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XX.
Am Bord des Havanesers.

. Als ich in Palmas Hauptstadt wieder einritt, wollte man den Fremdling – nicht jedes Jahr kommt einer her – auf die liebenswürdigste Weise abfangen. Vor seinem Elternhaus erwartete mich ein junger Jurist, eben derselbe, der auf der Ueberfahrt von Spanien mir so viel von der Caldera erzählt und sie, abenteuerlich genug, mit einem umgekehrten Pik verglichen hatte. Es war in dem Hause größere Gesellschaft, und ich empfahl mich bei Zeiten, denn ich war reitens- und schauensmüde und hatte eine Galeerennacht vor mir auf dem verwünschten Postschiffchen, ohne welches ich von der Insel Palma nimmermehr abkam.

Auf den Straßen merkte ich etwas wie von freudiger Erwartung. Die Damen lagen in den Fenstern und die Herren hatten sich in ihren besten Staat geworfen, und alles war im eifrigen Gespräch und Nichtsthun begriffen. Der alte Bürgermeister war abgetreten und damit die neue Beamtenwelt glänzend durchgebrochen durch die alte königliche, die auf diesen Inseln sich bis dahin von Niemandem gekränkt sah. Schon vor vier Wochen war die neue Regierung auf Gran Canaria verkündigt, am nächsten Sonntag sollte das auch auf Palma geschehen, und die beiden Tage bis dahin wollte man jeden Abend festlich illuminiren, um sich gehörig vorzubereiten.

Bei dieser Gelegenheit fiel mir auf, wie viele wohlgekleidete Männer und Frauen von gebildetem Benehmen auch diese entlegene Insel besaß. Nach allem was ich selbst gemerkt oder von andern gehört habe, möchte es in den romanischen Ländern wenige Punkte geben, wo unter einer kleinen Bevölkerung sich verhältnißmäßig so viel Herren mit einem wissenschaftlichen Anhauch befinden, als in den canarischen Städten. Die Menge, der Reichthum, die Geschäftslosigkeit des Adels thun das Ihrige dazu. In Sizilien läßt sich Aehnliches wahrnehmen aus gleichem Grunde. Mit Deutschland dürfen die Inseln freilich keinen Vergleich eingehen: bei uns sitzen ja in jedem Landstädtchen ein paar ernsthafte Gelehrte.

An der Gasthausthür traf ich den Kapitän des Postkutters. »Geht es wirklich um sieben Uhr fort?« Auf diese Frage lächelte er, und meinte: vor morgen Nachmittag werde wohl nichts daraus werden. Kein Geschäftsmann habe Zeit und Lust, ihn abzufertigen, und nun wolle er die herrliche Illumination sich doch ansehen. Der Wirth raunte mir zu: ich werde auch wohl am Sonntag oder gar am Montag nicht fortkommen. Da ein öffentliches Fest bevorstand, so sah der Kapitän nicht ein, warum er sich die schöne Gelegenheit sollte entgehen lassen. Was ging ihn das an, ob ein Reisender das Dampfschiff nach Europa verpaßte und acht oder vierzehn Tage länger warten mußte? Wenn ein Spanier im Zeitverwüsten sich ordentlich eine Güte gethan, wenn er des edlen Müßigganges bis aufs Aeußerste gepflegt hat, so hat er immer noch etwas Zeit übrig.

Ich war eben daran, meine Empfehlungsbriefe zu mustern und zu überlegen, wie ich die Wartezeit hinbringen sollte, da kam der gütige englische Konsul mir zu sagen: ein Havaneserschiff werde noch vor Nacht die Anker lichten und geraden Wegs nach Santa Cruz auf Teneriffa segeln. Wer war froher, als ich? Wir gingen zu der Stelle, wo die Brigantine ausladete. Ein Boot schleppte an langer Kette Rumfässer hinter sich her zum Lande, und wenn es glücklich durch die Brandung war, dann brachten immer vier Mann schwimmend und schiebend und im Wellengetose rollend die Fässer aufs Trockene. Der Rosenkranz-Kapitän – sein Schiff hieß nämlich der »Rosario« – nahm mich artig als seinen Gast an.

