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Schopenhauers Abhandlung »Über die Freiheit des menschlichen Willens« ist ein Meisterstück geworden, weil er da, aus Rücksichten auf die Bedingungen einer akademischen Preisaufgabe, »strenges Inkognito« wahren mußte, sich auf sein eigenes Hauptwerk nicht beziehen durfte, seine These also ganz von vorne zu beweisen hatte, was man a posteriori nennt. In unübertrefflicher Darstellung hat Schopenhauer bewiesen, was vor ihm besonders kraftvoll Hobbes und Spinoza ausgesprochen hatten: daß der Wille des Menschen nicht frei sei, daß die Handlungen des Menschen so notwendig von ihrem zureichenden Grunde abhängen, wie irgendein physikalisches Geschehen von seinem zureichenden Grunde. Wie dann Schopenhauer am Ende in den Wortaberglauben seines Systems zurückfällt, wie er den Weltwillen als Ding an sich für metaphysisch frei erklärt und so Schuld, Zurechnung, Moral, eigentlich nicht viel anders als Kant seinen Gott, mit der Feierlichkeit eines Oberzeremonienmeisters in die schlechte Welt wieder zurückführt, das soll in der Kritik seines Willensbegriffs dargestellt werden. (Vgl. Art. Schopenhauers Wille.) Was er ohne Rücksicht auf sein System über die Unfreiheit des Willens vorträgt, wird in seiner Meisterschaft von solcher Metaphysik nicht getrübt. Hier will ich seine Schrift als bekannt voraussetzen und nur den Freiheitsbegriff untersuchen. Schopenhauer beginnt gleich mit der wichtigen Bestimmung: »Dieser Begriff ist, genau betrachtet, ein negativer.« Wir besitzen viele solche negative Begriffe in positiver Form: blind, taub ist, wer sein Gesichtsorgan, sein Gehörorgan nicht gebrauchen kann, es nicht oder nicht normal besitzt. Ganz so negativ ist der Begriff der Freiheit nicht, selbst wenn man frei durch das negative Wort ungebunden erklären und ersetzen will. Ἐλευϑερος und δουλιος, liber und servus, frei und eigen ( leibeigen) sind eigentlich Korrelatbegriffe; und es hängt von der Seelensituation des Sprechers oder seiner Sprachgruppe ab, welcher von beiden Begriffen als der negative empfunden werden mag. Ich kann mir recht gut denken, daß der freie Grieche, daß der freie Germane den Sklaven als beraubt betrachtete, die eigene Freiheit als etwas Positives empfand, gewiß wie ein höchstes Gut. Mit Etymologie ist dieser Frage nicht beizukommen, weil alle diese Worte, wie Grimm von frei sagt, in hohes Alter reichen. Wortgeschichtliche Zusammenhänge wie frei und freien, liber und lubere (dtsch.: lieb, slaw.: ljubiti) sind hübsch und anregend, beweisen aber im Grunde nichts. Im D. W. mag man nachlesen, wie frei als Gegensatz von unfrei oder Knecht, von gefangen, von verheiratet oder auch nur verliebt, von geschlossen (freier Hals, freies Feld), von gehindert, von der Sitte gemäß (frei soviel wie frech, libertin) sich entwickelt hat, wie es sich, schon im Mittelalter, in Verbindungen wie frank und frei, frank und froh zu der Vorstellung des Anmutigen, Heiteren umbog. Die physische Freiheit, im Sprachgebrauch die häufigste und natürlichste Anwendung, ist für den Menschen nun wirklich ein ganz negativer Begriff. Nicht ganz so, wenn wir Tiere in Freiheit setzen, in Freiheit vorführen oder frei herumlaufen lassen. Obwohl auch da der Käfig, die Kette das körperlich Positive ist. Der Mensch ist physisch frei, wenn kein äußeres Hindernis ihm verbietet, zu tun, was er will. Die politische Freiheit ist eine begriffliche Erweiterung der physischen Freiheit. Politische Freiheit ist ein Schlagwort geworden, das niemand ungestraft verlachen darf. »Freiheit und Gleichheit hört man schallen« (Schiller). Unter dem Schlagwort liberté, égalité et fraternité (seit 1791; eine Zeit lang trugen alle Häuser die Inschrift mit dem Zusatz ou la mort) herrschten Robespierre und der erste Konsul; und noch die französische Verfassung von 1848 nahm die Phrase unter ihre ersten Artikel auf. Die politische Freiheit ist ein logisch wohl gebildeter Begriff. Wie der einzelne Mensch physisch