apachen kommen?«
»Zehn mal zehn mal zwei Krieger.«
»Und Maricopa's?«
»Ebenso viele.«
»Also zusammen vierhundert Krieger. Das genügt auf alle Fälle. Sie gehen hier über den Fluß. Also hast Du einen lichten Platz entdeckt, wo sie sich versammeln können?«
»Er liegt ganz nahe von hier. Soll ich Dich führen?«
»Ja, führe uns!«
Der flinke Hirsch geleitete die ganze Gesellschaft nach dem betreffenden Orte. Man hatte von demselben einen freien Blick auf den Fluß. Der Lord stand da, beobachtete die Indianer, schüttelte den Kopf und sagte zu Steinbach:
»Das ist ein starkes Stück. Der Strom ist eine englische Meile breit, und diese Kerls schwimmen durch ihn. Das muß man bewundern.«
»Ihr werdet sie noch oft bewundern.«
»Freilich, zu Pferde wäre es noch schwieriger.«
»Zu Pferde? Ihr meint, sie sind als Fußgänger gekommen?«
»Ja. Ich sehe doch keine Pferde.«
»Nicht? Sir, seid Ihr blind?«
»Nein. Gott segne meine Augen! Sie sind sehr gut.«
»Es hat aber doch ein Jeder sein Pferd bei sich.«
»Oho! Macht keine Flunkerei! Ob ein Mann schwimmt, oder ob er zu Pferd durch den Fluß geht, das kenne ich.«
»Ah, Ihr meint, der Mann sitzt dabei auf dem Pferde?«
»Dann würden die Thiere freilich nicht einen so breiten Strom bewältigen können. Nein, seht hin. Ein Jeder hat den Schwanz seines Pferdes gepackt und schwimmt hinter demselben her.«
Der Lord nahm sein Fernglas zu Hilfe, überzeugte sich, daß Steinbach Recht hatte und sagte:
»Bei Gott, es ist wahr! Die Kerls halten den Schwanz des Pferdes fest. Aber wenn sie nun von dem Pferde geschlagen und verletzt werden!«
»Habt keine Sorge! Das geschieht niemals. Der Apache weiß, sich zu hüten.«
»Was haben denn die Kerls auf den Köpfen?«
»Ihre Waffen. Sie sind in ein Bündel geschnürt und auf den Kopf befestigt, damit sie nicht naß werden.«
Jetzt erreichte der erste Schwimmer das Ufer. Im nächsten Augenblicke saß er auch bereits auf dem Pferde und kam im Galopp herbeigesaust. So Einer nach dem Andern. Keinem Einzigen war die Anstrengung des Schwimmens anzusehen, und auch die Pferde schienen durch das Wasser nicht ermattet, sondern erfrischt zu sein.
Hinter den Apachen kamen die Maricopa, geführt von dem ›eisernen Mund‹, ihrem Häuptlinge.
Diese stattliche Schaar von vierhundert Kriegern nahm sich sehr gut aus. Die Augen des Lords leuchteten vor Freude; dennoch aber flüsterte er Sam zu:
»Denen im Walde begegnen – allein!«
»Weiter nichts!«
»Als Feind, meine ich.«
»Ist auch weiter nichts.«
»Wie? Meint Ihr, daß man entkommen könne?«
»Nein. Sie schinden Einen zu Tode und nehmen den Scalp.«
»Und das nennt Ihr weiter nichts?«
»Ja. Denn so Etwas kommt hier täglich vor.«
»Danke sehr!«
»Hm! Ihr wollt Büffel und Bären jagen? So ein Thier ist gefährlicher als ein Indianer.«
»Das will mir nicht einleuchten. Aber sagt, was wollen alle diese Krieger hier?«
»Einen Rachezug nach dem Todesthale.«
»Rachezug! Todesthal? Brrrr! Das klingt ja wie eine Scene aus dem Freischütz, wo Bleikugeln gegossen werden und Teufel und Ungethüme durch die Lust fliegen. Ich glaube, der ewige Jäger und der wilde Jude sind auch dabei. Aber trotzdem gehe ich mit.«
»Zum Freischütz?«
»Nein, ins Todesthal. Warum trägt das Thal diesen Namen?«
»Gewiß weiß ich es nicht; aber ich glaube, daß der Tod auf irgend einer Geschäftsreise dort verunglückt und den Hals gebrochen hat. Man hat ihn gleich an der Unglücksstelle begraben. Es ist ein Thal und heißt also das Todesthal.«
Der Lord sah den Dicken einen Augenblick lang in die lustig blinzelnden Aeuglein.
In diesem Augenblick ruft Steinbach die Beiden und die Häupter der Rothen zu einer Berathung zusammen.
Die Leute erfuhren, daß Wilkins mit seinen Begleitern in Gefangenschaft gerathen sei und sich auf dem Segelboote befänden. Die Apachen geriethen in einen unbeschreiblichen Zorn darüber. Die Taube des Urwaldes war ihnen nicht nur lieb, sondern sie galt ihnen sogar für unantastbar, für heilig. Hätte sich jetzt das Boot auf dem Wasser sehen lassen, so hätten sie alle sich sofort in den Strom gestürzt, um die Schmach zu rächen.
Das Resultat der nun folgenden Unterredung war, daß Steinbach seinen bereits begonnenen Plan ausführen solle, um das Boot aufzufinden. Die Indianer wollten unterdessen so nahe am Wasser, als der dichte Wuchs der Pflanzen ihnen erlaubte, stromabwärts reiten und möglichst mit dem Dampfer Fühlung behalten, um, falls das Boot entdeckt werde, sofort zur Bestrafung der Schuldigen bei der Hand zu sein. Sie ritten sofort ab.
In Kurzem war der Kahn so weit fertig gestellt, daß er ganz täuschend das Aussehen einer schwimmenden Pflanzeninsel hatte. Ein weißgegerbtes Stück Leder, welches die Häuptlinge stets bei sich zu haben pflegen, um es im Kriegsfalle als Friedens- oder Parlamentairflagge zu gebrauchen, sollte dem Dampfer als Zeichen dienen, daß man das Segelboot entdeckt habe und daß die Besatzung der Dacht herbeieilen möge.
»Es ist nur zu verwundern, daß das Segelboot ein Bayou gefunden hat. Man sollte meinen, daß dieser Master Forner, welcher doch als Bootsmann zu dem Fahrzeuge gehört, das Bayou auch kennen müsse.«
»Was das betrifft,« antwortete Forner, »so müßt Ihr beherzigen, daß wir uns nicht in Altengland oder Deutschland befinden. Das Geringste wird dort sofort veröffentlicht, und wenn Einer ein Hühnerauge, welches sich ein Anderer hat operiren lassen, auf der Straße findet, so läßt er es sogleich in allen Blättern bekannt machen. Hier bei uns ist es anders. Ein gutes Versteck kann Jeden von großem Nutzen sein. Wer ein solches findet, der sagt keinem Menschen Etwas davon. Ich kenne mehrere Bayoux, von denen kein Anderer eine Ahnung hat, und benutze sie unter Umständen, was nicht möglich wäre, wenn Andre auch davon wüßten. Jedenfalls hat sich, als man uns bemerkte, ein Bayou grad in der Nähe gefunden, welches der Steuermann oder einer der Bootsleute kannte. Ich zweifle leider sehr, daß wir es finden werden.«
»Wollen sehen,« lachte Sam. »Ich bin nicht blind und habe nicht die Gewohnheit, an Leuten vorüber zu gehen, mit denen ich reden möchte. Vorwärts jetzt!«
Das Boot war, wie bereits erwähnt, auf der Backbordseite ziemlich offen gelassen worden. Dort krochen Steinbach und Sam unter die Decke hinein. Sie bereiteten ihre Decken aus, um es bequemer zu haben, und legten sich lang darauf. Sie konnten ja nicht sitzen. So hoch hatte man die Maskirung des Bootes nicht machen können. In Folge dessen und weil sie nach vorn keinen Ausschau hatten, konnten sie das Steuer nicht bedienen.
Der Häuptling stieg in das Wasser, kroch unter die Pflanzendecke und ergriff den hinteren Rand des Bootes. So konnte er, unter der Decke schwimmend, dem Fahrzeuge die gewünschte Richtung geben. Da, wo sich sein Kopf befand, wurde die künstliche Insel ein Wenig erhöht und in dieser Erhöhung eine genügend große Oeffnung angebracht, so daß er nach vorn einen guten Ausguck hatte. Daß er ermatten würde, war gar nicht zu befürchten; er besaß große Körperkraft und Ausdauer, war ein ausgezeichneter Schwimmer und konnte sich ja nöthigenfalls von dem Boote treiben lassen.
Jetzt gingen die Andern an Bord des Dampfers.
