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Anstatt einer historischen oder rechtsphilosophischen Untersuchung über den Eigentumsbegriff nur eine Bemerkung über den berühmten Satz des edlen Proudhon. Es ist bekannt, daß der rebellische Gedanke schon zwei Menschenalter vor Proudhon ausgesprochen worden ist, von Brissot, dem Naturrechtler, Negerbefreier und Girondisten, der den Begriff Diebstahl gleich in den Titel seiner Schrift (1780) aufnahm: »Recherches philosophiques sur le droit de propriété et sur le vol considéré dans sa nature.« Naturrechtlich ist die ganze Untersuchung, naturrechtlich ist auch die Formel: »La propriété exclusive est un vol dans sa nature.« Ich werde gleich darauf zurückkommen, daß die Formulierung Brissots viel richtiger war, und eben darum schlechter und unwirksamer, als die Formulierung Proudhons. Es ist weniger bekannt, daß das Eigentum schon einmal vor anderthalb Jahrtausenden Diebstahl genannt wurde, von einem Kirchenvater, von dem h. Basilius: κλοπη γαρ ἡ ἰδιαζουσα κτησις, »Diebstahl ist der eigentümliche Erwerb.« (Büchmann 20. A. 315.) An dieser Fassung müssen uns zwei Umstände interessieren: die Tendenz und das Wort ἰδιαζουσα. Die Tendenz des heiligen Mannes ging beileibe nicht auf Revolutionierung der Gesellschaft; vom Naturrechte hatte man im 4. Jahrhundert noch keine Vorstellung. Man wollte denn die Mönchsklöster, die damals eben aufgekommen waren, mit der Rückkehr zur Natur in einen sehr gewagten Zusammenhang bringen. In den Klöstern sollte Kommunismus herrschen. Der Satz des h. Basilios richtete sich mit seiner ganzen Schärfe gegen das Privateigentum der Mönche. Ein Mönch, das verlangt die katholische Kirche noch heute, soll kein Privateigentum besitzen. Man hielt das für christlich, wie man die Einrichtung der Kirche und der geweihten Priester für christlich hielt. Es ist ein weiter Weg von diesem lokalen Kommunismus ausbeuterischer Klöster, die in jeder Beziehung antisozial geworden sind, zu dem Sozialismus, der sich auf Proudhon als auf einen seiner besten Herzen berufen kann, und der, wieder seit zwei Menschenaltern etwa, langsam und stetig bemüht ist, mit Überwindung rein politischer Bestrebungen das Christentum zu einer sozialistischen Heilslehre umzudeuten. (Vgl. Art. Christentum S. 117.) Wer den Staat und das Recht im Staate nur umgestalten will, um einen anderen Staat und ein anderes Recht an die Stelle zu setzen, der kann nur mit einer groben Inkonsequenz den Eigentumsbegriff abschaffen wollen; wer aber den Staat nicht anerkennt, das Recht im Staate nicht anerkennt, der Anarchist im eigentlichen Wortsinne, der weiß auch nichts vom Eigentum, der darf vom Eigentum gar nichts aussagen, nicht einmal, daß es Diebstahl sei. Auch der Satz: »La propriété c'est le vol« ist darum eine Zirkelerklärung. Wenn er nämlich überhaupt eine Erklärung ist, eine Definition, und nicht vielmehr der temperamentvolle Ausruf eines Mannes, der mit glühendem Zorn die reichen Leute haßt und nach dem schlimmsten Worte sucht, mit dem er den antisozialen Reichtum beschimpfen könnte. Der berühmte Satz ist keine Definition, sondern ein Schimpfwort großen Stils. Mich dünkt, daß dieses Schimpfwort christlicher sei als die Mönche und ihr Gelübde der Armut. Daß alle diese Urteile über das Eigentum nur Zirkelerklärungen sind, verrät sich aufmerksamen Augen in der Formel des h. Basilios an dem Worte ἰδιαζουσα; ich habe mit Recht übersetzt eigentümlicher Erwerb, weil Eigentum nach proprietas gebildet ist, proprietas nach ἰδιοτης, von