frei ist, wenn er äußerlich unbehindert tun kann, was er will, so ist ein ganzes Volk politisch frei, wenn es tun kann, was es will, d. h. wenn es sich seine Schranken oder Gesetze selber aufrichten kann. Res publica hieß früher jeder Staat. Was jetzt Republik heißt, der Freistaat, ist also ein Staat, dessen Bürger politisch frei sind. Nur daß von alters her oder nach irgendeinem neuen Aberglauben bestimmt wird, wie die Gesetze zustande kommen sollen: durch Beschlüsse der Reichsten, der Ältesten, der am längsten Eingesessenen oder gar überhaupt der Mehrheit. Nirgends findet sich ausdrücklich die Bestimmung: politische Freiheit besteht darin, daß die Dummen die Gesetze machen, denen alle zu gehorchen haben. Erreicht wird die politische Freiheit regelmäßig durch eine Revolution, also durch eine Negierung der gesetzlichen Schranken. Da eine Negierung eine Utopie ist (wie Landauer in seinem Buche »Die Revolution« großzügig gezeigt hat), so ist es die erste Arbeit der neuen Gesellschaftsordnung, die Negierung zu negieren und neue Schranken aufzurichten, welche dann auch wieder Freiheit heißen. Es gibt auch nur ein einziges Ideal völliger physisch-politischer Freiheit: die Anarchie, die unbeschränkte Gesetzlosigkeit. Und ein anarchischer Staat – nein, ein Staat könnte es ja nicht sein –, ein anarchisches Dasein wäre auch mein Ideal, weil alle Menschen vorher so etwas wie Engel geworden sein müßten. Und so habe ich doch über den Begriff der politischen Freiheit zu lachen gewagt. Für das Interesse der hier behandelten Wortgeschichten ist der Begriff der Willensfreiheit viel bedeutender. Unter den Vorgängern Schopenhauers (Hobbes und Spinoza habe ich schon genannt, Priestley war noch zu nennen) war der größte kein anderer als Hume, und auf diesen will ich jetzt zurückgreifen, weil er das entscheidende Wort allein ausgesprochen hat und als Skeptiker so viel freier war. Die Sprache Schopenhauers ist freilich jünger, moderner, prägnanter, mehr unsere Sprache; Humes Sprache scheint oft unsicher zu tappen; meine Leser wird es nicht wundern, daß die tastende Sprache Humes mir der unfaßbaren Wahrheit näher zu kommen scheint. Hume, dessen erschrecklichste Geistestat die Kritik des alten Begriffes Ursache war, bringt seine Gedanken über Freiheit und Notwendigkeit mit seinem Ursachbegriff in Verbindung. Der Streit werde um Worte geführt. Sonst wären alle Menschen seit jeher darüber eines Sinnes gewesen. Die Gewohnheit, eine regelmäßige Zeitfolge zweier Erscheinungen als Relation von Ursache und Wirkung aufzufassen, werde in der Praxis von aller Welt auch auf die menschlichen Handlungen übertragen. Wer die menschlichen Leidenschaften (Ehrsucht, Geiz, Egoismus, Eitelkeit, Haß, Edelmut, Patriotismus) so genau kennen würde, wie man die Eigenschaften der Naturdinge zu kennen glaubt, der würde die Handlungen der Menschen mit der gleichen Sicherheit im voraus erwarten, wie man die Folgen von Fall und Stoß voraus weiß. Auch die Meteorologie hat Hume schon zum Vergleich herangezogen: man nimmt da feste Gesetze an, die sich nur der genauen Beobachtung entziehen. Nicht nur Staatsmänner rechnen mit der Notwendigkeit menschlicher Handlungen. »Ein Fabrikant rechnet auf die Arbeit seiner Leute für die Fertigung seiner Waren ebenso sicher wie auf die Wirksamkeit der Werkzeuge, welche er dabei benützt.« Kritik einer Dichtung hätte keinen Sinn, wenn man nicht annähme, daß ein bestimmter Charakter in einer bestimmten Weise handeln müßte. Ein Verurteilter, der kein Geld und keinen Einfluß hat, erwartet seine Hinrichtung mit gleicher Sicherheit von den Beamten wie vom Beil; »bei allen Freiheitsversuchen arbeitet er noch eher gegen Stein und Eisen, als gegen die unbeugsame Natur der ersteren«. So glaubt jedermann an die Unfreiheit der andern Menschen, scheut sich aber, so etwas theoretisch in Worten ausdrücklich auszusprechen, weil er die Notwendigkeit in seinem Selbstbewußtsein nicht findet. (Ich möchte hinzufügen, daß er die Notwendigkeit auch bei den Wirkungen der Natur nirgends findet; er legt sie hinein; und wir werden noch sehen, warum er sie in sein Selbstbewußtsein nicht hineinlegt.) Ob nun im Naturlauf der menschliche Begriff Ursache richtig gebildet sei oder nicht, jedenfalls folge (zeitlich oder ursächlich) die Handlung auf das Motiv mit der gleichen Notwendigkeit, wie die Wirkung auf die Ursache. »Die Freiheit (abgesehen von der physischen Freiheit) ist dasselbe wie Zufall, von dem man allgemein anerkennt, daß er nicht besteht.