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XIII.
Eroberung von Teneriffa.

. Bei der Eroberung von Gran Canaria hatte sich ein Hauptmann, Alonso de Lugo, rühmlich hervorgethan, und wurde zum Kommandanten der neuen Festung Agaete ernannt. Spazierte er auf ihrem Walle, so hatte er drüben die schneeige Säule des Pik von Teneriffa vor Augen, der das Gewölbe des Himmels zu tragen schien. Rings um ihn her belebte sich die Wildniß. Der Ansiedler kamen immer mehr, auch aus vornehmen spanischen Familien und andern Ländern, und kauften sich die Ländereien welche man den Wandschen abgenommen. Da litt es Alonso nicht mehr unter den vielen Nachbarn: er zog in der Stille Erkundigungen über Landungsstellen Natur und Völker auf Teneriffa ein, und als er glaubte, seiner Sache gewiß zu sein, verkaufte er Hab und Gut und ging nach Spanien. Hier stellte er sich dem Königspaar Ferdinand und Isabella vor, und bat um Vollmacht, die beiden letzten canarischen Inseln zu erobern. Neben ihm stieg »die sauern Treppen« am Hofe auf und nieder Columbus und erneuerte seine Anträge, noch viel entlegenere, noch viel größere Inseln im fernen Westen aufzusuchen und als eben so viele neue Juwelen der Krone Spanien einzuverleiben. Es war damals ein Gedränge von kühnen Rittern und Seefahrern, die alle hinaussteuern wollten in unbekannte Meere, um Ruhm und Gold und Land und Leute zu gewinnen.

Alonso fand zuerst Gehör. Im Lager vor Granada übergab ihm Isabella die Urkunde, welche ihn zum Generalkapitän von Palma und Teneriffa ernannte und Schiffe auszurüsten befahl. Nun warben eifrig seine Freunde und Verwandten und brachten Geld und Leute zusammen. Zu dem neuen Banner strömte eine Menge junger Edelleute, denen schon die Feengärten mit prangenden Hainen und Goldfrüchten vor Augen schimmerten, vor allem die halbwilden Mädchen, von deren Reiz und Anmuth man Wunderdinge erzählte. Insgeheim aber trug sich jeder Hidalgo mit dem Gedanken, auch einmal des Lebens höchstes Glück zu erreichen und Statthalter einer Insel zu werden, ein Ideal, das sich noch in Sancho Pansa's Hirn abspiegelte. In Sevilla aber gab es reiche Kaufleute und Schwindler, – heutzutage nennt man sie Gründer, – welche ein gutes Geschäft zu machen gedachten und Kapitalien vorschossen. Selbst auf Gran Canaria fanden sich Eingeborne bereit, den Zug mitzumachen, denn ihre Kriegslust war unbezähmbar, und Viele sehnten sich auch, dem spanischen Joch zu entgehen, und die Regierung beförderte die Aushebung der Unzufriedenen.

Palma war in wenigen Monaten erobert, und ein Jahr später segelte Don Alonso auf 15 Brigantinen mit 1000 guten Bogenschützen, 100 Reitern und anderm Gefolge nach Teneriffa. Am 12. April 1493 landete er auf der Stelle, wo jetzt die Hauptstadt Santa Cruz steht. Hier konnten die Schiffe noch am besten vor Anker gehen, und das Gestade, das weniger schroff aufstieg, als auf allen andern Küsten der Insel, führte in wenigen Stunden auf eine Hochebene, wo sich die Truppenmacht aufstellen und entfalten konnte. Der Generalkapitän, als er den Fuß aus dem Boot setzte, umfaßte mit beiden Armen ein großes hölzernes Kreuz und trug es auf einen freien Platz, wo es aufgepflanzt wurde. Sofort ging man daran, Lagerschanzen aufzuwerfen. Haufen von Eingebornen rannten in Massen herbei, wurden aber leicht zurückgeworfen, und die Reiterei säuberte die Anhöhen rings umher.