Während wir nun am Hafen plaudernd hin- und hergingen, hörte ich die Leute sagen: »Das ist der Herr, der nach der Caldera gewesen«, und der Kapitän machte mich aufmerksam, wie das selbst den gemeinen Mann erfreue. Bei der glühenden Leidenschaft der Eifersucht, ja des Hasses, welche eine der Inseln gegen die andere hegt, sind die Palmeser ganz untröstlich darüber, daß alle Welt vom Teneriffa-Pik redet und Niemand von ihrer Caldera. Ich glaube, ich hätte von jeder schönen Frau auf Palma einen Kuß bekommen, blos weil ich nach der großen Caldera gewesen. Nun sagte am Hafen der Eine: »Es ist ein Ingles.« »Nein,« sagte der Andere, »ein Prusiano«. Der Name Aleman oder Deutscher ist den Leuten, die hinter dem Meere wohnen, noch nicht recht geläufig, wird es aber schon werden.

Nicht blos der Atlantische und Indische, noch vielmehr der große Ozean sind aufgethan in allen ihren Küsten und Inseln und bieten unserer Zeit Aufgaben, die ins Ungeheure gehen. Können die Russen und Slaven Geist und Arme beides auf einmal beflügeln? Können die Italiener Franzosen und Spanier noch ihre Flotten von ehedem bemannen? Können die Engländer oder Holländer, die beide nur mit Mühen und Sorgen ihr kleines Heer aufrecht halten, ihre Kräfte etwa verdreifachen? Und wie manche Koje auf ihren Schiffen würde leer werden, würden die deutschen Matrosen abberufen? Außer im alten Deutschland, das wieder aufschäumt wie junger edler Wein, läßt sich auf dem Erdrunde nur noch ein einziges Land blicken, in welchem sich unabsehlich frische Kräfte tummeln. Auch dort, ich meine natürlich Nordamerika, nimmt deutsche Art und Sitte leise und langsam eine Stelle ein, wie ich sie in jenem Jahre öffentlich voraussagte, als die vier noch vor der sieben stand, damals freilich nicht ohne bittern Spott zu erdulden.

Volksmassen von uralter Herkunft treten jetzt in die Weltgeschichte wieder ein und bedürfen der Führung und Schule. Während zahllose kleine Völker ihrem unabwendbaren Geschick verfallen sind, hat die Vorsehung jedem andern schon seinen Theil Arbeit für das nächste Jahrhundert zugemessen.

In diesem kommenden Jahrhundert werden all' die Mittel des Verkehrs, welche das verflossene erfunden hat, erst die ergiebige Machtfülle entwickeln, die nöthig ist, um ferne Länder rasch zu besetzen, zu besiedeln und herrschkraftig zu machen.

Unter solchen Gesprächen, wie sie jedes Schiff erweckt, das ins weite Meer hinaus steuert, wanderten wir am Strande hin, und als es Zeit war, setzte ich mich mit den Reisegefährten recht in die Mitte eines Bootes, das am Ufer stand, mit der Spitze nach dem Wasser. Dann fingen drei Mann an, das Fahrzeug vorn zu ziehen, und fünf andere, es hinten zu schieben, und sie arbeiteten schreiend und mühevoll, bis das Boot ins Wasser platschte. Rasch sprangen sie wie Frösche hinein und griffen zu den Rudern, und die Spritzwellen flogen von rechts und links. Es wurde dämmerig, als wir uns dem Havaneser näherten, und ich sah noch eben, daß es ein schlank gebauter Segler war. Sogleich wurde der letzte Anker aufgewunden, und wir glitten von der Rhede ab. Gar schön sah es nun aus, wie die Stadt blitzend von tausend Lichtern – denn die große Illumination war schon im Gange – die dunkeln Höhen hinanstieg, und wie die Fischerbarken längs des Ufers mit rothen Kienfackeln hin und her zogen, um die Fische durch Feuerschein heranzulocken. Denn morgen wollte die kleinste Familie, die am Feste theilnahm, ihren Fisch auf dem Tische haben.

