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VII.
Garachico.

. Von der Villa wendete sich der Weg seitwärts um ein Vorgebirge, und auf einmal lag da vor mir ein Schauspiel, wie es kein zweites gibt auf dem Erdenrunde. Von andern Orten in Teneriffa sieht man den Teyde stets von den Bergen und Höhen seines Erhebungs-Kraters umgeben, sie stehen um ihn her zu sechs bis achttausend Fuß hoch, und er selbst ist in ihr Halbrund hineingestellt wie ein regelrecht geformter Kegel. Hier aber stieg der Riese vom Meer auf in schlanker gerader Linie zu seinen dreizehntausend Fuß bis dicht unter dem Himmelsgewölbe, ein alles überwältigender Anblick, und doch, wie alles Erhabene, leicht faßlich in jedem Umriß. All die Hügel und Felsabstürze unten, die Wälder und Lavaketten weiter oben scheinen nur das Gewand Sr. Majestät Pik de Teyde des Einzigen zu sein, und dieser Mantel sitzt wie angegossen. Wenn man sonst einem mächtigen Berg auf den Nacken gestiegen ist, verliert er sein Furchtbares: hier aber dünkte es mich selbst wie ein halbes Wunder, daß ich vor drei Tagen da ganz oben im Sturmwind an den gelben schwefeligen Zacken gehangen und in den bleichen Todesschlund hinabgesehen. Wenn man da ein gutes Fernrohr nach dem höchsten Kraterrand gerichtet hätte, wären wir anders, denn als dunkle Pünktchen auf der Spitze des Zuckerhuts zu entdecken gewesen? Und doch bedeutet auf dieser Erdballsweite die ungeheure Riesensäule des Teyde noch nicht eine ganz kleine Stecknadelhöhe, – und wie verschwindet sie erst im unermeßlichen Weltenraum!

Nur zu bald erschien das einst aus allen Meeren berühmte Städtchen Garachico. Hier war man später aufgestanden als in Ycod, denn ich traf noch die ganze Festversammlung im Freien vor einem Kapellchen. Vor dem Prediger standen, kauerten, lagerten die Andächtigen, die Frauen im hellsten Schmuck, die Kinder mit Rosen umkränzt. Es standen und hingen da Pyramiden und Gewinde von Blumen, dicht dahinter stieg das grünende Berggehänge empor, und am Abhang unten rollte und brandete im weit ausgeschweiften weißen Bogen der Ozean am schwarzen Klippenrande. Ich schickte Pferd und Diener voran und trat zur Gemeinde. Der greise Prediger sprach mild zum Herzen, er hatte die schöne spanische Art zu predigen, in kurzen Sätzen voll Logik und Würde. Es war so still, man hörte das Knistern der Lichter und das regelmäßige gewaltige Taktiren der Brandung. War es die Größe der Umgebung, die mich so ergriff? Meine ganze Seele war voll Dank und Anbetung.

Mein Pferd sollte vor der Fonda stehen: ich konnte es aber nicht finden, bis zwei feingekleidete Herren kamen mir zu sagen, es sei erkrankt. Im Stalle fand ich es am Boden liegen, es konnte nicht aufstehen. Eine Gruppe Sachverständiger war bereits in lebhafter Erörterung der Ursachen. Offenbar hatte es sich in Ycod überfressen, und dem armen Juan stand die helle Angst auf dem Gesichte. Die Gesellschaft lud mich ein, sie einstweilen auf ihr nahes Kasino zu begleiten.

