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Durch hohe Gelehrsamkeit und heilige Werke waren die Rabbinen Ben Parta und Ben Teradion berühmt in Israel, und sie waren die Zierde, der Trost und die Stütze ihrer Mitbrüder. Nicht entmuthigt durch die Mißgeschicke, die Israel Vaterland und Thron geraubt hatten, brannten sie von heiligem Eifer für das heilige Gesetz und verbreiteten weithin die Lehren desselben und riefen mit Unerschrockenheit die Mitbrüder zur Standhaftigkeit und zum Glauben auf. Aber der Muth und der Eifer jener Weisen mißfielen der römischen Regierung, welche jedes Mittel suchte, die besiegten Israeliten zu unterdrücken. Es war jener Regierung nicht schwer, Anhaltspunkte und Vorwände zu finden, wodurch es möglich wurde, eine schwere Anklage gegen die zwei Weisen zu erheben; und auf diese verruchten Vorwände gestützt, ließ sie dieselben in den Kerker werfen.
Viele und schwere Beschuldigungen wurden gegen Ben Parta erhoben; er habe trotz des römischen Verbotes öffentliche Vorlesungen über Religion gehalten, er habe seine Sclaven freigelassen Die Ausleger sagen, es sei den Israeliten verboten worden, ihre Sclaven frei zu lassen, weil das Verzichten auf die eignen Sclaven ein Act der Anhänglichkeit an die mosaischen Vorschriften über die Sklaverei war., er sei nie in die Versammlungen, zu welchen er berufen worden, gekommen, er trage offen den Namen und Titel eines Rabbinen und um jenen heiligen Mann zu erniedrigen, sollte er sogar gestohlen haben. Die gegen den Andern erhobene Anklage war eine einzige und einfache, er habe sich nämlich mit den heiligen Studien beschäftigt, die die römische Regierung wollte vergessen machen.
Die verlassenen Israeliten beklagten tief das Mißgeschick der zwei Weisen, weil sie in ihnen zwei Meister von unermüdlichem Eifer und von größter Gelehrsamkeit verloren. Aber mehr als Alle beweinten die Armen in Ben Teradion ihren Wohlthäter. Denn dieser wohlthätige, reiche Mann war die Stütze der Armen, war der unaufhörliche Helfer in ihren Leiden. Derselbe pflegte beständig die schöne Lehre zu predigen, daß die Wissenschaft nicht genüge, ohne das Wohlthun; und mit solcher Wärme verfocht er diesen Grundsatz, daß er als einen Gottesläugner denjenigen erklärte, der sich mit der Wissenschaft begnügt, ohne sie mit der Mildthätigkeit zu krönen.
Tausend Beispiele seiner Mildthätigkeit waren unter dem Volke verbreitet und wurden von allen Lippen gepriesen. Und diese seine Mildthätigkeit führte ihn zuweilen zu gewissen zarten Scrupeln, die die Güte seines Gemüths im glänzendsten Lichte zeigten. Er hatte einmal eine ansehnliche Summe bei Seite gelegt, um an einem festlichen Tage ein fröhliches Mahl zu geben. Da er mit den Vertheilungen der öffentlichen Almosen betraut war, so vertheilte er am Rüsttage des Festes, wie es Sitte war, viel Geld an die Armen. Aber statt das Geld von demjenigen zu nehmen, das ihm für diesen Zweck anvertraut war, bediente er sich aus Versehen desjenigen, das er für das Mahl zurückgelegt hatte. Als er später den Irrthum bemerkte, fiel er alsbald auf den Gedanken, daß das den Armen geschenkte Geld keine andere Bestimmung erhalten könne und zahlte von dem Seinigen, ohne sich desjenigen zu bedienen, das bei ihm niedergelegt war.
Diese beiden Weisen schmachteten nun in dem nämlichen Kerker und hatten keinen andern Trost, als sich miteinander in freundschaftlichen Gesprächen unterhalten zu können. In einem derselben sagte Ben Parta seufzend also zu seinem Leidensgefährten:
»O, um wie viel ist dein Mißgeschick leichter als das meinige! Auf meinem Haupte lasten fünf furchtbare Anklagen und eine einzige und leichte auf dem deinigen.«
Weinend erwiederte der Gefährte:
»O! um wie viel ist mein Loos schmerzlicher, als das deine! Du, Meister in Wissenschaft und seltenes Beispiel von Mildthätigkeit, welche auch die irdischen Anklagen seien, die auf deinem Haupte lasten, du wirst gerettet werden Er meint die ewige Rettung.. Ich hingegen, Meister der Wissenschaft allein, aber nicht der Mildthätigkeit, ich Unglücklicher, obwohl mit einer einzigen Anklage belastet, werde nicht gerettet werden.«
Es war dieses eine heilige Furcht jenes wohlthätigen Mannes, denn es schien ihm, er habe nicht so viel an die Armen gespendet, als sein Reichthum erfordert hatte.
Talmud Aboda Sara Seite 17 b.
Rab Huna war sehr reich, aber in kurzer Zeit hatte er viele Verluste Es waren ihm, wie es daselbst heißt, vier hundert Faß Wein sauer geworden. und große Unannehmlichkeiten zu erleiden.
Eines Tages unterhielt er sich vertraulich mit seinen Collegen über die Widerwärtigkeiten, die ihm zugestoßen waren, und sie wurden dabei auf die Frage geführt, ob die irdischen Unglücksfälle immer durch eine Sünde dessen, der sie leidet, verursacht seien. Die Collegen erklärten unumwunden, daß die göttliche Gerechtigkeit erfordere, daß die irdischen Schmerzen immer durch die Verschuldung des Menschen hervorgerufen werden.
