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Ja, es ist Teneriffa die schönste Insel der Welt, die anmuthigste und zugleich die erhabenste. Nach Teneriffa kommt gleich Kreta, und ist, wenn sein Gebirge auch nur bis achttausend Fuß Höhe steigt, durch die breite Masse des schneebedeckten Gebirgs und durch die Mannigfaltigkeit der grauen Vor- und Hintergründe an einigen Stellen des Gestades noch schöner, als Teneriffa. Diesen Ausspruch wage ich aufrecht zu halten, wenngleich ich den indischen Archipel nur aus Reiseschilderungen kenne: selbst bin ich nicht dagewesen.
Teneriffa, diese edle Prachtstätte der Natur, ist auch bewohnt von einem liebenswürdigen sanften Volke, das offen und redlich, arbeitsam, geschickt und geduldig, wie kaum ein anderes Volk auf der Erde. Und doch muß gerade dieses schöne Eiland, gleichwie sein Schluchtengebirge mit den zahllosen bläulichen Punkten der giftigen Euphorbien, besäet sein mit so viel bitterer Armuth, so viel ganz nacktem Elend. Wenn man die armen Frauen erblickt, wie da eine neben der andern hockt im Sonnenbrande vor den grünweißen Cactusblättern, um die häßlichen Rothfarbläuse zu pflegen, und wenn man sie mit Mann und Kind in den jämmerlichsten Erdhütten sieht und bei der elendesten Kost, und wie sie doch alle so sanft und heiter bleiben, und die Männer nie den guten Willen und tapfern Muth verlieren, um gegen die drückende Noth anzukämpfen, so muß Einen die innigste Theilnahme ergreifen. Mit beiden Händen möchte man zu helfen beispringen. Denn man glaubt es deutlich vor sich zu sehen, wie hier nur etwas Energie, nur etwas durchgreifende Klugheit der Regierung es bewirken müßte, daß in weniger als einem halben Menschenalter die glückseligen Inseln wieder etwas mehr ihrem Namen entsprächen.
Das Nothwendigste ist: aller und jeder Waldverwüstung kräftig zu steuern, und Waldschonungen, die man jetzt nicht einmal dem Namen nach kennt, anzulegen. Gehen die Dinge so fort, so müssen die Inseln unausbleiblich jedes Jahr mehr vertrocknen. An einer Menge Ortschaften, besonders auf den Südseiten der Inseln, läßt sich nachweisen, wie sie langsam abnehmen, weil ihre Aecker dürrer steiniger und unfruchtbarer werden.
Eine Waldschlucht heißt im Munde des Volkes Agua oder Wasser, weil es damit die Vorstellung verbindet, sie sei von Natur ein Wasserbehälter. Jedoch eine Waldschlucht nach der andern versiegt, und könnte man von ihren Hochwänden die Bäume besser niederbringen, so stände bald kein heiler Stamm mehr, und die Drosseln und Finken und die Schwärme von Kanarienvögeln würden betrübt sich umschauen, wo sie noch ihre Nester hinbauen könnten.
Die zweite große Nothwendigkeit für die canarischen Inseln ist, daß die Wasserleitungen nach System und Gesetz überall hingeführt werden. Es gibt hier kein angenehmeres Geräusch, als wenn das Wasser in den offenen oder bedeckten Leitungen plätschert. Allein diese sind gewöhnlich leicht und nachlässig aufgemauert, und Anlage und Unterhaltung hängen von Einsicht und Eigensinn der Grundeigenthümer ab. Wie übel dabei blinde Selbstsucht und Saumseligkeit mitspielen, davon hört man unglaubliche Geschichten.
Ich habe oft darüber nachgedacht, wie doch das fürchterliche Gesetz der Wüstenbildung in den romanischen Ländern unaufhaltsam vorschreitet. Während der gemeine Mann bei den Völkern germanischer Hauptmischung seine stille Freude hat an den stolz grünenden Tannen und Eichen, hegt der Romane gleichsam einen inneren Haß gegen sie. Er bedenkt sich keinen Augenblick, den schönsten Waldbaum niederzuschlagen, um ein elendes Hirtenfeuer anzuzünden. Unterdessen verschwinden die Milliarden Laubblätter, die über weite Strecken Feuchtigkeit und Schattenkühle verbreiteten, und ins tiefe Meer fließt fort und fort die abgewaschene Erde, und füllt es doch nimmer aus. Alles auf diesem Erdenrund zieht im stillen Kreislauf: nur wie wieder Erde auf die steinigen Inseln und Küsten kommen soll, sehe ich nicht ein.