Diese Nacht war windstill und ich ruhte mich einmal wieder ordentlich aus; denn ich hatte mehr als eine nachzuholen. Bei dem Erwachen war es längst heller Tag, und ich dachte nicht anders, als daß wir die Hälfte von den hundertdreißig Seemeilen bis Santa Cruz hinter uns hätten. Als ich aber aufs Deck kam, du lieber Himmel, die Insel Palma lag noch ganz hübsch zur Seite, zum Verzweifeln deutlich bis in jede Bergrippe hinein. Von Teneriffa und Gomera ließ der trübe Wolkendunst nur schwache Umrisse wahrnehmen. Der Kapitän trat herbei und sagte: der Wind sei gar zu widrig, er laviere eben auf Teneriffa zu, dort wolle er hart an der Küste segeln, ob auf der Nord- oder andern Seite, wisse er selbst noch nicht. Das lautete nicht behaglich. Ein Reisegefährte erzählte mir, daß er in dem Postschiff schon einmal zwischen Palma und Orotava vier, ein Bekannter von ihm sogar elf Tage zugebracht, ohne daß sie irgendwo hätten landen können.

Dieser junge Engländer wohnte in Las Palmas, der Hauptstadt von Gran-Canaria. Wollte er von dort nach der Insel Palma, wo sein Haus ein Zweiggeschäft hatte, so brauchte er, wenn Wind und Wetter günstig und die Kapitäne pünktlich waren, gerade einen halben Tag mehr, als nach Liverpool. Wann wird endlich ein Dampfschiff die canarischen Inseln in regelmäßige Verbindung setzen?

Eine langweilige Fahrt vor Augen sah ich mich näher auf dem Schiff um. Ich war da in eine spanisch-westindische Welt gerathen. Der Rosario hatte ein halbes hundert Auswanderer nach Palma zurückgebracht. Die armen Canarier gehen schaarenweise nach Westindien, und haben sie dort eine Hand voll Duros sich erarbeitet, so suchen sie nach ihrer schönen Heimathinsel zurückzukommen. Einige waren noch an Bord, unter ihnen auch zwei Havaneser Familien, die mit Magd und Kindern und Hund und Katze nach Spanien wollten. Diese aßen an des Kapitäns Tisch, und halb verschlafen kam eines nach dem andern hervor, zuletzt die Damen, die sich ein wenig gar zu häuslich anzogen. Die Tafel wurde auf dem Verdeck angerichtet, und der Kapitän theilte patriarchalisch aus, was die Dienerschaft in Hemdärmeln zutrug. Würdevoll legte er einem Jeden das Seinige auf den Teller, und da ich die Ehre des Platzes neben ihm hatte, so bekam ich das Meiste und Beste. In meinem Leben hat mir die Höflichkeit keine größere Qual auferlegt. Die fettige Suppe ließ sich noch bezwingen; ihr folgte aber gleich der Puchero, nämlich Specktäfelchen mit Erbsen Kartoffeln und Fleischstückchen, alles glänzend übergossen mit heißem ranzigen Oel. Dieser vermaledeite Puchero war das Hauptgericht, das andere nicht viel besser, nämlich entweder Geflügel mit Zwiebeln im ranzigen Oel gebraten, oder Stockfisch zerkrümelt und hart gebräunt wie hart gekochte Bohnen, dazu statt Brodes kleine runde Zwiebacksteine. Käse, Wein und Kaffee bildeten mein einziges Labsal.

Regelmäßig nach den beiden Mahlzeiten setzte man sich zusammen, und dann machte die Guitarre die Runde. Sie spielten fast alle gleich fertig, und Männer- und Frauenstimmen lösten sich ab im Wechselgesang, und die alte Großmutter ließ dazu ein Kind auf den Knieen tanzen. Es waren meist Liebesliedchen, allein auch diese endigten immer mit einer ernsten, fast traurigen Cadenz. Die Matrosen aber lagen mit den Aermeren auf dem Boden und spielten Karten vom Morgen bis Abend. Ein paar weiße Pudel, gackernde Hühner, schmutzige Schweinchen liefen von einer Gruppe zur andern.

