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I.
Mag man an das Dogma vom klassischen Altertum glauben und so dogmatisch die griechische Philosophie für den unübersteiglichen Höhepunkt menschlichen Denkens halten; oder mag man die griechische Philosophie sehr gering einschätzen um ihrer Kritiklosigkeit willen, um ihrer Unfähigkeit willen, Kritik an der Sprache zu üben, um der Kindlichkeit willen, mit der sie immer wieder poetische Bilder und klare Begriffe miteinander verwechselte; eins wird von jedem der beiden Gesichtspunkte aus, und von unzähligen zwischenliegenden Gesichtspunkten aus, nicht geleugnet werden können: das Fortleben der griechischen Vorstellungen in unserer heutigen internationalen und nationalen philosophischen Terminologie. Diese Tatsache ist zu bekannt und wird durch zu viele Stücke dieses Wörterbuchs an der Wortgeschichte belegt, als daß hier eine nähere Ausführung nötig wäre. Überdies habe ich die Macht der Entlehnung und die kulturgeschichtliche Bedeutung der Lehnübersetzungen in der Einleitung ausführlich genug behandelt. Ich erinnere also hier nur daran, daß ein Teil der griechischen Ausdrücke als Fremdwörter zu uns gekommen ist; ein zweiter Teil, die Hauptmasse, ist in genauen oder freien lateinischen Übersetzungen in unsere abendländischen Sprachen eingedrungen, und zwar stammen diese Übersetzungen schichtenweise aus mehr als anderthalb Jahrtausenden, da man doch Übersetzungen aus der alten Römerzeit, aus der Zeit der lateinischen Kirchenväter, aus der scholastischen Zeit und aus der Humanistenzeit genau unterscheiden kann, schichtenweise, wie gesagt. Auf die Umgestaltung der griechischen Ausdrücke durch die besondere Geistesrichtung der Araber gehe ich ebensowenig ein wie auf die Verschiedenheiten der einzelnen modernen Kultursprachen. Nur das sei noch erwähnt, daß die romanischen Sprachen im ganzen und großen bei den lateinischen Übersetzungen der griechischen Terminologie stehen blieben, während die germanischen Sprachen, ganz besonders die deutsche, in wachsendem Maße die lateinischen Übersetzungen, selten nur die griechischen Modellwörter, wieder in ihre Muttersprache übersetzten; auch da kann man puristische Schichten unterscheiden, wie die oft silbengetreuen und dennoch sprachgewaltigen Übersetzungen der Mystiker, die freien und dennoch pedantischen Übersetzungen der Wolfischen Schule, endlich die philologisch begründeten und dennoch so schwächlichen Übersetzungsversuche der Gegenwart. Ähnlich liegen die Verhältnisse in den slawischen Sprachen, wo denn im Polnischen, im Tschechischen und im Russischen ganz verschiedene puristische Schichten zu unterscheiden wären. Das Dogma von der unerreichten Höhe der griechischen Philosophie kann nur aufrecht erhalten werden, wenn man die äußere Wortgeschichte der technischen Ausdrücke allein betrachtet und offiziös den alten Wörtern bei Platon und Aristoteles schon die reichen Begriffssphären beilegt, die sich in mehr als zweitausend Jahren um sie herum assoziiert haben; wenn man also die inneren Wortgeschichten ganz aus den Augen verliert. Dazu kommt aber noch ein anderer Umstand, den ich in historischem Zusammenhange darzustellen nicht Philologe genug bin, dessen Wichtigkeit aber begreifen zu lehren die überall in diesem Wörterbuche zahlreich gegebenen Beispiele genügen werden. Ich meine den Umstand, daß der Bedeutungswandel der inneren Wortgeschichte nicht erst nach der Griechenzeit einsetzt, sondern sich schon in den fünf Jahrhunderten der überlieferten Geschichte eigentlich griechischer Philosophie oft nachweisen