»Aber Vorsicht!« rief ihnen Steinbach aus seinem Verstecke zu. »Ihr müßt auf Deck so stehen, als ob Eure ganze Aufmerksamkeit gegen das andere Ufer gerichtet sei.«
»Wir müssen doch aber Euch beobachten!«
»Dazu genügt Einer. Er legt sich auf das Deck, um nicht leicht gesehen zu werden, und folgt unserm Boote mit dem Fernrohre. Wenn wir mit dem weißen Leder das Zeichen geben, fahrt Ihr noch eine kurze Strecke stromab und kommt dann an die Stelle herüber, an welcher wir angelegt haben. Nun vorwärts!«
Der Dampfer wendete und steuerte quer über den Fluß nach dem linken Ufer hinüber, zu dem er sich in möglichster Nähe hielt. Nun setzte sich auch das Boot in Bewegung.
Es ist schwer, ein unbekanntes Bayou zu entdecken, dessen Eingang durch Pflanzen verhüllt ist. Es muß da auf die geringste Kleinigkeit Achtung gegeben werden, und dabei ermüdet sehr leicht auch das schärfste Auge.
Leise sich ihre Bemerkungen zuflüsternd, verwendeten sie keinen Blick von ihrem Ufer. Es verging eine lange Zeit, welche ihnen doppelt lang wurde, weil alle ihre gespannte Aufmerksamkeit ohne Resultat blieb. Zweige und Blätter, welche bis an und in das Wasser reichten, das war Alles, was sie sahen. Wer hatte ein Auge von solcher Schärfe und Ausdauer, um aus diesem unendlichen Gewirr ein vielleicht verschwindend kleines Zeichen heraus zu finden.
»Leider haben wir das Boot nicht gesehen,« meinte Sam, ein Wenig gähnend. »Ich möchte wissen, wie groß und hoch es ist.«
»Bei der Zahl seiner Insassen vermuthe ich, daß es verdeckt ist und eine erhöhte Cajüte hat.«
»Dazu der Mast. Hm! Wollt Ihr vielleicht annehmen, daß die Kerls in das Bayou gesegelt sind?«
»Nein. Sie wären hängen geblieben. Sie haben auf alle Fälle den Mast niederlegen müssen.«
»Und sich also mit Stangen in das Versteck geschoben. Aber dennoch kann das bei einem Boots mit hohem Deck und Cajüte nicht anders geschehen, als daß einige Aeste oder Zweige abgebrochen werden. Auf solche haben wir besonders Acht zu geben.«
»Natürlich. Wo die Bruchstellen der Aeste so sind, daß der Bruch vor kurzer Zeit geschehen ist, da haben wir unser Wild zu suchen. Halten wir die Augen offen!«
So schwammen sie weiter und weiter. Es war, als ob die Zeit kleinere Flügel hatte. Keiner sprach ein Wort. Da, ganz unerwartet, raunte Steinbach dem lenkenden Apachen zu:
»Näher an das Ufer und langsamer, viel langsamer!«
Der Apache folgte der Weisung. Er hatte ziemlich wagerecht im Wasser gelegen, ließ aber den Körper nun sinken, so daß derselbe eine senkrechte Stellung einnahm und das Boot so in der Bewegung hinderte, daß es zu stehen schien und nur ganz und gar unmerklich vorwärts kam.
»Was giebt es?« flüsterte Sam.
»Abgebrochene Zweige.«
»Wo?«
»Ungefähr zwei Fuß über dem Wasser ist ein ziemlich starker Ast abgebrochen.«
»Ach ja, ich sehe es und – Donnerwetter! Seht, den Fuß am Rande des Wassers!«
»Ja.«
»Wir haben sie!«
»Hier steckt das Segelboot.«
Der Fuß gehörte dem Steuermanne des Letzteren. Es war jetzt der Augenblick, an welchem er mit Balzer unter den Bäumen stand und sich über die Yacht lustig machte. Die Lauscher hörten ganz deutlich Balzers Worte:
»So ist es ein Glück, daß sie drüben fahren und nicht hier auf unserer Seite!«
Die Antwort des Steuermannes war unverständlich. Deutlich wurden erst seine letzten Worte:
»Prosit die Mahlzeit! Sie mögen suchen, aber finden werden sie nichts!«
»Hat ihm aber schon!« lachte Sam leise vor sich hin. »Oh Ihr Esels Ihr! Schreien da in die Luft hinaus, daß man es in New-York hören kann. Uns halten sie für dumm, und sind doch selbst die allergrößten Dummköpfe, welche ich jemals gefunden habe.«
»Sie beachten unsern schwimmenden Haufen gar nicht,« meinte Steinbach befriedigt. »Sie sind uns so gut wie sicher. Jetzt schneller, schneller!«
Der Apache gehorchte. Er begann, zu schwimmen, und so bewegte sich das Boot rascher vorwärts. Dabei flüsterte er den beiden Weißen zu:
»Die Bleichgesichter haben keine Augen zum Sehen und kein Hirn zum Denken. Sie müßten sonst auf uns aufmerksam werden.«
»Ja,« nickte Sam. »So eine Insel schwimmt doch nicht immer grad und stracks weiter, sondern sie dreht sich sehr oft um ihre eigene Achse. Daß wir das nicht thun, müßte den Kerls eigentlich auffallen. Wollen das Zeichen geben.«
Steinbach hielt das weiße Leder an der linken Seite des Bootes hinaus und schwenkte es. Vom rechten Ufer aus konnte es nicht gesehen werden, vom Dampfer aus aber hatte man es bemerkt, denn er hielt sofort etwas mehr vom Ufer ab, ließ sich aber immer noch abwärts treiben, um nicht den Insassen des Segelbootes seine Absicht merken zu lassen. Erst nach einer Weile, als er den Letzteren aus den Augen war, steuerte er dem rechten Ufer zu.
Bereits vorher hatte der Apache das Boot an das Ufer getrieben und an dasselbe befestigt. Er stieg an das Land, und Sam und Steinbach folgten ihm.
»Was nun zunächst?« fragte der Dicke.
»Recognosciren.«
»Richtig! Aber wer?«
Der Apache sagte:
»Wir suchen Bleichgesichter. Also mögen meine beiden weißen Brüder gehen. Die ›starke Hand‹ wird hier bleiben, um die Jacht zu empfangen.«
In Folge dessen schlichen Steinbach und Sam, die natürlich ihre Waffen zu sich genommen hatten, unter den dichten, niedrigen Zweigen vorwärts, nothgedrungen auf allen Vieren kriechend. Sie erreichten glücklich das Bayou und erblickten das Segelboot.
»Guten Tag, meine Herren!« kicherte Sam in sich hinein. »Ihr bekommt ungeladene Kirmeßgäste!«
Die wenigen Bootsleute lagen auf dem Verdecke. Sonst war nichts zu sehen. Vom Flußufer her hörte man die unterdrückten Stimmen Balzers und des Steuermannes.
Die Lauscher lagen so nahe an dem Fahrzeuge, daß sie dasselbe mit einem Sprunge zu erreichen vermochten. Sam flüsterte:
»Von Wilkins und den Andern keine Spur!«
»Werden sich im Raume befinden.«
»Etwa gefesselt?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann soll der Teufel diese Kerls reiten! Aber wo sind Walker und Consorten?«
»Schlafen vielleicht in der Cajüte.«
»Schön! Sam Barth wird ihnen im Traume erscheinen. Dick genug bin ich, um sie als Alp zu drücken, bis ihnen das Leben aus dem Leibe fährt.«
»Warten wir. Vielleicht hören wir einige Worte. Die beiden Kerls, die da vorn mit einander sprechen, müssen doch auch einmal wieder an Bord kommen.«
Er hatte richtig vermuthet. Sie kamen bereits nach kurzer Zeit.
»Wer ist der Kerl?« fragte Sam, auf Balzer deutend.
»Weiß es nicht. Zu Walkers Bande gehört er nicht.«
»Vielleicht der Besitzer des Segelbootes, dieser liebenswürdige Master – wie hieß er doch nur gleich – Balzer, glaube ich.«
»Er kann es sein. Der Andere ist ein Bootsmann, das sieht man ihm sofort an. Horch!«
»Vorüber! Sie sind vorüber!« rief der Steuermann seinen Leuten zu. »Sie waren klug genug, einzusehen, daß sie uns überholt haben, uns aber zu finden, sind sie zu dumm. Sie suchen uns drüben auf der andern Seite.«
»Verdammter Kerl!« meinte Sam. »Ich werde Dich nachher ein Wenig mit der Faust zwischen den Rippen oder unter der Nase kitzeln, bis Du erkennst, wer eigentlich der Dumme ist.«
»Pst!« erklang es hinter ihnen.