Vom Schiffsjungen angefangen bis herauf zum Kapitän schien es nicht einer für nöthig zu halten sich zu waschen, und leicht möglich hatte noch kein Passagier Wasser gefordert, obgleich das Schiff von Havana achtunddreißig Tage unterwegs gewesen und einen Todten gehabt hatte. Dieser Westindier Mundart zu verstehen kostete Kopfbrechen. Im Uebrigen waren alle so höflich und voll weitläufigen Anstandes, als trügen sie statt spanischer Kurzjacken weitfaltige Mäntel mit Hut und Federbusch.

Hin- und herkreuzend entfernten wir uns gemach vom Lande, und die Schleier duftiger Ferne senkten sich zuletzt auch über die stolzen Höhen von Palma. Diese Insel hat die adeligste Gestalt unter den canarischen. Lanzarote und Fuerteventura, welche Afrika am nächsten liegen, erscheinen wie sandige Flächen mit Kuppen und Kegeln besetzt, Ferro ist ein anmuthiges Höhenland, Gomera eine gewaltige dunkle Pyramide, Gran-Canaria stellt sich dar wie eine überall ansteigende breite Hochfläche, und auf Teneriffa drückt die Erhabenheit des Teyde, thronend auf seinen Umbergen, alles danieder: Palma aber ist hoch mit schlanken Gliedern aus der See emporgestiegen, so frisch und jugendlich, als tröpfelte noch das Meerwasser von seinen Schultern. Palma ist so malerisch, als nur irgendeine griechische Insel, aber es hat vor ihnen den Vortheil grünen Waldschmucks, der sich spiegelt auf den weiten Flächen des Ozeans.

Am Nachmittag umhüllten Dunst und Nebel uns dicht und dichter. Endlich verschwanden auch die Umrisse der höchsten Inselberge, und wir schifften ins Verhüllte und Ungewisse hinein, gleichwie Spanien in seine dunkle Zukunft.

Hier auf dem Schiffe hatte ich spanisches Volk vor mir in seiner schlimmsten Entartung; rings auf den Inseln, wo die Natur der alten Canarier oder Wandschen hineinspielte, fand es vielleicht seine schönste Entfaltung; drüben in ihrem Mutterlande ringt das angeborne ehrenhafte Wesen der Spanier mit all' dem Schlechten, womit jahrhundertelang Priesterherrschaft, Mißregierung und Müßiggang, genährt durch die amerikanischen Geldquellen, sie beladen hat.

Spanien kämpft jetzt erst, auch ohne daß Fremde sich einmischen, seinen dreißigjährigen Krieg, um endlich sich vom Mittelalter völlig loszuringen. Gebe der Himmel, daß ihm der Athem nicht zu früh ausgehe! Schon dehnen sich mitten im Lande weite öde Strecken, und darüber weht es hin wie trübe Ahnung. Alle paar Jahr eine große Umwälzung – das verträgt auch ein Volk mit stärkeren Nerven und gefüllteren Taschen nicht, und der Schaden frißt noch tiefer ein, wenn die eine Umwälzung wie die andere für Urheber und Helfer lediglich ein Geschäft ist, nach dessen Gelingen man den Gewinn an hohen Stellen Einkünften und Titeln einstreicht.

Am zweiten Morgen sah ich bekannte Gegenden. Der Kapitän hatte sich entschlossen, der Nordküste von Teneriffa entlang zu fahren und sich gleichsam im Ueberwinde stets nahe am Lande zu halten. Wir standen zwischen Gomera und Buenavista. Ein paar Hände breit über der Strandlinie war alles bewölkt, unsere Segel hingen schlaff herunter, und das Schiff stand wie angenagelt. Wann werden wir nach Santa Cruz kommen? Der Kapitän meinte: wenn nicht diesen, doch gewiß am nächsten Abend.

