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Wir haben nun bei der bisherigen Untersuchung wohl einige berberische Sprachreste gefunden, besonders in den Namen der Wohnorte. Auch fiel es auf, daß die Wandschen Hörige hatten, und daß bei ihnen zwei Schädelformen vorkamen, die eine mehr dem Germanen-, die andere mehr dem Berber- oder Araberschädel sich nähernd. Sonst aber ließ sich eine charakteristische Aehnlichkeit etwa nur darin finden, daß auch die Berber ihre Töchter vor der Heirath durch Milch- und Mehlkost kräftig zu nähren suchten. In allem Uebrigen erscheint dagegen nichts in Wohnung und Lebensweise der Wandschen, nichts in Charakter und Sitten, nichts in Religions-, Staats- und Rechtswesen, was an Berber erinnerte, wohl aber durchgehends das entschiedenste Gegentheil.
Ueberblickt man dagegen die ganze Reihe der vorgeführten Gründe für die germanische Abstammung der Wandschen, so bilden sie eine Kette, deren Glieder von selbst in einander greifen. Diese Kette läßt nur den Schluß übrig, daß Germanen nach den canarischen Inseln kamen und mit einem Theil ihrer schwachen Bevölkerung von Berbern sich vermischten, den andern Theil zu ihren Hörigen machten, und daß sie fortan bis zur spanischen Eroberung vollständig abgeschlossen verharrten, aber auch in der Kultur zurückgingen, indem sie fast gänzlich den Gebrauch der Metalle verloren, das Bauen und Lenken von Seeschiffen verlernten, ihre Sprache sich verknöcherte, und ihr Christenthum, soviel sie davon wirklich mitgebracht hatten, sich verunstaltete.
Ein bisher unbekanntes Forschungsgebiet ist damit eröffnet, sowohl für die Sprache der Germanen, als für ihre ältesten Sitten und Einrichtungen, ihr Religions-, Rechts- und Staatswesen. Die Germania des Tacitus ist kein bloßes Sittenbild mehr, sondern empfängt in jedem Zug ihre Bestätigung. Noch anziehender ist vielleicht das Beispiel, welches die Wandschen der kulturgeschichtlichen und anthropologischen Forschung darbieten.
Welchem germanischen Stamme aber gehörten nun die Wandschen selbst an? Mit Hülfe der Sprachforschung können wir diese Frage jetzt beantworten. Sie waren Vandalen. Die Bewohner Canarias antworteten, wenn die Spanier fragten, wer sie seien, wandhs, und Mensch, berichteten die Spanier, heiße auch guan, das ist wan. Den Plural schrieben sie, weil sie am Ende des Worts ein d mit Hauchlaut hörten, wandsches und nannten den Bewohner Teneriffas wandsch-tinerfe. Auch das Volks- und Staatswesen der Wandschen hieß wanac und wanoth. Die Wurzel kehrt wieder, da die Lautverschiebung von a in e oder i, von v in b, von m in r sehr gewöhnlich ist, in windscheni Windschen, wie die Wandschen auf Teneriffa sich selbst nannten, und in dem Namen, welchen die Wandschen auf Palma ihrer Insel gaben, Bene-hoare, was in der Uebersetzung »meine Heimath« hieß, daher sicherlich ein vend-hoam war, vom gothischen haims Daheim und haimothli Heimath. Demgemäß erscheint auch der Name der Insel Gomera als ein ursprüngliches Gomohoar oder Gomohoam d. h. Männerheim oder Heldenheim. Es erklärt sich nun auch die auffallende Menge der Orts- und Personennamen, die mit van, vandsch, ben, bent – selbst ein Bandala kommt vor, – und da die Vandalen sich rühmten, vom Gott Man abzustammen, mit Man zusammengesetzt sind. Möglicher Weise haben wir den Namen des vandalischen Königsgeschlechts Azding oder Arting noch in dem Königsnamen der Canarier Arteme, sowie in den Ortsnamen Artegade, Artuburguays, Artiacar und ähnlichen. Als König Tenesor Semidan sich taufen ließ, nahm er von seinem Pathen Ferdinand von Aragonien den Vornamen Don Fernando, als Geschlechtsnamen aber Guan-arteme an.
Nehmen wir nun zu diesem Sprachhinweis hinzu, daß nach dem Zeugniß des Prokop ein Theil der Vandalen bei Zerstörung ihres Reichs durch Belisar nach Marokko hinein flüchtete, – daß er nach dem Zeugniß des Ravennater Geographen in Marokko »nach Afrika hinein flüchtete und niemals wieder zum Vorschein kam,« – daß es im Norden Marokkos noch germanische Grabhügel gibt, in dem Küstenlande aber den canarischen Inseln gegenüber ein weithin sich dehnendes Land voll alter Burgen und Cisternen im grünen Arganwalde, – daß die Wandschen eine Sage hatten, ihre Vorfahren seien aus Afrika von (byzantinischen) Römern auf's Meer getrieben, und daß sie den Spaniern bekannten: »Unsere Ahnen haben ausgesagt: Gott habe uns auf diese Inseln gesetzt, und uns hier vergessen, aber von Osten werde das Licht kommen, uns zu erleuchten.« – nehmen wir alles dies zusammen, so dämmert uns aus dem Dunkel der Zeiten der letzte Vandalenzug hervor.
