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XXVII.
Staatswesen und Sprache der Wandschen.

. Das Staats- und Rechtswesen erhält sich gewöhnlich bei jedem Volk am längsten in nationaler Eigenthümlichkeit. Was irgend wir davon bei den Wandschen wissen, zeigt blos germanische Grundzüge. Ihr ganzes Leben war auf Kampf und Krieg gestellt. Die Streitigkeiten um die Gränzweiden und die Unruhen, welche der fehdelustige Adel erregte, hörten niemals auf. Mit schallendem Geschrei stürzte man zum Handgemenge, Siegesgeschrei begrüßte die Entscheidung. Hinter den Schlachthaufen aber standen die Frauen: sie brachten den Kämpfern Lebensmittel, trugen die Verwundeten aus dem Treffen, und begruben die Gefallenen. Jede Insel war in mehrere Gaue getheilt, deren Königthum in einem fürstlichen Geschlechte forterbte. Der tüchtigste der Söhne oder Blutsvettern des verstorbenen Königs wurde sein Nachfolger, die Thronbesteigung selbst ging vor sich durch förmliche Krönung und Huldigung, wobei Volk und Fürst sich in bestimmten feierlichen Sprüchen die Treue schwuren. Von einer unumschränkten Fürstenherrschaft aber hatten die Wandschen keine Vorstellung. Der Schwerpunkt des Staatswesens, sowie die richterliche Gewalt lag in der Gauversammlung. Dieser Landtag wurde zu bestimmten Zeiten gehalten oder bei wichtigen Fragen zusammenberufen. Die Adligen führten darin das erste Wort, aber jeder Vollfreie hatte darin Sitz und Stimme.

Jedoch nicht eher durfte Einer daran Theil nehmen, als bis er öffentlich wehrhaft gemacht war. Der junge Mann wurde dabei der Gemeinde vorgestellt, und konnte er einer gemeinen That bezüchtigt werden, so wurde ihm das Haar abgeschoren und er zur Klasse der Hörigen, die man die Geschorenen hieß, hinabgestoßen. Als der gewaltige Krieger Doramas, von der Volksgunst getragen, sich auf Canaria zum König aufgeschwungen, ließ es einem seiner Feinde, der zum vornehmsten Adel gehörte, keine Ruhe, bis er ihn gedemüthigt. Eines Tages war Doramas bewaffnet mit Schild und Lanze, wie es Sitte war, ausgegangen, nach seinen Heerden zu sehen. Jener lauerte ihm in einem engen Pfad auf, und als er den König an seinem Rundschild, der weiß und roth geviertelt war, von weitem erkannte, so stellte er sich in den Weg und richtete sich gerade in die Höhe, statt dem Landeshaupt die Ehre zu geben und sich zu verneigen. Doramas wollte stillschweigend vorübergehen, da warf ihm der Verwegene eine Handvoll Staub ins Gesicht, und als der König seinen Schild emporhob, um sich zu schützen, so stürzte sich jener auf ihn, bekam ihn zu packen und warf ihn zur Erde. Hier würgte er ihn und schrie: »Jetzt bekenne, wer du bist!« Da sagte der König ganz bestürzt: »Doramas, des Doramas Sohn, bekennt daß er ein Geschorener ist.« Des Adeligen Stolz war befriedigt, er ließ den König aufstehen und versprach ihm das Geheimniß heilig zu bewahren. Er hielt auch sein Wort. Doramas aber sagte später wohl einmal zu denen die seine Heldenthaten erhoben: »Rühmt mich nicht zu sehr, denn es lebt einer auf Canaria, der mich unter seinen Füßen gehabt.«

Das Fehderecht scheint allgemein gewaltet zu haben, und die Blutsverwandten bildeten eine Sippe, die fest zusammenhielt und jedes ihrer Glieder vertheidigte. Ehen unter Verwandten waren erlaubt, nur nicht unter Eltern und Kindern und Geschwistern. Die Braut mußte dem Hause der Familie abgekauft werden. Das Gesetz der Blutrache war stärker als jedes andere.