Vor zwanzig Jahren gab es auf den canarischen Inseln noch ärgere Uebelstände als jetzt: seitdem, das muß man dem Eingreifen der spanischen Regierung nachrühmen, ist das halb verhungerte lumpenbehängte Volk wenigstens von den Straßen verschwunden. Auch drängt die Noth die Leute nicht mehr so massenhaft in die Auswanderungsschiffe. Was dem reißenden Verfalle steuerte, war die Aufhebung der Majorate, das Wegfallen der Handelsbeschränkungen, indem man die Inseln zu Freihäfen erklärte, die Begünstigung der Cochenille-Zucht und des Tabakbaues, sowie der Fischereien an der afrikanischen Küste. Vieles that auch eine bessere Steuervertheilung. Ja hin und wieder verstieg man sich zu großen Straßenplänen. Offenbar liegt das alles noch in den Anfängen.
Was aber immer noch noththut, ist das Heranbilden und Entwickeln einer Menge kleiner freier Grundeigenthümer. Seit den letzten Römerzeiten hat sich jenes fluchwürdige System, nach welchem der Grundbesitzer in den Städten den Ertrag seiner Ländereien verzehrt, während die wirklichen Landbauer draußen nur armselige Pächter oder Zinszahler von Hypothekenschulden sind, unheilvoll über die romanischen Länder ausgebreitet, auch Frankreich leidet schon schwer darunter.
In Deutschland waren wir in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts nahe daran, daß sich dieses furchtbare Unglück einbürgerte: es ist – Dank der Einsicht der Regierungen und Dank der Kraft und Selbstachtung unserer Bauern – gerade noch glücklich abgewendet worden, ehe die Geldwirthschaft der letzten Jahre die Ueberhand gewann. Wir haben wieder eine allverbreitete feste Volksgrundlage, einen unerschütterlichen freien Bauernstand. In der Kernhaftigkeit und Andauer dieses deutschen Bauernvolkes steckt nicht am wenigsten die Lösung des Räthsels, warum die Nation, trotz Krieg und Auswanderung, so frisch und unverwüstlich bleibt. Dieselben Mittel aber, welche uns geholfen haben, müssen die Spanier studiren und anwenden, um wieder eine haltbare Volksunterlage von freien kleinen Grundeigenthümern zu schaffen.
Gute Gesetze und Einrichtungen, welche diese Entwicklung erleichtern, sind das Erste. Lange Pachtdauer muß durch Steuervortheile begünstigt, dann der Pachtzins in Erbzins verwandelt, endlich das Erbgeld abgelöst werden. Von der patriotischen Einsicht und Opferfähigkeit des Adels gerade auf den canarischen Inseln ist viel zu hoffen, wenn die Sache am rechten Ende angegriffen wird.
Der Bauer aber bedarf nicht bloß eines Gütchens, auf welchem seine Familie festen Boden unter den Füßen fühlt, sondern auch Geld zur Beschaffung von Saatkorn Viehstand und Ackergeräth. Kläglicher, als in den beiden letzteren Beziehungen das beste canarische Bauerngut bestellt ist, verhält sich bei uns nicht das ärmste. Hier muß der Staat durch Pfandbriefe Werthe schaffen, den Bedürftigen das Nöthige an Saatkorn Vieh und Geräthschaft darleihen, dessen Bestand beaufsichtigen, und die allmählige Tilgung der Schuld vorbereiten.
Ein Gebot der Gerechtigkeit aber wie der Klugheit bleibt es, daß man dem Arbeiter etwas von seiner Steuerlast abnehme, und Denjenigen, der bloß verzehrt, etwas mehr tragen lasse.
Entschieden endlich sollten die Gemeinden selbst mit Einrichtung der Schulen beginnen, welchen Schulzwang zur Seite stände. Selten schickt ein Medianeiro seine Kinder zum Lehrer: entweder will er sie für Feldbau und Ziegenhüten ausnützen, oder er entschuldigt sich, daß die Schule von seiner Hütte viel zu entfernt liege. Bildung erscheint dem armen Volke als eine Art Luxus, die zum vornehmen Stande gehört, und auch der vornehme Spanier läßt oft seine Bildung mehr schimmern wie ein Prachtkleid, als daß er wahre Freude und Geistesfrucht davon hätte.
Unter solchen Gedanken suchte ich am letzten Abend auf der Brigantine mein Nachtlager, und gerade, als die Sonne aufging und die Luft mit röthlichem Dunst und die dunkle Seefläche mit blitzenden Goldstrahlen erfüllte, traten wir ein auf die Rhede von Santa Cruz, und von Neuem entzückte mich der Anblick der weißen Stadt vor dem bräunlichen Gebirge, das klar gefältelt dahinter emporstieg, aufgethan bis in seine tiefsten Schluchten.
