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Ich habe (Kr. d. Spr. III, 265 ff.) ausführlich darzulegen versucht, wie verkehrt die Rangordnung ist, in welche der Begriff der formalen Logik herkömmlich eingereiht wird. Riehl hat diese Umwertung am kürzesten ausgesprochen durch den Satz: »Begriffe sind potentielle Urteile«, d. h. alle Urteile, nicht nur die analytischen, sind in ihrem Subjektsbegriffe schon enthalten. Ich habe gezeigt, daß die Begriffe oder Worte der Gemeinsprache aus ihren Umfängen entstanden sind, nicht aus ihren Inhalten, daß die Begriffsumfänge in den verschiedenen Individualsprachen und nun gar in den verschiedenen Volkssprachen verschieden sind, daß also die Logik gar nicht in der Lage war, mit ihren Begriffen als wie mit konventionellen und darum eindeutigen mathematischen Zeichen sicher zu operieren. Die mathematischen Zeichen sind ihrem Wesen nach univok, die Worte der Gemeinsprache sind immer äquivok. Ich habe darauf hingewiesen, daß der scholastische Mißbrauch der Logik, die Verwechslung der Möglichkeiten sprachlicher Darstellung mit den Möglichkeiten der mathematischen, welche Verwechslung sich dann noch an der Form von Spinozas Lebenswerke so ärgerlich rächte, bis in die Neuzeit hinein durch den ausschließlichen Gebrauch einer toten Sprache unterstützt wurde, daß die tote Sprache und bald darauf die formale Logik preisgegeben werden mußten, weil mit der Erforschung der Wirklichkeitswelt oder mit der Naturwissenschaft Ernst gemacht wurde. Ich habe an den Artbegriffen zu erklären versucht, warum unsere Worte den Idealbegriffen der Logik nicht entsprechen und niemals entsprechen können. Ich möchte nun etwas über die psychologische Tätigkeit hinzufügen, die wir begreifen nennen. Freilich können wir Menschen dadurch, daß wir eine Naturerscheinung auf einen Begriff bringen, über den Sinneseindruck hinaus zum Ding-an-sich der Erscheinung nicht vordringen, wie so ungefähr von der Mehrzahl der Philosophen geglaubt worden ist. Der psychologische Vorgang erscheint aber doch viel einfacher, wenn man ihn mit einfachen Worten darzustellen wagt. Als Gegensatz denke man an den selbstbewußten Lambert, der meinte: eine Sache begreifen heißt, sich selbige so vorstellen, daß man die Sache für das ansieht, was sie ist. Die griech. καταληψις, die lat. conceptio (genauer übersetzt comprehensio; wovon franz. comprendre) besagte wie die deutsche Übersetzung begreifen immer nur das Aneignen einer Sache, bildlich das geistige Aneignen einer Vorstellung. Wir eignen uns nun so etwas wie eine Vorstellung dadurch an, wir ordnen sie unserem schon gesammelten geistigen Eigentum dadurch ein, daß wir die neue Vorstellung, den neuen Fall mit einer ähnlichen Vorstellung, mit einem ähnlichen Falle vergleichen. Der Mensch ist das fragende Tier. Aber so unbescheiden der Mensch fragt, so bescheiden gibt er sich mit der ersten, der besten Antwort zufrieden. Er hat die Erscheinungen der Welt nach Ähnlichkeiten benannt, unter Worte oder Begriffe gebracht; kann er nun eine neue Erscheinung, eine unbekannte, unter ein Wort oder unter einen Begriff bringen, so nennt er das: begreifen. Man hört oder liest über diesen einfachen letzten Satz wie über eine Selbstverständlichkeit hinweg, bis man vielleicht auf das Beziehungswörtchen unter aufmerksam gemacht worden ist. Man braucht die Beziehungen im Gedanken nur umzukehren und sich vorzustellen, daß das Bekannte, Wort oder Begriff, über der neuen Wahrnehmung stehe, um sofort zu erkennen – was ja zu erwarten war – daß es sich nur um einen bildlichen Ausdruck handle. Weder im Sinne der Raumlehre noch im Sinne der Höhenenergie steht z. B. der Artbegriff höher als das Individuum. Das Bild ist natürlich von der alten Subsumptionslogik hergenommen, wo das Beziehungswörtchen sub den ganzen Vorstellungskreis beherrscht. Genau genommen gehören zu dieser Art des Begreifens nur die Benennungsurteile, die dann freilich in ihrem wissenschaftlichen Werte zwischen den allerkindlichsten analytischen Urteilen (»dieses Tier ist ein Wau-Wau«) und den scharfsinnigsten synthetischen Urteilen (»die Bewegung des Mondes ist ein Fallen«) schwanken können. Bringen wir eine bisher unerklärte Erfahrung unter ein substantiviertes Verbum, dann haben wir aber den Kreis der bloßen Benennungsurteile schon verlassen und sind geneigt, diese Art des Begreifens ein Erklären zu nennen. Bringen wir einen neuen Eindruck dagegen unter ein adjektivisches Wort (»dieses Licht ist rot«, »dieses Schaf ist schwarz«), so