Dem Gelehrten Huna mißfiel einigermaßen diese Erklärung, die eine Anklage seines Charakters schien und ein wenig verdrießlich sagte er: »Also vermuthet ihr, daß ich irgend eines schweren Vergehens schuldig sei. Saget mir doch aufrichtig und ich werde suchen, mich zu bessern.«
Die Collegen antworteten: »So viel uns bekannt, bist du in Allem gerecht. Nur von einem Vergehen haben wir reden gehört und das ist, daß du bei der Weinlese deinem Diener nicht denjenigen Theil an den Reben Die talmudischen Gesetze schrieben vor, daß man den Dienern einen kleinen Theil an den verschiedenen Erzeugnissen des Bodens schenke. Baba Mezia S. 103. schenkst, den die Mildthätigkeit vorschreibt.«
»Ich gebe seinen Theil nicht? sagte lachend der Gelehrte. Aber, glaubt ihr nicht, daß der Diener mir weit mehr stiehlt, als ich ihm geben müßte?«
»Und aus Verdacht, daß dein Diener dir stehle, stiehlst du indessen dem Diener? Das Sprüchwort sagt: Wer dem Diebe stiehlt, hat auch den Geschmack des Diebstahls.«
Talmud Berachot Seite 5 b.
Ein frommer Mann hatte eine sehr fromme Frau geheirathet und verlebte mit ihr viele Jahre des Friedens und des Glücks. Aber ihre Ehe war kinderlos, und die armen Ehegatten fingen an, großen Kummer darüber zu empfinden.
Endlich bewog sie ein abergläubischer Scrupel Siehe Jebamoth S. 64 a., sich in völliger Uebereinstimmung durch Ehescheidung zu trennen.
Der fromme Mann heirathete wieder. Aber diese Frau war böse und gottlos und in kurzer Zeit verdarb sie das Gemüth des Gatten und verleitete ihn zu einem gottlosen, schlechten Leben.
Die fromme Frau heirathete auch wieder. Aber dieser Mann hatte verdorbene Sitten. Aber die Frau vermochte so viel über sein Gemüth, daß sie ihn vom bösen Wege abbrachte und zur Religion und zur Tugend hinführte.
Alles hängt von der Frau ab.
Jalkut S. 8 a.
Rabbi Eleasar, Sohn Asaria, lag auf dem Sterbebette; seine Schüler standen stumm und weinend vor demselben.
Der Sterbende verabschiedete sich mit liebevollen Worten von ihnen und segnete sie:
Die Schüler sprachen seufzend: »Meister, ehe du uns verlässest, gieb uns noch eine köstliche Ermahnung; nur eine.«
»Söhne,« antwortete Eleasar: »achtet euch einander. Jeder halte die Ehre des Andern im Herzen.«
Hillel, der Alte genannt, hatte einen Collegen bei sich zu Tische geladen und der Frau anempfohlen, ein köstliches Mahl zu bereiten.
Um die festgesetzte Stunde setzten sich die zwei Collegen an den Tisch und warten, daß die Speisen gebracht werden.
Aber nichts erscheint.
Die zwei Weisen fangen an, von religiösen Dingen zu reden und denken wenig an das Essen.
Indessen denkt Hillel von Zeit zu Zeit so bei sich: »Meine Frau kommt nicht; sie wird ihre Ursache haben; es ist besser, sie nicht zu stören.«
Und die gelehrte Unterhaltung dauert fort und die Stunden vergehen und die Speisen werden nicht aufgetragen.
Endlich tritt die Frau Hillel's ganz verlegen ein und läßt auftragen.
Der Gemahl fragt sie im liebevollen Tone: »Meine Tochter! Ein liebevoller Ausdruck gegen die Gattin, der in den talmudischen Büchern sehr oft vorkommt.. War vielleicht das Essen noch nicht bereit? Warum solche Zögerung?
Die Frau antwortet: Im Begriffe, die Speisen zu bringen, trat ein armer Mann weinend zu mir ein und sagte: Heute heirathe ich, aber ich habe nichts um das Hochzeitsmahl zu halten. Ich gab ihm, was ich für euch zubereitet hatte und ließ alsbald andre Speisen zurecht machen; habe ich übel gethan?«
Hillel glänzte vor Freude bei dieser Erzählung und sagte: »Du hast wie eine verständige und gottesfürchtige Frau gethan.«
Talmud Derech Erez Abschnitt 6 S. 18 a.
Rabbi Jose hatte eine böse und zänkische Frau, die ihm das Leben verbitterte. Sie ersparte ihm weder Verdrießlichkeiten, noch Scandale, noch Schmerzen; sie unterbrach ihn beim Studium, beschimpfte ihn vor seinen Schülern selbst. Diese fingen an, darüber ärgerlich zu werden, und eines Tages sprachen sie ihm offen ihren Unwillen aus und baten ihn dringend, jenes böse Weib zu verstoßen.
Der arme Mann suchte die Fehler der Frau zu entschuldigen, so gut er konnte. Und das Schlimmste war, daß die Frau eine reiche Mitgift hatte und der Gelehrte wenig Vermögen besaß Um nach der Vorschrift, die Mitgift zurückzugeben..
Da die Schüler jenen Scandal nicht länger dulden wollten und Mitleid mit ihrem Meister hatten, sammelten sie unter sich eine Summe, die hinreichte zur Rückgabe der Mitgift und bewogen ihn, sich von ihr zu trennen.
Das Weib verließ, ohne sich zu grämen den armen Gelehrten, fand eine reiche Parthie in dem Vogte der Stadt und führte einige Zeit ein genußreiches, wollüstiges Leben.
Aber die fröhlichen Tage dauerten nicht lange; der Vogt fiel in Ungnade beim Fürsten, wurde aller seiner Reichthümer beraubt, gerieth in das äußerste Elend und wurde, um das Maaß seiner Leiden voll zu machen, blind.
