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3.
Vierzig Tage waren seitdem verflossen, als an einem sonnenhellen Märztage die schöne, blonde Frau Jute ihren Knaben zur Taufe trug. Eine alte Bestimmung besagte, daß die Taufe 40 Tage nach der Geburt zu erfolgen habe.
Das leuchtete im Tal, als hätte der liebe Herrgott zur Feier des Tages an allen Bäumen grüne Smaragden aufgehängt und den Boden mit Gold übergossen. Die ersten Veilchen dufteten, die gelben Himmelschlüssel nisteten im frischen Gras und darüber lag der Himmel, licht und weit. Ueberall aber, wo ein Baum stand, war ein Singen und Jubilieren in den Zweigen, und auf dem Bergfrit saß eine Amsel und lockte in melodischen Tönen, als wollte sie damit die Vögel alle laden zu dem Fest auf Illesheim.
Inmitten solcher Pracht trat Frau Jute auf die Freitreppe, im weißen, mit bunten Steinen besetzten Seidengewande, als seien über Nacht die Sterne vom Himmel gefallen und hätten die schöne Frau überschüttet mit ihrem Glanz. Mehr aber als die Juwelen schimmerte ihr Goldhaar, das aufgelöst und mit Bändern durchwirkt über die Schultern fiel, unter den warmen, schmeichelnden Strahlen der Frühlingssonne. Auf den Armen trug sie das Kind. Sie hob es empor, um es den im Burghof Versammelten zu zeigen, und an den Mauern widerhallend dröhnte der Ruf: »Hie Gailing alleweg!«
Da lächelte Frau Jute und nahm den Arm ihres Gatten, den ersten Kirchgang anzutreten.
In der Kapelle begann das Glöcklein zu läuten, gedämpfter Orgelklang drang durch die geöffnete Tür, in der Pater Isidorus stand, den Täufling zu empfangen.
So zog der festliche Zug in das Gotteshaus. Vor dem Altar, der mit den silbernen Taufgeräten besetzt war, stand das glückliche Elternpaar mit dem Kinde. Dahinter saßen in den ersten Reihen die Edelen, die zu diesem Tage gekommen waren von Burgbernheim, Vestenberg und den anderen Burgen des Frankenlandes, deren Besitzer dem Hause Gailing verwandt oder befreundet waren, im Hintergrunde die Knechte und Mägde in neuem Gewand, eine bunte, rauschende Menge. Neben der Tür aber lehnte der Wächter Scheerbart, der zu diesem Tage aus seinem Turmkämmerlein heruntergestiegen war, und wischte mit dem Rockärmel eine Träne der Rührung aus den Augenwinkeln.
Pater Isidorus sprach salbungsvolle Worte, nahm dann das Knäblein aus der Mutter Hände und zog ihm das Linnenhemdlein aus. Das streckte die rosigen Glieder und reckte und dehnte sich, und als es der Seelsorger nun in das Taufbecken legte, gefiel ihm das gar wohl und wie es das beim täglichen Bade gewohnt war, platschte es mit Händen und Füßen in dem geweihten Wasser herum, daß die Tropfen silbern spritzten und keiner unter den Anwesenden sich des Lachens erwehren konnte.
Als ihm aber der Kaplan das Weihwasser über das Köpfchen goß und es taufte im Namen Gottvaters, Gottsohnes und des heiligen Geistes, wollte das dem Knaben nicht behagen. Er wurde rot im Gesicht, erhob ein gewaltiges Geschrei, wehrte sich und strampelte mit den Beinchen und trat, als er aus dem Becken genommen wurde, mit einem kräftigen Stoß das Taufgeschirr vom Altar, daß es sich in der Decke verfing und alles mit herunterriß, so daß die Kannen klirrten und rasselten, das Wasser sich über die Steinfließen ergoß und die Amme Ursel, die bereit stand, mit dem Leintuch den Kleinen abzutrocknen, von oben bis unten durchnäßt wurde.
Da freuten sich die Damen und Herren und das Gesinde im Kreise über solche Jugendkraft.