Es hatten die Vandalen lange und schwere Kriege mit den Berbern geführt, und wohl läßt sich denken, daß von diesem unduldsamsten aller Völker die Flüchtigen fort und fort gestoßen wurden und immer weiter zogen. Oder wenn sie irgendwo längere Zeit Stand hielten, so war schwerlich ihres Bleibens, als bei dem Vordringen der ungestümen Araber der ganze Nordwesten Afrikas erschüttert wurde.
Geriethen nun flüchtige Vandalen an die Südseite des Atlas, so verbot ihnen die Höhe und Rauhheit des Gebirges, dasselbe zu übersteigen. An den Abhängen dagegen ist überall kulturfähiges Land, wo sich leben läßt. Zogen sie also am Südabhange hin, so kamen sie in die Gegend des Draa-Flusses, dessen Thalniederung sie geraden Wegs bis in das Burgundenland den canarischen Inseln gegenüber führte. Gerade hier aber verbot ihnen die Wüste, weiter südlich zu gehen. Waren sie aber an den Nordabhang des Gebirges verschlagen, so leitete sie die Atlaskette das Meer entlang, wo sie ebenfalls überall Ackerland, wenigstens Weideland, fanden, bis sie in dieselbe Landschaft gegenüber den canarischen Inseln gelangten, wo end- und trostlos das Sand- und Felsenmeer der Wüste sich vor ihnen ausdehnte, und ihre Kundschafter, die sie voraussandten, mit dem Bericht zurück kamen: es sei an kein Durchdringen zu denken.
Gerade dort aber leuchtete, wenn der Himmel klar, denen die sich etwas von der Küste entfernten, übers Meer herüber der schneeige Pik von Teneriffa. Mochte nun die Noth sie treiben oder unbezwingliche Lust des Wanderns und Abenteuerns, – Barken, um hinzufahren, waren bald gebaut, da es an Schiffsbauholz in der Gegend nicht mangelt, und bei heiterem Himmel war die Ueberfahrt nach den Inseln nicht schwierig. Die Fischer in dem kleinen Hafen Tuineje auf Fuerteventura haben ein Sprichwort:
»
De Tuineje en Berberia
Se va y se vuelve en un dia.«
(Von Tuineje zur Berberei
Geht und kommt man in Tageszeit.)
Wir werden also wohl nicht fehlgehen, wenn wir annehmen: ein Rest der Vandalen habe sich nach Zerstörung ihres Reichs nach Marokko hinein geflüchtet, habe dort eine längere Zeit gewohnt, sei alsdann nach dem Burgenlande gewandert, und von da später nach den canarischen Inseln gekommen.
Doch wie, von Vandalen? Von diesem gräulichen Räubervolk sollten die artigen und edelmüthigen Wandschen abstammen? – Ach, die armen Vandalen! Keinem Volke ist jemals übler mitgespielt. Erst hat man ihnen den Namen verdreht, denn sie hießen zu ihrer Zeit Vándilen, ὐάνὸιλοι, Guándãli, Vándãli. Und als ihnen der breittönende Namen erfunden war, fing man sogar an, ihnen einen Vandalismus anzudichten, als hätten sie besonders gern schöne Kunstwerke zerstört und zerschlagen. Und doch steht in den Geschichtsquellen durchaus nichts anderes, als daß die Vandalen, als sie unter ihrem großen Geiserich Rom erobert hatten, die Stadt vierzehn Tage lang in aller Ruhe durchwanderten, Erz suchten, und hauptsächlich nur kaiserliches Eigenthum mitnahmen. Wie sollten denn gerade sie soviel schlechtere Sitten haben, als das Volk, dessen Stammes sie waren, die Gothen? Diese aber waren eines der edelsten und geistvollsten, wie heldenmüthigsten deutschen Völker. Und was die Gothen besonders in der Geschichte auszeichnet, das war ihre weiche empfängliche Seele für Christenthum und feinere Bildung. Der Geschichtsschreiber Prokop aber, der in Afrika lange Zeit unter den Vandalen verweilte, schildert sie als eines der zärtlichsten und gemüthvollsten Völker, deren Frauen und Töchter »von solcher Schönheit des Gesichts gewesen, wie kein Mensch sie je gesehen habe.«