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56

»Nein, das war die Stimme meines Vaters!« sagte Almy besorgt. »Rief er nicht Euren Namen, Sennor Zimmermann?«

»Ja, wenigstens habe ich so verstanden.«

»Nun, so wird er Euch vielleicht irgend Etwas zeigen oder sagen wollen,« bemerkte Miranda ruhig.

»Nein, das klang, als ob er sich in Gefahr befände. O bitte, Sennor, eilt hinaus zu ihm!«

»Gefahr, pah! Wir müßten es doch auch bemerken, wenn eine Gefahr für das Boot vorhanden wäre. Bleibt nur da, Sennor.«

»Er hat meinen Namen gerufen, und ich gehe auf alle Fälle hinaus.«

Er ging. Draußen sah er den Steuermann.

»Habt Ihr Sennor Wilkins gesehen?« fragte er diesen.

»Wilkins? Kenne keinen Wilkins.«

»Ich meine den Sennor, welcher vor mir aus der Kajüte trat. Er hat mich gerufen.«

»Habe nichts gehört.«

»Wo ist er?«

»Er ging nach vorn.«

»Er hat meinen Namen Zimmermann gerufen. Ihr müßt es unbedingt gehört haben.«

»Ich muß meine Ohren wo anders haben als beim ersten besten Zimmermann. Laßt mich in Ruhe!«

Der Deutsche ging nach vorn. Er erblickte mehr Leute als er auf dem Boote erwartet hatte. Das fiel ihm auf. Dazu der ängstliche Ruf. Er war ein tüchtiger Jäger, trotz seiner Jugend erfahrener als mancher Andere. Er begann Verdacht zu schöpfen. Wenigstens hielt er es am Platze, vorsichtig zu sein.

»Sennor Wilkins!« rief er laut.

Die Nacht war still; trotzdem antwortete der Gerufene nicht.

»Sennor Wilkins!«

Der Ruf klang weit über das Wasser hin, blieb aber unbeantwortet. Aber als er den Namen zum dritten Mal nannte, sagte Einer, der langsam herbeigekommen war:

»Zum Teufel! Was habt Ihr denn zu schreien?«

»Ich suche Sennor Wilkins.«

»Der ist spazieren gegangen.«

»Hier auf dem Flusse!«

»Unsinn! Er ist hinunter in das Unterdeck.«

»Was will er da unten?«

»Weiß ichs? Der Botsmann ist mit ihm hinab.«

»Er rief mich doch!«

»Ja. Ihr solltet mitgehen.«

»Gut! Führt mich hinab!«

»So kommt!«

Aber anstatt nach hinten, wo doch die Treppe in das Unterdeck hinabführte, schritt er ihm nach vorn voran. Da stand eine Gruppe von mehreren Männern, welche auseinander traten, wie um ihm Platz zu machen, ihn aber sofort anpackten und festhielten.

»Halloh! So schnell geht das nicht!« rief er.

Er hatte einmal Mißtrauen gefaßt gehabt und war also nicht so leicht zu überrumpeln wie vorhin Wilkins. Er schleuderte den Einen, welcher seinen rechten Arm gefaßt hatte, von sich, brachte aber den linken nicht frei.

»Was wollt Ihr, Hallunken?« fragte er zornig, indem er mit ihnen rang.

»Dich!« antwortete Einer, indem er sich bemühte, Zimmermanns rechten Arm wieder in seine Gewalt zu bekommen.

»Das ist nicht so leicht, wie Du denkst. Nimm aber einstweilen das!«

Er holte mit der Faust aus, in welcher er das Messer hatte und stach zu. Der Getroffene stieß einen lauten Schrei aus; zugleich aber erhielt Zimmermann mit einer schweren Handspeiche, wie sie auf Booten gebraucht werden, einen Hieb über den Kopf, daß ihm das Messer entfiel und er zu Boden stürzte.

»Der hat genug,« sagte Walker. »Bindet und knebelt ihn. Seid Ihr getroffen, Newton?«

»Ja, ich blute,« antwortete der einstige Derwisch.

»Wo?«

»Hier in der Brust.«

»Donnerwetter! Es ist doch nicht etwa gefährlich!«

»Ich weiß es nicht. Ich bin ganz matt.«

»Laßt Euch hinabschaffen und verbinden. Ich will zunächst zu den Mädchen gehen; die machen ja einen Heidenscandal!«

Er hatte Recht. Almy und Magda hatten die Worte Zimmermanns genau verstanden. Sie wußten, daß er sich in Gefahr befand, daß an Bord Etwas passirte, was gegen ihre Sicherheit war.

»Herrgott, was ist es!« sagte Almy. »Man ermordet Zimmermann.«

Sie sprang auf und wollte hinaus; aber Miranda trat ihr in den Weg und sprach:

»Es ist nichts. Die Bootsleute scherzen.«

»Das nennt Ihr einen Scherz! Erst rief mein Vater um Hilfe, und nun fällt man über Sennor Zimmermann her! Ich muß hinaus!«

»Ich auch!« rief Magda.

Sie schloß sich der Freundin an. Miranda aber stellte sich vor die Thür, daß sie nicht hinaus konnten, und drohte ihnen:

»Schweigt! Was fällt Euch ein! Wenn Ihr solchen Lärm macht, wird man Euch einsperren müssen!«

»Einsperren! Gott, was hat man mit uns vor?«

Almy faßte Miranda und wollte sie von der Thür wegziehen; Magda half, aber die Spanierin blieb fest auf ihrem Platz und erklärte:

»Wenn Ihr nicht ruhig sitzen bleibt, geschieht Etwas, was Euch nicht lieb ist! Still! Kein Wort!«

»Hilfe! Zu Hilfe!« riefen aber die Beiden, ohne auf die Drohung zu achten.

Da trat Walker ein. Er hatte ein Messer in der Hand, schob Miranda zur Seite und fragte zornig:

»Wer schreit hier um Hilfe? Was ist geschehen?«

»Wir rufen!« antwortete Almy, welche ihn nicht kannte.

»Warum denn?«

»Wo ist mein Vater?«

»Im Unterdeck.«

»Und Sennor Zimmermann?«

»Auch.«

»Was ist mit ihnen geschehen?«

»Nichts, gar nichts. Was soll mit ihnen geschehen sein?«

»Ich will sie sehen; ich muß mit ihnen sprechen! Warum habt Ihr das Messer in der Hand?«

»Seid Ihr denn bei Sinnen, Sennorita? Ein Schiffer wird wohl ein Messer haben dürfen! Er braucht es ja an jedem Augenblick!«

»Ich glaube Euch nicht. Bringt mich zu meinem Vater! Ich will und muß zu ihm!«

»Ich begreife Euch nicht. Ihr macht ja einen Lärm, daß er weit über die Ufer hinein zu hören ist. Ihr könnt uns dadurch in verdammte Unannehmlichkeiten bringen! Seid doch ruhig!«

»So bringt mich zum Vater oder führt ihn herbei.«

»Na, wenn Ihr nicht anders wollt, so kommt!«

Wilkins und Zimmermann waren mittlerweile hinabgeschafft worden. Walker führte die beiden Mädchen auch hinunter. Er hatte sie beruhigen wollen, damit sie still sein sollten, wenigstens so lange sie sich noch oben befanden. Sobald sich aber die Deckluke über ihnen schloß, konnten ihre Stimmen nicht mehr weit dringen.

Er öffnete, als sie die Stufen hinabgestiegen waren, eine verriegelte Thür und ließ die Beiden vorantreten. Es war dunkel in dem Raume.

»Wo ist der Vater?« fragte Almy sich umdrehend.

»Da drin.«

»Ich sehe nichts.«

»Nur hinein, hinein!«

Er schob sie vorwärts und dann Magda auch; dann riegelte er schnell zu, stieg nach oben und machte die Luke wieder zu. Er hörte einen unterdrückten Schrei, noch einen; weiter gab er nicht Achtung. Als er wieder an das Deck trat, kam Balzer auf ihn zu, ergriff ihn beim Arme, zog ihn zur Seite und sagte:

»Ich verstehe Euch nicht. Ich will doch nicht hoffen, daß ich mich in Euch geirrt habe!«

»In wie fern solltet Ihr Euch geirrt haben?«

»Ihr spracht von einem Liebesverhältnisse zwischen der einen Sennorita und meinem Freunde Roulin?«

»So ist es auch.«

»Ihr behandelt ja die beiden Männer ganz in der Weise, als ob Ihr Räuber wärt!«

»Gar nicht.«

»O doch! Und die Mädchen auch.«

»Das liegt in unserm Plane.«

»Wieso? Zu einem Bubenstücke gebe ich mein Boot nicht her!«

»Pah! Wenn wir wirklich unehrliche Leute wären, was wolltet Ihr machen?«

»Ich würfe Euch über Bord.«

»Oho!«

»Jawohl!«

»Das sollte Euch schwer fallen!«

»Nicht so schwer, wie Ihr wohl denkt. Meine Bootsleute sind kräftige Kerls, auf die ich mich verlassen kann. Versteht Ihr mich?«

