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Andern Morgens bei dem Packen der Pferde war die Straße voll Zuschauer, und man machte ein Wesen, als gälte es eine Reise in die Sahara. Aber alles war freundlich und dienstfertig, und so kam man ziemlich bald mit dem Packen und Zurüsten der Pferde zu Stande. Drei Pferde dienten zum Reiten für unsere drei Führer, zwei zum Tragen von Decken Holz und Lebensmitteln, und auf einem davon hockte noch ein Vierter, ein junger Bursche. Drei andere Pferde wohlgeschirrt waren für die Reisenden; denn die Frau meines Gefährten, eine junge Engländerin, wollte uns eine Strecke das Geleit geben. Ich dachte im Stillen: mit einem Pferd und Diener kämest du viel leichter den Berg auf und ab.
Als wir nun aus der stillen sauberen Stadt heraus und etwas in die Höhe kamen, konnte ich das vielgepriesene Thal von Orotava überschauen. Es war nicht eigentlich ein Thal, sondern ein breit vom Meer aufsteigendes Gefilde, das zu beiden Seiten von einem mächtigen langen Höhenzug eingefaßt ist, und sich hoch oben an einen Bergkranz lehnt. Darüber steht zur Rechten in einsamer Höhe der Teyde, wie der Vulkan von seinen Umwohnern genannt wird. Das Gestade schmücken zwei zierliche Rundberge, ehemals kleine Feuerspeier. Das Meer schimmert blau, das Gefilde grün, das röthlich braune Gebirge ringsumher scheint wie mit Aether getränkt – ein prachtvolles Gemälde in großen einfachen Zügen.
Was diese Landschaft vor jedem andern Erdfleck auszeichnet, das ist die große Mannichfaltigkeit der Gewächse, die sich hier zusammenfinden. An der Küste erhebt sich hie und da über den Wohnungen eine Palme oder ein Drachenbaum, die goldene Orangenfrucht lacht aus ihrem dunkeln Grün in allen Gärten, und man schaut verwundert an den riesigen Blüthenschaften der Agave hinauf, oder auf die weißen Cochenille-Felder. Tausend Fuß höher gibt es nur noch Feigenbäume und vollblühende Pfirsiche. Noch tausend Fuß, und auch diese haben aufgehört, an ihre Stelle sind Birn- und Kastanienbäume getreten. Man steigt weiter und bemerkt, daß die Obstbäume durch Lorbeer und waldartige Eriken abgelöst sind, der Graswuchs wird spärlicher und verschwindet bei dreitausend Fuß Höhe über dem Meer.
Wir hielten in einem Lorbeer- und Erikenwäldchen an, wo sich frischer Waldduft mischte mit Würze und Wohlgeruch. Die Frau meines Gefährten wollte sich nicht weiter heraus wagen, und ehe sie zurückritt, lagerten wir im Schatten zu einem kleinen Imbiß. All die großen Bäume aber waren längst abgehauen, und gerade wie vor einem halben Jahre, als ich den Monte Baldo am Gardasee hinanstieg, kamen uns hier die Waldräuber entgegen, ihre Esel hochbepackt mit Holz und Reisig. Es ist ein Jammer, wie seit etwa fünfzig Jahren der Wald überall auf diesen Inseln zerstört und ausgerodet wird. Früher konnten Reisende nicht genug erzählen von der wundervollen Wirkung, welche der Schimmer der Lorbeerwälder machte im Verein mit so viel anderer Grünschattirung. Damit ist's vorbei, kaum daß die Kastanienhaine, welche die oberen Höhen des Thalgehänges von Orotava krönen, noch etwas wie Waldesgrün behaupten.