Ohne anderes Mittel, sein Leben zu fristen, muße er zum Bettelstab greifen. Jeden Tag führte die unglückliche Frau den Blinden durch die Straßen der Stadt, und von dem Mitleide der Vorübergehenden sammelte er, um zu leben.
Der Blinde, der in der Stadt sehr bekannt war, bemerkte nach einigen Tagen, daß ihn die Frau nie in eine gewisse Straße führte, die sehr bevölkert war. Er machte der Frau Vorwürfe darüber und befahl ihr, ihn dahin zu führen, denn die daselbst wohnenden Israeliten würden ihm reichliches Almosen geben.
Die Israeliten? sagte die Frau zitternd, aber wißt ihr nicht, daß unter diesen auch mein früherer Ehegemahl ist? Nein, ich werde mich dieser Schande nie aussetzen. Der Blinde drang ferner in sie, aber die Frau erklärte, daß sie ihm nie willfahren werde.
Auf einem ihrer gewöhnlichen Gänge, gab der Blinde bei sich Acht, wann er in der Nähe jenes Platzes sein würde. Alsdann erhob er die Stimme, droht und befiehlt, dorthin geführt zu werden. Die Frau weigert sich, der Blinde flucht, stürzt sich auf die Frau, ergreift sie bei den Haaren und schlug sie grausam.
Auf ihr Schreien laufen die Leute zusammen, kommt der erste Ehegemahl gelaufen. Dieser erkennt die Gemahlin und fühlt sich im Gemüthe von peinlichen Erinnerungen erregt. Er beruhigt den Blinden, tröstet die Frau, weist Beiden einige Zimmer in seinem Hause an und sorgt von nun an immer selbst für ihren Unterhalt.
Rabboth S. 19 b.
Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.
(3. Buch Mose Cap. 19 V. 18.)
Rabbi Akiba sagte: Dieses ist das große Gesetz im Gesetze. Wehe dem, der sagt: »Ich bin erniedrigt, es sei mein Nächster auch erniedrigt, ich bin verflucht, es sei mein Nächster auch verflucht.« Er bedenke, wenn er erniedrigt, wenn er verflucht; er erniedrigt den, der das Ebenbild Gottes an sich trägt.
Rabboth S. 28 a.
Gott ist gut gegen Alle und erbarmt sich aller seiner Geschöpfe Psalm 145 V. 9.. Die Gelehrten erklären so: Gott ist gut gegen Alle, weil Alle seine Geschöpfe sind; er ist gut gegen Alle, die seine Mildthätigkeit nachahmen; er ist gut und flößt seine Mildthätigkeit den Geschöpfen ein.
Entsteht eine Theuerung, die menschlichen Geschöpfe fühlen sich zum Mitleid gegen einander angeregt und Gott fühlt Mitleid mit Allen.
Es war einmal ein Jahr großer Trockenheit. Rabbi Tanchuma verordnete ein großes Fasten, um von Gott Regen zu erhalten; aber die Gebete waren vergeblich.
Der Rabbi versammelte die Gläubigen um sich und sagte: Meine Brüder! habet Mitleid einer mit dem andern und Gott wird Mitleid mit Allen haben.
Die Zuhörer, gerührt von dieser Ansprache, spendeten sofort Almosen und übten große Wohlthaten.
Während Alle mit diesen guten Werken beschäftigt waren, bemerkten sie Einen, der einer Frau reiche Geschenke gab. Der Rabbi fragte ihn, warum er dieser Person so große Geschenke gebe. Der Mann antwortete: Herr! sie war meine Gattin und ich habe sie verstoßen, aber ich weiß, daß sie sich in großer Noth befindet und bei deinen Ermahnungen fühlte ich mich zu großem Mitleide gegen sie angeregt.
Der Rabbi richtete die Augen zum Himmel und sprach: Dieser Mann hat so viel Mitleid gegen die von ihm Verstoßene.
Wir sind deine Kinder und du bist der Herr der Barmherzigkeit; o, erbarme dich über deine Kinder!
Und der erflehte Regen fiel alsbald und tränkte die Erde.
Rabboth S. 36 a.
Ich verletze das Recht meines Knechtes und meiner Magd nicht in ihrem Streite mit mir. Was thäte ich, wenn Gott aufstände und wenn er es rügte, was erwiederte ich ihm? – Worte Hiobs Hiob Cap. 31 V. 13 und 14..
Die Frau des Rabbi Jose fing Streit mit ihrer Magd an. Der Gatte kam dazu und fragte nach der Ursache, und da er sah, daß seine Frau im Unrechte war, sagte er ihr dieses in Gegenwart der Magd.
Die Frau sagte erzürnt: Du giebst mir im Angesichte meiner Magd Unrecht? Der Rabbi antwortete: ich thue wie Hiob.
Rabb. Seite 52 b.
Alles in der Schöpfung ist Harmonie, Alles ist ein Austausch gegenseitiger Dienstleistungen. Der Tag leiht von der Nacht, die Nacht vom Tag; der Mond von den Sternen, die Sterne vom Mond, die Sonne vom Licht, das Licht von der Sonne; die Vernunft von der Wissenschaft, die Wissenschaft von der Vernunft; die Mildthätigkeit von der Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit von der Mildthätigkeit.
Alle diese Geschöpfe Gottes leihen eines vom andern und sind Freunde und in Frieden.
Bloß der Mensch leiht dem Genossen und sucht ihn durch den Betrug zu Grunde zu richten.
Diese Wucherer sagen gleichsam zu Gott: Warum nimmst du keinen Zins von deinen Darlehen an die Menschen?
Du tränkest die Erde, du befruchtest die Felder, du erleuchtest, du hauchst den Lebensodem ein, du erhältst: warum lässest du dich nicht bezahlen?
Gott sagt: Sehet wie viele Sachen ich leihe und nehme keinen Zins.
Wehe dem der Zins nimmt, er wird nicht leben Jecheskel Cap. 18 V. 13..