Andern Tages ward ein Streifzug gemacht, und man erreichte, da die Insel an dieser Stelle am schmalsten ist, ihre andere, die Westseite, wo das Thal von Teweste sich öffnet. Die Ziegenfelle über die Schulter, die lange Lanze in Händen, standen die Wandschen auf den felsigen Höhen. Zornig schallten ihre Anrufe nieder, und die Spanier höhnten und schrien zu ihnen herauf. Kein Eingeborner ließ sich erreichen, nur eine Frau mit einem Säugling wurde in Teweste ergriffen und ins Lager gebracht. Man wollte das Kind gleich taufen; da riß das arme Weib es den Spaniern aus den Händen und stürzte sich voll Angst und Abscheu ins Meer.

Die Wandschenfürsten aber schienen blind oder die Zwietracht oder die Vertrauensseligkeit selbst zu sein. Vier Wochen lang dachten sie nicht daran, einen Gesammtangriff auf das Lager der Spanier zu machen, sie ließen dieselben die Befestigungen vollenden. Ihr Verderben lag, wie bei allen Canariern, an der Unmöglichkeit, die eingewurzelte Zertheilung in viele kleine Stämme und Staaten zu überwinden.

Es hatte einst einen Beherrscher von ganz Teneriffa gegeben, Tinerfe den Großen. Als er aber ein schwacher Greis wurde, bekriegten ihn seine neun Söhne, deren einer ein Bastard war, und er mußte jedem ein Stück der Insel geben und den Königstitel Mensey; der Bastard erhielt nur ein kleines Gebiet, die Punta del Hidalgo, und wurde nur Adschimensey oder Königssohn genannt. Tinerfe aber behielt das größte Königreich, das von Taoro nebst dem Titel Kebehi, der seine Erlauchtheit bezeichnete. Auf Tinerfe folgten nur noch drei Oberkönige, Bentinerfe, Imobach, Benkomo. Schon dem Letzteren nahete sich das Verhängniß und brachte ihm trübe Gedanken. All die andern Inseln dienten den Fremden: was hatte die Stärke und Behendigkeit ihrer Bewohner, was ihre Heldenkühnheit, ihr Löwengrimm gegen die Kriegskunst und die Reiterei der Spanier vermocht? So viel als die Steinschleuder und die lange Eschenlanze mit der Obsidianspitze gegen die Armbrust und Feuerwaffe, als der Schild aus dem Holze des Drachenbaumes gegen den Eisenpanzer vermochte. Düsterer noch war eine andere Betrachtung. Was hatte den Besiegten all die Treue und Redlichkeit genützt, mit welchen sie die Artikel der Unterwerfung erfüllten? Wurde ihnen nicht jedes Versprechen gebrochen, wurden sie nicht verjagt und ausgerottet wie wilde Thiere? Hatte der Oberkönig nicht dicht vor Augen Gomera, von dessen Gestade drei Jahre früher schreckensbleiche Wandschen herüberflüchteten und das grauenvolle Schicksal erzählten, das ihr ganzes Volk verschlungen?

Seitdem stellten die Menseys auf ihren Höhen Wachen auf, die jedes Segel meldeten, das sich im Meere zeigte. Als aber die spanische Flotte wirklich kam, herrschte dennoch wieder Uneinigkeit unter den Fürsten: es ging ihnen wider die Natur, sich zu einigen unter einem Oberbefehl. Vier Wochen nach der Landung suchte Don Alonso sie auf mit seinem Heere. Bei Laguna sahen die Spanier den Oberkönig in der Ferne halten, seine Krieger hatten ringsum die Höhen besetzt. Boten kamen: er wolle mit den Spaniern reden. Don Alonso erwartete ihn. Ernst und würdevoll kam der greise Fürst daher, ihm zur Seite sein Bruder Tinwaro, der Ritterlichste der Wandschen. »Was begehrt der Fremde?« fragte Benkomo. Der Dolmetscher verlangte »Frieden und Freundschaft mit Spanien – Annahme des Christenthums – Unterwerfung unter Ferdinand und Isabella.« In schlichten und kräftigen Worten antwortete der König: »Wie könnte ich Frieden und Freundschaft dem versagen, der mich nicht beleidigte? Das Christenthum scheint etwas Gutes zu sein: es steht jedem frei, es anzunehmen. Ich aber bin ein König und Niemand unterthan als Atschaman, dem ewigen Gott, und dabei will ich bleiben bis zu meinem Tode.« Alle Spanier bewunderten das Benehmen des Fürsten. Ohne Kampf zogen sich beide Heere zurück.

