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XV.
Bei Orotava.

. Jener Drachenbaum in Orotava ist das älteste uns bekannte Gewächs. Wenn solch eine jahrtausendalte Größe abstirbt, wird man lebhafter an den flüchtigen leichten Dunst gemahnt, der uns vorschwebt als Zeitvorstellung, der fürs Weltall nichts, nur für uns Sterbliche etwas bedeutet, weil des Einzelnen Leben darin ein kleines zitterndes Fünkchen bildet. Humboldt sah diesen Baum noch über einem Stamm von 45 Fuß Umfang, in Gestalt eines vielarmigen Kronleuchters, sich erheben und noch Blüthen und Früchte tragen. Er erinnerte ihn lebhaft an Aristoteles' »ewige Jugend der Natur«, die nie versiegende Quelle von Leben und Bewegung. Da der Baum schon vor beinahe fünfhundert Jahren, wo er öfter in Urkunden erscheint, einen ebenso starken Stamm hatte und das Holz des Drachenbaums sehr langsam wächst, so schließt man auf das ungeheure Alter. In unserm Jahrhundert aber, das gegen das lebende Alte so grausam ist, ging es auch mit diesem Nestor der Bäume rasch zu Ende. Schon seit vielen Jahren stand er nur noch da als ein gewaltiger Baumstumpf, und jetzt liegt des Riesen Gebein am Boden und wird auch bald vermodert sein. Die jüngeren Drachenbäume verschwinden ebenfalls nach und nach: die alten Wandschen machen sich keine Schilde mehr daraus, und an die Heilkräftigkeit ihres rothen Saftes, des Drachenblutes, glaubt etwa noch ein Türke. Auch sonst weiß man nur geringen Nutzen davon zu ziehen: die Blätter dienen zur Viehnahrung und die ausgehöhlten Stämme zu Bienenstöcken.

Nur in dieser Weltgegend und in Ostindien sieht man hoch in blauen Lüften die Strahlenbüschel des Drachenbaums neben dem erhabenen Palmenhaupte. Mit Madeira und den Azoren im Norden und den Inseln des grünen Vorgebirges im Süden bilden die canarischen Eilande einen Erdfleck, auf welchem noch ein Rest der frühesten Naturkraft schöpferisch in neuen Pflanzengebilden zu arbeiten scheint. Insbesondere Teneriffa ist der Punkt, wo europäisches, afrikanisches, amerikanisches Klima zusammentreffen und sich ausgleichen, um hier allen Gewächsen der Welt ein Paradies zu bereiten, auf dessen üppigem Boden sie leicht Wurzel fassen und fröhlich sich zu den schönsten, ja zu ihren idealen Formen entwickeln.

In dem großen botanischen Garten, der zwischen Orotava und dem Hafen liegt, wird auch ein Greis noch stundenlang mit der Verwunderung und dem Glück eines Kindes umherwandeln, das die Augen nicht voll bekommen kann. Da ist der grüne Weihnachtsmarkt der gesammten Baum- und Pflanzenwelt. Da stehen all die dunkeln Coniferen: die canarische Fichte, der schönste Schattenbaum, neben dem indischen Lorbeer, die prachtvollsten Cypressen, die Casuarinen, und die vielen Arten der Cedern. Lantana und Datura, in unsern Gärten nur ein Strauch, erheben sich hier baumhoch. Der Candelaberbaum stellt sich mit seinen Luftwurzeln dar als ein gewaltiger Prachtleuchter. Der indische Wollbaum zeigt seine Stacheln. Unter den verschiedenen Palmen steigt eine achtjährige Königspalme empor. Herrlicheres als sie kann man in der Pflanzenwelt gar nicht sehen. Nicht weit davon sprechen Zuckerrohr, Kaffee- und Gummibaum gar häuslich an, und am meisten Vergnügen findet man eigentlich im Kosten und Betrachten all der unbekannten Baumfrüchte, als da sind: die großen und kleinen Bananen, die Aepfel der Guayaven, die Rosenäpfel der Eugenia ambosa, die Pfirsiche der Mamäa, groß wie Kegelkugeln, die Papayas-Birnen, die gleichwie an Stricken herunter hängen und wie Melonen schmecken, die Cocolora des Traubenbaumes, der große säuerlich süße Trauben bringt, und die Kaiserfeige, deren erdbeersaftige Früchte wie Pilze unten am Stamme wachsen.

