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Einundzwanzigstes Buch.
Poetische Skizzen

Die talmudischen Bücher bewegen sich zu einem großen Theile in der Casuistik und im Gesetzlichen, wenig geeignete Gegenstände für die Poesie. Aber jenes unermeßliche Repertorium hat eine Probe von allem damals Wissenswerthen, und ist der umfassendste Ausdruck des menschlichen Geistes. Es fehlen daher auch die poetischen Blumen nicht, und von diesen wollten wir hier eine kurze Probe geben.

Der Tod des Gerechten.

Wenn der Gerechte stirbt, so ist's die Erde, die verliert. –

Der verlorne Juwel – wohin er auch gerathen – ist immer Juwel – bloß der Eigenthümer, der ihn verliert, hat zu weinen.

Megilla S. 15 a.

 

Grablied.

Die sterbliche Hülle eines großen Weisen war von Babel in das heilige Land gebracht worden. Ein Elegiendichter brach in diese Klage aus:

Ein Stamm von Großen kommt von Babel, begleitet vom Buche der Kriege Nach den Erklärern bedeutet das Buch der Kriege entweder das Buch der Thora, oder einen berühmten Gesetzeslehrer ( Rab Hamnuna).. Trauer und Finsterniß umhüllt die Erde. – Gott zürnt über die Erde. Er will die reinen Seelen zu sich, und freut sich ihrer, wie einer Neuvermählten. Er frohlockt, wenn die Seele des Gerechten vor ihm erscheint.

Moed Katan S. 25 b.

 

Ein anderes.

Ach! die Flamme hat die Ceder ergriffen; wie wird sich der Ysop retten können? – Ach! mit dem Haken ist der Leviathan gefangen! arme Fische des Sumpfes! – Ach! der ungestüme Fluß ist ausgetrocknet! arme seichte Bächlein! –

Ebendas.

 

Ein anderes.

Beweinet den, der verliert, nicht den, der geht. – Er geht zur Ruhe, wir bleiben dem Schmerze.

Ebendas.

 

Ein anderes satyrisches.

Ein Gewisser wußte alle religiösen Bücher auswendig, hatte aber wenig Geist. Bei seinem Tode sang ein Gelehrter folgendes Trauerlied:

Ach! armer Korb, voll von Büchern, dahin!

Megilla 28b.

 

Gott, Herr Aller.

König der wilden Thiere ist der Löwe, König der zahmen Thiere ist der Stier, König der Vögel ist der Adler, König Aller ist der Mensch. König des Menschen ist Gott.

Chagiga S. 13 b.

 

Trostlied an die Unglücklichen.

O trostlose Brüder: verwundet von einem Mißgeschicke!

Beherziget dieses: Es ist dieses ein ewiges Gesetz, es ist dieses ein von den ersten Tagen der Schöpfung bezeichneter Weg. – Viele haben an diesem Kelche getrunken, und Viele werden noch trinken. – Der Kelch der Alten ist wie der Kelch der späten Enkel. – Der Herr der Tröstungen, er wolle euch trösten. – Gelobt der Herr der Tröstungen.

Ketuboth S. 8 b.

 

Die Gerechten und die Frevler.

Der Gerechte gleicht einem Baume, dessen Stamm ganz in heiliger Erde ist, und dessen Zweige sich über undankbare Erde ausbreiten. Die Zweige werden abgeschnitten, er befindet sich ganz in heiliger Erde.

Glücklich die Gerechten, die hienieden leiden, ihnen bleibt der ewige Lohn unberührt.

Der Frevler gleicht einem Baume, dessen Stamm ganz in unreiner Erde steht, und dessen Zweige sich über fruchtbare Erde ausbreiten. Die Zweige werden abgeschnitten, er bleibt ganz in unreiner Erde.

Unglücklich die Frevler, die hienieden genießen, ihnen bleiben die ewigen Strafen unberührt.

Kiduschin S. 40 b.

 

Die Süßigkeiten der Natur.

Die Luft glühte, von den Sonnenstrahlen entzündet.