Meine erste Frage, als ich den Fuß ans Land setzte, war nach dem französischen Dampfschiff, das nach der marokkanischen Küste ging. »Wo ist die Verité?« – »Gestern früh nach Gran Canaria.« – »Kann ich sie noch erreichen?« – »Schwerlich, sie wird schon nach Marokko sein.« Es war verwünscht, ich mußte in den sauern Apfel beißen und mit dem spanischen Postschiff nach Cadiz zurückkrebsen, und dann sehen, wie ich an der spanischen Küste von einer Stadt zur andern kam trotz Karlisten und spanischer Saumseligkeit. Das einzig Tröstliche blieb, daß es überall schön ist an der spanischen Südküste.
Auf der Rhede waren jetzt die Schiffe zahlreich, auch zwei spanische Kriegsschiffe lagen vor Anker. Mit uns lief der Postdampfer von Cadiz ein, er mußte mir Briefe aus München bringen, zwar wenigstens elf Tage alt, doch für so weite Entfernung immerhin kurze Zeit. Als ich aber zur Post kam und meine Karte abgab, erklärte der Beamte, nachdem er nachgesehen, es sei nichts für mich da. Meine Vorstellungen halfen nicht. Da holte ich den deutschen Konsul herbei: die ganze europäische Post wurde uns vorgelegt, und sofort fischte ich aus dem Haufen meine Briefe aus. Der Postbeamte wünschte artig Glück dazu: ihm selbst aber war es gar zu langweilig, vielleicht zu schwer gewesen, die Adressen durchzulesen.
In der Nacht sollte der Postdampfer nach Gran Canaria abgehen: ich hatte also Zeit, meine Bekannten wieder aufzusuchen, und sie waren gespannt zu hören, welche Eindrücke ich zurückbrachte. Daß ich auf dem Pik und nach Palma gewesen, hatten sie schon erfahren. Auf diesen Inseln erregt die Reiselinie eines Fremden Aufmerken: eine jede möchte ihm ihr Bestes zeigen. Als wir nun unsere Urtheile austauschten, kamen wir überein, daß der spanische Charakter, obwohl er auf den canarischen Inseln keinen hohen Flug nehme, sich hier doch am schönsten entfalte, sowohl in ehrenhaftem und hochherzigem, gastfreiem und wohlgemuthem Wesen, wie im Behagen an edler Sitte und Bildung. Der Grund möchte nicht bloß im Meereshauch liegen, der auf allen Inseln sänftigend und allezeit belebend einwirkt, sondern entschieden auch in der kräftigen Beimischung des Wandschen-Blutes.
Vieles andere, was uns weniger anmuthet, fehlt auch hier nicht ganz: der falsche Stolz, der mit allen Fasern der spanischen Seele verwachsen ist, – ein gewisses Hinterhaltiges, das sich auch bei offenem und herzlichem Handeln nicht gern preisgibt, – und der unüberwindliche Hang zum Nichtsthun. Es ist ein Räthsel, was die Frauen den ganzen Tag über thun, und doch sagt Jeder: sie thun mehr, als die Männer. Der Sucht, vornehm und glänzend aufzutreten, wird blindlings jede Annehmlichkeit des Lebens, sogar hin und wieder die Pflicht des Herzens geopfert. Sobald Einer tausend oder zweitausend Thaler Einkünfte hat, verpachtet er seine Ländereien und geht des Winters nach der Hauptstadt, um sich in Gesellschaft und Theater sehen zu lassen. Steigt sein Einkommen noch mehr, so wird gewiß die höchste Sehnsucht der Familie erfüllt, welche dahin zielt, eine eigene Kutsche zu besitzen. Oeffentlich erscheinen die Frauen in der Tracht, die alle Damen am schönsten und würdigsten kleidet, in schwarzer Seide und weißen Spitzen: hinter ihrer Hausthür aber, o Himmel, welch anderes Bild! In seinen vier Wänden hat man unglaublich wenig Bedürfnisse. Nicht wenige von denen, die prächtig und glänzend daher rauschen, leben in ihrer verborgenen Häuslichkeit wie Kirchenmäuse. Gar viele Tage bleibt ihr Herd kalt vom Morgen bis zum Abend.