»Freilich verstehe ich Euch,« lachte Walker. Und ihn beruhigend auf die Schulter klopfend, fuhr er fort: »Macht Euch nur ja keine Sorgen. Wir müssen mit diesen vier Personen ein Wenig unzart umspringen; das ist sehr nothwendig, wenn Roulin in den Besitz seiner Braut gelangen will.«

»Das sehe ich nicht ein.«

»Und doch ist es sehr leicht einzusehen. Er soll nämlich den Retter spielen. Aus purer Dankbarkeit muß man ihm dann ja das Mädchen zur Frau geben. Leuchtet Euch das nicht ein?«

»Hm! Es ist ein starkes Stück.«

»Führt aber sicher zum Ziele.«

»Was sollen denn die beiden Sennores denken? Etwa, daß sie in die Hände einer Räuberbande gerathen sind?«

»So ungefähr.«

»Donnerwetter! So gehöre auch ich mit zu dieser Bande? Das ist mir viel zu gefährlich.«

»Ich sehe keine Gefahr, für uns nicht einmal, viel weniger aber für Euch.«

»Oho! Ihr habt ja mein Boot zum Piratenschiffe gemacht, Sennor!«

»Wer weiß es, daß dies Boot Euer ist?«

»Alle Welt.«

»Die vier Gefangenen wissen es aber nicht.«

»Da dürftet Ihr Euch sehr irren. Sie haben im Hotel jedenfalls gesagt, daß sie mit meinem Seelenverkäufer fahren. Uebrigens hat der Hoteldiener ihr Gepäck gebracht, und der kennt mein Fahrzeug ganz genau.«

»Nun, so giebt es ein einfaches Mittel, Euch aus aller Schuld zu bringen. Wir sagen, wir haben Euch auch überwältigt und gefangen genommen.«

»Das glaubt kein Mensch. Ihr und mich nebst meinen fünf Bootsleuten gefangen nehmen!«

»Nun, nehmt die Sache wie Ihr wollt. Glaubt Ihr denn, daß wir als Räuber gelten wollen? Für den Augenblick, ja, da spielen wir ein Bischen Theater – hat aber Sennor Roulin das Jawort bekommen, so erklären wir Alles; wir sagen, daß wir nur einen Scherz gemacht haben, um ihn zu seiner Geliebten zu verhelfen, und ich gebe Euch mein Wort, daß wir Alle dann sogar zur Hochzeit geladen werden.«

»Gott gebe es!«

»Das geschieht sicherlich. Ich sehe übrigens gar nicht ein, welche Ursache Ihr zum Raisonniren habt. Ihr seid doch der zweite, welcher durch diesen kleinen Schwabenstreich zu einer Braut kommt.«

»Ihr meint Miranda?«

»Wen sonst?«

»Hm! Wenn Ihr mit solchen Gründen kommt, so lasse ich mich gern überreden«

»Endlich nehmt Ihr Verstand an! Miranda befindet sich in der Kajüte. Sie wartet auf Euch. Geht zu ihr. Sie mag Euch die unnnützen Grillen vertreiben.«

»Schön! Sucht uns aber so wenig wie möglich zu stören, Sennor Walker!«

»Ganz wie Ihr wollt. Es wird kein Mensch die Kajüte bis morgen Früh betreten. Wünsche Euch beiden sehr viel Vergnügen! Stört uns aber auch im Uebrigen nicht.«

Er war nur aus dem Grunde wieder an das Oberdeck gekommen, um Balzers etwaige Bedenken zu zerstreuen. Da ihm dies gelungen war, gab er Leflor und Roulin einige leise Anweisungen und stieg wieder zu den Gefangenen hinab.

Balzer folgte dem ihm ertheilten Rathe und begab sich in die Kajüte. Dort hatte Miranda, welche den ganzen Feldzugsplan kannte, das Licht der Lampe möglichst niedergeschraubt und sich in höchst malerischer Stellung auf die Sitze niedergelassen. Als er sie so erblickte, blieb er stehen und sagte:

»Sennorita, der Teufel soll mich holen, wenn Ihr nicht das kostbarste Weib seid, welches ich gesehen habe. Glaubt Ihr das?«

»Ich muß es glauben, denn Ihr sagt es.«

Sie erhob sich und verschloß die Thüre. –

Als Almy und Magda in die Abtheilung des Unterdeckes traten, war, wie bereits gesagt, dieselbe vollständig finster. Sie hätten lieber wieder zurück gewollt; aber die Thüre war hinter ihnen wieder verschlossen worden.

»Um Gotteswillen, wo sind wir?« flüsterte Magda angstvoll.

»Bei meinem Vater? Ich will sehen, ob es wahr ist. Vater!«

Sie erhielt auf diesen Ruf keine Antwort.

»Lieber Vater!«

Jetzt erklang ein eigenthümliches, beängstigendes Schnaufen, und zugleich hörte man das Rasseln einer Kette.

»Herrgott! Vater, bist Du hier?«

Die Kette rasselte stärker. Almy bückte sich nieder und betastete den Boden. Erst als sie mehrere Schritte vorwärts gethan hatte, fühlte sie eine Gestalt, welche in einer Ecke festgeschlossen war. Sie untersuchte dieselbe und rief erschrocken:

»Magda, man hat ihn geknebelt! Gott, er erstickt! er erstickt!«

Sie band schnell das Tuch ab und entfernte auch den Knebel aus seinem Munde. Da holte er tief, tief Athem und sagte unter einem langen, schweren Seufzer:

»Dem Himmel sei Dank! Nur eine Minute länger, so wäre ich erstickt gewesen!«

»Also Du bist es! Du bist es wirklich, Vater! O Gott, was hat man mit uns vor!«

»Davon später. Jetzt müssen wir vor allen Dingen an Sennor Zimmermann denken, damit dieser nicht erstickt.«

»Wo ist er?«

»Ich weiß es nicht genau. Das Tuch, welches mir um das Gesicht gebunden war, verhinderte mich auch, zu hören. Aber es war mir, als sei er mit herunter geschafft und in die andere Ecke gekettet worden.«

»Kannst Du nicht los von der Kette?«

»Schwerlich.«

»So will ich hinüber zu ihm.«

Sie tastete sich hinüber und fühlte Zimmermanns Körper, welcher bewegungslos am Boden lag, auch von einer Kette gehalten. Sie entfernte auch seinen Knebel, aber er bewegte sich nicht.«

»Herr, mein Heiland! Er ist todt, Vater; er ist todt!«

»Wirklich?«

»Er liegt ganz starr.«

»Vielleicht nur ohnmächtig.«

»Gott gebe es! Wer hätte gedacht, daß dieser Tag ein so schreckliches Ende nehmen werde. Was will man von uns? Warum thut man das?«

»Still, mein Kind! Jammern wir nicht; das nützt uns nichts. Es gilt jetzt, besonnen zu sein. Ich denke, daß wir in Walkers Hände gefallen sind.«

»Sollte dieser Teufel es sein?«

»Vermuthlich. Ich sprach mit Einem, welcher mir sagte, daß Walker mich eher haben werde als ich ihn. Wie das zugeht, das weiß ich freilich nicht.«

»So wäre diese schöne Mistreß Howk jedenfalls seine Verbündete?«

»Gewiß.«

»Und der Besitzer des Bootes auch?«

»Vielleicht nicht; es ist möglich, daß er getäuscht oder gezwungen worden ist. Bleiben wir besonnen in unserer Lage. Du bist nicht gefesselt?«

»Nein, Magda auch nicht.«

Sie erzählte, wie sie mit der Freundin nach unten gebracht worden sei.

»Wir müssen Geduld haben. Ich denke, man wird uns nicht sehr lange warten lassen. Wir erfahren sodann, welche Absichten man mit uns hegt.«

»Ich glaube, es ist auf unser Geld abgesehen.«

»Das hat man mir bereits abgenommen.«

»So wird man uns vielleicht bei Tagesanbruch an das Land setzen. Meinst Du nicht?«

»Es ist möglich.«

Er sagte das nur, um den beiden Mädchen die Herzen nicht noch schwerer zu machen, als sie bereits waren. Daß es nicht nur auf sein Geld abgesehen war, das wußte er zu genau. Befand er sich wirklich in Walkers Gewalt, so hatte man ihm jedenfalls ganz dasselbe Schicksal zugedacht, welches auch seinen Neffen Arthur und Adler, den deutschen Oberaufseher, getroffen hatte, ein Schicksal, welches um so schrecklicher war, da auf alle Fälle es auch für seine Tochter bestimmt sein werde. Ihr durfte er diese Gedanken freilich nicht mittheilen.

»Was thun wir dann aber ohne Geld?« fragte sie besorgt.

»Wir werden gute Menschen finden, mein Kind. Jetzt denke ich noch nicht daran. Jetzt macht mir vor allen Dingen Zimmermanns Zustand Sorge. Er scheint sich gewehrt, also gekämpft zu haben. Ob er vielleicht verwundet ist?«

»Ich werde ihn untersuchen.«

Sie betastete den ganzen Körper des Bewußtlosen, konnte aber nichts Nasses fühlen. Blut war also nicht geflossen. Eben theilte sie dies ihrem Vater mit, als von draußen der Riegel zurückgeschoben wurde. Walker trat ein, mit einem Lichte in der Hand. Er blickte sich um und zog dann die Thür hinter sich zu.