Vor Hitze verschmachtend, sinkt Simeon am Fuße eines Hügels nieder. Erschöpft ruft er sein Töchterchen und spricht: »Fächle mir doch mit deinem Fächer, ich gebe dir einen Strauß Narden zum Geschenke.«

In dem Augenblicke umwehet ihn ein sanftes Lüftchen. Er athmet jubelnd dessen Frische ein, und spricht: »O wie viele Nardensträuße gebührten dem Herrn für dieses Lüftchen!«

Baba Mezia S. 86 a.

 

Die Wohlthätigkeit.

Das Eisen zerbricht den Stein, das Feuer erweicht das Eisen. – Das Wasser verlöscht das Feuer, die Wolken verzehren das Wasser. Der Wind zerstreut die Wolken, der menschliche Körper widersteht dem Winde. – Die Furcht wirft den Körper nieder, der Wein zerstreut die Furcht. – Der Schlaf macht den Wein verdampfen, der Tod fegt Alles fort. Die Wohlthätigkeit rettet vom Tode Mischle Cap. 10, V. 2..

Baba Batra S. 10 a.

 

Sammelt Schätze für den Himmel.

Es war ein Jahr schwerster Theuerung. Der König Monobas hatte zu Unterstützungen alle seine Habe und die seiner Familie ausgegeben. Diese Verschwendung brachte seine Verwandten gegen ihn auf, die ihm harte Vorwürfe machten, indem sie sagten:

»Deine Ahnen häuften Schätze auf zu den Schätzen der Ahnen. Du verschwendetest deine Schätze und die der Ahnen.«

Der König antwortete:

»Meine Ahnen sammelten Schätze hienieden, ich sammelte deren dort oben. – Sie häuften Schätze, die dem Raube unterworfen sind, ich häufte Schätze, die Niemand rauben kann. – Sie erwarben Geld, ich erwarb mir Seelen. Sie für Andere, ich für mich selbst. – Sie sammelten für die Erde, ich für den Himmel«.

Baba Batra S. 11 a.

 

Das Gesetz und das Licht.

Das heilige Gesetz ist ein Licht Mischle Cap. 6, V. 23., das leuchtet und leitet.

Ohne dieses Licht tappt der Unwissende in der Finsterniß. Er trifft einen Stein, stößt sich daran; einen Graben, fällt hinein, weil er das Licht nicht in der Hand hat. – Der Studirende des Gesetzes verbreitet Licht um sich; er stößt auf keinen Stein, fällt nicht in den Graben, weil er das Licht in der Hand hat. Bewahre in deinen Händen mein Licht, sagt Gott zu dem Menschen, und ich werde dein Licht Mischle Cap. 20, V. 27. (die Seele) in meinen Händen bewahren.

Rabbot S. 153 a.

 

Gott der wahre Vater Israels.

Eine arme verlassene Waise wurde von einem wohlthätigen Manne aufgenommen, und als Tochter erzogen und geliebt. Als das Mädchen an Schönheit und Jahren herangewachsen war, gab ihr der wohlthätige Mann einen Bräutigam. Der Schreiber des Gerichts, der gerufen wurde, den Heiraths-Act zu entwerfen, fragt das Mädchen nach seinem Namen, und das Mädchen giebt seinen Namen. Und der Schreiber fragt weiter das Mädchen nach dem Namen ihres Vaters, und das Mädchen zaudert ungewiß, und betrachtet liebevoll seinen Wohlthäter. Und der Mann des Gesetzes sagt ihr: »Warum zaudert ihr?« Und das Mädchen antwortet: »Mein wahrer Vater ist dieser wohlthätige Mann.«

So benannte Israel, nachdem es von der Sclaverei befreit und zu dem heiligen Gesetze erzogen war, Gott nicht anders, als mit dem Namen Vater. Gott sagte: »Ihr vergeßt also eure Väter Abraham, Isak und Jacob?« Israel antwortete: »Ich war eine Waise, verlassen; du warst mein Befreier, mein Erzieher; du bist mein wahrer Vater.«

Rabbot S. 160 b.

