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I.
Die Schule oder die neue Scholastik ist historisch geworden und nennt ihre Sekten wieder einmal nach historisch gewordenen Philosophen; wir haben neben der großen und mächtigen Gruppe der Neukantianer auch schon die Neufichteaner, die Neuschellingianer, die Neuhegelianer, dazu die Neuthomisten, die Anhänger von Fries und von Herbart, ganz abgesehen von den nicht ganz schulgemäßen Hartmannianern und Nietzscheanern. Diese Erscheinung ist nicht ganz neu. Die Entwicklung der Philosophie, wie sie sich in der schulgerechten Geschichte der Philosophie darstellt, bewegt sich wirklich in der Spirallinie, die man so oft der Kulturgeschichte zugrunde legen wollte. Das Bild findet sich schon bei Leibniz und bei Goethe: ein langsamer Aufstieg bei endlosen Umwegen über verlassene Standpunkte. So haben die Araber nicht, wie vielfach geglaubt wird, bloß dem Aristoteles nachgeredet, die Philosophen der Renaissance sind nicht einfach zu Platon zurückgekehrt; beide Male wurde der ganze Kursus der griechischen Philosophie durchschmarutzt. Seit ungefähr 50 Jahren nun repetiert man bei uns die vermeintlich klassische deutsche Philosophie in ähnlicher Weise, wie man vor 800 und vor 600 Jahren die vermeintlich klassische Philosophie der Griechen repetiert hat oder auch wohl nur repetieren ließ. Der Ruf »zurück zu Kant« wurde angestimmt, von Haym 1857, von Zeller 1862, am wirkungsvollsten von Liebmann 1865; der Ruf hallte als Echo aus den Hörsälen der deutschen Universitäten zurück, und erst ganz neuerdings wagen es einige unverbesserliche Skeptiker, mit dem Gegenrufe »zurück zu Hume« zu widersprechen. Die Rückkehr zu Kant war natürlich nicht ganz wörtlich gemeint gewesen; nur die philologische Beschäftigung mit Kant war, im Sinne des modernen Historismus, eine eigentliche Rückkehr, und hat denn auch für die niedere und für die höhere Textkritik sehr gute Ergebnisse geliefert. Eigentlich meinte man eine Weiterführung von Kants Erkenntnistheorie, eine Wiederanknüpfung an die Kritik der Erfahrung, die durch die romantischen Epigonen Kants mehr unterbrochen als gefördert worden war. Wenn die Geschichte der Philosophie, d. h. die Entwicklung der Ideen, von einer vernünftigen Leitidee beherrscht würde, wenn es in der Geschichte der Philosophie wie in der Geschichte überhaupt Gesetze gäbe, dann wäre die Wiedergewinnung der alten Aussichtsstellen auf einem höheren Standpunkte allerdings der Wanderung auf einer Spirallinie ähnlich, und man könnte gar nichts Besseres tun, als oberhalb der Straße in gleicher Richtung einen neuen Weg zu verfolgen. So logisch hat sich aber die Entwicklung nach Kant nicht vollzogen. In Kant hatte sich alles Denken des 18. Jahrhunderts wie in einem ungeheuren Sammelbecken zusammengefaßt und geordnet: Rationalismus, Idealismus, Skeptizismus und auch schon die Sehnsucht, die mystische, über diese -ismen hinaus; das ungeheure Becken bot aber den Nachfolgern oft nur Wasser für ihre Mühlen. Die Neuhegelianer, die Neuschellingianer benützten gar ihre vorbildlichen Philosophen als kleinere Becken für ihre viel kleineren Gebetmühlen. Ich möchte nun flüchtig zu zeigen versuchen, daß gerade Fichte am wenigsten geeignet war, für die Aufgaben unserer gegenwärtigen philosophischen Pflicht, für die Erkenntnistheorie, wiederbelebt zu werden. Wobei mir nichts ferner liegt, als mir die Beschimpfungen Schopenhauers gegen Fichte zu eigen zu machen; Schopenhauer, der doch gerade das Talent, also den Intellekt, von Fichte hoch über die Fähigkeiten von Hegel stellte, hat