Lugo hielt es für gerathener erst seine Festung auszubauen und zu erwarten, was der canarische Fürst, Don Fernando Wanarteme, welcher Christ und Freund der Spanier geworden, und welchen er mit siebenzig andern Canariern zu den Stämmen geschickt hatte, mit guten Worten ausrichte. Benkomo aber berief die Menseys zum Landtag (Tagoror) nach Arantapala. Hier stellte er ihnen vor: des Vaterlands Noth fordere gebieterisch Vereinigung all ihrer Streitkräfte, ein einziger Oberbefehl müsse sie leiten, ihm komme er zu als dem Aeltesten und Vornehmsten, er selbst wolle 4000 Mann aufstellen. Die Menseys erwiederten: sie seien freie Fürsten, ihre Würde erlaube keine Unterordnung, diese würde ihnen Achtung und Gehorsam ihrer Völker rauben. Nach vielen Reden und Erörterungen kam man so weit, daß drei Menseys und der Adschimensey es zufrieden waren, gemeinschaftlich mit Benkomo zu handeln; die vier Fürsten aber von Daute, Ycod, Adeje und Abona blieben dabei: jeder müsse sein Land selbst vertheidigen.

Ein Mensey war nicht zur Tagsatzung erschienen, Anjatewe von Wimar: er schickte zu den Spaniern, er wolle sich mit ihnen verbünden und Christ werden. Auf diesen Entschluß hatte ein hölzern Bildniß, das mit Oelfarbe glänzend angestrichen war, den größten Einfluß. Es stellte eine Frau dar, angethan mit einem blauen und goldenen Mantel, auf dem Arme hielt sie ein nacktes Kind und in der andern Hand eine grüne Kerze. Gerade vor 102 Jahren stand es auf einmal im Gebüsch am Meere, und die schlichten Leute, die so etwas niemals gesehen, erschraken nicht wenig, als das Bild mit großen offenen Augen sie anstarrte. Endlich holte man es zu des Fürsten Wohnung und stellte es auf einen Stein, der mit den allerschönsten Fellen bedeckt wurde. Von da an genoß es auf der ganzen Insel große Verehrung, welche nicht wenig stieg, als die Spanier kamen und alsbald das Madonnenbild mit wundersamen Erzählungen umgaben. Wahrscheinlich hatte es einst den Vordertheil eines Schiffes geschmückt und war vom Sturm an die Küste geworfen worden. Im Besitz des Wunderbildes glaubte Anjatewe schon ein halber Christ zu sein und in dieser Gesinnung bestärkte ihn ein greiser Einsiedler, welcher als Knabe von der Küste geraubt und von Herzen ein Christ geworden war. Von ihm geführt, erschien der Fürst mit 600 Wandschen vor Lugo. Dieser empfing ihn mit schmetternden Trompeten und Kanonendonner, und umarmte ihn vor der Fronte seines Heeres. Anjatewe nahm die Herrschaft der Spanier an, und schickte andern Tags 500 Ziegen mit vielem Korn und Käse ins Lager.