 

Das heilige Gesetz und die Rose.

Ein anmuthiger, ganz von Blumen duftender und an Früchten reicher Garten bildete die Lust eines Fürsten.

Lange Reihen von Granat-, von Aepfelbäumen, von Weinreben und von den saftigsten Früchten waren in schönster Harmonie in einander geschlungen. Einmal, ehe der Fürst eine lange Reise antrat, vertraute er ihn seinem Verwalter an und empfahl ihn ihm auf's Wärmste. Aber bei seiner Rückkehr, welch' trauriger Anblick! Der unbebaute Garten stellt ihm nur noch eine grausige Verwirrung von Dornen und Disteln und wilden Kräutern dar. Wüthend befiehlt der Fürst, daß man mit der Sichel und mit der Axt Alles niederreiße und zerstöre, daß keine Spur mehr bleibe, die das traurige Andenken an die Vergangenheit erhalte. Schon führen die Sichel und die Axt ihre tödtlichen Streiche und der Fürst dabei, zum Werk ermunternd. Siehe da, inmitten jener Räume eine balsamische Welle sich erheben, die die Luft ringsumher durchräuchert. Der Fürst athmet ihre süßen Düfte mit Wollust ein, schaut und späht, und sieht mitten unter den wilden Kräutern eine Rose, stolz und von Schönheit strahlend, wachsen.

Er giebt einen Wink, daß man mit der Zerstörung einhalte, und spricht: »Um dieser köstlichen Blume willen werde der Garten erhalten.«

So, als der Herr von Geschlecht zu Geschlecht einen Blick auf den der Liebe des Menschen anvertrauten Garten der Erde warf, fand er nichts als Unordnung und Sünde. Und der Zorn wallte auf, und ergoß sich in der Wasserfluth, in dem Fluche Babels und in andern Strafgerichten. Er betrachtet endlich die Erde und sieht das von Israel angenommene heilige Gesetz, wie die Rose im verödeten Garten, und spricht: die Welt werde erhalten um des Gesetzes willen.

Rabbot S. 191 b.

 

Die Züge Israel's.

Die heilige Geschichte verzeichnet genau alle Züge Israel's. Nach dem Auszuge aus Aegypten. 4. Buch Mose, Cap. 33.

Ein Vater, der auf der Reise für den kranken Sohn, der ihn begleitete, gezittert hat, bezeichnet auf der Rückkehr mit Rührung die für ihn denkwürdigsten Orte. Hier, sagt er, erblaßtest du, hier fielst du in Ohnmacht, hier genossest du einen süßen Schlaf, hier fing ich an, das Herz der Hoffnung zu öffnen.

Siehe, darum zählt die heilige Geschichte alle Stationen Israel's auf Will sagen, daß Gott sich mit Liebe aller kleinen Bedürfnisse Israel's erinnert, wie ein Vater sich seines Sohnes..

Rabbot S. 283 b.

 

Die Wahl Salomo's.

Ein König sagt zu einem vertrauten Freunde: »Wähle, was dir in meinem Reiche am meisten gefällt, und es ist dein.« Der Freund denkt: wenn ich Reichthümer wähle, werden sie mir gegeben werden; wenn ich Ehren wähle, werden sie mir gewährt werden. Ich wähle dagegen die Tochter des Königs, mit ihr werde ich Alles haben.

Gott sagte zu Salomo: »Wähle von mir das Geschenk, das dir am meisten gefällt.« Salomo antwortet: »Ich wähle deine Tochter, die Wissenschaft; mit ihr werde ich Alles haben.«

Schir haschirim Rabba S. 3 b.

 

Das heilige Gesetz und das Wasser.

Das Gesetz wurde von dem göttlichen Worte mit dem Wasser verglichen.

( Jesaja Cap. 55, V. 1).

 

Tief wie der Ocean, Quelle des Lebens, wie das Wasser – verkündigt unter Donnern und Blitzen, wie das Wasser rauschend zwischen Abgründen dahinstürzt. – Erquickend die Seele, wie das Wasser die Durstigen – reinigend die Seele, wie das Wasser den Körper – bedeckend die Schande Israels, wie das Wasser die Untiefen des Meeres.