besonders den Charakter Fichtes in den Schmutz gezogen; und just der herrliche Charakter Fichtes würde uns ein Zurückgehen auf ihn noch am ehesten verständlich machen. Menschlichkeiten waren auch dem wahrhaft tragischen Leben dieses Mannes nicht fremd geblieben; aber menschlich stand Fichte mit seiner opfermutigen Tapferkeit denn doch über Schopenhauer; und der ergreifende Brief, den Fichte am 2. September 1791 an Kant schrieb, und der in jeder Geschichte der deutschen Philosophie abgedruckt werden sollte, stellt Fichte menschlich auch über Kant. Ich werde auf die Persönlichkeit Fichtes noch mit einem Worte zurückkommen. Aber für die Erkenntnistheorie ist die Lebensarbeit Fichtes nicht so bedeutend gewesen, daß wir eine Pflicht hätten, auch zu ihm zurückzukehren. Eigentlich sind es, im Verhältnisse zu den Neukantianern, nur ganz kleine Leute gewesen, die sich gern Neufichteaner nennen ließen; ich müßte schwer beweisbare Vermutungen über die Psychologie des deutschen Philosophieprofessors vorausschicken, wenn ich erklären wollte, wie es dennoch zu einer neuen Schule kommen konnte, die sich nach Fichte nannte. Ich widerstehe der Versuchung und will nur einiges Unpersönliche vorbringen. Man könnte das Werk Kants kurz so charakterisieren, daß er – er zuerst – die Grenzen zwischen dem Ich und dem Ding-an-sich abgesteckt hat; die Frage beschäftigt ihn zumeist, was alles in unserem Weltbilde dem Ich angehöre. Bescheidentlich weiß Kant über beide Glieder der Relation, über das Ding-an-sich und über das Ich, nichts auszusagen; die Relation selbst aber durchschaut er; er will nicht nur kein Dogmatiker sein, er ist auch viel weniger Systematiker, als die großen Linien der Architektur seines Werkes und die noch größeren Linien seines Gesamtplanes vermuten lassen. Die Epigonen Fichte, Schelling und Hegel sind bei aller Verschiedenheit darin ähnlich, daß sie unbescheiden genug sind, Systematiker sein zu wollen. Alle drei, die törichterweise, ebenso auch eben von mir, immer zusammen genannt werden, waren starke philosophische Schriftsteller, alle drei fähig, sich selbst den Architektentraum eines Systems zu erfüllen, aber einen festen Grundstein, einen einheitlichen Grundgedanken, hat keiner von ihnen besessen. Nur einen Grundriß. Darum konnte auf ihren Systemen nicht weiter gebaut werden, wie doch auf dem Grundsteine, den Kant fest gefügt hatte. Kant ist nur mit seinem einst populärsten Versuche, Freiheit und Moral auf ein übermenschliches, überindividuelles Prinzip zu begründen, historisch geworden, also tot. Seine Erkenntnistheorie ist lebendig, weil sie, bei aller Abgründigkeit und Schwierigkeit der Untersuchung, doch das individuelle Ich nicht verläßt; so durfte und konnte die neue Psychologie, ja sogar die Physiologie der Sinnesorgane zu Kant zurückkehren und sich der Übereinstimmung mit dem fast legendarisch groß gewordenen Meister freuen. Alle guten Kräfte des Rationalismus hatten sich in Kant vereinigt; über den Rationalismus war auch er mit seiner tiefsten Sehnsucht hinausgelangt, – etwa wie Lessing mit dem letzten, was wir ihm danken, über die Aufklärung. In der Poesie vollendete Goethe die Ahnungen des zu früh geborenen Lessing; in der Philosophie haben wir einen solchen Vollender Kants nicht erhalten. Seine Epigonen waren keine Rationalisten, freilich nicht; aber in ihrem stürmischen, romantischen Verlangen nach einer Einheit der Weltkultur fanden sie nur öde Worte, die nach kurzem Erfolge ein Mißtrauen gegen alle Philosophie zurückließen: das Absolute, die intellektuale Anschauung, eine irrationale