Es lagen einige Ballen und volle Säcke an der Wandung. Auf einen der Ersteren hatte Magda sich niedergelassen. Walker setzte das Licht auf den Boden nieder und nahm dann auf einem Sacke Platz. Er betrachtete die Anwesenden mit höhnischer Miene.

Zimmermann lag wie todt in der einen Ecke, Wilkins in der andern. Er hatte das Auge scharf und finster auf Walker gerichtet. Almy hatte sich jetzt neben Magda gesetzt. Beide Mädchen betrachteten den bösen Mann mit ängstlichen Augen.

»Kennt Ihr mich?« fragte Walker endlich.

Niemand antwortete.

»Wenn Ihr nicht antwortet, werde ich Euch dazu zwingen. Seht Ihr hier dieses Messer, Master Wilkins! Es wird Euch den Mund öffnen. Also sagt, ob Ihr mich kennt!«

»Nein!«

Dennoch wußte er sehr wohl, wen er vor sich hatte.

»So muß ich mich Euch vorstellen. Leider habe ich heut zufällig keine Visitenkarten bei mir; ich kann also nicht so höflich sein, wie ich gern sein möchte; aber ich denke, es wird für dieses Mal genügen, wenn ich Euch einfach meinen Namen sage. Ich heiße Walker.«

»Danke!«

»Kennt Ihr diesen Namen?«

»Er kommt häufig vor.«

»Hm! Es giebt aber doch wohl für Euch einen ganz bestimmten Walker. Nicht?«

»Allerdings.«

»Der bin ich. Ich hoffe, daß Ihr Euch über dieses unser Zusammentreffen freuen werdet.«

»Außerordentlich.«

»Schön! Ich kann Euch – jedenfalls zu Eurem Entzücken – sagen, daß wir längere Zeit beisammen bleiben werden.«

»Ich bin ganz begeistert dafür.«

»Nicht wahr? Ja, gute Freunde müssen sich freuen, wenn sie einander für längere Zeit angehören können. Unsere Freundschaft ist übrigens keine sehr junge. Sie besteht eine Reihe von Jahren. Könnt Ihr Euch besinnen, wann wir sie geschlossen haben?«

»Sehr gut!«

»Es war an jenem Tage, an welchem ich bei dem versoffenen Neger in Wilkinsfield ausgeräuchert werden sollte. Es gelang Euch nicht. Monsieur Leflor rettete mich. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Er ist ein prachtvoller Mensch. Meint Ihr nicht?«

»Ja, sehr.«

»An jenem Tage schlich ich früh durch Euern Garten. Die Sennorita hatte sich wohl soeben erst von ihrem jungfräulichen Lager erhoben. Sie stand in der Veranda, noch ziemlich unbekleidet. Ich stand hinter einem Baume und betrachtete sie. Sie machte einen tiefen Eindruck auf mich, und ich beschloß, daß sie meine Frau werden sollte.«

»Scheusal!« stieß Wilkins hervor.

Almy verhüllte ihr Gesicht, um den Menschen gar nicht ansehen zu müssen. Dieser fuhr fort:

»Da damals meine Abreise eine sehr schnelle und heimliche war, so konnte leider aus unserer Verlobung und Vermählung nichts werden; aber ich habe den Plan immer fest gehalten und ihn niemals aufgegeben. Heut führt uns der Himmel wieder zusammen, und da ist es also gleich das Erste, was ich thue, daß ich Euch um die Hand Eurer Tochter bitte, Master Wilkins.«

Der Genannte sagte kein Wort!

»Nun, antwortet!«

»Lieber gebe ich sie dem Teufel als Euch.«

»Sehr schmeichelhaft! Ihr habt also vor mir noch viel mehr Angst, als vor dem Teufel. Ich hoffe also, desto schneller fertig zu werden, nämlich mit Euch und mit ihr. Also Ihr wollt sie mir nicht geben?«

»Ich antworte gar nicht!«

»Wenn ich mir nun erlaube, sie mir zu nehmen!«

»Lieber stirbt sie!«

»O, es stirbt sich nicht so leicht! Ihr glaubt übrigens gar nicht, wie gut ich es meine. Ich muß Euch das erklären. Es gab damals Einen, welcher sie auch gern haben wollte, Monsieur Leflor. Ihr weist ihn ab. Wenn der nun heut um sie anhielt. Was würdet Ihr ihm antworten?«

»Dasselbe, was ich damals antwortete.«

»Nun, das würde Euch nicht viel nützen. Ich habe ihn zwar seit jener Zeit nicht wieder gesehen, aber ich denke, wenn ich ihm – – –.«

»Gebt Euch keine Mühe,« fiel Wilkins ein. »Er ist hier bei Euch.«

»Sapperment! Woher wißt Ihr das?«

»Von Mistreß Howk.«

»Von der? Die hat es Euch verrathen?«

»Sie sagte, daß er Bill Newton errettet habe.«

»Alle Teufel! Ja, so sind diese Frauenzimmer. Sie können nie den Schnabel halten. Diese Mistreß hat mir eine große Freude verdorben. Ich wollte Euch heut unsern Leflor und auch Freund Bill vorstellen. Nun Ihr es aber bereits wißt, ist das nicht nöthig. Außer Ihr habt große Sehnsucht nach diesen Sennores?«

»Verschont mich!«

»Besonders Leflor freut sich. Euch wieder zu sehen. Er hat Sennorita Almy nicht vergessen. Damals erhielt er zwar einen Korb; jetzt aber beabsichtigt er dennoch, seine Werbung zu wiederholen. Ihr wollt ihn wieder abweisen. Das freut mich, denn das giebt mir Gelegenheit, Euch zu beweisen, daß ich Euer bester Freund bin, und auch der Eurige, Sennorita Magda. Kennt Ihr einen gewissen Roulin?«

Sie schauderte zusammen, antwortete aber nicht.

»Ihr schüttelt Euch?« Nun ja, sehr liebenswerth hat er sich freilich nicht gegen Euch betragen; aber er liebt Euch dennoch von ganzem Herzen und will heute seine Werbung wiederholen.«

»Der Schreckliche!« stieß sie hervor.

»Schrecklich? Ihr liebt ihn nicht.«

»Ich – verachte ihn.«

»O wehe! Es ist schade, daß grad die schönsten Mädchen keine Liebhaber haben wollen. Jammerschade! Wenn man Euch so betrachtet, wie ich jetzt – diese Augen und Wangen – – – –.«

»Schweigt!«

»Ruhig, alter Sünder!« höhnte Walker. »Du bist in Deiner Jugend wohl auch Kenner und Liebhaber von dieser Art gewesen! Heut freilich mußt Du die Hand vom Apfel lassen. Darum thust Du fromm und gottesfürchtig. Hoffentlich ist Deine Tochter zufriedener mit uns als Du. Wir sind nämlich überein gekommen, so liebenswürdig wie möglich gegen die beiden jungen, hübschen Damen zu sein. Sie sollen reihum gehen. Ein Jeder soll sie einen Tag lang haben, als Frau natürlich, in allen Ehren, wenn auch ohne Trauung und vorheriges Aufgebot. Ordnung muß die Sache haben.«

»Schweig, Scheusal!« donnerte Wilkins.

»Mache keine Complimente, Alter, sonst gebe ich Dir Anstandsunterricht, und zwar so, daß Du eine Verbeugung machst, von welcher Du sicher Dich nicht wieder erheben wirst!«

»Vergifte den reinen Sinn dieser Mädchen nicht!«

»Reiner Sinn! Mache Dich nicht lächerlich! Deine reine Tochter hat zwar Leflor abgewiesen, aber mit jenem verdammten Deutschen, Deinem Oberaufseher in so inniger Beziehung gelebt, daß ich es ein Wunder nennen muß, daß sie nicht bereits Großmutter ist!«

Wilkins stemmte sich in die Ketten, um sie zu zersprengen. Sie hielten fest.

»Vater, still! Ich bitte Dich!« flehte Almy.

»Und die Andere hier,« fuhr der Freche fort, »wollte zwar von Roulin nichts wissen, ist aber die Maitresse des Kerls gewesen, der dort besinnungslos in der Ecke liegt.«

»Welch eine schändliche Lüge!« rief Magda.

»Schweig, Lügnerin! Läge er nicht in einer Ohnmacht, so würde er es bezeugen müssen!«

Er irrte sich. Zimmermann war nicht mehr ohnmächtig. Das Bewußtsein war ihm zurückgekehrt; er that aber so, als ob er noch besinnungslos sei. Er hielt dies für das Allerbeste, was er unter den gegenwärtigen Umständen thun konnte. Sein Kopf schmerzte ihn und schien das Gewicht von Zentnern zu haben; aber dennoch zog er leise die Kette an, um deren Festigkeit zu erproben. Er veränderte seine Lage langsam und unmerklich so, daß er, in der Ecke liegend, die Schulter an die eine und die Kniee an die andere Mauer stemmte. So konnte er die meiste Kraft entwickeln.

