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53

»Ja, und zwar wie eine dreifarbige. Die sind nämlich selten und werden zu den Schönheiten des Katzengeschlechts gerechnet. Schön seid Ihr, ja, sogar sehr schön!«

»Aber eine Katze!«

»Na, ein Vergleich!«

»Aber kein schmeichelhafter!«

»Es fiel mir kein anderer ein. Und vielleicht ist er zwar nicht schmeichelhaft, aber doch sehr richtig.«

»Wollt Ihr mich beleidigen?«

»O nein. Ihr habt sicherlich ein so schönes, warmes, weiches Fell. Aber wenn man es streichelt, kommen die Funken geflogen.«

»Versucht es doch einmal!« sagte sie ärgerlich.

»Jetzt noch nicht. Und die Aeuglein, die sind so mild und freundlich; aber – brrr!«

»Sennor! Ihr kennt mich nicht!«

»Wollen sehen. Das miaut so zart, so liebenswürdig. Und wenn man so ein süßes Viehzeug liebkost, da schnurrt und summt es behaglich, aber in demselben Augenblick zeigt es die Zähne und Krallen und beginnt zu pfauchen, daß, daß – –«

»Pfauchen? Was ist das?«

»Habt Ihr es noch nicht gehört? Wenn ein Hund einer Katze zu nahe kommt, so macht sie einen Buckel, ringelt den Schwanz wie eine Klapperschlange und – – ppppchchchchchcht, fährt sie auf ihn los und haut ihm mit den Krallen die Augen aus.«

Jetzt war das schöne Weib wirklich erzürnt. Sie rückte noch weiter ab und stieß den Athem so schnell und gewaltsam aus, daß es halb wie ein unterdrücktes Pfeifen und halb wie ein leises Zischen klang.

»Hört Ihrs!« sagte er. »Das, grad das habe ich gemeint. Ihr fangt schon an zu pfauchen. Ja, da habt Ihr es! Habe ich es nicht gleich gesagt! Wenn so ein alter Hund, wie ich es bin, einer Katze zu nahe kommt, so geht der Krawall los. Aber ich bin ja gar nicht zu Euch gekommen, sondern Ihr zu mir; schuld bin ich also nicht.«

»Aber Ihr seid grob!«

»Nein, sondern nur aufrichtig. Ihr habt von mir wissen wollen, welchen Eindruck Ihr auf mich gemacht habt. Ich habe es Euch ehrlich gesagt. Gefällt es Euch nicht, so habt Ihr Euch den Aerger selbst zuzuschreiben.«

»Gegen eine Dame ist man doch nicht in dieser Weise aufrichtig, Sennor Steinbach.«

»Leider habe ich nur eine einzige Sorte von Aufrichtigkeit, also kann ich Euch auch nicht mit einer andern dienen. Uebrigens ist es ja möglich, daß ich mich in Euch geirrt habe. Wir brauchen uns also nicht sogleich zu beißen.«

Sein Verhalten kam ihr sonderbar vor. Steinbach war kalt, abweisend und wortkarg gegen sie gewesen, nicht aber so grob und rücksichtslos wie jetzt. Sie sagte sich, daß er ermüdet gewesen und von ihr im Schlafe gestört worden sei. Das macht manche Menschen grillig, ohne daß sie es sein wollen. Sie nahm sich in Folge dessen vor, ihm nicht zornig zu sein und sagte:

»Gut, Sennor, ich will Euch also nicht beißen.«

»Na, Eure Zähne würden an meinen Knochen auch nicht viel Delicates gefunden haben. Es hat mir schon Manche gesagt, daß aus mir nichts Gutes heraus zu schmoren ist.«

»Manche? Habt Ihr so viele Bekanntschaften gehabt?«

»Na und ob!«

»Da habe ich mich in Euch getäuscht.«

»So ist es! Ihr habt keine Ahnung von meinen Vorzügen. Als ich zwanzig Jahre zählte, hatten mich schon drei Bertha's, vier Anna's, fünf Emilien, sechs Auroren, sieben Rosalien, acht Karolinen, neun Wilhelminen und zehn andere Minen angebetet. Die Hälfte von ihnen ist an unerwiderter Liebe zu Grunde gegangen. Ich habe sie auf meinem Gewissen; aber ich mache mir nichts draus, denn ich bin doch nicht schuld, daß ich so anziehend und unwiderstehlich bin.«

Sie antwortete nicht. Sie schwieg eine ganze Weile. Sie wußte nicht, wie sie sich sein Verhalten deuten sollte. Es konnte zwei Gründe geben. Sie hatte ihm den Eindruck, den er auf sie gemacht hatte, merken lassen; nun wies er sie mit dieser Ironie, mit diesem Sarkasmus ab, indem er sie mit diesen Karolinen, Wilhelminen und Rosalien in einem Topfe kochte. Oder er hatte wirklich einmal geliebt, aber unglücklich und sagte nun in seinem Galgenhumor das gerade Gegentheil. Sie fühlte sich in der Stimmung, das Letztere anzunehmen. Darum sagte sie endlich in beruhigendem Tone:

»Erinnert Euch nicht mehr an jene Zeit! Sie ist vorüber. Man soll für die Gegenwart leben und die Rosen pflücken, wo man sie findet.«

»Hm! Wo fände ich eine?«

»Seht Euch um!«

»Es ist ja finster!«

»Sennor, ich begreife Euch nicht!«

Sie tastete nach ihm hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er fühlte den leichten, warmen Druck und lachte leise zu ihr herüber:

»Da, jetzt kommt das Schmeichelkätzchen!«

»Die Cyperkatze!« schmollte sie, indem sie die Hand wieder zurückzog.

»Na, in dieser Weise lasse ich mir das kleine, allerliebste Krallchen schon gefallen. Hoffentlich ist es auch ehrlich gemeint.«

»Ganz gewiß.«

»Nun gut! So thut endlich auch das kleine Mäulchen auf und miaut mir einmal vor, welche Angelegenheit Euch zu mir geführt hat.«

»Das werde ich doch lieber nicht thun.«

»O wehe!«

»Ja, es wird das Beste sein.«

»Warum?«

»Ihr befindet Euch nicht in der Stimmung, in welcher ich Euch zu finden hoffte.«

»Welche wäre das?«

»Ich glaubte, Ihr würdet ernst und theilnehmend sein.«

»Bin ich das nicht?«

»Nein. Ihr seid das strikte Gegentheil. Von Theilnahme ist keine Spur und mit dem, was ich Euch sage, scheint Ihr Scherz oder gar Spott zu treiben.«

»Keineswegs. Ihr irrt Euch da ganz gewaltig. Ihr habt mir ja noch gar nichts gesagt, also kann ich weder Theilnahme dafür haben, noch meinen Spott damit treiben. Ich erwarte noch immer vergebens, Eure Mittheilungen zu empfangen.«

»O, wenn Ihr nur wolltet, so würdet Ihr wissen, was ich Euch sagen will!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich nur die allermindeste Ahnung davon habe.«

»Sennor, zart drückt Ihr Euch in Gegenwart einer Dame nicht aus!«

»Nicht? Gut, so soll mich der Teufel nicht holen! Seid Ihr damit zufrieden, Sennorita?«

»Ja. Also Ihr errathet nichts?«

»Vielleicht doch.«

»Nun? Rathet einmal!«

»Ihr kommt wegen Sennor Robin. Ihr wollt mir irgend eine Mittheilung machen, welche sich auf ihn bezieht.«

»Errathen!«

»Schön! Also redet, Sennorita!«

»Errathet Ihr denn nicht vielleicht, was ich Euch von ihm sagen möchte, Sennor Steinbach.«

»Vielleicht, wenn ich mir nämlich Mühe gebe.«

»Nun, so denkt einmal darüber nach.«

»Ich denke mir nämlich, daß Ihr nämlich mit Sennor Robin nicht mehr so content seid, wie es eigentlich sein sollte. Habe ich Recht?«

»Ja. Aber wie kommt Ihr auf diesen Gedanken. Ihr müßt doch einen Grund haben!«

»Meinetwegen, ja. Wenn Ihr Euch mit ihm so ständet, wie es sein sollte, so wäret Ihr doch wohl nicht hier bei mir. Nicht wahr, Sennorita?«

»Allerdings. Aber warum glaubt Ihr denn, daß ich hier bei Euch bin aus Gegnerschaft zu ihm?«