Weltvernunft, das Über-Ich; so oder ähnlich müssen wir ihre unklaren Vorstellungen ausdrücken. Zu Hegel, dem stärksten unter den drei Epigonen, dem Riesenhirn, das die abstraktesten Begriffe mischte und legte wie ein müßig geistreiches Fräulein seine Patiencekarten, mag zurückkehren, wer die irrationale Weltvernunft in den Gesetzen der Weltgeschichte glaubt, an geschichtliche Gesetze überhaupt glaubt; zu Schelling, dem totesten unter den dreien, der allein unter ihnen die Verachtung Schopenhauers verdient zu haben scheint, mag zurückkehren, wer theosophisch veranlagt ist, wer sich für seine Vorstellung von einem lieben Gotte nicht mit dem Gotte des Rationalismus, nicht mit der Fiktion einer historischen Gesetzmäßigkeit z. B., begnügen will; und wer es nicht vorzieht, lieber zu den wirklichen Philosophen zurückzukehren, die von Schelling abgeschrieben oder umgedeutet worden sind. Wo aber führt ein Weg zu Fichte zurück? Man hat Stirner auf Fichte zurückzuführen versucht; ich kenne keine gröbere Verirrung der philologischen Methode. Vielleicht hat sich Stirner von einigen Schlagworten oder Stichworten Fichtes wirklich beeinflussen lassen; mag sein. Aber es gibt keine Brücke zwischen Stirners individuellem, einzigem Ich, das sich seine Welt aufbaut; und Fichtes absolutem Ich; das sich selbst und die Welt setzt. Es geht wirklich nicht an, den Fanatiker der Anarchie und den Fanatiker der Pflicht auf die gleiche Formel zu bringen, weil sie beide vom groß geschriebenen Ich ausgehen. Wo führt ein Weg zu Fichte zurück? Allerdings, Fichte hat den berühmt gewordenen Fehler Kants vermieden: die kausale Einwirkung der Dinge-an-sich auf das Denken, das doch die Kausalität erst geschaffen hat. Fichte glaubte zuerst, Kant richtig verstanden und ausgelegt zu haben, als er nicht nur die Form, sondern auch den Stoff der Welt vom Ich setzen ließ, durch eine Tathandlung setzen; als Kant dann seinen Schüler (nicht sehr löblich) von sich abschüttelte (Goethe konnte sich bei seiner Abkehr von dem denunzierten Atheisten Fichte wenigstens auf seine Ministerpflicht gegenüber dem disziplinlosen, übermäßig schroffen Professorbeamten berufen; Kant hatte eine solche Entschuldigung nicht), da nannte Fichte den Meister einen Dreiviertelskopf und blieb bei seiner These, jetzt als seiner ganz eigenen Wahrheit. Was war durch diese Vermeidung des Kantschen Fehlers gewonnen? Kants Fehler störte die Naturwissenschaft nicht. Es war inkonsequent gewesen, ein Widerspruch, von dem Dinge-an-sich nichts aussagen zu wollen, die Kausalität einzig und allein der Erscheinungswelt zuzuweisen, und dann dennoch zu lehren, das Ding-an-sich verursache die Erscheinungen mit, biete der Sinnlichkeit ihren Stoff. Aber Kant hätte erwiedern können, daß er die Sprache nicht geschaffen habe, daß der Widerspruch in der Sprache liege, daß eine Antinomie am Ende noch kein Denkfehler sei. Fichte war nicht inkonsequent, Fichte (wie nachher Hegel) schuf sich seine eigene konsequente Sprache, und in den schlecht definierten Begriffen dieser Sprache baute er ein Weltbild auf, die Wissenschaftslehre, mit dem die Wissenschaft niemals etwas hat anfangen können. Schelling übernahm von Fichte die Identität von Ich und Welt; Hegel übernahm von Fichte die Methode (Thesis – Antithesis – Synthesis); weder Naturwissenschaft noch Logik sind gefördert worden. Und die Antinomie Kants, der klaffende Widerspruch zwischen dem Ich und dem Ding-an-sich, war nicht einmal verschwunden. Das Ich, welches sich selbst setzte als beschränkt durch das Nicht-Ich, und welches wieder das Nicht-Ich