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Element

Dieses Stück ist meinem Programme eines Wörterbuchs der Philosophie entnommen, das unter dem Titel »die Sprache«als Band IX der Sammlung »die Gesellschaft« (herausgegeben von Martin Buber) erschienen ist.– Wir haben das lateinische Fremdwort Element zu fast gleicher Verwendung in allen unseren Kultursprachen. Wir schwören beim Element, wir nennen das Wasser (ein Hauptelement) das Element der Fische, wir nennen die Anfangsgründe einer Wissenschaft, d. h. nicht so sehr ihre Gründe und ihre Prinzipien, als ihre Anfänge, die Elemente dieser Wissenschaft; wir zählen vor allem in der Physik eine brutale Ziffer von Elementen auf, unter welchem Wort man, d. h. unsere gegenwärtige Sprache, die vorläufig nicht weiter analysierbaren Urbestandteile aller Stoffe versteht. Und nur selten wird ein Physiker darauf achten, daß die Urbestandteile der Stoffe ganz logisch mit dem gleichen Worte bezeichnet werden, das für die Anfangsgründe der Wissenschaften gebraucht wird. Diels hat vor Jahren in einer meisterlichen kleinen Monographie die Geschichte des Wortes elementum gegeben, als einen Musterartikel für den großen lateinischen Thesaurus. Ich entnehme ihm einige Kleinigkeiten, die ich hier brauche. Im Griechischen gab es bekanntlich vier Elemente, was ganz nach griechischem Geschmack war: falsch, aber sauber. Diese Elemente werden metaphorisch στοιχεια genannt; στοιχεια von στοιχος, was der Reihe nach aufgestellt ist: Soldaten oder Buchstaben. Besonders Buchstaben. Und weil Buchstaben nicht nur der Reihe nach stehen, sondern auch die Urbestandteile der Worte sind, so ist es eine ganz gute Metapher gewesen, die Urbestandteile aller Körper στοιχεια zu nennen. Dabei wird natürlich das Bild von der Reihe, nach dem die Buchstaben στοιχεια hießen, aus dem Bewußtsein schwinden; für den griechischen Naturphilosophen ist die Lautgruppe στοιχεια mit der falschen sauberen Vorstellung der Urbestandteile assoziiert. Einige hundert Jahre später stehen die Römer vor der Aufgabe, mit der ganzen griechischen Weltanschauung auch den Begriff Urbestandteil in ihre Sprache hinüberzunehmen. Στοιχεια fügte sich wohl nicht recht in den lateinischen Rhetorenstil. Auch war man in der Öffentlichkeit schon stark puristisch, während man in Privatbriefen oder für die künstliche Briefform griechische Worte mit griechischen Buchstaben sehr gern hatte. Aber die Lehnübersetzung ins Lateinische war ja schon gelungen, dem gewaltigen Importeur Lucretius. Cicero brauchte des Lucretius elementa nur anzunehmen, und sie wurden klassisch – bis zum heutigen Tag. Nun ist elementum im Lateinischen ganz sicher ein Lehnwort. Nach Diels aus elepantum von ἐλεφας, weil wohl den Kindern auch elfenbeinerne Buchstaben zum spielerischen Unterricht in die Hand gegeben wurden. Wobei zu beachten, daß das griechische ἐλεφας wohl gewiß Lehnwort aus irgend einer Barbarensprache ist. Der Fall liegt so: In der lateinischen Sprache findet sich für die Buchstaben des Alphabets das Wort elementum, ein griechisches Lehnwort, dessen Urbestandteil ἐλεφας wieder Lehnwort aus einer unbekannten Sprache ist. Im Griechischen gibt es nun die gründlich falsche Vorstellung von den vier Elementen, die metaphorisch als Buchstaben bezeichnet wurden. Um dieses Bild puristisch in ihre Sprache zu übersetzen, greifen die Römer zu der Lehnübersetzung elementa und wissen nicht, daß sie ein Lehnwort gebraucht haben. Das lateinische Wort elementum nun widersteht dem Sturm der Jahrhunderte. Die Alchimisten des Mittelalters rütteln an der alten Einteilung, die Chemie kommt auf, von der antiken Vorstellung bleibt nichts als eine Redensart übrig, die von den vier Elementen (Feuer, Wasser, Luft und Erde). Die Chemie stellt eine Reihe von ungefähr achtzig unvergleichbaren Grundstoffen auf; endlich wird auch die Unvergleichbarkeit überwunden, die Urstoffe werden in periodische Reihen gebracht, und auf Grund der Periodizität wird wirklich ein neuer Urstoff vorausgesagt und entdeckt. Nichts bleibt bestehen in diesen Revolutionen der physikalischen Wissenschaft als eins: die Lautgruppe Element. Alle Versuche, eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen heraus herzustellen, sind gescheitert. Schüler der Kabbala haben von den Elementen als von den Müttern oder Gebärmüttern gesprochen. Goethe hat das Wort im zweiten Faust uns neu eingeprägt. Umsonst, die lateinische Lehnübersetzung des griechischen (oder indischen) Begriffs ist geblieben. In den letzten Jahren haben die am Radium beobachteten Erscheinungen dem Begriffe Element abermals einen Stoß gegeben. Wenn wirklich die sog. Emanation radioaktiver Substanzen ein Gas ist (was man sicherlich nicht ohne Änderung des