Dieser wunderreiche Garten wurde vor achtzig Jahren vom Marquis de Villa nueva del Prado gegründet und dem Staate geschenkt. Dankbar nahmen die Behörden das hochherzige Geschenk an, begnügten sich aber, einem benachbarten Grundbesitzer die Sorge dafür zu übertragen. Dieser konnte das Wasser des Gartens für seine eigenen Felder besser gebrauchen, und dann stellte er aller Welt vor Augen, wie prächtig auch Weizen und Kartoffeln in den Beeten gediehen, wo fremdartige Gewächse stehen sollten. War ja doch die Stelle der letzteren durch kleine Namenbrettchen hinlänglich angedeutet! Nun wollten Engländer eine Akklimatisationsstätte daraus machen für Thiere wie für Pflanzen. Dies Fremde thun zu lassen litt der spanische Stolz nicht, es wurde erwiedert: man wolle dies schon selbst besorgen. Und nachdem sie diese hohe Antwort gegeben, hatten sich die Herren natürlich genug gethan. Der Garten verwilderte weiter, bis vor fünfzehn Jahren ein Deutscher, der als Gärtner auf der Insel war, berufen wurde, ihn wieder etwas in Ordnung zu bringen. Er fand noch etwa dritthalbhundert verschiedene Pflanzen vor: jetzt sind es zwölfmal soviel. Wie herrlich könnte der Garten aufblühen, würden ebensoviele Thaler als Realen darauf verwendet! Jetzt müssen 20,000 Realen (etwa 2500 fl.) des Jahrs für Direktor, Obergärtner, Arbeiter, Pflanzenankäufe, Dünger und Werkzeug reichen, und wäre diese winzige Summe nur stets flüssig! Der verdiente Deutsche, durch dessen Fleiß und Wissen allein sich der berühmte Garten wieder gehoben hat, kostete schon einmal vierthalb Jahre lang das Vergnügen des Wartens auf seinen Gehalt, und auch im letzten Jahr wollte das Geld wiederum drei Quartale hindurch sich nicht einstellen. Der Obergärtner muß sich derweilen mit Samen- und Pflanzenhandel trösten, wozu er die Freiheit sich vorbehalten.

Was könnte nicht zur Gewöhnung von Thieren und Pflanzen an europäisches Klima auf dieser einzigen Stätte in der Welt gethan werden! Welche große segensreiche Wichtigkeit könnte sie für ganz Europa gewinnen! Meinen denn die trägen Herren Spanier, die Welt werde sich durch ihr Besitzrecht ewig hindern lassen?

Nicht weit vom botanischen Garten wohnte ein anderer Deutscher, der Tag für Tag, Stunde für Stunde, die Temperatur, die Regenmenge, und jede sonstige Veränderung im Luftmeer notirte und seine Folgerungen daraus berechnete. Er hatte die Güte, mich seine Tabellen durchsehen zu lassen. Das Ergebniß war die lebhafteste Ueberzeugung: himmlisch sei das Leben hier ein paar Monate lang, aber gewöhnt an Regenschauer, Luftfrische, und wehende Wolken würde ich es sicherlich kein Jahr im canarischen Paradies aushalten. Den langen Sommer hindurch ist alles hell und blau, d. h. sechs Monate lang jeden Tag wieder ganz dasselbe, das muß höchst langweilig sein. An Gewitter, Wolkenbrüche und Orkane ist nicht zu denken: in diesem Erdstrich, wo alles sanft und gemäßigt bleibt, gibt es nur linde Regenschauer, und auch diese fallen nicht gar häufig am Gestade, soweit es bebaut ist. Auf der Südseite von Teneriffa regnet es oft das ganze Jahr nicht: wenn sie dort im Jahr zwei tüchtige Regen haben, sind die Leute gern zufrieden. Auf Lanzarote und Fuerteventura ist, wenn es nur ein einzigesmal gehörig regnet, die Ernte schon gesichert und trägt dann der Weizen siebenzigfältig. Die größte Kälte war im vorigen Jahr um Mitte Januars eingetreten, nämlich eines Morgens um 7 Uhr hatte man 9 Grad und eines Nachmittags um 3 Uhr etwa 15 Grad Celsius – nicht Kälte, sondern Wärme. Die Leute froren erbärmlich, denn sie sind an viel höhere und unveränderliche Wärmegrade gewöhnt. Schon den Tag, wo ich dies aufschrieb, am 14. April, hatten wir um 7 Uhr früh 18 und um 3 Uhr Nachmittags 24 Grad Wärme im Schatten. Jedoch auch in der heißesten Zeit wird es nicht viel ärger: der Thermometer war das ganze Jahr vorher, selbst im August und September, nicht viel über 30 Grad Celsius gestiegen und am Abend nicht unter 20 gefallen.