Ein König öffnet seinem Freunde sein Reich; der Freund tritt ein, tritt die Armen nieder, tödtet die Wittwen, zerstört, verheert und erfüllt Alles mit Betrug und Unrecht.
So trägt der Wucherer, dem Gott das Reich seiner Schätze eröffnet hat, überall hin das Unrecht und den Tod.
Rabboth Seite 149 b.
Rabbi Janai begegnete einem Manne von ehrwürdigem Aussehen und wohl gekleidet. Da er ihn für etwas Großes hielt, so betrachtete er ihn mit Achtung und sprach ihn an und bat ihn zu Tische. Während des Essens knüpfte Janai ein Gespräch über Wissenschaft und Religion an, aber sein Gast wußte von nichts und schwieg.
Nach beendigter Mahlzeit ladet Janai seinen Gast ein, wie es Brauch ist, das Glas in die Hand zu nehmen und das Tischgebet zu sprechen. Sprechet nur ihr es, sagte der Gast, ihr seid der Herr des Hauses, ich kenne die Worte dieses Gebetes nicht. Aber du kannst mir doch nachsprechen, wie ich dir sagen werde? Wohl, antwortete der Gast. Janai sagte: sprich, ein Hund ißt das Brod Janai's.
Der Gast springt von seinem Sitze auf, ergreift Janai am Arme und ruft: Gieb mir mein Erbe! Dein Erbe? Habe ich etwas von dir in meiner Hand? Ja, ich erinnere mich, einmal an einer Schule vorbeigegangen zu sein und gehört zu haben, wie ein Kind sagte: Das Gesetz ist Israel als Erbe gegeben 5. Buch Mose Cap. 33 V. 4.. Es ist weder ein Erbe Janai's, noch eines Andern; sondern Israels. Du besitzest es, es ist deine Pflicht, mich es zu lehren.
Der Rabbi, dem diese edle Gesinnung Achtung einflößte, fing an, die seinem Gaste angethane Beleidigung zu bereuen und erkundigte sich genau nach seinen Handlungen. Er erfuhr, daß sein Gast nie ein böses Wort sprach, nie eine Beleidigung vergalt, immer bemüht war, Frieden zwischen Streitenden zu stiften.
Ach! sagte Janai weinend; einem Manne, der so heilige Werke übt, habe ich den Namen Hund gegeben. – Er konnte sich keine Ruhe geben.
Rabb. S. 174 a. und b.
Am Abende eines Sabbath verlängerte Rabbi Meïr seine Vorlesungen über die gewöhnliche Zeit. Unter den Zuhörern war auch eine Frau, die solches Wohlgefallen daran hatte, daß sie nicht wegging, bis die Vorlesung beendigt war. Die Arme eilt nach Hause und findet die Sabbathlampe verloschen. Der Gatte geht ihr wüthend entgegen, fragt, wo sie so lange gewesen und ruft rasend: gehe aus meinem Hause! du wirst nicht mehr hereintreten bis du jenem Rabbi in's Gesicht gespieen hast.
Die Arme geht niedergeschlagen hinaus und weint und denkt nach, wie sie den harten Befehl ausführen könnte. Sie besucht den Unterricht des Rabbi, zittert, erröthet, geht vorwärts, wieder zurück und kehrt nach Hause zurück und so that sie einige Male.
Ihre Freundinnen, die Mitleid mit ihr hatten, sagten zu ihr: Willst du denn dieses traurige Leben fortführen? Komm mit uns und Muth! es muß einmal zum Ende gehen.
Unterdessen hatte ein Traum dem Rabbi die traurige Lage der Frau geoffenbart.
Die Freundinnen führen also die rathlose Fran in die Schule und bemühen sich auf jede Weise, ihr Muth zu machen. Aber diese schaudert und weicht zurück. Der Rabbi sieht sie und, um sie aus der Verlegenheit zu ziehen, sagt er zu ihr: Gute Frau! könntet Ihr einen Zauberspruch über mein krankes Auge thun, und darauf speien Ein kabbalistisches Heilmittel.? Die Frau, ermuthigt durch diese Frage, geht vorwärts, ist schon nahe beim Rabbi, aber auf einmal ergreift sie Schrecken und Schauder und sie ruft: nein, nie; ich kann diesen Zauberspruch nicht thun.
Thut nichts, sagte der Gelehrte liebevoll, speie mir in's Gesicht, wie du willst, auch sieben Mal; ich werde doch heilen. Und du kehre zum Gemahle zurück und sage ihm, daß du seinen Befehl mit Wucher ausgeführt habest.
Die Schüler schien diese große Herabwürdigung zu verdrießen. Der Rabbi sagte: Um Frieden zwischen den Eheleuten zu stiften, hat der Herr sogar erlaubt, daß sein heiliger Name in dem Gerichte über die Eifersucht ausgelöscht werde Man schrieb den Namen Gottes auf Pergament und warf die Schrift in's Wasser. 5. Buch Mose Cap. 5 V. 23..
Rab. S. 175 a.
Rabbi Pinehas, Sohn Jair, gewährte zwei Bekannten Gastfreundschaft in seinem Hause. Dieselben gaben ihm eines Tages zwei Maaße Gerste, sie ihnen aufzubewahren. Aber in der Eile der Abreise vergaßen sie dieselben. Als der Gelehrte die Vergessenheit bemerkte, war er lange ungewiß, was er zu thun hätte. Dann beschloß er, die Gerste zu säen. Und er zog eine gute Ernte daraus; und so setzte er es sieben Jahre fort, und mit dem daraus gezogenen Gewinne und mit der Gerste konnte er einige Magazine anfüllen.
