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10.

Die Maut bei Neideck.

Eines der mächtigsten Geschlechter im Frankenlande waren im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts die Dynasten von Schlüsselberg. Im Jahre 1346 aber stand dasselbe nur noch auf zwei Augen. Im Wiesenttale besaß unter anderm der letzte Schlüsselberger Konrad die mächtigen und wehrhaften Burgen Neideck und Streitberg. Von hier aus sperrte er das Tal, zog eine Mauer von einem Gehänge zum anderen und verlangte von jedem Durchreisenden einen Mautpfennig. Das war eine schlimme Last für die Forchheimer, die auf diesem Wege ihre Warenzüge über Pegnitz nach Osten sandten, denn was der Eppelein, der wieder auf Gailenreuth und Drameysl hauste, bei Müggendorf übrig ließ, das nahm der Schlüsselberger bei Neideck.

Da wandten sie sich in ihrer Not an den Burggrafen von Nürnberg und an die Bischöfe von Würzburg und Bamberg, die selbst unter der Talsperre litten, um Hilfe.

Diese befahlen dem Konrad von Neideck, freien Durchzug durch sein Gebiet zu gestatten, doch ward ihnen eine abschlägige Antwort.

So rüstete sich der Burggraf im Verein mit den Bischöfen und rückte mit starker Macht vor Neideck. Dreifach befestigt, auf unzugänglichem Felsenhorst gelegen, trotzte Konrads Burg den Feinden, und, wo der einzige Zugang von Süden her über den Gebirgskamm möglich war, tat der Eppelein mit den Zwanzig dem Nürnberger Abbruch, wo er konnte.

Da blieb dem nichts übrig, als die Burg auszuhungern. Damit aber hatte es gute Weile, denn der Schlüsselberger hatte sich wohl verproviantiert und sah in Ruhe der Zukunft entgegen, sorgte auch durch Ausfälle, die mit seinen außen stehenden Freunden vereinbart wurden, dafür, daß die Belagerer keine Ruhe hatten und sich oft mit blutigen Köpfen hinter ihre Lagerwälle zurückziehen mußten.

So schwankte das Glück hin und her, bis es dem Burggrafen gelang, seinen Ring näher um die Burg zu ziehen und, nach einem heißen Gefecht mit den Zwanzig, diese von dem Zugang zur Burg abzuschneiden.

Nun setzte er mit seinen Wurfmaschinen dem Schlüsselberger hart zu, legte manche Bresche in den Mauerkranz, und dessen Proviant ging auf die Neige.

Eppelein hatte sich mit den Verbündeten auf Gailenreuth und Drameysl zurückgezogen und sann dort, wie er dem auf Neideck Ersatz bringen oder doch ihn mit Lebensmitteln versehen könne. Wohl besaß er selbst im Ueberfluß, aber jede Möglichkeit, davon nach Neideck zu schaffen, war ausgeschlossen. Da erbot sich einer seiner Knechte, Kunz Schmidt, bei Nacht an die Neideck heranzuschleichen und dem Eingeschlossenen Nachricht zu bringen, wie sie an einem der nächsten Tage durch Feuerzeichen einen gemeinsamen Ausfall vereinbaren wollten. Bei Nacht setzte er sich auf ein in Eile gezimmertes Floß und ließ sich die Wiesent hinuntertreiben, kam auch ungesehen an den Fuß des Felsenstockes. In seiner Jugend hatte er oft das Wagnis versucht, da er als Hirtenknabe bei Muggendorf die Schafe gehütet, und wußte auch einen Weg, der ihn unter großen Schwierigkeiten und steter Lebensgefahr an die Mauer führte. So gelangte er um Mitternacht hinauf und wurde vermittelst eines Seiles in die Burg gezogen. Auf dem Rückweg aber tat er einen Fehltritt und zerschmetterte am Fuß der Felsen, wo ihn bei Tagesanbruch die Leute des Burggrafen fanden und nicht anders vermeinten, als das sei Teufelswerk und der Gottseibeiuns selbst habe ihm den Hals gebrochen.