läßt. Ich habe in dieser Beziehung an vielen Stellen darauf aufmerksam zu machen, daß der griechische Ausdruck ursprünglich der Gemeinsprache angehörte und erst durch den Sprachgebrauch eines Philosophen, in sehr zahlreichen Fällen bei Aristoteles, zu einem technischen Ausdrucke wurde. Da wäre denn zunächst eine Vorfrage zu beantworten: wie konnten die Griechen Wörter ihrer Gemeinsprache für ihre philosophischen Begriffe verwenden, wenn sie diese Begriffe, wie ich mit Roth (Geschichte unserer abendländischen Philosophie II, S. 71 ff.) annehme, für die wichtigsten Gebiete der Ontologie und der Logik orientalischen Quellen verdankten? Diese Frage können wir nicht beantworten, und wir werden niemals zu einiger Sicherheit über diese Dinge gelangen, wenn nicht irgendein ganz glücklicher Fund, gegen alle Wahrscheinlichkeit, uns die Art kennen lehrt, in welcher die Griechen ihre Entlehnungen aus dem Ägyptischen oder dem Persischen etwa ausführten. Wir können höchstens vermuten, daß die Griechen, weil sie im Stande der historischen und sprachwissenschaftlichen Unschuld lebten, ihren Quellen gegenüber viel freier waren, als wir in unserm Historismus es etwa wären; vielleicht importierten sie mehr als daß sie nachahmten; man könnte das viel gröblicher ausdrücken: sie stahlen lieber als daß sie borgten. Nur daß der Begriff des geistigen Eigentums sicherlich noch nicht existierte, von Diebstahl also nicht die Rede sein konnte. Da wäre die zweite Vorfrage zu beantworten: wie verhält sich der sogenannte Geist der griechischen Sprache zu den Forderungen einer guten philosophischen Terminologie? Ist die griechische Sprache, deren oft und fanatisch geschilderte Schönheit ich sicherlich nicht verkennen will, gerade die gottgewollte Sprache der Philosophie überhaupt? Oder ist nur eben die national-griechische Philosophie in dieser Sprache gedacht worden? Sind wir in unserer eigenen Sprache, abhängig durch die Übersetzungen aus dem Griechischen, unfähig geworden, eine andere als eine gräzisierende Philosophie zu verstehen? Und ist am Ende die besondere Eignung des Griechischen für eine philosophische Terminologie gar nicht ursprünglich griechisch, sondern irgendeine Entlehnung aus einer Sprache des Orients? Eine Übersetzung, eine bloße Aneignung? Ich kann alle diese Fragen kaum formulieren, geschweige denn beantworten. Nur ein Beispiel will ich dafür geben, in welcher Art die vergleichende Sprachwissenschaft hätte vorarbeiten müssen, damit solche Fragen einer Beantwortung näher gebracht werden könnten. Ich denke an die Bedeutung des griechischen Artikels für die philosophische Terminologie. Eine philosophische Grammatik weiß mit dem Artikel der modernen Sprachen gar nichts anzufangen, weil der Artikel dem Lateinischen, der Muttersprache unserer Grammatik, und den slawischen Sprachen (nur das Bulgarische hat den nachgestellten Artikel aus dem Rumänischen entlehnt) gänzlich fehlt. Die Definitionen dieses Redeteils sind darum auch kläglich ausgefallen; daß der Artikel dazu diene, um von einem Substantiv auszusagen, ob es in einem bestimmten oder unbestimmten Sinne gebraucht werde, das stellt die Wahrheit geradezu auf den Kopf, wie ich schon (Kr. d. Spr. III, S. 92) nachgewiesen habe; daß aber der Redeteil dazu diene, das Geschlecht der Substantive erkennen zu lassen (daher der von Schottel eingeführte deutsche Ausdruck Geschlechtswort), das ist wieder nicht wahr, weil in sehr vielen Fällen das Geschlecht ganz willkürlich durch den Gebrauch des Artikels bestimmt wird. Im Griechischen nun scheint mir dieser Redeteil