setzte als beschränkt durch das Ich, verlegte nur das alte und ungelöste Rätsel in den neuen Begriff der Schranken; ein Rätselwort mehr war neu hinzugekommen, sonst nichts. Ein Wort, an welchem der Spott der Zeit sich schadlos halten konnte. Die besten Köpfe, die sich nun trotz der Abstrusität der Wissenschaftslehre (die Vermeidung des Kantschen Fehlers war übrigens schon von Aenesidemus-Schulze verlangt worden und war Reinhold fast gelungen) Fichte wieder zugewandt haben, haben sich dann auch, beinahe instinktiv, an den Ethiker Fichte gehalten, an den, trotz menschlicher Schwächen, prachtvollen Charakter des Mannes, an dessen Atheismusstreit und an dessen Reden an die deutsche Nation man nur zu erinnern braucht, um der schriftstellerischen Persönlichkeit wieder froh zu werden. Bei Eucken wird sogar Fichtes Versuch wieder aufgenommen, die Religion mit dem Denken zu versöhnen; aber Fichtes Aktualität, was sein Arzt Hufeland seine Überkraft genannt hat und seinen Grundcharakter, dieses moralische Kraftgefühl, das ihn die Welt zu einer Tathandlung des Ich machen ließ, klingt noch einmal an schon in dem Titel des vielgerühmten und sehr schwer lesbaren Hauptwerkes von Eucken: »Die Einheit des Geisteslebens in Bewußtsein und Tat der Menschheit.« Rein ethisch ist der Neufichteanismus bei Münsterberg, der nicht mehr dem Verdachte ausgesetzt ist, die Religion mit dem Denken versöhnen zu wollen; seine »Philosophie der Werte« mahnt an Fichte (und indirekt an das herrliche Wort Lessings vom Streben nach der Wahrheit) durch die Bedeutung, die dem Wollen zugeschrieben wird; der Tat, nicht dem Erreichten. »Der Wert liegt in der Steigerung des Wollens, aber der Wert selber wird dadurch nicht gesteigert.« Nur der Übergang von der niedern Stufe zu der höhern ist wertvoller, nicht die höhere Stufe selbst. Mir fällt der tragische Bettelbrief wieder ein, von dem schon die Rede war; Fichte redet Kant an als den Mann, »dem ich alle meine Überzeugungen und Grundsätze, dem ich meinen Charakter bis auf das Bestreben, einen haben zu wollen, verdanke.«
II.
Die Kritik eines berühmten Zeitgenossen über Fichte möchte ich hinzufügen, damit sie von meinen Lesern gelesen werde. An einer Stelle, wo die Geschichtschreiber der Philosophie nicht gerne suchen, im Komischen Anhange zu Jean Pauls allumfassendem Romane »Titan«, ist (im Jahre 1800) diese Kritik Fichtes gegeben worden, die darum nicht weniger gründlich ausgefallen ist, weil Form und Einkleidung durch groteske Einfälle fast abstoßen. Es ist die »Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana.« Als Verfasser und als begeisterter Fichteaner tritt Leibgeber auf, die einst sehr bekannte Romanfigur Jean Pauls; es ist wohl ernsthaft gemeint, daß ursprünglich beabsichtigt war, ein Wörterbuch der philosophischen Sprache Fichtes herauszugeben. Wir werden gleich sehen, daß Jean Paul den Gedanken einer philosophischen Sprachkritik so deutlich gefaßt hatte, als die Sprunghaftigkeit seines Denkens und Arbeitens das Erfassen und Festhalten eines Gedankens überhaupt zuließ. Das große Lachen des Jean Paulschen Humors stand einer Kritik der Sprache sicherlich nicht im Wege. Der humoristische Hauptwitz der Clavis lag nun darin, daß Jean Paul-Leibgeber sich anstellte, als ob nicht Fichte, sondern er selbst im Jahre 1794 die Wissenschaftslehre herausgegeben hätte; er nennt das System darum Leibgeberianismus. Fichtes Gleichsetzung von Ich und Nicht-Ich wird so schon durch die Einkleidung glänzend parodiert; und diese Parodie wird ohne jede Pedanterie durchgeführt. »Diese (die Aseïtas) und absolutes oder reines Ich und unbedingte Realität und immanentes Noumenon sind Synonymen der Gottheit. Der Himmel – welches Ich bin – gebe, daß ich faßlich werde.