Die Wissenschaft des Gesetzes wird durch den langsamen und anhaltenden Fleiß erworben, wie die Ströme anschwellen von einer kleinen Quelle. – Sie ist süß nur für den, der sie liebt, wie das Wasser nur für den Durstigen. Sie läßt sich nur auf Demüthige und Bescheidene nieder, wie das Wasser von der Höhe in die Tiefe hinabfällt. Es ist keine Schande für die Großen der Erde, sich ihr zu widmen, wie es keine Schande ist, am Wasser den Durst zu löschen. Der Unerfahrene verirrt und verliert sich in ihr, wie der des Schwimmens Unkundige im Wasser ertrinkt.

Schir haschirim Rabba S. 6 b.

 

Israel am rothen Meere.

Eine von dem Sperber verfolgte Taube flieht und fliegt ihrem Neste zu; an ihrem Neste hört sie das Zischen einer Schlange und fährt erschrocken zurück – von einer Seite hat sie den Sperber und von der andern die Schlange – und die Arme wiegt sich auf der Luft und schlägt mit den Flügeln und seufzt, und mit den Seufzern ruft sie ihren Herrn, sie zu retten.

So hat Israel noch das wogende Meer vor sich, hat hinter sich den drohenden Phareo. – Es weint und betet und ruft seinen Herrn es zu retten 2. Buch Mose Cap. 14. V. 10 u. 30..

Schir haschirim Rabba S. 17 b.

 

Der Sünder.

Der Unschuldige hat eine solche Autorität und Würde im Aussehen, daß er Achtung und Furcht allen Geschöpfen gebietet. Sünder geworden, fühlt er immer solchen Schrecken und Furcht, daß er alle Geschöpfe fürchtet. – So hörte Adam, vor der Sünde, unerschrocken die Stimme Gottes. – Nach der Sünde zittert und verbirgt er sich bei der Stimme Gottes 1. Buch Mose Cap. 3. V. 10..

Schir haschirim Rabba S. 21 b.

 

Das heilige Gesetz und die Braut.

Das göttliche Wort hat das heilige Gesetz der Braut verglichen Hohes Lied Cap. 4. V. 11..

Die Braut schmückt sich mit allen Zierrathen und weiblichen Putzgewändern und der Mangel eines derselben thut ihrem Schmucke Eintrag. So soll der Studirende sich den Geist mit allen Theilen der religiösen Wissenschaft zieren. – Die schönste Zierde der Braut ist die Bescheidenheit, wie die Bescheidenheit der schönste Schmuck des Weisen ist. – Die Reinheit der Sitten ist der schönste Ruhm der Braut wie die Heiligkeit der Werke der schönste Ruhm des Weisen ist.

Schir haschirim Rabba S. 27 a.

 

Eine Leichenrede auf einen frommen Jüngling.

In einem großen Weinberge arbeiteten viele Arbeiter auf Befehl ihres Herrn.

Unter ihnen war ein Jüngling mit unglaublichem Eifer und unermüdeter Thätigkeit der Arbeit hingegeben. Nach wenigen Stunden wollte der König, daß er ablasse und rief ihn zu sich und unterhielt sich den Tag hindurch in liebevollen Gesprächen mit ihm. Als der Abend gekommen war, vertheilte er den Lohn an die Arbeiter und dem Jünglinge gab er gleichen Lohn. Die Arbeiter murrten, weil man diesem wenige Stunden der Arbeit eben so angerechnet hatte, wie ihnen den ganzen Tag. Sagte der Fürst: »Dieser mein Freund arbeitete in jenen wenigen Stunden so viel, als ihr im ganzen Tage.«

So der Jüngling, dessen Tod wir beweinen; er sammelte in wenigen Jahren so viele Verdienste, als Andere im ganzen Leben; und Gott rief ihn zu sich, um ihm den verdienten Lohn zu geben.

Schir haschirim Rabba S. 31 b.