Spanische Diener aber muß man kurz halten, und Handwerker lassen an Fleiß und Geschick noch außerordentlich zu wünschen übrig. Gleichwohl sind sie alle freigebig mit Selbstlob und Versprechen jeder Art. Werden sie aber daran gemahnt, oder tadelt man ihre Arbeit, so nehmen sie dies leicht übel auf; denn sie wollen nicht als Sklaven des Bestellers erscheinen. Mancher Beamte hält es sogar unter seiner Würde, seinen Posten recht auszufüllen. Deutsche Dienstpflicht ist ihm ein Gräuel: er ist ja erst Caballero und nebenbei Beamter.
Steckte nicht im niedern Volke so viel Arbeitstrieb, welcher der spanischen Unsitte entgegenwirkt, so wären die canarischen Inseln längst ihrem Verfall zugeeilt. Dem canarischen Bauer aber sitzt noch ein anderer Feind im Nacken, sein unzerstörbarer Aberglaube. Im besten Fleiß läßt er sich vom Felde schrecken, bloß weil irgendeine thörichte Furcht ihn überkommt. Die Luft ist mit bösen Geistern erfüllt, jedes Dorf hat seinen Hexenmeister, und gegen den bösen Blick lebt man in steter Angst wie in Neapel.
Diesem Aberglauben, diesem falschen Ehrgefühl, diesem Hang zum Nichtsthun und Herrenspielen ließe sich nur von der Schule aus beikommen. Wie aber soll ein Schulwesen aufblühen, wo die Geistlichkeit es ganz in Händen hat? Sie selbst kann es nimmermehr schaffen, und fürchtet beständig, daß Staat und Gemeinde es thun und dann ihr Herrenrecht üben möchten. Nach allem, was ich hörte, ist jedoch die Geistlichkeit auf den canarischen Inseln gebildeter und liberaler, als in Spanien. Dies hindert aber nicht, daß ein Geistlicher – er war aus Catalonien – öffentlich auf der Kanzel Folgendes sagte: »Unser Herrgott sei höchst ärgerlich über alles das, was in Spanien geschehe, und wenn das Ding nicht bald besser werde, so gehe er in ein anderes Land.«
Noch einen Punkt darf ich wohl berühren. In Herrengesellschaft fragt man sich mitunter und nicht gerade leise: »Was macht die Kleine?« Die Frauen sind nicht wenig erbost auf solche Freiheiten der Eheherren, allein was hilft das gegen eine alte maurische Unsitte? Jene müssen schon das Gesetz segnen, welches seit einigen Jahren zur Aufnahme in die Findelhäuser wenigstens einen Elternnamen verlangt. Der Zuwachs aber, welchen diese Häuser vom Lande bekommen, würde nicht so groß sein, wenn dort nicht die nackte Dürftigkeit ein Hinderniß der Eheschließung wäre. Auf entlegenen Dörfern darf noch jetzt, wer ein armes Mädchen verführt, sich bei keinem Tanz und bei keinem Begräbniß – Hochzeiten werden mehr in der Stille abgemacht – blicken lassen, und das Mädchen selbst muß dunkle Kleider tragen, bis sie einen Mann findet, der sie von der Schande erlöst.
Ohne allen Zweifel hängt, wie ich bereits andeutete, noch Vieles im spanischen Wesen, was uns gar nicht anmuthen will, mit maurischer Lebens- und Denkungsart zusammen, die sich viel weiter und tiefer eingebürgert hat, als man sich gewöhnlich vorstellt. Wie könnte sonst ein christlicher Mann danach trachten, seine Lebensgenossin möglichst vom Lichte der Freiheit und Geselligkeit abzuschließen? Um so spaßiger ist es, daß die Spanier bei jeder Begebenheit, mag sie vor den Magistrat oder die Geschwornen gehören, sogleich fragen: » Quien es ella?« Allerdings fällt ein armer Spanier den Waffen der Schönheit gar leicht zum Opfer, und auch in Frankreich gab es einmal einen Richter, der bei jeder Criminalsache ausrief: cherchez la femme! Entweder der schöne Reiz oder die Bosheit der Frauen, meinte dieser Mann, sei aller Verbrechen Ursache. Wir Deutsche sind auch in diesem Stück kühle Logiker und scheiden genau, was zum Amt und anderswohin gehört. Deutsche Männer fühlen sich auch viel zu selbstgewuchtig, als daß jemals bei ihnen ein anderes spanisches Sprichwort, welches da lautet »Was das Weib will, will Gott,« Eingang fände. Indessen wollen wir ganz aufrichtig sein, wie oft könnten auch wir bei politischen wie gesellschaftlichen Vorgängen, ja bei den schönsten literarischen Fehden fragen: » Quien es ella?« »Welche steckt denn dahinter?«