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1.
Fahren wir mit der Bahn von Ansbach nach Würzburg und haben die Höhe des Frankenwaldes vor Steinach erklommen, so öffnet sich der Blick in einen weiten, flachen Talkessel, der südlich von den Hängen der hohen Steig, nördlich von den Ausläufern des Steigerwaldes begrenzt wird.
Licht und sonnig dehnen sich die Felder gegen Osten, weiße, freundliche Mauern blitzen, wo ein Dörflein liegt, und fern im Dunst stechen die Türme von Windsheim in die Luft.
Das ist das Tal der Aisch, das sich über Neustadt und Höchstadt hinaus bis ins Pegnitztal erstreckt, wo es unterhalb der uralten Königstadt Forchheim mündet.
Im Mittelalter, als sich dank dem ausgedehnten Handel, den die Kreuzzüge in die Wege leiteten, der Kaufmannsstand aus unbedeutender Stellung emporarbeitete, da die Reichsstädte, von den Kaisern und den Fürsten begünstigt, mit Privilegien ausgestattet, mehr und mehr erstarkten, führte hier eine Handelsstraße von Nürnberg nach Rothenburg ob der Tauber. Wie ehedem die Heerstraßen den Burgen ihren Sitz bestimmt, so schossen jetzt dort, wo der Handel seine Wege hatte, Türme und Mauern empor, kleine, meist armselige Nester, deren gesicherte Lage und massive, schmucklose Ausstattung allein schon den Zweck bezeichneten, zu dem sie dienen sollten, und die Absicht ihrer Besitzer kund taten, in ihrer Weise aus dem aufblühenden Städteleben Nutzen zu ziehen. Versteckt am Talgehänge gelegen, auf ungepflegten, steinigen und steilen Pfaden nur erreichbar, boten sie den bald hier, bald dort ihrem dunkelen Gewerbe nachgehenden Plackern Placker: mittelalterlicher Ausdruck für Raubgeselle. jederzeit willkommene Zuflucht. Es waren die Zwingburgen der neuen Zeit.
Der Niedergang der deutschen Ritterschaft, die Machtentfaltung des Bürgertums bestimmten ihren Beruf. Als Lehensmänner der Fürsten und der Kirche waren die kleineren Ritter und Herren gezwungen, ihren Tribut zu entrichten. Was sie, zumal in unruhigen Zeiten, aus ihren kleinen Besitztümern nicht herausholen konnten, das nahmen sie im Stegreif Im Stegreif (= Steigbügel) bezeichnet bildlich das ohne Vorbereitung erfolgende Ausreiten des Raubritters zu einem Ueberfall. dem Kaufmann, denn noch waren sie an das alte Wohlleben gewöhnt. Auch konnten sie einen gewissen Luxus nicht entbehren, den man sogar ihrem Stande gemäß von ihnen forderte.
Wir dürfen daher nicht zu hart mit ihnen ins Gericht gehen, wenn wir über ihr Räuberleben urteilen wollen. Andere Zeiten haben andere Sitten, und wenn sie auf ihren Streifzügen das Blut ihrer verhaßten Nebenbuhler in den Städten vergossen, wollen wir bedenken, daß in jenen harten, friedlosen Zeiten das Dasein des Einzelnen geringer gewertet wurde als heutzutage. Auch schlugen sie stets der Existenz ihrer Familien wegen das eigene Leben in die Schanze und, wie sie es taten, bezeugt, daß sie, der Ueberlieferung getreu, an Mut und Entschlossenheit als an einer der ersten Ritterpflichten festhielten, wenn sie auch andere darüber vergaßen.
Das weite, obere Tal der Aisch war zum Stegreifleben wenig geeignet. Dort lagen in geringem Abstande die festen Städte Windsheim und Burgbernheim, von deren Mauern und Türmen aus man das offene Land weithin übersehen konnte. So wurde es hier den Herren der Landstraße keineswegs leicht, ihren Säckel auf Kosten der Kaufleute zu füllen. Und doch saßen oberhalb Burgbernheim die Herren gleichen Namens, und dicht an der Straße zwischen den beiden Städten Herr Arnoldus von Gailingen, der zwar selbst kein ausgesprochener Stegreifheld war, doch ein in mancher Fehde wohl erprobter Krieger, der es nicht immer so genau mit den Gesetzen seines Landes nahm.