 

Die andere Welt.

Dort sind Große und Kleine und der Sclave ist frei von seinem Herrn Hiob Cap. 3. V. 19..

Auf dieser Erde, wer klein ist, kann groß werden; wer groß ist, klein. – In der andern Welt wird der Kleine ewig klein bleiben; der Große ewig groß.

Rut Rabba S. 43 b.

 

Poetisches Bild des Paradieses.

Zwei große Thore von Diamant, von tausenden von lichtstrahlenden Engeln bewacht, führen in das Eden.

Beim Erscheinen des Gerechten begeben sich ihm die Engel entgegen, ziehen ihm seine Todtenkleider aus, ziehen ihm Kleider von reinstem Aether an, schmücken ihm das Haupt mit zwei Kronen, die eine von kostbaren Steinen und die andere von feinstem Golde, geben ihm acht Myrtenzweige in die Hand und singen ihm also entgegen: »Tritt ein, o glückliche Seele und genieße mit Wonne das Brot, das du dir verdient hast.«

Sie begleiten ihn hierauf an einen köstlichen von klaren und frischen Wassern benetzten und von tausend Rosen und Myrten umgebenen Ort.

Ein jeder Gerechte sitzt unter einem glänzenden Baldachin, neben welchem vier Quellen von Milch, Wein, Specereien und Honig sprudeln und über welchem eine goldne, mit Edelsteinen bestreute Rebe flattert; und inwendig blitzt ein Tisch, ganz von Gold; und Hunderte von Engeln umgeben ihn und lobsingen immer also: »Genieße mit Wonne den Honig des heiligen Gesetzes, dem du treu geblieben bist.«

Dort gestaltet und erneuert sich in beständigem Wechsel das Leben der Gerechten von einem Alter in das andere; und jetzt legt es die ganze Blüthe der Jugend an und mischt sich unter die Jungen in dem ihnen vorbehaltenen heiligen Gemache; jetzt nimmt es das reifere Aussehen des erwachsenen Alters an und geht in den Aufenthalt der Erwachsenen ein; und jetzt bildet es sich in das strenge und ehrwürdige Greisenalter um und genießt die Freuden der Greise.

Längs des Eden grünen Millionen und aber Millionen Bäume, deren geringster köstlicher ist, als die gewürzigsten Pflanzen und in jeder Ecke desselben lobsingen tausende von Engeln mit süßester Harmonie. Und in der Mitte erhebt sich der Baum des Lebens, welcher mit den weiten Zweigen sich ausdehnt und in seinen Früchten tausenderlei von verschiedenem Geschmack und Wohlgeruche vereinigt. Und über ihm wogen sieben Wolken reinsten Aethers und ein leises Lüftchen bewegt ihn sanft und trägt seine Düfte weit hin.

Und in seinem Schatten sitzen die Weisen des heiligen Gesetzes und jeder hat zwei Baldachine, der eine von Sternen und der andere von Sonne und zwischen beiden dehnt sich ein Vorhang von reinem Aether aus.

Die andern Freuden des Eden vermochte nie ein menschlicher Geist zu fassen.

Jalkut S. 7 a.

 

Reise Israel's in der Wüste.

Als die ägyptische Phalanx, Israel verfolgend, es erreicht hatte, stellte sich der Engel, der die auserwählte Nation führte, zwischen die Verfolgten und die Verfolger.

Ein Vater, der auf gefährlichen und einsamen Wegen mit seinem Sohne reist, wenn er von Mördern überfallen wird, wirft seinen Sohn hinter sich, um ihn mit seiner Brust zu beschützen.

Wenn er, die Reise fortsetzend, von hinten von einem wilden Thiere verfolgt wird, stößt er den Sohn vor sich.

Wenn das theuere Kind von der Gluth der Sonne leidet, breitet er den eignen Mantel über seinen Kopf hin. – Wenn es von Hunger gequält wird, giebt er ihm sein Brod. – Wenn es von Durst brennt, geht er über Abstürze, um ihm ein wenig Wasser zu schöpfen; wenn es von der Anstrengung entkräftet, schmachtet, trägt er es auf seinen Armen.

