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Das Wort »abhängen« (schon Grimm beklagt, daß der Sprachgebrauch sich gegen die richtige Form abhangen, entschieden habe; übrigens werden auch dependēre, herabhangen, und dependĕre, abwägen, bezahlen, miteinander verwechselt) hat in der gewöhnlichen Anwendung seiner Ableitungen abhängig und Abhängigkeit eine schielende Bedeutung bekommen. Wir haben uns nur so sehr daran gewöhnt, dependēre mit abhängen wiederzugeben, daß wir glauben, uns etwas dabei zu denken. Und doch ist uns sogar im Lateinischen das Bild ganz unanschaulich, das die Zurückführung eines Dinges oder Ereignisses auf ein anderes durch dependēre ausdrückt. Eine alte Metapher davon scheint sprachliche Abstammung zu sein, so wenn Ovidius sagt: augurium dependet origine verbi hujus (augustus), Augurium stamme von augustus ab. Auch an das Herabhangen eines Kettenteiles könnte man denken, da die Römer schon die concatenatio kannten, Augustinus schon die concatenatio causarum. Im Französischen, wo es zwei ganz verschiedene dépendre gibt, das eine von dependēre, das andere von dependĕre gebildet, hat sich der Bedeutungswandel sehr reich entwickelt; dépendance hat oft den Sinn einer Nebensache, les dépendances sind für den Juristen Nebenkosten oder Nebenumstände, für den Schweizer das Nebenhaus; vor allem aber bedeutet dépendance die Abhängigkeit, die Unselbständigkeit einer Person. Und dies ist ein Teil des Begriffs, den dependentia in der nachscholastischen Zeit ausgebildet hat; sehen wir genauer zu, so ist die dependentia, ob sie nun cognoscitiva oder objectiva ist, ob sie relativa oder effectiva ist (die dependentia effectiva umfaßt übrigens in ihren Unterabteilungen noch einmal alle Arten der Abhängigkeit) nur ein anderer und matterer Ausdruck für das Verhältnis einer notwendigen Wirkung zu ihrer Ursache. Die ganze Zeit, in der der Begriff sich entwickelte und blühte, glaubten nur einzelne kühne Geister wie Spinoza an eine allgemeine concatenatio oder Bedingtheit oder Notwendigkeit; man sprach zwar davon, daß alles dependent sei, mit alleiniger Ausnahme des independenten Gottes, merkte aber gar nicht, daß ein Atheist oder Pantheist die unbedingte Notwendigkeit alles Geschehens ebenso ausdrücken konnte. Unter Abhängigkeit gewöhnte man sich eben etwas zu verstehen, was von etwas Anderem beeinflußt wurde; dem Begriffe der Notwendigkeit wich man schielend aus. Man sah noch nicht die gleiche Stärke der vier Wurzeln des zureichenden Grundes; man war geneigt, ganz besonders die Notwendigkeit des menschlichen Handelns zu leugnen, stellte die Lehre vom freien Willen auf, und da man die Beeinflussung des menschlichen Handelns doch nicht ganz leugnen konnte, so beliebte man für dessen relative Unfreiheit den schwächeren Begriff Abhängigkeit. Abhängig mochte der Mensch sein, aber beileibe nicht unfrei, nicht determinirt. Die Landesreligion brauchte den freien Willen, das liberum arbitrium indifferentiae, für ihre Lehre vom Sündenfall, der Zurechnung usw. So kam Schleiermacher, ein christlicher Theologe, aber an Spinoza geschult, dazu, seine berühmt gewordene Definition aufzustellen: Religion sei »das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl.« Ein Widersinn, wenn er gesagt hätte: Religion sei das Bewußtsein oder Wissen von einer schlechthinnigen Abhängigkeit oder einer unbedingten Notwendigkeit. Denn just diese Lehre der allgemeinen Verkettung von Ursache und Wirkung macht dem Wunderglauben der Religion ein Ende; ein Gott, der von Anfang an durch die Kausalität alles Geschehens gebunden war, mag noch ein Gott für Philosophen sein, ist aber kein Gott mehr für das christliche Volk. Klare Einsicht in die Kausalität führt geradenwegs zum Atheismus, der sich auch Pantheismus nennen mag. Das unklare Gefühl aber einer schlechthinnigen oder unbedingten Abhängigkeit ist, wenn es nicht das frohe Gefühl eines resignierten Zuschauers ist, allerdings ein Gefühl der Hilflosigkeit, dem Angstgefühl nahe verwandt, das nach dem alten Worte: primus in orbe Deos fecit timor (nach Petronius) die Religion und ihre Götter gemacht hat. Nur ein Zufall ist es, daß schon ein guter Römer die Dependenz an den Gottbegriff geknüpft hat; Seneca sagt einmal (de ben. IV, 7), Gott sei nichts anderes als das Fatum, dieses nichts anderes quam series implexa causarum, Gott selbst aber prima omnium causa, ex qua ceterae pendent. Die Stelle (die übrigens natürlich nur griechische Sätze wiedergibt) fängt übrigens ganz Spinozistisch mit einer Gleichsetzung von Gott und Natur an. Quid enim aliud est natura quam Deus?