Unangenehm wird die starre Unbeweglichkeit der Luft, sobald einmal der Windwechsel nicht eintritt. Dieser ist die größte Wohlthat, und fast so regelmäßig wie bei uns im Hochgebirge. Die dunkle Hälfte der vierundzwanzig Stunden strömt der Wind vom Lande, und die helle Hälfte von der See her. Auch kann man im Frühling und Winter aus der Hitze sich retten, wenn man vom Seestrand an 4000 Fuß höher steigt. Dort ruhen dann immer die Wolken und verhängen das Gebirge, dort strahlt dann fort und fort, angefrischt von wässerigen Dünsten, Laub und Kraut im feuchten Glanze. Aber auch dort bleibt der spärliche Schnee selten lange liegen. Will man sich einmal ausfrieren lassen, so muß die Reise schon ziemlich hoch ins Gebirge gehen. Das Unleidlichste ist die dunstige Schwüle, welche Thal und Höhen gleich erfüllt, sobald der Wind nur einen Tag lang aus Afrika herüberweht. An solchen Tagen ist das Meer in eigenthümlicher Bewegung und voll kurzer stoßender Wellen. Ich habe bereits erwähnt, wie entsetzlich diese Schwüle auf Nerven und Adern drückt, wenn in den drei heißen Monaten August September und Oktober das letzte verdorrte Laub von den Bäumen fällt. Aber auch am schon bezeichneten April-Tage fanden sich Brust und Augen von so bleiernem Scirocco niedergepreßt, wie er nur irgendwo die sizilische Südküste gleichwie mit leichtbräunlichen Dämpfen einhüllt.

Das Postschiff sollte am Nachmittag nach Palma abfahren. Als ich aber in der Hafenstadt unterhalb Orotavas eintraf, war kein Schiff zu sehen, und es hieß: andern Morgens werde es wohl kommen, das Meer sei zu wild. Gegen Abend wurde die Luft wieder hellschön, und ein sanfter Schimmer glitt über das wonnige Thalgehänge. Die Gärten und Kornfelder zogen sich in grünlichem Glanze die Anhöhen hinauf, wo sich oben das Goldbraun der Kastanienhaine und darüber die leuchtende Weiße des Steingebirges abhoben.

Andern Morgens aber war die Luft wieder voll Dunst und Schwüle, die See unruhig, das Gebirge von weißgrauen Wolken verhangen. Es kam Nachricht: das Schiff werde erst Mittags abgehen. Ich saß am Frühstückstisch in der Familie eines hochgebildeten Engländers, der sich der schönsten Besitzung auf der Höhe über der Hafenstadt erfreut und, schon seit lange hier ansässig, die liebenswürdigste Gastfreundschaft entfaltet. Mein Nachbar war ein verehrter Freund von der Ostsee, früher preußischer Offizier, der seine reizende Villa tiefer unten hatte. Wir überschauten im seligen Genügen die prachtvolle Küste mit ihren Ortschaften, und sahen drüben die Felsenburg von Palma auf dem Meere. Fern in stahlblauen Fluthen kreuzte das Postschiff hin und her: es wagte sich nicht näher ans Ufer, und kein Boot wagte sich zu ihm hinaus. Da kein Dampfschiff die Inseln verbindet, muß man sich immer mit diesem kleinen Schnellsegler behelfen, der alle Woche einmal Reisende nach Palma abholt.