sehr veränderlichen Gasbegriffs behaupten kann), wenn dieses Gas sich wirklich nach wenigen Tagen in ein neues Element verwandelt, das sog. Helium, wenn es wirklich eine ganze Reihe von Metabolen des Radiums gibt, Umwandlungsprodukten, die als ebensoviele neue Elemente angesprochen werden, dann steht unserer Chemie eine ebenso radikale Revolution bevor, wie die war, welche unsere zirka achtzig Elemente an Stelle von Feuer, Wasser, Luft und Erde setzte. Da ich die vier Elemente des Aristoteles oder meinetwegen des Empedokles noch einmal erwähnt habe, will ich auch noch einmal darauf hinweisen, in wie verkehrter Weise selbst Forscher, die so frei sind, daß sie durch Anzweiflung des Gottesbegriffs den Staub der Hörsäle aufwirbeln lassen, an anderen Lautgruppen oder Worten festhalten, z. B. an dem Worte Element. Auch ich kann es glauben, daß die Griechen bei Feuer, Wasser, Luft und Erde an irgendwelche allgemeinere Eigenschaften der Körper dachten und nicht geradezu an das wirkliche Feuer, das als Lichterscheinung auf eine chemische Verbindung folgt, an das wirkliche Wasser, das eine Verbindung, an die wirkliche Luft, die ein Gemengsel ist, und an das äußerst ungleiche Mischmasch in der Rinde unseres Planeten, das man vorwissenschaftlich Erde genannt hat. Die Griechen wußten nichts von chemischen Verbindungen; aber einen so offensichtlichen und so groben Mischmasch wie die Erde haben sie doch wohl nicht für einen Urstoff gehalten. Die Griechen phantasierten sich gewiß bei ihren vier Elementen allerlei über die Eigenschaften warm und kalt, trocken und feucht zusammen. Es geht aber zu weit, wenn Ladenburg (Naturw. Vortr. S. 131) dem ahnungslosen Aristoteles ganz moderne Vorstellungen unterschiebt; danach bedeuteten Luft, Wasser und Erde die drei Aggregatzustände der Stoffe, trotzdem die Griechen es sich nicht träumen ließen, wie viele feste Stoffe man heute zu verflüssigen und zu verdampfen imstande ist; und das vierte Element, das Feuer, sollte gar (schon bei Herakleitos) die Wärme bedeutet haben, »die Wärme als Bewegung gefaßt«, die alle Änderungen des Aggregatzustandes verursacht. Die Herren wissen ganz gut, daß Aristoteles (und das ist ihm gar nicht anzukreiden) von unserer Chemie nicht die allerleiseste Vorstellung hatte; wenn sie den Griechen dennoch so moderne Ideen unterschieben, so kann das nur aus einer kindlichen Freude an alten Eigennamen und an alten Begriffen erklärt werden. Die Elemente der heutigen Physik haben mit den vier Elementen der Griechen noch weniger gemein, als etwa die Atome unserer theoretischen Physik mit den extensiv unteilbaren Atomen des Demokritos. Man redet aber weiter von Atomen, trotzdem das uralte Bild unvorstellbar geworden ist; und man redet weiter von Elementen, trotzdem die Wissenschaft anerkennt, daß die intensive Unteilbarkeit der jetzt aufgestellten ungefähr achtzig Elemente nur vorläufig gilt, daß jeder Tag die Entdeckung bringen kann, die die periodische Reihe der bisher angenommenen Elemente aus einem einzigen Urstoffe aufbauen lehrt; und man wird wahrscheinlich, wenn dieser Urstoff entdeckt werden sollte, ihn sogar höchst unlogisch das Element, das Urelement nennen. Dazu kommt, daß die Entdeckung der sog. Edelgase (Helium, Neon, Argon, Krypton und Xenon) der Vermutung Raum gibt: wir hätten von den Stoffen selbst nicht viel mehr gewußt, als die groben Menschensinne uns seit den naivsten Zeiten kennen lehrten; wir stünden im Beginne neuer Überraschungen. Auch das sollte uns davor warnen, vorschnell den vorläufigen Begriff Element auszudehnen. Aber es scheint, daß die alte lateinische Lehnübersetzung der griechischen στοιχεια (man wird hoffentlich dem griechischen Worte nicht auch noch den Begriff der periodischen Reihe unterschieben) auch den neuesten Vorstellungswandel überdauern will, den wir Mendelejeff verdanken. Es wäre denn, unsere Physiker wollten sich entschließen, von der Sprachkritik etwas zu lernen: daß der Begriff Urstoff nicht geschaffen werden sollte von Menschen, die nicht einmal den Begriff Stoff verstehen, daß bei der Entdeckung der radioaktiven Erscheinungen ein neuer Stoff, ein neues Element gar nicht nachgewiesen worden ist, daß wieder einmal vielleicht (wie bei der Gravitation, der Trägheit, der Kraft) nur substantivisch ausgedrückt worden ist, was adjektivisch war für die Zufallssinne des Forschers, ein Verbum für seinen Forschungszweck. Mit dem gleichen Rechte, mit dem man das Radium trotz seiner Metamorphosen als ein Element anspricht, hätte man im Magneteisenstein, als man seine ganz unerhörten Wirkungen erkannt hatte, und am Ende auch im Bernstein, neue Elemente, Träger der neuen Kräfte, suchen müssen.

 


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