Nach sieben Jahren kehren die zwei Freunde von der großen Reise, die sie gemacht hatten, zurück. Sie gehen in sein Haus und sich der vergessenen Gerste erinnernd, bitten sie ihn um deren Rückgabe. Der Mann öffnet ihnen einige bis obenaus angefüllte Magazine und sagt: das gehört euch Alles.
Rabbi Simeon gab auch ein bewundernswerthes Beispiel von Redlichkeit. Er hatte von einem Ismaeliten einen Esel kaufen lassen und fand durch Zufall am Halse des Esels einen Edelstein. Seine Schüler sagten: Der göttliche Segen will dich reich machen. Der Meister antwortete: ich habe den Esel gekauft und nicht den Edelstein: und ließ ihn dem Ismaeliten zurückgeben.
Rabb. S. 292 a.
Rabbi Jochanan war seit langer Zeit von schweren Schmerzen gequält. Sein Freund Chanina,der ihn besuchte, sah ihn tiefer Entmuthigung preisgegeben, und mit liebevollem und mitleidigem Tone sagte er zu ihm: Mein Freund! Welche Betrübniß preßt dir das Herz? Warum so verzagt und traurig? Ach! antwortete der Kranke, ich bin von Leiden heimgesucht, die ich nicht ertragen kann.
Diese Worte schmerzten Chanina, der mit verdoppelter Liebe und Theilnahme ihn also tröstete: Mein Freund! diese Worte geziemen sich nicht für deinen heiligen Charakter, für dein religiöses Gemüth. Sage vielmehr, daß Gott gerecht ist, gerecht in den Leiden, die er uns sendet, gerecht in dem Lohne, den er den Leidenden verspricht. Und mit diesen religiösen Betrachtungen, mit dieser liebevollen Theilnahme legte er Ruhe und Ergebung in das Herz des armen Kranken. Und jedes Mal, wenn dieser den scharfen Stachel seiner Schmerzen fühlte, waren die religiösen Tröstungen des Freundes wie Balsam auf seine Wunden.
Nach einigen Jahren erkrankte auch Chanina, daß er keinen Frieden und keine Ruhe hatte. Der Arme stieß oft Geschrei und Klagen aus. Kaum sah er den Freund Jochanan, der ihn zu besuchen kam, in das Zimmer treten, rief er mit aller Bitterkeit des Gemüthes aus: »Ach, wie schwer sind diese Qualen!« Desto größer wird der Lohn sein, sagte Jochanan zu ihm. Ach! ich würde auf sie und auf ihren Lohn verzichten, antwortete mißmuthig der Kranke.
Diese, vom Schmerze erpreßten Worte, rührten und betrübten den Besucher sehr, und er sprach mit einem Tone der Ueberraschung und fast des Vorwurfes also: »In meiner peinlichen Krankheit warst du mir Meister des Trostes und der Ergebung. Du zogest für mich aus der Religion einen Balsam, der meine Wunden linderte; du fandest Worte, die mir die Ruhe in das Herz legten. Warum weißt du nicht, dir selbst jene Worte zu sagen, die über mich so viel vermochten?«
Mein Freund! sagte lächelnd der Kranke. Da ich draußen und frei war, konnte ich für Andere Bürgschaft leisten; aber jetzt, wo ich selbst drinnen bin, kann ich für mich Bürge sein?
Jochanan sah jetzt ein, daß, wenn das Gemüth vom Schmerze niedergeworfen ist, es sich selbst nicht mehr genügt, sondern der Tröstungen der Freundschaft bedarf.
Rabboth Schir haschirim S. 19 a.
Ein großer Weiser, der das Amt eines Richters bekleidete, widmete alle seine Zeit dem öffentlichen Wohle und fand selten im Tage eine Stunde der Ruhe. Eines Tages, als er eilig aus dem Bade ging, lief er in's Tribunal, um, wie gewöhnlich, der Rechtspflege obzuliegen. Der Diener ging hinter ihm her, und als der Weise sich gesetzt hatte, reichte er ihm ein Glas Wein, damit er die vom Bade geschwächten Kräfte wiederherstelle. Der Weise streckt die Hand aus, um es zu nehmen, aber in dem Augenblicke wurde er von den Collegen und den Partheien unterbrochen, er ließ das Glas und achtet auf die Rechtssache, die verhandelt wurde.
Unterdessen hatte sich der Sclave gesetzt und war sanft eingeschlafen.
Der Weise sieht sich um und bemerkt den schlafenden Diener. Er unterbricht sich einen Augenblick und sagt: wie ärmlich ist doch alle unsre Größe! Wie süß ist die Ruhe dieses Armen! Und uns läßt unsre Größe weder Ruhe noch Schlaf!
Midrasch Koheleth S. 98 a.
Drei Namen hat der Mensch: der eine ist ihm von seinen Aeltern gegeben, der andere von der Welt, der dritte von seinen Werken; und dieser ist im unsterblichen Buche seines Schicksals geschrieben.
Welcher von diesen Namen der beste sei, lehrt uns Salomo, der sagt: Koheleth Cap. 7 V. 1. »Besser ist der gute Name als das beste Oel.«
Midrasch Koheleth S. 100 a.
Abba Tachna war verehrt als frommer und heiliger Mann, weil er mit der größten Strenge alle Vorschriften des Gesetzes beobachtete. Am Rüsttage eines Sabbaths kehrte er aus dem Felde mit einem Bündel Holz auf den Schultern nach Hause zurück. Auf der Straße trifft er einen armen Greis fast ohnmächtig und den Körper voll von Wunden; und der arme Greis ruft weinend dem frommen Manne: ach! laß mich nicht hier auf der Straße sterben; trage mich nach Hause.
Der fromme Mann gerieth in Verwirrung, und denkt bei sich: o ich Armer! was soll ich thun? Wenn ich diesen Mann forttrage, muß ich mein Holz hier lassen, und dieses ist das einzige Mittel, um die Familie zu unterhalten. Wenn ich zurückkehre nach dem Holze, wird es zu spät werden, und ich würde den Sabbath verletzen. Wenn ich diesen Mann verlasse, mache ich mich des Todes schuldig.