Um Mittag aber erschien das Haupt des Teyde hoch über den Wolken, und man konnte ermessen, bis zu welch erhabener Höhe er emporragt. Der Wind belebte sich etwas, die Segel klatschten und schwellten sich, und wir zogen langsam vor Garachico, Ycod, Realejo vorüber, bis sich die breit ansteigende Frucht- und Blüthenebene von Orotava öffnete vor und zwischen ihren Bergen, und jetzt wurde alles licht und klar in wunderbarer Pracht. Nur den Pik allein umgürteten an der Stelle, wo er als ein neuer gewaltiger Berg den anderen auf die Schultern tritt, noch Wolkenschaaren, als wollten sie absichtlich sein hehres Haupt uns verhüllen. Doch nur scheinbar für uns, die wir so tief auf dem Meere schifften: ich hatte es ja, als ich zu seinem Gipfel stieg, gesehen, wie er die Wolken von seinem Altan stets wieder herunterjagte, gleich wie weiße Katzen, die empor klettern wollten. Frei und heiter will er niederschauen, einen Tag wie den andern, aus seiner einsamen Höhe.

Der Nachmittag blieb wunderschön bis zum späten Abend. Immer strahlte es hinter den gewaltigen Zackenbergen wie Lichtäther aus des Himmels Schooße, die Prachtgefilde und die lieblichen Küsten schwammen in bläulichem Duft, der königliche Teyde blitzte in seinem Schneemantel, und zu seinen Füßen flutheten die Wogen tief dunkelblau und kränzten mit weißem Gekräusel den tiefsten Schluchtenrand. Jetzt, wo sein Kegel vom Meer auf in gerader Linie empor stieg, ließ sich erst ermessen, wie hochherrlich, wie gewaltig die Majestät dieses Berges. Er beherrscht alles, und alles scheint sich nur um ihn zu drehen.

Als wir so zu seinen Füßen dahinschifften und farbige Vorgebirge, grün belebte Buchten, Städte und Dörfer und schroffabstürzende Höhen, eines nach dem andern, hervortraten, hingen meine Augen doch immer an dem Wolkenspiel hoch in den Lüften am Teyde-Gipfel, und ich dachte an den Bericht bei Boccaccio. Dieser sinnreiche Meister hatte ein Heft, in welches er alles einschrieb, was er Merkwürdiges in Büchern las oder von Andern erzählen hörte. Die Handschrift liegt noch auf der Bibliothek zu Florenz. » Monumenti d'un manuscritto autografo di Messer Gio. Boccaccio da Certaldo trovati ed illustrati da S. Campi. Firenze 1827.« Darin findet sich auch eine Erzählung von Florentiner Kaufleuten, die in Sevilla wohnten und im Jahr 1341 von den wunderbaren Entdeckungsfahrten, die Angiolino de Teghia gemacht hatte, nach Hause schrieben. Dieser Florentiner und ein Genuese waren auf Befehl des portugiesischen Königs Alfonso IV. mit drei Schiffen aufs Entdecken und Erobern ausgesegelt, und da sie günstigen Wind hatten, so kamen ihnen schon nach fünf Tagen die canarischen Inseln in Sicht. Sie schifften von einer zur andern und trieben Handelsverkehr mit ihren Bewohnern bis in den Spätherbst hinein. »Sie fanden auch,« schrieb Boccaccio auf, »eine Insel, auf welcher sie nicht landeten, denn etwas Wunderbares scheint von ihr her. Es gebe nämlich, sagen sie, auf ihr einen Berg von einer Höhe, nach ihrer Meinung, von 30,000 Schritten oder mehr. Man sieht ihn sehr weit, und auf seinem Gipfel erscheint etwas Weißes. Da aber der Berg ganz steinern ist, so scheint jenes Weiße die Gestalt einer Burg zu haben. Jedoch, glauben sie, sei es keine Burg, sondern ein einziges sehr scharfes Gestein, von welchem auf dem Gipfel ein Mast, so groß wie der Mast eines Schiffes, erscheint. Und daran hängt aufgezogen eine Rae mit einem Segel eines großen lateinischen Schiffs, das wie ein Schild umgebogen. In die Höhe gezogen schwillt es an im Wind und wird sehr weit ausgedehnt, darauf scheint es allmählich herunter gelassen zu werden, und eben so der Mast, gleich wie auf einem Langschiff; bald wird es wieder aufgezogen; und so geht es fort und fort. Das haben sie überall, indem sie die Insel umsegelten wahrgenommen. Dieses Wunder, glauben sie, geschehe durch Zauberformeln, und sie wagten nicht, auf dieser Insel zu landen.«