Sie drehten sich um und sahen die Gefährten von der Yacht, welche mit dem Apachenhäuptling sich herbei geschlichen hatten.
»Schön!« sagte Steinbach leise. »Wir überrumpeln sie so, daß sie gar nicht an Gegenwehr denken können. Aber kein Blutvergießen. Wir sind Mann genug, sie mit den Fäusten zu zwingen.«
Er hatte Recht, denn auch die Bemannung der Dacht war mitgekommen, sogar der Steuermann Smith. Er lag neben dem Lord an der Erde und flüsterte diesem zu:
»Endlich, Mylord, giebt es einmal Arbeit für diese da! Habe mich lange gesehnt.«
Dabei betrachtete er seine beiden Riesenfäuste.
»Ja, nur fest zugreifen!«
»Natürlich! So wie damals, als wir den famosen Ibrahim Pascha in Stambul besuchten und ich mit seinem Verschnittenen Ball spielte.«
»Still!« gebot Steinbach.
Auf dem Boote wurde laut gesprochen. Balzer sagte:
»Es ist sehr möglich, daß sie nachher, wieder aufwärts kommend, auch dieses Ufer absuchen.«
»Wird ihnen nichts nützen,« antwortete der Steuermann. »Kein Mensch findet dieses Versteck.«
»Hm! Es soll ein Kerl bei ihnen sein, Namens Steinbach, den sie den Fürsten der Bleichgesichter nennen.«
»Meinetwegen den Herzog der Schwarzgesichter.«
»Oh, er ist der berühmteste der Jäger. Ich hörte, daß die Gefangenen gesagt hatten, er werde uns nachfolgen und das Segelboot sicher finden.
»Er mag nur kommen! Ich werde ihn empfangen!«
»Ist schon da!« erschallte es.
Steinbach schnellte sich vom Ufer aus grad vor ihn hin und schlug ihn mit der Faust nieder. Im nächsten Augenblicke hatte er Balzer gepackt.
Die Bootsleute waren so erschrocken, daß sie, grad wie Balzer und der Steuermann, gefesselt am Boden lagen, ehe sie nur an Gegenwehr gedacht hatten.
Steinbach eilte nach der Cajüte und riß die Thür derselben auf. Dort lag Miranda leichenblaß in einem Stuhle. Sie hatte sich hier zurückgezogen gehabt und, die Bootsleute durch das Cajütenfenster beobachtend, den Ueberfall gesehen. Steinbach stand vor ihr, ehe sie nur Zeit gehabt hatte, sich von ihrem Sitze zu erheben.
»Ah, Donna Miranda!« sagte er. »Erlaubt, daß ich Euch begrüße! Ihr wart so schnell von Prescott fort und ich hatte Euch noch so viel zu sagen, daß ich beschloß. Euch nachzureisen. Wie es scheint, finde ich Euch nicht so wohl wie früher. Was fehlt Euch?«
»Mein Gott, mein Gott!« hauchte sie.
»Herzbeklemmung?«
»Ja.«
Sie hielt beide Hände auf die Herzgegend.
»Das ist sonderbar. Ihr habt sonst doch ein so weites Herz, daß von einer Beklemmung eigentlich keine Rede sein kann. Aber bitte, sagt mir gütigst, wo sich Sennor Walker befindet!«
»Fort!«
»Schwerlich. Sennor Wilkins?«
»Auch fort.«
»Das macht Ihr mir nicht weiß! Wo sind Eure Spießgesellen und wo befinden sich Eure Gefangenen?«
»Sie sind fort. Alle fort.«
Ihre Augen waren vor Angst stier auf ihn gerichtet. Ihr Gesicht hatte eine graugrüne Färbung angenommen.
»Ich verstehe! Ihr wollt mich überraschen, indem Ihr Diejenigen, von denen Ihr behauptet, daß sie fort seien, mir nachher unverhofft zeigt.«
»Nein, Sennor, sie sind fort.«
»Wirklich?«
Steinbachs Gesicht, bisher ironisch freundlich, nahm jetzt rasch einen sehr ernsten Ausdruck an.
»Seit wann?«
»Seit zwei Stunden ungefähr.«
»Wohin?«
»Mit den Papago's.«
»Ah! Gab es hier Papago's?«
»Wir trafen zufällig auf sie.«
»Hört, Sennorita, ich wünsche Euch nichts Böses, aber wehe Euch, wenn ich Ursache finde, mit Euch eine ernste Rechnung zu machen!«
Er verließ die Cajüte und stieg in den Raum hinab. Es befand sich kein Mensch mehr in demselben.
»Sie sind fort!« beantwortete er, als er auf das Deck zurückkehrte, die fragend auf ihn gerichteten Blicke seiner Gefährten.
»Fort?« rief Günther von Langendorf. »Auch Magda?«
»Ja. Die Papago's sind hier gewesen.«
»Herr mein Gott! Also wieder Gefangene unter den Indianern! Wir müssen nach, sofort, sofort! Vorher aber werden wir diese Schurken hier lynchen!«
Alle, Alle waren enttäuscht und geriethen darüber in Grimm. Der Eine rieth, man solle die Bootsleute aufhängen; ein Anderer wollte, daß Miranda todtgeprügelt werde. Ein dritter meinte gar, man solle Alle an Bord festbinden und das Segelboot dann anzünden. Steinbach und der Apachenhäuptling waren die Einzigen, welche ihre Ruhe bewahrten, wenigstens äußerlich.
»Gemach, Gemach!« sagte der Erstere. »Wir dürfen weder voreilig noch ungerecht handeln. Zunächst mag der Häuptling der Apachen das Boot verlassen und an das Land gehen, um seine Krieger zu erwarten. Und sodann werden wir uns bei diesen Leuten hier nach dem, was geschehen ist, erkundigen. Dann erst werden wir wissen, was zu thun ist.«
Der Häuptling ging schweigend fort. Die Andern stimmten Steinbach bei:
»Ja, ins Verhör mit ihnen, ins Verhör! Heraus mit dem Frauenzimmer!«
Miranda wurde aus der Cajüte geholt. Günther trat an sie heran und raunte ihr voller Grimm zu:
»Wenn Ihr Schuld tragt, daß die Damen wieder verschwunden sind, dann sei Euch Gott gnädig!«
Der Steuermann war von dem Schlage, welchen er von Steinbach erhalten hatte, wieder zu sich gekommen. Sam nickte ihm grinsend zu und sagte:
»Na, wie gefällt Euch das?«
Und auf des Andern finster fragenden Blick fuhr er fort:
»Ihr lachtet über die Yacht, daß sie Euch da drüben suchte. Dummkopf! Wir waren bereits da. Selbst der Fürst der Bleichgesichter solle Euch nicht finden, so meintet Ihr. Na, Ihr habt ja seine Faust gefühlt. Bedankt Euch bei ihm! Da steht er.«
Er deutete auf Steinbach. Dieser fragte die Sennorita Miranda, auf Balzer zeigend:
»Wer ist dieser Mann?«
»Der Besitzer des Bootes; die Andern sind der Steuermann und die Bootsleute. Weiter befindet sich Niemand hier.«
»Niemand? Ihr seid auch hier. Wer seid Ihr?«
Sie blickte ihn fragend an, denn sie verstand ihn nicht. Er fuhr deutlicher werdend, fort:
»Ihr seid doch wohl seine Geliebte?«
Sie erröthete. Balzer hatte den moralischen Muth, an ihrer Stelle zu antworten:
»Ja, sie ist meine Geliebte und wird bald meine Braut sein.«
»So richtet Euch darauf ein, die Verlobung im Zuchthause zu feiern.«
»Oho!«
»Ganz, wie Ihr denkt! Ich lasse einen Jeden seinen Glauben und behalte mir den meinigen. Dieser aber besteht in der Ueberzeugung, daß ich hier eine Anzahl von Schuften vor mir habe, mit denen Nachsicht zu haben, die größte Sünde ist.«
»Sennor, ich bin ein ehrlicher Mann!«
»Man hat es mir gesagt; aber ich glaube es nicht. Es würde Euch wohl auch sehr schwer werden, es mir zu beweisen.«
»Wenn ich einen Fehler begangen habe, so ist es wahrhaftig nicht in böser Absicht geschehen. Und diese Leute stehen in meinem Dienst; sie mußten mir gehorchen und sind also unschuldig, grad wie der Bootsmann Forner, welcher hier neben Euch steht.«
»Wollen es sehen. Aus besonderer Rücksicht will ich Euch losbinden lassen. Ich will Euch einstweilen als Leute behandeln, welche getäuscht worden sind. Dafür hoffe ich aber, daß ich von Euch Allen ein aufrichtiges Geständniß erhalte.«
»Ich werde die Wahrheit sagen.«
Sie wurden von ihren Banden befreit und durften sich setzen. Ihre Richter bildeten einen Kreis um sie. Unter diesen gab es wenige Gesichter, welche vermuthen ließen, daß sie bereit seien, die Angeklagten mit Schonung zu behandeln.