Trotz dieses mächtigen Verbündeten, der nicht erwünschter kommen konnte, hielt der spanische Feldherr ein ganzes Jahr lang Ruhe. Er begnügte sich, sein Fort mit Thurm und Mauern auszubauen und auf kleinen Streifzügen Schlachtvieh einzutreiben. Unterdessen ergaben sich Anknüpfungen mancherlei Art mit den Wandschen; denn diese waren das gutmüthigste und heiterste Volk der Welt. Auch Liebesgeschichten sollen den Spaniern viel genützt haben. Diese fanden die Anmuth der Landestöchter sehr entzückend, und die Wandschenmädchen hätten nichts von Frauennatur haben müssen, wenn sie gegen die Vorzüge, welche höhere Bildung und ritterliche Gestalt und Rüstung den Männern gewährt, ihr Herz verschlossen hätten. Die Spanier hatten in ihrem Lager die reizende Wazimira, welche den Königssohn von Wimar anzog, und auf den jungen Ritter Castillo warf selbst eine Tochter des Oberkönigs, die liebliche sanfte Dazila, ein Auge.

Die Fürsten aber, die zu Benkomo hielten, hatten auf einem neuen Landtag ein festes Schutz- und Trutzbündniß geschlossen, und als Don Alonso im Frühling 1494 gegen sie aufbrach, fanden die Spanier weit und breit das Land von allem Volk verlassen. Sie harrten vergebens mehrere Tage lang auf der Ebene von Laguna, wo die Ritter sich wie in einer Zauberwildniß befangen glaubten. So feuchtgrün glänzte die Waldung, so süß sangen die Vögel und dufteten tausend unbekannte Blumen, so verlockend spiegelten die Goldfruchthaine in den stillen Wellen des Bergsees. Endlich rückte das Heer weiter. Es durchzog die Aecker der Rodeos, die Schlucht Acentejo, und fand auch drüben Wald und Flur wie ausgestorben. Das Einzige, was man erreichte, waren hirtenlose Heerden.

Die unheimliche Stille wurde Alonso immer verdächtiger, er befahl den Rückzug. Der Tag war schwül, und man stieg wieder in die kühle Schlucht von Acentejo hinab, welche zwischen ihre aufstarrenden dunkeln Wände das ganze Heer der Spanier aufnahm. Da, als sie alle darin waren, pfiff und schrillte es plötzlich ringsumher, lebendig wurde es an allen Rändern der Schlucht, und in ihrer Tiefe griffen Tinwaro oben, Benkomo unten an. Hier prasselte Steinhagel mörderisch nieder, dort stürzten sich wüthende Schaaren von den Schluchthöhen auf die Spanier, die sich nicht rühren konnten und nicht regen in der fürchterlichen Enge. Ihre Reiterei verwickelte sich in den geraubten Viehheerden. Ihre besten Männer fielen. Immer mehr rollten Felsstücke und Baumstämme zerschmetternd in die Tiefe, immer gräßlicher wurde das schrillende Pfeifen der Wandschen, sie kämpften und mordeten wie wilde Thiere. Einer Schaar Bogenschützen gelang es endlich, eine Felskuppe oben zu erklimmen, hastig gab sie eine Lage Pfeile nach der andern. Da stemmten sich zahllose Wandschen gegen die Kuppe, die im losen Geröll aufstand, und sie drängten und tobten, bis sie brach und mit allen darauf in die Tiefe stürzte. Benkomo suchte den spanischen General, dieser sprengte auf ihn ein, traf ihn mit der Lanze und stürzte im selben Augenblick von einem Steinwurf nieder. Nur die Wandschen von Wimar retteten den Besinnungslosen, führten den Rest der Spanier aus der Schlucht heraus, und auf Umwegen zur Festung. Hätte man den Rückzug über die Rodeos genommen, so wäre kein Mann entkommen: dort harrten die andern Menseys. Es schien ein Wunder, wie die Wandschenfürsten all die Schaaren so geschickt gestellt und geführt hatten, daß kein Auge sie früher bemerkte.