ἰδιος; Basilios meint: Für den Mönch ist eigenes Eigentum ein Diebstahl am Kloster; daß die Vorstellung eigen in seinem Satze noch ein drittes Mal versteckt ist, im Diebstahlbegriff nämlich, das ist dem Kirchenvater, den wir nun weiterhin in Frieden ruhen lassen wollen, gewiß nicht eingefallen. Brissot und Proudhon aber hätten diesen Punkt strenger ins Auge fassen müssen. Man hat mir mit Recht entgegengehalten, daß Proudhon (Brissot hatte so klare Vorstellungen vom Wesen der Nationalökonomie noch nicht) bei seinem Paradoxon eben nur den Begriff Diebstahl auch auf das ausdehnen wollte, was die alte Gesellschaftsordnung mit besonderem Nachdrucke Eigentum nennt; und daß der Franzose unter propriété besonders Eigentum an Grund und Boden versteht, demnach der Satz im Französischen einen anderen und besseren Sinn hat, als in der deutschen Übersetzung, die aber doch auch ein geflügeltes Wort geworden ist. Ich müßte also zunächst zugeben, daß meine Kritik des Satzes nicht so sehr Proudhon trifft, der das starke Wort geprägt hat, als vielmehr die Franzosen und die Deutschen, die es gedankenlos nachsprechen. Denn daran ist nicht zu zweifeln, daß die Schlagkraft des Wortes, besonders in Deutschland, der unklaren Vorstellung zuzuschreiben ist, die ohne Unterschied unbewegliches und bewegliches Eigentum mit dem Schimpfworte belegt. Gemeint ist: berechtigt ist nur der Besitz, der durch Arbeit oder im Austausch gegen Arbeit erworben worden ist; die natürlichen Güter dieser Welt, soweit sie nicht umsonst zu haben sind oder zu haben sein werden, dürfen nur, direkt oder indirekt, für Arbeit eingetauscht werden. Ich füge mich gern der bessern Einsicht, und kann nicht leugnen, daß der Satz anders klingt, wenn man mit ihm den Gemeinbesitz an Grund und Boden allein verteidigen will. Der Vorwurf der Zirkelerklärung trifft wirklich die deutsche Fassung unmittelbarer als die französische. Aber ich muß doch bemerken, daß das Wort propriété, auch im Französischen, nicht nur den Grundbesitz bedeutet, sondern auch das juristische Eigentumsrecht überhaupt; daß darum auch Proudhon selbst dem Widerspruche nicht entgangen ist, der – wie wir gleich sehen werden – in der metaphorischen Übertragung der Rechtsbegriffe aus der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und ihrer Sprache auf ein Naturrecht der Zukunft verborgen ist. Ich werde Proudhon und solche seltene Menschen mit den Poeten vergleichen müssen. Solange solche Poeten aber keinen Erfolg haben, widmen sie sich, wie andere Poeten, einer kritischen Tätigkeit. Kritiker und Poeten in einer Person, sprechen sie eine andere Sprache als die Wirklichkeit; sie dürfen den Pedanten verhöhnen, der ihnen Widersprüche nachweist; die Sprachkritik wollte aber nicht tadeln, sondern nur wieder einmal zeigen, daß die Sprache der Gegenwart auf die Verhältnisse der Zukunft nicht paßt, so wie sonst überall die Sprache der Vergangenheit, die Gemeinsprache, auf die Gegenwart nicht paßt. Der Satz: La propriété c'est le vol – will den Eigentumsbegriff aus der Welt schaffen, will das, was man bisher Eigentum nannte, unter den Oberbegriff Diebstahl bringen: Eigentum ist nichts, als daß es Diebstahl ist. Wenn nun aber der Diebstahlsbegriff den Eigentumsbegriff schon voraussetzt, so bietet der Satz ein Musterbeispiel einer Zirkeldefinition. Eigentum ist Diebstahl, der Aneignung fremden Eigentums ist. Gäbe es kein Eigentum auf der Welt, so könnte es auch keinen Diebstahl geben. Diese Definition des Diebstahls ist aber natürlich nicht ad hoc mühsam erfunden, sondern findet sich so oder ähnlich in dem Strafrechte jedes Staates. Das deutsche Strafgesetzbuch besagt in Paragraph 242: »Wer eine fremde bewegliche Sache einem Andern (dem Eigentümer oder dem Besitzer) in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen (als sein Eigentum zu behandeln), wird wegen Diebstahls mit Gefängnis bestraft.