Was war nun das unheimliche Schauspiel, das sich hoch in den Lüften begab? Fernröhre hatten die Abenteurer damals noch nicht: sie konnten also das gelbweiße Riff, das den Krater umstarrt, nicht sehen: es war für sie nicht vorhanden. Das Weiße aber, das sie am Berggipfel erblickten, war Schnee, und ein Streifen desselben, der hoch aus dem gelben Grunde empor lief, sah einem Maste gleich. Der Schnee umzieht in blendender Weiße die hohe Säule des Berges wie ein Zackenring, und der Streifen, der wie ein Mast aussah, mußte denen die unten an der Küste schifften, von Zeit zu Zeit hinter den Um- und Anbergen verschwinden, welche den Pik oben umstehen, von unten aus aber mit ihm eine einzige Masse zu bilden scheinen. Und worin bestand denn das dreieckige Segel, das immerfort auf und niederging? Offenbar nur in den weißen Wolken, die scharf umrissen in der hellen Luft sich bald in dieser, bald in jener Gestalt, und ganz richtig auch wie ein halbrundes ausgebauchtes Schild darstellen. Man konnte bisher keine Erklärung für die wunderliche Erzählung der Italiener finden. Als ich aber gerade so wie sie unter dem Pik langsam dahin schiffte, habe ich den Berg ruhig beobachtet, und ich kann versichern: hätte ich kein Fernrohr gehabt und wäre nicht selbst oben gewesen, so hätte ich den Schneestreifen auf dem unsichtbaren gelbweißen Grunde und das Wolkenspiel, das auf und nieder ging, vielleicht in ähnlicher Weise geschildert.

Aus den Gewässern stiegen nun, ganz im Westen, drei Felskegel empor, ein großer nahe am Ufer, und zwei kleine etwas zur Linken. Dort war die Westspitze der Insel. Gegen fünf Uhr umfuhren wir sie, ein wildzerrissenes Vorgebirge. Hier wurde ein Schooner, der Palma einen halben Tag vor uns verlassen hatte, eingeholt. Als man das Schiff erkannte, rannte Jung und Alt aufs Verdeck und schrie und jubelte, und um die da drüben zu verspotten, zogen unsere Matrosen ein paar Besen bis oben an den Mast und ließen sie in der Luft tanzen. Die Havaneser aber lachten und klatschten und zappelten und wackelten, bis eines das andere ergriff und das ganze Völkchen den Mast umtanzte. Die einzige Trübselige war die alte Großmutter, weil Keiner sie zum Tanze holte, und zuletzt fing sie an, für sich allein zu tanzen und schlug mit den Händen den Takt dazu. Aber siehe da, der Wind stand gegen uns, der Schooner bekam den Vortheil, ließ uns hinter sich, und alsbald tanzten auch drüben die Besen in der Luft. Später kamen wir wieder vor, und so wiederholte sich der Wechsel noch einmal, bis die Dunkelheit das Schiff auf dem Meere nicht mehr erkennen ließ, während hoch oben die Zackenkette des Anaga-Gebirgs noch ein purpurner Schimmer umspielte.

Offenbar hatte der Havaneser den Geschmack am Wettrennen aus Westindien mitgebracht. Wie war das aber ganz anders bei den Nordamerikanern! Auf dem Erie-See mußte ich einmal ein Dampfschiffrennen mitmachen. Dort war's ein wilder Kampf auf Leben und Tod, wo jeder Nerv sich spannte, jede Fiber zuckte: bei diesen Spaniern blieb es ein lustiges Kinderspiel, bei dem wir wenig weiter kamen.

Schon flammte im Dunkel der Leuchtthurm auf, der auf der Westspitze steht, und welchen ich bei meiner ersten Ankunft für einen Fixstern gehalten hatte, bis sein regelmäßiges Erlöschen und Wiederaufleuchten mir Kunde brachte, daß wir vor Teneriffa seien. Zu seinen Füßen zündete ein Fischerboot nach dem andern sein Feuer an, und dahinter thürmte sich in finstern Zacken das Gebirge der Insel, der schönsten Insel der Welt.


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