»Pah! Ihr seid doch seine Geliebte?«

»Hierauf habe ich keine Antwort.«

»Damit gebt Ihr zu, daß ich das Richtige getroffen habe. Hättet Ihr ihn lieb, so wäret Ihr ihm treu, so würde es Euch gar nicht einfallen, einem seiner Gäste einen verstohlenen nächtlichen Besuch zu machen.«

»Ihr scheint ein sehr scharfsinniger Mann zu sein.«

»O nein. Ich habe nur den gewöhnlichen, hausbackenen Menschenverstand. Was gefällt Euch denn an ihm nicht mehr?«

»Diese Frage könnte ich Euch nur dann beantworten, wenn ich Eurer Verschwiegenheit sicher wäre.«

»Ich bin keine Plaudertasche.«

»Und ich müßte wissen, wie Ihr zu ihm steht.«

»Ich stehe mich gar nicht zu ihm.«

»Was soll das heißen?«

»Ich bin weder sein Freund noch sein Feind.«

»Er ist Euch also gleichgiltig.«

»Ja, sehr.«

»Warum kommt Ihr da zu ihm?«

»Eines kleinen Geschäftes wegen, welches aber mit seiner oder meiner Gesinnung gar nichts zu thun hat.«

»Kennt Ihr ihn von früher?«

»Nein.«

»Welch ein Geschäft ist es, das ihr mit ihm machen wollt?«

»Ich habe Lust, mich hier niederzulassen und möchte ihn fragen, ob er vielleicht sein Haus verkauft.«

»Lüge!« dachte sie.

»Ich hörte, daß Ihr unverheirathet seid. Wenn Ihr ein eigenes Haus besitzt, so müßt Ihr doch eine Person haben, welcher Ihr die Führung der Wirthschaft anvertraut.«

»Natürlich.«

»Kennt Ihr schon eine Dame?«

»Leider nicht.«

»So brauchtet Ihr Euch eigentlich nach gar keiner umzusehen. Ich würde mich freuen, wenn ich hier wohnen bleiben könnte, Sennor.«

»Dieser Gedanke ist gar nicht übel. Leider aber habe ich das Haus noch nicht und kann Euch also auch noch keine Zusage geben.«

Das Gespräch stockte eine kurze Weile. Miranda sah ein, daß sie auf diesem Wege nicht zu ihrem Ziele komme. Sie wollte ihn besitzen oder ihn verderben; welches von Beiden zu geschehen habe, das mußte sich noch vor Walkers Rückkehr entscheiden. Sie durfte also nicht zögern. Sie mußte die gegenwärtigen Augenblicke benutzen. Darum sprach sie in zutraulichem Tone:

»Fast möchte ich annehmen, daß Ihr mir nicht die Wahrheit gesagt habt.«

»Warum sollte ich das?«

»Weil es Euch an Vertrauen zu mir fehlt.«

»Ihr irrt Euch.«

»Das bezweifle ich.«

»Nun, was glaubt Ihr denn nicht?«

»Daß Ihr unser Haus kaufen wollt. Ihr seid jedenfalls in einer ganz anderen Absicht hier.«

»Ich habe keine andere Absicht, als ich Euch bereits sagte, Sennorita.«

»Pah! Ihr täuscht mich nicht!«

»Das will ich gar nicht!«

»Ich könnte Euch beweisen, daß Ihr mich täuscht.«

»Bitte, beweist es mir!«

»Sennor Robin ist Euch nicht gleichgiltig.«

»O, außerordentlich gleichgiltig.«

»Lügt nicht! Ihr seid sein Feind.«

»Fällt mir nicht ein.«

»Ihr seid sogar gekommen, ihn zu verderben.«

»Ich wüßte nicht, weshalb und auf welche Weise.«

»Das sagt Ihr, um mich zu täuschen. Aber das ist unrecht von Euch. Es wäre viel vortheilhafter für Euch, wenn Ihr aufrichtig sein und mir die Wahrheit sagen wolltet, Sennor.«

»Vortheilhaft? Hm!«

»Ja, gewiß. Ihr würdet an mir eine Verbündete gewinnen, welche Euch von großem Nutzen sein würde.«

»Alle Teufel! Das ist mir interessant. Ich habe doch richtig vermuthet, daß Ihr eine Katze seid, denn Ihr streichelt diesen Robin mit den Sammetpfötchen und mir bietet Ihr an, ihm die Krallen zu geben.«

»Er hat es verdient.«

»Womit?«

»Er ist mir untreu, er ist falsch, es ist gefährlich, bei ihm zu wohnen. Er thut Dinge, welche vom Gesetze verboten sind und wenn er dabei ergriffen wird, muß auch ich darunter leiden. Weil ich bei ihm wohne, wird man mich für seine Verbündete halten, obgleich ich das ganz und gar nicht bin.«

»Ganz und gar nicht? Wirklich?«

»Ja, ich kann es beschwören.«

»Nun, was sind denn das für gesetzeswidrige Dinge, von denen Ihr redet?«

Jetzt hatte sie ihn auf dem Punkte, auf welchen sie ihn hatte bringen wollen. Jetzt konnte sie genau nach ihrem Vortheile handeln. Der schlaue Sam hingegen dachte:

»Jetzt wird sie denken: Nun schnappt der Hecht zu! Prosit die Mahlzeit. Er beißt nicht an. Sie will mich übertölpeln, mich, den alten, dicken Sam. Da kommt sie an den Rechten. Ich werde ihr mit aller Gemüthlichkeit die heimlichen Mitesser aus der Nasenspitze quetschen. Darauf kann sie sich verlassen.«

Sie antwortete auf seine Frage:

»Ihr fragt mich da in einer Weise, welche mir ganz unbegreiflich ist.«

»Wieso unbegreiflich?«

»Ich soll Euch verrathen, was Robin für Verbrechen begangen hat.«

»Na, na! Von Verbrechen ist noch gar keine Rede gewesen. Ein Vergehen ist noch kein Verbrechen. So schlimm habe ich mir Eure Worte ja gar nicht ausgelegt.«

»Ich weiß besser, was Ihr denkt. Aber Mittheilungen, wie Ihr sie von mir verlangt, die macht man doch nicht dem ersten besten Fremden, die macht man doch nur einem Freunde, einem Verbündeten.«

»Nun, so wollen wir Beides sein. Es fragt sich nur, zu was wir uns verbünden wollen.«

»Ich meine Zweierlei. Erstens will ich mich an Robin rächen. Wollt Ihr mir dabei helfen?«

»Ja. Wollen wir ihn mit einem Stricke abmurxen, oder schlagen wir ihn einfach mit einem Knüppel todt?«

»Sennor, nicht so dumme Witze! Sie gehören nicht hierher. Wenn Ihr nicht ernster werdet, so kann ich kein Vertrauen zu Euch haben. Ich gehe dann und lasse Euch sehr einfach hier sitzen.«

»Hm, doppelt werde ich wohl auch nicht dasitzen. Aber Spaß bei Seite, was ist das Zweite, zu was wir uns verbünden wollen, meine liebe Sennorita?«

»Meine liebe Sennorita!« Das klang ihr wie mit silbernem Glockentone in die Ohren. Sollte er denn vielleicht doch von ihrer Schönheit bezaubert sein? Sollte sich nur seine rauhe Jägernatur gegen die angebotenen Zärtlichkeiten sträuben? Sie hoffte es. Darum legte sie ihm abermals die Hand auf die Schulter und flüsterte in innigem Tone:

»Schließen wir den süßesten Bund, den es auf Erden geben kann.«

»Süß? Sapperment! Da mache ich mit. Welchen Bund meint Ihr denn, Madonna Miranda?«

»Den Bund unserer Seelen.«

»Unserer Seelen? Alle Wetter. Ich habe keine Ahnung, wie man zwei Seelen zusammenschweißen kann. Ich bin mir überhaupt über meine Seele noch recht im Unklaren. Zuweilen denke ich, ich habe eine; zuweilen bin ich inwendig so leer, daß ich darauf schwören möchte, keine zu haben, und manchmal rumort es da drinnen auf eine solche Weise, daß ich es mit Siegel und Unterschrift bestätigen könnte, daß vierzig bis fünfzig Seelen in mir stecken.«

»Ihr seid und bleibt ein Spaßvogel! Ich habe mich freilich falsch ausgedrückt. Ich meinte nicht einen Seelen-, sondern einen Herzensbund.«

»Das ist etwas Anderes! Aber sagtet Ihr nicht, daß dieser Bund der süßeste sei?«

»Jawohl.«

»Hm! Das möchte ich bestreiten.«

»Warum?«

»Weil ein Herzensbund das Allerarmseligste ist, was es nur geben kann.«

»Das ist mir ganz neu!«

»Mir ist es aber eine alte Weste. Ich habe schon als Schulknabe gewußt, daß bei einem Herzensbunde nichts herauskommt, als nur die größte Armethei.«

