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XIX.
Die letzten Freien von Palma.

. Wenn ich die nächsten Tage an die tiefen Schluchten und Schlünde zurückdachte, die sich in der großen Caldera in wellenmäßiger Bewegung zum Thal von Argual hinabzogen, belebten sich ihre Ränder unwillkürlich mit schlanken und behenden Wandschen, die ihre langen Lanzen durch die Luft sausen ließen und in mächtigen Sätzen die Abgründe übersprangen. Hier in diesem Thalkessel hatten sie einst ihre unbezwingliche Naturfestung gehabt, drüben in der Schlucht von Argual vollendete sich ihr jammervolles Schicksal. Es geschah das in demselben Jahr, als Granadas Mauern fielen und Columbus nach dem unbekannten Welttheil segelte, von welchem ihm, als er auf den canarischen Inseln verweilte, der Wellenschlag über den Ozean her die Zeugnisse zugeführt hatte.

Die Eingeborenen von Palma waren gefürchtet wegen ihrer Leibesstärke und Sinneshärte. Wenn ein Mann an seinem Körper Qual litt oder in seinem Gemüthe, so hungerte er sich freiwillig zu Tode. Auch die Weiber griffen frohen Muths zur Lanze. Als die Spanier Ferro besaßen, machten sie von dort aus wiederholt Angriffe auf Palma: stets wurden sie blutig zurückgeschlagen. Bei einem dieser Einfälle, wo sie Vieh und Menschen rauben wollten, widersetzte sich ihnen auch ein riesiges Weib von schöner Gestalt und focht mit großer Entschlossenheit. Als sie aber von Feinden sich umschlossen sah, da sprang sie plötzlich auf die Spanier ein, griff einen heraus, nahm ihn unter den Arm und rannte mit ihm zu einem steilen Abgrund, um sich und den Feind hinab zu stürzen. Unzweifelhaft hätte sie es gethan, wenn nicht einer der Spanier, die hinter ihr her eilten, sie eben noch von hinten ins Bein getroffen hätte, daß sie zu Boden stürzte.

Alonso de Lugo war, ehe er zu Teneriffas Eroberung sich anschickte, am 29. September 1491 auf Palma gelandet bei Tazacorte, wo die Schlucht von Argual zur Caldera führt. Mit großer Vorsicht ging er zu Werke und begann sofort, sich zu verschanzen und ein Fort zu bauen, daß er eine Zuflucht hatte und einen Platz, wo er Lebensmittel bergen konnte. Aber siehe da, mit freundlichen Gebärden erschien Mayantigo, Fürst des umliegenden Gebiets von Aridana, er näherte sich den Spaniern und brachte ihnen Proviant und Geschenke. »Er habe sich bedacht,« erklärte Mayantigo, »Christ und Spanier zu werden, sei etwas Gutes: nur müsse man ihm sein Fürstenrecht und seinem Volke Freiheit an Person und Eigenthum verbürgen.« Wie gern Lugo darauf einging!

Vier andere Fürsten folgten Mayantigos Beispiel. Denn die Wandschen auf Palma waren unter einer Menge kleiner Stämme und Häuptlinge zertheilt, von denen jeder eigensinnig that, was ihm gut dünkte. Durch sein offenes und liebenswürdiges Auftreten, durch kluge Verhandlungen und Geschenke gewann Don Alonso einen Häuptling nach dem andern, und die Wandschen liebten ihn, weil er so redlich und ritterlich war.

Nur Zwei, die Fürsten Jariwo und Garehawa, die höher im Gebirge von Tijalete wohnten, sammelten ihre Schaaren. Bei einem früheren Einfall hatte ein Spanier die Schwester des Letzteren auf dem Felde ergriffen und wollte sie fortschleppen. Sie aber widersetzte sich mit solcher Gewalt, daß er zu seinen Waffen griff und im wilden Ringen sie erstach. Später, als Friede geschlossen war und die Spanier freundschaftlich, um Handel zu treiben, nach Palma kamen, erzählte Jener sein Abenteuer dem Fürsten Garehawa, weil er nicht wußte, daß es dessen Schwester gewesen. Da sagte dieser: »Euer Unstern hat Euch mir in die Hände geführt, daß ich meiner Schwester Tod rächen soll.« Und auf der Stelle übte er die Blutrache und stieß dem Spanier seine Lanze durch den Leib. Jetzt erwartete er mit seinem Genossen den Landesfeind, als dieser die Anhöhen hinanstieg. Alonso de Lugo stellte sein Heer in Schlachtordnung, griff an, und schlug die Wandschen in die Flucht. Da zogen sie sich auf die höchsten Punkte ihrer Berge zurück. Er aber wußte die Gefangenen, die er gemacht hatte, so mild und freundlich zu behandeln, daß sie ihm die besten Unterhändler wurden. Ihre Landsleute kamen von den Klippen herunter und legten die Waffen nieder, noch ehe es Winter wurde.