»Also Ihr wißt, was Euch bevorsteht,« fuhr Walker fort. »Ihr werdet die Weiber der ganzen Schiffsbemannung. Ich will Euch aber ein Mittel sagen, wie Ihr diesem Schicksale entgehen könnt. Wenn Almy verspricht, meine Frau zu werden, so will ich sie vor jeder Berührung mit Andern bewahren. Was sagt Ihr dazu, Wilkins?«

Der Gefragte antwortete nicht. Der Antrag war zu ungeheuerlich, als daß ein Wort darüber hätte gesagt werden können. Walkers Augen ruhten auf Almy; Sie hatte bereits damals einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Seit jener Zeit hatte sich ihr Körper aber noch reicher entwickelt. Seine Augen glühten vor Begierde bei dem Anblick ihrer Schönheit. Er hielt es wirklich für möglich, durch Drohung in ihren Besitz zu kommen. Und sollten die Drohungen doch noch unzureichend sein, nun, so gab es ja noch einen andern Weg. Er versuchte, denselben jetzt einzuschlagen, indem er fortfuhr:

»Als Euer Schwiegersohn, Master Wilkins, würde ich mich auch um Eure Familie bekümmern. Es giebt da Einiges, was klar gemacht werden könnte. Ihr habt doch Euern Neffen nicht vergessen?«

»Arthur! Was wißt Ihr von ihm?«

»O, sehr viel!«

»Nun so redet.«

»Das kann ich Euch erst dann sagen, wenn ich Euer Schwiegersohn bin.«

»Pah! Lüge! Ihr wißt nichts!« sagte Wilkins, um ihn durch diesen Widerspruch zum Reden zu bringen.

»Oho! Ich weiß mehr von ihm, als ihr denkt!«

»Was kann man von einem Todten wissen!«

»Ihr meint, er sei todt?«

»Sicher!«

»Wenn ich nun sage, er lebt?«

»So ist das eine Lüge!«

»Wie klug Ihr seid!«

»Wäre er unter den Lebenden, so würde auch Adler noch leben.«

»Auch dieser lebt.«

»Schwindler!«

»Ich beschwöre es!«

»Lüge, Lüge und abermals Lüge! Ihr seid der Kerl nicht dazu, Todte in das Leben zurückzurufen!«

»Und Ihr seid der Kerl nicht dazu, Lebendige todt zu machen!«

»Während der vielen Jahre müßte ich ein Lebenszeichen von ihnen erhalten haben!«

»Wie klug! Wenn sie nun keins geben können!«

»Wer wollte sie hindern?«

»Der, bei welchem sie – – – Donnerwetter, ich gehe zu weit! Ich verrathe ja Alles. Ja, ich habe ein zu gutes Gemüth, ein zu mitleidiges Herz. Ich sage Euch nochmals: Gebt mir Almy zum Weibe, und ich wecke die beiden Todten auf.«

»Mich betrügt Ihr nicht. Ist Almy Eure Frau, so wißt Ihr nichts von den Beiden.«

Diese Worte waren darauf eingerichtet, Walker glauben zu lassen, daß er auf diesem Wege in den Besitz Almy's kommen könne. Er ging auch wirklich, wenn auch langsam, in die Falle, denn er antwortete:

»Ich würde Wort halten, bei Gott und allen Teufeln! Ihr könntet Euch auf mich verlassen!«

»Welche Garantie könnt Ihr mir geben?«

»Garantie? Mein Wort!«

»Euer Wort? Das Wort eines Lügners, Betrügers und Mörders. Pah!«

»Meinen Schwur!«

»Der ist nicht mehr werth als Euer Wort.«

»Zum Donnerwetter, welche Garantie verlangt Ihr denn?«

»Etwas Sichtbares, Greifbares.«

»Das verstehe der Teufel! Sagt es mir einmal ehrlich: Würdet Ihr mir Almy zur Frau geben, wenn ich Euern Neffen und Euern frühern Oberaufseher lebendig wiederbrächte?«

»Diese Frage ist eine müßige. Beide sind todt.«

Für Almy hatte dieses Gespräch natürlich das allergrößte Interesse. Sie verstand die Absicht ihres Vaters nicht; sie fühlte eine ungeheure Angst, unter welcher sie so schwer athmete, daß ihr Busen sichtbar sich hob und senkte. Auf diese Bewegungen waren Walkers Blicke gerichtet. Sie entzündeten seine Begierden in vollstem Maße. Er hätte Alles, Alles thun können, um das herrliche Mädchen zu besitzen, selbst Roulin verrathen. Er antwortete:

»Sie leben; bei Gott, sie leben!«

»Und wo befinden sie sich?«

»Diese Frage darf ich nicht beantworten.«

»Da habt Ihr es! Beide befinden sich bereits längst unter der Erde.«

Walker ließ sich durch diesen Widerspruch zu der Aeußerung hinreißen:

»Ja, unter der Erde befinden sie sich, aber todt sind sie nicht!«

Wilkins zuckte zusammen. Er hatte viel erreicht, mehr als er hatte ahnen dürfen. Er wußte nun, daß die beiden so sehnlichst Gesuchten lebten und daß sie sich unter der Erde befanden, wohl in einem Schachte. Dennoch that er, als glaube er es nicht.

»Ihr widersprecht Euch selbst!«

»Pah! Wenn Ihr mich nicht versteht, so kann es mir nur lieb sein. Ich habe bereits mehr gesagt, als ich verantworten kann. Ich habe auch keine Zeit, mich ohne Resultat mit Euch zu streiten. Ich will es vielmehr kurz machen. Ich lasse Euch allein. Ueberlegt Euch meinen Vorschlag. Gebt Ihr mir Almy zum Weibe, so – – –

Er hielt inne, schritt zur Thür, öffnete dieselbe und blickte und horchte hinaus. Als er sich überzeugt hatte, daß kein Lauscher vorhanden sei, fuhr er fort:

»So rette ich die beiden Männer, und – – hm! es ist möglich, daß Ihr auch wieder zu Eurer Plantage kommt. Verstanden!«

»Das ist der pure Unsinn!«

»Denkt das, oder denkt das nicht; ich stelle Euch dennoch vor die Alternative.«

»Und wenn ich nicht darauf eingehe?«

»So wird Eure Tochter und so auch Sennorita Magda die Geliebte der ganzen Bootsbesatzung.«

»Warum habt Ihr uns eigentlich gefangen genommen?«

»Um eben zwei Mädchen zu haben, welche unsere Frauen sein können, ohne daß wir sie uns antrauen zu lassen haben.«

»Nur aus diesem Grunde?«

»Nur!«

»Der ist scheußlich genug, doch bin ich überzeugt, daß Ihr noch andere Gründe habt.«

»Haben wir sie, so erfahrt Ihr sie doch nicht, wenigstens nicht auf eine andere Art, als daß Ihr mir Eure Tochter zur Frau gebt.«

»Schrecklich!«

»Ihr dürft das nicht für gar so schrecklich halten, Sennor. Ich bin auch ein Mensch und habe als solcher meine guten Seiten. Ich liebe Sennorita Almy. Wäre sie mein Weib, so würde ich sie auf den Händen tragen.«

»Und sie würde sich mit Euch vor den Augen der Polizei und aller gesetzlich gesinnten Menschen verstecken müssen. Das wißt Ihr ja ebensogut wie ich.«

»Ihr irrt. Was ich that, ist wieder gut zu machen.«

»Nein. Nur was Ihr an mir gethan habt, das ist bereits schon so straffällig, daß es Euch für die Zeit Eures ganzen Lebens in das Zuchthaus bringt.«

»Zugegeben, daß es so sei, würde es doch nur auf den Ankläger ankommen, und ich denke, Ihr würdet Euch wohl hüten, Euren eigenen Schwiegersohn vor die Schranken des Gesetzes zu citiren. Uebrigens weiß ich gar nicht, was ich Euch gethan haben soll.«

»Soll ich es Euch etwa erst sagen?«

»Ich bitte Euch darum. Ich weiß nichts.«

»Ihr habt meinen Neffen um seine Papiere gebracht.«

»Ich habe ihn nie gesehen.«

»Auf diese Papiere habt Ihr Eure Ansprüche auf Wilkinsfield begründet und sie nachher an meinen Nachbar Leflor verkauft.«

»Ich habe diese Papiere vom Eigenthümer gekauft.«

»Und doch sagtet Ihr, daß Ihr ihn niemals gesehen hättet. Ihr widersprecht Euch also selbst. Ihr habt darauf meinen Neffen verschwinden lassen und dann auch Master Adler, der ausgegangen war, ihn zu suchen.«

»Ich weiß kein Wort davon.«

»Leugnet es nicht!«

»Was nicht wahr ist, kann ich nicht eingestehen.«

»Es ist aber wahr.«

»Nun, wenn es wahr wäre, so hättet Ihr ja doppelten Grund, mir Eure Tochter zu geben, denn dann würde ich vielleicht aus Dankbarkeit Alles wieder gut machen. Wie gesagt, überlegt Euch diese Sache.«