einen ganz andern Dienst zu leisten; der Name ἀρϑρον (ebenso das lateinische Lehnwort articulus) war früher ein Ausdruck der Rhetorik und erst später einer der Grammatik; ἀρϑρον bezeichnete zunächst am lebendigen Körper die Stellen, wo die Teile am deutlichsten aneinander gefügt sind, die Gelenke, dann überhaupt die Gliedmaßen; ἀρϑρον begriff in der Rhetorik das κωλον und das κομμα unter sich, das längere und das kürzere Glied einer Periode, einer περιοδος; wie dann das Kolon und das Komma in der Grammatik zur Bezeichnung von Interpunktionen herabsanken, so der Artikel zur Bezeichnung tonloser Vorschlagsilben. Der sogenannte sächliche Artikel jedoch wurde im Griechischen sehr oft benützt, um alle Assoziationen eines Hauptworts, aber auch Assoziationen irgendeines andern Redeteils wie durch ein Scharnier zusammenzuschließen: τα των ϑεων, was von den Göttern kommt, το νυν, das Jetzt, το πριν, das Vormals; sehr gern wurde ein Verbum im Infinitiv durch ein vorgesetztes το verdinglicht; endlich konnte jeder Satz und jedes Wort durch ein vorgesetztes το zu einem selbständigen Gedankendinge umgewandelt werden. Genau so wie in der Mathematik dadurch jeder Ausdruck, kurz oder lang, zu einer selbständigen Einheit gemacht werden kann, daß man ihn zwischen zwei Klammern wie zwischen zwei Scharniere setzt. Ich brauche wohl nicht erst daran zu erinnern, daß die deutsche Schulphilosophie diesen griechischen Sprachgebrauch aufgenommen hat; auch wir können sagen: das Jetzt, das Seiende, das An-und-für-sich-sein. Solche Sprachgewohnheiten scheinen mir dem Geiste aller unserer Sprachen, auch der griechischen, fremd zu sein, trotzdem die Herkunft des griechischen Artikels aus dem deiktischen Pronomen in diesem το, das wie eine ausgestreckte Hand einen Begriff oder einen Komplex von Begriffen zu fassen scheint, nachwirken mag. Viel stärker scheint in diesem Sprachgebrauch orientalische Personifikation, orientalische Verdinglichung, orientalisches Pathos anzuklingen. Vielleicht tritt ein besserer Kenner der sogenannten vergleichenden Sprachwissenschaft an diese Aufgabe heran.
II.
Nun möchte ich an einem einfachen Beispiele übersichtlicher als sonst den Weg zeigen, den ein Wort der Gemeinsprache zurückzulegen hatte, um zuerst ein Lieblingsausdruck der griechischen Philosophie, sodann in Lehnübersetzung ein Hauptbegriff der Scholastik und endlich wieder in griechischer Form einer der umstrittensten Begriffe der gegenwärtigen Erkenntnistheorie zu werden. Ich wähle zum Beispiele denjenigen Terminus, der (nach Curtius) mit terminus etymologisch zusammenhängt, und um den sich, im Griechischen wie in den Übersetzungssprachen, große Sippen gebildet haben: den Begriff τελος. Ich glaube nun, daß uns die ursprüngliche, die sinnliche Bedeutung von τελος verloren gegangen ist; merkwürdige Beziehungen zu den Mysterien lassen darauf schließen, daß das Wort schon in sehr alter Zeit ein geistiges Ziel bedeutete; da aber auch die disparaten Bedeutungen Weihe und Zoll sehr alt sind, so mag τελος einmal ein wertvolles Beutestück, ein Weihegeschenk bezeichnet haben. Jedesfalls gehörte das Wort der Gemeinsprache an, bevor es ein technisches Wort der Philosophen wurde; suchen wir ein entsprechendes deutsches Wort, so stellt sich zunächst Ende ein; aber Ende ist erst nach langen Umwegen, als Übersetzung von lat. finalis ( Endabsicht, Endursache), zur Bezeichnung für ein Ziel des Wollens geworden, wird heute noch zunächst im räumlichen Sinne verstanden und deckt sich darum nicht gut mit dem griechischen Worte. Besser werden