»Ich verstehe und begreife Euch nicht.«

»Weil Ihr von spanischer Abstammung seid. Wäret Ihr eine Deutsche, so würdet Ihr mir sofort zustimmen. Wir Deutschen sind nämlich nüchtern und sehen beim ersten Blicke, was an einer Sache ist.«

»Solltet Ihr Deutschen wirklich glauben, daß aus einem Herzensbunde nur Elend folge?«

»Ja, nur Elend und Armethei. Einer unserer größten deutschen Dichter, den man deshalb auch Alexander den Großen von Macedonien genannt hat, der hat darüber folgendes rührende Gedicht gemacht:

Mein Herz und Dein Herz,
Das ist ein Klumpen;
Mein Rock und Dein Rock,
Das ist ein Lumpen!«

Sie zog die Hand schnell zurück. Am Allerliebsten wäre sie ihm mit den Nägeln in das Gesicht gefahren. Sie war jetzt überzeugt, daß er sie nur foppte. Oder sollte dies doch vielleicht nicht der Fall sein? Sie fühlte sich sofort besänftigt, als er in freundlichem Tone fortfuhr:

»Also von einem Herzensbunde mag ich nichts wissen. Was nützt mir das Herz eines Menschen, wenn nicht der ganze Kerl mein sein kann!«

»Ah, verstehe ich Euch recht?«

»Habt Ihr mich denn anders verstanden?«

»Ihr wollt nicht nur das Herz, sondern die ganze Person, das ganze Wesen?«

»Natürlich, Sennorita.«

»Das meine ich ja auch!«

»Pah! Ihr habt mir ja blos Euer Herz angeboten.«

»Unter dem Worte Herz verstehe ich doch meine Liebe, mein ganzes Fühlen.«

»Unsinn! Was nützt mir Eure Liebe und was thue ich mit allen Euren Gefühlen, wenn ich nicht die ganze Miranda bekommen kann! Kann ich Euer Gefühl umarmen? Kann ich Eure Liebe küssen? Kann ich mit Eurem Herzen spazieren reiten? Kann mir Eure Seele Kaffee kochen?«

»Nein, da habt Ihr sehr Recht,« kicherte sie leise. »Ihr nehmt die Sache freilich auf eine ganz und gar gegenständliche Weise.«

»Natürlich! Ich will Euer Gegenstand sein und Ihr sollt der meinige sein. Einen Gegenstand aber muß ich doch beim Schopfe fassen können, den muß ich fühlen, den muß ich unter Umständen vor lauter Liebe zerquetschen können. Das nenne ich einen Gegenstand. Aber, wohl gemerkt, Sennorita! Ich will Euer einziger Gegenstand sein! Ihr sollt nicht noch fünf Schock andere Gegenstände haben!«

»Ihr aber auch nicht!«

»Nein. Ihr genügt mir.«

»Also, das Bündniß ist geschlossen?«

»Ja, Sennorita.«

»Gut. Besiegeln wir es mit einem Handschlage und mit dem Kusse, welchen ich – –«

»Noch nicht!« rief Barth.

»Ihr seid nicht aufrichtig. Ich habe Euch so lieb, so sehr, so unendlich lieb; ich will Euch gehören, ich will die Eurige sein, Eure Wirthschafterin, Euer Weib, Eure Geliebte, ganz wie und was Ihr wollt, aber ich verlange, daß Ihr mir die Wahrheit sagt.«

»Kind, Du täuschest Dich!«

Er sprach das in freundlichem, besänftigendem Tone und ergriff dabei ihre Hand. Sie war überzeugt, er sei Steinbach. Die Berührung seiner Hand durchfluthete sie mit einem elektrischen Strome, welcher ihr ganzes Innere durchzitterte. Es war finster in dem Zimmerchen, dennoch aber bemerkte sie die Augen feuerroth auf den Augäpfeln liegen, so schoß ihr das Blut nach dem Kopfe. Sie mußte sich bezwingen, ihm nicht um den Hals zu fallen; aber sie glaubte, die ersehnte Stunde ihrer Wünsche sei gekommen; dieser Gedanke, dieses Bewußtsein machte alle ihre bisherige Vorsicht zu schanden. Sie drückte seine Hand mit den ihrigen beiden und sagte unter fliegendem Athem:

»Nein, ich täusche mich nicht, ich weiß es genau. Soll ich es Dir beweisen?«

»Ja, beweise es!«

»Du kennst Robin. Du weißt sogar, daß er eigentlich anders heißt!«

»Oho! Was ich nicht Alles wissen soll.«

Sie befand sich in hochgradiger Erregung. Der herrliche Mann, der so plötzliche Heißgeliebte saß neben ihr; sie hielt seine Hand in ihren Händen; alle ihre Pulse klopften; alle ihre Sinne waren erregt. Es gab für sie kein Bedenken, kein Zurückhalten, keine Vorsicht mehr. Sie mußte ihm beweisen, daß sie ihn durchschaue und damit mußte sie ihn zwingen, ihr sein Vertrauen zu schenken. Das war ihr einziges Trachten, ihr einziges Denken; einen anderen Gedanken zu haben, das war ihr jetzt unmöglich. Sie fuhr fort:

»Ja, das weißt Du!«

»Sapperment, so hat er einen anderen Namen?«

»Ja. Er heißt Walker.«

»Davon habe ich keine Ahnung.«

»Lüge nicht! Mit wem bist Du hier?«

»Mit meinem Gefährten Barth.«

»Mit keinem Andern?«

»Nein.«

Ihr Athem flog heiß zu ihm hinüber. Ihr Busen stürmte, er fühlte es am dem Arme, dessen Hand sie ergriffen hatte. Sie hätte beinahe laut gerufen, aber das durfte sie nicht; sie raunte ihm mit heiserer Stimme zu:

»Lügner! Kennst Du einen gewissen Wilkins?«

»Ja.«

»Wer ist das?«

»Ein Methodistenprediger in New-York.«

»Den meine ich nicht, sondern einen ganz anderen. Kennst Du die ›starke Hand‹, den Häuptling der Apachen?«

»Ich habe von ihm gehört.«

»Kennst Du Roulin, Bill Newton und Magda Hauser?«

»Wetterhexe! Bist Du allwissend?«

»Was Dich betrifft, ja.«

»Das ist gefährlich!«

»Ja, gefährlich kann ich Dir werden.«

»Wird Dir nicht einfallen! Wir haben uns versprochen, zwei gute Kameraden zu sein, und so will ich denn zugeben, daß ich diese genannten Personen alle kenne.«

»Diese Personen sind jetzt hier in Prescott, um sich der Person Walkers zu vergewissern?«

»Ich will Dir gestehen, daß wir beabsichtigen, ihn beim Zopfe zu nehmen.«

»Das wird Euch nicht gelingen. – Ihr werdet nur den Zopf erhalten. Er läßt Euch die Perrücke in der Hand und entflieht.«

»Pah! Wir haben auch Beine. Wir laufen ihm nach!«

»Wohin?«

»Grad dahin, wohin er auch gegangen ist.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Wir erfahren es von ihm selbst. Er wird uns seine Spur zurücklassen.«

»Es mag sein, daß so berühmte Jäger jede Spur zu finden und zu lesen verstehen; aber er ist auch aller Ränke voll.«

»Wir werden ihm diese Ränke austreiben!«

»Wenn Ihr ihn bekommt. Aber ohne mich werdet Ihr ihn nicht ergreifen!«

»Nun, warum denn?«

»Weil er weiß, daß Ihr da seid.«

»Deine Mittheilung kann mich nicht überraschen. Du weißt Alles, also muß doch er auch Alles wissen. Du kannst es doch nur von ihm erfahren haben.«

»Das ist richtig. Aber von wem hat er es erfahren?«

»Das weiß ich freilich nicht.«

»Soll ich es Dir sagen?«

»Natürlich, Mirandchen!«

»Mirandchen! Schau, daß Du zärtlich sein kannst!«

»O, mehr als Du denkst. Du wirst staunen, welche Fülle von Zärtlichkeit ich entwickeln kann.«

»Bis jetzt merke ich davon noch nichts.«

»Das hat seine Gründe. Wenn ich lieben soll, dann will ich auch geliebt sein.«

»Ich liebe Dich!«

»Ja, ein Wenig, ein klein Wenig, für diesen Augenblick!«

»Nein nein, sondern für ewig und mit aller Macht meiner Seele!«

»Pah, Kind! Ereifere Dich nicht. Ich habe bis jetzt unser Gespräch ziemlich gleichgiltig genommen und dabei einige schlechte Witze gemacht. Ich weiß, daß Du mich eine Stunde nach meiner Abreise vergessen haben wirst.«

»Mann! Mensch! Denkst Du das wirklich?«

»Ja, wirklich!«

»So schwöre ich Dir beim Himmel und bei der Hölle, daß ich niemals, niemals – – –«

»Halt, nicht weiter! Schwöre nicht! Ich kenn Euch Frauen zu genau. Du hast ein liebesbedürftiges Gemüth. Die Natur ist ein klein Wenig freundlich gegen mich gewesen; ich gefalle Dir, so wie Du mir gefällst – das ist aber auch Alles.«

»Nein, nein! Ich fühle es. Ich gehöre Dir mit Leib und Seele; ich bin Dein im Leben und im Tode!«

»Mädchen, sage das nicht! Wüßte ich, daß ich mich wirklich auf Dich verlassen könnte, so würde ich ganz anders mit Dir sprechen; so aber bist Du Walkers Maitresse.«

»Weißt Du das so gewiß?« fiel sie ihm in die Rede.