»Sie ist überlegt.«

»Nun, wie lautet Euer Entschluß?«

»Ihr bekommt sie nicht.«

»Das könnte Euch das Leben kosten?«

»Gut, so sterbe ich!«

»Ihr aber auch, Almy Sennorita!«

»Sie wird ebenso zu sterben wissen.«

»Aber welch einen Tod! Sie ist ja in unserer Gewalt. Sie wird nicht eher sterben, bis wir Alle sie besessen haben. Wie will sie sich dagegen wehren?«

»Ihr seid ein Teufel!«

»Pah! Ich kann auch ein Engel sein. In Eurer Hand liegt es, welches von Beiden ich sein soll, ein Engel oder ein Teufel. Wählt also klug!«

Da stand Almy auf, stellte sich in stolzer Haltung vor ihn hin und sagte:

»Nicht mein Vater ist es, der zu wählen hat, sondern ich bin es. Er könnte mir hundertmal und tausendmal befehlen, ich würde ihm nicht gehorchen. Selbst wenn Ihr ein Engel wärt, so würde es mir vor Euch grauen wie vor einem giftigen, häßlichen Reptil. Eine Berührung von Euch würde mein Tod sein!«

Ihre Augen blitzten; ihr Busen wogte vor Zorn. Sie stand so schön da vor ihm, daß er aufsprang und, den Blick gierig auf sie richtend, antwortete:

»O, Sennorita, so leicht stirbt es sich nicht. An einem Kusse oder einer Umarmung ist noch kein einziger Mensch gestorben!«

»Eure Berührung aber ist Gift. An ihr würde ich sicher sterben.«

»Ah! Wollen doch einmal sehen!«

Er stand von seinem Sitze auf und trat auf sie zu. Sie wich schaudernd zurück, streckte die Arme zur Abwehr aus und rief:

.

»Zurück, Ungeziefer! Rühre mich nicht an!«

»O, nicht nur anrühren werde ich Dich! Du sollst meine Geliebte sein, jetzt gleich, in Gegenwart Deines Vaters, des alten Narren!«

Er stand da, ein Bild der widerwärtigsten Geilheit. Seine Lippen wetzten sich an den Zähnen. Der Speichel stand ihm aus der Zunge. Er griff nach ihr. Sie wich abermals zurück, so weit es ihr möglich war.

»Hund, laß von ihr!« rief Wilkins. »Ich zermalme Dich sonst!«

»Du? Der Du in Ketten liegst!« hohnlachte Walker. Versuche es doch!«

Schon wollte er Almy erfassen.

»Her zu mir! Nieder!« gebot ihr der Vater.

Sie hauchte sich nieder, zwischen ihm und die Wand, blitzschnell, so daß Walker in die Luft griff.

»Verdammt!« rief dieser enttäuscht.

Wilkins war auf dem Verdeck gebunden worden, ebenso wie Zimmermann. So hatte man sie nach dem untern Räume geschafft. Dort gab es an der Wand eiserne Oesen, an welche man die Ladung zu befestigen pflegte, damit sie beim Schaukeln des Fahrzeuges nicht aus der Lage gerathe. An solche Oesen hatte man die Beiden mit Ketten befestigt. Da man ihnen auch die Taschen geleert hatte, so besaßen sie kein Instrument, sich zu befreien. Mit bloßen Händen war es ihnen unmöglich, die Ketten zu zerbrechen oder zu lösen, und daher hatte man ihnen die Fesseln abgenommen und einstweilen nur die Knebels gelassen, damit sie in der Nähe von Mohawk-Station, wo man sich ja noch befand, nicht schreien konnten. Beide befanden sich also im freien Gebrauche ihrer Hände und Arme. Zudem war Wilkins Kette so lang, daß Almy sich zwischen dem Vaters und der Wand niederkauern konnte. Wollte Walker jetzt zu ihr, so mußte er sich in die Gefahr begeben, von Wilkins erfaßt zu werden. Die Tochter befand sich plötzlich unter dem Schutze des Vaters, welcher trotz seiner Fesseln sich, wenigstens so weit diese reichten, vertheidigen konnte.

»Nun, komm her, Hallunke!« rief Wilkins.

»Damit Du Deine Krallen mir um den Hals legst, alter Aasgeier!«

»Das werde ich freilich thun. Du kämst nicht lebendig aus meinen Händen!«

»Ich habe auch Arme, verstanden!«

»Versuche ihre Kraft!«

»Daß ich ein Thor wäre! Erst werde ich Dich zahm machen. Wir haben ja die Mittel dazu.«

»Wer mir naht, ist ein Kind des Todes!«

»Wollen sehen! Zunächst aber will ich noch einmal in Güte zu Dir sprechen. Ueberlege Dir meinen Vorschlag. Ich gebe Dir Zeit, bis wir anlegen. Ich gehe jetzt. Damit Ihr aber keine lange Weile habt, will ich für Unterhaltung sorgen und Euch einen guten Freund herab schicken.«

Er warf einen bezeichnenden Blick auf Magda, ergriff das Licht und entfernte sich, vergaß aber dabei nicht, die Thür von außen zuzuriegeln.

Jetzt erhob Almy sich wieder aus ihrem schützenden Versteck. Sie wollte sprechen, da aber ertönte Zimmermanns Stimme:

»Sennor rückt einmal so weit wie möglich zu mir herüber!«

»Ah, Ihr lebt! Ihr seid erwacht! Gott sei Dank!«

»Schon längst. Ich habe Alles gehört.«

»Was sagt Ihr zu diesem Schurken?«

»Jetzt gar nichts. Ich habe keine Zeit dazu. Nach den Worten dieses Menschen wird sogleich ein Anderer kommen. Wir müssen eilen, das Nothwendigste zu thun. Wollen sehen, ob unsere Ketten so weit reichen, daß wir uns berühren können! Bitte, rückt herüber!«

Sie thaten es. Sie fanden leider, daß sie sich nur mit den Füßen berühren konnten.

»Jammerschade!« sagte Wilkins.

»O, ich bin auch damit für jetzt zufrieden. Wer uns zu nahe kommt, den werden wir mit den Stiefeln zerstampfen. Uebrigens will ich – – ah, nicht weiter! Man kommt.«

Die Thür wurde wieder geöffnet. Roulin trat ein, auch mit einem Lichte in der Hand, welches er auf den Boden niedersetzte. Er blickte sich um, Almy hatte sich wieder zu dem Vater gesetzt, um in seinem Schutze zu sein. Zimmermann lag wie todt am Boden, und Magda saß auf ihrem Waarenballen wie vorher. Sie schrak beim Anblicke des Eintretenden voller Angst zusammen.

»Willkommen, Sennorita!« sagte dieser. »Es ist einige Zeit her, daß wir uns nicht gesehen haben. Darum denke ich, daß wir uns sehr viel zu erzählen haben. Erlaubt, daß ich mich niederlasse!«

Er setzte sich ihr gegenüber auf den Sack, auf welchem Walker vorher gesessen hatte. Sie mit funkelnden, verlangenden Augen betrachtend, schwieg er eine Weile, dann sagte er:

»Ich vermuthe, daß Ihr Euch unsers plötzlichen Wiedersehens herzlich freut?«

Sie antwortete nicht.

»Nun?«

Sie wendete sich zur Seite, um ihn gar nicht zu sehen und schwieg.

»Das Entzücken über meinen Anblick hat Euch die Sprache geraubt. Ich habe gehört, daß man sogar vor Freude sterben kann. Hoffentlich geschieht das nicht bei Euch; wenigstens bitte ich Euch, Eure Freude möglichst zu mäßigen. Es sollte mir leid thun, wenn ich dadurch um das Glück käme, welches ich in Euren Armen zu finden hoffe, in diesen schönen, weißen Armen, welche sich mir niemals öffnen wollten!«

Sie hüllte sich so tief wie möglich in ihr Gewand und sagte kein Wort.

»Sollte Euch die Freude für immer sprachlos gemacht haben, Sennorita? Bitte, sprecht nur ein Wort, damit ich mich beruhige!«

Sie schwieg auch jetzt.

»Nun, so muß ich mich praktisch überzeugen, woran ich mit Euch bin.«

Er stand auf und wollte zu ihr hin. Da fuhr sie von ihrem Sitze auf und rief:

»Laßt mich! Zurück!«

Er that, als ob er erschrecke, setzte sich wieder nieder und meinte lachend:

»Alle Teufel, habt Ihr einen Ton! So schnauzt eine Herrin ihren Sclaven an. Haltet Ihr Euch vielleicht mir überlegen?«

»Euch ist selbst der niedrigste Mensch überlegen!«

»Das ist sehr gut ausgedrückt. Ihr habt, wie es mir scheint, Talent zur Schauspielerin. Nur in diesem Augenblicke solltet Ihr von dem hohen Kothurn herabsteigen. Ihr macht Euch lächerlich. Ihr seid ja gefangen.«

»Ich werde es nicht lange sein.«

»Ah! Wer wird Euch befreien?«

»Gott!«

Er lachte laut auf.

»Der bekümmert sich nicht um Euch. Wenn er das thun wollte, hätte er dafür gesorgt, daß Ihr nicht in unsere Hände geriethet. Er hätte Euch auch gerathen, klüger zu sein. Ihr erhieltet die telegraphische Anweisung, augenblicklich nach Dos Palmas abzureisen; Ihr glaubtet, das Telegramm sei von Steinbach; es war aber von uns.«

»Donnerwetter!« entfuhr es Wilkins.