Mit solcher Liebe und Sorgfalt führte der Herr Israel in der Wüste.

Jalkut S. 68 b.

 

Leichenfeier eines kinderlos verstorbenen Weisen.

Der weise Samuel Hakatan starb ohne Kinder.

Auf sein Grab legten die schmerzerfüllten Freunde seinen Schlüssel und sein Tintenfaß, die einzige Hinterlassenschaft jenes Weisen, der die Freuden, Vater zu sein, nicht genoß.

Auf jenem Grabe sprach einer derselben also: »Es sterben die Könige und lassen die Krone ihren Söhnen. Es sterben die Reichen, und lassen den Kindern die Reichthümer. – Samuel ist gestorben, und hat seinen ganzen Schatz mit sich genommen – und hat uns gelassen.«

Jalkut S. 75 a.

 

Der Altar und das Eisen.

Der heilige Altar durfte nicht von Eisen berührt werden. – Der Altar giebt das Leben, das Eisen schneidet es ab; keine Berührung also zwischen dem Leben und dem Tode.

Der Altar ist ein Diener des Friedens, das Eisen des Krieges, keine Berührung also zwischen dem Kriege und dem Frieden.

Jalkut Jehoschua S. 5 b.

 

Vorwurf Jeschaja's an Israel.

Höret, o Himmel; höre, o Erde; so fängt Jeschaja an, gegen Israel zu donnern.

Wenn ein Fürst einen in Laster versunkenen Sohn hat, donnert er erzürnt gegen die Freunde, gegen die Verwandten, gegen den Himmel selbst, als seien gleichsam Alle Mitschuldige der Vergehungen des Sohnes.

Außerdem bedeutete Gott Israel mit jener Ausrufung also: Wendet den Blick zu den Himmeln; hat vielleicht eine der himmlischen Sphären die Gesetze verletzt, die er ihnen aufgedrückt hat? Hat vielleicht die Sonne ihren Lauf geändert? Sehet ihr sie nicht als eine immer frohe und treue Vollstreckerin meiner Winke? – Richtet den Blick zur Erde, hat sie vielleicht ihre Gesetze geändert? Hat die Natur vielleicht manchmal ihre Art geändert? Ist es je vorgekommen, daß die Kornsaat Gerste hervorbrachte? daß selbst die unvernünftigen Thiere sich den Arbeiten entzogen, zu welchen ihr sie bestimmt? Hat das Meer je die ihm angewiesenen Grenzen verletzt?

Und alle diese, meinen Gesetzen so treuen Wesen haben keinen Verstand; erwarten keine Belohnungen, fürchten keine Strafen.

Ihr dagegen, die ihr doch für das eigne Wohl, für das euerer Kinder, euerer Lieben sorgen mußtet, ihr habt die Gesetze geändert, die ich euch befohlen habe.

Jalkut Jeschaja S. 40 a.

 

Die Sterne und ihre Anbeter.

Jedes Mal, wenn die Sonne, und der Mond, und die Sterne ihren Lauf wieder anzufangen haben, zaudern sie zitternd und voll Schaam; denn sie erröthen ob des frevelhaften Cultus, den ihnen die Sterblichen erweisen. Und die Stimme Gottes donnert und ruft: Setzet euern Dienst fort.

Jalkut Psalmen S. 96 a.

 

Die Rebe, die Weisheit und Israel.

Israel wurde von der heiligen Schrift mit der Rebe verglichen Jeschaja Cap. 5..

An der Rebe hangen die reichsten und vollsten Trauben am tiefsten zur Erde herab. – So ist der Mensch, je weiser, desto bescheidener.

Die Rebe kriecht auf der Erde, von den Vorübergehenden zertreten, aber ihre Frucht geht auf den Tisch der Fürsten. Israel ist jetzt in die Tiefe gefallen, aber wird groß sein in der Fülle der Zeiten.

Jalkut Psalmen S. 115 b.

 

Die Boten des göttlichen Willens.