Nur 200 Spanier erreichten die Festung, nicht ein einziger ohne Wunden. Die andern alle lagen todt auf dem Schlachtfelde, dessen Ortschaft noch heute Matanzas, das Gemetzel, heißt. Die Sieger machten an Versprengten noch viele Gefangene: der hochherzige Benkomo erquickte sie mit Speise und Trank und sandte sie wieder zu den Ihrigen. Der Mensey von Wimar aber schickte eilends Lebensmittel und Heilkräuter und 300 Mann, um die Festung zu vertheidigen; denn die Spanier lagen alle wund und matt zum Sterben. Nur ein Mensey führte seine Leute zum Sturme. Sie wurden abgewiesen, aber Lugo wartete nicht länger. Eine Woche später, am 8. Juni, verließ er die Festung mit all den Seinigen, und auch die 300 von Wimar nahm er mit und ließ sie als Sklaven verkaufen, weil er Geld brauchte.

Teneriffa war befreit. Don Alonso aber wußte neue Hülfsquellen zu eröffnen. Da die Sevillaner ihr Gold verloren sahen, so trat in Genua eine neue Aktiengesellschaft zusammen und schoß neue Summen vor. Der Herzog von Medina Sidonia stellte auf eigene Kosten 750 Mann. Die Gräfin von Gomera bot all ihr Vermögen auf. Schon am 1. November konnte Lugo 2000 Mann stark wieder auf Teneriffa landen. Das Kreuz stand unberührt am Strande, er warf sich vor ihm nieder, und ließ in Eile die zerstörten Festungswerke ausbessern. Benkomo hielt oben am See, und statt die Spanier anzugreifen, begnügte er sich, sie in fester Stellung zu beobachten, ob vielleicht jetzt Friede und Freundschaft mit ihnen möglich sei?

Die Wandschen von Wimar blieben den Christen treu, sie kundschafteten Weg und Steg, und in der Nacht auf den 14. November erstiegen in tiefster Stille die Spanier die steilen Höhen, um Benkomo in Morgenfrühe zu überfallen. Er aber war wachsam und bereit, sie zu empfangen. Lugo entwarf sofort einen andern Schlachtplan. Die Heere standen sich eine Weile still gegenüber und maßen einander, das Weiße im Auge. Da hörten die Spanier des Generals Pistolenknall und Ruf: »Sant Jago und San Miguel!« Alle Geschütze, alle Büchsen krachten, alle Armbrüste klangen auf einmal. Die Reihen der Wandschen wichen einen Augenblick zurück. Dann aber ertönte ihr todtkündendes Pfeifen und Schlachtgeschrei, und mit gewaltigen Sätzen stürzten sie den Feinden entgegen und wollten sie erwürgen mit ihren Händen. Vor der Behendigkeit, der Riesenstärke der Natursöhne erlahmten die besseren Waffen. Drei fürchterliche Stunden wogte der blutige Kampf hin und her, wüthender wurde der Wandschen Schreien und Schrillen, grimmer ihr Andrang. Schon winkte ihnen wieder der Sieg. In diesem Augenblick traf mit den Truppen, welche das Lager bewachen sollten, der Canarier Fernando Wanarteme auf dem Schlachtfelde ein und warf sich auf die Wandschen. Sie stutzten. Lugo bemerkte es, feuerte die Seinigen an zum letzten Stoß, der Mensey von Tacoronte fiel, der greise Benkomo stürzte todesmatt zusammen. Die Wandschen wichen und wollten die Anhöhen besetzen. Schon stürmten die Spanier nach, da fiel auch der heldenkühne Tinwaro, und seine Schaaren flohen auf allen Seiten.