liegt eine sehr schlichte Art des Begreifens vor, die wir gewöhnlich wahrnehmen nennen. Die Grenzen zwischen diesen drei Arten des Begreifens sind in der psychologischen Wirklichkeit nicht so scharf gezogen, wie das in der herkömmlichen Psychologie herauskommt, die sich von der Begriffslehre der Subsumptionslogik nicht befreien konnte. Es hängt vom Grade und von der Richtung der Aufmerksamkeit ab, ob das Erblicken eines roten Lichtes ein Sinneseindruck, eine Wahrnehmung oder ein Urteil genannt zu werden verdient; es hängt von der aufgewandten Geistesarbeit ab, ob ein Benennungsurteil nur ein solches ist oder eine Bereicherung unseres Wissens, ob endlich das Begreifen zu einem Erklären wird. Der Satz »die Erde ist ein Planet« ist für die Auffassung unserer Schulbuben ein Benennungsurteil; als Kopernikus die gleiche Vorstellung anschaulich faßte, das Einzelding Erde unter den Planetenbegriff subsumierte, war das eine synthetische Geistestat ersten Ranges, und ganz gewiß war er sich dabei einer Subsumption am wenigsten bewußt. Auch geben con, ad ( concipere, adpercipere) doch ein besseres Bild der psychologischen Wirklichkeit, als das logische sub. Ich habe in diesem Zusammenhange öfter Wort gesagt, wo der Schulgebrauch Begriff gefordert hätte. Ich weiß nämlich nicht, was der Begriff eigentlich außer dem Worte noch ist, in der psychologischen Wirklichkeit ist, wenn man es einmal wagt, von seiner Bedeutung für die Subsumptionslogik abzusehen. Wir begreifen, wenn wir eine neue Vorstellung mit älteren Vorstellungen vergleichen, und bei dieser Vergleichung zu dem Glauben an einen logischen oder ursächlichen Zusammenhang kommen. Dieser Zusammenhang wird von uns, durch eine Art Induktionsschluß aus der Wirklichkeit, aus der Unzahl aller möglichen Assoziationen herausgeholt, die sich an die neue Vorstellung knüpfen können. Umhergetrieben von den unendlich vielen Wellen dieses Meeres von Assoziationen müssen wir etwas Festes haben, um (es ist schwer zu sagen) uns festhalten zu können oder die brauchbare Vorstellung festzuhalten; dieses Feste ist das Wort. Wie in unserer Erkenntnis der realen Wirklichkeitswelt die sogenannten festen Körper die Mittelpunkte der (von uns allein wahrgenommenen) Eigenschaften sind; so sind in unserem geistigen Leben die Worte die relativ festen Mittelpunkte von Assoziationen und Vor-Urteilen, die Menschen vor uns gebildet haben. Die Worte sind die Hilfen oder die Ruhepunkte bei dem schwierigen psychologischen Geschäfte des Begreifens. Und wenden wir nun dieses Geschäft reflektorisch auf den Vorgang des Begreifens selber an, so bilden wir eben aus dem Worte Begreifen das neue Verlegenheitswort Begriff und haben eine neue Hilfe, einen neuen Ruhepunkt für unsere Reflexion. Erst bei dieser Rückwendung des begreifenden Denkens auf den Vorgang des Begreifens, gewinnt so das Wort Begriff einen leidlichen Sinn; sonst ist es ein leerer Schall, außer und neben dem Vorgang des Begreifens, und paßt einzig und allein auf die logischen, tautologischen, subsumierenden Urteile. Man hört das vielleicht unmittelbar heraus, wenn man bei J. Grimm der Schreibung Begrif, bei Logau der Schreibung Begrief begegnet. Ich komme zum Schlusse: Begriff ist von dem psychologisch-verbalen Vorgang begreifen erst abgeleitet und als psychologisches Substantivum schon verdächtig; ist eine Abstraktion, die dadurch entsteht, daß man bei den Wörtern von ihrer lebendigen, fließenden Bedeutung absieht, ohne die sie weder Wörter sind noch als Worte gebraucht werden können; ist ein Bild, von dem Bilde begreifen abgeleitet, und darum außerhalb der formalen Logik unfaßbar. Noch eins: bis zum Begreifen im Sinne der stolzen Wissenschaft gelangen wir nie; nicht bei den einfachsten Fragen; immer ist es nur ein Begreifenwollen, bestenfalls eine Annäherung an das gesteckte Ziel der Erkenntnis. Die kleinen Hilfen bei diesem Tappen, die Worte, werden nicht zu Mitteilungen einer ewigen Weisheit dadurch, daß wir sie zu dem höheren Range von Begriff erheben; die Merkzeichen auf dem Wege zu dem unerreichbaren Ziele des Begreifens, eben wieder die Worte, werden nicht zu erreichten Zielen dadurch, daß wir sie Begriffe nennen. Man wird und man mag aber weiterhin ein Wort einen Begriff nennen, sobald einem daran liegt, Inhalt und Umfang des Wortes genauer zu untersuchen, das Wort auf seine Berechtigung hin zu prüfen; hat der Begriff die Prüfung bestanden, so wird er wieder zum Worte, zum brauchbaren Worte der wissenschaftlichen Sprache. (Vgl. Art. Art.)