»Jetzt sprecht zunächst Ihr, Sennorita!« sagte Steinbach zu Miranda.
Sie erschrak. Ein Geständniß ablegen, vor diesen vielen Menschen? Unmöglich!«
»Erlaßt mir das, Sennor!« bat sie.
»Ich kann es Euch nicht erlassen.«
»Und ich kann nicht erzählen.«
»Pah! Mein Verhalten zu Euch wird sich ganz darnach richten, wie Ihr Euch zu uns verhaltet. Wenn Ihr Euch verstockt zeigt, so dürft Ihr auf keine Schonung rechnen.«
»Ja, Sennorita,« fiel Sam ein. »Ihr konntet so sehr gut sprechen, als Ihr mich in Sennor Steinbachs Schlafstube aufsuchtet. Wißt Ihr noch! Da wurde ich von Walker erschossen. Warum wollt Ihr jetzt nicht sprechen können? Könnt Ihr vielleicht nur reden, wenn Ihr irgend Jemandem eine Liebeserklärung macht. Seht Euch hier den Mast an! Wir richten ihn auf und hängen Euch an die äußerste Spitze, wenn Ihr Euch weigert, zu erzählen.«
»Laßt sie in Ruhe, Sennores!« bat Balzer. »Ich will an ihrer Stelle sprechen.«
»Das könnt Ihr nicht,« antwortete Steinbach.
»Ihr wißt nicht, was sie weiß. Aber um es ihr leichter zu machen, soll sie nicht erzählen, sondern ich will sie fragen. Legt ein aufrichtiges Geständniß ab, Sennorita; das ist das einzige Mittel, Schonung zu erlangen!«
Da faltete sie bittend die Hände und sagte:
»Nicht hier, nicht hier. Euch allein will ich Alles, Alles sagen, Sennor Steinbach!«
Ihre Augen waren so herzlich flehend auf sie gerichtet und schweiften von da mit einem schnellen Blicke auf Balzer hinüber. Steinbach verstand sie.
»Gut!« antwortete er. »Ich will Euch Euren Wunsch erfüllen. Vielleicht irre ich mich in Euch und Ihr seid nicht so schuldig, wie ich denke. Kommt herein in die Cajüte, Sennorita!«
Sie folgte ihm. Dort angekommen, sank sie vor ihm in die Kniee, ergriff seine Hand, küßte sie und sagte:
»Sennor, ich danke Euch! Lieber wäre ich gestorben, als daß ich vor diesen Leuten gesprochen hätte, vor so vielen Männern und vor – – –^
Sie stockte.
»Vor Balzer?« fragte er.
»Ja, vor Sennor Balzer.«
»Ihr liebt ihn?«
»Ja.«
»Und er Euch?«
»Ich hoffe es.«
»Sennorita, Ihr werdet auch ihn betrügen!«
»Nein, nein, und tausendmal nein!«
»Eure Liebe ist ein vorübergehender Rausch. Sie wird bald vorüber gehen.«
»Dieses Mal wird sie bestehen; ich weiß es; ich fühle es deutlich.«
»Ihr täuscht nicht nur ihn sondern auch Euch. Dieser Walker hat sich Eurer Schönheit nur bedient, um Andere für seine ruchlosen Zwecke zu gewinnen. Ihr habt auch Balzer verführt!«
»Das habe ich ihm gestanden.«
»Was sagte er dazu?«
»Dann besitzt er nicht nur ein edles Herz, sondern er liebt Euch aufrichtig.«
»Ich wünsche, daß Ihr Recht habt. Ihr verurtheilt mich und müßt mich verurtheilen, nach Allem, was Ihr von mir gesehen und erfahren habt. Aber beurtheilt mich nicht zu streng. Von Jugend auf ohne Aufsicht gelassen, ist mir die Erziehung des Elternhauses nicht das gewesen, was sie dem Kinde, besonders der Tochter, sein soll, eine Führerin auf dem Wege der Tugend. Ich fand nur charakterlose Menschen, deren Zweck war, das Leben zu genießen. Die einzige Person, welche mir eine moralische Stütze hätte bieten können, vermochte das nicht. Ich meine meine Verwandte, Sennorita Emeria in Prescott, welche Ihr ja kennt. Ihre Schrullen hinderten sie, mir eine Mutter zu sein. Ich stieg immer weiter bergab, ohne es zu bemerken. Ich verführte durch die Gaben, welche mir die Natur verliehen hat, aber im Grunde genommen war ich selbst die Verführte. Auch Walker hielt ich erst für einen ehrlichen Mann. Ich täuschte mich; aber als ich zu dieser Kenntniß kam, war ich bereits Mitwisserin mehrerer seiner Geheimnisse, und er gab mich in Folge dessen nicht wieder frei. Jetzt habe ich Balzer kennen gelernt. Seine Hand kann mich vielleicht wieder emporheben; darum möchte ich nicht vor ihm als eine so tief Gefallene erscheinen. Ihr habt meine Zukunft in der Hand. Erbarmt Euch meiner, Sennor Steinbach!«
Die Thränen liefen ihr über die Wangen herab.
»Ich bedaure Euch aufrichtig, Sennorita. Ich mag keinem Gefallenen, der sich erheben will, meine Hand verweigern; ich biete sie auch Euch – – –«
»Sennor!« unterbrach sie ihn jubelnd.
»Freilich kann ich Euch nicht verschweigen, daß ich nicht an Eure Besserung glaube. Ihr habt vielleicht den Willen dazu; aber sie ist unendlich schwer. Der festeste Vorsatz kann vom leisesten Hauche umgeworfen werden, wenn dieser Hauch aus der rechten Richtung weht. Dennoch verweigere ich Euch meine Hilfe nicht. Ich will nicht haben, daß Ihr später vielleicht sagt: »Ich wäre keine Verlorene, ich hätte mich retten können, wenn Steinbach damals nicht so hart und unerbittlich gewesen wäre.« Ihr habt Alles, was dazu gehört, glücklich zu sein und glücklich zu machen, herrliche Gaben des Geistes und des Körpers. Wendet diese Gaben in Zukunft dazu an, wozu sie Gott Euch verliehen hat, dann werdet Ihr die jetzige Stunde segnen, in welcher ich Euch hier diese meine Hand zur Hilfe biete.«
Sie hielt den Kopf gesenkt und weinte, weinte bitterlich. Es war ihr anzusehen, daß sie es, wenigstens in diesem Augenblicke, aufrichtig meinte.
»Sennor, Ihr seid mein Engel, welcher mich vom Rande des Abgrundes zurückreißt,« schluchzte sie.
»Als Mitwisserin von Walkers Thaten bin ich vor Gericht strafbar. Wenn Ihr mich aus dieser Noth, aus dieser Angst errettet, so werde ich stets an Euch als einen Mann denken, welcher mein Erlöser war.«
»Ich weiß noch nicht, wie schwer Eure Schuld ist. Erzählt mir Alles, und zwar aufrichtig. Ist es mir dann möglich, so will ich das Meinige thun, Euch vor den Folgen des Geschehenen zu bewahren. Bereits jetzt will ich Euch als Trost und Ermunterung mittheilen, daß ich, was meine Person betrifft, nicht mehr die Absicht hege, als Euer Ankläger vor Gericht aufzutreten.«
»Ich danke Euch, Sennor! Euer Versprechen erleichtert mein Herz und giebt mir den Muth und die Kraft, Euch Alles, Alles zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß Walker sich blutig an mir rächt.«
»Das wird er nicht thun.«
»Er thut es, sobald er erfährt, daß ich es bin, welcher geplaudert hat.«
»Er wird es niemals erfahren, und sollte es ja nicht zu vermeiden sein, daß er es erfährt, dann hört er es ganz sicher erst kurz vor seinem letzten Augenblicke. Das verspreche ich Euch mit meinem Worte.«
»So will ich meine Beichte beginnen.«
»Ja. Setzen wir uns. Habt keine Scheu vor mir, Sennorita. Ich meine es gut mit Euch, und Ihr werdet empfinden, welch ein glückliches Gefühl es ist, wenn man durch ein offenes Geständniß eine Schuld von der Seele gewälzt hat. Es ist wie die Erlösung aus dem Fegefeuer. Beginnen wir. Wie seid Ihr mit Walker bekannt geworden?«
Sie theilte es ihm mit. Sie beantwortete alle, alle seine Fragen. Es dauerte lange, ehe ihre Unterredung zu Ende war. Dann als sie Beide aus der Cajüte traten, sah Steinbach sehr ernst und gerührt aus. Donna Miranda's Augen waren zwar noch von Thränen geröthet; aber auf ihrem Gesichte lag ein frohes, zuversichtliches Lächeln, und ihr Auge blickte fast heiter und schelmisch zu Balzer hinüber, welcher mit Schmerzen auf ihr Wiedererscheinen gewartet hatte und sie mit besorgten Augen anblickte.