»Das singt hier jeder Spatz vom Dache!«

»Nun gut, ich bin es gewesen, aber ich will und werde es nicht mehr sein.«

»Von welcher Zeit an.«

»Von heute oder vielmehr von dem Augenblicke an, an welchem ich die Ueberzeugung habe, daß ich Dein Eigenthum bin.«

»Du sollst es sein, wenn Du willst.«

»So nimm mich hin! Ich bin Dein!«

Sie wollte die beiden Arme um ihn schlingen. Er aber wehrte sie ab.

»Halt, halt. Nicht so schnell, liebe Miranda! Bis jetzt weiß ich noch nicht, wie weit ich Dir glauben und vertrauen darf. Wie nun, wenn Walker Deine Schönheit nur als Falle gestellt hat – – –!«

»Wo denkst Du hin!«

»Wie nun, wenn Du nur in der Absicht, mich auszuhorchen, hierher gekommen bist!«

»Das kannst Du doch nicht denken!«

»Nicht? Besinne Dich! Denke nach! Ich komme als Fremder in dieses Haus. Ich behandle Dich kühl und abweisend; ich werde schließlich beinahe grob. Dennoch kommst Du bei nächtlicher Weile im Dunkeln zu mir an mein Lager. Du sagst mir, daß Du mir von Walker mitzutheilen habest, aber Du theilst mir nichts mit, sondern Du suchst so viel wie möglich aus mir heraus zu locken. Muß mir das nicht verdächtig vorkommen?«

»Du magst Recht haben.«

»Wie kann ich also Deinen Zärtlichkeiten trauen?«

»Du kannst es. Du darfst es.«

»Das darf ich leider nicht. Ich bin stark; aber im Augenblicke der Erregung ist auch ein Weib stark. Du umarmst mich; Du hältst mich fest und Walker tritt ein, mich zu ermorden!«

»Gott! Das traust Du mir zu?«

»Ich muß an Alles denken.«

»Schrecklich! Aber ich gebe zu, daß Du Recht hast. Wer sich so wie Du in der Höhle des Löwen befindet, der muß doppelt vorsichtig sein. Aber sage mir, was muß ich thun, um Dein Vertrauen zu gewinnen?«

»Aufrichtig sprechen.«

»Ich will es.«

»So sage mir, wo Walker ist!«

»In der Stadt.«

»Was will er da?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sollte er es Dir, seiner Vertrauten, nicht gesagt haben?«

»In diesem Grade bin ich seine Vertraute nicht. Er ist mit Roulin fort und Beide werden noch im Laufe der Nacht wiederkommen.«

»Sie wissen aber, daß wir hier sind?«

»Sie wissen es. Roulin hat bemerkt, daß ihr ihn verfolgt. Heut war er bei Sennorita Emeria und hat den dicken Barth kommen sehen.«

»Was will er denn eigentlich hier bei Walker?«

»Das weiß ich nicht. Ich war gar nicht dabei als die Beiden mit einander sprachen.«

»Walker weiß also auch, daß Wilkins bei uns ist?«

»Ja.«

»Ist er darüber nicht erschrocken, als Roulin es ihm sagte?«

»Er wußte es schon, ehe Roulin kam.«

»Unmöglich, und von wem hatte er es erfahren?«

»Von Bill Newton.«

»Himmeldonnerwetter. Ist der auch da?«

»Ja. Er kam mit Leflor aus Wilkinsfield.«

Sam fuhr von seinem Lager empor. Was er hörte, war ihm unbegreiflich. Sein Verhalten, sein Erstaunen brachte Miranda zur Besinnung. Erst jetzt bemerkte sie, welchen Fehler sie begangen hatte. Sie hatte in ihrer Aufregung weit mehr gesagt, als sie hatte sagen wollen.

»Du kennst Bill Newton?«

»Ja.«

»Was thut er hier?«

»Er ist Walkers Factotum.«

»Passen sehr gut zu einander. Seit wann ist er hier?«

»Ich weiß es nicht. Als ich hier antrat, war er bereits da. Was er war und was er mit Walker eigentlich treibt, das kann ich nicht sagen. Beide hüten sich, mich zur Vertrauten zu machen.«

»Aber kürzlich war er fort?«

»Ja. Ich wußte nicht, weshalb und wohin. Aber heut kam er am Nachmittage zurück. Er brachte einen andern Mann mit, einen Pflanzer Namens Leflor aus Wilkinsfield.«

»Was wollte dieser da?«

»Walker hat ihn herbei gerufen.«

»Hm. Hat Newton erzählt, wo er gewesen ist?«

»Ja. Ihr hattet ihn am Silbersee gefangen genommen und eingesperrt. Dann ist Leflor dort eingekehrt. Er hat sich vor dem deutschen Förster als der Freund von Wilkins ausgegeben, und darauf hin hat ihm dieser Alles mitgetheilt. Auch in das Gefängniß hat er ihn mitgenommen. Leflor hat in der Nacht Newton das Loch geöffnet und ist mit ihm fort.«

»Verdammt! Welch ein Zusammentreffen! Hat der eine Hund den andern herausgebissen. Weshalb aber hat Walker diesen Leflor kommen lassen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Miranda, gehe fort!«

»Fort? Warum?«

»Du weißt es! Gehe fort, sonst werfe ich Dich hinaus. Ich halte stets mein Wort.«

Er stand, um seiner Drohung Nachdruck zu geben, von der Matratze auf. Sie merkte es und lenkte in Folge dessen sofort um.

»Bitte, bitte,« sagte sie schnell. »Da fällt es mir ein. Sie sprachen von der Plantage Wilkinsfield, von dem Oberaufseher Adler und von dem Neffen des vorigen Besitzers.«

»Auch von ihm und wo sind diese beiden Verschwundenen?«

»Roulin sagte, daß diese beiden sich in seiner Quecksilbergrube als Arbeiter befinden.«

»Herr, mein Gott! Das wäre ja schrecklich, ganz entsetzlich. Wie sind sie denn in seine Hand gerathen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Höre, Aufrichtigkeit!«

»Ich sage wirklich die Wahrheit. Robin und Leflor fragten ihn auch darnach; aber er gab ihnen keine Auskunft. So konnte also auch ich es nicht erfahren.«

»Also Leflor weiß, wo sie sich befinden?«

»Ja.«

»Und daß sie noch leben? Ha, jetzt begreife ich Alles. Nicht wahr, sie wollen zu Roulin, nach dem Thale des Todes?«

»Ja. Vorher aber erst noch nach Mohawk-Station!«

»Nicht wahr, sie wollen sich dort zweier Mädchens bemächtigen? Ihr seid eine schöne allerliebste Bande!«

»Ich gehöre nicht dazu!«

»Was thut Walker heut Abend in der Stadt?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich bin vollständig überzeugt, daß Du genau den Zweck dieses Stadtbesuches weißt.«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Stelle Dich nicht dumm! Es handelt sich um Sennor Günther. Habe ich Recht?«

Sie war jedenfalls erschrocken, sie antwortete erst nach einer Pause und zwar mit hörbar gepreßter Stimme:

»Meinst Du, daß Walker ihn besuchen will?«

»Ja freilich meine ich das. Und zwar ist seine Weise, eine solche Visite zu machen, eine sehr eigenartige.«

»Wieso?«

»Nun, macht man nach Mitternacht Visiten?«

»So spät will er ihn besuchen?«

»Du unschuldiges Lamm! Du natürlich hast keine Ahnung davon! Auch eilt Walker nicht durch die Thür sondern durch den Kleiderschrank.«

»Heilige Maria!«

Sie stieß diesen Ausruf fast laut aus. Der Schreck hatte ihn ihr ausgepreßt. Sie hörte, daß selbst auch das heutige Vorhaben verrathen war.