τελος, τελευτη, τελευταν mit vollenden übersetzt, wo durch die Vorsilbe wirklich die Erreichung eines Ziels, eines Zwecks ausgedrückt wird. Wir haben uns nun so sehr gewöhnt, τελος, so oft es bei Aristoteles, dem Erfinder der Teleologie, vorkommt, mit Zweck zu übersetzen, daß uns die Verwegenheit im Bedeutungswandel gar nicht mehr zum Bewußtsein kommt; und doch war es eine ganz verwegene Neuerung von Aristoteles, die Nützlichkeit der Naturformen, die Absicht, um deren willen sie so gemacht worden seien, das Warum dieser Formen (το οὑ ἑνεκα) prägnant das Ende zu nennen. Wir müssen schon pleonastisch Endziel dafür sagen, weil wir weder mit Ende noch mit Ziel die Vorstellung eines gewollten Gegenstandes oder einer gewollten Veränderung verbinden. Nun kommt es mir aber darauf an zu zeigen, daß auch Aristoteles selbst nicht ganz so sklavisch und klar, wie nachher die christliche Scholastik, unter τελος einen nach Menschenart gewollten Zweck verstand, daß er vielmehr mit der Gemeinsprache noch in Fühlung blieb und bei dem Worte etwa an das dachte, was wir in mancherlei Sinne unter Vollendung verstehen. Nicht oft genug kann daran erinnert werden, daß die Griechen die Institution einer Kirche im mittelalterlichen Sinne nicht besaßen, kein Dogma und keinen Dogmenzwang, daß es also für Aristoteles gar keinen Sinn gehabt hätte, die Vorstellung von einem allweisen und (gegen die Menschen) allgütigen Schöpfer in seinen τελος-Begriff hineinzulegen; das wurde ein Zweck des Zweckbegriffs erst dann, als Aristoteles zum Philosophen Jesu Christi gemacht worden war. Aristoteles selbst brauchte auf den lieben Gott so wenig Rücksicht zu nehmen, daß er Gott noch neben die Natur wie gleichberechtigt stellen und sagen konnte: der Gott und die Natur tun nichts umsonst (ὁ ϑεος και ἡ φυσις οὐδεν ματην ποιουσιν); wo es denn offenbar wird, daß eine gewollte Menschenabsicht dem Gotte nicht anders und nicht minder bildlich unterlegt wird als der Natur. Noch deutlicher wird der Gegensatz zwischen Aristoteles und der christlich-scholastischen Weltanschauung, wenn der Gott einmal (Met. VII 7) der Endzweck von allem genannt wird; für die christlichen Scholastiker war Gott hingegen der Anfang, die Endzwecke in der Natur waren Gottes Wille. Die Scholastiker hatten für den Begriff der Zweckmäßigkeit nur noch eine lateinische Übersetzung; der Zufall der Wortgeschichte hätte es recht gut fügen können, daß terminus zu diesem terminus technicus des christlichen Glaubens geworden wäre; terminare, das den Wissenschaften eine ausgebreitete Wortsippe geschenkt hat, bedeutet in der Form determinieren soviel wie definieren, abgrenzen. Die alten Lateiner aber hatten unter den Synonymen τελος (τελευτη), περας, ὁρος besonders ὁρος durch ihr finis übersetzt, und als finis einmal der römischen Gemeinsprache angehörte, im Sinne von: Grenze, Ziel, Ende, Tod, Definition, Gipfel, mußte es auch – in der Gemeinsprache wie in der Philosophie – den Dienst von τελος mitübernehmen, und so fanden die Scholastiker ein Substantiv vor, aus dem sie das Adjektiv finalis (im Lateinischen nur im räumlichen Sinne gebraucht; circulus finalis ist genaue Lehnübersetzung von κυκλος ὁριζων) bildeten: was irgend sich auf göttliche Zwecke in der Natur bezieht. Es ist bekannt, welchen Mißbrauch die Scholastiker mit diesem Begriffe trieben. (Vgl. Art. Endursachen.) Als die modernen Sprachen den griechischen Begriff der immanenten Zweckmäßigkeit und den christlichen Begriff der transzendenten Zweckmäßigkeit eindringlich wiedergeben wollten, stießen sie sich wohl an der Ungereimtheit, daß