Natürlich waren auch die Augen aller anderen Personen auf die Beiden gerichtet. Steinbach nickte beruhigend zu und sagte:
»Sennores, ich weiß, was ich wissen wollte. Diese Dame hat einen gottlosen Menschen kennen gelernt und einige Zeit mit ihm verkehrt, zu dem löblichen Zweck, ihm seine nichtswürdigen Geheimnisse abzulauschen. Das ist ihr gelungen, und nun hat sie mir Alles mitgetheilt. Ich hielt sie für mitschuldig, habe mich da aber geirrt. Auch Sennor Balzer und alle seine Leute sind unschuldig. Sie mögen ungehindert nach Mohawk-Station zurückkehren.«
In Folge dieser mehr als menschenfreundlichen Ehrenrettung hing Miranda's Auge mit einem unendlich dankbaren Blicke an Steinbachs männlich schönen, ernsten Zügen. Die Jäger aber fühlten sich sehr enttäuscht.
»Verdammt!« brummte Sam Barch. »Wollte ich doch diesen Steuermann mit der Faust zwischen die Rippen oder unter der Nase kitzeln. Nun soll nichts daraus werden. Jammerschade!«
Und Günther von Langendorf trat an Steinbach heran und fragte in unwilligem Tone:
»Hoffentlich handelst Du nicht voreilig?«
»Hast Du mich vielleicht als einen Menschen kennen gelernt, welcher zur Voreiligkeit geneigt ist?« fragte Steinbach.
»Nein; sagen wir also weichherzig anstatt voreilig.«
»Auch das ist nicht der Fall. Auch der strengste Richter kann unter Umständen ein mildes Urtheil fällen, ohne gradezu weichherzig, das heißt doch, schwachherzig zu sein.«
»Wo ist Magda?«
»Nach dem Thale des Todes.«
»Mit den Papago's?«
»Ja.«
»Jedenfalls durch Schuld dieser Menschen. Und Du verzeihst ihnen?«
»Ich verzeihe ihnen, weil sie diese Verzeihung verdienen und weil ein strenges Gericht, wenn wir es statuiren wollten, nichts an der Sache zu ändern vermag. Das ist es, was Du bedenken mußt.«
»Du handelst schwach gegen diese Menschen, aber rücksichtslos gegen Deinen Freund, gegen mich!«
Steinbach ließ sich auch durch diese Worte nicht zum Zorn hinreißen. In mildem Tone antwortete er:
»Ich sage Dir nur das Eine: Ohne mich hättest Du Magda's Spur nie gefunden, und – – –«
»O, sage das nicht. Zimmermann kannte Magda bereits. Er hatte sie entdeckt und hätte mich über ihren Aufenthalt unterrichtet.«
»Er hätte das nicht gethan, denn heut wäre er schon längst ein todter Mann. Hätte er mich nicht da eben am Rio Gala getroffen, als ich mit Sam Barth die Maricopa's belauschte, so wäre er ihnen direct in die Arme geritten oder vielmehr geschwommen, und Du suchtest noch heute vergeblich nach der Verlorenen. Du hast mich aber unterbrochen. Ich wollte sagen: Ohne mich hättest Du Magda's Spur nie gefunden, und ohne mich wird es Dir auch jetzt unmöglich sein, die Geliebte zu retten.«
Das klang nicht stolz, aber eindringlich und wie eine herzliche Ermahnung. Günther fühlte dies. Er gestand dies und bat:
»Du kannst Recht haben. Ich ließ mich von meiner Liebe zu Magda und von meiner Sorge um sie fortreißen. Ich nehme mein Wort zurück.«
»So ist es recht, lieber Günther! Gott wird es wollen, daß wir zum glücklichen Ziele gelangen.«
In diesem Augenblicke kam der Häuptling der Apachen herbei, trat zu Steinbach und meldete:
»Die Krieger der Apachen und Maricopa's sind hier. Was sollen sie thun?«
»Sie werden in wenigen Augenblicken nach dem Thale des Todes aufbrechen.«
»Die ›starke Hand‹ hat bereits dreißig seiner Krieger vorangesandt, um die Papago's und deren Gefangene zu verfolgen.«
Er sagte das so ruhig, als ob es nicht ein ungeheuerer Scharfblick von ihm gewesen sei, diese vortreffliche Veranstaltung zu treffen.
»Warum?« fragte Steinbach lächelnd.
Er wußte Alles, wollte aber den Gefährten abermals zeigen, welch ein ausgezeichneter Krieger und Gefährte die ›starke Hand‹ sei.
»Die Hunde der Papago's sind hier gewesen und haben die Gefangenen dieses Bootes und Alle, die wir ergreifen wollten, mitgenommen nach dem Thale des Todes. Die ›starke Hand‹ hat die Spuren gesehen und gelesen. Es sind drei mal zehn mal zehn Papago's. Sie werden sterben unter den Tomahawks der Apachen und Maricopa's.«
»Ja. Sie wissen, daß sie verfolgt werden, und wollen uns im Todesthale empfangen. Es soll ihnen sehr versalzen werden. Wie steht es, Sennor Balzer, wann fahrt Ihr ab?«
»Sobald Ihr es erlaubt.«
»Ihr seid ja frei. Werdet Ihr Sennorita Miranda mitnehmen?«
»Mit größter Freude.«
»So will ich sie Euch übergeben. Falls ich von dem Thale des Todes zurückkehre, werde ich in Mohawk-Station absteigen, um Euch zu besuchen. Ich hoffe, daß ich Euch dann froh und glücklich finde!«
Er schüttelte ihm die Hand. Sam trat zu dem Steuermann und raunte ihm ins Ohr:
»Und ich komme dann mit. Wir werden da so eine kleine Bootsfahrt zu Zweien machen, um zu untersuchen, welcher von uns Beiden der Esel und welcher der Ochse ist. Wenn Ihr wieder einmal nach Sam Barth sucht, so steckt die Nase nicht in die Lust sondern in das Wasser, wo allerlei nützliche Gräser und Kräuter schwimmen! Verstanden!«
Er versetzte ihm einen Puff in die Seite, welcher mehr kräftig als liebevoll war, und trat dann zu Steinbach, um welchen sich die Gefährten geschaart hatten wie die Generale um den Oberfeldherrn. Dieser erklärte kurz:
»Es giebt keine Zeit, Euch mitzutheilen, was ich erfahren habe, Sennores. Wir dürfen den Papago's keinen großen Vorsprung lassen, damit sie die Zeit nicht benutzen können. Darum müssen wir augenblicklich aufbrechen. Ich selbst werde mit meinem Freunde Günther nach Yuma gehen, um per Bahn das Todesthal zu erreichen. Ich komme dort eher an als Roulin mit seinen Leuten, und werde das Meinige thun, uns zum endlichen Siege zu verhelfen. Ihr greift die Feinde nicht eher an, als bis ich wieder zu Euch gestoßen bin. Ihr habt nichts zu thun, als sie nur stets zu drängen, damit sie keine Ruhe finden.«
»Und ich?« fragte der Lord. »Ich und mein Vetter?«
»Thut, was Euch beliebt.«
»Heißt das etwa: Packt Euch fort! Oder heißt es wohl gar: Scheert Euch zum Teufel!«
»Keins von Beiden, Mylord.«
»Schön! Ich reite also mit nach dem Todesthale, mein Vetter natürlich auch.«
»Aber Pferde?«
»Pah! Die Apachen hatten Packpferde bei sich. Ich kaufe ihnen zwei davon ab.«
»Und Euer Schiff?«
»Das übergebe ich dem Steuermann. Er mag es durch den Colorado in den Meerbusen und dann nach San Franzisko bringen. Er weiß, wo er mich dort zu erwarten hat.«
»Das ist mir sehr lieb. Ich kann da mit der Yacht nach Yuma gehen und komme noch zur rechten Zeit, um den nächsten Zug benutzen zu können.«
»Giebt es nach dem Todesthale hin Bären?«
»Zuweilen.«
»Und Büffel?«
»Vereinzelt.«
»Ausgezeichnet! Solche vereinzelte Thiers sind mir lieber als eine ganze Heerde von tausend Stück.«
»Bären?«
»Nein, Büffel! Sieht man nur einen, so weiß man, wohin man zu schießen hat. Kommt aber eine ganze Heerde, so wählt und quält man sich so lange, bis die Thiere vorüber sind und man gar nicht zum Schusse gekommen ist.«
»Ihr kennt das wohl?«
»Nein, aber ich denke es mir. Der hauptsächlichste Grund, mit nach dem Todesthale zu gehen, liegt natürlich in dem Wunsche, die armen Gefangenen mit befreien zu helfen. Ich werde, wenn wir die Papago's erwischen, dreinschlagen, daß die Fetzen fliegen. Jetzt aber muß ich nach dem Schiffe, um mich auf den Ritt vorzubereiten.«
Es wurden nun nicht viele Worte gemacht. Steinbachs Weisung war klar gewesen. Nach Verlauf einer halben Stunde dampfte er mit Günther mach Yuma, und zu gleicher Zeit ritten die Apachen und Maricopa's mit ihren weißen Begleitern ab, den Ebenen zu, welche sich an den Ausläufern der Sierra Nevada entlang zwischen Californien und Nevada hinstrecken.
