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2.
Es war am zweiten Hornung des Jahres 1311 in einer rauhen Winternacht. Vom Schwabenland raste der Tauwind und warf sich wie ein gewaltiger Herr mit Heeresmacht über die Frankenhöhe, führte einen gar tollen Reigen mit dem kreischenden Windfähnlein auf dem Bergfrit der Burg Illesheim, rauschte und fauchte durch Wald und Feld und jagte die Wolken lustig vor sich her, daß sie wie geschlagene Reitergesellen gegen Osten stoben.
Zuweilen nur warf der Mond einen verzagenden, schimmernden Blick durch das berstende Gewölk, als wolle er schauen, was sich da unten begab.
Unter den Mauern gurgelte die Aisch und sang ihr Lied, hoch angeschwollen, schlammig, gelb vom tauenden Schnee und vom Regen. Fern irgendwo rief ein Käuzlein seine Klage.
Einzelne Regentropfen klatschten auf die Blechverkleidung des Pallas, auf den Mauerkranz, und bildeten zierliche Ringe im Sumpfwasser der Wallgräben. Vom Turm her klirrten ab und zu die schweren Schritte des Wächters Scheerbart, wenn er die Stunden rief. Dort stand er auf treuer Wacht, rieb sich die Hände, die blau vom Frost, oder strich sich gedankenvoll den mächtigen, blonden Schnauzbart, der ihm feucht über die Mundwinkel hing. Dann wieder schweifte sein Blick über die Zinnen hinaus in die Ferne, aber er vermochte nichts zu ergründen in dem tobenden Einerlei. Was hätte es auch sein sollen? Herr Arnold hielt Frieden im Lande zur Zeit und ein nächtlicher Besuch, wie sonst wohl einmal geschah, war bei solchem Wetter und um diese Jahreszeit nicht zu erwarten.
Des wackeren Mannes Herz aber schwoll in heller Freude. Hatte ihm doch um Mitternacht der Torwart Klingheim, als er den letzten Rundgang gemacht, eine frohe Nachricht heraufgerufen.
Und als vom Osten her der Tag kam, bleiern erst, dann in roten, zuckenden Flammenstrahlen, die das Wolkenmeer durchbrachen, zu Windsheim die Türme entzündeten und aus den schon aufgeworfenen Schollen, die der Saat harrten, frischen Erdgeruch zogen, sang er mit rauher, falsch tönender Stimme sein Morgenlied, den Schläfern unten den Tag zu melden:
»Grüß dich, du Goldumleucht'e!
Bring Glück und Segen mit!
B'hüet unsern Herrn und sein Gemahl,
Vergiß uns Knecht auch nit!
Gib Gnade uns und Frumbheits Lohn,
Schirm all auf Weg und Steg!
B'hüet allzeit Gras und allzeit Laub,
Hie Gailing alleweg!«
So sang er nun seit dreißig Jahren, die er seinem Herrn gedient, die alte Weise, ob auch die Zeiten sich geändert und manches, was er in seinem Sprüchlein sagte, auf das Heute nicht mehr recht passen wollte. Und als er geendet, stieß er dreimal ins Horn und wiederholte die letzten Verse, wie er sie nach eigenem Dünken und schwerer, ungewohnter Gedankenarbeit geändert hatte:
»Gib Gnade uns und Frumbheits Lohn,
Schirm all auf Weg und Steg!
B'hüet fürder unser edel Kind,
Hie Gailing alleweg!«
Dann räusperte er sich, denn der Sturm war ihm in die Kehle gefahren, und sah über die Brüstung in den Burghof hinab, ob ihn da unten auch jemand gehört.
Mit dem Schlüssel rasselnd ging der Torwart von Türe zu Türe, lachte herauf und rief zurück:
»Hie Gailing alleweg!«
Da schmunzelte Scheerbart vergnügt in sich hinein, warf sich in die Brust und stieg die Treppe hinunter, die Ablösung zu rufen.
In dieser Nacht hatte der Gailinger Stamm einen Sprossen getrieben, war dem edelbürtigen Herrn Arnoldus von Gailing ein Sohn und Erbe geboren worden.
Jetzt wurden Fenster geöffnet, Türen schlugen, eilende, klappernde Schritte wurden hörbar von den Knechten und Mägden, die hin- und widerliefen, sich mit freundlichem Gruß und Handschlag guten Morgen wünschten und mit gezogenen Brauen und lachenden Mienen die Neuigkeit einander verkündeten. Das Seil ächzte in der Rolle, die über dem Brunnen hurtig hin- und herlief und die Wassereimer aus der Tiefe hob. Das Naß platschte und klatschte auf den Fließen, denn an solchem Festtag mußte alles fein sauber sein. So wollte es Frau Jute.
