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VII.
Ein Abschiedsbrief.

U nd ehe ich auf ewig von dir scheide,
ringt sich's mit Macht aus meiner Seele los:
Zwei grosse Liebeskünstler sind wir beide;
wir küssen und dichten virtuos.
Ich muss gestehn, als kompetenter Richter:
Fürwahr Mylord, ihr seid ein grosser Dichter.

Wie Küsse muss ich eure Verse finden,
die sich auf frühlingsjunge Glieder pressen
in toller Sehnsucht, bis die Sinne schwinden
in wollustheissem, trunknem Zeitvergessen,
wenn Bitten und Versagen und Erhörung
die Liebeswut erhöh'n zur Selbstzerstörung.

Ihr dichtet, dass sich wild in mir empören
all die mänadenhaft perversen Triebe,
und doch, Mylord, ich werd' euch nie erhören;
ich bin zu schad' für Eintagsfliegenliebe.
Dem, dem ich einst mich will zu eigen geben,
gehör' ich ganz! Gehör' ich für das Leben.

Ich kenne ihn noch nicht. In meinen Träumen
küss' ich ihn oft, dass seine Lippen bluten,
dass im bacchant'schen Taumel überschäumen
des Liebesmeeres purpurheisse Fluten.
Die Lippen festgekrampft auf seinem Munde,
leer' ich den süssen Taumelkelch zum Grunde! –

Dann will ich ihm in leisen Liedern Klagen
von meinem grenzenlosen, tiefen Sehnen.
Von meinem Kämpfen werde ich ihm sagen,
von nie geweinten blut'gen Scbmerzensthränen.
O all ihr Knospen, die in Jugendpracht
gestorben in der schwülen Frühlingsnacht! – –

Ich werde all mein fieberhaftes Denken
ihm anvertrau'n, dem Einz'gen auf der Erde.
Ich will ihm meine junge Seele schenken,
wie meinen Körper ich ihm geben werde.
Mit Allmachtsliebe werd' ich ihn umfassen.
Mylord! Mylord! Den werd' ich niemals lassen!

Und Ihr! – Ihr sagt, ich bin ein Götterweib,
und hoffentlich wird es Euch sehr verdriessen,
dass ihr den siebzehnjähr'gen Mädchenleib
niemals in Eure Arme werdet schliessen.
Doch ach! Trotz der degenerierten Triebe, –
ich bin zu schad' für Eintagsfliegenliebe!

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