Balzer war der Letzte, welcher mit seinem Segelboote das Bayou verließ. Als das Boot den Colorado mit geschwelltem Segel hinabglitt und seine Leute sich an ihren Posten befanden, saß er mit Donna Miranda eng verschlungen in der Cajüte.
»Fast hätte ich an Dir gezweifelt,« sagte er. »Du mußtest Vorwürfe anhören, welche mir um so tiefer in das Herz schnitten, als Du sie nicht bekämpfen zu können schienst.«
»Vor so vielen Menschen wollte ich nicht sprechen.«
»Das war stolz und edel.«
»Aber Sennor Steinbach hat meine Verteidigung gehört. Er war der Einzige, dem ich mich anvertrauen wollte und auch konnte.«
»Ja, ein außerordentlicher Mann! Er hat auch auf mich einen mächtigen Eindruck gemacht. Glücklicher Weise hat er Dich vollständig gerechtfertigt, und ich bin ganz glücklich, Dich nun bei mir haben zu können.«
»Wer das glauben könnte!«
»Zweifelst Du?«
»Ihr Männer seid unbeständig.«
»Vielleicht, dann aber nur, bis die Richtige kommt.«
»Und wäre ich vielleicht die Richtige?«
»Ja, die bist Du. Ich will aufrichtig sein und Dir gestehen, daß ich bisher für einen Damenherrn gegolten habe. Es ist freilich nicht so schlimm, wie Manche es machen. Ich habe eben Keine gefunden, welche es verstanden hätte, mich zu fesseln. Aber gleich als ich Dich gestern sah, sagte ich mir: Die mußt Du haben oder Keine!«
»Sage: Die oder Zehne!«
»Nein; glaube mir. Du gehst mit nach Mohawk-Station, wo ich für Dich sorgen werde. Du sollst mich da beobachten und wirst die Erfahrung machen, daß ich nur für Dich leben werde.«
»Und ich für Dich!«
»Immer?«
»Ja, immer. Glaube es mir!«
»Ich will es glauben um meinet- und auch um Deinetwillen. Das heutige Abenteuer soll das letzte sein, auf welches ich so leichten Sinnes eingegangen bin. Von heut an will ich nach einem soliden, ehelichen Glücke trachten, und ich bin überzeugt, daß ich es an Deiner Seite finden werde.«
Einander innig umschlingend, versanken sie nun in ein Schweigen, welches dann und wann von dem leisen Laute eines Kusses unterbrochen wurde.
– – – – – – – – – –
Beide, sowohl Steinbach als Günther von Langendorff hatten ihre Pferde auf der Yacht mit nach Yuma genommen. Als sie sich dort von dem Steuermanne verabschiedet hatten, fanden sie, daß ihnen bis zum Abgange eine ganze Stunde Zeit blieb.
Dies war Steinbach sehr lieb. Der Rolle gemäß, welche er im Todesthale spielen wollte, wünschte er, seinen Trapperanzug mit einem andern zu verwechseln. Glücklicher und ganz unerwarteter Weise fand er in einem Laden ein reich gesticktes mexikanisches Habit, gerade wie für seine mächtige Gestalt gemacht, und sodann einen zweiten Anzug, welcher für Günther paßte.
Beide kleideten sich um, packten ihre alten Anzüge in Taschen, welche sie kauften, und ritten dann nach dem Bahnhofe. Kurze Zeit später ging der Zug ab, mit welchem sie über Dos Palmas, Los Angelos und Sumner nach Visalia gelangten.
Hier stiegen sie aus und erkundigten sich zunächst nach einem Hause, in welchem sie über Nacht bleiben konnten, denn der Nachmittag war beinahe vorüber.
Visalia war ein kleines, ödes Nest und bestand aus wenigen ganz niedrigen Häusern, deren weißer Kalkanstrich in der Hitze jenes Klimas das Auge schmerzte. Nackte Kinder wälzten sich im Staube. Zerlumpte Gestalten lehnten an den Mauern. Kein Brunnen, kein grünender Baum war zu sehen. Der Ort war ja die Eisenbahnpforte zu dem berüchtigten Thale des Todes.
Leben brachten nur die zahlreichen wilden Hunde, welche sich überall herumbissen, in die Staffage. Draußen, weit draußen gegen den Horizont zu, sah man auch einzelne Coyoten, das sind Prairiewölfe, über die graslose Ebene schleichen, vor Hunger zitternd. Diese Coyoten treibt der nagende Hunger gar nicht selten in das Weichbild bewohnter Ortschaften. Oder es wird so ein Thier vor Hunger, Durst und Hitze toll und kommt dann herbei, um schreckliches Unheil unter den Bewohnern anzurichten.
Die beiden Reisenden wurden in ein Haus gewiesen, mit welchem sie, den hiesigen Verhältnissen angemessen, ziemlich zufrieden sein konnten.
Es hatte einen umzäunten Corral für die Pferde, eine Stube für die Menschen, ein fensterloses Loch, welches Küche genannt wurde, einen Hof, in welchem sich eine Cysterne mit stinkendem Wasser befand, und daran einen Garten mit dem größten Stolze des ganzen Ortes: Es stand ein Kirschbaum da, fünf Fuß hoch, mit drei fingerdünnen Aesten, ganz ohne Blätter und dafür überall mit spitzen Dornen versehen.
Einen Wirth gab es nicht, sondern eine Wirthin, welche den beiden Gästen den verlangten Wein brachte. Etwas Anderes zu trinken, wäre ihnen vollständig unmöglich gewesen. War dieser Wein auch noch so raffinirt gefälscht und noch so oft getauft, so sah er doch hell aus, und es schwammen keine Thiere darinnen herum wie in dem Wasser der famosen Cysterne im Hofe.
Auf einem breiten Holzstuhle in der Ecke hockte zusammengekauert die Gestalt eines jungen Menschen, welcher still und bewegungslos vor sich hinstierte. Als die Wirthin die Blicke der beiden Gäste, welche auf ihr ruhten, bemerkte, sagte sie in stolzem Tone:
»Mein jüngerer Sohn, Sennores. Er hat die Gabe der Weissagung.«
»Was meint sie damit?« fragte Günther leise Steinbach.
»Er ist blöd- oder irrsinnig.«
»Aha, eine Uebertragung indianischer Anschauung!«
»Ja. Der Wahnsinnige gilt hier in diesen Gegenden beinahe als heilig. Er ist vom Geiste inspirirt, und allen seinen verworrenen Reden legt man einen tiefern Sinn unter. Siehst Du, mit welcher Liebe das Auge dieser Mutter an ihrem blödsinnigen Kinde hängt, welches gar keine Ahnung von dieser Liebe hat.«
Die Mutter merkte, daß sie von ihm sprachen.
»Er ruhet jetzt,« sagte sie. »Später, wenn der Geist wieder über ihn kommt, könnt Ihr ihm Eure Fragen vorlegen, welche er Euch alle beantworten wird. Santa Madonna! Was ist das!«
Draußen im Orte erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Laute Schritte laufender Menschen und angstvolle Rufe wurden hörbar. Es kam näher.
»Was mag geschehen sein!« sagte die Frau. »Vielleicht wieder ein Mal ein Mord. Ein Menschenleben gilt jetzt gar nichts mehr.«
Jetzt hörte man die Rufe deutlicher:
»Flieht, flieht! Macht die Thüren zu.«
»Heilige Mutter Gottes! Vielleicht gar wieder ein toller Wolf! Das wäre in diesem Sommer bereits der Dritte.«
Die beiden Männer traten an das zweite Fenster. Jetzt hörten sie ganz deutlich rufen.