Der Knabe erhielt nach den Heiligen seines Geburtstages die Namen Jakobus Appollonius. Die Knechte aber und Mägde kürzten diesen Namen in Appel und Frau Ursel nannte ihn wohl auch das Eppele, wenn später der Knabe im Burghof und in den Kemenaten sein Unwesen trieb.
Das war ein froher Tag auf Illesheim. Spät in die Nacht scholl Becherklirren und Saitenklang aus den Räumen hinaus in die Dämmerung des Tales.
Arnold von Gailing hatte keine Kosten gescheut, das Fest prunkvoll und wie es der Ehre seines Hauses gebührte, zu gestalten.
Als aber acht Tage später die letzten Gäste das Haus verließen, schritt der Ritter oft gedankenvoll im Umkreis der Mauer umher, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, das Haupt sinnend geneigt und hielt langen Disput mit Frau Jute.
»Ist ein Kreuz«, sagte er dann. »Bargeld wird selten in Rittershand. Wird nicht viel übrig bleiben, als daß ich gen Nürnberg reite.«
So geschah es auch und am Tage darauf erschien der Jude Espach, sprach viel, prüfte viel in Kammern und in Schreinen, und stöberte durch das Haus vom Kellerwinkel bis zum Bergfrit hinauf, wo breit und wuchtig auf die Hellebarde gestützt Scheerbart stand und den schmächtigen Eindringling im vergilbten Kaftan grußlos und spöttisch musterte.
Endlich belud der Jude einen Karren voll Silbergerät, das er mit sich nahm. Dafür ließ er ein prall gefülltes Säcklein zurück, in dem die roten Gulden blitzten.
Und wieder kam er und immer wieder und jedesmal, wenn er das Schloß verließ, lag um seinen Mund ein habsüchtiges Schmunzeln, in des Ritters Zügen aber Ernst und Sorge.
Ein halbes Jahr später räumten sie zusammen, denn es war kahl und ungemütlich im Schlosse geworden, packten den letzten Hausrat auf hochräderige Karren, setzten Frau Jute mit dem Knaben auf einen Zelter und verließen Illesheim, wo nur eine geringe Besatzung blieb.
Mißmutig ritt Herr Arnold an der Spitze des Zuges. In Frau Jutes hellem Blauauge blinkte eine Träne, denn es bangte ihr vor der Zukunft und sie besorgte, daß sie das Schloß nicht wiedersähe.
Jung Appel aber strampelte und quietschte über seinen ersten Ritt und wäre beinahe den Armen seiner Mutter entschlüpft.
Den Zug beschloß Scheerbart. Oft wandte er sich im Sattel, hob drohend die Faust gegen Illesheim und knurrte in den Bart:
»Jüdlein! Jüdlein! Daß ich dich treffe irgendwo auf der Landstraß', hüte dich!«
So zog der Reiterhaufen gegen Westen über Burgbernheim den Talschluß hinauf.
Die Wagen ächzten und knarrten, die Hufe der Rosse schlugen die Steine, und das Rüstzeug klirrte und rasselte den Weg entlang. Als es auf Mittag ging, tauchten aus dem Dunst die Zinnen, Türme und Mauern der festen Reichsstadt Rothenburg auf.
Herr Arnoldus aber, der mit der Stadt nicht im besten Einvernehmen stand, lenkte sein Roß links ab in weitem Bogen über Gebsattel nach Süden.
Wo heute im oberen Taubertal das Dorf Untergailnau liegt, wachsen südwärts die Berge aus dunkelem Wald. Eine kahle Kuppe, auf der ein einzelner Obstbaum steht, hebt sich über die Umgebung. Dort stand zur Zeit unserer Erzählung das Schloß Obergailingen, auch Obergailnau genannt, ein massiger Bau mit doppeltem Ringwall, der wuchtig gegen Norden dräute. Von der Gebirgsseite her gewann man den Eingang, und, war dort die Brücke aufgezogen, so galt es schwere Arbeit, das Innere der Burg zu gewinnen. Auf drei Seiten verhinderte dies der steil abfallende Berg, von der vierten Seite her schoben sich dichte Wälder heran, die ein Durchdringen fast zur Unmöglichkeit machten, besonders, wenn die hier aufgestellten Wurfmaschinen spielten und auf dem Mauerkranz die Bogenschützen standen, um ihre verderbliche Saat unter die Reihen der Andringenden zu senden oder siedendes Pech durch die Pechnasen Nach unten geöffnete erkerartige Ausbauten an der Mauer über dem Tore. auf ihre Häupter zu schütten.