Wohl hatte Kunz das kecke Wagnis mit seinem Leben bezahlt, aber die Verbindung war hergestellt. Zwei Tage darauf brachen die Verbündeten von Gailenreuth her in das Wiesenttal und fielen den Belagerern in den Rücken, während zu gleicher Zeit Eppelein Drameysl verließ und den aus Neideck ausfallenden Schlüsselbergern zur Hilfe eilte. Auf dem Gebirgskamm eingekeilt, wehrten sich die Belagerer so tapfer, daß es ihren Gegnern nicht gelang, ihre Reihen zu durchbrechen. Immerhin bekam Eppelein zwei der auf der Höhe aufgestellten Wurfmaschinen auf einige Zeit in seine Gewalt und nun sandte er einige Leute nach Drameysl, von wo sie reichliche Lebensmittel herbeischafften. Krachten von Norden her vom jenseitigen Gehänge die schweren Steinkugeln gegen die Mauer, so flog von Süden Korb auf Korb in den Burghof, mit freudigem Geschrei begrüßt, denn allerlei Leckeres, Schinken und Würste, Brot, Wildbret und Hühner war in denselben enthalten und tat denen da drinnen dringend Not.

Wohl gelang es den Belagerern allmählich, ihrer Angreifer Herr zu werden und ihre Stellung zu behaupten, doch hatte Eppelein seinen Zweck erreicht und die Schlüsselberger konnten sich weiter halten.

Dann sollte von neuem der Versuch gemacht werden, den Bedrängten Entsatz zu bringen.

Es sollte dazu nicht kommen. Drei Tage darauf wurde Konrad von Neideck, als er zu übermütig und jede Vorsicht mißachtend den Mauerkranz betrat, von einem feindlichen Wurfgeschoß zerschmettert und gab wenige Zeit darauf den Geist auf.

Mit ihm erlosch der Stamm der Schlüsselberger, und sein ganzes Besitztum fiel an Bamberg.

Der Burggraf mit den Bischöfen zog ab, nachdem er beschlossen, zu gelegener Zeit, denn der Winter stand vor der Türe, wiederzukehren und den Gailinger für seine Teilnahme zu strafen.

Eppelein begünstigte das Glück. Im Frühjahr 1347, als er sich eben rüstete, gegen Drameysl zu ziehen, starb Burggraf Friedrich der Vierte.

Einige Zeit darauf erlitt Kaiser Ludwig bei Fürstenfeldbruck, wohin er zur Bärenhatz hatte reiten wollen, einen tötlichen Schlaganfall und im Reiche gab es ein großes Durcheinander.

Noch zu des Kaisers Lebzeiten hatte der Pabst einen Gegenkönig in Karl von Böhmen aufgestellt, doch konnte sich dieser vorerst nicht behaupten, da eine ihm feindliche Partei als Gegenkönig Eduard den Dritten von England erkor, eine andere den Grafen Günther von Schwarzburg.

Wohl verzichtete der Engländer gegen zwanzigtausend Mark Silber auf die Würde, doch der Schwarzburger gewann Anhang.

Da fiel es niemanden ein, die Raubritter für ihr Treiben zur Rechenschaft zu ziehen, und Nürnberg hatte im eigenen Nest, wie wir bald sehen werden, genug zu tun, so daß ein Rauben und Sengen im Lande begann, wie es bisher noch nicht geschehen. Die Nächte waren rot vom Brande der Dörfer und Weiler, die Tage schwarz von Rauch und Qualm und auf den Straßen floß das Blut und der Handel lag arg darnieder.

Wohl stellte Kaiser Karl den Nürnberger Burggrafen Johann und Albrecht eine Urkunde aus, »daß sie alle Raubhüser und Vesten, darauf man des Reiches Straßen beschädiget und beraubet, bezwingen und beschädigen sollen und mögen, wann und wie sie wollen, und was sie derselben Raubhüser und Vesten bezwingen also und gewinnen, dieselben haben wir ihnen verliehen!« Die Urkunde ist erhalten.

Da bot sich den Burggrafen wohl eine günstige Gelegenheit, ihre Macht zu erweitern, aber die Gegner waren im Bunde zu mächtig, und es wäre ihnen übel bekommen, wenn sie einen Versuch, der kaiserlichen Weisung Folge zu leisten, hätten machen wollen.

Eppelein aber wurde kühner und waghalsiger denn je.

Hatten die zu Nürnberg nach seinem verwegenen Sprung über die Mauer von neuem die Mär aufgebracht, der Gailing habe sich dem Gottseibeiuns verschrieben, so glaubte dieser beinahe selbst, daß er im Besitze übermächtiger Kräfte und unantastbar sei, und begann in mannigfacher Verkleidung sogar in der Stadt selbst seine Possen zu spielen.