Schüsseln und Teller, Löffel und Messer aber klapperten aus dem Raum herüber, wo das Burgvolk seinen Morgenimbiß nahm.
Um die achte Stunde öffnete sich die schwere Eichentüre des Pallas und der Ritter von Gailing trat heraus.
Er war in eine blaudamastene, mit Zobelpelz verbrämte Schecke gekleidet, ein Gewand, wie es die Kaufleute aus Welschland gebracht hatten und wie es Mode geworden war. Ein Barett mit wallender Feder trug er auf dem Haupte, dessen scharf geschnittene Züge ein schwarzer, auf die Brust fallender Bart umrahmte, den er, wie es damals Brauch, in kleine Zöpfe geflochten trug.
Auf der Treppe blieb der Ritter stehen, reckte den kraftstrotzenden Körper und grüßte gar wohlgelaunt die Knechte und Mägde, die ihm mit ungelenken Knixen und Verbeugungen ihren Glückwunsch darbrachten.
Siegreich warf sich die Sonne in das Tal, wob goldene Flut um die Zinnen der Burg, spiegelte sich in den Wellen der Aisch, daß es schien, als wälze sich ein Goldstrom ins Tal hinaus, und floß gleißend durch die schwere Pracht der seidenen Fahne, die der Wächter, als er des Herren ansichtig wurde, auf dem Bergfrit emporzog, daß der Wind sich in dem Stoff blähte und sie sich bäumte wie ein grimmiges Ungetüm. Von der Burgkapelle herüber klang das Wimmern des Glöckleins, mit dem Pater Isidorus, der Schloßkaplan, zur Andacht rief.
Langsam stieg der Gailinger die letzten Stufen hinab, querte den Hof und betrat, von seinen Leuten begleitet, das kleine Gotteshaus, wo er in einem der geschnitzten Chorstühle gegenüber dem Altar seinen Sitz nahm.
Bunt brach von außen das Licht durch die Scheiben und mengte die Sonnenstäubchen in farbigen Tönen. Auf Augenblicke wohl warf eine vorüberjagende Wolke ihren Schatten, doch immer wieder kam das Licht.
Gleich wie die Anderen war auch Herr Arnold heute nicht ganz bei der Sache, und, obwohl der Pater sich alle Mühe gab, seine Zuhörer andächtig zu stimmen, hörten diese erst auf ihn, als er seinem täglichen Dankgebet die Bitte beifügte, der Herr möge über Gailings Erbe wachen und ihn geleiten.
Da nickten alle mit den Köpfen und fügten insgeheim diesem Wunsch ihren eigenen hinzu. Nur um des Ritters Mund lag ein leiser Zug der Trauer, denn des Paters Worte hatten ihn unwillkürlich an ein Versprechen erinnert, das er einst unbedacht seinem langjährigen Geistlichen gegeben hatte.
Pater Isidorus aber hatte dasselbe nicht vergessen und bei der Hindeutung im Gebet beschloß er im Innern, nach Beendigung der Messe Gelegenheit zu suchen, seinen Gebieter an die einst gesprochenen Worte zu erinnern.
Dann erteilte er dem Ritter und seinen Leuten den Segen.
Sie verließen die Kapelle, um sich zur Tagesarbeit in den Gesinderäumen zu verteilen.
Draußen wartete Herr Arnold auf Isidorus. Dieser räumte das Meßzeug beiseite und trat dann mild lächelnd, wie es der Tag verlangte, und die kleinen fetten Hände auf dem runden Bäuchlein gefaltet, in den Burghof. Als er des Ritters ansichtig wurde, eilte er auf ihn zu.
»Ei! Edler Herr!« sagte er, und ergriff die gebotene Hand, »meinen untertänigsten Morgengruß zuvor und dann mein Gratulor von ganzem Herzen!«
»Ich danke Euch«, erwiderte der Ritter und drückte kräftig des Paters weiche, frauenähnliche Hand, so kräftig, daß dieselbe mit roten Striemen bedeckt schien, als er sie losließ.
»Kommt mit mir, heiliger Mann!« fuhr er fort, »werdet wohl neugierig sein, das Knäblein zu sehen, das mir des Himmels Gnade beschieden? Ich werd's Euch weisen.«
Nun stiegen sie die Treppe zum Pallas hinauf und traten in das Gemach, wo der Sprößling derer von Gailing ein gewaltiges Geschrei erhob, wie man es dem schmächtigen Erdenbürger, der da in seinen Linnen lag, kaum zugetraut hätte.