Weit aber flog der Blick von den Türmen ins Frankenland, hinunter in das breite Tal, östlich gegen Schillingsfürst, nach Diebach hinüber und in die blaue Ferne, wo an hellen Tagen nördlich die Türme von Rothenburg von der Wehrhaftigkeit einer freien deutschen Stadt kündeten.
Als sich Ritter Arnold am Nachmittag des Tages von Diebach her der Burg näherte, richtete er sich im Sattel auf. Sein Blick wurde froher, und stolz und zufrieden musterte er den stattlichen Bau. Die Knechte aber riefen sich heitere Worte zu, und, als Scheerbart ein Schelmenlied anstimmte, wie er es einst aus Welschland gebracht, fielen alle ein.
Frau Jute drückte ihr Kind an die Brust und wollte ihm die Herrlichkeit da oben weisen. Eppelein aber hatte noch keinen Verstand dafür. Ihm gefielen die Falter besser, die friedlich über den blumigen Wiesen schwebten, sich furchtlos unter die Gewappneten und das Schnauben und Prusten der stahlbewehrten Rosse mischten und über dem Eisengerassel in die Lüfte stiegen. Dahin folgte ihnen Jung Appels glänzender Blick.
Nur einer unter der Reiterschar fühlte kein rechtes Behagen, das war der Pater Isidorus, den sie auf eine zahme Mähre gesetzt hatten, die in ruhigem Gang unter den anderen trottete. Und doch, des Reitens ungewohnt, schmerzten ihn alle Glieder. Auch war ihm die Kehle ausgedörrt vom langen Ritt und er sehnte sich nach einem kühlen Trunk und in sein Kämmerlein, einen erquickenden Schlaf zu tun.
Um die vierte Stunde des Mittags erreichten sie das Dorf Gailnau. Dann nahm der kühle Bergwald sie auf, in dem die Vögel zwitscherten und riefen und ab und zu ein scheues Reh vor der stäubenden Schar sich in das Dunkel flüchtete.
Hornruf erklang von der Burg, die Zugbrücke sank nieder und unter den Heilrufen der kleinen Besatzung zog Herr Arnold mit den Seinen in die Burg seiner Väter.
Da gab es bald ein neues Leben auf Obergailingen und oft vergaß der Wächter Scheerbart mit dem Horn die Stunden auszurufen, wenn der junge Herr im Burghof unten hinter den Hühnern herjagte, oder mit den Bracken und Rüden um den Brunnen hetzte und kopfgroße Steine hinunterwälzte, daß das Wasser hoch über den Rand spritzte. Da hielt sich der Wackere den Bauch und wollte sich schier tot lachen über alle die Kurzweil. Und mit ihm freute sich das Gesinde. Nur dem Pater Isidorus wollte solches nicht gefallen. Das sollte einmal ein Diener des Herren werden? Dieser Tollkopf, dem kein Baum zu hoch war, daß er nicht seine Kletterkunst an ihm übte, kein Hang zu tief, daß er nicht hinuntersprang, kein Stein zu schwer, daß er ihn nicht den Bergabhang hinabwälzte und sich über die gewaltigen Sprünge freute, ungeachtet, daß er dadurch die Vorübergehenden gefährdete? Kein ernstes Mahnwort, kein dringendes Verbot mochte da etwas nützen. Doch Isidorus tröstete sich: »Gut Ding will seine Weile haben«, pflegte er dann zu sagen und harrte der Zeit, daß der Eppelein, oder wie er ihn eines künftigen Gottesdieners würdig nannte, der Appollonius, bei ihm den ersten Unterricht erhielt.
Schon jetzt saß er lange Stunden in seiner Klause im Rothenburger Turm und schwitzte über den heiligen Werken, aus denen er seine Gelehrsamkeit zu holen pflegte, denn er war vergeßlich und der Geist bedurfte der Auffrischung, wenn er demnächst die wissenschaftliche Erziehung des Knaben leiten sollte.