die räumliche Grenze zugleich die gewollte Absicht bedeuten sollte, und suchten in ihren Mundarten nach einem frischen bildlichen Ausdrucke. Ein deutscher Mystiker, Jakob Böhme, fand das köstliche Wörtchen Zweck, das vorher den Holzpflock in der Zielscheibe (heute noch: Schuhzweck) bezeichnete; der sprachgewaltige Meister Eckhart hatte des Aristoteles τελος und το οὑ ἑνεκα mit Ende, Ziel und Warumbe übersetzt. Hier nur noch kurz die Bemerkung, daß auch franz. but ursprünglich ein solches Pflöckchen bezeichnet hat. (Vgl. Art. Zweck.) Für die Philosophie ist der Kampf gegen die scholastische Finalität seit Bacon und Spinoza zuungunsten der göttlichen Zwecke entschieden; der eifrige Versuch von Leibniz, den Prozeß des lieben Gottes durch seine Theodicee zu führen, den Prozeß womöglich zu gewinnen, ist kein Ruhmestitel des Mannes. Aber die Erkenntnistheorie ist neuerdings an die Frage herangetreten, wie sich die Zweckmäßigkeit in der Natur zur Notwendigkeit verhalte, die scheinbare Vorsehung zu der blinden Gesetzmäßigkeit, die scheinbaren Endursachen zu den Ursachen; und die Erkenntnistheorie vermeidet das Wort Zweck, sie scheut das Wort Finalität, sagt lieber Teleologie, ist so zu dem Terminus des Aristoteles zurückgekehrt und legt in τελος Gedanken hinein, von denen sich weder die Sinnlichkeit der griechischen Gemeinsprache etwas träumen ließ, noch das griechische Denken des Aristoteles.
III.
Die Beispiele ließen sich häufen, weil die Geschichte der philosophischen Terminologie in den allermeisten Fällen auf die griechische Terminologie wie auf eine Sackgasse zurückführt; und weil die Geschichte der Wörter sich mit etwas mehr wissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren läßt als die Geschichte der philosophischen Systeme. Bei diesen ergibt die Psychologie der philosophischen Männer, das Geniale, das Dämonische an ihnen, oder wie man es nennen will, einen irrationalen Rest, der der Geschichte wie der Darstellung die gleichen Schwierigkeiten bietet. Aus der griechischen Sackgasse heraus, zu den Lehrern der Griechen, werden wir wohl den Weg oder die Wege – wie gesagt – niemals finden. Die Wege des Bedeutungswandels griechischer Ausdrücke, die Wege und Umwege in den lateinischen Übersetzungen aller Jahrhunderte und aller Stile, die Wege des Bedeutungswandels in den modernen Übersetzungen, die Spirallinien bei der häufigen Rückkehr zu den griechischen Originalworten, alle diese Änderungen im Wachsen und Verkümmern der Begriffe historisch zu verfolgen, bietet einen Hauptreiz bei der Untersuchung der Begriffe. In den meisten Artikeln dieses Wörterbuchs wird ja auf die historische Wichtigkeit der griechischen Modellwörter hingewiesen; ich mache noch besonders auf folgende Wörter aufmerksam: ἀπειρον, γενος, διαλε ϰτι ϰος, δυναμις, ε ἰδος, ε ἰναι, (το ὀν, ο ὐσια), ἐνε ργεια, λογος, νους, ποιον, π ρος τι, π ροτε ρον, φυ σις, ὑπο ϰειμενον. Wenn es aber der alleinige Zweck solcher Untersuchungen ist, die philosophische Terminologie zu reinigen, nicht sprachlich, sondern begrifflich zu reinigen, so müssen wir uns schließlich fragen: wo finden wir einen so hohen Standpunkt, daß wir von ihm aus überblicken können, ob ein Wort ein guter Terminus sei oder nicht? Niemand hat eine Distanz zu sich selber; am wenigsten hat die Sprache, die Gemeinsprache einer bestimmten Zeit, eine Distanz zu sich selber. Und mag die philosophische Sprache eine Distanz haben und halten können zu der Gemeinsprache ihrer Zeit, so hat sie erst recht keine Distanz zu den gegenwärtigen Bedeutungen ihrer alten Wörter. Unsere