»Nicht so laut, Mirandchen!« warnte er. »Du darfst Dich vom Entzücken nicht so weit hinreißen lassen, die Bewohner dieses Hauses darauf aufmerksam zu machen, daß Du bei mir bist.«

»Ich war verwundert. Ich weiß nicht, was Du mit dem Kleiderschrank meinst.«

»Ja, Du weißt heut leider gar nichts. Es ist nur gut, daß ich Alles weiß. Sobald nämlich Dein Freund Walker durch den Schrank in Günthers Stube tritt, wird er arretirt.«

»Herr, mein Gott! Der arme Günther.«

»Höre, sorge Dich nicht um ihn; er steht unter unserm Schutz. Sorge lieber um Dich selbst. Es ist sehr leicht möglich, daß man auch Dich für mehrere Jahre an einen Ort bringt, wo es Dir nicht gefallen dürfte.«

»Du sagst, Du liebst mich, und sprichst solche Worte!«

»Du sagst, Du liebst mich, und machst Lüge auf Lüge!«

»Deine letzte Vermuthung ist wahnsinnig!«

»O nein. Wir waren von ihrer Richtigkeit so überzeugt, daß mein Gefährte nach der Stadt ist.«

»Wie aber hat denn Barth fort gekonnt?«

»Barth? Der ist ja gar nicht fort.«

Bei diesen Worten schnallte er leise seinen Lasso los und legte ihn in eine Doppelschlinge.

»Du sagtest es doch!«

»Gott bewahre! Steinbach ist nach der Stadt.«

»Der bist Du doch!«

»Himmeldonnerwetter! Das wird mir nun zu toll! Jetzt sitzest Du bereits fast ein paar Stunden bei mir, hast mir sechzig Liebeserklärungen und neunzig Lügen gemacht und weißt nicht einmal, wer ich bin! Das ist doch unbegreiflich!«

»Himmel! Ich werde ganz confus! Redest Du denn vielleicht irr?«

»Ich? Irre reden? Na, das niemals! Aber Du scheinst vor Liebe verrückt geworden zu sein. Du mußt doch wahrhaftig wissen, bei wem Du bist!«

»So wäret Ihr – – – Sennor Barth?«

»Ja. Ich bin der dicke Sam Barth.«

»Unmöglich, ganz unmöglich!«

»Unsinn! Bei Sam Barth ist nichts unmöglich.«

Jetzt stieß sie einen wirklichen, lauten Schrei aus und sprang auf. Sie wollte sich entfernen. Er aber hielt sie fest.

»Betrüger!« knirrschte sie.

»Spitzbuben! Verliebte Mörderin!«

»Laßt mich los!«

»O nein. Ich habe Euch gesagt, daß ich Euch liebe, und wem ich mein Herz schenke, den halte ich fest.«

»Ich muß fort!«

»Bitte, laßt es Euch noch ein Wenig bei mir gefallen!«

»Nicht einen Augenblick!«

»Jetzt, da wir uns nun endlich kennen gelernt haben, wollt Ihr fort! Das ist nicht recht. Ich denke, nun soll erst das Küssen und Schnäbeln losgehen!«

»Häßlicher! Laßt mich los!«

»Pst, nicht so laut! Man könnte bemerken, daß Ihr bei mir seid und das kann Euch doch nicht recht sein.«

»Mag man es bemerken! Man wird mich befreien.«

»Dabei würde auch ich ein Wort mitsprechen.«

»Soll ich um Hilfe rufen?«

»Thut dies ja nicht! Es wäre Euer letzter Ruf in diesem Leben!«

»Wollt Ihr mich etwa morden?«

»Mit Leichtigkeit! Es soll mir ein Vergnügen sein.«

»Schrecklicher Mensch!«

»Pah! Ein solcher Mord hat nichts Schreckliches. Es ist vielmehr eine Pflicht, eine solche Katze in der ersten, besten Pfütze zu ersäufen. Uebrigens will ich Euch jetzt zum letzten Male warnen! Ich befinde mich hier in einem feindlichen Hause. Ich muß vor allen Dingen für meine Sicherheit sorgen. Gebt Ihr ohne meine Erlaubniß einen einzigen Laut von Euch, so stoße ich Euch die Klinge dieses Messers irgend wohin, wo sie Euch Schaden macht, nämlich in das Herz. Fühlt Ihr die Klinge?«

Er hielt sie ihr an den nackten Arm, welchen er am Handgelenk gepackt hatte.

»Das ist doch Euer Scherz.«

»Mein vollster Ernst.«

»Wer sollte so Etwas glauben! Laßt mich!«

Sie versuchte, sich loszureißen; aber sofort hatte sie die Lassoschlinge um die Arme und um den Leib, so daß sie sich nicht bewegen konnte.

»Da habt Ihr es! Nun seid Ihr gefesselt. Jetzt braucht Ihr nur um Hilfe zu rufen, wenn mein Messer Euch dahin senden soll, wo man keine Lügen mehr machen kann.«

»Herrgott! Was beabsichtigt Ihr eigentlich mit mir?«

»Gar nichts. Ich binde Euch noch ein Wenig fester und lege Euch auf die Matratze. Da bleibt Ihr liegen, bis Sennor Steinbach zurückkehrt. Der mag bestimmen, was geschehen soll. Jedenfalls bringt er Euren lieben Walker nebst Bill Newton, Alfons und auch die Andern mit. Wir werden dann so eine kleine Art Jury bilden und ein strenges Gericht halten.«

»Schrecklich! Warum kam ich auf den Gedanken, hierher zu gehen!«

»Es war die Liebe. Die hat schon Manchen umgebracht, liebe Sennorita.«

Er schlang den Lasso fester um sie, legte sie auf die Matratze und setzte sich auf die Ecke der Letzteren. Sie wagte es nicht, um Hilfe zu rufen; aber schweigen konnte sie auch nicht; dazu war sie zu aufgeregt, und das lag auch gar nicht in ihrem Temperament.

»Sennor, ich will Euch einen Vorschlag machen.«

»Wohl zum Zwecke, daß ich Euch losbinde?«

»Ja.«

»Behaltet ihn für Euch! Es wird nichts daraus.«

»Versucht es nur, Ihr sagtet, ich sei schön?«

»Leider schöner, als Ihr es werth seid.«

»Aber die Schönheit ist doch ein Gut!«

»Sogar ein – hm, ein schönes!«

»Rückt doch näher zu mir heran, Ihr sollt mich küssen dürfen!«

»Ich habe meine Auguste und brauche Euch nicht. Und nun seid still, sonst stecke ich Euch die ganze Matratze als Knebel in den Mund.«

Sie schwieg eine Weile, machte dann aber doch wieder einen Versuch, ihn durch Bitten zu rühren. Das waren die Worte, welche Walker gehört hatte, als er, leise herangekommen, an der Thür lauschte.

Er hatte die Thür mit der äußersten Vorsicht aufgeklinkt. Er war noch unentschlossen, was er thun solle. Der Gedanke aber, daß sie Vieles, Vieles von ihm wisse und daß sie Alles verrathen werde, wenn er sie in ihrer jetzigen Lage belasse, brachte ihn zu dem Entschlusse, sie zu erlösen. Vielleicht war gar kein Kampf nöthig – ein Messerstich im Dunkeln, in die Brust des Jägers – pah!

Walker zog also sein Messer heraus und öffnete die Thür so weit, daß er hinein konnte. Er legte sich lang auf den Boden und kroch über die Schwelle langsam hinein. Um die Hände zum Tasten frei zu haben, nahm er das Messer in den Mund. Er war fest entschlossen, Sam zu tödten, um Miranda frei zu bekommen.

Aber er hatte den dicken Jäger sehr falsch beurtheilt. Sam hatte genug erfahren und erlebt; er war gewohnt, auf den kleinsten, geringfügigsten Umstand zu achten, da im wilden Westen sehr oft das Leben von einer Kleinigkeit abhängt, welcher ein Unerfahrener gar keine Aufmerksamkeit schenken würde.