« ... Fichte hat Himmel und Erde und alles geschaffen, damit er etwas anzusehen habe, aber auch Fichten als Beschauer, und mit jenen verginge auch dieser; »was übrig bleibet, ist sein reines Ich, bei dem ja aber, wie er aus der von mir oder ihm erfundenen Wissenschaftslehre recht gut weiß, weder von Dauer noch von Sein die Rede sein kann.« Leibgeber überblickt einmal flüchtig, während eines Fußbades sein System, und sieht bedeutend auf die Fußzehen, deren Nägel man ihm eben beschneidet; und er spricht zu sich: »Es frappiert mich selber, daß ich das All und Universum bin; mehr kann man nicht werden in der Welt als die Welt selber und Gott und die Geisterwelt dazu. Nur so lange Zeit – die wieder mein Werk ist – hätt ich nicht versitzen sollen, ohne darauf zu kommen ... Welch ein Wesen ... mein absolutes Alles gebärendes, fohlendes, lammendes, heckendes, brechendes, werfendes, setzendes Ich.« Alles hat er geschaffen, »und mithin auch die paar Bände, die Fichte geschrieben, weil ich ihn erst setzen und machen muß, eh' er eintunken kann – denn es kommt auf meine moralische Politesse an, ob ich ihn leben lassen will, ... weil wir beide ... nie unsere Ichs behorchen können, sondern jeder selber das erfinden muß, was er vom andern lieset, er meinen Clavis, ich seine Drucksachen. Daher nenn' ich die Wissenschaftslehre keck mein Werk und den Leibgeberianismus, gesetzt auch, Fichte wäre und hegte ähnliche Gedanken.« Gott ist aseïtas, also ameïtas. »Ich leugne nicht, ich komme mir seit meiner Leibgeberei, so oft ich edle oder große Aufopferungen für andere mit vielen äußerlichen Anstalten mache – was doch kürzer abzutun wäre, da bloß mein Ich moralisch voltigieren soll – fast wie jener Handelsmann im Montaigne vor, der, um ein lavement zu nehmen, die Werkzeuge und alle Ingredienzien auf den Tisch vor sich hinlegen ließ und alles dann ein wenig besah, worauf sogleich, ohne daß man ihm das Klystier wirklich setzte, die Sedes kamen, die nur einmal ausblieben, als gerade die Frau aus Geiz wohlfeilere Spezies aufgetragen hatte.« »Ich lasse zu, der Verstand ist bewunderungswürdig und unendlich und kein menschlicher, den ich (als absolutes Wesen) bewies in der ganzen Einrichtung des Weltalls (Nicht-Ichs); aber ich weiß nicht, was ich dachte, daß ich meinen eigenen subjektiven Verstand so stiefmütterlich und schmal beißen ließ, daß er nun meinen objektiven Verstand selber nicht kapiert ... Ich hätte der größte Kopf werden sollen, ein Universalgenie für ein solches Universum. So aber fasset mein gedachtes Ich von einem Objekte, das doch nur seinetwegen zum vorstellen hingesetzt wurde, im Grunde soviel wie nichts.« »Existiert niemand als ich armer Hund, dem gerade das Los fallen mußte, so stand es wohl noch mit niemand so schlecht als mit mir ... Rund um mich eine weite versteinerte Menschheit ... Ich so ganz allein, nirgends ein Pulsschlag, kein Leben, nichts um mich und ohne mich Nichts als Nichts. Mir nur bewußt meines höheren Nichtbewußtseins. In mir den stumm, blind, verhüllt fortarbeitenden Dämogorgon (gemeint ist der Erdgeist), und ich bin er selber. So komm ich aus der Ewigkeit, so geh ich in die Ewigkeit. – Und wer hört die Klage und kennt mich jetzt? Ich. – Wer hört sie und wer kennt mich nach der Ewigkeit? Ich. –« Anm. adelheidis: Die J.-P.