Es ging nun noch eine Weile aufwärts, und allmählich verschwand das letzte bekannte Baumgrün, die Erika. Neue Strauchgewächse – besonders der Codezo, dessen kleine leichtgrüne Blätter von gelben Blüthen ganz überhangen waren – zeigten sich vielfach in einer bräunlichen Wildniß von Lavablöcken und gelben Kiesstrecken. Der Kies aber bestand aus Bimssteingeröll. Seltsames unheimliches Schweigen der Natur umfing uns. Ein Geier wiegte sich in den Lüften, und siehe da, mein alter Bekannter aus unseren Alpen, der Bergrabe, saß ganz zutraulich auf einem der Lavafelsen, die hier täuschend ähnlich wie grauschwarze Burgruinen und zerstörte Mauern und Thürme aussahen. Die Wolken lagen unten vor dem Gestade zusammengeballt, wie Schafe auf dem Meere, das in duftiger Bläue sich dahinter ausdehnte. Blickte man dort hinunter, so schien es, als wäre blaue Luft und See eine einzige Lichtmasse, und man schwebte unendlich hoch im Aether. Die Umrisse der Insel Palma traten wie ein Bergrücken hervor, und verschwanden wieder. Vor uns stand oben der Pik, und sah anfangs gar nicht furchtbar aus, nicht einmal besonders hoch oder mächtig. An seinen Flanken schienen dunkle Waldstreifen nieder zu gehen. Erst nachgerade bekam ich einige Achtung vor ihm; denn es war verdächtig, daß er an Größe gar nicht zunehmen wollte, obgleich wir nun ihm so viel näher rückten. Er mußte also so hoch sein, daß die Entfernungen hier unten dagegen nicht in Betracht kamen.
Um etwa ein Uhr Nachmittags machten wir Halt und frühstückten im Schatten von hohen Lavablöcken. Man nennt die Stelle die Estancia de la Sierra, und sie mag etwa 7000 Fuß hoch sein. Vor uns lag breit ausgedehnt ein wellenförmiges trockenes Gefilde von gelbem und weißem Bimssteingries und Massen von Blöcken schwarzer und grüner Lava, dazwischen hier und aller Orten die graugrünen Retama-Büsche. Dahinter ragte der Pik in einer einzigen gewaltigen Kegellinie empor: ohne seinen Hutaufsatz schien er von hier so groß wie der Vesuv von Sorrento aus. Das von Trockenheit und Lavatrümmern starrende Gefilde bis an seinen Fuß war der alte Krater, eine Art Hochebene, die sich rings um den Pik breitet, rings aber selbst umgürtet von Riffen, Klippen und Bergen, den Cañadas, die ein paar tausend Fuß hoch sich steil aufrichten. Dieser furchtbare Zackenring bildet die Wände des alten Kraters, in dessen Mitte sich jetzt der Pik erhebt, einen Krater aber von der ungeheuern Breite von mehr als zwei Stunden Weges.
Indem wir diese entsetzliche Wüste durchzogen, lag der reinste Himmel strahlend über uns. Die Luft zitterte von Hitze, und der Boden athmete schwülen brandigen Dunst aus. Nichts unterbrach die bleierne Stille, und nichts bewegte sich, als der Schatten eines Rabenpaars, das langsam darüber hinflog. Und siehe, um den düstern Eindruck dieser trockenen Oede zu mildern, hat die Natur hier die gute Retama gepflanzt, ein eigenthümlich Gewächs, das an 10,000 Fuß hoch den Pik hinansteigt und mitten zwischen der starrenden Lava emporwächst. Wo der Stamm der Retama sich eben darüber erhebt, treibt sie nach allen Seiten wagrechte Aeste, die sich dann über dem Boden gleichwie als ebenso viele kleine grüne Leuchter über den todten Lavafeldern erheben. Die Aeste gleichen denen der Legföhre oder Latsche, deren Seile jedem Alpenjäger so vertraut werden. Auch die Blätter schienen, da sie noch eingerollt waren, fast wie eine Art Föhrennadeln: im Sommer aber entfalten sie sich mit tausend Blüthen, deren Honig die Bienen selbst auf diese hohen Einöden des Vulkans herauf lockt. Die Retama soll nur am Pik von Teneriffa vorkommen, es erzählt aber der Rabbine Mardochai Aby Serour: er habe auf der Reise nach Timbuktu im Innern Afrikas eine weite Hochebene, Namens Erkeschatsch, ganz mit großen und kleinen Steinblöcken besäet gefunden und keine andere Pflanze dort, als die Retama. Beaumier, Premier établissement des Israélites à Timbouktou. Paris 1870. p. 11. Auszug aus dem Bulletin de la Société de Géographie. April – Mai 1870.