In der Gauversammlung wurde auch öffentlich Gericht gehalten. Sie fand in der Nähe des Königshofes auf einem Platze statt, auf welchem im Halbkreis sich eine Reihe von viereckigen Steinsitzen befand. Der mittlere Sitz war erhöht und mit weichen Fellen belegt: auf ihm ließ der Fürst sich nieder, zu beiden Seiten saßen seine Schöffen gereiht nach ihrem Dienstalter. Diebstahl, Beschimpfung einer Frau, Friedbruch wo keine Fehde angesagt war, wurden strenge bestraft mit Stockprügeln, Aechtung oder Hinrichtung. Jedoch kam auch die Schuldsühne, die Composition des germanischen Rechtes vor. Berufung auf das Gottesurtheil des Kampfes war gewöhnlich, und dieser ging dann vor sich in streng gemessenen Formen. Aber auch die Frauen unterlagen dem Gottesurtheil. Bei dem Tode Gonzamas, eines Fürsten auf Fuerteventura wurde seinem Enkel Wadarfia das Thronrecht bestritten. Seine Mutter Yko, hieß es, habe ihn nicht im rechten Ehebett empfangen, sondern als Buhle eines spanischen Admirals, der an die Insel verschlagen und von Gonzamas gastfreundlich aufgenommen war. Da beschloß das Gericht das Gottesurtheil. Drei Tage lang sollte die Fürstin Wittwe in einer Kammer in ihres Gemahls Hause mit drei ihrer Frauen eingeschlossen und die Kammer mit Rauch erfüllt werden. So geschah es, und als nach den drei Tagen die Thür der Kammer geöffnet wurde, lagen die drei Frauen erstickt, die Fürstin aber trat lebend hervor. Da wurde sie mit großen Ehren heimgeleitet, und ihr Sohn allgemein als des Fürsten rechter Erbe anerkannt. Die Schlaue hatte aber auf Rath eines alten Weibes heimlich einen feuchten Schwamm in die Kammer des Gerichts mitgenommen und, wenn zu arg geräuchert wurde, Mund und Nase auf den Schwamm gehalten und hinein geathmet. Durch dieses Mittel hatte sie sich selbst Leben und Ruf und ihrem Sohne die Krone gerettet.

Es bleibt nun noch die feinste Seite der Untersuchung übrig, die sprachliche. Denn eines Volkes Sprache zeigt genau an, ob und welchen Verkehr es mit andern Völkern gehabt hat, auch wenn dieser Verkehr nur durch Schriften und Bücher stattfand. Prüft man aber schärfer die historischen Sprachschichten, die sich in einem Lande bildeten, so lassen sich auch Schlüsse auf die Abstammung und Geschichte eines Volkes ziehn.

Nun finden sich unter den alten Ortsnamen auf den canarischen Inseln eine Menge die entschieden germanisch sind, wie amalihuga, artebirgo, artuburguais, arerehuas, baltarhais, aragerode, wimur, himar, imar, hacomar, mosaga, teweste, winiwada, wadaliub. Andere passen zu berberischen Namen, adeje zu hedegat, agaete zu aigaïte, goria zu yeria, taborno zu tabornost, tegise zu teghasa, tisalaya zu teselegt, telde zu thedla. Gerade diejenigen Ortschaften, in welchen sich die Wandschen am stärksten vertheidigten und welche daher im Kriege zerstört wurden, sind entweder germanischen Namens oder, wenn dieser berberisch, mit einem Vorschlag ad, at, ar, ara versehen, welcher das »bei« oder »hoch« ausdrückte, letzteres ein Hinweis, daß berberische Ortschaften schon da waren, als die Wandschen die ihrige daneben oder höher im Thale anlegten. Solche Namen sind: atamaraseid, atazarte, atenoya, atagria, aterebiti.

In den Ausdrücken des gewöhnlichen Lebens geht, wenn ein eroberndes Volk sich in einem Lande ansiedelt, das schon von Anderen bewohnt ist, anfangs ein Gemenge, später auch Verschmelzung der Wörter vor sich. Mögen Sieger und Besiegte sich anfangs noch so feindlich gegenüber stehen, sie brauchen doch einander, und um sich zu verständigen, nehmen sie einer vom andern Wörter und Lautbildung an. So sind irichen Getreide, xerco Schuh, ahico und tahuyan Gewand, ara Ziege, ana Schaf, adschi Sohn, aya Berg, in der Wandschensprache wahrscheinlich berberischen Ursprungs, unverkennbar germanisch aber magad Magd, harimagadas Heermägde, ganigo Kanne, mahei der Mächtige, êsero Eisen, guapil Kappe, cigena Ziege, girre Geyer. Den Berggipfel, auf welchem in einer schrecklichen Frostnacht die dorthin geflüchteten Frauen Kinder und Greise erfroren, nannten die Wandschen, da im Gothischen aggan oder ogjan Schrecken heißt, aysuagan Eisschrecken. Fore troncquevé! rief einst ein Fürst dem zu, der ihn in Feindes Hand gespielt. Das Wort soll bedeuten »Schlechter Verräther!« Man braucht auch wirklich nur die Silben zu trennen, wie sich's gehört, so steht da etwas das ungefähr lautete: Foretron gêt wegs! »Verräther, geht weg!« Verschmelzungen zeigen sich in ta-maraga guten Morgen, agon-ec ich sage, waioh-ec ich weihe, und in den Zahlwörtern, die sich theils aus berberische, theils auf germanische Wurzeln zurückführen lassen.