Die Boten des göttlichen Willens wechseln Formen und Aussehen, je nach dem Belieben Gottes. – Jetzt sind sie feurige Engel, jetzt sind sie Blitze und Donner, jetzt sind sie Seraphe, jetzt sind sie Winde und Stürme, jetzt sind sie Menschen.

Der Vater Simson's sprach zum Engel: »Sage mir deinen Namen Buch der Richter Cap. 13, V. 17 und 18.

Der Engel antwortete: »Meinen Namen? der Herr ändert mich immer von Sache zu Sache; mein Name ist ein Geheimniß, ist ein Wunder.«

Jalkut Hiob S. 154 a.

 

Israel und die Olive.

Israel wurde in der heiligen Schrift Jeremia Cap. 11, V. 10. der Olive verglichen. Alle Flüssigkeiten gemischt, vereinigen sich unter einander; bloß das Oel vereinigt sich nicht mit den andern Flüssigkeiten. So mischte sich Israel nicht unter die Nationen der Erde.

Das Gesetz wurde der Olive verglichen Sprüche Salomo's Cap. 6, V. 23.. Das Gesetz ist ein Licht für den, der sich seiner zu bedienen weiß.

Rabbot S. 158 a.

 

Israel und die Taube. Hohes Lied Cap. 1, V. 15.

Israel wurde in den heiligen Blättern der Taube verglichen. Wie die Taube bescheiden, rein wie die Taube, soll Israel sein. Die Taube reicht den Kopf dem Messer hin, Israel dem Märtyrthum. – Jene wusch auf dem Altäre die Sünden Anderer ab, wie Israel die Sünden der Welt. – Denn siebenzig Opfer wurden am Hüttenfeste zur Sühne aller Nationen dargebracht. Die Taube verläßt nie den Gefährten, dem sie Liebe geschworen. Israel verläßt seinen Gott nicht. – Die Taube, auch wenn ihr ihre Jungen geraubt worden, kann sich doch nicht vom Neste losreißen; Israel, auch nachdem der Tempel zerstört ist, läßt das Gesetz des Herrn nicht.

Schirhaschirim Rabba S. 22 b.

 

Das Alter.

Der Kaiser fragte den Rabbi Jehoschua, Sohn Chanania, warum er nicht mehr in die Academie komme. Dieser antwortete:

»Wehe! der Berg Nämlich: der Kopf ist weiß. ist schneeig, die Seiten Das Kinn ist kahl. gefroren, stumm sind die Hunde Die Stimme ist schwach., die Mühle mahlt nicht Die Zähne leisten keinen Dienst mehr. und was ich nicht verloren habe, suche ich d. h. ich gehe gebückt..

Talmud Sabbath S. 152 a.

 

Jugend und Alter.

O, der verlorene Schatz, der nicht wiederkehrt.

Jugend ist eine Krone von Rosen, Alter ist eine Krone von Dornen.

Sabbath ebendas.

 

Das Lied des Egoisten.

Eile dich, und iß; eile dich, und trinke. »Dieses Leben, das wir lassen müssen, ist wie ein Hochzeitstag. – Im Grabe ist keine Freude mehr. – Nichts hält den Tod auf. Die Sterblichen sind wie die Kräuter des Feldes; sie grünen, welken, in beständigem Wechsel.«

Talmud Erubin S. 54 a.

 

Die Nachtwache des Fleißigen.

Seit vielen Stunden wachte ein Gelehrter beim Studium.

Sein Töchterchen nähert sich ihm leise und sagt: »Mein Vater! Wann werdet ihr im Schlaf ein wenig Ruhe suchen?«

Antwortete lächelnd der Vater: »Bald werden die Nächte kommen – unaufhörliche, und doch kurze Kurze, weil die Zeit für den Todten nicht vorhanden ist. – dann wird der Schlaf lang sein.«

Die umgekehrte Welt.