Das Zimmerchen war klein und das Fenster desselben nicht geöffnet. Zwei Personen strahlen ein ziemliches Quantum Eigenwärme aus; darum hatte es eine fühlbar hohe Temperatur in dem Raume gegeben. Jetzt nun, da die Thür geöffnet worden war, drang die Kühle der Nacht vom Söller herein. Walker hatte diesen Umstand gar nicht in Berechnung gezogen; Sam aber fühlte die frische Luft. Die Thür war zugeklinkt gewesen; sie mußte jetzt geöffnet worden sein, leise und heimlich. War etwa Steinbach bereits wieder da? Dieser hatte zwar alle Veranlassung, sich von den Bewohnern des Hauses nicht bemerken zu lassen; hier aber hätte er nichts mehr zu befürchten gehabt und konnte also ganz ohne Sorgen hereinkommen. Derjenige, welcher die Thür geöffnet hatte, mußte also ein Anderer sein, jedenfalls ein Feind.

Sam saß auf der Matratze. Er glitt von derselben herab, so daß er den Kopf und in Folge dessen auch die Augen möglichst tief an den Boden brachte. Es ist ja eine alte und allgemeine Erfahrung, daß man im Dunkel von unten nach oben blicken muß, wenn man Etwas sehen will.

Dazu kommt noch ein weiterer Umstand. Das Auge eines erfahrenen Jägers ist gewöhnt worden, sich auch des Nachts anzustrengen; er ist also im Stande, im Dunkeln Gegenstände wahrzunehmen, welche ein Anderer schwerlich bemerken würde. Wer es noch nicht beobachtet hat, der möchte es kaum glauben; das Auge eines Menschen ist für einen scharfen, geübten Blick selbst des Nachts zu sehen; es hat einen phosphorähnlichen, matten Glanz, und dieser Glanz wird desto stärker, je mehr es sich anstrengt, Etwas zu sehen. Dazu ist die Wärme, welche ein menschlicher Körper ausstrahlt, für einen guten Beobachter auf mehrere Schritte weit zu fühlen. Auch die Nase kommt in Thätigkeit. In jenen Gegenden ist von einem öfteren Wechsel der Kleider und Wäsche nicht die Rede. Die Kleidung ist in Folge dessen von dem Schweiße des Besitzers durchtränkt und riecht nach demselben. Alle diese Umstände machen es möglich, daß man selbst im Dunkeln das heimliche Nahen einer Person bemerken kann.

Sam machte seine Augen nicht etwa weit auf. Der Feind hätte sie ja sehen können. Er hielt vielmehr die Lider halb geschlossen; doch verlor sein Blick dadurch gar nichts von der gewohnten Schärfe. Er fühlte einen eigenartigen Wärmehauch, welcher von der Person des Nahenden ausging, ebenso einen Geruch nach Kleidern, und da – kaum eine Elle von seinem Kopfe entfernt, leuchteten jetzt zwei Augen auf. Es war ganz dasselbe Glänzen, welches zum Beispiel auch die Augen eines Haifisches in tiefster Nacht und im dunkelsten Wasser sichtbar werden läßt.

»Sennor, Ihr seid so still. Seid Ihr fort?« fragte jetzt Miranda.

Sam erhob sich schnell und antwortete:

»Fort? Ihr denkt, Ihr seid allein? Da irrt Ihr Euch. Wir haben sogar Besuch bekommen.«

»Besuch? Wen?«

Es ertönte ein Geräusch wie von einem Sprunge; dann war es still. Aber nach einigen Augenblicken war ein lautes Athmen und unterdrücktes Stöhnen zu vernehmen wie von Männern, welche kämpfen und dabei nicht laut werden wollen.

»Herrgott! Was geht hier vor?« fragte Miranda.

»Donnerwetter!«

Diesen Fluch hatte Sam ausgestoßen. Er hatte sich auf Walker geworfen und ihn am Halse gepackt. Der so unerwartet Ueberfallene gab sich Mühe, frei zu kommen; es gelang ihm aber nicht. Sam umschloß mit beiden Händen die Luftröhre des Feindes, um ihm den Athem abzuschneiden. In seiner Angst strengte Walker seine ganzen Kräfte an und bäumte sich empor. Sam mußte mit einer Hand fahren lassen, um sich zu stützen und nicht zu Fall zu kommen. Als er dann wieder zugriff, fuhr er mit der Hand in die Klinge des Messers, welches Walker noch immer im Munde hatte. Der Griff war so kräftig gewesen, daß das Messer aus dem Munde geschlagen wurde, Sam aber einen fürchterlichen Schnitt in die Hand erhielt. Das war der Grund des Ausrufes, welchen er ausgestoßen hatte.

Er ließ auch die andere Hand von der Gurgel des Feindes, nur einen einzigen Augenblick lang; aber dieser Augenblick genügte. Walker riß sich auf und wollte nun seinerseits Sam fassen. Dieser aber war zu erfahren und zu geistesgegenwärtig, als daß er seinem Gegner eine solche Chance eingeräumt hätte. Er that einen Sprung nach der Ecke, wo seine Büchse lehnte, ergriff dieselbe beim Laufe und führte einen Hieb nach Walkers Kopf. Da im Dunkeln ein Zielen nicht möglich war, so traf er nicht den Kopf, sondern die Achsel.

Der Getroffene stieß einen Weheruf aus, zog die Pistole aus dem Gürtel und feuerte. Der Schuß erklang dröhnend durch das ganze Haus; sein Blitz erleuchtete das kleine Zimmer für einen Moment tageshell.

»Walker!« rief Miranda. »Rette mich!«

»Walker! Ah, Bursche, Du kommst mir selbst in das Garn!« rief Sam. »Das ist sehr schön von Dir!«

Auch Walker hatte nicht zielen können, und darum war die Kugel glücklicher Weise an Sam vorüber gegangen. Dieser Letztere mußte nun vor allen Dingen den zweiten Schuß aus der Doppelpistole verhüten. Er griff also nach Walkers Faust, welche diese Waffe gefaßt hielt. Es begann ein abermaliges Ringen. Die beiden Männer zogen und rissen einander hin und her. Dabei war Sam im Nachtheile, weil er sich der verwundeten Hand nicht zu bedienen vermochte.

Natürlich hatte der Schuß alle Bewohner des Hauses alarmirt. Es wurde hell.

»Hierher, hier herauf!« gebot Walker.

Die Leute kamen herbei, mit Lampen und Lichtern in den Händen.

»Packt den Kerl! packt den Mörder!« rief Walker.

Sam wurde ergriffen. Er mußte Walker fahren lassen und machte eine Anstrengung, sich von diesen neuen Gegnern zu befreien.

»Er ist der Mörder, er!« rief er. »Ergreift doch ihn, den Hallunken, nicht mich!«

»Ich ein Hallunke, ich?« brüllte Walker. »Da hast Du es, Hund!«

Er richtete den Lauf der Pistole auf Sam und drückte ab. Der kleine Dicke hatte eine gewaltige Anstrengung gemacht und sich von seinen Bedrängern losgerissen. Eben als Walker zielte, griff er nach der Pistole desselben – zu spät! Der Schuß krachte. Sam fuhr mit beiden Händen nach seinem Herzen.

.

»Herrgott! Ich bin – bin – –«

Er konnte nicht weiter sprechen. Er wankte, drehte sich einmal langsam um sich selbst und stürzte dann auf den Boden nieder.

»Todt! Erschossen!« tönte es im Kreise.

»Ihm geschieht ganz recht!« antwortete Walker. »Seht hier die Sennorita liegen. Er hat sie überfallen und gefesselt. Er wollte sie ermorden. Er hat nur seine gerechte Strafe gefunden.«

»Was thun wir mit ihm?«

»Pah! Laßt ihn liegen!«

»Wo ist sein Kamerad?«

»Das geht Euch Nichts an. Macht, daß Ihr fortkommt! Wir haben Anderes zu thun, als uns um diese Hunde zu bekümmern.«

Er band Miranda los und führte sie fort, nach ihrem Zimmer. Dort sagte er kein Wort. Er riß einen Mantel vom Nagel, warf ihn ihr über und zog sie dann weiter fort, durch die Zimmer bis zur hinteren Treppe, welche nach der Pforte führte.

»Wohin?« fragte sie.