Die Mönche stimmten das Tedeum an. Tinwaro's Leiche aber wurde mit Fußtritten beschimpft, und Don Alonso dachte niedrig genug, ihr den Kopf abschneiden und auf einer Pike durchs Lager tragen zu lassen. Dann sandte er ihn zu Benkomo. Der Anblick des blutigen Hauptes des geliebten Bruders erschütterte den Greis. Er schwieg lange, endlich sagte er: »Ich beneide meines Bruders Loos und all Derer, die für ihr Vaterland gefallen.«

Noch wagten es die Sieger nicht, den alten Löwen auf seinem Lager anzugreifen. Während sie hinter ihren Festungswällen sich erholten und Verstärkungen sammelten, zog auf dunkeln Flügeln eine Würgerin heran, wider deren Wüthen das unglückliche Volk so waffenlos war wie arme Kinder. Die Verwesung der Gefallenen, die übermenschlichen Anstrengungen, allgemeiner Mißwachs, Noth und Hunger und Seelenqual in jeder Familie erzeugten eine pestartige Krankheit, welche die Spanier die Modorra nannten. Schaarenweise fielen ihr die Wandschen zum Opfer. Todtenfelder breiteten sich vor den Hütten und Höhlen aus, und im Innern saßen die Letzten in dumpfer Verzweiflung und erwarteten den Tod. Sie konnten es nimmer fassen, warum die Gottheit sie den Spaniern, denen sie doch nie Leides gethan, zur Ausrottung überliefert habe.

Am Neujahrstag machte Lugo einen Streifzug. Man fand nur Leichen, erloschene Feuer, Heerden, die sich herumtrieben. Von einer Felshöhe rief ein Weib mit fliegendem Greishaar den Spaniern zu: »Wollt Ihr noch warten, Christen? Kommt nur, nehmt all unser Land. Es ist ja Keiner mehr da, mit dem Ihr kämpfen könnt!«

Weiter ziehend gewahrten die Soldaten in einer Höhle noch etwas wie Leben. Es war ein zitternder Greis mit drei kleinen Kindern, die bei der todten Mutter saßen und weinten. Der Alte gab den Spaniern auf ihre Fragen ehrlich Bescheid, und sie gingen fort. Auf dem Rückweg aber fiel ihnen ein, die Kinder seien ja noch gesund und ließen sich zu Geld machen, und Einige gingen wieder hin, sie zu holen. Der Greis, der sie kommen sah, erkannte ihr Vorhaben, erwürgte seine drei Enkel, stieß sich einen Spieß durch den Leib und fiel den Spaniern röchelnd vor die Füße.

In einem Gefechte flüchtete der Mensey Beneharo, da die Seinigen fielen oder flohen, auf eine Anhöhe. Wüthend schlug er um sich, blutend aus mehreren Wunden, und da er die Gefangenschaft vor Augen sah, erklimmte er mit letzter Kraft eine Klippe und stürzte sich jenseits in tiefen Abgrund.

Auf jenem Streifzuge war auch der junge Castillo mit dem Pferde gestürzt, von den Wandschen ergriffen und vor Benkomo geführt worden. Man erwartete, er würde Tinwaro's Mannen zum Opfer fallen. Der König aber erwiederte: »Ein Gefangener ist mein Feind nicht mehr«, und gab ihn wieder frei. Vielleicht hatte auch das Flehen seiner Tochter Dazila ihn gerührt: Castillo wurde später ihr Gatte.

Auch die Spanier geriethen in große Noth. Die allgemeine Dürre und ihre Folge der Mißwachs erstreckte sich bis nach Gran Canaria. Von dort und den andern Inseln waren noch an 2000 Mann nach Teneriffa gekommen, um an Ruhm, Gefahr und Beute theilzunehmen. Diese Menge verstärkte die Hungersnoth im Lager. Sechs Feigen und eine Handvoll Gerstenmehl – damit mußte der Soldat sich Tags über begnügen. Vor allen Abhängen sah man die Hungernden nach eßbaren Farnwurzeln graben. Schon wollte man die unheilvolle Insel zum zweitenmal aufgeben. Alle bösen Geister, hieß es, wehrten den Christen die Besitznahme. Don Alonso widerstand, und einer seiner Offiziere rettete ihn. Dieser verkaufte seine schönen Ländereien auf Canaria und schaffte Proviant herbei.