»Hat ein guet Maulwerk, der da«, lachte der Burgpfaff, trat an die Wiege und streichelte den Kleinen über das faltige Gesichtchen.
Er hatte einen kräftigen Knaben zu sehen erwartet, und so gab es ihm einige Genugtuung, als er die mageren Glieder des Kindes befühlte, und dachte sich, daß also der Himmel den Wünschen der Kirche offenbar entgegenkäme.
Der Vater aber lachte nicht mit. Seine Stirne lag in Falten, als er zur Antwort gab:
»Wird ein guet Maulwerk wohl nötig haben in solch gottloser Zeit, so er auf der Kanzel wird stehen, wider die Unfrommen zu eifern.«
Des Paters feiste Züge leuchteten, als er die Worte vernahm. Er näherte sich dem Ritter, beugte sich über dessen Hand und küßte sie.
»So soll er wirklich ein Diener des Herren werden, wie Ihr verspracht?« fragte er ungläubig. Der Ritter aber fuhr auf:
»Ist 's Ritterart, ein gegeben Wort zu brechen? Hat ein Gailing je so gehandelt? Ich verspracht in einer ernsten Stunde, da Gott mir den ersten Sohn genommen, daß, so mir ein andermal die Freude werden solle, sei es Knabe oder Mägdelein, das Kind sein Leben dem Dienste dessen weihen solle, der es ihm gegeben. Von mir aus gehört das Knäblein Euch.«
»Der Herr danke es Euch!« sagte darauf der Pater und lächelte. Der Ritter aber fügte halb grimmig, halb schadenfroh hinzu:
»Vergesset nicht, so sagte ich ein Weiteres, falls Ihr die Macht des Wortes habt, ihn zum Eintritt in Euere göttliche Gemeinschaft zu bestimmen.«
Schmunzelnd, denn der Gewalt des geistlichen Zuspruchs gewiß, betrachtete Isidorus das Geschenk an die Kirche. Erblickte er in dem kleinen Wesen doch schon einen treuen Diener des Herrn, und was an ihm lag, so wollte er den Knaben schon unterweisen, daß ein Gottesmann aus ihm werde. Wie ruhig doch das Würmlein in seinen Kissen lag, seit er es mit geweihter Hand berührt.
Der Gailinger aber stand dabei und lachte in sich hinein. Das waren ja Hirngespinste gewesen. War es doch ein billiges Versprechen mit dieser Klausel. Hatte je der Mannesstamm auf Gailing einen Pfaffen hervorgebracht? Würde das da einer werden? So, wie er die halbe Nacht hindurch mit voller Lungenkraft geschrieen, so konnte nur einer die Welt begrüßen, der nie und nimmer sie vertauschen würde mit dem Scheindasein in einer Klosterzelle.
Ein Hornruf von des Bergfrits Zinne unterbrach ihr Gespräch und veranlaßte den Ritter, das Gemach zu verlassen. Er nahm den Pater beim Arm und zog ihn hinaus.
»Kommt, das ist Weibersach!« sagte er, und nickte freundlich der Amme Ursel zu, die für den Kleinen ein Bad gerichtet hatte.
Im Burghof harrten reitende Boten der Weisungen, die ihnen der Gailinger gab, hinauszureiten in die Lande nach seinen festen Burgen Obergailnau hinter Rothenburg, Schloß Wald bei Gunzenhausen, und nach seiner Lieblingsveste Drameysl im Wiesenttal. Dort sollten sie den Mannen das frohe Ereignis verkünden, es weitertragen zu den Sippen und Freunden, den edlen Herren von Bernheim, Vestenberg, Neideck, Gattendorf, Neuenstein, Jachberg und Rot. Auch sollten sie es seine Neider und Feinde in den Städten wissen lassen zu Nürnberg, Rothenburg, Weißenbach, zu Windsheim, Forchheim, Bamberg und Würzburg, daß fürderhin ein Herr auf Gailing und Drameysl walten werde, den Freunden zum Schutz, den Feinden zum Trutz.
»Hie Gailing alleweg!«
riefen die Boten im Chor zur Antwort. In den Angeln ächzend legte sich die Zugbrücke polternd und krachend über den Graben und in gestrecktem Galopp donnerten die Hufe hinüber, wie der Wind das Tal hinauf und hinab, daß die Funken stoben auf der steinigen Straße.
Bei den Zurückbleibenden aber war eitel Freude, denn heute gab es einen Extratrunk und neu Gewand für Mann und Weib auf Illesheim. So war es Brauch seit altersher.