Der Eppelein aber dachte noch nicht an derlei. Zumeist hielt er sich im Marstall auf, wo die Knechte die Pferde fütterten, bürsteten und striegelten und ihnen das Rüstzeug umschnallten, wenn ihr Herr einmal in die Ferne reiten wollte.
Wenn er aber die Rosse an Schwanz und Mähne zauste und gar zu unnütz Zeug trieb, so setzten sie ihn auf des Vaters Roß. Dort strampelte er und johlte und setzte in lustigen Sprüngen durch den Burghof, so daß die Knechte Angst bekamen und das Roß zu fassen suchten. Dann narrte er sie und ritt die Freitreppe zum Pallas hinauf, bis der Vater ihm solches untersagte. Oft auch, wenn die Amme Ursel ihn in allen Winkeln suchte und die Hände über dem Kopfe rang, in ihrer Angst, daß sie ihn nicht fand, und schon an Räuber dachte, die den jungen Herrn entführt, hatte er sich in der Rüstkammer in einem Leder-Harnisch Zu Beginn des XIV. Jahrhunderts trug man noch keinen Stahlpanzer, sondern ein mit Eisenbändern durchzogenes Lederwams. des Vaters versteckt, lugte durch die Armlöcher und freute sich, wie sie an allen Orten nach ihm suchten.
Oder er schleppte eines der gewaltigen Schwerter umher und dünkte sich ein gewaltiger Rittersmann.
Wohl besaß er Spielzeug genug, Gliederpuppen, von der Mutter Hand gekleidet, Steckenpferde, Blasrohre, Kugeln und Bälle, doch davon machte ihm höchstens das Blasrohr Spaß. Damit konnte er so schön dem Pater Isidorus Brotkügelchen auf die Nase schießen, wenn der an heißen Sommernachmittagen unterm Ulmenbaum im Burggarten sein Schläfchen hielt.
Wenn Eppelein müde war von all dem Tollen und Jagen, saß er auf Frau Jutes Schoß und ließ sich Märchen erzählen vom Herrn Tannhauser im Venusberg, oder vom hürnenen Siegfried, der den Drachen schlug, und dem grimmigen Hagen von Tronje.
Arnold von Gailing aber hatte manchen Wortstreit mit seinem Burgkaplan, dem solches Treiben gottlos dünkte und eines zukünftigen Priesters unwert.
Ganz schlimm aber wurde es, als der ihn lehren sollte. Zu Anfang wohl gefiel ihm das Neue, und wenn der Pater aus der Bibel las, saß er da mit großen Augen und offenem Munde, aber von allem behielt er nur, daß der kleine David den großmächtigen Riesen fällte, wie Simson die Säule stürzte und Absalon, der Königssohn, auf der Flucht vor Joab mit den Haaren an einem Baume hängen blieb und erstochen wurde.
War es ihm gar zu langweilig, so holte er sein Blasrohr aus dem Wams und schoß zum Fenster hinaus auf die Vögel in den Zweigen.
Es war eine schwere Zeit für den armen Pater, und obwohl es ihm widerstrebte, mußte er gar oft zur Birkenrute greifen, die hinter dem Schrank ihren Platz hatte. Die kannte der Eppelein gar wohl. Wieder einmal sollte er sie zu fühlen bekommen, denn er hatte in des Paters Brevier allerlei Männchen gezeichnet und der heiligen Maria einen Bart gemalt. Als aber Isidorus die Rute hervorholen wollte, bekam er sie nicht heraus, denn der Knabe hatte sie dort angenagelt. Bis aber der Pater sie losgelöst, war der Eppelein auf und davon, die Treppe hinunter und in den Keller gelaufen. Diesmal aber ließ es der Kaplan nicht dabei bewenden, er stieg ihm nach, fand ihn jedoch nicht, denn der Eppelein saß in einem leeren Faß und schielte durch das Spundloch.