« Ich habe mit meinen Zwischenbemerkungen darauf hinweisen wollen, daß der Paragraph über den Diebstahl gleich zweimal den Eigentumsbegriff voraussetzt, einmal direkt, einmal indirekt. Der Eigentumsbegriff ist die begriffliche Voraussetzung aller Eigentumsdelikte (das Wort sagt es), wie er die Voraussetzung aller dinglichen Rechte ist. Wer den Eigentumsbegriff aus der Welt geschafft hat, der hat auch den Diebstahlsbegriff aus der Welt geschafft und darf logisch nicht mehr das Eigentum für Diebstahl erklären. Man wende mir nicht ein, daß auf dem Boden der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und in der Sprache dieser Gesellschaftsordnung die Definition logisch möglich sei. Es ist nicht möglich, einen verständlichen Satz zu bilden, in welchem das Subjekt der Gegenwartssprache angehört, das Prädikat aber einer Zukunftssprache. Unser Satz müßte, in gewissenhafter Sprachform, folgendermaßen lauten: Wir wollen fortan den Begriff Eigentum, der unter die Rechtsbegriffe gehörte, mit einem Namen belegen, der bisher eine Art des unrechtmäßigen Besitzes bedeutete, und der künftighin gar keinen Sinn mehr haben soll. Oder kürzer: Wir sprechen dem Eigentum jeden Rechtscharakter ab, die rechtliche Herkunft und die rechtlichen Folgen. Nur daß es dann eben nicht mehr Diebstahl heißen kann. Der tiefere Fehler unseres Satzes steckt ja schon in der Anwendung des Begriffes Recht auf das sogenannte Naturrecht. (Vergl. Art. Naturrecht.) Alle Naturrechtler und Weltverbesserer waren Poeten; auch siegreiche Revolutionäre, die ein Stück Welt verändern konnten, waren und sind Poeten. Ein poetisches Bild oder eine Metapher ist es nun, das Wort Recht, das als objektives Recht die Summe der wirklich geltenden und historisch bisher gewordenen Rechtssatzungen in wirklich bestehenden Staaten bezeichnet, anzuwenden auf Vorschläge oder Träume, nach denen das Rechtsleben in künftigen Zeiten und künftigen Staaten geordnet werden soll. Die lex lata leitet das Eigentum vom objektiven Rechte her, und leitet vom Eigentum wieder weitere Rechte ab; es ist ein ganzes System, dessen Mittelpunkt der Eigentumsbegriff ist. Die lex lata des Strafrechts leitet wieder den Diebstahl vom Eigentumsbegriffe ab. Auch die lex ferenda des Naturrechts wird, solange sie irgend einen Staat und irgend ein Recht anerkennt, dem Eigentum, z. B. dem durch eigne Arbeit erworbenen Eigentum, einen rechtlichen Charakter zuerkennen, und dieses Eigentum vom Diebstahl unterscheiden. Ich bemerke dazu noch, daß Proudhon, der Revolutionär und Autodidakt, sich frühzeitig mit Sprachphilosophie befaßte, insbesondere mit den Bestrebungen, eine allgemeine und philosophische Grammatik zu schaffen. Als Schriftsetzer schrieb er (1837) eine Abhandlung, sein erstes Büchlein: Essay de grammaire générale. Ich habe mir die Arbeit nicht verschaffen können. Die Schlußworte, die jeden meiner Leser auf Proudhons Ideen so begierig machen werden wie mich selber, kann ich anführen: Puisque les mots sont les signes des idées, l'histoire du langage doit être l'histoire de toute philosophie; et l'origine du langage, une fois expliquée, doit donner le principe des connaissances humaines.