Tief unter uns ragten dicht am Meere Hochpalmen schattend über den weißen Schloßgebäuden eines Landguts, das Humboldt 1799 bewohnte, als er mit Bonpland auf seiner geschichtlich gewordenen Fahrt nach Südamerika hier landete. Das ganze weite Thalgelände, wie es da umhegt wird von rothbraunen 8000 Fuß hohen Felszinnen, überragt vom schneeweißen Gipfel des Teyde, der aus einsamer Aetherhöhe lächelnd niederschaut, prangte damals noch auf und ab im schimmernden Wein- und Waldgrün. Jedes Wort in Humboldts schlichter Schilderung ist wie thaugetränkt von jungem Glück. Es war die erste große schon halbtropische Herrlichkeit auf seiner langersehnten Weltreise, und gewiß belebte sein Herz auch irgendetwas Anmuthsvolles in der Gesellschaft, welche ihn auf jenem Landgute des Friedens – la Paz – umgab. Nur kurze Zeit, heißt es in seinen Berichten, habe er auf Teneriffa verweilt, und doch sei er von der Insel geschieden, als habe er lange dort gelebt. Die Aussicht bei Orotava könne er nur mit den Golfen von Neapel und Genua vergleichen, aber hinsichtlich der Großartigkeit der Massen und der Fülle des Pflanzenwuchses stehe Orotava über beiden. Die Trockenheit der Luftsäulen, die fortwährend von den benachbarten afrikanischen Ebenen aufsteigen, und welche die Westwinde rasch herbeiführen, verleihe der Luft der canarischen Inseln eine Durchsichtigkeit, hinter der nicht nur die Luft Neapels und Siziliens, sondern vielleicht sogar der klare Himmel Perus und Quitos zurückstehe. Auf dieser Durchsichtigkeit beruhe vornehmlich die Pracht der Landschaften unter den Tropen: sie hebe den Glanz der Farben der Gewächse und steigere die magische Wirkung ihrer Harmonien und Kontraste.

Jeder der jene Landschaften gesehen, wird Humboldt ohne weiteres Recht geben, und wenn ich selbst in all meinen Reise-Erinnerungen, in welche ich die meerumglänzten Palmen-Inseln der Südsee mit ihren Schneegipfeln nun wohl nimmermehr aufnehmen werde, zurückblättere, so wüßte ich nur die Aussicht vom Westkap aus Imbros mit der Majestät, dem leuchtenden und doch so sanften Farbenschimmer, der entzückenden stillen Anmuth jenes Wandschen-Königreichs Taoro zu vergleichen.

Das Andenken an Humboldt umschwebt das Landgut la Paz noch immer wie ein Ehrenkranz. Als ich da war, kam eine andere Erinnerung an Deutschland hinzu. Der Sohn des jetzigen Marquis, dem das Landgut gehört, war der spanischen Gesandtschaft in Berlin beigegeben, und wurde, da es ihm dort gefiel, zum Flügeladjutanten des Prinzen Albrecht ernannt. Dies ward auf der ganzen Insel wie ein Familienereigniß gefeiert: alle Welt sprach davon, und als ich den Vater um Näheres fragte, hatte er selbst nur erst eine telegraphische Meldung erhalten. Ich erwähne das als ein Zeichen, wie bis hieher in den Ozean die spanische Volksgesinnung reicht, welche dem deutschen Wesen innerlich hold ist.

Um Mittag wurde gemeldet: das Postschiff werde Abends abgehen, dann aber gewiß. Mir war die Zögerung nicht leid, sie gab Muße, noch die prachtvollsten Gärten zu sehen, schwelgend in köstlichen Triften und Früchten, – der Ceres ganzes Füllhorn war ja hier ausgeschüttet, – und nebenbei auch etwas von der Bewirthschaftung der Güter kennen zu lernen. Diese ist sehr einfach, und der Ertrag, wenn von Anfang an nicht gar zu arg fehlgegriffen wird, sicher zu berechnen. Denn die guten Ausfuhr-Artikel behalten stets ihren Preis, und das Arbeitervolk, dessen Armuth und Menge freilich wie ein dunkler Schatten auf den Inseln ruht, ist fleißig ehrlich und genügsam. Wer sein Geld hier in Ländereien anlegt, und bei dem Ankauf von den Spaniern, die bei aller Ehrbarkeit doch tief voll Listen und Kniffen stecken, sich am letzten Ende nicht zu bös mitgenommen findet, kann bei dem Medianeiro-System auf 12 und, wenn er verpachtet, vielleicht auf 15 und mehr Prozent Zinsen rechnen. Freilich würde man nicht mit Geld, sondern mit Cochenille zahlen, die jetzt den Markt bestimmt, gleichwie es früher der Wein und noch früher der Zucker that.

Die Blüthezeit der glücklichen Inseln ist dahin. Von dem alten Götterleben in Orotava, von welchem ehemals die Reisenden meldeten, ist nur noch ein stiller Theil vorhanden, und in der Hafenstadt merkt man Geschäftsruhe und Verfall an allen Enden. Indessen sind diese Inseln nicht zu Grunde zu richten, die schlechteste Verwaltung und jahrelanger Mißwachs können ihnen wenig anhaben, sie erholen sich rasch. Liefert die eine Handelspflanze keinen Ertrag mehr, so stellt eine andere sich ein.


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