In diesem Contraste der Gedanken siegte das Mitleid. Der fromme Mann trug den armen Greis in die Stadt und kehrte dann zurück nach dem Holze. Während er mit jenem Bündel auf der Schulter in die Stadt eintrat, war die Sonne am Untergehen und wer ihn sah, erstaunte und sagte: ist das der gefeierte fromme Mann? er arbeitet und trägt Lasten in der Stunde des Sabbaths.
Der Arme ging schweigend weiter. Und siehe, o Wunder! Die Sonne erglänzt wieder im lebhaftesten Lichte, wie wenn der Tag noch nicht vorgerückt wäre und zerstreut den Verdacht der Zuschauer.
Midrasch Koheleth S. 107 a.
Einmal gingen einige mildthätige Männer auf dem Lande und in den Städten umher, um Geld zu sammeln, das zur Unterstützung armer Schüler verwendet werden sollte. Sie kamen auf dem Lande in das Haus eines Mannes, Namens Barbutin. Auf der Schwelle des Hauses hörten sie, wie drinnen der Sohn mit dem Vater folgendes Gespräch hatte: »Mein Vater, was bestimmst du heute für unser Mittagessen? Die Früchte, die das Maaß eine Mana Mana eine Münze kostet, oder diejenigen, von denen zwei Maaß eine Mana kosten?« Und der Vater antwortete: »Laß die zubereiten, von denen zwei Maaß eine Mana kosten; sie sind sehr wohlfeil, und das Mittagessen wird uns weniger kosten«.
Jene mildthätigen Männer, die auf der Schwelle standen, hörten dieses ganze Zwiegespräch, und zweifelhaft, ob sie hineingehen sollten, sagten sie endlich: »Was ist von diesem Geizhalse zu hoffen, der ein so elendes Leben führt und so grausam gegen sich selbst ist? Wie können wir hoffen, daß er mildthätig gegen Andere sei? Setzen wir unsern Gang fort. Wenn uns dann noch Zeit bleiben wird, werden wir zurückkommen, die Probe zu machen.«
In der That entfernten sie sich und kehrten erst nach einigen Tagen zurück. Kaum waren sie erschienen, so wurden sie liebevoll aufgenommen.
Ermuthigt durch diese gütige Aufnahme, setzten sie frei ihre Bitte auseinander; und der Herr antwortete sogleich: geht zu meiner Frau; sie vertheilt unsre wenigen Almosen; saget ihr in meinem Namen, daß sie euch ein Maaß voll Dinarim Name einer Münze. gebe.
Jene guten Männer sahen sich verwundert an, wie wenn sie ihren Ohren nicht glaubten, da sie jenem eine so außerordentliche Großmuth nicht zugetraut hatten. Sie begaben sich sofort zur Frau, der sie die Worte des Gemahls berichteten. Die Frau sagte, ohne eine Ueberraschung zu zeigen: »Will er, daß das Maaß gehäuft oder gestrichen voll sei? Wiederholt mir genau die Worte meines Gemahls.«
Die Männer antworteten, daß der Gemahl nur von einem Maaße gesprochen und sich nicht weiter erklärt habe. Die Frau versetzte nun, daß sie in diesem Zweifel lieber das Maaß gehäuft geben, und wenn dieses nicht die Absicht des Gemahls wäre, selbst das Mehr zulegen wolle.
Die Männer kehrten, jubelnd über das große ungehoffte Almosen, zu dem Herrn zurück, um ihm zu danken und gaben ihm auch von dem Zweifel und der Großmuth der Frau Kenntniß. Der Gemahl antwortete: »Bei meiner Treue, sie hat meine Worte richtig gedeutet. Meine Absicht war, so viel zu geben. Aber mit Erlaubniß, warum habt ihr so lange gezögert, zu mir zu kommen?«
Die guten Männer errötheten, zauderten ein wenig, dann gestanden sie ihm offen, daß sie zufällig jenes Gespräch gehört und nicht gehofft hätten, in ihm, der ein so karges und elendes Leben führe, Großmuth zu finden.
Der Wohlthäter hörte Alles, ohne weder Ungeduld noch Unwillen zu zeigen, dann sprach er: für mich kann ich nach meinem Belieben thun und sparsam leben, wie ich will; für meinen Nebenmenschen kann und darf ich nicht.«
Midrasch Koheleth S. 120 a.
Wer sein Geschäft mit Rechtschaffenheit treibt, ist bei Allen wohlgelitten und so verdient, wie wenn er das ganze Gesetz beobachtet und ausgeführt hätte.
Dem Menschen, der etwas Weniges in den heiligen Büchern am Morgen und am Abend studirt und der sich den ganzen Tag mit seinen Geschäften abgiebt, wird es angesehen, wie wenn er das ganze Gesetz ausgeführt hätte.
Das tiefe Studium des Gesetzes ist dem als eine Pflicht auferlegt, der das Manna ißt Will heißen, der nicht zu arbeiten hat, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen.. Setzen wir, daß sich einer den ganzen Tag damit beschäftige, und essen? und sich kleiden? Daher ist das Gesetz demjenigen anvertraut, der das Manna ißt und auch demjenigen, der die Opfergaben genießt Nämlich dem von den Opfern des Volkes erhaltenen Priester. Der Sinn des ganzen Paragraphen ist, daß das Studium des Gesetzes nur denjenigen vorgeschrieben ist, die nicht nöthig haben zu arbeiten, um zu leben, oder deren Beruf ein fortwährendes Studium erfordert..
Jalkut S. 73b. und 74b.