Pater Isidorus liebte einen guten Tropfen, und da ihm bei der Jagd nach dem Unfried warm geworden war und er mit des Ritters Erlaubnis nach Belieben zapfen durfte, holte er sich ein Krüglein Malvasier Süßer, griechischer Rotwein, im Mittelalter sehr geschätzt. aus der Tonne und ließ es sich munden. Schon aber war der Eppelein, als er solches gesehen, aus seinem Faß, sprang die Kellertreppe hinauf und rief dem überraschten Pater zu, er möge auf sein Wohl trinken, auf daß es ihm gut bekomme. Der Pater aber, der den Krug niedergestellt hatte, lief ihm nach, doch kam er zu spät, denn sein Zögling schlug die Falle zu und Isidorus saß gefangen.
Wutschnaubend saß er so den ganzen Nachmittag im Keller, denn niemand hörte ihn. Auch wollte er seine Naschhaftigkeit nicht verraten und zum heimlichen Gespött der Knechte und Mägde werden. So blieb ihm nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich beim Malvasier zu trösten. Er wurde erst befreit, nachdem er dem Eppelein versprochen hatte, daß er es ihn nicht wollte entgelten lassen. Urfehde schwören, nannte das der Knabe.
Es war eine Schwäche des Paters, daß er des Morgens oft die Frühmesse verschlief, und der Ritter und seine Knechte ungeduldig harrten, während er ahnungslos und schnarchend in den Federn lag. Das machte sich der Eppelein einmal zu Nutze. Er schlug mit den Fäusten gegen des Paters Gemach und rief, daß es Zeit zur Messe sei. Da ließ sich denn der keine Zeit beim Ankleiden, schlüpfte in seine Kutte und zog die Sandalen über. »Ei!« dachte er da, »was tun mir heut die Hühneraugen weh?«
Da hatte ihm das Eppelein Steine in die Schuhe gesteckt.
Ein andermal, da der Knabe einen Streich bereute und Isidorus ihm aus seinem Brevier ein Bußgebet vorlesen wollte, hatte der ihm das Büchlein verkleistert, so daß er es nicht öffnen konnte. Da gedachte er wenigstens mit dem jungen Sünder ein Gebet zu tun, das er auswendig wußte, vermochte aber das Käpplein nicht vom Scheitel zu bringen, denn der Eppelein hatte Pech hineingetan, das warm geworden war und dem unglücklichen Kaplan bald die ganze Kopfhaut mitgerissen hätte. Als diese Missetat dem Vater, da er von der Jagd heimkehrte, gemeldet wurde, machte er ein gar finsteres Gesicht und verkündete dem Eppelein eine harte Strafe. Der stand stumm und verlegen dabei, sah bald auf den Vater, bald auf des Vaters Roß, und als nun der Vater zugreifen wollte, um den Unfolgsamen zu züchtigen, packte der die Kutte des Priesters, schwang sich auf dessen Rücken, und ehe die Beiden sich gefaßt, saß er im Sattel und sprengte zum Tore hinaus.
Auch diesmal mußten der Burgherr und sein Pfaffe Urfehde schwören, denn der Eppelein versteifte sich darauf, daß er in den Wald reiten und dort bleiben wollte, bis das geschehen. Als es Nacht wurde und er noch nicht zurück war, aber schon draußen die Wölfe ihr Geheul erhoben, blieb ihnen nichts übrig, als nachzugeben. So sandten sie Knechte aus, den Knaben zu suchen.
Da ritt bald der mutwillige Junker über die Brücke in den Burghof und hatte auf dem schwarzlockigen Haupt einen Kranz von Buchenlaub, wie ein aus der Schlacht heimkehrender Sieger.
Von da an dachte Isidorus nicht mehr daran, daß er aus dem Knaben einen Priester machen könnte.
So trieb es der Eppelein mit seinem Lehrer. Aber auch die Knechte und die Mägde hatten vor ihm keine Ruhe. Waren sie bei der Arbeit und hatten der Hitze wegen die Jacken ausgezogen, so ging er heimlich hin und band die Aermel zu. Schlich dann zum Bergfrit hinauf und stieß dreimal ins Horn. Das bedeutete, es seien Gäste vor dem Tor und das Gesinde solle herbeikommen. Das gab einen Wirrwarr in allen Ecken und Enden, wenn sie in ihre Kleider schlüpfen wollten und nicht hineinkamen, keiner aber dem anderen in der Eile helfen konnte. Da merkten sie bald, daß Jungherr sich einen Spaß gemacht, der in schwindelnder Höhe auf dem Turmrand saß, die Beine in die Luft schwenkte und jauchzte, daß das Echo aus den Wäldern rief.