»Wir müssen fliehen. Die Verfolger sind vielleicht jetzt schon an der Thüre!«

»Kann ich nicht bleiben?«

»Dummheit!«

»Sie dürfen mir ja nichts thun. Sie können mir gar nichts beweisen.«

»Aber sie können Dich zwingen, mich zu verrathen. Das will ich nicht ermöglichen.«

Sie zögerte doch noch. Eine nächtliche Flucht mit Zurücklassung von Allem, was ihr lieb und angenehm war, erschien ihr nicht sehr vortheilhaft. Er aber hielt ihre Hand fest, zog sie die Treppe hinab und durch das hintere Pförtchen, welches er wieder verschloß. Dann führte er sie nach dem Orte, an welchem er sein Pferd zurückgelassen hatte.

Er war noch nicht dort angekommen, so hörte er das Getrappel von Pferdehufen.

»Horch, da kommen sie wirklich schon!« sagte er. »Es war die höchste Zeit.«

»Mein Gott, was wird daraus! Sie werden die Leiche Barth's finden!«

»Ganz recht so! Sie mag ihnen als Warnung dienen.«

»Sie werden uns augenblicklich verfolgen.«

»Jedenfalls.«

»Und uns natürlich ereilen.«

»Schwerlich! Mich bekommen sie nicht und Dich natürlich auch nicht.«

»O, diese Leute verstehen es, Spuren zu finden.«

»Das Wasser hat keine Spur.«

»Wieso?«

»Wie jetzt die Sache steht, verzichte ich auf einen Ritt. Das wäre allerdings gefährlich. Diese verdammten Kerls würden unsere Fährte bereits am Morgen finden und dann nicht wieder von ihr lassen. Nein, wir fahren den Fluß hinab. Unser Langboot ist schneller als das schnellste Pferd.«

»Aber wenn sie es erfahren?«

»Wer soll es ihnen sagen? Uebrigens können sie doch keine Ahnung davon haben, daß ich nach Mohawk-Station will. Auch giebt es zur Zeit hier nur ein einziges Boot. Zu Wasser also können sie uns gar nicht verfolgen.«

Miranda hütete sich wohl, ihm zu entdecken, daß sie Sam Alles gesagt habe. Warum auch davon sprechen? Er war nun todt und konnte nichts verrathen.

Walker stieg auf sein Pferd und nahm Miranda zu sich hinauf. Er brauchte nicht durch den ungebahnten Wald zu tappen. Der Weg war nun frei. Die Verfolger befanden sich bereits im Hause, und er brauchte nicht zu befürchten, ihnen zu begegnen. Er trabte von dannen in der sicheren Erwartung, daß er bald zurückkehren werde, gerächt an Allen, vor denen er jetzt das Feld zu räumen hatte. –

Steinbach wunderte sich, so viele Fenster des Hauses erleuchtet zu sehen, als er mit seinen Begleitern vor demselben ankam. Er stieg ab und klopfte leise, wie er es mit Zeus, dem Schwarzen, verabredet hatte.

Dieser hatte gut Wache gehalten, war aber natürlich über die Anwesenheit seines Herrn in Sorge gewesen. Als dann der Schuß ertönte, war er mit den andern Allen mit hinaufgeeilt in die betreffende Stube. Er erschrak nicht wenig, als er Sam todt am Boden liegen sah. Auf Befehl seines Herrn mußte er mit den Anderen den Ort der Mordthat verlassen und kehrte zum Thore zurück. Dort stand Milly, seine Geliebte.

»Was sein?« fragte sie. »Wer haben schießen?«

»O Gott, sehr guter Gott!« antwortete er. »Massa Walker hat erschießen gut klein dick Massa.«

»Jessus, Jessus! Todt?«

»Ja, ganz todt.«

»Warum erschießen?«

»Ich nicht genau wissen. Missus Miranda liegen in Stube, gefesselt mit Lasso. Massa Walker kämpfen mit Massa Dickbauch, schießen ihm Kugel in Herz.«

»O Unglück, o Mallör, Mallör! Was nun wir thun, Zeus und Milly?«

»Ich nicht wissen. Warten, bis groß, stark Massa kommen aus Stadt zurück.«

»Ihn Massa Walker vielleicht auch erschießen!«

»Nein, nein. Groß stark Massa nicht aussehen, als ob sich schnell erschießen lassen von Massa Walker. Horch! Du Etwas hören?«

»Es klopfen leise an Thor.«

»Er kommen vielleicht. Ich öffnen.«

Er machte das Thor auf. Draußen hielt Steinbach mit seinen Begleitern. Sie waren von den Pferden gestiegen.

»O, Massa, sehr gut, daß Ihr kommen!« sagte der Neger.

»Warum?« fragte Steinbach.

»Sehr viel passiren, viel Schlimmes.«

»Erzähle schnell!«

»Leise sprechen. Massa Robin sei hier, Massa Walker.«

»Ich weiß es. Wo ist er?«

»In seinem Zimmer.«

»Allein?«

»Missus Miranda sein bei ihm.«

»Dann schnell hinauf zu ihm. Wo ist Master Barth?«

»Jessus, Jessus! Massa sein todt!«

»Todt? Unmöglich!«

»Ja, ja, sein todt. Massa Walker ihn erschießen.«

»Herrgott! Ist es wahr?«

»Ja, sehr ganz wahr.«

»Dann wehe diesem Menschen! Wo ist die Leiche?«

»Im Gastzimmer, wo haben gekämpft.«

»Dann soll Sam sofort gerächt werden. Führe mich schnell hinauf zu Walker. Günther, Du gehst mit mir. Die Andern bleiben hier zurück und lassen Niemand entkommen. Diese Negerin mag für Licht sorgen, daß der Thorgang erleuchtet wird.«

Er sagte das in fliegender Eile und schob den Neger vor sich her. Die Geliebte des Letzteren sprang fort, um Licht zu holen. Unten an der Treppe stand einer der Diener mit einer Lampe in der Hand. Steinbach entriß sie ihm und eilte die Stufen hinauf.

»Wo ist Walkers Zimmer?« fragte er den Neger.

»Da, links es sein!«

Steinbach trat hinein. Er hatte die feste Absicht, Walker keine Zeit zu einem Worte zu lassen, sondern ihn sofort zu Boden zu schlagen. Das Zimmer aber war leer.

»Hier ist Niemand. Wo suchen wir ihn?«

Der Neger, von Natur nicht eben sehr kühn, fühlte sich in der Nähe des gewaltigen Deutschen voller Muth. Er antwortete:

»Vielleicht er bei Missus sein, da rechts.«

»So kommt!«

Günther von Langendorff folgte ihm eilig. Aber sie fanden auch dort Niemand. Die weitere Untersuchung ergab, daß in der ganzen langen Zimmerreihe kein Mensch vorhanden sei.

»Er ist nicht zu sehen. Vielleicht ist er wieder fort!«

»Er ist nicht fort; ich doch stehen am Thor und ihn nicht gehen sehen.«

»Giebt es keine andere Thüre?«

»Eine Pforte hinten.«

»So wird er dort hinaus sein.«

»Nein; er gehen durch Thor.«

»Ist er denn auch durch das Thor gekommen?«

»Ja, sehr durch das Thor.«

»Mit dem Pferde?«

»Nein, er nicht haben Pferd.«

»Ah, so hat er es draußen versteckt gehalten. That er heimlich, als er kam?«

»Sehr. Er leise sprechen und hinaufgehen in sein Zimmer, dann aber sehr laut schießen.«

»Hm! Führe uns zu der Leiche.«

Der Neger schritt voran. Die Thüre des Gastzimmerchens war zugemacht worden, als Alle es verließen. Jetzt stand sie offen. Zeus trat ein, sprang aber mit einem lauten Schrei sofort wieder zurück.

»O Jessus, Jessus! O Himmel, Himmel!«

»Was giebt es denn?«

»Was ich habe sehen!«

»Nun, was denn?«

»Ein Gespenst.«

»Unsinn!«

»Ein Gespenst! Es leben; es sein da; ich es sehen! Es sein ein Geist!«

»Du bist verrückt!«

Steinbach wollte eintreten; aber der Neger ergriff ihn am Arme und bat in flehendem Tone:

»Nicht hineingehen, Massa! Ihr sonst sterben. Es sein der Geist von Massa Barth!«

»Du träumst!«

»Nein, ich nicht träumen, sondern sehen. Geist sitzen auf Matratze und rauchen Tabak.«

»Das ist der erste Geist, welcher Tabak raucht. Ich will doch sehen, ob er eine gute Sorte hat.«

Er schüttelte den Neger von sich ab und ging hinein. Günther folgte natürlich. Dadurch gewann auch Zeus Muth und trat hinter ihnen auch in das Zimmer.

Wirklich, Sam Barth saß in aller Ruhe auf der Matratze und rauchte eine Cigarre. Um die eine Hand hatte er sich sein Taschentuch gewunden. Das Gewehr hielt er schußfertig im Arme.