« Der Zufall ist ein negativer Begriff, hat kein Dasein in der Natur, hat nicht den Charakter einer Kraft. Ich werde bei der Untersuchung des Wahrheitsbegriffs zu sagen haben, daß die Bezeichnung wahr ein überflüssiger Zusatz zu den Urteilen ist, die man aufzustellen oder zu bejahen Grund hat; die Bezeichnung notwendig scheint mir für uns, die wir die unzerreißbare Kette des Weltgeschehens begriffen haben, ebenso ein überflüssiger Zusatz zu dem, was irgend geschieht. Wie es Menschen gibt, die die Redensart ich weiß in ihrer Gewohnheit haben. Ein Beispiel für die Notwendigkeit: »Ich weiß, die Sonne wird morgen aufgehen.« Ein Beispiel für die Wahrheit: »Ich weiß, die Sonne scheint.« Wer sich bei dem Begriffe der Notwendigkeit oder dem Wissen »nichts geschieht ohne Grund« nicht beruhigen mag, der strebt darnach, die regelmäßige Notwendigkeit unter Gesetze zu bringen; und weil ihm das nicht gelingen will, greift er zur Freiheit zurück, wie ein Spieler zum Zufall. Hume hat im 2. Abschnitt seines Essays den Versuch gemacht, seine Lehre gegen die Einwürfe religiöser und moralischer Menschen zu verteidigen, halb ernsthaft, halb mit einer bösen Ironie, die in ihrer Vorsicht nicht weit von Verleugnung entfernt ist. Wir sollen aber keinen Stein werfen; denn es ist kein persönliches Verdienst, wenn wir uns heute um die Kirche und um den Gottesbegriff weniger zu kümmern brauchen. Hume legt dar, es klingt fast wie Übermut, daß bei Annahme der Freiheit oder des Zufalls menschlicher Handlungen sie gar nicht Gegenstand einer Strafe oder Rache werden könnten. Noch weniger ernst zu nehmen scheint mir, was er aus seiner Lehre für die Allwissenheit und Allgüte Gottes und für den verschrieenen Begriff des Fatalismus folgert. Es gibt Leute, die sich dem Gedanken einer unabwendbaren Notwendigkeit des Weltlaufs, also auch aller menschlichen Handlungen, nicht verschließen, und die dennoch sich weigern, eine Vorherbestimmung zu glauben. Diese Leute scheinen mir ganz recht zu haben, nur nicht aus dem Grunde, den Hume vorbringt. Hinter der Vorstellung einer Vorherbestimmung, eines irgendwie faßbaren Fatums liegt nämlich, bei Calvin wie bei Mohamed, im Märchen wie im Schicksalsdrama, unweigerlich die andere Vorstellung von einer Persönlichkeit, die das Wissen besitzt, die das künftige Ereignis vorherbestimmt hat oder es doch weiß, es ausgesprochen hat. (Vgl. Art. Fatalismus.) Richte ich meine Aufmerksamkeit scharf auf diesen Punkt, so erkenne ich auch hier den unheilvollen Doppelsinn, das Doppelsehen des menschlichen Denkens, das im naiven Realismus des gemeinen Mannes und in der verstiegensten Philosophie gleicherweise zu finden ist, und das uns noch oft beschäftigen wird; und ich wüßte nicht zu sagen, ob dieses gefährliche Verdoppeln aus dem Instinkt in die Philosophie kam oder umgekehrt, wenn es nicht etwa tief im Wesen der menschlichen Sprache begründet ist. Wieder einmal möchte ich es einprägen: die Welt ist da, einmal nur; und wir zerspalten sie in Erscheinung und Wirklichkeit. Jedes einzelne Geschehen zerspalten wir in Wirkung und Ursache. Zu jeder Wirkung denken wir ihre Notwendigkeit hinzu. Die Notwendigkeit steckt nur in unserem Wissen von ihr, und darum wird die Kette aller Ursachen und Wirkungen Allwissenheit genannt. Wir zerspalten, was nur einmal ist, in eine Welt und in einen Gott. Und das ist vielleicht das Beste, was wir für uns aus Humes Kritik des Ursachbegriffs lernen können: Jede Ursache wäre, wenn