Führt uns heute im Schneckengang die Lokalbahn von Steinach nach Windsheim, so kommen wir an dem Flecken Illesheim vorüber. Eine Anzahl Bauernhöfe liegen hier enganeinandergepfercht längs der Aisch. Ihr getünchtes, in Wind und Wetter grau und schmutzig gewordenes Kleid zeugt nicht gerade vom übermäßigen Wohlstand ihrer Bewohner. Es würde auch keinem Reisenden, den irgendein Zufall oder ein Geschäft in die Gegend führt, in den Sinn kommen, hier auszusteigen und Naturschönheiten oder künstlerische Motive zu suchen. Tut er dies aber doch und schreitet die Dorfstraße hinunter, so wird er einen lichten Platz finden, wo eine weitschattende Linde breit und behaglich ihre Aeste dehnt, wo ein altersgraues Kirchlein und ein helles, freundliches Flügelschloß nahe beieinander stehen, von einem lauschigen Park umgeben, in dem gewaltige Bäume rauschen, ein paar weiße Steinfiguren an bemoosten Wegen träumen, und träge die Aisch ihre Bahn zieht.
An Stelle des neuen Schlosses stand die einstige Burg Illesheim.
Wollen wir uns in alte Zeiten zurückversetzen, so müssen wir uns das Bild dieser Besitzung ungleich anders vorstellen.
Es wird uns durch eine Teilungsurkunde überliefert, daß innerhalb der Grenzen des jetzigen Rittergutes vor Zeiten sogar zwei Burgen standen, und daß unweit davon in östlicher Richtung das gleichfalls den Gailing gehörige Schloß und Gut Röllinghausen lag. Die ehemalige Burg Illesheim muß ein umfangreicher, wehrhafter Platz gewesen sein. Er war von zwei Mauern, einer äußeren und einer inneren umgeben, vor welchen die zwei dazu gehörigen Gräben liefen, denen die Aisch das Wasser gab. Zum Besitz gehörte das Fischrecht in der Aisch und außerdem eine an derselben gelegene Mühle mit Wohnhaus und Kornspeicher.
Die Nachkommen haben das Alte niederreißen lassen, so weit es nicht im Mai des Jahres 1525 von den aufrührerischen Bernheimer Bauern verbrannt wurde. Die ehemaligen Wälle und Türme fielen. Neues trat an Stelle des Stammschlosses, bis einer aus dem später zu Illesheim hausenden Geschlecht der Berlichingen das heutige Schloß erbaute.
Es fällt daher schwer, sich ein Bild von dem Aussehen der einstigen Besitzung zu machen.
Wo sich links vom Eingang, den traulich geschnittene Taxushecken flankieren, ein breites, behagliches Bauerngehöft vorschiebt, sehen wir damals einen der massigen Türme, welche die Mauerecken krönten. Von diesem aus zieht sich die äußere Mauer südlich gegen das Dorf, um unterhalb der jetzigen Kirche in rechtem Winkel abzubiegen und in gerader Linie ostwärts auf das Bachbett der Aisch zuzustreben, das einst eine natürliche Schutzwehr gegen Norden bot. Die übrigen vor den Mauern laufenden Gräben sind, um für eine weitere Entfaltung Raum zu gewinnen, und als nutzlos, ausgefüllt worden. Diesseits der Innenmauer standen die Wirtschaftsgebäude, der Pallas, das ist das Wohnhaus der Ritterbürtigen, und der Bergfrit, der Wartturm des ehemaligen Schlosses.
Es ist nicht anzunehmen, daß damals schon das Dorf in seiner heutigen Gestalt bestand. Es wird sich vielmehr im Laufe der Jahrhunderte aus den Knechts- und Hörigenwohnungen gebildet haben, wie auch die kleine Dorfkirche in ihrer jetzigen Gestalt neueren Datums ist. Was die damaligen Herren ihrem Herrgott zu sagen hatten, das taten sie in der Burgkapelle, wenn sie nicht nach Windsheim oder Burgbernheim wallfahrteten, um ihren Gottesdienst zu halten und die Beichte abzulegen. Bei ihrem wilden, unsteten Treiben aber werden sie hierzu wohl nicht allzuviel Lust, Zeit und Gelegenheit gehabt haben.
Das heutige Schloß Illesheim hat neben dem Wert, den es für seinen jetzigen Besitzer darstellt, das historische Interesse, daß es die Geburtsstätte des tollkühnsten aller Taschenklopfer, des heute noch im Frankenlande allerorts in zweifelhaftem Andenken stehenden Eppelein von Gailingen war.
Die Gailinger oder Gailing waren ein im Mittelalter blühendes, angesehenes und reich begütertes Adelsgeschlecht. Ihre Stammburg war der Hauenstein bei Aschaffenburg. Von hier aus teilte sich der Stamm in die Linie der Gailing von Altheim, die im Elsaß, im badischen Hanauerland und in der Ortenau sich niederließen, und in die Linie der Gailing auf Illesheim.
Die ersteren zweigten fernerhin die Linie der hessisch-nassauischen Gailing von Bobenhausen ab, deren Besitztümer im Odenwald und den angrenzenden Gebieten lagen und die heute noch besteht.