Hier kam ihm gelegen, daß sich zwei Parteien gebildet hatten, die Geißbärte und die Pfauen. Die Geißbärte, das waren die Schmiede, die Schlosser und ihr Anhang unter den Zünften, Pfauen nannte man die hochnäsigen Herren und Junker aus den Geschlechtern.

So kam er einst als Krämer verkleidet dorthin, saß lange in der Schenke und ließ sich von den Leuten vom Eppelein erzählen, Mögliches und Unmögliches, und kargte nicht, den Bürgern allerlei aufzutischen.

»Ist ein arger Knab, der Gailing«, meinte der Wächter Kunrath vom Vestnertor. »Hab ihn doch mit eigenen Augen Nächtens durch die Lüfte reiten sehen zu Walburgis. Brauchen uns nit zu bemühen, wird ihn der Hinkefuß schon selbst sich holen, wie er seinem Knecht getan, den sie vor kurzem zu Birkenreuth auf der Straße gefunden mit abgedrehtem Hals.«

»Und ist doch ein wackerer Gesell«, erwiderte der vom Laufertor, Johannes Vollbier, »hätten ihn nit von der Hand weisen sollen, damals, als er um die Tetzelin gefreit. Gibt wohl keinen, der so wie er ein Roß zu lenken weiß und ein Schwert zu führen.«

Der Ratschreiber Blasius, ein verkappter Pfau, mischte sich mit pipsender Stimme ein:

»Bist wohl auch einer von denen, die zu dem Appel halten und ihm Schutz bieten, so er in der Stadt sein Unwesen treibt? Hat der Magistrat wohl ein Augenmerk auf solcherlei Leut und sollen sich wohl fürnehmen, daß sie nit am Galgen baumeln vor der Zeit.«

Da lachte der Vollbier über das ganze Mondgesicht:

»Ist nit an dem. Hab aber allweil mein Freud gehabt an solch frischem, verwegenem Gesell. Hätt ihm auch nit zu danken. Bin doch selbst einen Mond zu Drameysl gesessen, damals als ich noch Knecht war beim Volkamer, und hat er mir den Weg gewiesen mit einem Fußtritt, daß ich noch heute ihn zu spüren vermeine. Und sind doch gut Freund. Hat er mir nicht einen Gruß zugenickt, als sie ihn von Lauf hereingeholt?«

Da erwiderte der Ratschreiber, der sich wichtig tun wollte:

»Wird ehedem nit lang dauern. Werden ihn bald wieder holen. Wollen sie doch einen aussenden, den Eppele auszuforschen und ihm den Garaus zu machen, damit endlich Ruhe werde im Land.«

Als das der Eppelein vernahm, freute er sich innerlich und meinte zu dem Federfuchser: »Ei! Was Ihr saget. Solltet aber nit so offen reden, Schreiberlein, ist vielleicht der Gailing der Gottseibeiuns selbst und sitzet im Rauchfang dort. Könnt Euch wohl übel bekommen, so er solche Red vernähm.«

Der Schreiber aber, der sich ein wackerer Mann zu sein dünkte, lachte hell auf, warf sich in die Brust und schlug auf den Tisch, daß die Becher und die Humpen sprangen.

»Käm mir doch nit drauf an. Hab einst bei dem Herren auf Haideck, der den Geschlechtern unserer Stadt wohl gesinnt, meinen Dienst getan. Weiß wohl auch ein Schwert zu führen, so gut wie den Federkiel. Hab keine Furcht vor dem Gailing, dem Leutplacker und Staudenhecht.«

Als aber das Bierglöcklein geläutet Wenn das Bierglöcklein geläutet wurde, mußten die Schenken schließen und es durfte sich bei Strafe niemand mehr auf den Straßen zeigen. und die Schenke geschlossen wurde, paßte der Eppelein dem Schreiber in einer Seitengasse auf, sprang hervor und verprügelte ihn weidlich:

»Daß Du's weißt, Du Maulheld, der Eppelein sitzt nit im Rauchfang, er sitzet wohl auch am Tisch!« sagte er und ließ das Schreiberlein am Boden liegen.

Er aber lief zum Laufertor. Dort traf er einen Nachtwächter, der die zwölfte Stunde ins Horn stieß. Schon hatte sich der Blasius erholt und jammerte und rief um Hilfe, der Eppelein sei als Krämer verkleidet in der Stadt.