Ein kranker Knabe war einige Stunden in tiefem Schlafe gewesen. Nachdem er erwacht war, fragte ihn sein Vater also:

»Welche Stimmen glaubtest du in deinem Schlafe zu hören?«

»Es schien mir, daß ich in meinem Schlafe eine Stimme hörte, die rief: Glücklich die Märtyrer! kein anderes irdisches Geschöpf wird im Himmel den ihnen vorbehaltenen hohen Sitz haben.«

»Und was glaubtest du in deinem Traume zu sehen?«

In meinem Traume schien es mir, die Welt umgekehrt zu sehen: es waren oben die, die hier unten sind; unten die, die hier oben sind.«

»Mein Sohn«, antwortete der Vater, du hast die Welt in guter Ordnung gesehen Es ist leicht zu verstehen, daß diese Worte eine scharfe Ironie, eine beißende Satyre aus den Gang der Gesellschaft sind..

Bild der menschlichen Schönheit.

Willst du ein Bild der körperlichen Schönheit des Gelehrten Jochanan? Hier ist es:

Man nehme eine silberne Tasse, noch ganz überstrahlt von der glänzenden Flamme, die sie gebildet hat; man fülle sie mit rothen Körnern einer rothen Granate, man begränze ihren Rand mit einer Rosenkrone und hänge sie dorthin, wo der Sonnenstrahl in lichtem Schatten verdampft.

Dieß ein Bild jener Schönheit.

Baba Mezia S. 84 a.

 

Ein schöner Segen.

Der berühmte Rab Nachman, im Begriffe sich von seinem weisen und ehrwürdigen Freunde Rab Jizchak, zu verabschieden, bat ihn um seinen Segen. Der Freund antwortete ihm also:

»Meinen Segen? – Ich stelle mir einen Reisenden vor, irrend in der Wüste, müde, hungrig, durstig. – Auf einmal sieht er einen Baum, mit Früchten beladen, mit süßem Schatten, von einem frischen Bächlein benetzt: – Er stillt seinen Hunger an jenen Früchten, seinen Durst an jenem Wasser, ruht in jenem Schatten aus.« – Beim Weggehen ruft er aus: »O süßer Baum! Welchen Wunsch kann ich dir geben? – Daß deine Früchte süß sein mögen? sie sind ja sehr süß. – Daß dein Schatten angenehm sei? er ist sehr angenehm. – Daß frische Wasser dich benetzen mögen? du bist ja von frischen Wassern benetzt. O, das will ich dir wünschen, daß alle deine Sprößlinge dir gleichen mögen.«

»So dir, mein Freund, welchen Segen kann ich dir geben?«

»Daß du in der Wissenschaft groß werden mögest? du bist schon groß. Daß du groß sein mögest an Ehren? du bist schon sehr groß. An Reichthümern? du bist reich. – Daß du Vater einer zahlreichen Nachkommenschaft werdest? du hast schon eine zahlreiche Nachkommenschaft. O, dieses, dieses will ich dir wünschen, daß alle deine Kinder dir gleichen mögen.«

Talmud Taanith S. 5 b.

 

Das verschiedene Lebensende.

Angekommen an der Gränze der irdischen Reise, von wie verschiedenen Empfindungen sind alsdann die Menschen bewegt.

Die Gerechten rufen aus: »o glücklich unsere Jugend, die unser Alter nicht erröthen macht.«

Die Bußfertigen sagen: »o glücklich unser Alter, das unsre Jugend sühnte.«

Diese und Jene rufen: »Glücklich, wer nicht gesündigt hat; oder wenn einer gesündigt hat, so thue er Buße und er wird Verzeihung erhalten.«

Talmud Succa S. 53 a.

 

Das Leben ist ein Schatten.

Das Leben ist ein Schatten, der vergeht, sagt das göttliche Wort Chronik Cap. 29, V. 15..

Ist dasselbe wenigstens wie der Schatten eines Thurmes, eines Baumes? Ein Schatten, der dauert?

Nein.

Es ist wie der Schatten eines Vogels, der vorüberfliegt, der Vogel fliegt vorüber und es bleibt weder der Vogel noch der Schatten.

Rabba Koheleth S. 8 a.

 



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