Nun wurde im Dezember der Feldzug aufs Neue eröffnet. Noch immer trugen Benkomo und seine paar Verbündeten die ganze Last des furchtbaren Krieges. Die vier Fürsten der West- und Südseite verharrten unthätig, und der fünfte, der Mensey von Wimar, sandte dem Landesfeinde Krieger und Kundschafter. Die Spanier hatten kaum die Schlucht von Acentejo, fürchterlichen Andenkens, hinter sich, so näherten sich die Wandschen, an 3000 Mann stark: die eine Hälfte führte Benkomo, die andere der Mensey Akaymo. Es war am heiligen Abend. Um Mitternacht wurden die drei Weihnachtsmessen im Felde gelesen, alle Spanier beichteten. Sie lagen auf den Knieen, als die Predigt durch die Nacht scholl, wie sie für Christus kämpfen müßten bis zum letzten Hauch, damit das schöne Land von den Ungläubigen nicht mehr befleckt werde. Auch die Wandschen wachten die ganze Nacht, denn sie wußten nicht, was das Fest bei den Spaniern bedeute, und erwarteten jeden Augenblick den Angriff.

Früh am Morgen entbrannte die Schlacht. Sie dauerte fünf Stunden und hatte den Verlauf wie gewöhnlich die Kämpfe der Wandschen. Anfangs werden ihre Reihen von den überlegenen Waffen erschüttert, – dann sammeln sie sich wieder, ihr Heldenmuth und die Wucht und die Raschheit ihrer Bewegung bringen den Feind ins Gedränge, – dann wagen sich von Kampflust hingerissen die Führer zu weit vor, fallen, die führerlosen Schaaren gerathen in Verwirrung, – der Feind athmet auf, schließt sich zusammen, sie werden geworfen. Benkomo wurde gleichzeitig mit Akaymo schwer verwundet und aus dem Treffen geführt. Da er aber hörte, alles gehe wild und unglücklich, so ließ er sich auf das Schlachtfeld zurücktragen und brachte einen geordneten Rückzug zu Stande. Don Alonso folgte ihm nicht, blieb neun Tage auf der Wahlstätte und kehrte ins Lager zurück.

Ein halbes Jahr später, im Mai 1496, nachdem sie neue Verstärkung an sich gezogen, brachen die Spanier wieder auf, und marschirten diesmal in raschen Zügen bis in Benkomo's Land. Was erblickten sie? Die grünen Höhen erschienen auf und nieder mit weißen Punkten besäet. Es waren die bleichenden Gerippe derer, die einst so herzensfröhlich hier gewohnt hatten. Nur herrenlose Hunde, die an den Knochen zerrten, wurden aufgejagt. Endlich gewahrte man die Wandschen oben auf dem Kamme des Tigayga, einem Ausläufer aus dem vulkanischen Bergring des Pik, den Cañadas, der wie ein starrer Rücken gegen das Meer streift, wo er plötzlich abfällt. Don Alonso hütete sich wohl, die Wandschen da oben auf ihrer nackten Klippe anzugreifen. Er verschanzte sich zu ihren Füßen und wartete, bis Hunger und Durst sie heruntertrieben.

Sechs Wochen hielten die Unseligen aus, dann stiegen sie nieder um zu kämpfen, ehe Blut und Saft in ihren Adern vertrockneten, und verschanzten sich unterhalb der Spanier, nur durch die tiefe Schlucht von Realejo von ihnen getrennt. Da fühlte Benkomo tiefes Erbarmen mit seinem Volke, es war ja nur noch ein winziger Rest. Die Weisheit und Milde dieses wahrhaft erhabenen Charakters siegte über seine Freiheitsliebe. Er berief den letzten freien Landtag. Zum letztenmal setzte er sich auf den erhöhten mit weißem Fell bedeckten Stein, neben ihm nahmen die Fürsten Platz, im weiten Umkreis standen die Krieger. Mit bebender Stimme sagte der greise König: »Er müsse ihnen die Frage vorlegen: ob die Letzten des Stammes noch kämpfen und sterben sollten? Der allwaltende Gott habe ihr Schicksal bestimmt, mannhaft müsse man es auf sich nehmen. Er stimme für Unterwerfung.« Aufruhr folgte diesen Worten in der Versammlung. Die Einen wollten wie Benkomo, die Andern nicht. Endlich stimmte ihm die Mehrheit zu. Die Andern aber, besonders die Krieger von Anaga und Teweste, rüsteten sich nach Hause zu ziehen.