An einem nackten Bergausläufer des Pik, der Montagna blanca – so genannt, weil der Bimssteinkies dort heller und von schwarzer Lava nicht unterbrochen – zog sich der Weg allmählich in die Höhe. Es lagen dort ungeheuere Kugeln von Trachyt, als hätten Riesen sich hier vergnügt und ihre Spielkugeln liegen gelassen. Als wir nun an den Pik selbst heran kamen, da waren, was ich von weitem für Waldstreifen gehalten, erstarrte dunkle Lavaströme, aber Ströme von fast Bergkettenhöhe. An und auf ihnen glimmerte und glitzerte es in der Nachmittagssonne an viel tausend Stellen: es waren dies glasierte Stellen im Trachyt, auch Obsidian.
Im Zickzack ging es sodann im Geröll zwischen zwei Lavaketten steil empor, und die armen Pferde keuchten nicht wenig. Hier kam uns ein anderer Wind entgegen, es war Südwind, ein gutes Zeichen für morgen. Wir hatten uns allmählich auf die Südseite des Berges, an der wir jetzt empor klimmten, hingezogen, und fanden sie fast gänzlich schneefrei. Da die Luft aber anfing kälter zu werden, so erklärte der Führer: es sei nicht räthlich, noch bis zur Alta Vista zu steigen, die Nacht würde dort oben gar zu kalt werden; wir müßten etwa 1500 Fuß tiefer, in der Estancia de los Ingleses, übernachten.
Es war fünf Uhr vorbei, da wurde abgesattelt. Ich sah mich nach der Estancia um, denn auf Deutsch bedeutet dieses Wort ein Haus, und ich hatte mir in dieser Höhe zwar nicht viel vorgestellt, aber doch etwas wie vier Mauern mit einer Art Dach darüber. Was aber sah ich? Auf unserer Lagerstätte lag noch Schnee und die Estancia bestand bloß aus Lavafelsen, die ein wenig Schutz gegen die scharfe Luftströmung boten, keinen aber gegen die Kälte. Unser Thermometer zeigte bald nur noch 5 Grad über Null, dabei pfiff der Wind in allen Melodien. Die Aussichten für die Nacht waren nicht behaglich. Unsere acht Pferde suchten ebenfalls Schutz zwischen den schwarzen Felsen, und die Führer gingen, Retama-Holz zur Feuerung zu suchen.
Ein einziger Blick aber auf den Ozean ließ alles Ungemach vergessen. Ich zog an, was ich von Wollstoffen mitgenommen, und suchte mir den ersten besten Standpunkt, wo ich mich vor dem fröstelnden und heulenden Sturmwinde etwas bergen konnte. Denn das Schauspiel war ebenso seltsam als großartig. Der Ozean stieg im weiten Halbkreis empor, als befände ich mich trotz der fast 10,000 Fuß Höhe, auf der ich stand, wie im tiefen Grunde eines ungeheuren Tellers. Wie sonderbar, wie fest und schwer erschien die stahlblaue Ozeansmasse gegen die leichte Aetherbläue darüber. Und siehe da, was war das da tief unten? Was schien sich da zu bewegen? Etwas wie ein Schatten, – wahrlich, der dunkle volle Schatten einer regelrechten, aber ganz ungeheuren Pyramide, mit einem Kegelhut darauf. Es war der Schatten des Pik, und dieser rückte leise immer vor, er überschritt das schroffe Riffgebirge des alten Kraters gerade vor mir, fiel über die Insel, rückte über die Küste, berührte die weißen Wolken, die da unten über dem Meer wie niedergepreßt lagen, überzog auch sie, und ragte zuletzt weit ins Meer hinaus. Es war höchst seltsam, fast geisterhaft, als wäre da ein unsichtbarer Mahner aus längst entschwundener Urweltsmacht. Man sah den stillen, lautlos schreitenden Schatten vor sich, doch nicht seine Ursache.
An beiden Seiten aber des riesigen Schattens sonnten sich die Insel und der scharfe Rücken des Kratergebirgs noch recht im Abendglanz. Auf einmal strömte von der Seite gleichsam um den Pik herum eine ganze Fluth sonniger Helle. Auch der Ozean zur Rechten fing an sich leise zu röthen, und sah zuletzt, was mir das Wunderbarste schien, nicht anders aus, als ein langer fester Bergrücken. So sehr scheint er in die Höhe zu steigen, und so scharf schneidet er sich gegen den gelblichen Abendhorizont ab. In Luft und Ozean aber zackten sich hinein die Thürme und Zinnen der Lavakette und drüben des gewaltigen Riffs der Cañadas. Das Schauspiel, so ernst und feierlich es blieb, wurde zuletzt beinahe lieblich und voll schönen reinen Friedens. Wandte man sich aber um, so thürmte sich das nackte schwarzbraune Gebirg unheimlich empor, wie eine düstere Höllenburg.