»Ja, Sennor, Ihr müßt sagen, daß wir unsere Sache sehr klug angefangen und sehr gut ausgeführt haben. Dieser verdammte Steinbach hat Euch zwar auch telegraphirt; er sagte Euch, daß wir kommen würden, und gab Euch den Rath, auf Eurer Hut sein. Morgen Mittag kommt er selbst nach Mohowk –Station; wir aber haben sein Telegramm aufgefangen. Was sagt Ihr dazu?«

»Daß Ihr die größten Schurken seid, welche von der Sonne beschienen werden. Aber so klug, wie zu sein Ihr Euch einbildet, seid Ihr doch nicht!«

»Wieso?«

»In Eurem Eifer, uns zu ärgern, sagt Ihr uns Dinge, welche ein Klügerer als Ihr verschweigen würde.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Daß Sennor Steinbach kommen werde.«

»Das soll ich Euch nicht sagen?«

»Nein. Es ist gegen Eure Zwecke. Ihr werdet nun gar keine Hoffnung haben, uns einzuschüchtern.«

»Von einschüchtern ist gar keine Rede. Ihr befindet Euch in unsern Händen. Einschüchtern kann man nur einen Menschen, den man noch zu fürchten hat. Das aber ist bei Euch gar nicht der Fall!«

»So ganz, wie Ihr meint, sind wir doch noch nicht in Eurer Macht!«

»Ihr befindet Euch in Ketten und sprecht solchen Unsinn!«

»Kommt einmal her! Versucht es mit uns!«

»So dumm bin ich nicht. Mit Euch habe ich überhaupt gar nichts zu Waffen. Ich komme zu Sennorita Magda, welche hoffentlich gescheidter sein wird als Ihr. Sie wird einsehen, daß Widerstand der allergrößte Unsinn ist.«

»Sie wird im Gegentheile überzeugt sein, daß wir gerettet werden.«

»Von wem?«

»Eben von Sennor Steinbach.«

»Laßt Euch nicht auslachen! Wie will er erfahren, wohin wir sind!«

»Der Fürst der Bleichgesichter wird bereits nach einer Viertelstunde wissen, woran er ist.«

»Nennt ihn immerhin den Fürsten der Bleichgesichter. Schwatzt den unsinnigen Titel nach, welchen er sich selbst gegeben hat. Wir fürchten ihn nicht!«

»Und doch seid Ihr in Prescott vor ihm ausgerissen?«

»Da seid Ihr falsch berichtet. Er mag sich vor uns in Acht nehmen. Kommt er uns zu nahe, so erwartet ihn eine Kugel. Auch Ihr mögt von Eurem hohen Tone lassen. Wir haben Mittel, Euch höflicher und gefügig zu machen.«

»Ich fürchte Euch nicht, nun ich weiß, daß Steinbach kommt. Wir werden gerettet.«

Er sagte das im Tone festester Ueberzeugung. Das reizte Roulin. Dieser ging in seinem Aerger weiter, als für ihn eigentlich gerathen war:

»So hofft nur immerhin! Desto größer wird dann Eure Enttäuschung sein.«

»Es wird sich finden, wer enttäuscht wird, wir oder Ihr.«

»Es ist wirklich stark, in Eurer Lage so zu sprechen. Ihr seid in unserer Gewalt; Ihr liegt sogar in Ketten. Wir können Euch in das Wasser werfen oder Euch in irgend einer andern beliebigen Weise den Garaus machen. Was Ihr da sagt, das ist nichts als der reine Wahnsinn.«

»Es ist die Ueberzeugung eines ehrlichen und unschuldigen Menschen. Ich prophezeihe Euch, daß Euch die Strafe schneller ereilen wird, als Ihr ahnt.«

Er verfolgte mit diesem Widerspruch einen bestimmten Zweck. Er wußte, daß unvorsichtige Leute durch solche Wortfechtereien zu Aeußerungen hingerissen werden, welche sie später bereuen. Es war ja möglich, daß Roulin auch die nöthige Vorsicht vergaß. Er hatte sich nicht verrechnet. Was er erwartet hatte, das geschah. Roulin antwortete zornig:

»Noch viel sicherer kann ich Euch Euer Schicksal voraussagen! Ich kenne es bereits.«

»Ihr? Ihr wärt der Kerl, unser Schicksal zu kennen!«

»Ich bin es sogar, der es zu bestimmen hat!«

»Prahler!«

»Was? Ich werde es Euch beweisen. Wißt Ihr vielleicht, welche Worte über dem Eingang zu Dantes Hölle stehen?«

»Besser als Ihr!«

»Sie lauten: ›Ihr, die Ihr hier eingeht, laßt alle Hoffnung schwinden!‹ Dieses Wort rufe ich auch Euch zu. Es erwartet Euch eine Hölle, grad so und noch schlimmer, als wie Dante sie beschrieben hat.«

»So werdet Ihr wohl unser Teufel sein?«

»Ja, Euer Satan!«

»Sehr interessant!«

»Sagt mir doch einmal später, ob Ihr es dann noch so interessant findet. Ihr werdet wirklich in die Unterwelt hinabsteigen müssen.«

»Klaftertief!« lachte Wilkins.

»Klaftertief?« fragte Roulin erbost. »Stellt es Euch nicht besser vor, als es ist. Wer einmal dort unten ist, der bekommt in seinem Leben die Sonne nicht wieder zu sehen.«

»Löscht Ihr sie etwa aus?«

»Für Euch wird sie ausgelöscht sein. Ihr werdet arbeiten müssen Tag und Nacht, Jahr aus, Jahr ein, ohne Ruhe, ohne Aufhören, getrieben von der Peitsche Euers Aufsehers.«

»Den Mann werde ich mir genau ansehen!«

»Meint Ihr, Euch gegen ihn empören zu können? Ihr werdet an Händen und Füßen gefesselt sein, und das Quecksilbergift wird Eure Knochen zerfressen, daß sie weich werden wie Binsenmark. Ihr werdet widerstehen wollen und nicht können. Ihr werdet auf Rettung hoffen, aber immer tiefer sinken. Ihr werdet beten wollen, aber Euer Gebet wird ein Fluch, eine Lästerung sein. Ihr werdet sinnen und grübeln nach einen Weg aus dieser Hölle, aber dieses Grübeln wird Euer Gehirn verzehren, bis Ihr wahnsinnig seid. Und selbst noch als Wahnsinniger werdet Ihr arbeiten müssen, getrieben vom Hunger, vom fürchterlichen, ungestillten Durste und von der Peitsche des Aufsehers.«

Er hatte jedenfalls eine solche Mittheilung gar nicht machen wollen; er hatte sich zu ihr hinreißen lassen, getrieben durch Wilkins Widerspruch.

»Ah! Ich danke Euch!« sagte dieser.

»Wofür? Für die Wohlthaten dieser Hölle?«

»Nein, für diese Mittheilung. Wir wissen ja nun, woran wir sind. Weiter brauchen wir nun nichts mehr zu wissen. Ihr könnt also gehen!«

»Mensch!« fuhr Roulin auf. »Reize mich nicht!«

»Pah! Thut nicht so gefährlich! Ihr seid ein Schurke, sonst aber ein ganz gewöhnliches Subject, welches man gar nicht zu fürchten braucht.«

»Soll ich Dich zusammentreten?«

Er ging einen Schritt vorwärts und hob drohend den Fuß. Als er aber sah, daß Wilkins auch sein Bein anzog, um sich durch einen kräftigen Tritt zu wehren, zog er sich wieder zurück.

»Am besten ist es, man läßt den alten Sünder schimpfen. Er wird es bereuen. Ich habe ja hier einen viel interessanteren Gegenstand, mit dem ich mich beschäftigen kann. Wie steht es, Sennorita Magda, habt Ihr Euch vielleicht unterwegs mit Sennor Zimmermann verlobt?«

»Sennor,« antwortete sie, »ich sollte Euch gar keiner Antwort würdigen; aber ich will Euch dennoch ein paar Worte sagen.«

»Ah, schön!« Ich hoffe, daß es Worte der Liebe sein werden!«

»Nichts weniger als das! Von dem, was Ihr schon früher gegen mich und die Eltern verbrochen habt, will ich nicht sprechen; aber was Ihr heut wieder gethan habt, das ist freilich höllisch, teuflisch. Wenn Ihr glaubt, dadurch meine Zuneigung zu gewinnen, so irrt Ihr Euch außerordentlich.«

»Ist das Alles, was Ihr mir zu sagen habt?«

»Alles. Nur füge ich die Warnung hinzu, daß Euch die Strafe ganz sicher ereilen wird.«

»Danke! Ich habe Geduld; die Strafe braucht nicht sogleich zu kommen; ich kann ja warten. Bis dahin aber will ich das Leben genießen, und einer der verlockendsten Genüsse, welche ich kenne, heißt Sennorita Magda.«