Da liefen von allen Seiten die Bürger zusammen. Eppelein aber, der in einer dunkelen Ecke seinen Krämerflaus von sich geworfen hatte und jetzt gleich ihnen gekleidet war, rief am lautesten, das sei nicht wahr, er selbst habe den Gailing gesehen, er sei als Nachtwächter angetan und sei zur Stund am Frauentor. Dann lief er den anderen voraus und rief den dort patrouillierenden Nachtwächter an:

»Spute dich! Der Eppele ist als Nachtwächter gekleidet am Lauferschlag!«

Da ließ der es sich nicht ein zweites Mal sagen, senkte die Hellebarde und lief, was Zeug hielt, die Straße hinunter.

Da gab's inmitten der Stadt einen gewaltigen Auflauf. Die Nachtwächter, die sich im Dunkelen nicht erkannten, vermeinten, der andere sei der Eppelein, schlugen aufeinander los, und vom Volke wollte jeder die Wächter packen, wußte aber nicht, welcher von beiden der Eppelein sei.

Der Tumult weckte die Leute. Die rissen die Fenster auf und die Männer fluchten, die Frauen keiften, die Kinder schrieen aus dem Schlafe geweckt. In den Höfen bellten die Hunde und heulten in jammernden, langgezogenen Tönen, die Katzen auf den Dächern miauten, die Schweine grunzten in den Ställen und das Vieh brüllte zum Erbarmen.

Auf Sankt Lorenz aber zogen sie die Glocke und die anderen Kirchen fielen dröhnend ein, denn es hieß, es brenne irgendwo in der Stadt.

Eppelein aber lief zu des Bürgermeisters Haus und schlug den Klopfer, daß es durch die Hallen dröhnte:

»Herr Bürgermeister! Eilet Euch! Der Eppelein ist in der Stadt und zündet die Häuser an!«

Da rannte der im Nachtgewand auf die Straße.

Der Eppelein aber sprang hinüber zu des Schultheiß Muffel Haus und holte ihn aus dem Bett:

»Der Bürgermeister habe ein Fieber bekommen und vermeine, der Eppelein müsse als Nachtwächter verkleidet in der Stadt sein.«

Da lief auch der und wollte den Bürgermeister fassen, der aber wehrte sich und so balgten sie sich herum, bis der Bürgermeister kein Hemd mehr am Leibe hatte.

Das gab ein Geschrei die ganze Nacht, bis sie erkannten, daß einer sie gefoppt und daß das wohl der Eppelein selbst gewesen sei. So fand das Mißverständnis seine Lösung. Da lachten sie wohl auch, am meisten aber der Vollbier mit dem Vollmondgesicht, denn er war stolz darauf und erzählte es jedem, der es hören wollte, daß er mit dem Eppelein zu Tisch gesessen und ihm Bescheid getan habe.

Da aber die Tore geschlossen waren Mit Sonnenuntergang wurden im Mittelalter die Tore geschlossen und niemand mehr herein- oder herausgelassen bis Sonnenaufgang. und Eppelein so nicht hätte entkommen können, schlugen sie Alarm und suchten überall nach ihm, fanden ihn aber nicht, denn der Eppelein hatte sich im Wildbad auf der Insel Schütt in einer Herrenstube ein Bad richten lassen, weil er Magengrimmen habe, saß darinnen und ließ sich's gar wohl sein.

Als aber der Tumult sich gelegt, ging er zum Stall eines ihm befreundeten Nürnbergers, wo er sein Roß eingestellt hatte, holte es heraus und trabte zum Vestnertor.

Dort stand der Wärter Kunrath, der ihn erkannte und ein großes Geschrei erhob:

»Haltet ihn! Der Eppele ist's! Der Eppele!«

Der Ritter aber sprengte auf ihn zu:

»Halt's Maul! Du! Merk's, der Eppelein reit auch bei Tag durch die Luft, nit nur zu Walburgis!«

So rief er, setzte in gewaltigem Sprung über den Verdutzten hinweg und zum Tor hinaus, so daß die Nürnberger wieder einmal das Nachsehen hatten.

Dem Kunrath aber, der hinter ihm herlief, lachte er im Davonreiten zu:

»Ach so, Du willst den Torpfennig? Den zahl ich das nächste Mal!«

 


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