Ein einziger Fürst war noch übrig, Tanause von Ezero: der letztere Name bezeichnete den Gebirgskessel, die Caldera, die damals von Wandschen bewohnt und ihr Nationalheiligthum war. Denn hier in dieser erhabenen Umgebung, wo Alles das Gemüth zu Ehrfurcht und stillen Schauern stimmte, verehrten sie das göttliche Wesen. Tanause schwur: in diese heilige Stätte seines Volks solle der Feind nimmermehr eindringen. Der Name Ezero oder Esero bezeichnete eine Eisenstätte; wahrscheinlich war er von den rothbraunen Bergen hergekommen, denn auch die Insel Ferro, die eben solche Berge hat, hieß bei den Eingeborenen Esero. Als die Spanier nach der Bedeutung fragten, erklärten sie: Esero sei etwas sehr Festes und Starkes. Man zeigte ihnen nun Eisen, da riefen sie Esero, Esero, und übersetzten auch später, als sie Kastilianisch gelernt hatten, den Namen ihrer Insel in Hierro oder Ferro. Daher also, von dem gothischen eisarn, hat die Meridianinsel ihren Namen bekommen.

Die streitbare Mannschaft stand ihrem Fürsten waffenfreudig zur Seite. Es gab damals zwei Zugänge zur Caldera, der eine führte durch die enge Felsenschlucht des Flusses, der andere daneben über den Paß Adamancansis. Don Alonso wählte den letzteren zum Uebergang, griff an und wurde blutig geworfen. Eilig zog sich das spanische Heer zurück. Die Sieger verfolgten es nicht.

Der General berieth sich mit den befreundeten Wandschenfürsten, die ihm Hülfsvölker gestellt hatten. Sie versprachen, ihr Aeußerstes zu thun. Am andern Morgen rückten die Spanier wieder vor, diesmal in der Schlucht des Flusses aufwärts, um in den Gebirgskessel einzudringen und den Vertheidigern in den Rücken zu kommen. Auf ihren Schultern trugen Wandschen den spanischen Feldherrn wohl zwei Bogenschüsse weit über das tobende Gewässer, wo die Stelle noch jetzt Paso del Capitan heißt. Unter tausend Mühseligkeiten stiegen die Soldaten in dem felsigen und schmalen Flußbett empor. Plötzlich erschien Tanause mit seinen Kriegern und stürzte sich auf die Spanier. Schrecken überfiel ihr Heer. Alles stockte. Alonso sah den Untergang vor Augen und war heilfroh, als er mit dem Rest seines Heers wieder weiter unten stand. Am selben Abend sandten die Wandschen ihre Greise, Frauen und Kinder auf den Gipfel des Bergs in Sicherheit. Dort gab es Höhlen, wo sie mit ihren Heerden sich bergen konnten. Allein die Nacht wurde entsetzlich kalt, und auf der eisigen Höhe erfroren die Aermsten, da sie nicht wagten herunter zu kommen. Von jener Zeit an hieß jene Unglücksstelle bei den Eingeborenen Aysouagan; so schreibt Glas in seinem Englisch das Wort, und es ist uns überliefert, daß es Platz des Erfrierens bedeuten solle. Geht man aber auf das gothische agan und ogan (agjan und ogjan) zurück, so ergiebt sich das Wort natürlich als »Eisschrecken«.

Andern Morgens erklärte einer von den befreundeten Wandschenfürsten, der in der Taufe den Namen Juan Palma bekommen: er wolle zum Feinde gehen und um Unterhandlungen bitten. Tanause nahm ihn an, erwiederte aber: unbedingt müßten die Spanier erst abziehen, hinunter wieder nach Aridana; dann wolle er zu ihnen kommen und sich gütlich mit ihnen bereden. Alonso beschwur ihm feierlich Waffenstillstand und freies Geleit und gab Befehl zum Rückzug.