»Der Coyote, der tolle Coyote! Schützt Euch! Macht die Thüren zu!«
»Wir können sicher sein,« meinte die Frau. »Meine Thüre ist fest zu. Wehe dem Beklagenswerthen, den der Zahn des Wüthenden trifft!«
Ein guter Prairiejäger ist stets Das, was er sein muß. Kaum hatte Steinbach von dem tollen Wolfe gehört, so langte er sein Beil aus der Scheide und schraubte die Büchse zusammen.
Von dem Fenster aus konnte man einen kleinen Platz überblicken, auf welchen zwei Wege von verschiedener Seite ausmündeten. Eben jetzt kam von der Seite rechts her ein Reiter angetrabt. Er schien das Schreien gehört, aber nicht verstanden zu haben, denn er ließ sein Pferd ganz sorglos im Schritte gehen und blickte neugierig dorthin, woher der Lärm ertönte.
Als die Wirthin ihn erblickte, rief sie ganz entsetzt aus:
»Hilf Himmel! Mein Sohn, mein Sohn!«
Und das kleine Fenster aufreißend, schrie sie, so laut sie konnte:
»Juanito, mein Sohn! Der tolle Wolf, der tolle Wolf! Schnell, schnell!«
Er schien es nicht genau verstanden zu haben, denn er hielt die Hand an das Ohr. Der Lärm von der Seite und das Schreien seiner Mutter machten, daß er Beides nicht verstand. Plötzlich aber begriff er es, auch ohne es verstanden zu haben. Von der Seite her, aus welcher die Rufe erschallten, kam ein großer, grauer Coyote gestürzt. Sein scheußlicher Anblick bewies sofort, daß er toll sei. Er schleifte den vor Schmutz starrenden, zottigen Schwanz an der Erde. Sein Fell war räudig, seine Augen lagen in tiefen Höhlen, seine Knochen und Rippen schienen das Fell durchbohrt zu haben, und die triefende Zunge hing ihm lang und weit aus der schäumenden Schnauze. Er rannte grad auf den Reiter zu.
»Juanito, flieh, flieh! Um Gottes und aller Heiligen willen!« schrie die Frau.
Er erblickte den fürchterlichen Feind, welcher ihn bedrohte, gab seinem Pferde die Sporen, daß es grad empor in die Lust ging, und zog den Revolver aus der an seinem Gürtel hängenden Pistolentasche. Vielleicht wäre der Wolf an ihm vorüber gesprungen, aber durch diese hastige Bewegung von Reiter und Pferd wurde das wüthende Thier auf die Beiden aufmerksam gemacht. Es hielt einen Augenblick inne, richtete die tückisch glühenden Augen auf den jungen Mann und setzte dann zum Sprunge an.
Er drückte los. Die Kugel traf nicht. Der Wolf schien vor dem Schusse zu erschrecken. Er sprang zur Seite, zog den Schwanz ein und stieß einen heiseren Ton aus. Heulen konnte er nicht, da die Krankheit ihm die Kehle zugeschnürt hatte. Diesen Augenblick benutzte der Reiter, noch zwei Schüsse abzugeben, der erste war wieder ein Fehlschuß, und der zweite streifte nur den Pelz des Thieres. Dieses schickte sich jetzt zum verderblichen Sprunge an, wurde aber daran verhindert.
Aus der Gasse, aus welcher der Wolf gekommen war, kamen zwei große Hunde gestürzt. Ihr Fell war zerzaust und zerbissen. Sie bluteten aus mehreren Wunden. Jedenfalls hatten sie bereits mit dem Wolfe gekämpft und den Kürzeren gegen ihn gezogen. Sie kamen gerade zum rechten Augenblick. Sie stürzten sich auf ihn, als er sich auf den Reiter werfen wollte.
Dieser Letztere benutzte diese Gelegenheit, feuerte noch einen Schuß, welcher aber leider auch nicht traf, auf den Wolf ab und lenkte sein Pferd im Galopp auf das Haus seiner Mutter zu, um sich in das Innere desselben zu retten.
»Schnell, schnell!« rief seine Mutter voller Angst zum offenen Fenster hinaus. »Herrgott! Der Wolf kommt! Mach schnell, schnell!«
Sie eilte hinaus, um die Thür zu öffnen. Sie hatte ganz recht gewarnt: Der Wolf kam hinter dem Reiter her. Er hatte dem einen Hunde das Bein zerbissen und mit einem zweiten Bisse in die Gurgel des andern auch diesen für den Augenblick kampfunfähig gemacht. Dann sprang er dem Reiter nach.
Dieser letztere Umstand war schuld, daß Steinbach nicht zum Schusse kommen konnte. Der Wolf befand sich hart hinter dem Pferde, dieses Letztere also zwischen ihm und dem Hause, so daß Steinbach gar nicht auf das wüthende Thier zielen konnte.
Die beiden Hunde hatten sich aufgerafft und setzten dem Wolfe wieder nach, der Eine freilich nur auf drei Beinen. Vor dem Hause parirte Juanito sein Pferd und warf sich herab. In demselben Augenblicke öffnete seine Mutter die Hausthür. Er sprang hinein und eilte sofort in die Stube, die Wirthin ihm nach. Beide vergaßen in ihrer Angst, die Thür zu schließen.
»Gerettet! Gott sei Dank!« rief Juanito.
»Ja, gerettet! Die heilige Jungfrau sei gebenedeiet! Wenn Du nicht – – Herr, mein Gott! Da ist er!«
Ihre Augen waren in diesem Augenblicke auf den Eingang gefallen, wo der Wolf erschien. Er erblickte den Reiter, welcher ihm entkommen war, und that einen hohen, weiten Sprung auf ihn.
Da krachte es, daß das ganze Haus zu zittern schien. Ein Blitz durch, zuckte die Stube, Pulverdampf erfüllte dieselbe. Juanito war, als er den Sprung des Thieres sah, zur Seite gewichen und dabei zu Boden gestürzt.
»O Himmel!« schrie er. »Hilfe, Hilfe!«
»Hat er Dich?« rief seine Mutter. »Hilfe, Hilfe!«
Von der Thür her antwortete ein lautes, zweistimmiges Heulen.
»Die Hunde!« schrie Günther von Langendorf. »Sie sind gebissen worden. Nehmt Euch vor ihnen in Acht!«
Da klang Steinbachs Stimme ruhig durch Lärm und Pulverdampf:
»Wird besorgt. Keine Angst!«
Zwei Schüsse krachten so schnell auf einander, als ob er sie zu gleicher Zeit abgefeuert habe. Ein brüllendes Hundegeheul, noch lauterer Jammer von Mutter und Sohn, dann frug Steinbach mit seiner mächtigen, durchdringenden Stimme:
»Wurde Jemand gebissen?«
»Ich nicht,« antwortete Juanito.
»Ich auch nicht,« fügte seine Mutter bei.
»So schreit doch auch nicht so, als ob Ihr scalpirt werden solltet.«
»Aber mein Söhnchen, mein Kleiner!« antwortete sie.
»Seht nach ihm!«
Sie eilte hin, untersuchte ihn und rief erfreut:
»Die Heiligen haben ihn beschützt. Ich werde noch heut dem Patron dieses Tages eine neue Kerze anzünden.«
»Ja, die Heiligen haben Wolf und Hunde erschossen,« meinte Günther ironisch.
»Erschossen?« fragte Juanito. »Ist der Wolf todt?«
»Natürlich! Sonst hätte er Euch ja zerfetzt. Seht her! Da liegt er.«
Der Pulverdampf begann, sich zu verziehen, und nun konnte man das Thier sehen. Es lag, mitten durch den Kopf getroffen, am Boden. Die Zunge hing ihm weit aus dem Rachen. Die Zähne schimmerten gelb aus dem blutigen Schaume. Ein penetranter Geruch ging von der scheußlichen Bestie aus.
»Todt! Wahrhaftig todt!« bestätigte die Frau, indem sie sich furchtsam zu dem Thiere niederbeugte.
»Und die Hunde auch,« fügte Juanito hinzu. »Das ist schade, jammerschade!«
»Warum schade?« fragte Steinbach.