Der spanische Feldherr empfing mit Freuden die Botschaft, gern sagte er dieselben Bedingungen zu, die er vor drei Jahren angeboten: frei sollten die Wandschen bleiben an Person und Eigenthum, nur Christen und spanische Unterthanen werden. Waffenlos erschienen andern Tags die Menseys. Den tapfern Männern stürzten die Thränen aus den Augen, als sie vor die Reihen der Spanier traten. Don Alonso stand mit seinen Offizieren vor seinem Zelt. Zitternd an allen Gliedern näherte sich Benkomo, aber er zwang sich zur Selbstbeherrschung. Die Offiziere waren ergriffen von seiner edlen Haltung. Er legte seine Hände in die des Generals und sagte: »Tapferer Krieger, wir bedauern den langen blutigen Kampf. Aber wir mußten glauben, du seiest unser Feind und wollest unser Volk vertilgen. Wir geloben Ehrfurcht und Gehorsam deinen königlichen Herren, und übergeben ihnen die Insel unseres großen Ahnen Tinerfe. Auch wollen wir Christen werden wie Ihr. Das aber schwören wir hoch und heilig: Sklaven werden wir nicht und auch unsere Söhne nicht!« Der Feldherr, selbst gerührt, ließ sich ein Meßbuch reichen, legte die Hand darauf und schwur kniend: er wolle alle Artikel des Vertrags aufrecht halten unverletzt, und er und die Offiziere begegneten den Wandschenfürsten mit freundlicher Hochachtung.

Jetzt kam auch der Mensey von Wimar mit großem Gepränge heran. Die Kriegsleute aber von Anaga und Teweste mochten dem Schauspiel nicht beiwohnen, und zogen ab in wildem Ungestüm. Nur dem eindringlichen Zureden ihrer Fürsten, die ihnen auf dem Fuße folgten, war es zu danken, daß diese Gaue die Waffen niederlegten. Mit Hülfe der Unterworfenen wurden in wenigen Monaten auch die Menseys von Daute, Ycod, Adeje und Abona besiegt. Wer sich nicht fügen wollte, zog mit Weib und Kind ins wilde Gebirge. Als die Fürsten getauft wurden, trugen sie in feierlicher Prozession das Madonnenbild mit der Kerze daher. Bald darauf nöthigte man sie, zu Schiffe zu gehen und sich in Madrid dem Hofe und Volke vorzustellen. Der ehrwürdige Benkomo, jetzt Christobal genannt, wurde durch die italienischen Städte wie ein Wilder nach Rom zum Papste geführt. In einer Dachkammer zu Venedig ist er gestorben.

Don Alonso aber wurde durch Königsbefehl ermächtigt, die Ländereien auf Teneriffa zu vertheilen. Die Spanier nahmen was ihnen gutdünkte. Die Betrogenen und Vertriebenen flüchteten in die Berge. Immer größer wurden die Schaaren der Gesetzlosen, die sich in den Wüsteneien der Cañadas umhertrieben. Der Hunger und der Winter und die Angriffe der Spanier vernichteten sie, sie wurden zersprengt, und die Letzten fielen nach und nach unter den Pfeilen und Kugeln ihrer Landräuber.

So ging dieses edle Volk unter, von welchem auch kein Spanier jemals als von Wilden redete, und Bethencourts Kapläne schrieben: »Barbaren voll schlichten Adels und natürlicher Tugenden.«


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