Da war denn bald die halbe männliche Aristokratie von Garachico versammelt, und alle wollten sie vom Kaiser Wilhelm hören, den sie den großen Sieger nannten. So hatten sie nämlich seinen Beinamen der »Siegreiche« übersetzt, und wir untersuchten, ob Alexander oder Cäsar oder Napoleon wohl so viele große Schlachten in so kurzer Zeit geschlagen und gewonnen hätten? Die fünf deutschen Siegesmonate werden allerdings einst in der Weltgeschichte roth hervorstechen, wegstreichen lassen sie sich nicht mehr, dies müssen selbst erboste Rumänen und Magyaren zugestehen. Auch hier auf dieser entlegenen Insel hatte die Erhebung des deutschen Volkes, die da plötzlich anschwoll wie ein alles mit sich fortreißender Bergstrom, alle bisherigen Anschauungen zertrümmert und seltsame Phantasien erzeugt. Auch in Garachico hatte man ein- für allemal ausgemacht: die Deutschen müßten nun alle europäischen Reiche über den Haufen werfen, und man hörte mir halb ungläubig zu, als ich auseinander setzte, daß wir rings um uns her feindliche und starke Mächte hätten; daß wir an deren vereinigtem Widerstand, wollten wir auf Eroberungen ausgehen, uns bald die Köpfe wund stoßen würden; daß wir auch gar keine Sehnsucht und noch weniger Bedürfniß hätten, uns weiter auszudehnen. Es schien aber nicht leicht, diesen Canariern den Glauben auszureden, dessen Aeußerung mich schon in Spanien verwundert hatte, nämlich der Deutsche Kaiser müsse Ordnung stiften dort wie in Frankreich. Ich gab ihnen zu: Deutschland sei wieder die tonangebende Centralmacht Europas geworden, und vor allen andern Mächten müsse sein Reichshaupt möglichst Frieden und Ordnung überall fördern, zeigte ihnen aber, wie uns andere und schwere Aufgaben noch viel näher liegen.

Ich kam dabei auch auf die preußischen Kirchengesetze zu sprechen, und wie dieselben nothwendig tiefgreifend und in die Ferne wirken und früher oder später auf andere Völker übergehen müßten. Dies war ihnen nun ganz etwas Neues, und schien über die Maßen zu gefallen, und sie beredeten sich miteinander und stellten mir bestimmte Fragen über die Größe und die politischen Einrichtungen Deutschlands, über Holland, Bayern und Oesterreich. Wenn ich nun antwortete, nahmen sie mir gleichsam die Worte von den Lippen, und da mir im Spanischen öfter der bezeichnende Ausdruck fehlte, so hatte ich ein Taschenwörterbuch vor mir liegen, und sobald ich das richtige Wort gefunden hatte, riefen sie freudig: Eso es – »das ist es.« Mit stillem Lächeln mußte ich dabei meines Katheders in München gedenken. Denn ein Professor, wenn er auf dem Katheder fitzt, muß sich unfehlbar fühlen; auch widerspricht da niemand, und die Gewöhnung daran läßt sich manchen Universitätshäuptern schon von weitem ansehen.

So unterhielten wir uns vortrefflich, bis es bald Mittag wurde, und da Nachricht kam, es werde mit dem Pferde schwerlich vor morgen besser werden, so wurden die Einladungen erneuert. Der Eine pries sein Landhaus im Gebirge der schönen Aussicht wegen; der Andere meinte, ich würde wohl lieber unten in der Stadt wohnen, um morgen früh gleich auf dem Wege zu sein. Ich folgte den Beiden, die mich zuerst angesprochen, und richtig fanden sich unter der Ladung Empfehlungsbriefe, die man mir in Santa Cruz und Orotava zugesteckt hatte, zwei an ihren Vater gerichtet.

Es war nun auch die Rede von dem fürchterlichen vulkanischen Ausbruch, der 1706 die Stadt gräßlich zugerichtet. Bis dahin war Garachico die vornehmste Stadt auf Teneriffa; denn sie allein besaß in einem Insellande, wo es überall nur offene Rheden giebt, einen ziemlich guten Hafen, der durch eine vorgelagerte Basaltinsel und eine Einbuchtung dahinter gebildet wurde. Die Insel, el Roque, ist noch da, und trägt etwas Weideland, – aber wie sieht die arme Stadt aus! Auf der einen Seite ist sie halb überschüttet von Geröll und hochgethürmten Lavamassen, auf der andern hat der brüllende Ozean zerstörend gewirthschaftet. Die Wuth der Elemente scheint auch gegen den traurigen Rest von Garachico nicht besänftigt: noch in diesem Jahr hatte das Meer wieder ein Stück Mauer unterwühlt, bis sie zusammenstürzte.

Die Reisenden vor siebenzig Jahren schilderten begeistert, wie auf Teneriffa der immergrüne Gürtel des Walddickichts, der in halber Höhe sich breit um die Inselberge zog, im feuchten Glanz und Schimmer prangte. Ueber Garachico erhob sich gerade die herrlichste Laubwaldstelle, voll von Wild, die Cuesta del Guincho, auch die smaragdene Mauer genannt. Nun haben anderswo die Aexte und Hirtenfeuer den schimmernden Waldgürtel zerrissen und zerstört, daß nur noch hie und da Stücke hängen geblieben: hier bei Garachico aber traten schon früher an Stelle der grünenden Herrlichkeit todte Aschen- und Lavafelder, die sich auch über den größten Theil der Fruchtgärten legten. So verlor die Stadt ihren reichen Seehandel und Wald und Wachsthum mit einemmal.