Heimlich aber sandte er eine starke Abtheilung nach dem Paß Adamancansis. Die Wandschen entdeckten dort die Spanier ohne Zweifel, aber arglos, wie sie waren, suchten sie dieselben nicht zu vertreiben, sondern verließen sich auf den Waffenstillstand. Ihr Führer zögerte noch, nach Aridana zu gehen; denn viele seiner Krieger hatten Mißtrauen geschöpft und redeten ihm ab. Er aber, sagte er, habe des spanischen Feldherrn feierliches Versprechen. Da rückte Alonso – es war am 3. Mai, sieben Monate nach seiner Landung auf Palma, – wieder in der Schlucht von Argual empor, und sobald er auf eine Stelle kam, wohin er wollte – denn sie war passend für ihn zum Kampfe – stellte er sein Heer auf, und zwar halb verdeckt. Nun kam Tanause heran, unbewaffnet näherte er sich mit seiner Schaar. Er glaubte nicht anders, als es handle sich um die friedliche Besprechung. Man ließ ihn herankommen, und als man ihn mitten zwischen den Truppen hatte, die im Hinterhalt lauerten, ertönte das Zeichen zum Angriff. Von allen Seiten fielen die Spanier über die Wandschen her, auch die vom Paß Adamancansis rückten eilig vor. Die Betrogenen wehrten sich wie die Löwen, aber gleich anfangs sind sie zersprengt, vereinzelt, umzingelt, von der Uebermacht werden sie erdrückt, erwürgt, erschlagen alle mit einander. Nur hie und da leben noch ein paar und bitten um Frieden. Sie lassen sich greifen wie Kinder, werden gefesselt und auf die Schiffe gebracht, um die europäischen und afrikanischen Sklavenmärkte zu bevölkern, wo Canarier als gesuchte Waare galten, denn sie waren stark und behend, treu und zuverlässig. Auch der fürstliche Tanause war schwer verwundet aufgegriffen worden. Mit bittern Worten warf er Alonso den Treubruch vor. Doch auch er sollte nach Spanien. Als er auf dem Meere war und erkannte wozu man ihn aufsparte, wies er alle Nahrung von sich und starb freiwillig den Hungertod.

Noch aber lebten auf Palma tapfere Männer, denen das Herz brechen wollte über die Schmach ihrer Heimath. Ihrer dreihundert verschwuren sich, lieber zu sterben, als des Fremdlings Joch länger zu tragen. Sie sammelten sich auf den Bergen und erklärten dem Spanier und wer ihm anhange den Krieg. Da sandte Alonso de Lugo, der auf Teneriffa sich herumschlug, nach Palma den klugen Diego Rodriguez Talavera, der mit Sprache Gemüthsart und Sitten der Wandschen wohl vertraut war. Nur dreißig Soldaten konnte er mitbringen, aber er sammelte alle Spanier auf Palma und wußte die bekehrten Eingeborenen so trefflich zu behandeln, so schön ihnen von Christenthum, Königstreue und goldenem Frieden vorzureden, daß sich eine treue Schaar ihm anschloß, auf welche er unter allen Umständen rechnen konnte. Und nun begann ein blutig heißes Ringen und Jagen von Berg zu Berg, und aus einer Schlucht in die andere. Auf beiden Seiten fielen die Krieger, mit jeder Woche mehr lichteten sich die Schaaren der Freiheitskämpfer. Der Spanier hätten sie sich erwehrt, aber die Kraft und Menge, die Ausdauer und Ortskenntniß ihrer Landsleute brachte ihnen den Tod. In einem letzten Treffen wurde der ganze Haufen in alle Winde zerstreut, die Häuptlinge und Anführer aber gefangen und öffentlich hingerichtet alle mit einander. Seitdem herrschte auf Palma ungestörte Ruhe.

»Eine Höflichkeit kostet nicht mehr, als eine Grobheit, und man fährt besser dabei.« Dieses hübsche Sprichwort ist leider kein deutsches, sondern ein spanisches. Nur Schade, daß es auch die Spanier eigentlich bloß unter sich gelten lassen, oder höchstens im Verkehr mit anderen Europäern, die sie nicht gar zu tief unter der senkrechten Höhe achten, auf welcher sie selbst sich dünken. Gegen die alten Canarier waren sie weder mild, noch höflich, noch gerecht: in ihre Behandlung mischte sich etwas von dem düstern Haß, mit welchem der Araber und der Spanier noch in den Kindern die andersgläubigen Eltern verfolgt. Kein anderes Volk hätte die Gräuel der Inquisition geduldet, die auch auf diesen Inseln unter den Nachkommen der Wandschen gräßlich gewüthet hat.

Es scheint aber auch, daß der Wandschen Volksnatur bei all ihrer Männlichkeit und Freiheitsliebe doch weich und bildsam war, und daß sie Christenthum höhere Bildung und spanische Sprache sehr leicht annahmen. Schon seit Jahrhunderten hört man, außer in den Ortsnamen, nur noch hier und da ein Wort aus der Wandschensprache auf den sieben Inseln, und dennoch scheinen diese Inseln geweiht durch das Andenken an jenes schöne, sanfte, heldenkühne Volk. Wer sich einmal in seine Geschichte hineingelesen, glaubt noch immer in den Wolkengebilden, welche durchblitzt von Sonnenstrahlen über Schluchten und Abgründe dahin ziehen, die Schaaren der Krieger mit der langen Eschenlanze zu schauen, und hört ihren Todesschrei sich mischen mit der Brandung des Ozeans, die ewig melancholisch an diese Küste schlägt, ihr letztes Seufzen sich im Winde verlieren, der ruhlos um diese rothbraunen Klippen flüstert.


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