»Sam, Ihr?« sagte Steinbach erstaunt.

»Ja, ich! Wer sonst?« antwortete der Dicke ruhig.

»Ich bin ganz erstaunt!«

»Warum denn? Bin ich etwa ein Wunderthier?«

»Nein; aber Ihr sitzt in aller Gemüthlichkeit hier und raucht Cigarre!«

»Na, was soll ich denn thun vor lauter Langeweile? Ich habe Euch doch gesagt, daß ich hier auf Euch warten will. Die Cigarre habe ich mir in der Venta der gelehrten Emeria gekauft. Als es mir hier zu langweilig wurde, habe ich sie mir angebrannt. Das ist Alles, und da macht Ihr solch Aufhebens davon?«

»Ich denke, Ihr seid todt?«

»Todt? Ich? Sam Barth todt?«

»Ja, erschossen.«

»Ich erschossen? Donnerwetter! Davon müßte ich doch auch Etwas wissen!«

»Also nicht! Gott sei Dank! Ich suche Walker.«

»Den findet Ihr nicht.«

»Warum nicht?«

»Er ist fort, mit seiner schönen Miranda.«

»Wohin?«

»Weiß es nicht – da hinten zu dem Pförtchen hinaus.«

»Habt Ihr es gesehen?«

»Ja. Ich habe ihn belauscht. Als ich todt war, gingen sie Alle fort. Er führte die Schöne in das Zimmer, in welchem wir gespeist haben. Ich schlich mich an die Thüre und lauschte. Sie gingen im Innern aus einem Zimmer in das andere, und ich folgte ihnen von Außen auf den Söller. Dann sah ich sie zur Treppe hinabgehen und zur Pforte hinaus.«

»Warum habt Ihr sie nicht angehalten?«

»Danke sehr! Zweimal lasse ich mich nicht todtschießen; einmal ist auch genügend.«

»So ist er entkommen.«

»Nein; ich kenne seine Fährte.«

»Dennoch mußtet Ihr ihn unbedingt festhalten!«

»Fällt mir nicht ein! Alle seine Leute helfen ihm. Dieser brave Neger, welcher mich anstaunt wie ein Gespenst, ist der Einzige, auf den man noch rechnen kann.«

»Ja,« antwortete Zeus, indem er noch immer voller Furcht die großen, weißen Augen rollte, »ich immer noch darauf schwören, daß Ihr ein Gespenst!«

»Komm her und greife mich an!«

Sam stand auf und schritt auf ihn zu. Der Schwarze aber wich zurück und schrie laut auf:

»Nein, o nein! Massa Geist stehen bleiben!«

»Ich thue Dir nichts.«

»Aber Ihr sein todt.«

»Ueberzeuge Dich doch.«

»Ich schon bin überzeugt. Ich haben sehen erschießen Massa – – Kugel in Herz hinein.«

»Das ist der Kugel gar nicht eingefallen. Greife doch nur einmal her an mein Herz.«

»Nein, ich nicht greifen. Ich sehen Blut an Herz. Es sein Loch in Herz. Massa sein ein Gespenst. Ich nicht will angreifen Gespenst. O Jessus, nein, nein!«

Er streckte beide Hände von sich, um anzudeuten, daß der Geist ihm ja nicht nahe kommen solle. Steinbach verstand so viel, daß auf Sam geschossen worden war. Er erkundigte sich, und der Dicke antwortete:

»Das habe ich nämlich nicht übel gemacht. Er hatte bereits einmal auf mich geschossen, mich aber nicht getroffen, weil es finster war. Seine Leute kamen herbei. Gegen so Viele konnte ich nichts machen. Daß er mich ermorden würde, konnte ich mir denken. Es war am Allerbesten für mich, mich todt zu stellen. Ich brauchte dazu den zweiten Schuß, welchen er auf mich abgab.«

»So hat er nicht getroffen?«

»Nein. Ich war rascher als er. Als er das Pistol erhob, fiel ich ihm in den Arm und lenkte es zur Seite. Die Kugel ging vorüber, ich aber that so, als ob ich in das Herz getroffen sei und fiel in aller Grazie zu Boden. Die Brust bedeckte ich mit den Händen, und da ich mir die eine derselben an seinem Messer verwundet hatte, so strömte das Blut aus der Hand über die Brust, und es sah ganz darnach aus, als ob ich in das Herz sei getroffen worden.«

Da schlug der Schwarze erfreut die Hände zusammen und rief:

»Also nicht Geist, wirklich nicht Gespenst! Noch leben! Sich verstellen! Welch ein klug klein dick Massa! O wie gescheidt, welch pfiffig Mann! Beinahe so klug und pfiffig wie Zeus, welcher ich selber bin!«

»Wie aber kam denn Walker zu Euch hinein, Sam?« erkundigte sich Steinbach.

»Er hat jedenfalls nach Donna Miranda gesucht und hier reden hören.«

»Sie war also hier?«

»Freilich. Sie wollte zu Euch.«

»So war sie wohl sehr enttäuscht, als sie sah, daß Ihr hier waret?«

»Das hat sie gar nicht bemerkt.«

»Unmöglich!«

»Es war ja dunkel.«

»So hat sie Euch für mich gehalten?«

»Natürlich! Das war ja eben die Lust. Wir haben hier auf der Matratze neben einander gesessen, und sie hat mir eine Liebeserklärung nach der anderen gemacht. Es war eine Wonne!«

»Gratulire!«

»Danke! Angreifen durfte ich mich leider nicht lassen. Sie versuchte es einige Male, eine Umärmelung zu Stande zu bringen; da aber meine Leibesbeschaffenheit sie sofort zur Erkenntniß gebracht hätte, daß sie an den Unrechten gekommen sei, so mußte ich mir leider solche Vertraulichkeiten verbitten.«

»Habt Ihr denn nichts erfahren können von Walkers Vergangenheit, von seinem gegenwärtigen Leben und seinen Absichten in Beziehung auf uns?«

»Kein Wort!«

»Wie dumm!«

»Hm! Ihr hättet es wohl gescheidter angefangen?«

»Natürlich.«

»Hättet aber auch nichts erfahren können.«

»Pah! Wenn das Frauenzimmer so verliebt war, so wäre es wohl nicht sehr schwer gewesen, ihr Einiges zu entlocken.«

»Dazu habe ich kein Talent.«

»Oho! Ihr seid pfiffig genug, die dazu nöthige Rolle zu übernehmen und auch glücklich durchzuführen.«

»Meint Ihr? Na, das söhnt mich wieder mit dem ehrenrührigen Ausdrucke aus, dessen Ihr Euch soeben bedientet. Ich will Euch also sagen, daß ich meine Rolle sehr gut gekannt und wohl auch nicht übel durchgeführt habe.«

»Ah, sehr gut! Erzählt also!«

»Hier? Pah! Seid Ihr allein gekommen?«

»Nein. Es sind Alle mit. Sogar der Aldermann hat sich uns angeschlossen.«

»Nun, so wollen wir zu ihnen gehen. Dann hören Alle, was ich sage, und ich brauche es nicht mehrere Male zu erzählen.«

Als sie aus dem Zimmerchen traten, vernahmen sie laute Klagen. Der Aldermann hatte sämmtlichen Bewohnern des Hauses erklärt, daß er sie arretiren müsse. Sie wurden Alle gebunden. Eine Ausnahme wurde nur mit Zeus und Milly gemacht. Diese Beiden waren es ja, welchen man Dank schuldete.

Als sie dann in dem Speisezimmer zusammensaßen, wurde Sams Verletzung untersucht. Der Schnitt war sehr tief und sehr schmerzhaft, aber nicht von gefährlichen Folgen für die Hand. Es war zu hoffen, daß sie ihre frühere Beweglichkeit nach der Heilung wieder erlangen werde. Die Wunde wurde natürlich auf das Sorgfältigste verbunden.

Sam erfuhr nun auch, daß der Ueberfall auf Günther vereitelt und Alfonzo gefangen genommen worden sei. Er hatte die Ausrede vorgebracht, daß er von gar nichts wisse. Die Magd der Sennorita Emeria sei seine Geliebte, und er habe sich auf den Hof geschlichen, nur um mit dieser zu sprechen. Da sei plötzlich Lärm entstanden, mehrere Männer seien über den Hof und die Mauer gesprungen. Er habe gemeint, daß es eine Schlägerei gebe, und um nicht in diese verwickelt und lieber gar nicht gesehen zu werden, habe auch er die Flucht ergriffen.

*


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