Mit der ganzen Gesellschaft zog ich auf den alten Stadtthurm und überblickte die Landschaft. Wilder und seltsamer kann schwerlich sich eine andere darstellen, als Garachico mit seinen alten Kirchenterrassen Mauerlücken und einem kleinen grauen Fort, umgeben von braunen und schwarzen Lavafeldern, blühenden Gärten, weißgrün schäumendem Ozeansgewoge.

Meine Gastfreunde gehörten dem ältesten Adel der Insel an: sie zeigten mir ihr Wappen über einer Thüre des Forts eingehauen. Der schöne Landsitz von heute Morgen mit der Cypressen-Allee und den elf hohen Palmen war Familiengut. Auch ihr Stadthaus lag halb auf dem Lande, von weitläufigen Gärten umgeben, und herbergte in seinen Sälen glanzvolle Reste altspanischen würdevollen Behagens. Von Möbeln mit eingelegter Arbeit sah ich hier so kostbare Stücke, wie in Granada. Da ich von canarischen Volksspeisen gesprochen, so erschienen sie durch freundliche Aufmerksamkeit bei Tafel ebenfalls, damit ich sie kennen lerne, vor allem in mehreren Arten der Gofio der Wandschen, ein gedörrtes und geröstetes Mehl, das aus jeder Art von Getreide bereitet wird und noch die Hauptnahrung der Armen bildet.

Auch konnte ich mich hier über Mancherlei des Landbaues unterrichten: wie man Stricke aus den Fasern der Agave, und Pottasche aus der Barilla-Pflanze macht, wozu der Mastix nützt, wie der Sumach und andere Pflanzen die Farbstoffe liefern, und vor allem, welche Mühen der Nopal oder die Tunera macht. Wer in Süditalien oder auch nur an der Riviera di Ponente gewesen, hat öfter ein häßliches großes blaugrünes Cactusgewächs bemerkt mit dickbreiten stachlichten Blättern. Dort baut man sie an felsigen Abhängen, wo doch nichts anderes fortkommt, der Früchte wegen, der sogenannten indianischen Feigen, die auch zu einer Art Laibbrod verbacken werden: auf den canarischen Inseln muß dieser Cactus den vornehmsten Ausfuhrartikel bringen, die Cochenille, eine häßliche Blattlaus mit rothem Saft. Denn hier, wo die Gewächse aller Zonen herrlich gedeihen, befindet sich auch jener Cactus vortrefflich, legt sogar die längsten seiner Stacheln ab. Freilich muß der Boden sorgsam ausgewählt und zubereitet, die Setzlinge müssen zwei bis drei Jahre lang von Insekten und Unkraut gesäubert, der Früchte entkleidet, bald gedüngt, bald bewässert werden. Dann müssen die Blätter wieder etwas welk gemacht und, nachdem die Blattläuse daran gesetzt sind und sich festgesaugt haben, wieder gekräftigt werden. Erscheint nach etwa drei Monaten die junge Brut, so werden die alten – diese ergeben später die beste Farbe – sorgfältig abgelesen, in einen Kasten gethan und mit Läppchen bedeckt und sorgfältig gewartet. Eine einzige Cochenille kann in weniger als vier Wochen eine Million Junge gebären. Ist Brut genug an den weißen Läppchen, so werden diese den Blättern mit Stacheln angeheftet, so daß ein Cochenille-Acker von weitem aussieht wie ein Schneefeld. All die mühsame Arbeit ist nöthig, um die Blätter für die Insekten lecker und nahrhaft, diese aber fetter und dicker zu machen. Denn jede Cochenille saugt sich auf einer Stelle fest, und bleibt da in ihrer Trägheit Monate lang sitzen, bis sie mit einem künstlichen Messer abgelöst wird. Die abgelösten Insekten müssen endlich mit größter Behutsamkeit gesammelt, gedörrt, von Pflanzenstaub gereinigt und zum Verschicken verpackt werden. Die armen Frauen, denen hauptsächlich die Arbeit am Blatte zufällt, aber auch alle die den Boden behacken oder besitzen, denken mit Seufzen der schönen grünen Zeit des Weinbaues, wo sich der Cactus noch nicht in ihre Fruchtgärten drängte und mit seiner bläulichen oder blattbesteckten weißen Einförmigkeit ihre Wohnungen umringte.