»Schweigt!«

»Wie stolz und gebieterisch das klingt! Ihr sprecht davon, daß es mir nicht gelingen werde, Eure Zuneigung zu erwerben. Das glaube ich Euch gern. Ich bin einige Zeit lang der Meinung gewesen, daß Ihr noch verständig werden könntet, habe aber dieser Ansicht Abschied gegeben. Was kann mir schließlich auch an Eurer Zuneigung liegen. Eure Schönheit, Euer Körper ist ja die Hauptsache. Ihr befindet Euch in meiner Gewalt; Ihr seid mein – – –«

»O, noch nicht!«

»Vollständig, vollständig, Sennorita!«

»Ich wollte Euch nicht rathen, mich zu berühren!«

»Das werde ich thun, und zwar gleich heute, gleich jetzt. Ich will Euch nur vorher klar machen, was Ihr zu erwarten habt. Wenn Ihr Euch mir ohne Widerstand ergebt, so könnt Ihr es ziemlich gut bei mir haben; seid Ihr aber so unsinnig dumm, bei Eurem bisherigen Verhalten zu bleiben, so lasse auch ich jede Rücksicht fallen. Ich will Euch besitzen; Ihr sollt mein sein; Ihr befindet Euch bereits in meiner Gewalt. Was hilft Euch das Sträuben? Ich fessele und binde Euch so, daß Ihr kein Fingerglied bewegen könnt, und dann mache ich, was ich will. Dann aber behandle ich Euch nicht etwa als eine menschliche Person oder gar als meine Geliebte, sondern als eine Waare, eine Sache, einen Gegenstand, den man benutzt, um ihn später wegzuwerfen, so ungefähr wie ein Kind eine Puppe liebkost und küßt und ihr dann den Kopf zerbricht und den Balg ausreißt, um die Sägespäne heraus zu kratzen. So werde ich Euch genießen, und werde ich Euch wegwerfen. Das wird Euer Schicksal sein. Und nun entscheidet Euch, ob Ihr mir freiwillig gehören wollt, oder ob ich als Euer Herr und Gebieter Besitz von Euch ergreifen soll!«

Von der Ecke her, in welcher Zimmermann lag, erklang das leise, strenge Knirrschen der Kette. Die Wuth kochte förmlich in ihm; er stemmte sich mit aller Gewalt gegen die Wand, um seine Kette zu zersprengen und sich auf den frechen Menschen zu stürzen. Roulin aber bemerkte es nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf Magda gerichtet, welche hoch aufgerichtet vor ihm stand, bleich wie der Tod vor Aufregung über das, was sie hatte anhören müssen. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie, die Reine, Keusche, hatte Worte vernehmen müssen, bei denen sich das verworfenste Frauenzimmer auf das Tiefste verletzt, auf das Schwerste beleidigt hätte fühlen müssen. Und doch gab es keinen Rächer da, unter dessen Schutz sie sich hätte begeben können.

Keinen? Wirklich keinen?

Aus der Ecke glühten Zimmermanns Augen fast so hell wie glühende Kohlen. Er liebte dieses herrliche Wesen mit aller Gewalt seiner Seele, mit jedem seiner Gedanken, mit jeder Faser und Fiber seines Innern. Seine Liebe war unerwidert; er wußte, daß ihr Herz einem Andern gehörte; aber dennoch war es ihm, als habe ein jedes Wort und jede Drohung Roulins ihn selbst getroffen. Seine Muskeln waren ebenso zum Zerreißen angespannt wie die Kette. Noch eine weitere Beleidigung und entweder mußte die Kette brechen oder seine Lunge zerplatzte unter der fürchterlichen Anstrengung, mit welcher er los zu kommen suchte, das fühlte er deutlich.

»Nun, Antwort!« sagte Roulin.

»Ja, die sollt Ihr haben,« antwortete jetzt Magda.

»Gebt Diejenige, welche zu Eurem Heile dient.«

»Es giebt nur eine Antwort für Euch, und die ist folgende: Wäre ich ein Mann, so würde ich Euch jetzt in das Gesicht spucken; da sich dies aber für eine Sennorita nicht schickt, so nehmt an, daß es geschehen sei. Ihr seid das ekelhafteste Geschöpf, welches es auf dem Erdboden geben kann, der Abschaum der Allerschlechtesten unter den Gottlosen. Thut, was Ihr wollt. Gott wird mir helfen!«

»Ah! So sprichst Du, so? Ich werde Dir sofort zeigen, was ich thue. Du sollst meine Geliebte, mein Weib sein vor den Augen dieser drei Personen. Sie sollen sehen, daß Du mir Alles, Alles gewähren wirst, was ich mir von Dir erwünsche. Komm her!«

Er streckte die Arme nach ihr aus. Sie wich zurück. Er trat rasch weiter vor.

»Helft mir, Sennor Zimmermann!« rief sie.

Sie wollte schnell zu diesem hin, um sich so unter den Schutz seiner Fäuste zu begeben wie vorhin Almy in denjenigen ihres Vaters; aber es war zu spät; Roulin hatte sie bereits gepackt.

»Hilfe!« rief sie, sich gegen seine Umarmung sträubend.

Die Kette in der Ecke Zimmermanns knirrschte; die hölzerne Wand prasselte.

Roulin drückte die sich wehrende an sich und versuchte, sie zu küssen.

»Hilfe, Hilfe! Um Gotteswillen!« rief sie in ihrer höchsten Angst.

»Gleich, gleich, Sennorita!« schrie Zimmermann. »Alle – alle – Teufel! Will denn – ah, ah, endlich, endlich!«

Es that einen schrecklichen Krach. Nicht die Kette war zerrissen, aber die eiserne Oese war aus der Wand gerissen worden, und zwar mit solcher Gewalt, d«ß Zimmermann mehrere Fuß weit in den Raum hinein rollte.

»Donnerwetter!« schrie Roulin. »Er ist frei!«

»Ja, frei, frei! Und nun komm her, Bursche!«

Bei diesen Worten raffte sich Zimmermann auf, um sich auf Roulin zu stürzen; aber er trat mit dem einen Fuße auf die Kette und stolperte in Folge dessen nieder. Zwar sprang er schnell wieder auf, aber es war zu spät; Roulin, der zu feig war, um sich in einen Ringkampf einzulassen, hatte das Mädchen schleunigst frei gegeben, war zur Thür hinaus geeilt und hatte diese hinter sich verriegelt.

Magda sank nieder, legte das Gesicht in beide Hände und weinte laut. Zimmermann stand mitten im Raume und hatte die Fäuste geballt. So starrte er nach der Thür.

»Fort, fort ist er!« rief er. »Ich eile ihm nach und zermalme ihn!«

Er wollte es thun. Da warnte Wilkins:

»Halt das geht nicht!«

»Warum nicht?«

»Die Thür ist zu.«

»Pah! Ich sprenge sie mit Leichtigkeit durch einen Fußtritt auf.«

»Aber dann oben die Lücke. Die ist so eng. Wenn Ihr nur den Kopf hindurch steckt, erhaltet Ihr einen Hieb darauf, an dem Ihr genug habt.«

»Das ist wahr. Was aber thun?«

»Jetzt keine Gewalt! Muthig wollen wir sein, aber nicht tollkühn. In unserer Lage gilt List und Ueberlegung mehr als die größte Tapferkeit. Wäre es möglich, auch mich frei zu machen, so wären wir zwei Personen, und ich wollte sehen, wer es dann wagen wollte, zu uns herein zu kommen, um die Damen zu beleidigen.«

»Richtig, richtig! Habt keine Sorge, Sennor. Ist es mir allein gelungen, mich zu befreien, so wird es uns Zweien bei Euch wohl auch gelingen. Wollen einmal sehen.«

Er kniete sich neben Wilkins hin. Beide begannen zu arbeiten. Die Kette klirrte und knirrschte: die Wand prasselte; dann gab es einen lauten Krach, und auch Wilkins war frei.

Er stand vom Boden auf und streckte seine Arme.

»Gott sei Lob und Dank! Das ist der Anfang zur Freiheit und zur Rache!«

»Mein Vater, mein lieber Vater!« rief Almy, ihn umarmend.

Und Magda streckte Zimmermann ihre beiden Händchen entgegen und sagte:

»Sennor, ich bin Euch viel, sehr viel schuldig. Was heut geschehen ist, werde ich Euch nie, niemals vergessen!«

Er drückte ihre Hände an sein Herz und antwortete:

»Vergessen wir es lieber diesem Roulin nicht, Sennorita! Ich werde mit ihm abrechnen, daß es ihm schwarzblau vor den Augen werden soll. Die Hölle, welche er uns so deutlich beschrieben hat, soll er selbst bewohnen müssen! Jetzt aber müssen wir vor allen Dingen einen Plan fassen. Wir müssen wissen, was wir zu thun und wie wir uns zu verhalten haben.« – –

Als man vorhin auf dem Verdecke Zimmermann und Wilkins überfallen und überwunden hatte und dann auch die beiden Mädchen hinunter in den Raum geschafft worden waren, hatte man zunächst eine Besprechung für nothwendig gehalten. Es schien gerathen zu sein, der Bootsmannschaft irgend eine Erklärung zu geben, da diese Männer sonst leicht auf den Gedanken kommen kennten, die Gefangenen für unschuldig zu halten und sich derselben anzunehmen.