wir Kenntnis von ihr hätten, eine Erklärung ihrer Wirkung; wir haben aber selbst von den bekanntesten Erscheinungen der Physik nur Beschreibungen und nicht Erklärungen; wir kennen keine Ursachen, und scheuen uns, die Motive menschlicher Handlungen Ursachen zu nennen, weil wir Handlungen als Wirkungen nicht einmal schlecht beschreiben können. Für die Scheu vor der Anerkennung der Willensunfreiheit hat der unerbittliche Hume die Eitelkeit mit verantwortlich gemacht. »Wir fühlen, daß unsere Handlungen in der Regel von unserm Willen abhängen, und meinen zu fühlen, daß der Wille selbst von nichts abhängt; denn wenn dieses bestritten wird, wird man bei einem Versuch bemerken, daß der Wille (oder doch eine Velleïtät, wie die Schule sagt) nach jeder Richtung hinneigt, selbst in der Richtung, zu der er sich nicht entschließt. Nun meint man, daß diese Velleïtät in diesem Augenblicke gewollt und ausgeführt werden konnte, weil es, wenn bestritten, im Augenblicke eines zweiten Versuches geschehen kann. Man bedenkt nicht, daß der phantastische Wunsch, unsere Freiheit zu beweisen, dann der Beweggrund des Handelns ist.« Wollte man nun den fast unsterblichen, weil instinktiven Irrtum, der von der menschlichen Willensfreiheit fabelt, zu den Unwahrheiten rechnen, die einen »biologischen Nutzen« haben, die zum Glücke der Menschen beitragen, so würde sich herausstellen, daß unter den drei alleinigen Motiven menschlichen Wollens oder Handelns, also menschlicher Lust- oder Unlustgefühle (Hunger, Liebe und Eitelkeit) die Phantasie der Willensfreiheit einzig und allein der Eitelkeit schmeichelt und wohltut. »Ich kann, was ich will.« Es ist wie das Behagen des Größenwahns. Die Lehre, daß der Mensch unfrei ist, wie der ruhende oder fallende Stein, schmeichelt nicht und macht nicht glücklich. »Ich will, was ich kann«; unter Umständen gar »ich will, was ich muß«, ist eine klügere, eine resignierte Lehre. Über diese stolze Resignation hinaus gelangt nur die fast unmenschliche Besinnung: der Wille ist eine überflüssige, wertlose, zusätzliche Bejahung oder Verneinung zur Tat. »Ich tu's oder ich tu's nicht, der Teufel hol den Willen und hang philosophy.« Bismarck zitierte das englische Wort gern. Er wollte schwerlich immer, wie er handeln mußte. Aber er wollte nur, was er konnte. Napoleon wollte mehr, als er konnte. Es wäre ein Aufsatzthema für Primaner, zu untersuchen, ob Bismarck oder Napoleon glücklicher war. Wenn ich mich zu Humes Lehre von der Unfreiheit des Willens bekannt habe und darum die Willensfreiheit für einen Scheinbegriff halte, den Schein der Freiheit für einen Instinkt des Menschen, so ist mir diese Ablehnung des Begriffs noch nicht genug. Selbst der Versuch nur, die beiden Begriffe Wille und Freiheit in einem Urteile zusammenzubringen, scheint mir so absurd, wie etwa hölzernes Eisen oder die Quadratur des Zirkels. Man braucht kein Nominalist zu sein, um zu begreifen, daß der sog. Wille zur Welt der Wirklichkeit gar nicht gehört. Wenn nun von diesem Scheinbegriff die Negation frei prädiziert wird, so wird eine Frage beantwortet, die mir wirklich in logischer Beziehung so sinnvoll scheint, wie die Frage wäre: sind Gespenster einäugig? Oder: sind Engel geschlechtslos? Man wird über die Willensfreiheit einmal zu schreiben aufhören, wie wir über die Geschlechtslosigkeit der Engel zu schreiben aufgehört haben. Solche Streitigkeiten wurden gern und werden am besten in scholastischem Latein geführt: estne velleitas hominis absoluta? Velleitas heißt freilich (franz.: velléité) nur ein halbes Wollen, ein schwaches, unvollkommenes Wollen, das bei Thomas von Aquino just dem tatlustigen Wollen, der voluntas absoluta, gegenübersteht. In dieser Sprache wäre aber die Frage, ob der Wille frei sei, doch am besten durch die ganz abstrakten Bezeichnungen auszudrücken gewesen, durch velleitas und absolutum, und die Frage: num velleitas absoluta sit, hätte den prächtigen Sinn: ist ein schwacher Wille zugleich ein fester Wille?