Gegen den Werth, welchen jetzt die Cochenille für die Inseln hat, stehen all ihre Erzeugnisse weit zurück. Zwiebeln und Zwiebelsamen möchten etwa die zweite Stelle einnehmen, die dritte die Kartoffeln oder Papas, welche hier von einem Wohlgeschmack sind, den man anderswo gar nicht für möglich hält. Als vierter Artikel, der Geld ins Land schafft, darf der Wein genannt werden, dessen Anbau allmählich wieder zunimmt. Der übrigen Ausfuhrwaare ist noch vielerlei, es sind jedoch lauter kleine Artikel, die sich langsam vermehren.

Die Inseln haben ihre schlimmste Zeit hinter sich, sie erlebten sie vor etwa zwanzig Jahren. Hauptgrund war, daß sie in den allgemeinen Niedergang des Mutterlandes verwickelt wurden. Die Losreißung des spanischen Amerika, mit welchem ihr Handel am lebhaftesten war, schlug diesem tiefe Wunden. Die spanische Verwaltung lastete schwer auf dem Lande und hemmte insbesondere Handel und Industrie durch hohe Zölle. Das beste Land war in den Händen der Klöster und Stiftungen, oder durch Majorate dem Verkehr entzogen. Da fiel auf einmal die Haupteinnahme weg, welche der Wein lieferte, und die Cholera fing an zu wüthen, entsetzlicher als eine orientalische Pest. Viele Tausende flohen aus dem Lande des bleichen Hungers, des Elends und Sterbens. Seit die Häfen zu Freihäfen erklärt, die Cochenillezucht eingeführt, die Majorate aufgehoben sind, und seit die Canarier, der spanischen Revolutionen überdrüssig, anfangen mehr an sich selbst zu denken und ihre Geschicke, wenn auch noch so ängstlich, selbst in die Hand zu nehmen, bessern sich langsam die Zustände. Noch weit, weit liegt hinter der Gegenwart die einstige Höhe von Glück und Wohlstand, allein es herrscht doch kein Rückgang mehr, sondern ein, wenn auch noch so langsames, Gedeihen läßt sich wieder bemerken.

Ich erkundigte mich nach dem Stande des Schulwesens. Da war wenig Tröstliches zu melden. Die höheren Schulen genügen noch etwa, wenn man sehr mäßige Anforderungen stellt, das Volksschulwesen aber liegt ganz darnieder. Viele Gemeinden und Einzelhöfe sind zu arm und zu klein, um selbst einen Schullehrer aufzustellen, oder zu entlegen, als daß sie ihre Kinder zu größeren Gemeinden in die Schule schicken könnten. Aber auch in den letzteren kümmern sich weder die mächtige Geistlichkeit, noch die lässige Gemeindeverwaltung, noch die Eltern selbst viel um Hebung der Schulen. Man beklagt das Uebel, bleibt aber zu lässig, als daß man ihm zu Leibe ginge. Das Erste müßte sein, allen Eltern durch Gesetz es zur Pflicht zu machen, daß sie ihre Kinder zur Schule schicken. Vor einem so harten Gesetz aber schrickt man zurück, da wäre man ja nicht Herr mehr über den eigenen Familientisch. Gegenwärtig besuchen von 100 Kindern etwa 20 die Schule, und von 100 Erwachsenen können noch nicht 20 lesen und schreiben.

Unter solchen Unterhaltungen war der Abend gekommen, und das ganze Haus ging wieder zur Kirche. Nach der Predigt wurde unter Trauermusik und entsprechenden Geberden der todte Christus ins Grab gesenkt, gerade als führe man ein Theaterstück auf. Nun folgte die Lamentation. Um zehn Uhr spät erhob man sich zur letzten Prozession von der Hauptkirche zum Nonnenkloster, wo die allerletzte Predigt war. Diese aber schenkte ich mir; denn ich hatte Tags vorher 3 Prozessionen und 2 Predigten und an diesem Tage 3 Predigten und 2 Prozessionen gehabt, und mehr kann man nicht verlangen.


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