Die fränkische Linie der Gailing auf Röllinghausen zu Illesheim, auch Gailing zu Swebheim und Winersheim (Schwebheim und Weinersheim) genannt, erlosch bereits im späteren Mittelalter.
Die Gailing waren ein sehr altes Geschlecht. Bereits im Jahre 1197 finden wir den Namen eines Gailing, der sich zu einem Turnier in Nürnberg stellte, jedoch abgewiesen wurde, wie es in gleicher Weise im Jahre 1235 Friedrich, dem »langen« Gailing, erging. Dieser wird es auch gewesen sein, den wir in einer Urkunde des Papstes Urban des Vierten erwähnt finden.
Ein regelrechter Stammbaum der Gailing auf Illesheim ersteht erst mit dem Ritter Heinrich Gailing. Dieser besaß vier Söhne. Von diesen sind Kunrath und Erkenbrecht 1298 und 1308 in einer Verzichturkunde der Grafen Gottfried und Albrecht von Hohenlohe genannt. Der dritte Sohn, Albrecht von Gailing auf Illesheim, stiftete 1291 das Kloster Sankt Augustin zu Windsheim, in dem 1295 die erste Messe gelesen wurde. Der vierte und letzte der Söhne Heinrichs aber hat eine gewisse Berühmtheit erlangt. Es war Arnold, der »schwarze Gailing«, wie er in Urkunden aufgeführt wird. Seine Gemahlin hieß Jute oder Juta. Diese gebar ihm drei Söhne und eine Tochter. Ein Sohn starb bald nach der Geburt. Eckenbert oder Erkenbrecht wurde 1338 Chorherr des Stiftes Sankt Burkhardt zu Würzburg, die Tochter Agnes heiratete den Erking Truchseß, der 1364 kinderlos starb. Der zweite lebende Sohn war der Eppelein von Gailing, der berüchtigte Wegelagerer und abgesagte Feind derer zu Nürnberg. Er allein pflanzte sein Geschlecht fort. Er hatte drei Söhne, Johannes Gailing zu Schwebheim, Breit und Helprechtshoven, Friedrich und Hermann, und zwei Töchter, Anna, die 1341 an den Ritter Hermann von Bernheim vermählt wurde, und Agnes, die Gemahlin des Ritters Kunrath Fuchs zu Sontheim, die jedoch 1369 bereits starb.
Wir kehren zu unserem Helden zurück.
Sein Name hat im Laufe der Zeit, wohl auch schon zu Lebzeiten, im Dialekt der verschiedenen fränkischen Bauernschaften manche Wandlung erfahren. So heißt er: Appel, Apela, Rapela, Eppelin, Eppele, auch Eckelin, Eckling oder Eckelein. Die Namen Eckelin und Eckling sind die in Urkunden gebräuchlichen. Als Eppelein aber ist er am meisten bekannt. So wird ihn seine Mutter Jute gerufen haben, und diesen Namen wollen wir beibehalten.
Das Wappen der Gailing bestand aus einem Dreieckschild, der von einem Topfhelm gekrönt und horizontal weiß und schwarz geteilt war. Als Helmkleinod führten sie zwei gegenfarbig geteilte Büffelhörner.
Die Gailing von Röllinghausen zu Illesheim waren Lehensleute des Bistums Würzburg und der Grafen von Castell. Illesheim mit Röllinghausen, Gailnau und später Drameysl waren ihr eigener Besitz.
Wir wollen jetzt von uns abtun, was modern und gut oder ungut, wir wollen uns zurückversetzen in jene Zeiten, wo Recht und Gesetz dem Einzelnen im Reiche wenig galt, da die Richter saumselig, der Kläger aber wenige waren, denn sie befürchteten die Rache des Beklagten, und wollen selbst einer aus jenen Tagen sein, ein einfacher Bauersmann, der mühselig auf gepachteter Scholle sein Brot erwarb, oder einer jener reichen Handelsherren, die vom Orient ihre Waren holten, Gewürze, Seidenzeug und Juwelen, und in Nürnberg saßen oder Forchheim oder Rothenburg. Wir wollen uns fühlen als entsagender Klosterbruder, als Gelehrter vielleicht, der die Erfüllung aller Wünsche in seinem Laboratorium suchte, in der roten Tinktur, mit der man glaubte, Gold machen zu können, oder am besten, wir dünken uns als einer jener tollköpfigen Gesellen selbst, in deren Adern heißes Edelblut kreiste, die bei Wind und Wetter, bei Nacht und Nebel am Kreuzweg harrten, geschient und gespornt, gewappnet und gerüstet, den gemeldeten Nürnberger Warenzug niederzuwerfen.