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VI.
Untreu.

K omm! Drück' mich fester an deine Brust!
Wie bald! – Und das heisse Leben verklingt.
Lass mich ertrinken in Wogen der Lust.
Hörst du, wie stöhnend der Nachtwind singt!

Musst deinen Mund auf die Kehle mir pressen,
sollst mich besiegen in heisser Schlacht.
Ich werde in deinen Armen vergessen
den Einen, der mich so toll gemacht.

Du! Der hat mich niemals geliebt.
Er trieb mich hinaus in den Sturm und die Nacht,
und es lagen drei Rosen auf seinem Tisch.
Drei Rosen hatt' ich ihm gebracht.

Er jagte mich fort wie einen Hund,
und ich ging durch die Nacht, und ich ward so müd',
und ich dachte an seinen weichen Mund,
der so oft auf meinen Lippen geglüht!

Und an seinen mitleidzitternden Ton,
wenn er mir sagte: »Mein armes Kind!«
Und ich dachte an seinen bösen Hohn. – –
Ach Gott, warum schluchzt der Frühlingswind?

Warum schluchzt der Wind und stöhnt und stöhnt
wie damals? – Da musste ich zu ihm gehn.
Ich hatte mich so nach ihm gesehnt.
Ich hatt' ihn so lange nicht gesehn.

Und als ich in seinen Armen lag,
war mein Glück wie ein Meer, so tief, – so tief –
Ich hört' meines Herzens rasenden Schlag,
durch die Stille, in der das Zimmer schlief.

Und unten rasten die Züge vorbei,
wie gehetzt und gepeitscht von dämonischer Lust.
Der Lokomotive gellender Schrei
liess mich erschauern an seiner Brust.

Am Himmel blühte der Sternenschein
wie Totenlampen. Die brennen so matt.
Kühl kam durch's Fenster die Nachtluft herein,
und ferne das Branden der grossen Stadt.

Da waren verloschen und waren tot
meine Lüste, die aus der Hölle sind.
Als ich meinen jungen Leib ihm bot,
da war ich nichts als ein müdes Kind.

Ein müdes Kind, das sein Leben lang
so einsam war und so einsam blieb,
ein müdes Kind, das ihn zitternd umschlang
und bittet und bittet: Habe mich lieb! – – –

Weisst du, ich kannte einmal ein Lied,
ein seltsames Lied. Es lässt mich nicht frei.
So zärtlich war es, so sehnsuchtsmüd'.
Dann brach es ab. – Das war wie ein Schrei.

Eine Dissonanz! – Und klang wie ein Schrei,
und mein Herz schrie auf wie ein wildes Tier!
Wie stöhnt der Wind! Vorbei – – vorbei!
Vorbei!

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