Auch Miranda war mit Balzer aus der Kajüte geholt worden, um an dieser Besprechung Theil zu nehmen. In Folge dessen hatte die Kajüte für kurze Zeit offen und leer gestanden.

Einer der Bootsleute kam, wie zufällig, langsam herbei geschlendert, blickte hinein, und da er Niemand drin erblickte, so trat er ein. Das Handgepäck der Damen lag auf den Rohrsitzen. Magda hatte in dem Augenblicke, als die Katastrophe eintrat, ein kleines Ledertäschchen geöffnet in den Händen gehabt, um Etwas darin zu suchen, und es, als sie aufsprang, fallen lassen. Es lag noch da und war weder von Miranda noch von Balzer beachtet worden, da diese zu sehr mit ihren Zärtlichkeiten beschäftigt gewesen waren.

Auf dieses Ledertäschchen fiel der Blick des Bootsmannes. Eine länglich viereckige Karte war herausgefallen. Er hob sie auf. Es war eine Photographie. Sie enthielt Magdas Bildniß.

»Ah!« murmelte er. »Die schöne, junge Sennorita! Sollte sie wirklich ein so böses Frauenzimmer sein, wie Sennor Balzer sagt? Ich glaube es nicht. So ein Gesicht ist nicht dasjenige eines schlechten Mädchens. Ich habe noch niemals ein so prächtiges Wesen gesehen. Warte, das Bild behalte ich!«

Er steckte die in San Franzisko angefertigte Photographie zu sich; dann schlich er sich wieder aus der Kajüte hinaus.

Der gute Mensch beabsichtigte keinen Diebstahl. Er sagte sich, daß, wie die Dinge standen, die Gefangenen wohl so wie so ihre Habseligkeiten verlieren würden. Magda hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; ihr Bild war ein Schatz für ihn, und überdies ist die Photographie einer so reizenden Dame für einen armen Schiffer an den wilden Ufern des Rio Gila etwas so ungeheuer Seltenes, daß er sich nicht lange mit Bedenken herumschlägt, ehe er sie an sich nimmt.

Später sah er Walker hinabsteigen. Was wollte dieser unten? Er kam nach längerer Zeit wieder und dann ging Roulin hinab. Dem ehrlichen Bootsmann hatten die Gesichter Walkers und Genossen nicht gefallen; er traute ihnen nicht viel Gutes zu. Wie nun, wenn hier ein Verbrechen begangen wurde, kam da die Mitschuld nicht auch auf die Bootsleute? Er wollte, er mußte sich überzeugen. Darum schlich er sich heimlich nach der Lücke, stieg die Treppe hinab und lauschte. Er hörte Wort für Wort, was in dem Raume gesprochen wurde.

Als dann Roulin vor Zimmermann floh und die Thür zugeriegelt hatte, konnte sich der Bootsmann nicht schnell genug zurückziehen. Beide stießen auf der Treppe zusammen.

»Wer da?« fragte Roulin zornig.

»Bootsmann Forner.«

»Was hast Du hier unten zu suchen gehabt?«

»Gehabt? Ich will ja erst hinunter.«

»Lüge nicht! Du hast gehorcht!«

»Alle Teufel! Wer hat mir schon einmal sagen dürfen, daß ich ein Lügner bin!«

»So sage ich es!«

»Das kann Euch einige blaue Augen kosten! Wer seid denn Ihr?«

»Ein Passagier.«

»So kann ich Euch viel eher fragen, was Ihr hier unten zu suchen habt. Verstanden? Ich gehöre auf das Boot und will nach dem Kielwasser sehen. Macht, daß Ihr hinauf kommt!«

»Mensch, laß Dir nicht etwa einfallen, zu den Gefangenen zu gehen!«

»Die gehen mich nichts an. Uebrigens habt Ihr mir gar nichts zu sagen. Sennor Balzer ist mein Patron. Nach Eurer Pfeife hat hier kein Mensch zu tanzen.«

Er stieg in den Kielraum hinab, um scheinbar nach dem Brakwasser zu sehen. Als er wieder zurückkam, stand Roulin noch da, um ihn zu beobachten.

»Potz, Bomben und Granaten, was lehnt Ihr denn noch hier!« fluchte der Bootsmann. »Die Passagiere gehören in die Kajüte, nicht aber in alle Winkel, wo sie Einem im Wege stehen!«

»Rede anders, Bursche, sonst sage ich es Deinem Patron, der mag Dich fortjagen!«

Das kam dem guten Schiffer sehr gelegen. Er antwortete nun mit absichtlicher Grobheit:

»Hole Euch der Teufel! Denkt Ihr, daß sich der Bootsmann Forner vor dem ersten besten Hans Narr fürchtet? Ihr wärt mir grad der Rechte. Lauft, zu wem Ihr wollt, aber kommt nicht etwa mir zwischen die Fäuste, sonst könntet Ihr bald mit einem von den Mäusen angefressenen Chocoladenpudding verwechselt werden!«

Er schob Roulin zur Seite und stieg an Deck. Dort lehnte er sich an die Brustwehr und dachte nach.

»Eine verdammte Geschichte!« brummte er. »Sennor Balzer hat sich da in ein Ding eingelassen, welches ihm viel Schaden machen und wohl gar den Kopf kosten kann. Auch über uns kann es kommen. Ich bin ein ehrlicher Kerl und mache mich aus dem Staube. Aber wie? Gehe ich im Zorne fort, so glauben sie, ich verrathe die Geschichte und verändere ihren Plan. Sie dürfen also gar nichts ahnen, daß ich davon sprechen will. Wie fange ich das Ding nur klug genug an? Ah, da kommt mir ein prachtvoller Gedanke! Ich ersaufe ein bischen. Ja, ich ersaufe; das ist das Allerbeste, was ich thun kann. Meine Sachen habe ich alle bei mir, und das Bild der schönen Sennorita thue ich in meinen Tabaksbeutel; der ist aus einer Rehbocksblase gemacht und läßt kein Wasser durch. Auf diese Weise wird das Bild nicht naß. Den Sennoritas muß ich beistehen, ohne daß der Verdacht auf mich kommt. Der Kerl, welchen ich auf der Treppe traf, wird mich bei Sennor Balzer verklagen, und dieser wird mich suchen, um mir einen Verweis zu geben. Er soll mich auf dem Achterdeck finden. Ich vertheidige mich mit einigen Redensarten, mache einige Gesticulationen und thue einen Fehltritt – plumps, liege ich im Wasser; ich ersaufe und bin am Morgen in Gila-City, wo es sich finden wird, was ich zu thun habe. Ja, ja, so wird es gemacht! Es ist doch nichts so schön und gut, als wenn der Mensch ein gescheidter Kerl ist! Und ausnahmsweise bin ich das heute einmal!«

Er war ein armer Teufel und hatte nicht das mindeste Gepäck bei sich. Ein Wenig Geld, ein halbvoller Tabaksbeutel, sein Messer, seine Pfeife und das Bild der Sennorita, aus diesen Gegenständen bestand sein ganzes Vermögen. Er steckte das Bild in den wasserdichten Tabaksbeutel, und darin bestand seine ganze Reisevorbereitung.

Nun stieg er langsam auf das Achterdeck hinauf, da wo der Steuermann stand, die Ruderpinne in der Faust. Da der Seelenverkäufer schmal gebaut war, so gab es hier oben nicht viel Platz. Höchstens drei Personen konnten da stehen. Er begann eine ziemlich einsilbige Unterhaltung mit dem Steuermanne und lauschte dabei aufmerksam nach vorn. Er hatte sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht, denn bald wurde sein Name gerufen. Er that, als ob er nichts höre.

»Bootsmann Forner!« ertönte jetzt die Stimme Balzers.

»Hier, auf dem Achterdeck,« antwortete er.

Balzer kam heraufgestiegen.

»Höre, was hast Du denn mit Signor Roulin gehabt?« fragte er.

»Roulin? Kenne ich gar nicht.«

»Ich meine den Sennor, welchen Du unter der Raumlucke so grob behandelt hast!«

»Ich ihn? Das ist grad umgekehrt. Er hat mich grob behandelt.«

»Er sagte, Du habest gehorcht.«

»Das sagte er mir auch. Wo aber soll ich denn gehorcht haben? Ich besann mich, daß wir seit der letzten Fahrt das Brakwasser nicht ausgeschöpft haben, und wollte hinabsteigen, um nachzusehen, ob es vielleicht so hoch stehe, daß wir uns noch während der Nacht dranmachen müssen. Eben steige ich die Treppe herab, so kommt er aus dem Raume gesprungen und rennt an mich an. Dabei schreit er mich an, ich hätte gelauscht. Nun möchte ich wissen, was ich da hätte belauschen sollen. Ich bitte Euch, Sennor, bedenkt die Räumlichkeit da unten. Hier ist die Treppe – –«

Er zeigte dabei über sich.

»Hier kommt dieser Sennor aus diesem Raume gestürzt, in aller Eile – – –«

Er zeigte dabei vor sich hin, wie um die Situation recht anschaulich zu machen.

»Und hier komme ich gestiegen, die Treppe herab, so – nein, noch weiter zurück.«

Er trat dabei einen – zwei Schritte zurück.

*


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