Strenger hält das herrschende Volk die Ausdrücke fest, mit welchen es das göttliche Wesen zu bezeichnen sucht. Sind die Wandschen Germanen, so erfüllt uns das Verständniß ihrer religiösen Ausdrücke mit tiefer Achtung vor der reinen und hohen Gottesanschauung unserer Vorfahren. Sie ringen gleichsam nach theistischen Ausdrücken. Auf Teneriffa allein gab es zehn Namen der Gottheit, die theilweise sich auch auf den andern Inseln finden. Fast immer beginnen die Namen mit at oder aspirirt aths und atsch, das entweder das gothische atta oder aha ist: das erste heißt Vater, aber auch Gott, das zweite Verstand und würde das höchste denkende Wesen bezeichnen. Die Namen selbst aber sind folgende: Atschoran, der Weltherr, da im Gegensatz zur Frau bei den Wandschen der Hausherr c(h)oran hieß, und der uns erhaltene Ausruf amenachoran erklärt sich als »O mein Herr!« In Alcorac haben wir entweder das gothische rag Rath, Lenkung, oder garaiths Gerechter, also den Alllenker oder Allgerechten, in Abora – vom gothischen bairan – den Allhervorbringer, – in Atschuhujaban – vom goth. haftjan – der Welturheber, – in Atschhurajan – vom gothischen hausjan, hauran hören, – den Allhörer und Allwissenden. Häufig war auch guarirari: liest man das spanische gu wie es sein muß als w, und erinnert sich, das das ari unser er ist, so lautet das Wort warir-ari. Weltbewahrer oder Welterbalter. Aahucanac, ahicanac und atschahucanac weisen hin auf das gothische hugs Verstand und hugjan denken, aber auch auf kunnan kennen und können: die Wörter bezeichnen also den Allweisen und Allmächtigen. Häufig sind auch die Zusammensetzungen mit man. dem göttlichen Stammvater der Vandalen, – mit waya. welches Geist bedeutete und von vaijan wehen herzuleiten, gleichwie spiritus von spirare, und mit hirahi Himmel, worin hér das Hohe und Hehre und ahi die Menge desselben bedeutet. Um das göttliche Wesen ganz zu bezeichnen, kommen Zusammensetzungen vor, wie atguaychafunataman. welches sich trennt in At-way-dschafun-ata-man. worin wir also auch vom Schöpfer – skaftjan schöpfen – hören. Der Teufel heißt wayota, vielleicht als der Wuthwehende. Er erscheint in Gestalt eines tollen Hundes als Wärwolf und führt dann drei Namen: irvene, hu-candscha, tibisena, Wörter die sich leicht erklären.

Deutlicher noch tritt das Germanische in den Personennamen der Wandschen hervor. Denn mit diesen verknüpft sich etwas von der Persönlichkeit, dem eigenen Selbst eines Volkes, und es hält sie so lange fest, als es noch nicht von einer fremden Kultur überwältigt ist. Amalwig, Hantaguperka, Hubaliub, Asche, Wadarfia, Warinayga, Wanhaven, Imobach, Abentahar, Godereto, Wadafreta, Arico, Redo, Hagomar, Jonge, und viele andere Personennamen die uns noch überliefert sind, erscheinen durchaus germanischer Natur, während die berberischen durchaus andern Klang und Bau haben, und nur einige Frauennamen bei den Wandschen berberischen ähneln wie Fayna und Fanna, Mesequera und Messisi, Tazirga und Tezirzet. Im Letztern läge wieder eine Andeutung, daß die germanischen Eroberer auf den canarischen Inseln Berber vorfanden, aus denen sie bei Mangel eigener sich Frauen nahmen.

Entschieden am längsten hält das herrschende Volk gleichwie die Begriffe, so auch gewisse Ausdrücke fest die zu seinem Staats- und Rechtswesen gehören; denn auf diesem beruht sein Dasein und seine Herrschaft. Wenigstens diese Ausdrücke müssen die Unterworfenen in ihre Sprache aufnehmen, wie wir das noch heutzutage in der Türkei sehen. Solche Ausdrücke waren bei den Wandschen die menseys, Gaukönige, deren Name vom Gott Man abzuleiten, gleichwie menseyto das Gottall hieß, zumal a im Gothischen leicht in e übergeht. Die Mitglieder der vornehmsten Familie hießen adschimenseys, auf Canaria aber wayres vom gothischen vair Mann und soviel als barones. Der Gesandte hieß farute wahrscheinlich vom gothischen airus, der Beamte welcher dem Gericht und der religiösen Feier vorstand, faycag von veihs geweiht, nach welchem im Gothischen veiha der Priester hieß. Die Kriegswaffe, welche dieser Beamte bei der Wehrhaftmachung dem jungen Mann in die Hand gab, hieß magade und ist darin ebenso deutlich das goth. mathjan Macht, wie in den beiden anderen Waffennamen banot und sunta das gothische banan zerschmettern und sunt Stärke. Die Hörigen, welche das Haar nur geschoren tragen durften, hießen adschi-carnay d. h. Geschorene, worin das goth. skairan oder hairan zu erkennen. Drei Ausdrücke auf diesem Gebiete, – tagoror Gauversammlung, adschi-siquiso Vollfreie, und der Königstitel Quebehi, der soviel als Eure Hoheit besagte, lassen sich nicht mit Sicherheit bestimmen, jedoch möchte im letzten das gabaidjan gebieten, und in dem andern die sibjis, Sippe wahrzunehmen sein, so daß es die Gesippten, die durch Verwandtschaft Geschirmten hieße.


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