-Zitate weichen in der Zeichensetzung von meiner Ausgabe (1948) und auch von der noch neueren Version bei Gutenberg ab. Im obigen Abschnitt sind die letzten Sätze bzw. Satzfragmente durch Gedankenstriche getrennt, nicht durch Punkt. Auch Auslassungen sind hier z.T. nicht gekennzeichnet. Diese fast tragische Parodie über den Versuch Fichtes, die Welt aus dem Ich heraus- oder hinauszuspinnen, wird noch ernsthafter durch die Einleitung Jean Pauls, in der völlige Skepsis gegen eine systematische Philosophie und gegen die philosophische Sprache überhaupt sich stark äußert. »Gegen Philosophie und die Nymphe Echo behält niemand das letzte Wort ... Da wir jahrelang mit vollen Worten uns erinnern und phantasieren, so merken wir es nicht sogleich, wenn wir mit leeren denken; etwan wie Darwin (gemeint ist der Großvater von Charles Darwin, Erasmus Darwin, den J. Paul der Alleswisser auch sonst genannt hat) behauptet, daß einer, der lange die gefüllte Pfeife im Munde gehabt, es im Dunkeln nicht sogleich würde inne werden, daß er sie ausgeraucht.« Jean Paul wendet dann den Hohn über die leeren Worthülsen, nicht ganz mit Unrecht, gegen Fichte und die höchste Höhe der Reflexion. »Hier wird die Höhe so schwindelnd und dünnluftig, daß keine Begriffe mehr zu- und nachreichen, sondern wir müssen mit und an der bloßen Sprache ohne jene, weiter hinauf zu kommen suchen. Wer nun mit mir der bloßen von Begriff und Anschauung freien Sprache mächtig ist, der kläret sich dadurch zwei Ewigkeiten auf ... Und ohne diese Sprache der höchsten Reflexion ist auch das Setzen eines Nicht-Ichs und Ichs oder das eigenhändige Einschränken des Absoluten um nichts begreiflicher als die so oft getadelte Schöpfung aus nichts. Diese absolute Freiheit ... liegt nicht mehr in unserm Denk-, sondern bloß in unserm Sprachvermögen.« Jean Paul, dem es nicht vergessen werden soll, daß er als der erste deutsche Schriftsteller (1826) Schopenhauer würdigte, hätte seine Kritik mit noch mehr Strenge gegen Schelling und Hegel richten können, als gegen Fichte. Er der seine Vorschule der Ästhetik gegen die Kantischen Formschneider zu verteidigen hatte, der früher als die zünftige Literaturgeschichte die Identität des romantischen und des christlichen Ideals durchschaute, der mit der Sprache solange als ein Virtuose spielte, bis er ihren metaphorischen Charakter aufdecken konnte, wieder als der erste, – Jean Paul hatte allen Grund der romantisch-christlichen Sprache des Naturphilosophen und des Naturkorrektors zu mißtrauen. Aber Jean Paul, dem Schelling und Hegel nicht viel zu sagen hatten, war im Grunde schon vor Fichte ein eingefleischter Fichteaner gewesen. Schelling und Hegel standen seiner Freiheit ferner; von Fichte mußte sich der Romantiker Jean Paul erst befreien, und die Clavis ist wohl diese Befreiungstat. Jean Paul hat den Fichteschen Einschlag in den philosophierenden Schriften der Romantiker wohl erkannt; er, der als Dichter die Bilderjagd nicht lassen kann, verwirft die Ertötung des Stoffes durch die Form, »die Jakob-Böhmische Bilderphilosophie, z. B. in den Werken der Herren Schlegel, deren partiale Verfinsterung mehr aus dem eingemischten Leibgeberianismus entspringt und weniger aus der chemisch-metaphysisch-metaphorischen Sprache.« Die Bewegung in der Geschichte der Poesie geht nicht mit so erschreckender Regelmäßigkeit in Spirallinien vor sich wie die Bewegung der Philosophie; aber eine Spirallinie hat doch wohl zu der gegenwärtigen Mode der Neuromantik geführt; und unsere philosophierenden Neufichteaner sind nicht bloß zufällig Zeitgenossen der Neuromantiker. Da war es vielleicht gut, an Jean Pauls Selbstbefreiung, an diese Parodie aus Liebe zu erinnern.