Nur einen verschonte er in seinem Uebermut, den Wächter Scheerbart. Das aber hatte seinen guten Grund. Oft wenn er irgendetwas ausgeheckt hatte, wurde er von dem Pater in dem Turm gesteckt und sollte dort nachdenken, was für ein schlechter und durchtriebener Geselle er sei. Da kam dann immer der Scheerbart zu ihm, der ein mitleidiges Herz im Busen trug, und erzählte ihm allerhand Schönes von dem großen Kaiser Rudolf von Habsburg, von König Ottokar von Böhmen oder vom Ritterhandwerk vergangener Zeiten, da die edelbürtigen Ritter die Ersten im Lande gewesen seien und die Städter ihre Leibeigenen. Kam dann der Eppelein aus seiner Haft, so glänzten seine Augen und glühten seine Wangen von all dem Gehörten und er war edel und gut, denn er wollte ja ein echter und rechter Ritter werden. Pater Isidorus aber rieb sich die Hände und tat sich viel zu Gute auf seine Kunst, denn er vermeinte, das sei die Folge der Bestrafung und er ein guter Erzieher der Jugend.
An rauhen Wintertagen aber weilte der Knabe immer noch gern zu Füßen seiner Mutter im Frauengemach. Am Fenster saßen sie, wo zwei Bänke standen, er hüben, Frau Jute drüben, und im Kamin krachten und knallten gar wohlig und warm die Buchenscheite. Da kündete sie ihm von Hofeskunst und las ihm vor aus den Liedern Herrn Walters von der Vogelweide, der in Würzburg begraben lag, und dem von Veldecke, Heinrich von Veldecke, Minnesänger. und lehrte ihn, daß man den Frauen fein begegnen müsse, wie Herr Gottfried von Straßburg gedichtet:
»Du Rosenblüte, du Lilienblatt, du Königin in der hohen Stadt, wohin kein weiblich Wesen, als du nur getreten! Du Herzensfreund für alles Leid, du Freund in rechter Bitterkeit! Dir sei gesagt, gesungen Lob und Ehr'!«
Ja, wie man den Frauen begegnen müsse, sei es die Mutter oder ein Schwesterlein, eine Hausmagd selbst oder des Torwart Klingheim blondzöpfig Kind, das Margaretlein, dem er diesen Nachmittag noch einen jungen Hund an den Zopf gebunden hatte, damit es den seinem Vater bringe.
Das nahm sich der Eppelein zu Herzen und ging und bat das immer noch weinende Mägdlein um Verzeihung.
So gab man sich von allen Seiten redlich Mühe, des Knaben Uebermut in das richtige Fahrwasser zu leiten. Es ging mit Not. Nur eines konnte er nicht verwinden, seinen Haß gegen alles da draußen, was nicht auf Burgen und in Herrenhäusern saß. In ihm lebte der alte Stolz des Rittertums von Väterzeiten her gegen den Bauer, mehr aber noch gegen den Städter, der Panzer trug und Wehrgehäng, Damast, Seide und burgundisch Tuch wie ein edelgeborener Herr und war doch nur ein Pfeffersack, wie der Herr Vater sie benannte.
In ihm war schon jetzt der Haß gegen die neue Zeit, und, wenn er einmal aus der Burg heraus in den Wald kam und Kinder beim Beerenpflücken traf, fand er es nur für Recht, diesen die Beeren abzunehmen.
»Der Wald da und alles, was darinnen, gehört meinem Vater und mir!«
So sagte er, warf sich stolz in die Brust und steckte die süße Beute in den Mund.
Eppelein blieb nicht das einzige Kind seiner Eltern. Im Laufe der Jahre schenkte Frau Jute ihrem Gatten noch einen Sohn, der in der Taufe den Namen seines Oheims Eckenbert erhielt, und eine Tochter, Agnes.