Der Unglückliche, der in der Armuth seufzt, wird manchmal von seinen Schmerzen verleitet, gegen die Vorsehung zu murren. Er denkt bei sich selbst: »Bin ich nicht auch ein Geschöpf Gottes? Warum ein so großer Unterschied zwischen mir und jenem Reichen? Er schläft ruhig in dem Hause, das sein ist und ich liege in dieser armen Hütte, die nicht mir gehört. Er schläft in weichem Bette und ich auf dem nackten Boden.«
Der wohlthätige Mensch beruhigt durch seine Mildthätigkeit die Klagen des Armen und bringt sie zum Schweigen.
Gott spricht zu diesem wohlthätigen Menschen: »Durch deine Mildthätigkeit versöhnst du jenen Armen mit mir, du machst Frieden unter uns.«
Jalkut Jesaja S. 56a.
Ein Gelehrter ging eines Tages inmitten der Ruinen Jerusalems, und leise folgte ihm ein Freund. Da jener einen Blick auf den Ort warf, wo sich ehedem der heilige Tempel majestätisch erhob, fing er zu weinen an und rief aus: »Wehe uns! Der Tempel, wo unsre Sünden gesühnt wurden, ist gefallen. Wehe uns! wie werden wir unsre Sünden sühnen?«
Der Freund, der ihm folgte, sagte: »Betrübe dich nicht darüber, o Meister! Es bleibt ein nicht weniger mächtiges Sühnmittel, als jenes; es bleibt uns die Wohlthätigkeit.«
Legende.
Ein frommer Mann hatte ein Gelübde gethan, wie groß auch sein Elend sei, kümmerlich von dem eignen Verdienste zu leben und nie von der menschlichen Mildthätigkeit irgend eine Unterstützung zu erbetteln. Aber der Arme wurde in kurzer Zeit in so tiefes Elend versetzt, daß ihm als Bett nur noch der nackte Boden und eine zerrissene Decke blieb, und ihm die Kleider in Stücken vom Leibe herabhingen. Aber auch das grausamste Leid hätte er lieber ertragen, als sein Gelübde zu verletzen.
Eines Tages, als er ganz allein war und bittern Hunger litt und weinte, erscheint ein unbekannter Araber bei ihm, der sich in ein vertrauliches Gespräch mit ihm einläßt und ohne zu zeigen, daß er sein Elend bemerke, ihm zwei Münzen leiht, mit welchen er ein kleines Geschäft anfangen solle, mit der Bedingung, daß er sie ihm wieder zurückgebe. Der fromme Mann, bedenkend, daß das Darlehn kein Geschenk sei, und von der Noth gezwungen, nimmt an.
Kaum hatte er jene zwei Münzen in der Tasche, so fühlte er sich als einen ganz andern Mann, als früher. Gestärkt durch neue und ungewohnte Hoffnungen, gekräftigt durch ein neues Leben, geht er, Arbeit zu suchen; und er hatte nicht lange zu suchen und fand bald, was er wünschte. Unterdessen bediente er sich jener zwei Münzen, um geringe Waare zu kaufen und mit ihr Handel zu treiben. Von jenem Tage an schlug ihm Alles zu Glück aus, jeder Versuch hatte einen günstigen Erfolg. Immer Arbeit in Ueberfluß, immer gute Geschäfte, immer größere Gewinnste; und so von Ersparniß zu Ersparniß, von Gewinn zu Gewinn, kam er in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens.
Aber sobald der Reichthum an die Stelle der Armuth getreten war, verschwanden die alte Frömmigkeit und Rechtschaffenheit. Keine Gebete mehr, keine Andachtsübungen mehr, keine guten Werke mehr; das ganze Leben des Mannes bestand in dem Genusse seiner Reichthümer.
Während er so besinnungslos in den irdischen Vergnügungen schwelgte, steht von Neuem der arabische Gläubiger vor ihm und verlangt mit strengem und gebieterischem Blicke die Rückerstattung seines Darlehns. »Und gieb Acht,« setzt der Araber hinzu, »ich will die nämlichen zwei Münzen, die du von mir empfangen hast.«
»Die nämlichen? antwortete der Reiche etwas betroffen. Dir die Wahrheit zu sagen, kaum habe ich einigen Verdienst gemacht, so ließ ich mir sie zurückgeben und bewahrte sie sorgfältig auf, weil sie mir das Glück gebracht hatten. Aber da du darauf bestehst, sie zu haben, so will ich nicht undankbar sein; hier sind sie, sie sind dein.«
Der Araber nimmt die zwei Münzen zurück und verschwindet, und des Reichen bemächtigte sich eine Unruhe, eine Entmuthigung, die er sich nicht zu erklären wußte. Und von jenem Tage an änderte sich Alles für ihn, Alles schlug ihm fehl. Er griff kein Geschäft an, das nicht mißlang; er unternahm nichts, was er nicht in der Mitte mit großem Verluste aufgeben mußte.
Von Verlust zu Verlust, von Ruin zu Ruin, wurde der Kasten bald leer, die Palläste schwanden unter den Schulden, und der Arme war von Neuem dahin gebracht, daß er auf dem Boden schlafen und Kleider anziehen mußte, die in Fetzen herabhingen.
Eines Tages, während er ganz allein und stumm da saß und weinte, erschien der Araber von Neuem: »Unglücklicher!« sagt er zu ihm, »du büßest jetzt deine Sünden; du hattest des Herrn vergessen.«
»Mitleid!« rief der Alte, »Mitleid! du warst schon einmal mein Retter; laß dich jetzt mein Mißgeschick rühren; ich habe gesündigt, es ist wahr …«
»Versprichst du, versetzte der Araber, versprichst du, immer der fromme Mann von früher zu bleiben, wenn du auch wieder reich würdest?«
»Ich thue einen feierlichen Eidschwur, «sagte der Greis. »Genug, unterbrach ihn der Araber, hier hast du von Neuem die zwei Münzen, nimm sie, und bald wirst du wieder reich sein.« Der Araber war der Prophet Elia.