Philosophie ist eine Enkeltochter der griechischen Philosophie; wenn wir uns der Bildlichkeit des Ausdrucks nur ganz bewußt bleiben, so dürfen wir auch sagen: die Wörter unserer Philosophie sind Enkelkinder griechischer Wörter. Wenn wir philosophisch reden, so reden wir griechisch oder in Übersetzungen aus dem Griechischen. Das ist wahr, einerlei ob uns diese Tatsache gefällt oder nicht. Dem einen mag diese Sprache göttlich vorkommen, dem andern spanisch oder böhmisch. Wir finden den Standpunkt nicht, um in jedem Falle sagen zu können, ob ein Ausdruck gut oder schlecht sei; wir können unsere philosophische Terminologie im ganzen und großen nicht bewerten, weil wir keine andere zur Vergleichung haben. Wir müssen ja erst die indische Philosophie, die chinesische Philosophie, die sogenannte Philosophie der primitiven Völker in die gräzisierende Philosophie übersetzen, für die allein wir eine Sprache haben. Wir wissen darum niemals, ob wir die Inder, die Chinesen, die Primitiven richtig verstanden haben. Unsere Philosophie hat keine Distanz zu ihrer Sprache; aber wir können die Sachlage durch Parallelerscheinungen begreiflicher machen. Auch unsere Plastik, unsere Architektur redet sehr häufig griechisch mit uns. Sodann ist das große Gebiet der abendländischen Religion eine Übersetzung aus dem Hebräischen, fast das ganze Gebiet des abendländischen Rechts eine Übersetzung aus dem Lateinischen. Wir können die Motive der griechischen Plastik mit der Natur vergleichen, die Motive der griechischen Architektur mit den Forderungen und mit den Möglichkeiten der modernen Technik. Schon die lateinischen Rechtsbegriffe und die hebräischen Religionsbegriffe können wir nicht vergleichen, solange wir im juristischen, im religiösen Dogma befangen sind. Es gibt neuerdings eine vergleichende Rechtswissenschaft, eine vergleichende Religionswissenschaft; aber nur darum, weil die Grundbegriffe des Rechts und der Religion uns, auf dem Boden unserer Philosophie, feste Punkte scheinen, von denen aus wir messen zu können glauben. Dieser Boden schwankt, diese festen Punkte fehlen, sobald wir vergleichende Philosophie treiben wollen. Und das ist die verzweifelte Lage des Sprachkritikers, der klar die Aufgabe erkannt hat, den Wortaberglauben auch auf dem Gebiete unserer gräzisierenden Philosophie zu bekämpfen, der aber für die Untersuchung der verdächtigen Begriffe kein besseres Werkzeug besitzt, als eben wieder diese verdächtigen Begriffe selbst. Nichts wäre törichter, als den Hebel anzusetzen bei der modernsten Bedeutung eines alten Begriffs; modernus hieß bereits im 6. Jahrhundert, was es heute heißt: was heute, was jetzt ( modo) für recht, für gut, für schön, für wahr gehalten wird; darum habe ich auch bis zur Ermüdung Goethes Hohnwort zitieren müssen, das er dem trockenen Schleicher, dem Fachmann Wagner in den Mund legt: »Wie wir's zuletzt so herrlich weit gebracht.« O ja, bis an die Sterne weit! Es ist wie überall. Wir wissen nicht, woher wir kommen; wir wissen nicht, wo wir stehen; wir wissen nicht, wohin wir gehen. Aus der griechischen Sackgasse scheinen uns die Wörter zu kommen, weil wir die Vorgeschichte nicht kennen; in die Sackgasse der Gegenwart mündet der Bedeutungswandel aus, weil wir die Zukunft nicht kennen. Und so ist auch die Sprachkritik den Wörtern der Philosophie gegenüber nur eine unerfüllbare Sehnsucht, ein Ideal; der Sprachkritiker darf bei der historischen Kritik der philosophischen Begriffe resigniert das berühmte Wort des Archimedes auf sich anwenden: δος μοι πο υ στω ϰαι ϰινω την φιλοσοφιαν.