Unser Feuer flammte hoch und beleuchtete, da es nun dunkel wurde, phantastisch mit rothem Lichte die ringsum ragenden schwarzen Felsen. Die Leute hatten für die Nacht einen ziemlichen Haufen Retamaholz zusammengebracht. Wird der Pik öfter besucht, so werden sie es nicht lange mehr können. Denn ich machte hier eine Wahrnehmung, wie sie aus unsern Alpen mich schon oft betrübte. Durch gute Forstverwaltung werden dort mehr und mehr Bergseiten mit jungem Nadelholz bekleidet: in den sturmgepeitschten Höhen aber, wo dies nicht mehr möglich, stürzt eine alte verwitterte Fichte nach der anderen. Ueberall stecken noch mächtige Stamm- und Wurzeltrümmer im Boden, selten aber schießen dort junge Bäume auf. So bemerkte ich auch hier im letzten Gränzgürtel, wo alles Pflanzenleben nach und nach erstarb, eine Menge starker Retama-Büsche angebrannt oder verwitternd und abstehend, selten aber jungen Ersatz, der irgend genügt hätte.
Bei dem Abendessen mußte ich lachen, was alles auf diese Höhe geschleppt war, damit wir ja nicht verhungerten. Da gab es in Blechkästchen getrüffelte Rebhühner aus Frankreich, in Blechkästchen Butter aus London, die wahrscheinlich ein holsteinisches Bauernmädchen bereitet hatte, in Blechkästchen Sardellen von Finisterre, Biscuits aus Marseille, dann Brod, gelben Wein, Hühner, Eier, Orangen, Wasser von Orotava, Datteln von der afrikanischen Küste, Kaffee und Zucker mit Jamaica-Rum, eine Flasche spanischen Baldepeñas und Wachholderbranntwein aus Delfshaven in Holland. Die Handelsstädte der canarischen Inseln sind Freihäfen, und die Schiffe bringen Waaren aus aller Welt Enden dorthin, und fast so wohlfeil als im Land ihres Ursprungs.
Die Nacht wurde zum Glück nicht so kalt, als ich fürchtete. Um Mitternacht war der Thermometer erst auf Null gefallen. Wir lagen, den Kopf an den schützenden Felsen gelehnt, in Decken wohl eingewickelt, zu Füßen ein hell loderndes Feuer. Zum erstenmal aber auf dieser Reise suchte ich vergebens nach dem Schlafe, der sonst, sei es in einer Sennhütte oder im Bahnwagen, stets mein erquicklicher Freund ist. Wahrscheinlich war es die eigenthümlich wilde, gewaltige, fabelhafte Umgebung, die mich beständig wach erhielt. Der Mond warf grelle Lichter in die nächtigen Schatten unter den Felsen, und vermochte nur matt die weiten dunkeln Lavafelder zu erhellen. Meine Blicke hingen an den Gestirnen, und ich maß die Abschnitte der Bahnen, die sie langsam um den Nordpol zogen. Ein blitzender Stern um den andern tauchte hinter den Lavahöhen zur Linken empor, und gesellte sich zu den Millionen, die mit funkelnden Lichtern und bleichem Glanze die weite Himmelsfläche belebten, die bis tief zu meinen Füßen ins Meer niederging.
Da oben war alles so heilig still, zog von keinem Hauche bewegt seine ewigen Bahnen. Hier unten rasete der Sturm und heulte aus allen Löchern und Spalten, als wäre er wüthend über unser Nächtigen in so hoher einsamer Bergwüste. Immer wieder suchte ich den großen und kleinen Bär, die Kassiopeja und andere geliebte Sternbilder aus, an die sich so oft in der Jugend meine sehnsüchtigen Gedanken geheftet hatten, und es fiel mir alles das wieder ein, was ich damals in stillen Nächten von der Zukunft geträumt, und was sich erfüllt hatte. Ach, es ist gewöhnlich viel weniger, als dessen sich die Hoffnung im frischen Lebensfrühling unterfängt, und doch in der Regel viel mehr, viel mehr als man verdient hat.