»Weil es so prächtige Thiere sind und weil sie nicht uns oder Euch gehören. Ihr werdet den Besitzern ganz gewiß Schadenersatz leisten müssen, Sennor.«
»Das werde ich auf keinen Fall thun.«
»Man wird Euch zwingen. Es läßt sich Niemand einen so werthvollen Hund ungestraft niederschießen.«
»Auch nicht, wenn der Hund von einem tollen Wolfe gebissen worden ist und in das Zimmer fremder Leute eindringt?«
»Hm!«
»Diese Hunde waren gebissen worden. Hier sind die Wunden. Sie befanden sich in grimmigster Aufregung, in Wuth. Sie drangen hier ein. Es lag die Gefahr nahe, von ihnen gebissen zu werden. Ein Biß von ihnen aber war so gefährlich wie von dem Wolfe selbst. Ich schoß sie nieder, um Euch und uns Alle zu retten. Ihr seid mir Dank schuldig, anstatt mir Vorwürfe zu machen.«
»Das ist wahr,« sagte die Frau. »Ihr habt uns nicht nur das Leben gerettet, sondern Ihr habt uns Alle vor einem fürchterlichen Tode bewahrt, vor dem entsetzlichsten, den es nur geben kann. Wir vermögen gar nicht, Euch den Dank abzutragen, welchen wir Euch schuldig sind, Sennor. Das mußt Du doch wohl auch einsehen, Juanito.«
»Freilich,« gestand der junge Mann, indem er Steinbach die Hand entgegenstreckte. »Nehmt meinen Dank, Sennor! Kann ich Etwas für Euch thun, so bin ich mit Freuden bereit dazu. Ihr habt eine ausgezeichnete Geistesgegenwart und eine außerordentliche Schußfertigkeit an den Tag gelegt. Wie war es nur möglich, drei Schüsse abzugeben, ohne zu laden?«
»Meine Büchse ist ein Magazingewehr. Das ist die ganze Erklärung. Aber seht, welche Menschenmenge sich draußen angesammelt hat. Wollen wir die Leute hereinlassen? Ah, sie kommen schon!«
Erst vorsichtig, dann aber unverzagter traten die Leute in das Haus und in das Zimmer, welches sich bald so füllte, daß kein Einziger mehr Platz finden konnte. Als sie den Hergang erfuhren, wurde Steinbachs schnelles Handeln allseitig anerkannt und bewundert. Selbst die Eigenthümer der beiden Hunde, als sie sich eingefunden und die Bißwunden ihrer Thiers gesehen und untersucht hatten, gaben zu, daß sie kein Recht hatten, einen Schadenersatz zu fordern. Er hatte im Gegentheile vielleicht auch sie vor einem schlimmen Schicksale behütet.
Der Fall wurde noch des Längeren und Breiteren besprochen, und dann schaffte man die erlegten drei Thiere fort, um sie einzuscharren. Die Menge verzog sich nach und nach.
Nun war die Wirthin mit ihren beiden Söhnen und den zwei Gästen wieder allein.
Juanito hatte sich eine Schnapsflasche genommen und sich mit derselben an den Tisch gesetzt. Erst jetzt konnte Steinbach ihn genau betrachten. Er war noch nicht dreißig Jahre alt. Sein Gesicht hatte ein eigenthümliches, graugelbes Aussehen. Eins seiner Augen schielte. Dieser Umstand in Verbindung mit dem breiten, lippenlosen Munde und den sehr hervorstehenden Backenknochen wirkte abstoßend. Es war eine Physiognomie, zu welcher man nicht leicht Vertrauen fassen konnte.
Er hatte seinen Dank mit einem Händedrucke und den bereits erwähnten Worten abgetragen und verhielt sich übrigens kalt. Daß seine Mutter und sein Bruder sich in Gefahr befunden hatten, erwähnte er gar nicht. Er schien gar nicht daran zu denken. Jedenfalls war er ein herzloser Mensch, wenn nicht etwas noch Schlimmeres.
Er trank einige Gläser, welche er sich einschänkte, schnell hinter einander aus. Seine Mutter machte sich mit dem jüngeren, geistesschwachen Sohne zu schaffen und fragte dabei den Aelteren:
»Wie kommt es, daß Du heut herüber geritten bist, Juanito?«
»Ist Dein Herr noch nicht wieder da?«
»Nein.«
»Wann kehrt er zurück?«
»Weiß es nicht. Er hat mir Alles überlassen. Die ganze Sorge und Last ruht auf mir, und ich bekomme nichts dafür. Wenn das noch oft wiederkehrt, so werde ich ihm sagen müssen, daß ich es nicht dulde. Lieber gehe ich ab.«
»Wie? Du denkst doch nicht etwa daran. Deine Stellung zu verlassen!«
»Ich denke sehr wohl daran.«
»Du wirst niemals wieder einen so hohen Lohn erhalten. Das mußt Du berücksichtigen.«
»Ich werde aber auch nie wieder mich in solcher Gefahr befinden, mich zu vergiften.«
»Du, Dich vergiften? Du hast ja im eigentlichen Werke gar nichts zu thun.«
»O, ich muß doch überall sein, auch bei den Retorten. Siehe mich an! Meine Hautfarbe muß Dir doch sagen, daß ich Quecksilber einathme.«
»Das Wenige wird wohl nicht schaden!«
»Du verstehest das nicht, wovon Du sprichst. Ja, ich werde gut bezahlt. Ich hatte die Absicht, mir meinen Lohn zu sparen und dann ein eigenes Geschäft anzufangen. Aber über meine Kräfte mag ich nicht arbeiten, während der Herr faullenzt und wochenlange Spaziertouren macht.«
»Wohin ist er eigentlich?«
»Hinauf nach dem Silbersee.«
Waren Steinbach und Günther bereits aufmerksam geworden, als vom Quecksilber die Rede war, so steigerte sich diese Aufmerksamkeit jetzt bei Erwähnung des Silbersee's.
»Um Gottes willen!« sagte die Frau. »Was will er dort? Das ist doch im Gebiete der feindlichen Apachen.«
»Vor denen fürchtet er sich nicht. Er hat die Maricopa's mit. Er will da oben – na, das ist nichts für Dich und nichts für Andere.«
Er streifte dabei die beiden Fremden mit einem mißtrauischen Blicke.
»Vielleicht will er das Silber holen, welches da oben vergraben sein soll?« meinte die Alte.
»Hm! Weiß es nicht.«
»Er muß Dir doch gesagt haben, zu welchem Zwecke er ein so gefährliches Unternehmen ausführen will.«
»Natürlich hat er es mir gesagt. Ich bin sein Vertrauter. Ohne mich kann er ja überhaupt nichts machen. Aber was ich weiß, brauchen Andere doch nicht zu wissen.«
»So hast Du jetzt das ganze Werk, das ganze Geschäft allein zu führen?«
»Ganz allein. Darum sage ich ja, daß ich mich zu sehr anstrengen muß. Wenn man da nicht nebenbei so ein kleines Vergnügen – hm!«
Er streifte die beiden Gäste abermals mit einem vorsichtigen, mißtrauischen Blicke und fuhr fort:
»Und nicht einmal das hat man, ein kleines, kleines Vergnügen. Es ist ein Leben wie in der Hölle. Felsen, nichts als Felsen, Sonnengluth und Giftdunst. Der Teufel mag es holen. Aber lassen wir Das. Sprechen wir von etwas Anderem. Woher seid denn Ihr, Sennores?«
»Von jenseits der Grenze,« antwortete Steinbach.
»Also Mexikaner?«
»Ja.«
»Dachte es mir sogleich, als ich Eure Kleidung sah. Was aber treibt Euch hierher in dieses Nest?«
»Das Geschäft.«
»Das Geschäft? Ich verstehe Euch nicht. Hier in dem armseligen Loche sind doch keine Geschäfte zu machen.«
»Vielleicht doch.«
»Ich halte Euch für einen sehr wohlhabenden Haziendaro. Habe ich recht gerathen?«
»Ihr habt allerdings das Richtige getroffen.«
»Nun, so weiß ich nicht, was ein reicher Großgrundbesitzer hier für Geschäfte machen wollte.«
»Ich habe auf meinem Grund und Boden eine sehr gute Bonanza entdeckt.«
Unter Bonanza versteht der Mexikaner den Fundort edler Metalle.
»Alle Teufel!« fuhr Juanito empor. »Ist sie wirklich so gut?«
»Sehr ausgiebig.«
»Gold oder Silber?«
»Beides.«
»Das ist selten, sehr selten! Ich gratulire Euch, Sennor! In welcher Gegend ist es denn?«
»Drüben auf der Halbinsel, in der Nähe von Jacinto.«
»Dort! Habe mir doch stets gedacht, daß die Gegend von Jacinto gold- oder silberreich sein müsse. Da steht wohl diese Bonanza mit Eurer Reise im Zusammenhang?«
»Ja. Ich finde das Silber nämlich nicht in reinen Stufen, ich muß es aus dem Erze ziehen, und dazu ist, wie Ihr wohl wissen werdet – – –«
»Quecksilber nöthig,« fiel Juanito ein.
»Natürlich.«
»Ah, jetzt weiß ich, welches Geschäft Ihr machen wollt.«
»Nun, welches?«
»Ihr wollt Quecksilber kaufen?«
»Ja.«
»Wohl bei Sennor Roulin?«
»Ja. Warum rathet Ihr auf ihn?«
»Weil er hier der Einzige ist, bei dem man es bekommen kann.«
*