Jalkut Ruth S. 64a.
Legende.
Ein religiöser und wohlthätiger Mann war in seinem Geschäfte unglücklich gewesen und hatte in kurzer Zeit sein ganzes Vermögen verloren, und um sich und die Familie zu unterhalten, mußte er im Tagelohne arbeiten. Müde und triefend von Schweiß stand er im Acker und pflügte, als ein Araber zu ihm trat und zu ihm sagte: »Freund, du bist bestimmt, sechs Jahre im Ueberfluß zu leben; wähle du, in welcher Epoche deines Lebens du vorziehst, diese sechs Jahre zu genießen: ob jetzt, oder später?«
»Bist du ein Zauberer? antwortete ihm der fromme Mann. Gehe deines Weges; denn bei mir kannst du nichts verdienen.« Und setzte seine Arbeit fort.
Kurz darauf kehrt der Araber zurück und macht ihm den nämlichen Vorschlag, und wird eben so wieder abgewiesen. Er kommt wieder, so daß der Andere müde und vielleicht auch ein wenig überzeugt durch die Beharrlichkeit des Unbekannten, antwortete: »Nun gut! ich gehe, mich mit meiner Frau zu berathen, und ich werde dir alsbald ihren Rath mittheilen.«
Er läuft nach Hause und erzählt der Frau das Vorgefallene und die unglaubliche Zudringlichkeit des Arabers und schließt: »Angenommen, daß er die Wahrheit rede; für wann wollen wir die sechs Jahre Ueberfluß wählen? Gleich, oder in unserm Alter?«
»Gleich! gleich!« ruft die Frau; und der Mann eilt zum Araber und giebt ihm diese Antwort. »Gleich?« sagt der Araber; »es sei so. Gehe nach Hause, und du wirst mein Versprechen schon erfüllt finden.«
Unterdessen sehen ihre Söhne, indem sie Schutt aufwühlen, Gold glänzen; sie graben tiefer und finden anderes Gold und sammeln einen Schatz. Sie erheben ein Jubelgeschrei; die Mutter kommt herbeigelaufen und ist außer sich vor Freude. Und Alle stürzen dem Vater entgegen, der schon in der Nähe des Hauses war und theilen ihm die frohe Nachricht mit.
Die gute Frau aber ließ sich von den Reichthümern nicht den Sinn verrücken, sondern dachte alsbald, guten Gebrauch davon zu machen.
»Wir haben, sagte sie, sechs Jahre des Genusses; machen wir, daß auch die Armen davon genießen.«
Und es verging kein Tag, wo sie nicht viel Almosen spendete und gute Werke übte, und sie befahl ihrem jüngsten Söhnchen, über Alles das, was in Wohlthätigkeit gespendet wurde, genaues Register zu führen.
Nach den sechs Jahren erscheint von Neuem der Araber, der, kein anderer war, als der Prophet Elia, und sagt: »Mein Freund! die sechs Jahre sind vorüber; gieb mir meine Reichthümer zurück.«
»Es ist gerecht, antwortet der Andere: aber gieb Acht! ich habe auf den Rath meiner Frau angenommen und kann ohne ihren Rath nicht zurück erstatten.«
Beide gehen in das Haus zur Frau, die, ohne im Geringsten zu zögern, dem Araber die Register ihrer Wohlthätigkeit zeigt und sagt: »Unser Freund! wenn du glaubst, daß dein Schatz besser Andern anvertraut werde, nimm ihn nur zurück; aber wenn dir scheint, daß wir gute Verwalter gewesen, laß ihn noch.«
Und der Prophet nahm den Schatz nicht mehr zurück.
Jalkut Ruth S. 165 a.
Der Prophet Elia erzählt so von sich:
Auf meinen Wanderungen unterhielt ich mich einmal mit einem Mann, der in den Büchern der heiligen Schrift sehr unterrichtet war, aber durchaus nicht in jener überlieferten Wissenschaft, die deren Bedeutung näher erklärt. »Meister, sagte der Mann zu mir, ich möchte einige Fragen an dich richten über die Worte des Gesetzes, aber ich fürchte sehr, du möchtest ungehalten darüber werden«.
»Welch ungerechte Furcht! erwiederte ich. Kann ich erzürnen, wenn du mich über heilige Dinge fragst?«
Er fuhr fort: Meister! im heiligen Gesetze steht geschrieben, daß Gott Brod giebt allen Geschöpfen und die Speise den Thieren, und warum giebt er das Brod nicht dem Menschen?«
»Mein Sohn! so antwortete ich ihm: es ist das Gesetz der Gesellschaft, daß der Mensch arbeite, und Gott segnet das Werk seiner Hände. Der Mensch soll nicht in Müßiggang diesen Segen erwarten, denn die Arbeit ist Gesetz Gottes. Die Wissenschaft, das Nachdenken, die Vernunft sind ein Erbe des Menschen; und mit dieser und mittelst dieser die Arbeit. Nimm dem Menschen das Nachdenken und die Vernunft, so wird er ein Thor bleiben, unfähig, sich den Lebensunterhalt zu erwerben: und er wird dann in Allem den unvernünftigen Thieren gleich sein.«
Tana debe Eliaha S. 22.
Wer nicht selbst ein Eigenthum besitzt, kann mit einem noch säugenden Kinde verglichen werden, dem die Mutter stirbt. Armes! man trägt es umher, von einer Frau zur andern, aber es gedeiht nicht, weil nichts die Liebe der Mutter zu ersetzen vermag.
Der Mensch, der unterhalten wird, wäre es auch vom Vater, wäre es auch von der Mutter und von den Kindern, empfindet nie die unaussprechliche Befriedigung dessen, der sich durch die eignen Mühen erhält.